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RC3 Vorspannmusik
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Herald: Ein System, welches sich,
zumindest überwachungstechnisch, George
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Orwell nicht hätte besser ausdenken
können: Das Chinese Social Credit Score.
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Katrin Schwahlen spricht mit sehr, sehr
interessanten Personen heute darüber.
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Katrin, wir sind gespannt.
Kathrin: Ja, herzlich willkommen
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zu unserem Talk über
das chinesische Sozialkreditsystem.
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Also grob gesagt ein
staatliches System, das mithilfe von
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Algorithmen das Verhalten seiner
Bürgerinnen und Bürger überwacht und
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steuern will. China ist zwar weit weg,
spielt aber doch eine ziemlich große Rolle
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in und für die Welt. Und da stellt sich
natürlich die Frage, wie lange das dauert,
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bis es sowas auch in Europa gibt. Oder
gibt es das vielleicht sogar schon?
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Darüber will ich mich mit unseren Gästen
unterhalten und möchte euch als erstes
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Kolja Quakernack vorstellen. Er ist
Sinologe, Kalligraf und hat vier Jahre in
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Shanghai gelebt, der größten
Industriestadt Chinas. Und er beschäftigt
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sich seit vielen Jahren mit dem
chinesischen Sozialkreditsystem. Er hat
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darüber seine Masterarbeit geschrieben und
auch eine Broschüre für die kurz&mündig
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Reihe von Digitalcourage. Und er wird uns
gleich das chinesische Bonitätssystem
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vorstellen. Hallo Kolja, vielen Dank, dass
du dir die Zeit nimmst für diesen Talk.
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Kolja Quakernack: Hallo, ich freue mich
auf die Gäste.
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Katrin: Unser zweiