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Mit, gegen oder jenseits von Politik? - Eine Reflexion über den paradoxen anarchistischen Politikbeg

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    RC3 Nowhere Vorspannmusik
  • 0:10 - 0:15
    Herald: Willkommen! Guten Morgen in der
    Chaoszone TV an Tag 3. Wir freuen uns
  • 0:15 - 0:19
    sehr, dass heute auch mit live im Studio
    ist, Jonathan Elbisch mit seinem Talk
  • 0:19 - 0:23
    "Mit, gegen oder jenseits von Politik?
    Eine Reflexion über die paradoxen
  • 0:23 - 0:28
    anarchistischen Politikbegriff." Die
    politische Theorie des Anarchismus ist ein
  • 0:28 - 0:31
    Thema und auch dort macht er einige
    Veranstaltungen. Im Anschluss habt ihr
  • 0:31 - 0:35
    live die Möglichkeit Fragen an ihn zu
    stellen. Bitte nutzt dafür den Hashtag
  • 0:35 - 0:42
    rC3ChaosZone auf Mastodon, Twitter und im
    Chat. This talk is going to be translated
  • 0:42 - 1:03
    in english, please use the selecting down
    under video player accordingly. Have fun!
  • 1:03 - 1:08
    Jonathan: Hallo, schön, dass ihr da seid!
    Mit, gegen, jenseits von Politik? Über das
  • 1:08 - 1:12
    paradoxe anarchistische
    Politikverständnis. Darum geht es heute in
  • 1:12 - 1:15
    diesem Vortrag. Schön, dass ihr da seid.
    Ich hoffe, ihr könnt dem etwas abgewinnen
  • 1:15 - 1:22
    und viel Spaß beim Reinhören. Danke erst
    mal an die Chaoszone in Halle, die uns das
  • 1:22 - 1:26
    ermöglicht hat, die Stage jetzt hier auf
    dem CCC, das Filmchen zu machen. Zu mir
  • 1:26 - 1:28
    gibt es glaube ich eigentlich nicht so
    viel zu sagen. Also ich bin Jonathan und
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    führe euch jetzt durch diesen Vortrag.
    Freue mich, wenn ihr zuhört und alles
  • 1:32 - 1:37
    weitere könnt ihr auf meinem Blog
    paradox-a.de z. B. lesen oder wenn ihr
  • 1:37 - 1:42
    wollt mit mir in Kontakt kommen. Worum
    geht es heute? Es geht um ein
  • 1:42 - 1:45
    irritierendes Moment, was ich hatte und
    ich glaube auch verschiedene andere
  • 1:45 - 1:48
    Menschen, nämlich um eine
    Gleichzeitigkeit, wenn man sich mit
  • 1:48 - 1:53
    anarchistischem Denken oder auch in
    anarchistischer Szene bewegt zwischen
  • 1:53 - 1:59
    einerseits einer ganz vehementen Kritik
    und Ablehnung von Politik und andererseits
  • 1:59 - 2:03
    einer Bezugnahme auf Politik oder eben
    auch das Praktizieren von radikaler
  • 2:03 - 2:07
    Politik. Als ich das so beobachtet und
    durchdacht habe, ist mir aufgefallen: Ok,
  • 2:07 - 2:11
    das ist schon irritierend. Wie kann es
    sein, dass eben einerseits eben diese
  • 2:11 - 2:15
    Bezugnahme und das Praktizieren von
    radikaler Politik im Anarchismus
  • 2:15 - 2:19
    offensichtlich geschieht und gleichzeitig
    eben eine sehr grundlegende Ablehnung und
  • 2:19 - 2:23
    Kritik daran besteht? Dem werden wir jetzt
    hier ein bisschen nachgehen. Ist
  • 2:23 - 2:27
    vielleicht so ein bisschen wie in diesem
    Bild etwas verkürzt, wie ihr es hier seht,
  • 2:27 - 2:32
    ja Politik Scheiße, Anarchie gut. Ok, so
    einfach ist es nicht. Aber ihr kennt es,
  • 2:32 - 2:36
    ihr habt vielleicht so eine Can in der
    Hand, lauft irgendwo rum und die Wand ist
  • 2:36 - 2:41
    nicht so groß, da muss die Botschaft ein
    bisschen kurz sein. Außerdem vielleicht
  • 2:41 - 2:43
    kommen da auch Leute, es ist ein bisschen
    eine stressige Situation, da macht man die
  • 2:43 - 2:48
    Botschaft eher simpel. Das ist die Frage:
    Ist es so einfach? Politik scheiße,
  • 2:48 - 2:52
    Anarchie gut? Vielleicht etwas zu leicht.
    Aber auf der anderen Seite zeigt es
  • 2:52 - 2:57
    zumindest: Ok, im Anarchismus gibt es
    offenbar so eine sehr grundlegende Kritik
  • 2:57 - 3:01
    an dem, was Politik ist. Und das wäre
    jetzt so ein bisschen der Aufhänger für
  • 3:01 - 3:05
    das, was ich jetzt noch erzähle. Wie ist
    es im Anarchismus? Was ist denn überhaupt
  • 3:05 - 3:09
    eigentlich das Politikverständnis? Was
    verstehen Anarchist:Innen unter Politik?
  • 3:09 - 3:15
    Darum geht es jetzt im Folgenden. Und mit
    dieser Irritation über die politische
  • 3:15 - 3:20
    Logik würde ich auch anfangen. Was gibt es
    da für Momente heute, wo wir merken: Ok,
  • 3:20 - 3:25
    so einfach ist es nicht, irgendwie Politik
    zu machen? Wenn man so eine anarchistische
  • 3:25 - 3:30
    Haltung hat, dann will ich euch mitnehmen
    zu so ein paar Zitaten oder
  • 3:30 - 3:36
    Quellentextarbeiten über das Unbehagen mit
    Politik im radikalen Sozialismus. Dann
  • 3:36 - 3:40
    noch mal stärker die Arbeit mit
    Quellentexten, was halt meine eigentliche
  • 3:40 - 3:44
    Arbeit ist. Ich hoffe, ihr könnt dem was
    abgewinnen. Um da drauf hin die Frage zu
  • 3:44 - 3:49
    klären: Was ist Politik im Anarchismus? Da
    gibt es wie immer natürlich verschiedene
  • 3:49 - 3:53
    Meinungen dazu. Ich stelle euch jetzt
    einfach eine Perspektive dar und ihr könnt
  • 3:53 - 3:56
    schauen, was ihr dem abgewinnen könnt und
    auch gerne kritisch dadrüber diskutieren
  • 3:56 - 4:00
    natürlich. Und die Frage : Ok, wenn
    Politik vielleicht gar nicht so der
  • 4:00 - 4:04
    Bringer ist, wie wir uns das manchmal
    denken oder glauben, was gibt es denn dann
  • 4:04 - 4:09
    für Alternativen? Was ist so was wie Anti-
    Politik? Also Anti-Politik wäre hier
  • 4:09 - 4:13
    einfach einen Arbeitsbegriff. Das hat
    jetzt noch keinen bestimmten Inhalt. Das
  • 4:13 - 4:18
    ist einfach das, was dann Politik nicht
    ist. Aber was ist das sonst sozusagen?
  • 4:18 - 4:23
    Welche Sphären außer Politik spielen dann
    doch eine Rolle im anarchistischen Denken?
  • 4:23 - 4:29
    Und das werden wir uns dann nachher
    anschauen. Gut soweit. Also wie gesagt,
  • 4:29 - 4:40
    ich hoffe ihr könnt mir so weit folgen und
    los gehts. Und damit geht es los mit der
  • 4:40 - 4:44
    Irritation über politische Logik. Ich
    hatte ja eben schon gesagt, es geht
  • 4:44 - 4:49
    natürlich im Anarchismus um eine Kritik an
    staatlicher Politik, an Parlamentarismus,
  • 4:49 - 4:54
    auch an Parteien und anderen politischen
    Gremien. Aber dadrüber hinaus geht die
  • 4:54 - 4:59
    Kritik noch weiter. Es geht um eine
    politische Logik, die wir auch finden in
  • 4:59 - 5:03
    Graswurzelbewegung oder in sozialen
    Bewegungen. Da stellen sich eigentlich die
  • 5:03 - 5:07
    interessanten Fragen. Wie gesagt, ich
    beschäftige mich mit anarchistischer
  • 5:07 - 5:11
    Theorie. Das hat dann viel mit Texten und
    Sachen durchdenken zu tun. Aber das alles
  • 5:11 - 5:15
    wäre ja nicht so interessant und vor allem
    eben auch nicht so relevant, wenn es sich
  • 5:15 - 5:19
    nicht dabei um ganz konkrete Sachen
    handeln würde, die mich selber auch
  • 5:19 - 5:24
    beschäftigen und irritieren, was ich sehe.
    Deswegen habe ich euch jetzt 8 Beispiele
  • 5:24 - 5:28
    mitgebracht, wo so eine Irritation über
    eine politische Logik halt in soziale
  • 5:28 - 5:33
    Bewegung selber entsteht und die glaube
    ich auch ganz typische Beispiele sind,
  • 5:33 - 5:38
    damit ihr seht: Ok, das spielt schon eine
    große Rolle tatsächlich für Leute, die in
  • 5:38 - 5:43
    emanzipatorischen, sozialen Bewegungen
    unterwegs sind. 8 Beispiele und es geht
  • 5:43 - 5:48
    los mit dem Ersten. Da geht es um eine
    sehr klassische anarchistische Demo gegen
  • 5:48 - 5:52
    Gefängnisse, nämlich die Demonstration in
    Chemnitz gegen den Frauenknast, die in den
  • 5:52 - 5:56
    letzten Jahren immer wieder stattgefunden
    hat, meistens Ende März. Da wird das Thema
  • 5:56 - 6:01
    eben des Feminismus mit dem Thema der
    Knastkritik verbunden. Insofern erst mal
  • 6:01 - 6:05
    interessant, diese Schnittpunkte
    herzustellen und wir finden auf den
  • 6:05 - 6:10
    Demonstrationen Ausdruck für Beides.
    Einerseits eben diese utopische
  • 6:10 - 6:14
    Vorstellung für eine Gesellschaft ohne
    Gefängnisse, dass es möglich ist, dass wir
  • 6:14 - 6:18
    in einer anderen Gesellschaft leben, die
    keine Gefängnisse nötig hat. Und das ist
  • 6:18 - 6:23
    zugleich auch eine ethische Forderung,
    denn Anarchist:Innen würden sagen:
  • 6:23 - 6:27
    Menschen einzusperren bessert sie auf
    keinen Fall, sondern verstärkt vielleicht
  • 6:27 - 6:31
    auch einfach nur diesen Klassencharakter
    z. B. den ein Gefängnis auch hat. Oder
  • 6:31 - 6:35
    warum entsteht überhaupt so was wie
    Kriminalität usw? Warum werden Menschen
  • 6:35 - 6:41
    weggesperrt? Das hat ganz andere Gründe
    sozusagen. Und sie halt oder sie halt dann
  • 6:41 - 6:45
    einzusperren ist nicht die Lösung. Es ist
    eine ethische Kritik an diesem
  • 6:45 - 6:51
    Gefängnissystem. Beides übersteigt die
    politische Logik, die aber genauso auch
  • 6:51 - 6:54
    eine Rolle spielt in dieser Demonstration,
    die eben wie gesagt sehr anarchistisch,
  • 6:54 - 6:59
    sehr radikal auch geprägt ist. Nämlich die
    Forderung nach Mindestlohn hinter Gittern,
  • 6:59 - 7:02
    also dass die Gefangenen, die dort
    arbeiten, ganz selbstverständlich eben
  • 7:02 - 7:05
    auch einen entsprechenden Lohn erhalten
    und dass sie dort eine
  • 7:05 - 7:09
    Versammlungsfreiheit haben. Denn das ist
    ja der Ausgangspunkt, dass sie sich
  • 7:09 - 7:13
    organisieren können. Das gefällt natürlich
    den Gefängniswärtern und Aufsehern nicht,
  • 7:13 - 7:17
    sind aber ganz pragmatische politische
    Forderungen nach Reformen sozusagen.
  • 7:17 - 7:22
    Beides geht zusammen und das ist eine
    gewisse Irritation, diese Gleichzeitigkeit
  • 7:22 - 7:25
    für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse und
    gleichzeitig die Bedingungen im Gefängnis
  • 7:25 - 7:30
    selber zu verbessern. Wie geht es
    zusammen? Ganz ähnlich gelagert ist auch
  • 7:30 - 7:35
    das zweite Beispiel. Da gehts um die
    Demonstration in Annaberg, die Pro Choice
  • 7:35 - 7:39
    Demo, die es da gibt. Die richtet sich
    gegen den sogenannten Marsch für das Leben
  • 7:39 - 7:44
    von so christlichen Fundamentalist:Innen.
    Das sind Abtreibungsgegner:Innen, sehr
  • 7:44 - 7:49
    hardcore. Auch in Stuttgart und Berlin
    gibt es diese Demonstration oder Leute und
  • 7:49 - 7:54
    dementsprechend auch den radikal
    feministischen Protest dagegen. Auch dort
  • 7:54 - 7:58
    sehen wir das Gleiche. Einerseits sehen
    wir das in den Sprüchen wie z. B. Kein
  • 7:58 - 8:04
    Gott, kein Staat, kein Patriarchat. Dadrin
    steckt schon die Vorstellung, dass der
  • 8:04 - 8:08
    Staat selber auch mit einer patriarchalen
    Logik verknüpft ist. Also strukturell
  • 8:08 - 8:13
    sozusagen scheiße ist. Das es nicht dadrum
    geht, sich auf patriarchalen Staat
  • 8:13 - 8:17
    einzulassen. Übrigens auch in den
    feministischen Streikbewegung in
  • 8:17 - 8:21
    Lateinamerika, wo diese Verknüpfung sehr
    stark hergestellt wird aktuell. Also
  • 8:21 - 8:28
    Politik hat eben in dem Sinne auch immer
    diesen Geschmack patriarchal zu sein und
  • 8:28 - 8:33
    wird in Frage gestellt, wird ganz
    grundsätzlich kritisiert. Auf der anderen
  • 8:33 - 8:39
    Seite ist einer der zentralen Forderungen
    radikal feministischer Bewegungen die
  • 8:39 - 8:43
    Abschaffung des Verbots von
    Schwangerschaftsabbrüchen. Das ist der
  • 8:43 - 8:48
    Paragraph 218 im Strafgesetzbuch, was
    übrigens schon seit 150 Jahren
  • 8:48 - 8:54
    mittlerweile in Deutschland verboten ist,
    Schwangerschaftsabbruch, und ein
  • 8:54 - 8:57
    ziemlicher Skandal, weil es ja doch ein
    sehr großer Eingriff in das
  • 8:57 - 9:00
    Selbstbestimmungsrecht von vielen Menschen
    darstellt. Die Abschaffung dieses
  • 9:00 - 9:05
    Paragraphs ist also eine ganz eminent
    politische Forderung. Und auch das beißt
  • 9:05 - 9:10
    sich eben mit der grundsätzlichen Kritik,
    dass die politische Logik selber auch in
  • 9:10 - 9:15
    patriarchal staatlichen Touch hat. Ok also
    ich hoffe, ihr konntet soweit folgen, dass
  • 9:15 - 9:20
    man schon mal zwei, es geht aber noch
    weiter. Ein sehr klassisches Beispiel
  • 9:20 - 9:25
    würde ich auch sagen, begegnet mir auch in
    dieser Debatte über Aktionen zivilen
  • 9:25 - 9:29
    Ungehorsams oder Blockadeaktionen. Das ist
    ja auch sehr populär geworden in den
  • 9:29 - 9:33
    letzten Jahren, zum Beispiel bei Ende
    Gelände und ähnlichen Gruppierungen, die
  • 9:33 - 9:39
    eben zu Massenaktion aufrufen. Da sehen
    wir halt zivilen Ungehorsam. Leute gehen
  • 9:39 - 9:43
    z. B. auf so eine Schiene und besetzen
    die, weil da die Braunkohle lang gefahren
  • 9:43 - 9:47
    wird, mit dem Zug zum Kraftwerk. Und sie
    blockieren diese Schiene, um eben sehr
  • 9:47 - 9:52
    direkt klar zu machen, wir wollen hier
    einen Riegel vorschieben. Wir wollen diese
  • 9:52 - 9:58
    Braunkohleinfrastruktur blockieren, um
    dann direkten Schaden auch bei dem
  • 9:58 - 10:04
    Unternehmen zu verursachen. Wobei das ist
    die Frage, ob das so klar ist. Stellt euch
  • 10:04 - 10:10
    vor, die Blockade steht. Da sind
    vielleicht so 100 200 Menschen und dann
  • 10:10 - 10:14
    rückt die Polizei näher. Es wird auch
    abends usw. Polizei rückt näher, wie das
  • 10:14 - 10:19
    ja bei solchen Aktionen so ist. Und die
    Leute auf der Schiene in der Blockade
  • 10:19 - 10:24
    überlegen sich dann: Ok, sollen wir die
    Blockade räumen oder nicht? Denn z. B. war
  • 10:24 - 10:28
    die Presse schon da, es war insgesamt
    vielleicht ein erfolgreicher Tag und die
  • 10:28 - 10:32
    einen würden sagen: Ja, ist doch gut, wir
    können hier aufhören, wir haben unser Ziel
  • 10:32 - 10:37
    erreicht. Wir haben hier eine gute,
    stabile Blockade gemacht und das ist, was
  • 10:37 - 10:40
    wir wollten. Wir haben auch einen guten
    Pressebericht sozusagen, wir haben unser
  • 10:40 - 10:44
    Thema gesetzt. Aber gleichzeitig würden
    andere Leute sagen: Hey, das ist mir doch
  • 10:44 - 10:47
    nicht genug. Ich bin doch nicht hier, um
    irgendein Pressebericht zu machen, sondern
  • 10:47 - 10:51
    ich will hier eine direkte Aktion machen.
    Ich möchte gerne, dass dieses Kraftwerk
  • 10:51 - 10:55
    jetzt an dieser Stelle blockiert wird, um
    den Betreibern so viel Schaden wie möglich
  • 10:55 - 10:59
    zu verursachen, um hier direkt
    einzugreifen und der Pressebericht, der
  • 10:59 - 11:02
    bringt mir da gar nichts. Hier geht es
    nicht unbedingt dadrum, dass das letztere
  • 11:02 - 11:08
    unbedingt radikaler ist oder oder an sich
    anarchistischer, sondern solche Debatten
  • 11:08 - 11:13
    kommen eben immer wieder vor. Und da sehen
    wir, da beißen sich auch zwei Logiken. Der
  • 11:13 - 11:18
    zivile Ungehorsam, der ja eher einer
    politischen Logik folgt und die direkte
  • 11:18 - 11:23
    Aktion, die eben was anderes ist und diese
    politische Logik wieder in Frage stellt.
  • 11:23 - 11:26
    Wie die sich dann im Endeffekt
    entscheiden, ob die diese Blockade dann
  • 11:26 - 11:30
    aufgeben oder nicht, das ist sowieso immer
    Sache der Leute. Das ist wie gesagt keine
  • 11:30 - 11:34
    Wertung, sondern hängt immer vom Fall
    drauf ab. Aber wir sehen, dass diese
  • 11:34 - 11:37
    beiden Logiken da sehr eng ineinander
    verstrickt sind. Und das ist, denke ich,
  • 11:37 - 11:43
    ein Thema, was immer wieder vorkommt. Dann
    begegnete mir das auch mal noch bei so
  • 11:43 - 11:48
    einem Aktionscamp vor auch schon einigen
    Jahren, wo ich gemerkt habe, da gab es
  • 11:48 - 11:53
    auch so eine Debatte dadrum, was denn
    eigentlich das Politische ist, so hätte
  • 11:53 - 11:58
    ich das zumindest interpretiert. Also
    einerseits gab es da Leute, die ganz viel
  • 11:58 - 12:03
    in der Infrastruktur von dem Camp gemacht
    haben, was da so dazugehört. Das Kochen,
  • 12:03 - 12:10
    die Zelte aufbauen, das Zeug aufzuräumen
    usw., auch das Camp selber zu organisieren
  • 12:10 - 12:14
    und die das so als ihre Aufgabe betrachtet
    haben und sozusagen auch diese Politik da
  • 12:14 - 12:19
    auch parallel was aufzubauen. Und dann
    kamen so sehr aktionsorientierte, eben
  • 12:19 - 12:23
    eher sehr stark kommunistische Leute. Die
    kamen dann halt nur so für ein, zwei Tage
  • 12:23 - 12:29
    mal vorbei, für die große Aktion, für den
    Aktionstag und sind dann auch auf ihre
  • 12:29 - 12:33
    Aktion gegangen und da kam es zum Streit.
    Ja also diese Alternativleute, die eher
  • 12:33 - 12:36
    die Infrastruktur gemacht haben, haben
    sich halt aufgeregt, dass die
  • 12:36 - 12:40
    Aktionskommis halt garnichts zu dem Camp
    beitragen, sondern bloß die Infrastruktur
  • 12:40 - 12:45
    nutzen. Die Kommis haben dann wieder
    gesagt: Ja ok, aber ihr Hippies sozusagen,
  • 12:45 - 12:49
    baut hier euer Camp auf, aber darum geht
    es ja jetzt auch nicht. Auch dadrin sehen
  • 12:49 - 12:54
    wir, dass es offenbar so eine Art Streit
    darum gibt: Was ist denn jetzt das
  • 12:54 - 12:57
    Politische? Tatsächlich einfach so ein
    paralleles Camp aufzubauen? Oder ist das
  • 12:57 - 13:02
    eigentliche Politische die richtige
    Politik? Scheinbar dann diese eine groß
  • 13:02 - 13:09
    angekündigte Aktion. Ein 4. Beispiel, nein
    ein 5. wäre dann auch noch so diese
  • 13:09 - 13:13
    Gretchenfrage der Gewaltanwendung. Ja,
    also auch bei so einem anderen
  • 13:13 - 13:19
    Gipfelprotest nochmal, kam das z. B. vor,
    dass es da halt Ausschreitungen gab und
  • 13:19 - 13:23
    dann gibt es ja ganz klassisch danach dann
    immer wieder so eine Debatte bla bla, was
  • 13:23 - 13:29
    bringt das usw. Und in dem Fall geht es
    aber gar nicht darum, ob jetzt die Gewalt
  • 13:29 - 13:35
    gerechtfertigt oder so ist oder nicht,
    sondern die Frage war: Wie interpretieren
  • 13:35 - 13:40
    Menschen das, was da passiert? Und z. B.
    argumentieren Anarchist:Innen eher in
  • 13:40 - 13:43
    diese Richtung, dass sie sagen: Ok, ich
    muss das nicht unbedingt teilen oder gut
  • 13:43 - 13:49
    finden, dass es eben zu Ausschreitungen
    kam. Aber wir wollen uns gar nicht auf
  • 13:49 - 13:52
    diese politische Logik jetzt einlassen,
    was jetzt gerechtfertigt oder
  • 13:52 - 13:56
    ungerechtfertigt ist. Uns geht es um das
    selbstbestimmte Handeln von Menschen und
  • 13:56 - 14:01
    deswegen urteilen wir nicht dadrüber,
    welche Aktion wir gut finden. Wir wollen
  • 14:01 - 14:05
    uns gar nicht auf dieses Geschachere
    einlassen sozusagen, war das jetzt richtig
  • 14:05 - 14:08
    oder falsch? Sondern wir sehen es als
    einen selbstbestimmten Ausdruck von
  • 14:08 - 14:12
    bestimmten Menschen an, unabhängig ob wir
    das im Einzelnen gut finden und teilen
  • 14:12 - 14:17
    oder nicht. Andere argumentieren aber
    politisch strategisch wäre das jetzt
  • 14:17 - 14:23
    falsch, ja, also man sollte sich jetzt
    nicht irgendwie dadrauf einlassen, dann
  • 14:23 - 14:30
    durch Provokation z. B. irgendwie was
    anzuzünden usw. halt, weil das sozusagen
  • 14:30 - 14:34
    für die Gesamtsache nichts bringt, die
    Gesamtsache halt diskreditiert und aus
  • 14:34 - 14:38
    strategischen Gründen, also der
    politischen Logik, wäre das sozusagen
  • 14:38 - 14:42
    falsch in diesem Zusammenhang. Also auch
    hier sehen wir wieder Politik und eben
  • 14:42 - 14:47
    etwas anderes, dieses selbstbestimmte
    Handeln eher in diesem Fall, was der
  • 14:47 - 14:53
    Politik gegenübergestellt wird. 3
    Beispiele habe ich noch. Eins ist denke
  • 14:53 - 14:58
    ich auch sehr typisch und auch in vielen
    so selbstorganisierten linken Gruppen zu
  • 14:58 - 15:04
    finden. Da geht es um den Streit zwischen
    Kaderpolitik und persönlicher
  • 15:04 - 15:09
    Weiterentwicklung, so würde ich das
    nennen. Ja, das war eben eine linke,
  • 15:09 - 15:13
    politische Gruppe, wo dieser Streit
    entflammt ist. Die lief ganz gut, so ein
  • 15:13 - 15:16
    paar Jahre, kamen auch immer wieder neue
    Leute dazu. Die haben viele Aktionen
  • 15:16 - 15:20
    gestartet und so, das war recht
    erfolgreich. Aber dann kamen sie an so
  • 15:20 - 15:24
    einen Punkt, wo sich so ein Streit
    entsponnen hat. Und zwar ging es um diese
  • 15:24 - 15:29
    Frage: Wie geht es weiter? Und da waren
    ein paar Leute, auch eher so Typen Typen,
  • 15:29 - 15:32
    die gesagt haben: Hey, wir müssen jetzt
    noch eine Kundgebung machen und wir
  • 15:32 - 15:36
    sollten noch an dieser Kampagne teilnehmen
    und wir sollten jetzt noch einen Flyer
  • 15:36 - 15:41
    schreiben oder sowas in der Art. Also
    schon eher sozusagen angegeben haben, was
  • 15:41 - 15:46
    denn jetzt zu tun ist und was dann auch
    politisch gemacht werden muss. Ja weil das
  • 15:46 - 15:51
    lief ja vorher scheinbar ganz gut. Aber
    andere haben gesagt: Hey, das ist für uns
  • 15:51 - 15:56
    eine totale Kaderpolitik. Ihr gebt einfach
    vor, was gemacht werden muss, weil das
  • 15:56 - 16:01
    angeblich das richtige Politische ist. Und
    wir wollen aber eher uns persönlich auch
  • 16:01 - 16:05
    weiterentwickeln. Wir wollen halt auch
    eher schauen, wie sind wir selber z. B. in
  • 16:05 - 16:10
    Herrschaftsverhältnisse verstrickt? Was
    hat das mit uns zu tun? Wie verändern wir
  • 16:10 - 16:14
    vielleicht unsere Beziehungen? Und das ist
    für uns eigentlich das Politische und
  • 16:14 - 16:19
    übersteigt aber auch ganz stark diese enge
    politische Logik, die die Kaderleute
  • 16:19 - 16:23
    sozusagen vorgegeben haben. Auch da will
    ich jetzt gar nicht sagen, was jetzt
  • 16:23 - 16:27
    richtig oder falsch ist, weil ich
    tatsächlich beide Seiten ein bisschen
  • 16:27 - 16:31
    verstehen kann. Ich merke aber ok, auch
    dieser Streit scheint eben sehr typisch zu
  • 16:31 - 16:36
    sein. Hier kommen so 2 Sachen zusammen
    oder prallen auch aufeinander in diesem
  • 16:36 - 16:42
    Streit. Schließlich noch das gute alte
    Wahlproblem, da könnte man auch viel dazu
  • 16:42 - 16:47
    sagen. Aber vielleicht nur so viel, dass
    es in anarchistischen, also selbst in
  • 16:47 - 16:51
    anarchistisch inspirierten Kreisen, auch
    nach wie vor gar nicht so klar ist, dass
  • 16:51 - 16:55
    Wahlen nur abgelehnt wird. Da gibt es
    immer wieder Leute, auch im Anarcho-
  • 16:55 - 17:00
    Syndikalismus, die halt sagen: Ja, unter
    heutigen Bedingungen macht es natürlich
  • 17:00 - 17:04
    auch einen Unterschied, welche Parteien an
    der Macht sind. Aber das Entscheidende
  • 17:04 - 17:11
    ist, dass sich nicht eben aktiv an Wahlen
    beteiligt wird, also dass z. B. Leute in
  • 17:11 - 17:16
    anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften
    das nicht als ihre Aufgabe anzusehen, zu
  • 17:16 - 17:20
    Wahlen aufzurufen oder was Bestimmtes zu
    wählen. Sie überlassen es einfach ihren
  • 17:20 - 17:24
    eigenen Leuten, ihren Mitgliedern dann zu
    entscheiden, wie sie sich dazu
  • 17:24 - 17:30
    positionieren und sagen eben auch, dass
    sie das nicht als ihr Feld ansehen, dieses
  • 17:30 - 17:35
    politische Terrain, sondern ihre Kämpfe
    eben auf der ökonomischen Ebene führen
  • 17:35 - 17:39
    wollen. Und das es auch dadrum eigentlich
    gehen muss, wenn man was erreichen will.
  • 17:39 - 17:45
    Also auch hier Politik, der wird die
    Ökonomie gegenübergestellt und das
  • 17:45 - 17:49
    spiegelt sich in solchen Debatten über
    "macht es Sinn, sich an Wahlen zu
  • 17:49 - 17:53
    beteiligen?" wieder. Und schließlich
    schön, dass ihr so lange schon zugehört
  • 17:53 - 17:58
    habt bei diesem Teil, das letzte Beispiel:
    Wenn Satire ernst wird, ja, also
  • 17:58 - 18:04
    Satireparteien, die dann tatsächlich
    wieder ins Parlament, die dann mal ins
  • 18:04 - 18:09
    Parlament gewählt werden wie, Die PARTEI.
    Die machen ja viel Halligalli, ja wenn ihr
  • 18:09 - 18:14
    an Die PARTEI denkt so, und nehmen damit
    es ja auch sehr stark das Politische aufs
  • 18:14 - 18:19
    Korn. Da könnte man sagen: Ok, in dieser
    Form von Satire ist ein Moment von Anti-
  • 18:19 - 18:22
    Politik enthalten, weil sie zwar die
    politische Logik nehmen, aber sie
  • 18:22 - 18:28
    satirisch eben untermauern oder eben
    wenden. Was aber, wenn Leute aus
  • 18:28 - 18:32
    Satireparteien tatsächlich in Parlamente
    gewählt werden? Können sie das dann noch
  • 18:32 - 18:36
    aufrechterhalten? Können sie dann weiter
    nur Anti-Politik machen oder werden sie
  • 18:36 - 18:40
    tatsächlich dann trotzdem Teil der
    Politik? Und das ist auch mal hier
  • 18:40 - 18:45
    passiert in Leipzig tatsächlich, wo zwei
    Leute von der PARTEI ins Stadtparlament
  • 18:45 - 18:49
    gewählt worden sind, die dann genau vor
    diesen Fragen standen: Machen wir jetzt
  • 18:49 - 18:53
    Politik oder machen wir nicht Politik? Und
    was verstehen wir tatsächlich unter
  • 18:53 - 18:57
    Politik, wenn Satire ernst wird? So habe
    ich das genannt. Auch dadrin zeigt sich
  • 18:57 - 19:02
    eben so eine Spannung in der politischen
    Logik. Ihr seht es jetzt auch hier nochmal
  • 19:02 - 19:05
    in dem Schema. Das hatte ich auch schon
    mal gezeigt. Also wenn wir sagen, das ist
  • 19:05 - 19:10
    Politik, wir benennen, was Politik ist,
    dann gibt es etwas Anderes, so in der
  • 19:10 - 19:17
    Theorie, was eben dann entsteht, was wir
    dann ausschließen. Saul Newman, der eben
  • 19:17 - 19:21
    das ein bisschen entwickelt hat, sagt das
    eben Anti-Politik vor allem in der Utopie
  • 19:21 - 19:27
    und in der Ethik besteht. Und das sind
    beides zweifellos Momente oder Sphären,
  • 19:27 - 19:31
    die im Anarchismus sehr stark ausgeprägt
    sind. Ich habe das dann noch ergänzt und
  • 19:31 - 19:34
    würde sagen: Auf der politischen Seite
    können wir sagen, das Strategische und
  • 19:34 - 19:38
    auch das Programmatische, das sind eben
    sehr politische Sachen, die im Anarchismus
  • 19:38 - 19:44
    immer wieder in Frage gestellt werden. Der
    Theorie von Saul Newman nach entsteht eben
  • 19:44 - 19:49
    zwischen Beiden in so einem Paradoxon, das
    ist nicht aufgelöst, eine Politik der
  • 19:49 - 19:53
    Autonomie oder vielleicht sogar die
    autonome Politik. Ich finde, das ist eine
  • 19:53 - 19:58
    ganz gute Art zu verstehen oder zu
    begreifen, warum es offenbar so ein
  • 19:58 - 20:01
    Problem im Anarchismus mit dem
    Politikmachen geht, aber ich gehe weit
  • 20:01 - 20:06
    über dieses Schema und die Gedanken von
    Saul Newman hinaus. Im Gegensatz zu dem
  • 20:06 - 20:11
    sage ich nämlich: Anarchismus ist was
    Bestimmtes. Eine bestimmte, ist ein
  • 20:11 - 20:15
    bestimmter Flügel in emanzipatorischen,
    sozialen Bewegungen. Das sind bestimmte
  • 20:15 - 20:18
    Leute und Gruppen und nicht nur irgendwie
    so ein Gedanke oder was Philosophisches,
  • 20:18 - 20:24
    sondern da habe ich ganz konkrete Sachen
    vor Augen. Außerdem geht es mir auch nicht
  • 20:24 - 20:29
    so wie anderen Postanarchist:Innen, dass
    ich jetzt irgendwie die Vorstellung einer
  • 20:29 - 20:32
    anderen Gesellschaft ablehne. Im
    Gegenteil, ich würde sagen, eine andere
  • 20:32 - 20:36
    Gesellschaftsform ist möglich. Ich würde
    die Libertärer Sozialismus nennen. Der
  • 20:36 - 20:40
    wird natürlich immer wieder auch von
    Anarchie in Frage gestellt. Aber
  • 20:40 - 20:43
    prinzipiell erstmal so ranzugehen, zu
    sagen: Ja, wir wollen eine andere
  • 20:43 - 20:48
    Gesellschaftsform, eine qualitativ andere,
    die ein libertärer Sozialismus ist. Das
  • 20:48 - 20:52
    würde ich im Unterschied zur Newman z. B.
    machen. Diese Art, wie ich euch das jetzt
  • 20:52 - 20:56
    vorgestellt habe, ist auch eine Theorie,
    die nicht nur abstrakt ist, sondern die
  • 20:56 - 21:01
    auch auf Erfahrungswissen beruht und auch
    einen Bezug zu emanzipatorischen, sozialen
  • 21:01 - 21:05
    Bewegungen hat. Da beziehe ich eben meine
    Fragen her und da hoffe ich, dass eben
  • 21:05 - 21:09
    diese Art von Denken auch rein mündet,
    dass sie eben nicht nur akademisch
  • 21:09 - 21:14
    abgehoben ist, sondern tatsächlich Leuten
    auch was bringt und vielleicht aber ein
  • 21:14 - 21:17
    bisschen unterfütterter als die Eine oder
    Andere anarchistische Theorie, die es
  • 21:17 - 21:26
    schon gibt. Gut, das war's. Und damit gehe
    ich weiter mit euch. Was ist nun aber das
  • 21:26 - 21:31
    Unbehagen mit der Politik im radikalen
    Sozialismus? Wo ist da das Problem? Was
  • 21:31 - 21:35
    ist da das Unwohlsein dabei? Darum geht es
    jetzt in diesem Teil. Und der erste Punkt
  • 21:35 - 21:40
    ist, dass der Anarchismus gerade in dem
    Moment entsteht, wo die Frage aufkommt, ob
  • 21:40 - 21:43
    sich der Sozialismus als eine
    Graswurzelbewegung von unten jetzt
  • 21:43 - 21:48
    politisieren soll. Ob er eine politische
    Bewegung werden soll? Also in der Mitte
  • 21:48 - 21:53
    auch am Ende des 19. Jahrhunderts stand
    diese Frage bei der sozialen Bewegung,
  • 21:53 - 21:57
    eben sozialistischen Bewegungen, sind ja
    noch verschiedene, sollen wir jetzt eben
  • 21:57 - 22:00
    daran teilnehmen? Sollen wir Parteien
    gründen? Sollen wir auf den Staat
  • 22:00 - 22:04
    einwirken oder ihn auch politisch
    revolutionär übernehmen? Und
  • 22:04 - 22:09
    Anarchist:Innen richten sich dagegen,
    gegen Staatlichkeit als ein Prinzip der
  • 22:09 - 22:14
    Zentralisierung, der Hierarchisierung und
    des Autoritarismus und entstehen sozusagen
  • 22:14 - 22:18
    gerade in diesem Moment der Politisierung
    sozialistischer Bewegungen, wenden also
  • 22:18 - 22:23
    auch dieses politische Prinzip oder die
    politische Logik, die dahinter steht, ab.
  • 22:23 - 22:27
    Stattdessen wollen sie an ihren
    althergebrachten Organisationsprinzipien
  • 22:27 - 22:31
    festhalten, den Föderalismus, der
    Dezentralität und der Autonomie, eben
  • 22:31 - 22:35
    verschiedener miteinander vernetzter
    Basisgruppen. In dem ihren
  • 22:35 - 22:39
    Zusammenschluss, dem sozialistischen, der
    internationalen Arbeiterassoziation kommt
  • 22:39 - 22:45
    es dann zum Ausschluss der sogenannten
    Antiautoritären. 1872 gründen die dann
  • 22:45 - 22:49
    ihre eigene Organisation, die
    antiautoritäre Internationale. Und da
  • 22:49 - 22:55
    schließen sie den sogenannten Pakt von
    Saint-Imier, der sich diesen ja auch
  • 22:55 - 23:00
    wieder mal, die im nächsten Jahr auch
    wieder mal jährt. Und in diesem Pakt
  • 23:00 - 23:06
    machen die so eine Erklärung, da steht:
    Wir erklären, dass die Zerstörung jeder
  • 23:06 - 23:12
    politischen Macht die erste Pflicht des
    Proletariats ist. 2.: Dass jede
  • 23:12 - 23:15
    Organisation einer sogenannten
    provisorischen und revolutionären
  • 23:15 - 23:20
    politischen Macht, um diese Zerstörung
    herbeizuführen, nur ein Betrug mehr sein
  • 23:20 - 23:24
    kann und für das Proletariat ebenso
    gefährlich wäre, als alle heute
  • 23:24 - 23:30
    bestehenden Regierungen. 3.: Dass nach der
    Verwerfung jedes Kompromisses zur
  • 23:30 - 23:35
    Durchführung der sozialen Revolution die
    Proletarier aller Länder außerhalb jeder
  • 23:35 - 23:41
    Bourgeoisiepolitik die Solidarität der
    revolutionären Aktion einrichten müssen.
  • 23:41 - 23:46
    Also hier haben wir es sozusagen schwarz
    auf weiß. In diesem Gründungsdokument eben
  • 23:46 - 23:51
    anarchistischer Bewegung steht es ganz
    klar: Wir lehnen die politische Logik ab,
  • 23:51 - 23:55
    und zwar nicht nur den Staat, sondern auch
    in dem weiteren Sinne das, was dahinter
  • 23:55 - 23:59
    vermutet wird. Es geht hier ganz klar um
    die Zerstörung der politischen Macht. Also
  • 23:59 - 24:03
    wie gesagt, hier haben wir es, ganz klar.
    Natürlich kann es jetzt nicht sein, dass
  • 24:03 - 24:07
    ich sage: Ok, das waren so die echten,
    ursprünglichen truen Anarchisten oder so,
  • 24:07 - 24:11
    die das gesagt haben. Jetzt ist Politik
    scheiße. Die haben dann natürlich was
  • 24:11 - 24:14
    Bestimmtes dadrunter verstanden. Wir
    können es nicht einfach so aufs Heute
  • 24:14 - 24:19
    übertragen, dass wäre ahistorisch. Aber es
    ist erstmal interessant, dass es da eben
  • 24:19 - 24:23
    offenbar diese ganz klare Absage als
    Gründungsdokument des Anarchismus gibt.
  • 24:23 - 24:27
    Und diese Erfahrung in anarchistischer
    Bewegung wiederholt sich dann auch noch
  • 24:27 - 24:31
    mal, also auch bei der Zweiten
    Internationale der Sozialistischen, die
  • 24:31 - 24:35
    danach gegründet wurde. Auch da wurden
    Anarchist:Innen wieder ausgeschlossen und
  • 24:35 - 24:39
    haben dadraufhin anarcho-syndikalistische
    Gewerkschaften z. B. gegründet. Aufgrund
  • 24:39 - 24:43
    dieser Ausschlusserfahrung ihrer eigenen
    Organisation, in der sie eben nicht der
  • 24:43 - 24:49
    politischen Logik folgen. Und auch nochmal
    z. B. als es so eine rote
  • 24:49 - 24:53
    Gewerkschaftsinternationale gab in Moskau,
    wo eben dann schon nach der russischen
  • 24:53 - 24:58
    Revolution das ganze auf den russischen
    Staat hin zugeschnitten war, oder die
  • 24:58 - 25:03
    UdSSR, die halt dann versucht haben die
    Gewerkschaften politisch zu dominieren.
  • 25:03 - 25:07
    Auch da gab es dann nochmal 1922 so eine
    Abkehr, wo gesagt haben, oder wo
  • 25:07 - 25:10
    Anarchist:Innen gesagt haben: Wir haben,
    nein, wir wollen eben nicht unter dieser
  • 25:10 - 25:15
    politischen Logik kommunistischer Parteien
    subsumiert werden. Das ist erstmal
  • 25:15 - 25:19
    interessant, dass eben wie gesagt der
    Anarchismus in dem Moment entsteht, wo es
  • 25:19 - 25:23
    eine Kritik und eine Abwendung tatsächlich
    vom politischen Prinzip gibt. Und damit
  • 25:23 - 25:28
    gehen wir noch ein bisschen weiter. Das
    eine waren die historischen Erfahrungen.
  • 25:28 - 25:31
    Ein weiteres Problem, was Anarchist:Innen
    mit der Politik haben, ist die
  • 25:31 - 25:36
    Verstaatlichung von Politik. Also das
    sehen wir in ganz vielen verschiedenen
  • 25:36 - 25:41
    sozialen Bewegungen, wo ja immer wieder
    die Frage aufkommt: Welcher Bezug ist zum
  • 25:41 - 25:45
    Staat? Sind wir eben außerhalb? Sind wir
    außerparlamentarisch? Sind wir
  • 25:45 - 25:49
    Vorhutorganisation für eine bestimmte
    Partei? Oder doch was ganz
  • 25:49 - 25:52
    selbstorganisiertes außerhalb? Diese
    Fragen stellen sich auch heute immer
  • 25:52 - 25:57
    wieder in sozialen Bewegungen. Natürlich
    gibt es Politik auch außerhalb des
  • 25:57 - 26:01
    Staates. Wenn wir uns versammeln,
    Demonstrationen, Platzbesetzungen, auch in
  • 26:01 - 26:06
    Gruppen usw. Da findet Politik außerhalb
    des Staates durchaus statt. Aber das
  • 26:06 - 26:11
    Problem ist eben, dass Politik dem Staat
    zugeordnet und auch von diesem vereinnahmt
  • 26:11 - 26:17
    wird. Und das sehen wir an allen möglichen
    Bewegungen, z. B. ganz stark auch am CSD,
  • 26:17 - 26:22
    der eben über die ganzen letzten Jahre
    immer stärker tatsächlich sich halt auch
  • 26:22 - 26:26
    so ein ja neoliberales Establishment
    sozusagen bezogen hat oder auch von diesem
  • 26:26 - 26:30
    vereinnahmt wurde. Es gibt natürlich
    verschiedene politische strategische
  • 26:30 - 26:34
    Ansätze. Man kann da verschiedene
    Meinungen dazu haben, aber ich finde, dass
  • 26:34 - 26:38
    man da ganz gut dadran sieht und deswegen
    Anarchist:Innen auch ein Problem damit
  • 26:38 - 26:41
    haben. Natürlich nicht mit dem Thema, was
    damit verbunden ist, aber mit der Form,
  • 26:41 - 26:45
    die so eine Art von Bewegung annimmt. Also
    organisieren sie dann wieder
  • 26:45 - 26:52
    selbstständige Sachen, die Queere und
    LGBTI Thematiken nochmal außerhalb dessen
  • 26:52 - 26:57
    eben thematisieren. Wie gesagt,
    Anarchismus richtet sich gegen
  • 26:57 - 27:01
    Staatlichkeit als ein hierarchisches,
    zentralisierendes, als ein autoritäres
  • 27:01 - 27:06
    Prinzip. Und dagegen werden aber andere
    Konzepte ins Feld geführt, wird gesagt: Es
  • 27:06 - 27:13
    gibt doch ganz viele gelebte Ansätze der
    Selbstorganisation. Das ist wie gesagt ein
  • 27:13 - 27:18
    wechselseitiger Prozess, auch in
    politischen Gruppen. Das finde ich auch
  • 27:18 - 27:22
    irritierend. Leute sagen z. B. in der
    radikalen Linken: Wir lehnen die Politik
  • 27:22 - 27:26
    des Staates ab, aber wir treffen uns jeden
    Dienstag in unserer politischen Gruppe.
  • 27:26 - 27:30
    Das zeigt schon auch, dass da so ein
    gewisser Widerspruch oder so ein gewisses
  • 27:30 - 27:35
    Spannungsfeld ist. Denn eben die Politik
    des Staates scheint da ja eine ganz andere
  • 27:35 - 27:39
    zu sein als die, die in der Gruppe
    stattfindet. Und beides wird trotzdem als
  • 27:39 - 27:43
    politisch irgendwie bezeichnet. In
    gewisser Weise, also die Frage ist: Welche
  • 27:43 - 27:49
    Politik in diesem, in dieser Aussage, wir
    sind in einer außerparlamentarischen oder
  • 27:49 - 27:53
    wie auch immer politischen Gruppe steckt
    schon aber auch die Zuordnung in gewisser
  • 27:53 - 27:58
    Weise zur politischen Logik des Staates
    hin. Und das ist eben das Problem mit der
  • 27:58 - 28:02
    Politik, dass sie verstaatlicht wird. Wie
    gesagt, wie sich soziale Bewegungen
  • 28:02 - 28:06
    entwickeln, ist immer eine offene Frage.
    Gibt es da Auseinandersetzungen zu führen?
  • 28:06 - 28:11
    Da gibt es auch nicht den an sich
    richtigen Weg. Aber es ist natürlich klar,
  • 28:11 - 28:16
    dass Anarchist:Innen dafür eintreten, eben
    was Eigenes, was Selbstorganisiert zu
  • 28:16 - 28:20
    machen und das ist auch die Kritik, die
    Infragestellung von Politik. Ein drittes
  • 28:20 - 28:25
    Element dieses Unbehagens des radikalen
    Sozialismus mit der Politik ist die
  • 28:25 - 28:30
    sogenannte Politikverdrossenheit. Die
    Politikverdrossenheit ist ja vor allem
  • 28:30 - 28:33
    eine Erfindung von
    Politikwissenschaftler:Innen ja. Also z.
  • 28:33 - 28:38
    B. gibt es irgendeine Wahl und so und so
    viele Leute haben nicht gewählt und dann
  • 28:38 - 28:42
    fragt irgendein Journalist halt so einen
    Politikwissenschaftler: "Hey, was ist da
  • 28:42 - 28:45
    los? Haben wir noch Demokratie? Warum
    wählen die nicht?" Und der
  • 28:45 - 28:49
    Politikwissenschaftler erklärt es dann,
    sagt: "Das ist Politikverdrossenheit." Und
  • 28:49 - 28:52
    dann alle so: "Aha, ok,
    Politikverdrossenheit. Was ist denn jetzt
  • 28:52 - 28:56
    los?" Und dann sagt er: "Ok, die Leute
    fühlen sich nicht so verstanden und sich
  • 28:56 - 29:00
    verarscht, die verstehen die Politik nicht
    und irgendwie sind die einst verdrossen.
  • 29:00 - 29:03
    Man muss denen das besser erklären. Man
    muss ihnen das ein bisschen schmackhafter
  • 29:03 - 29:07
    machen mit der Politik, dann werden die
    das schon verstehen." So, der Punkt ist
  • 29:07 - 29:12
    halt nicht der Anarchismus als solches,
    die Politikverdrossenheit, sondern das
  • 29:12 - 29:18
    sind Widersprüche liberal demokratischer
    Republiken, die halt immer versuchen, das
  • 29:18 - 29:23
    Politische als eine relativ autonome
    Sphäre zu haben. Sie kann eben nicht ganz
  • 29:23 - 29:25
    staatlich sein, sie kann aber auch nicht
    ganz in der Gesellschaft sein, sie ist
  • 29:25 - 29:32
    irgendwie dazwischen. Gleichzeitig gibt es
    Technokratie, auch heute ganz viel, die
  • 29:32 - 29:39
    halt das Politische unterläuft,
    unterminiert. So ähnlich auch wie das
  • 29:39 - 29:44
    Marktprinzip, einfach der Kapitalismus
    demokratische Politik unterminiert und
  • 29:44 - 29:47
    demokratische Politik natürlich auch von
    anderen Projekten wie faschistischen
  • 29:47 - 29:54
    angefochten wird. Also es geht eine
    Erosion und eine Öffnung des Politischen,
  • 29:54 - 29:57
    wie so ein bisschen wie so ein Schwamm in
    der liberalen Demokratie immer wieder
  • 29:57 - 30:02
    hervor und das sind Widersprüche, die wie
    gesagt, in liberalen Demokratien selber
  • 30:02 - 30:06
    entstehen und zu so einer Frustration
    einfach führen, die dann als
  • 30:06 - 30:11
    Politikverdrossenheit oder sowas
    bezeichnet wird. Die bringen, wie gesagt,
  • 30:11 - 30:15
    Anarchist:Innen nicht hervor, aber sie
    docken da an, indem sie die Widersprüche
  • 30:15 - 30:19
    aufzeigen, die in der Gesellschaft
    entstehen, in der politischen Logik, in
  • 30:19 - 30:26
    der wir uns heute befinden. Und ein
    letzter Punkt wäre ein Argument von
  • 30:26 - 30:31
    Anarchist:Innen, warum es sich lohnt,
    kritisch zu sein oder so ein Unbehagen
  • 30:31 - 30:35
    auch mit der Politik zu haben, ist, dass
    gesagt wird: Es gibt doch so viel Anderes,
  • 30:35 - 30:39
    außer Politik, was wir machen können. Und
    wenn ihr mal drüber nachdenkt, je nachdem
  • 30:39 - 30:43
    wo ihr unterwegs seid, gibt es da auch
    viele Beispiele aus irgendwie so einer
  • 30:43 - 30:49
    selbstorganisierten alternativen, mehr
    oder weniger radikalen Linken. Also z. B.
  • 30:49 - 30:53
    die direkte Unterstützung von Geflüchteten
    ist vielleicht nicht unbedingt ein
  • 30:53 - 30:58
    politischer Akt, sondern hilft halt
    tatsächlich direkt bestimmten Leuten, die
  • 30:58 - 31:03
    halt ja ihre Länder verlassen mussten und
    halt Hilfe brauchen. Oder eben so dieses
  • 31:03 - 31:08
    klassische Modell von autonomen Zentren,
    die eben wo versucht wird, was anders, was
  • 31:08 - 31:12
    selbstverwaltet zu machen. Auch
    selbstverständlich diese ganze Schiene der
  • 31:12 - 31:17
    Kultur oder der Subkultur. Wenn ihr an
    Punkrock denkt, wenn ihr an Veganismus
  • 31:17 - 31:22
    denkt oder an Hardcoreszenen und solche
    Geschichten, wo über diese kulturelle
  • 31:22 - 31:27
    Schiene tatsächlich ganz viel Veränderung
    möglich wurde. Natürlich wurde das auch
  • 31:27 - 31:32
    kapitalistisch wieder vereinnahmt, aber
    dadurch ist gesellschaftliche Veränderung
  • 31:32 - 31:37
    entstanden, die oft auch so gestartet ist,
    dass Leute, die eben z. B. sehr radikale
  • 31:37 - 31:41
    oder auch anarchistische Ansichten hatten,
    was Anderes machen wollten. Und das in so
  • 31:41 - 31:45
    einem scheinbar kulturellen Bereich, der
    deswegen auch der Politik etwas
  • 31:45 - 31:49
    entgegengesetzt wird. Und natürlich
    verschiedene Formen von
  • 31:49 - 31:53
    Selbstorganisatiosprozessen. Wenn sich
    Menschen in der Nachbarschaft helfen oder
  • 31:53 - 31:57
    sowas in der Art ist es dann schon
    Politik, wenn die das in der organisierten
  • 31:57 - 32:01
    Form machen? Ab wann ist es denn Politik?
    Oder ist es notwendigerweise Politik,
  • 32:01 - 32:06
    sondern Nachbarschafts, gegenseitige
    Hilfe, Geschichte oder sowas? Vielleicht
  • 32:06 - 32:12
    ist es eben auch was Anderes. Also,
    Anarchist:Innen haben ein Unbehagen mit
  • 32:12 - 32:18
    Politik und Politik erscheint eben ganz
    oft als langweilig, irgendwie auch so als
  • 32:18 - 32:24
    komisch, als suspekt in gewisser Weise.
    Sie dauert lang, sie ist langwierig, sie
  • 32:24 - 32:29
    hemmt auch die Initiative von einzelnen
    Leuten ja. Sie hat halt so einen
  • 32:29 - 32:34
    bürokratischen Touch und ist ganz oft auch
    hierarchisch. Und so vor allem ist sie
  • 32:34 - 32:37
    auch nicht authentisch. Sie scheint die
    Einzelnen zu übergehen und irgendwie nicht
  • 32:37 - 32:42
    so viel mit ihnen zu tun zu haben. Ob man
    es sich immer so einfach machen kann und
  • 32:42 - 32:47
    dann zu sagen: Ok, scheiß auf Politik, das
    ist eine andere Frage, weil ich
  • 32:47 - 32:52
    gleichzeitig sagen würde: Nein,
    Anarchismus ist eben nicht apolitisch oder
  • 32:52 - 32:58
    unpolitisch, er ist vielmehr anti-
    politisch. In dem die politische Logik in
  • 32:58 - 33:03
    Frage gestellt wird, trotz all dem
    Unbehagen, gibt es trotzdem einen Bezug
  • 33:03 - 33:07
    auf die Politik und wird sie auch
    praktiziert. Aber davon hören wir dann
  • 33:07 - 33:31
    gleich einfach noch was. Ok, jetzt kommen
    wir zu dem etwas langwierigeren,
  • 33:31 - 33:35
    langweiligeren Teil meiner Arbeit, dass
    ihr auch wissen, woher ich das beziehe.
  • 33:35 - 33:40
    Also das ist ganz viel die Arbeit eben mit
    Quellentexten des Anarchismus. Und da gibt
  • 33:40 - 33:44
    es eben so ganz bestimmte anti-politische
    Aussagen in diesen Quellentexten. Ich
  • 33:44 - 33:47
    stelle euch ein Paar vor, dass ihr einen
    Eindruck habt, woher beziehe ich denn das
  • 33:47 - 33:53
    jetzt, was ich sage? Z. B.: "Was man
    Politik nennt, das ist vergleichsweise
  • 33:53 - 33:57
    etwas so Oberflächliches und
    Unmenschliches, dass ich praktisch niemals
  • 33:57 - 34:01
    bemerkt habe, dass sie mich überhaupt
    angeht", schreibt Henry David Thoreau.
  • 34:01 - 34:06
    Oder Pierre-Joseph Proudhon: "Insofern
    Politik auf einem ideologischen Konstrukt
  • 34:06 - 34:12
    liegt, kann sie nicht einfach mit diesem
    aufhören oder über es hinausgehen. Logik
  • 34:12 - 34:16
    und Naivität liegen im Wesen von Politik:
    und das ist genau, wo ihre Falle liegt."
  • 34:16 - 34:24
    Oder: "Man darf sich keine Hirten geben,
    wenn man nicht Herde, keine Regierenden,
  • 34:24 - 34:29
    wenn man nicht Sklave sein will. Weg mit
    der Regierung und diesen verderblichen
  • 34:29 - 34:33
    Ambitionen. Weg mit diesen politischen
    Taschenspielern, die mit den 3 Worten der
  • 34:33 - 34:38
    republikanischen Devise Freiheit,
    Gleichheit, Brüderlichkeit jonglieren wie
  • 34:38 - 34:45
    mit drei Kugeln, um sie dann verschwinden
    zu lassen", schreibt Joseph Déjacque. Oder
  • 34:45 - 34:52
    Johann Most in der Debatte über den
    sozialistischen Volksstaat: "Wurden diese
  • 34:52 - 34:56
    sozialistischen Debatten nicht eher
    besser, bis auch in dieser Beziehung
  • 34:56 - 35:01
    anarchistische Gedanken in die Debatten
    reindrangen. Von da ab wurde gezeigt, dass
  • 35:01 - 35:05
    man nicht eine schlaue, eine
    Opportunitäts-, Zukunfts- oder wenn es
  • 35:05 - 35:10
    hochkam, revolutionäre Politik zu treiben
    habe, sondern dass man mit der ganzen
  • 35:10 - 35:16
    Politik aufräumen müsse." Und Émile Pouget
    schreibt: "Es ist unmöglich, zwischen dem
  • 35:16 - 35:21
    Kampf der Gewerkschaften und der Teilnahme
    am traurigen Geschäft der Politik eine
  • 35:21 - 35:27
    Parallele zu ziehen, geschweige denn,
    beide zu verwechseln." Und um jetzt nicht
  • 35:27 - 35:31
    diesen Typen so das Schlusswort zu lassen,
    noch was von Emma Goldman in Bezug auf die
  • 35:31 - 35:36
    Frage der des Wahlrechts für Frauen
    schreibt sie: "Ich glaube nicht, dass die
  • 35:36 - 35:39
    Frau die Politik schlechter machen wird;
    aber ich kann auch nicht glauben, dass sie
  • 35:39 - 35:45
    sie verbessern kann. Warum also auf einer
    solchen Gesetzgebung bestehen, wenn die
  • 35:45 - 35:49
    Frau die Fehler des Mannes ohnehin nicht
    korrigieren kann? Die Geschichte der
  • 35:49 - 35:53
    Bemühungen des Menschen in der Politik
    zeigt, dass ihm diese überhaupt nichts
  • 35:53 - 35:58
    gebracht haben, was er nicht auch auf
    direkterem Wege, zu einem geringeren Preis
  • 35:58 - 36:03
    und längerfristig hätte erreichen können."
    Ja jetzt seht ihr genau, das sind so ein
  • 36:03 - 36:08
    paar Zitate einfach, die zeigen, ok, da
    gibt es so diese anti-politischen Aussagen
  • 36:08 - 36:12
    im Anarchismus, auch das sind jetzt
    historische Quellentexte, dass können wir
  • 36:12 - 36:16
    nicht einfach 1 zu 1 auf heute übertragen,
    weil sich so ein Verständnis von so einem
  • 36:16 - 36:19
    Begriff natürlich verändert. Es ist
    sowieso interessant, sich mit so einem
  • 36:19 - 36:22
    großen Begriff wie Politik zu
    beschäftigen, weil wir sehen, es geht gar
  • 36:22 - 36:27
    nicht nur um das Wort, sondern um die
    Vorstellungen, die wir damit verbinden.
  • 36:27 - 36:31
    Also um eigentlich um das, was dahinter
    steht. Die Übertragung von dem Text, der
  • 36:31 - 36:35
    jetzt mehr als 100 Jahre alt ist, ins
    Heute, geht so nicht. Und trotzdem finde
  • 36:35 - 36:39
    ich es erstmal interessant und auch
    faszinierend, dass da so eine ganz klare
  • 36:39 - 36:43
    Absage an die Politik ist. Also nicht die
    Frage nach: lasst uns eine andere oder
  • 36:43 - 36:47
    eine bessere oder mehr Politik machen.
    Lasst uns vielleicht eine direktere oder
  • 36:47 - 36:52
    mehr Demokratie schaffen, sondern eine
    ganz klare Absage an das Politikmachen an
  • 36:52 - 36:56
    sich, was auch über, wie gesagt, die
    Politik des Staates hinausgeht, sondern
  • 36:56 - 37:01
    die politische Logik betrifft. Und das ist
    eben spannend in sich damit zu
  • 37:01 - 37:06
    beschäftigen und zeigt, dass das offenbar
    so ein Element des Anarchismus ist, dass
  • 37:06 - 37:18
    es dieses Unbehagen mit der Politik gibt.
    Es gibt also, wie ich gezeigt habe, einige
  • 37:18 - 37:22
    anarchistische Probleme mit dem
    Politikmachen und es führt dann
  • 37:22 - 37:27
    logischerweise zu der Frage: What the fuck
    ist denn Politik überhaupt? Wie bei vielen
  • 37:27 - 37:31
    solchen großen Begriffen Freiheit,
    Gerechtigkeit, Frieden haben natürlich
  • 37:31 - 37:36
    alle Leute irgendwelche Assoziationen und
    irgendwelche Gefühle auch dazu. Es ist
  • 37:36 - 37:39
    eben bei diesen Containerbegriffen so der
    Fall, dass wir da alles mögliche
  • 37:39 - 37:44
    reinpacken können und auch ein bisschen
    das Problem gleichzeitig dadran, weil wir
  • 37:44 - 37:49
    so tun, als wäre das sowieso klar und das
    ist es aber ganz oft nicht. Deswegen ist
  • 37:49 - 37:52
    diese Arbeit, was ich hier mache, mich mit
    diesem Begriff zu beschäftigen, aus
  • 37:52 - 37:56
    anarchistischer Perspektive in dem Fall
    auch besonders interessant, weil es dadrum
  • 37:56 - 38:00
    geht, sich diese Begriffe anzueignen und
    sie mit eigenen Inhalt zu füllen, um
  • 38:00 - 38:04
    Antworten zu finden, wie wir in der
    Gesellschaft, in der wir leben, handeln
  • 38:04 - 38:07
    können und auch anders handeln können, wie
    wir sie auch grundsätzlich verändern
  • 38:07 - 38:13
    können. Über Begriffe zu streiten lohnt
    sich deswegen nur teilweise, weil Leute
  • 38:13 - 38:17
    verwenden eben unterschiedliche Begriffe,
    dadrüber können wir uns aber dann
  • 38:17 - 38:23
    verständigen und da wird es interessant,
    ok, was liegt denn dahinter? Also z. B.
  • 38:23 - 38:27
    gibt es Leute, die sagen, das was der
    Staat macht, ist ja gar keine Politik. Das
  • 38:27 - 38:31
    ist eigentlich nur die Verwaltung von
    Menschen. Das eigentlich Politische, das
  • 38:31 - 38:35
    ist, wenn wir uns auf der Straße
    versammeln, wenn Menschen anfangen, direkt
  • 38:35 - 38:39
    ihre Angelegenheiten selber zu klären.
    Also so einen radikaldemokratischer oder
  • 38:39 - 38:44
    direktdemokratischer Politikbegriff. Ich
    verwende hier aber einen anderen
  • 38:44 - 38:48
    Politikbegriff, in dem es eben nicht darum
    geht, mehr oder echte oder eigentliche
  • 38:48 - 38:54
    oder endlich mal wieder Politik zu machen,
    sondern die in Frage zu stellen und da zu
  • 38:54 - 39:00
    anderen Schlussfolgerungen zu kommen. Also
    es ist ein bestimmter Politikbegriff und
  • 39:00 - 39:04
    d. h. nicht, dass der jetzt an sich
    richtiger ist als andere, sondern dass er
  • 39:04 - 39:09
    einfach die Debatte von einer bestimmten
    Seite aufrollt. Und da würde ich ganz klar
  • 39:09 - 39:15
    sagen: Ja, Politik ist die Verhandlung von
    verschiedenen Themen, von verschiedenen
  • 39:15 - 39:20
    Interessen, aber die Beteiligten, die
    Akteur:Innen haben dazu ganz dabei ganz
  • 39:20 - 39:25
    unterschiedliche politische
    Machtressourcen. Also keine
  • 39:25 - 39:28
    gleichberechtigte Verhandlung an einem
    Tisch, sondern immer auch einen
  • 39:28 - 39:33
    ausstechen, immer auch eine Konkurrenz,
    die damit verbunden wird. Und die
  • 39:33 - 39:38
    Entscheidungen, die dann politisch
    getroffen werden, die können auch Konsens
  • 39:38 - 39:42
    und Kompromisse beinhalten, aber kommen
    eben nicht auf eine gleichberechtigte
  • 39:42 - 39:48
    Weise zustande. Sie sind eben
    durchgesetzte Hierarchien und Zwang werden
  • 39:48 - 39:52
    sie durchgesetzt und anderen teilweise
    aufgedrückt, die möglicherweise auch
  • 39:52 - 39:57
    überhaupt gar nicht an den
    Aushandlungsprozessen beteiligt sind. Also
  • 39:57 - 40:02
    wir könnten deswegen sagen: Politik dient
    auch dazu, die Rahmenbedingungen einer
  • 40:02 - 40:06
    antagonistisch geteilten Gesellschaft
    aufrechtzuerhalten. D. h., dass wir eine
  • 40:06 - 40:10
    Gesellschaft der Ungleichheit leben, der
    Klassengesellschaft, des Patriarchats und
  • 40:10 - 40:16
    auch z. B. der staatlichen Logik. Und
    Politik erhält es aufrecht, macht dann
  • 40:16 - 40:19
    auch Kompromisse, auch teilweise
    ausgeschlossenen oder weniger
  • 40:19 - 40:23
    privilegierten Leuten gegenüber. Aber wenn
    wir etwas ganz anderes wollen, eine
  • 40:23 - 40:26
    andere, libertär sozialistische
    Gesellschaft, geht es dadrum, auch den
  • 40:26 - 40:31
    Modus in Frage zu stellen, was Politik
    eben beinhaltet. Das Interessante am
  • 40:31 - 40:35
    Anarchismus ist, dass diese Frage erst
    aufgemacht wird. Was ist denn dann aber
  • 40:35 - 40:40
    eine Form, wie sich Menschen organisieren
    können in anderen Zusammenhängen. Also
  • 40:40 - 40:44
    ihre Angelegenheiten miteinander klären?
    Und da gibt es z. B. das Konzept der
  • 40:44 - 40:48
    Föderation, dezentraler autonomer
    Kommunen, wo sich Menschen
  • 40:48 - 40:52
    zusammenschließen und auch ihre
    Angelegenheiten klären, aber eben auf eine
  • 40:52 - 40:57
    andere Weise, als es heute politisch ist.
    Die Frage "wann wird es dann wieder einen
  • 40:57 - 41:01
    Herrschaftsverhältnis und wie genau
    geschieht das?" ist sehr wichtig. Und da
  • 41:01 - 41:05
    gilt es auch, weitere Erfahrungen zu
    sammeln und die auszuarbeiten. Interessant
  • 41:05 - 41:09
    an der Stelle ist aber eben vor allem,
    dass sie erst aufgemacht wird durch eine
  • 41:09 - 41:15
    Kritik dessen, was herkömmliche Politik
    beinhaltet. Politik wird vom Staat
  • 41:15 - 41:19
    vereinnahmt und auch diesem zugeordnet.
    Darüber habe ich schon gesprochen. Wir
  • 41:19 - 41:22
    haben es also mit einem politischen
    Herrschaftsverhältnis zu tun. Das
  • 41:22 - 41:26
    abzubauen und aufzuheben bedeutet, die
    Bedingungen der Gesellschaft, in der wir
  • 41:26 - 41:31
    leben, sehr grundsätzlich zu verändern.
    Wenn wir nochmal weitergehen und sagen:
  • 41:31 - 41:36
    Das ist eben Staatlichkeit, nicht nur als
    die Institution Staat, sondern als
  • 41:36 - 41:40
    hierarchisierendes, zentralisierendes,
    autoritäres Prinzip, dann geht das mit der
  • 41:40 - 41:44
    Politik auch dadrum, dass dieses
    staatliche Prinzip in andere
  • 41:44 - 41:49
    gesellschaftliche Bereiche übersetzt wird,
    verallgemeinert wird. Entgegen eben
  • 41:49 - 41:53
    Ansätzen der Selbstorganisation und
    Selbstverwaltung von Menschen oder auch
  • 41:53 - 41:58
    der Selbstbestimmung. Also ich verwende
    hier einen ganz bestimmten Politikbegriff,
  • 41:58 - 42:06
    den kann man eng governemental nennen.
    Also d. h. auf das Regieren bezogen, der
  • 42:06 - 42:12
    ist negativ-normativ. Das bedeutet, es
    wird in Frage gestellt, ob Politik
  • 42:12 - 42:17
    tatsächlich die gute Ordnung stiftet oder
    ob wir die gute Ordnung nicht ganz anders
  • 42:17 - 42:21
    schaffen können. Er ist
    konfliktorientiert, da geht es um Kämpfe,
  • 42:21 - 42:27
    er ist historisierend, also Politik ist
    eben nicht immer das Gleiche, sondern als
  • 42:27 - 42:31
    Ausdruck in einer bestimmten Form von
    Gesellschaft müssen wir mitdenken, wie
  • 42:31 - 42:36
    entwickelt sich das weiter? Und er ist
    ultra-realistisch habe ich das genannt.
  • 42:36 - 42:39
    Also er geht davon aus, dass es um
    Machtkämpfe gibt, dass wir diese
  • 42:39 - 42:44
    Machtkämpfe anerkennen müssen, dass es
    eben ein Teil des Wesens von Politik ist.
  • 42:44 - 42:50
    Aber dadurch, dass dieser Realismus, der
    da drinsteckt, dieser Konkurrenzkampf und
  • 42:50 - 42:54
    dieses Ausstechen ganz ernst genommen und
    auch überspitzt wird, ist er eben ultra-
  • 42:54 - 42:59
    realistisch. Und wer, wie gesagt, einen
    anderen Politikbegriff verwendet, das ist
  • 42:59 - 43:05
    auch völlig in Ordnung, aber eben dieser
    bestimmte Politikbegriff dient dazu, eine
  • 43:05 - 43:10
    andere Perspektive auf das Politikmachen
    zu gewinnen, mit diesen Sachen, die ich
  • 43:10 - 43:15
    bis jetzt schon gesagt habe. Es gibt also
    diese Kritik und diese Ablehnung von
  • 43:15 - 43:18
    Politik. Ich habe gesagt so Antipolitik
    ist so der Arbeitsbegriff, um zu
  • 43:18 - 43:23
    symbolisieren, dass es so eine Suche nach
    etwas anderem gibt in eben eine
  • 43:23 - 43:26
    Gesellschaft, die durch politische
    Herrschaft strukturiert ist, was so ein
  • 43:26 - 43:30
    bisschen kompliziert ist. Wie kommen wir
    da raus? Was sind so anti-politische
  • 43:30 - 43:34
    Bezugspunkte? Also wo kann es hingehen?
    Und auch das habe ich eben aus
  • 43:34 - 43:36
    anarchistischen Quellentexten
    rekonstruiert, ihr seht es hier ein
  • 43:36 - 43:40
    bisschen auf diesem Schema. Wenn wir sagen
    ok, da gibt es so diese verstaatlichte
  • 43:40 - 43:44
    Politik in der Mitte, geht es eben davon
    weg. Es gibt andere gesellschaftliche
  • 43:44 - 43:49
    Sphären und Bereiche, andere
    Möglichkeiten, Formen, wie wir handeln
  • 43:49 - 43:53
    können. Es sind z. B. eben die Utopie, die
    Ethik und die Kultur, dazu habe ich vorhin
  • 43:53 - 43:59
    ja schon was gesagt. Es sind im
    Anarchismus aber eben auch die Sphären des
  • 43:59 - 44:04
    Individuums, des Sozialen, der
    Gesellschaft, der Ökonomie und der
  • 44:04 - 44:10
    Gemeinschaft. Also alles Versuche,
    wegzustreben von dem Politischen. Die
  • 44:10 - 44:15
    Selbstbestimmung z. B. der Individuen wird
    dem entgegengesetzt, wie Einzelne in der
  • 44:15 - 44:18
    Politik eben sich einordnen sollen. Und
    das Soziale? Da geht es um eine
  • 44:18 - 44:22
    Selbstorganisation, z. B. der
    Nachbarschaft, die was Anderes sein soll
  • 44:22 - 44:26
    als die politische Verwaltung. Ähnlich
    auch, wenn wir von der Gesellschaft
  • 44:26 - 44:31
    ausgehen, die natürlich ein bisschen
    verkürzt nur dem Staat gegenübergesetzt
  • 44:31 - 44:34
    wird. Es ist tatsächlich deutlich
    komplizierter, aber im Anarchismus
  • 44:34 - 44:38
    trotzdem eben so die Vorstellung, es gibt
    eine, kann eine gesellschaftliche
  • 44:38 - 44:43
    Selbstorganisation geben, die über den
    Staat hinausgeht. Die Ökonomie wird eben
  • 44:43 - 44:47
    der Politik entgegengesetzt, in dem gesagt
    wird: Ok, Ökonomie, strukturiert eben vor
  • 44:47 - 44:53
    allem Herrschaft auch. Und wir müssen dort
    ran, um wirkliche Unterschiede machen zu
  • 44:53 - 44:57
    können. Einerseits eben durch parallele
    sozialistische Formen, Kollektivbetriebe
  • 44:57 - 45:01
    usw., andererseits eben durch ökonomische
    Kämpfe, die da geführt werden. Und die
  • 45:01 - 45:06
    Gemeinschaft, das sind eben ganz viel
    Kommuneprojekte, Alternativprojekte, die
  • 45:06 - 45:11
    eben auch versuchen, was Anderes zu
    realisieren. Da könnten wir jetzt sagen
  • 45:11 - 45:16
    ok, Anarchisten versuchen da offenbar
    etwas anderes, es strebt zumindest raus
  • 45:16 - 45:22
    aus dieser politischen Logik, so wie ich
    sie vorhin definiert habe. Wozu kommt dann
  • 45:22 - 45:26
    aber Politik eigentlich wieder rein? Denn
    das ist ja offensichtlich auch der Fall,
  • 45:26 - 45:31
    dass Anarchist:Innen bisweilen Politik
    machen. Warum ist das der Fall? Und da
  • 45:31 - 45:36
    geht es eben vor allem dadrum, dass
    versucht wird zu verhindern, dass sich
  • 45:36 - 45:40
    diese verschiedenen Praktiken, die da
    entwickelt werden, zu Selbstzwecken
  • 45:40 - 45:47
    entwickeln. Also z. B. die
    Selbstbestimmung im Individualismus. Die
  • 45:47 - 45:50
    kann zu einem Problem werden, wenn es
    dadrum geht, dass Einzelne nur noch um
  • 45:50 - 45:55
    sich selber kreisen. Oder auch im
    Sozialen, z. B. so ein KüfA-Projekt, das
  • 45:55 - 46:00
    kann schon zu einer Kompensation von Armut
    werden oder man kocht dann halt nur für
  • 46:00 - 46:04
    die Szene oder so die politische, da haben
    wir es wieder, die anti-politische Szene,
  • 46:04 - 46:11
    die zusammenkommt. Auch jetzt Gesellschaft
    an sich ist jetzt nicht sozusagen nur frei
  • 46:11 - 46:16
    von Politik. Wir können das nicht einfach
    so raushalten. Und in dem Ökonomischen,
  • 46:16 - 46:20
    auch da gibt es eben das Problem zu sagen:
    wir wollen nichts mit der Politik zu tun
  • 46:20 - 46:25
    haben, führt ganz schnell zu so einer
    Leerstelle. Einerseits ist ja bei den
  • 46:25 - 46:29
    Leuten, die sich da organisieren,
    Proletarier:Innen z. B. bei einer
  • 46:29 - 46:32
    autonomen Gewerkschaft, auch da gibt es
    Widersprüche. Auch da gibt es
  • 46:32 - 46:36
    unterschiedliche Ansichten, die irgendwie
    verhandelt werden müssen. Und weiterhin
  • 46:36 - 46:41
    kann die reine Konzentration auf
    Gewerkschaftsarbeit und Arbeitskämpfe auch
  • 46:41 - 46:46
    dazu führen, dass die trotzdem wieder
    durch politische Parteien vereinnahmt und
  • 46:46 - 46:51
    dominiert werden, weil eben abgelehnt
    wird, sich damit zu beschäftigen. Und
  • 46:51 - 46:54
    schließlich im Hinblick auf die
    Gemeinschaft gibt es ganz viele
  • 46:54 - 46:58
    Kommuneprojekte, die vielleicht so
    gestartet sind, dass die Leute da was ganz
  • 46:58 - 47:01
    Anderes schaffen wollten, die dann aber
    trotzdem nur so ein schöner und irgendwie
  • 47:01 - 47:06
    alternativer Wohnen wurden, ohne dass noch
    der Anspruch da drin lag, die Gesellschaft
  • 47:06 - 47:11
    grundsätzlich zu verändern. Ähnlich wie
    bei der Alternativkultur, die eben auch
  • 47:11 - 47:15
    was ganz Anderes schaffen wollte, aber
    dann eben nur Subkultur bleibt und nicht
  • 47:15 - 47:19
    Gesellschaftsform, in der wir leben,
    grundsätzlicher in Frage stellt. Also geht
  • 47:19 - 47:26
    es eben dadrum, die politische Logik
    selber, sozusagen, zu hinterfragen und
  • 47:26 - 47:30
    trotzdem Politik wieder rein zu führen.
    Sie kommt durch die Hintertür wieder rein,
  • 47:30 - 47:37
    so habe ich das formuliert und genau das
    führt zu dieser komischen, irritierenden
  • 47:37 - 47:41
    Gleichzeitigkeit der Bezugnahme auf
    Politik, auch das Praktizieren bisweilen
  • 47:41 - 47:46
    von radikaler Politik bei ihrer
    gleichzeitigen Ablehnung und der Kritik an
  • 47:46 - 47:52
    Politik, wie wir sie haben. Also sprich,
    es geht hier nicht dadrum, dann zu sagen,
  • 47:52 - 47:55
    dass wir einfach irgendwie eine andere
    Politik machen können, sondern die Politik
  • 47:55 - 48:00
    bleibt ein Problem und trotzdem kann im
    Anarchismus die Antwort sein, dass wir ab
  • 48:00 - 48:04
    und zu uns auf dieses politische Game
    einlassen müssen, wenn wir das aus
  • 48:04 - 48:09
    bestimmten Gründen für sinnvoll halten.
    Und mit diesen Überlegungen werden wir da
  • 48:09 - 48:14
    aber trotzdem ganz anders rangehen. Und
    diese ganze, doch sehr theoretische
  • 48:14 - 48:19
    Erklärung, wie ich sie jetzt geliefert
    hat, soll vor allem versinnbildlichen,
  • 48:19 - 48:24
    dass das Sinn ergibt, dass es diesen
    scheinbaren Widerspruch im anarchistischen
  • 48:24 - 48:29
    Politikverständnis gibt. Denn bei näherer
    Betrachtung stellt sich heraus, dass es
  • 48:29 - 48:35
    hier tatsächlich um eine Paradoxie geht.
    Und das ist nicht ein zu kurz denken im
  • 48:35 - 48:39
    Anarchismus selber, sondern es ist
    tatsächlich der Versuch, auf die
  • 48:39 - 48:45
    Widersprüchlichkeit der Gesellschaft, in
    der wir leben, eine Antwort zu finden. In
  • 48:45 - 48:49
    dem Sinne, dass wir anerkennen: Ja,
    Politik ist ein Herrschaftsverhältnis,
  • 48:49 - 48:54
    aber manchmal müssen wir auch Politik
    machen. Und gerade deswegen tun wir das
  • 48:54 - 48:58
    aber anders. Die Paradoxie im
    anarchistischen Politikverständnis ist
  • 48:58 - 49:03
    also der Versuch, sich in Widersprüchen zu
    bewegen und sie nicht einfach nur
  • 49:03 - 49:08
    wiederzugeben, sie nicht einfach zu
    reproduzieren, sondern tatsächlich mit dem
  • 49:08 - 49:13
    Anliegen, Gesellschaftsform zu
    transformieren, in der wir sind, also auch
  • 49:13 - 49:19
    die Bedingungen zu verändern, unter denen
    Politik praktiziert wird. Das ergibt Sinn
  • 49:19 - 49:25
    und ich glaube, das erklärt z. B. diese
    Erzählung, die ich euch am Anfang gebracht
  • 49:25 - 49:29
    habe, ein bisschen besser. Wir verstehen
    besser, warum es diese Widersprüche oder
  • 49:29 - 49:33
    diese Gleichzeitigkeiten ganz oft gibt,
    auch nicht nur in historischen
  • 49:33 - 49:40
    Quellentexten oder Erfahrungen, sondern in
    emanzipatorischen, sozialen Bewegungen,
  • 49:40 - 49:43
    die immer wieder für solche Fragen
    gestellt werden. Wie gehen wir tatsächlich
  • 49:43 - 49:47
    mit der Politik um? Auf wen beziehen wir
    uns? Und wie können wir etwas anders
  • 49:47 - 49:54
    realisieren? Im Anarchismus geht es
    dadrum, nach Autonomie zu streben. Das
  • 49:54 - 49:58
    bedeutet eine gleichzeitige Bewegung raus
    aus den Herrschaftsverhältnissen, also
  • 49:58 - 50:05
    auch raus aus der politischen
    Herrschaftslogik und die Verwirklichung
  • 50:05 - 50:10
    etwas anderen, was an die Stelle dessen
    treten soll. Das bedeutet, dieses Streben
  • 50:10 - 50:15
    nach Autonomie, was natürlich immer ein
    Prozess ist, der nie absolut abgeschlossen
  • 50:15 - 50:22
    sein kann. Und da gibt es im Anarchismus
    selber ganz unterschiedliche Strategien,
  • 50:22 - 50:28
    die docken so ein bisschen an, an diese
    verschiedenen anti-politischen
  • 50:28 - 50:31
    Bezugsquelle, an die politischen
    Bezugsgruppe, Punkten, die ich genannt
  • 50:31 - 50:35
    habe, also z. B. im Individualismus,
    Mutualismus, im anarchistischen
  • 50:35 - 50:40
    Kommunismus oder Anarcho-Syndikalismus
    oder eben im kommunitären Anarchismus,
  • 50:40 - 50:46
    sind es verschiedene Versuche, nach
    Autonomie zu streben, die sich natürlich
  • 50:46 - 50:52
    auch wieder vermischen. Und das scheint
    auch der gemeinsame Nenner zu sein, in
  • 50:52 - 50:56
    diesen sehr pluralen Anarchismus, diesen
    verschiedenen Strömungen, mit denen wir zu
  • 50:56 - 51:01
    tun haben. Selbstorganisation und
    Selbstbestimmung sind als
  • 51:01 - 51:05
    Organisationsprinzipien mit Autonomie auch
    verknüpft und das sehen wir hier nochmal
  • 51:05 - 51:10
    in dem Schema. Ich denke, das erklärt
    sozusagen, was über das Wesen des
  • 51:10 - 51:23
    Anarchismus oder über seine
    charakteristischen Merkmale. Ja, jetzt
  • 51:23 - 51:34
    sind wir hier. Schön, dass ihr mir so weit
    gefolgt seid. Zum Abschluss werde ich
  • 51:34 - 51:36
    einfach noch mal das, was ich erzählt
    habe, so ein bisschen thesenhaft
  • 51:36 - 51:40
    zusammenfassen, also das, was ich auch
    herausgearbeitet habe, denn viele Sachen,
  • 51:40 - 51:45
    von denen die ich erzählt habe, sind auch
    Teil meines Promotionsprojektes.
  • 51:45 - 51:49
    Thesenhaft, ihr könnt es einfach
    verfolgen. Worum ging es jetzt hier? 1.
  • 51:49 - 51:54
    Die Kritik an und Ablehnung von
    sozialistischer Politik ist ein
  • 51:54 - 51:59
    wesentlicher Ausgangspunkt für die
    Entstehung des Anarchismus. Und das sowohl
  • 51:59 - 52:05
    historisch als auch heute wieder. 2.
    Politik wird diesem Verständnis nach immer
  • 52:05 - 52:10
    dem Staat zugeordnet oder von diesem
    aufgesogen und eingehegt. Dazu mag es auch
  • 52:10 - 52:14
    unterschiedliche Ansichten geben, wie wir
    damit umgehen, aber wer das ignoriert,
  • 52:14 - 52:18
    täuscht sich über das Wesen von Politik,
    auch Politik in einem weiteren Sinne über
  • 52:18 - 52:24
    den Staat hinaus. 3. Neben der politischen
    Sphäre gibt es auch andere
  • 52:24 - 52:28
    gesellschaftlichen Sphären, in denen
    emanzipatorisch gehandelt und Alternativen
  • 52:28 - 52:32
    hervorgebracht werden können. Im
    Anarchismus werden das Individuum, das
  • 52:32 - 52:37
    Soziale, die Gesellschaft, die Ökonomie
    und die Gemeinschaft als Gegenpole zur
  • 52:37 - 52:47
    Politik, als Bezugspunkte für Anti-Politik
    aufgemacht. 4. Paradoxerweise kommt es im
  • 52:47 - 52:50
    Anarchismus aber trotzdem wieder zu
    Politik, kommt Politik quasi durch die
  • 52:50 - 52:55
    Hintertür wieder rein. Politik dient dazu,
    die alternativen Praktiken in
  • 52:55 - 52:59
    verschiedenen Bereichen auf das gemeinsam
    entwickelte Ziel der libertär-
  • 52:59 - 53:04
    sozialistischen Gesellschaft hin
    auszurichten. D. h., sie hat die Funktion,
  • 53:04 - 53:09
    dass alternative Praktiken sozial-
    revolutionäre sind, oder bleiben, oder
  • 53:09 - 53:14
    werden, anstatt dass sie zum Selbstzwecken
    werden oder eben für herkömmliche Politik
  • 53:14 - 53:21
    aufgegeben werden. Und schließlich 5. Eine
    prinzipielle Kritik an Politik lohnt sich
  • 53:21 - 53:25
    und ist auch wichtig, um überhaupt
    radikale Positionen zu entwickeln.
  • 53:25 - 53:30
    Radikale Praktiken hervorzubringen, mit
    denen nach Autonomie gestrebt werden kann,
  • 53:30 - 53:34
    um mit bestimmten Illusionen zu brechen,
    ist es sinnvoll, auch so einen engen,
  • 53:34 - 53:38
    gouvernementalen, konfliktorientierten und
    ultra-realistischen Politikbegriff zu
  • 53:38 - 53:43
    verwenden, der theoretisch dazu dient, das
    eben zu unterfüttern, wasich jetzt gesagt
  • 53:43 - 53:48
    habe, um uns eine andere Perspektive auf
    gesellschaftliche
  • 53:48 - 53:51
    Veränderungsmöglichkeiten zu entwickeln.
    Das bedeutet nicht, dass das, was ich euch
  • 53:51 - 53:55
    jetzt erzählt habe, an sich richtig oder
    die Wahrheit ist. Man kann Verschiedenes
  • 53:55 - 54:00
    unter Politik verstehen. Was ich versucht
    habe, ist eine bestimmte Perspektive auf
  • 54:00 - 54:03
    das Ganze zu entwickeln. Und ich hoffe,
    dass ich euch das so rüberbringen konnte,
  • 54:03 - 54:07
    dass ihr dem soweit folgen könnt. Im
    Endeffekt macht ihr euch eure eigenen
  • 54:07 - 54:10
    Gedanken. Wie handelt ihr in der
    Gesellschaft, in der ihr seid? Was habt
  • 54:10 - 54:12
    ihr da für Vorstellungen? Vielleicht fangt
    ihr einfach tatsächlich mal so an und
  • 54:12 - 54:16
    überlegt: Ja, was ist denn Politik für
    euch? Macht euch ein Mindmap oder so,
  • 54:16 - 54:20
    schreibt ein paar Assoziationen auf und
    fragt euch dann aber: Ok, woher kommen
  • 54:20 - 54:24
    denn meine Vorstellungen? Ist das wirklich
    mein Begriff von Politik? Was ist meine
  • 54:24 - 54:28
    Vorstellung davon? Inwiefern beißt der
    sich vielleicht mit der Politik des
  • 54:28 - 54:33
    Staates oder auch von Parteien oder auch
    von politischen Gruppen? Was ist eben
  • 54:33 - 54:37
    etwas, was da wirklich anders ist? Und ich
    würde argumentieren: Ja, lasst uns eben
  • 54:37 - 54:41
    sagen, Politik ist weiterhin ein Problem,
    aber sie ist trotzdem so notwendig wie
  • 54:41 - 54:45
    jetzt irgendwie Haushalt, wie der Abwasch
    oder so, niemand macht sie unbedingt
  • 54:45 - 54:50
    gerne, aber sie muss halt gemacht werden.
    Und sie an Andere abzuschieben ist eben
  • 54:50 - 54:55
    auch nicht die Lösung. Bloß gleichzeitig
    kritisch damit umzugehen, darum geht es im
  • 54:55 - 54:58
    Anarchismus, um was Anderes
    hervorzubringen und dabei werden wir aber
  • 54:58 - 55:02
    ganz viel entdecken, bei dieser Anti-
    Politik, wenn wir uns fragen: Ok, was ist
  • 55:02 - 55:07
    denn da, andere Möglichkeiten, entstehen
    eben andere Praktiken. Und das ist der
  • 55:07 - 55:11
    Versuch, auch letztendlich zu erklären,
    wie Anarchismus funktioniert. Eine
  • 55:11 - 55:15
    interessante Strömung, die eben wenig
    theoretisch besprochen wird. Und dazu
  • 55:15 - 55:18
    wollte ich hier so einen kleinen Beitrag
    leisten und einen kleinen Auszug aus eben
  • 55:18 - 55:22
    meiner Arbeit darstellen. Das ist übrigens
    ein gutes Stichwort. Ihr könnt mit mir
  • 55:22 - 55:27
    auch in Kontakt kommen, also ich habe
    einen Blog, der heißt paradox-a.de da
  • 55:27 - 55:31
    könnt ihr mich anfragen für
    Veranstaltungsanfragen, ihr könnt aber
  • 55:31 - 55:36
    auch, wenn ihr ein bisschen Kohle übrig
    habt, mit mir Kontakt aufnehmen und mir
  • 55:36 - 55:40
    Geld geben, weil ich diese Doktorarbeit
    tatsächlich auch veröffentlichen würde.
  • 55:40 - 55:43
    Dafür brauche ich noch ein bisschen Geld.
    Das kann ich nicht so direkt machen,
  • 55:43 - 55:46
    schreibt mir gerne eine E-Mail und dann,
    wenn ihr das unterstützen wollt, könnt ihr
  • 55:46 - 55:50
    das gerne machen. Würde ich mich freuen.
    Ich danke auch noch mal der Chaoszone in
  • 55:50 - 55:54
    Halle, dass wir das hier realisieren
    konnten und auch Miri und Chris, die hier
  • 55:54 - 55:58
    den ganzen Drumrum und Filmkram gemacht
    haben. War cool, hat auch Spaß gemacht und
  • 55:58 - 56:03
    ansonsten, ja, würde ich sagen: Bis
    demnächst. Macht euch eure Gedanken.
  • 56:03 - 56:19
    Herald: Herzlich willkommen zurück aus
    diesem wunderschönen Vortrag aus der
  • 56:19 - 56:22
    Seenlandschaft. Jetzt zurück ins Studio in
    Halle im Eigenbaukombinat. Wir haben
  • 56:22 - 56:27
    einige Fragen an den bei uns sich im
    Studio befindlichen Vortragenden. Deswegen
  • 56:27 - 56:36
    gleich die 1. Frage. Zum 1. Punkt mit den
    Gefängnissen. Es gibt einen Protest
  • 56:36 - 56:40
    dagegen, aber gibt es auch Vorschläge, wie
    man stattdessen die Menschheit, die
  • 56:40 - 56:44
    Menschen, von der Gesellschaft
    ausschließt? Also nochmal die Frage: zum
  • 56:44 - 56:48
    1. Punkt mit den Gefängnissen. Es gibt
    einen Protest dagegen, aber gibt es auch
  • 56:48 - 56:51
    Vorschläge, wie man stattdessen die
    Menschen von der Gesellschaft ausschließt?
  • 56:51 - 56:54
    Jonathan: Ja, das ist natürlich eine sehr
    gute Frage. Also das habe ich jetzt
  • 56:54 - 56:58
    erstmal als Beispiel genommen, um ja
    dieses Thema des paradoxen Politikbegriff
  • 56:58 - 57:01
    im Anarchismus quasi zu behandeln.
    Insofern bin ich jetzt nicht unbedingt
  • 57:01 - 57:04
    Experte, was das angeht. Aber ja, ich
    glaube, da gibt es schon verschiedene
  • 57:04 - 57:08
    Modelle. Also Norwegen und Schweden haben
    da relativ progressive Überlegungen. Da
  • 57:08 - 57:12
    gibt es z. B. dann Gefängnisinseln, wo die
    Leute aber jetzt nicht die ganze Zeit
  • 57:12 - 57:18
    weggesperrt sind, sondern haltversuchen
    dann selbstverwaltet dort zu sein. Und das
  • 57:18 - 57:21
    betrifft dann aber eben nicht alle. Das
    betrifft dann nicht so ganz geringe
  • 57:21 - 57:25
    Lapalienstraftaten wie Schwarzfahren oder
    so, wo schon zurecht gefragt, werden kann,
  • 57:25 - 57:28
    warum deswegen wirklich Leute ins
    Gefängnis gehen. Also diese Frage ist
  • 57:28 - 57:32
    natürlich dann auch im Hintergrund zu
    stellen. Aber klar, es macht sich
  • 57:32 - 57:36
    natürlich fest, an diesen krassen
    Gewalttaten oder sowas in der Art, die
  • 57:36 - 57:40
    nicht einfach verschwinden werden oder
    oder sowas in der Art. Und ich glaube, das
  • 57:40 - 57:46
    wäre zum Beispiel ein Modell. Allerdings
    muss ich zugeben, dass es halt ganz viele
  • 57:46 - 57:49
    andere Möglichkeiten glaube ich gibt und
    diese Frage schon erst mal gestellt werden
  • 57:49 - 57:53
    sollte: Ok, woher entsteht denn überhaupt
    Gewaltkriminalität? Das was wir als
  • 57:53 - 57:57
    Kriminalität bezeichnen usw. Und im worst
    case, das ist zumindest meine persönliche
  • 57:57 - 58:00
    Weise, wäre es so eine Art Verbannung
    vielleicht irgendwie vorstellbar. Das ist
  • 58:00 - 58:04
    allerdings wie immer auch unter
    Anarchist:Innen selber sehr umstritten.
  • 58:04 - 58:09
    H: Vielen Dank! Eine weitere Frage hätten
    wir: Wo siehst du den Unterschied zwischen
  • 58:09 - 58:15
    Anarchismus und Liberalismus?
    J: Ja, also ich meine klar, das kann man
  • 58:15 - 58:19
    natürlich wie immer verschieden angehen,
    also so heute politisch, in den
  • 58:19 - 58:23
    verschiedenen politischen Lagern oder so.
    Da steht der Liberalismus, wo anders als
  • 58:23 - 58:27
    der Anarchismus, der eben viel stärker
    noch auf die Selbstorganisation setzt.
  • 58:27 - 58:30
    Wenn man es jetzt dann politisch
    theoretisch betrachtet, dann ist es dann
  • 58:30 - 58:35
    immer wieder doch die Frage des Staates.
    Also Staat würde ich auch in einem
  • 58:35 - 58:38
    weiteren Sinne betrachten. Nicht nur die
    Institution Staat, sondern das, was ich
  • 58:38 - 58:42
    ein bisschen im Vortrag auch versucht
    habe, darzustellen, als ein
  • 58:42 - 58:45
    hierarchisches, autoritäres
    zentralisierendes Verhältnis. Da sagen die
  • 58:45 - 58:49
    Liberalen natürlich, im Endeffekt braucht
    es diese Zentrale Steuerungsinstanz, die
  • 58:49 - 58:53
    halt die Gesellschaft reguliert, die auch
    sowas wie Staatlichkeit ist mit dem Zwang
  • 58:53 - 58:57
    und der Gewalt. Aber es gibt auf der
    anderen Seite trotzdem ideengeschichtlich
  • 58:57 - 59:01
    auch immer wieder diese Schnittpunkte,
    also der Anarchismus ist auch beeinflusst
  • 59:01 - 59:05
    von liberalen Gedanken und auch von
    sozialistischen. Insofern würde ich da gar
  • 59:05 - 59:10
    nicht die klare Trennung ziehen. Es wäre
    sicherlich die in Bezug auf des Staates
  • 59:10 - 59:14
    und auch ich denke das Verständnis des
    Individuums, was im Anarchismus schon
  • 59:14 - 59:20
    stärker, eben immer in Verbundenheit mit
    anderen Menschen gedacht wird, während im
  • 59:20 - 59:25
    Liberalismus doch stärker das Bild
    vorherrscht, eben von abgeschlossenen
  • 59:25 - 59:29
    Einzelnen. Das wären jetzt Beispiele und
    sicherlich in wirtschaftspolitischer
  • 59:29 - 59:33
    Hinsicht, das im Liberalismus ja auch
    Konkurrenz als was Gutes betrachtet wird,
  • 59:33 - 59:38
    während es im Anarchismus wahrscheinlich
    eher eine Art Verfallserscheinungen ist,
  • 59:38 - 59:41
    die Kooperation insgesamt als überlegen
    angesehen wird. Das ist jetzt sehr
  • 59:41 - 59:44
    holzschnittartig, aber um schnell darauf
    zu antworten, ja.
  • 59:44 - 59:49
    H: Sehr vielen Dank. Und noch ein Punkt
    aufzugreifen und deiner Antwort: Siehst du
  • 59:49 - 59:54
    nicht die Gefahr, z. B. Forderungen an den
    Staat zu stellen, als eine Legitimierung
  • 59:54 - 59:58
    dessen? Müssen nicht Forderungen z. B. an
    direkt Betroffene, aber sich passiv
  • 59:58 - 60:03
    verhaltene, gestellt werden?
    J: Ja, das ist natürlich, also finde ich,
  • 60:03 - 60:07
    erstmal eine sehr gute Frage, die wir
    weiter diskutieren können. Also ich würde
  • 60:07 - 60:12
    nochmal einen Schritt zurückgehen und ich
    sehe das eben oft dann so, dass aus sowas,
  • 60:12 - 60:15
    einer Radikalen oder so Linken oder auch
    Selbstorganisierten werden ja ganz oft
  • 60:15 - 60:18
    Forderungen gestellt, aber oft ist gar
    nicht klar, wer sind denn die Leute, die
  • 60:18 - 60:23
    fordern und wenn jetzt nicht staatliche
    Institutionen direkt handeln sollen, wer
  • 60:23 - 60:27
    sind dann die Leute, die handeln. Also da
    gibt es ganz viele Unklarheiten. Ein
  • 60:27 - 60:31
    Gegenmodell zur Forderung ist natürlich,
    die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen
  • 60:31 - 60:35
    und Leute aufzufordern, ja aktiv zu
    werden, was anders zu verwirklichen. Und
  • 60:35 - 60:37
    ich glaube, das ist dann der Weg, der
    jetzt auch in der Frage eher vorgeschlagen
  • 60:37 - 60:42
    wird. Also eher der Appell an Menschen,
    direkt etwas zu verändern. Da sind aber
  • 60:42 - 60:46
    eben alle Leute, die eben Alternativen
    vorschlagen, gefragt, da auch was den
  • 60:46 - 60:50
    Leuten an die Hand zu geben und nicht
    einfach nur zu sagen: Ja, bitte macht doch
  • 60:50 - 60:53
    mal Irgendwas anders. Sondern da braucht
    es natürlich schon irgendwie auch
  • 60:53 - 60:58
    anschauliche Modelle, die Menschen
    überzeugen und das ist sicherlich immer so
  • 60:58 - 61:02
    eine Gratwanderung zwischen Dinge
    vorschlagen, aber Dinge eben nicht zu sehr
  • 61:02 - 61:07
    als einen fixen Plan vorauszusetzen, weil
    im Anarchismus geht es natürlich schon
  • 61:07 - 61:10
    dadrum, dass Menschen auch ihre eigenen
    Wege finden.
  • 61:10 - 61:14
    H: Ich hätte noch eine kontroverse Frage
    aus dem Internet, vielleicht kannst du uns
  • 61:14 - 61:19
    die auch ein bisschen einordnen. Warum
    sind eigentlich nichtstaatliche Attentate
  • 61:19 - 61:24
    auf Despoten aus der Mode gekommen? Sind
    die Menschen in Diktaturen zu bequem
  • 61:24 - 61:29
    geworden? Was denkst du?
    J: Tja, also danke für die Frage. Es ist
  • 61:29 - 61:32
    natürlich so: Wenn ich jetzt zum
    Anarchismus spreche, dann muss ich ja
  • 61:32 - 61:35
    solche Fragen immer wieder auch mal
    beantworten. Aber im Vortrag, würde ich
  • 61:35 - 61:40
    behaupten, ging es ein bisschen um etwas
    anderes. Also das jetzt mal nebenbei, da
  • 61:40 - 61:44
    muss ich jetzt sozusagen nichts
    rechtfertigen, aber ich kann trotzdem auf
  • 61:44 - 61:49
    die Frage eingehen. Also ich meine, das
    hat natürlich was damit zu tun, dass
  • 61:49 - 61:52
    historisch es eine Phase gab, wo
    Anarchist:Innen halt, oder Leute, die so
  • 61:52 - 61:56
    bezeichnet wurden, Attentate auf
    Staatsoberhäupter gemacht haben. Das war
  • 61:56 - 62:02
    Ende des 19., Anfang des 20. Jhd. auch je
    nachdem, wie man es betrachtet,
  • 62:02 - 62:06
    erfolgreich. Und das Ganze, was wir heute
    als Überwachungs- und Sicherheitsstaat
  • 62:06 - 62:11
    betrachten, dadurch ja auch sehr stark
    ausgebaut wurde. Also sicherlich
  • 62:11 - 62:15
    Überwachung, Kontrolle und solche Sachen
    sind heute äußerst weit fortgeschritten
  • 62:15 - 62:19
    usw. Insofern ist das sicherlich nicht das
    Mittel der Wahl, aber man kann dadrüber
  • 62:19 - 62:23
    hinaus natürlich auch diskutieren, ob das
    so sinnvoll ist. Einerseits ist es eine
  • 62:23 - 62:27
    sehr verkürzte Herrschaftskritik, wenn man
    die an Personen festmacht. Das trifft
  • 62:27 - 62:31
    vielleicht nicht tatsächlich das Wesen der
    Herrschaft, insbesondere auch nicht eben
  • 62:31 - 62:35
    einer sehr komplexen Form von Herrschaft,
    wie wir sie heute haben. Und insofern
  • 62:35 - 62:38
    würde ich sagen, dass das jetzt
    wahrscheinlich nicht das Mittel ist, zu
  • 62:38 - 62:41
    dem ich jetzt greifen würde. Also hat aber
    auch strategische und es hat natürlich
  • 62:41 - 62:45
    auch ethische Gründe, weswegen ich jetzt
    nicht unbedingt einzelne Leute dafür
  • 62:45 - 62:49
    verantwortlich machen würde. Aber im
    Anarchismus wird natürlich ein bisschen
  • 62:49 - 62:53
    stärker, als jetzt in anderen linken oder
    sozialistischen Theorien, schon auch die
  • 62:53 - 62:59
    Frage der Verantwortung mit aufgeworfen.
    Also welche privilegierten Klassen
  • 62:59 - 63:02
    profitieren tatsächlich von der
    Herrschaftsordnung, in der sie ist und das
  • 63:02 - 63:06
    eben auch zu problematisieren, finde ich
    völlig gerechtfertigt. Das ist aber eine
  • 63:06 - 63:09
    andere Frage als die jetzt mit sowas wie
    Attentaten. Naja, ich hoffe ich konnte das
  • 63:09 - 63:13
    halbwegs beantworten. Ansonsten müssen wir
    noch mal länger chatten, glaube ich.
  • 63:13 - 63:16
    lacht
    H: Vielen, vielen Dank. Vielleicht, und
  • 63:16 - 63:20
    mit der Bitte um eine kurze Antwort.
    Welche konkreten Handlungsempfehlungen
  • 63:20 - 63:24
    gibst du politisch Interessierten, aber im
    aktuellen Politikkontext inaktiven
  • 63:24 - 63:28
    Personen? Also was sollte man jetzt quasi
    machen, wenn man sich politisch engagieren
  • 63:28 - 63:32
    möchte, ohne quasi, also was sollte man
    machen, wenn man sich politisch engagieren
  • 63:32 - 63:33
    möchte, aber es noch nicht tut, im
    aktuellen Kontext?
  • 63:33 - 63:37
    J: Aber es noch nicht tut, aber schon
    dabei ist
  • 63:37 - 63:39
    H: Oder sich dafür interessiert, also die
    Welt zu gestalten?
  • 63:39 - 63:43
    J: Ja, also wie immer, das habe ich, so
    gehe ich ran und ich denke, das habe ich
  • 63:43 - 63:47
    ja auch so rübergebracht, denke ich, es
    gibt sehr viele verschiedene
  • 63:47 - 63:51
    Möglichkeiten, aber es gibt ja die
    emanzipatorischen sozialen Bewegungen
  • 63:51 - 63:56
    heute, vor allem eben der Feminismus, die
    Klimagerechtigkeitsbewegung, aber auch
  • 63:56 - 64:01
    andere Formen von sozialen Kämpfen. Also
    diese Bewegungen, die gibt es ja an vielen
  • 64:01 - 64:05
    Orten. Und was anderes haben wir nicht.
    Also ich glaube, das sind schon die
  • 64:05 - 64:09
    richtigen Leute mit den richtigen Ideen in
    Anführungsstrichen. Ich sehe das auch gar
  • 64:09 - 64:14
    nicht so negativ. Also ich persönlich, und
    da gibt es andere Anarchist:Innen, die
  • 64:14 - 64:17
    sehen das wieder anders, setze halt schon
    auf die Macht von emanzipatorischen
  • 64:17 - 64:20
    sozialen Bewegungen, als ein Gegenmodell,
    auch eine andere Gesellschaft von unten
  • 64:20 - 64:25
    aufzubauen. Und dort finden die Dinge
    statt. Also würde ich schon sagen: Guckt,
  • 64:25 - 64:29
    worauf wir einen Bock habt, auf welche
    Form von Themen. Versucht euch dann
  • 64:29 - 64:32
    dauerhaft verbindlich in Gruppen
    zusammenzuschließen, versucht diese
  • 64:32 - 64:37
    verschiedenen Themen zusammenzuführen, die
    es gibt, an denen ihr an Veränderung
  • 64:37 - 64:41
    arbeiten wollt. Und natürlich schlagen
    Anarchist:Innen vor, im Gegensatz zu
  • 64:41 - 64:48
    anderen Leuten, dass eben so eine soziale
    Bewegung autonom von Parteien und von
  • 64:48 - 64:52
    parlamentarischen und anderen staatlich
    politischen Institutionen sein soll. Also
  • 64:52 - 64:56
    das es die Möglichkeit gibt, zu solcher
    selbstorganisierter Bewegung, und das ist
  • 64:56 - 65:00
    tatsächlich auch eine Stärke ist, eine
    eigene Form von Organisation und gerade im
  • 65:00 - 65:02
    deutschsprachigen Raum können wir uns da
    noch ein bisschen eine Scheibe auch von
  • 65:02 - 65:07
    anderen Ländern abschneiden, dass es eben
    da eigene selbstorganisierte, autonome
  • 65:07 - 65:10
    Formen gibt. Und ich persönlich setze da
    drauf und würde sagen: Ja, da ist eben
  • 65:10 - 65:14
    auch eine Stärke. Das gibt eben auch
    strategisch Sinn, so zu denken und sich
  • 65:14 - 65:19
    nicht immer gleich z. B. auf den Staat zu
    orientieren oder zu sagen: Solche Sachen
  • 65:19 - 65:23
    sind nur erfolgreich, wenn z. B. die in
    Gesetzgebung oder sowas in der Art münden.
  • 65:23 - 65:28
    Sondern wir können eben Alternativen heute
    von uns aus parallel schaffen. Natürlich
  • 65:28 - 65:32
    mit vielen Leuten gemeinsam. In aller
    Kürze.
  • 65:32 - 65:35
    H: Alles klar, vielen Dank. Könntest du
    nochmal die Adresse deines Blogs sagen
  • 65:35 - 65:37
    bitte?
    J: Ja klar, genau. Also ich schreibe so
  • 65:37 - 65:41
    meine anderen Weisheiten auf paradox-a.de
    Wenn ihr Lust habt, könnt ihr da
  • 65:41 - 65:46
    vorbeischauen oder mich auch gerne
    kontaktieren. Jetzt genau war es nur wenig
  • 65:46 - 65:48
    Zeit zum Antworten, aber ich freue mich
    sehr, dass ich hier sein konnte.
  • 65:48 - 65:51
    Dankeschön dafür ja.
    H: Ansonsten sind alle dazu eingeladen, im
  • 65:51 - 65:55
    Rocket.Chat oder auf dem Hashtag
    Rc3ChaosZone auf Mastodon und Twitter
  • 65:55 - 65:59
    mitzudiskutieren. Ich denke, da werden wir
    die weiteren Sachen dann vermitteln. Dein
  • 65:59 - 66:01
    letztes Wort?
    J: Genau. Und heute Abend ist noch ein
  • 66:01 - 66:05
    anderer Talk von mir, eher auch eine
    lockere Erzählung, bei der Stage aboute
  • 66:05 - 66:08
    Future um 18 Uhr. Also wenn es euch
    interessiert hat, schaut da einfach gerne
  • 66:08 - 66:11
    noch mal rein oder eben später, wenn es
    hochgeladen ist. Würde mich freuen.
  • 66:11 - 66:16
    H: Dann vielen Dank! Grüße aus Halle und
    wir geben ab nach Potsdam. Nach einer
  • 66:16 - 66:18
    kurzen Pause.
  • 66:18 - 66:23
    RC3 Musik
  • 66:23 - 66:26
    Untertitel erstellt von c3subtitles.de
    im Jahr 2022. Mach mit und hilf uns!
Title:
Mit, gegen oder jenseits von Politik? - Eine Reflexion über den paradoxen anarchistischen Politikbeg
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Video Language:
German
Duration:
01:06:26

German subtitles

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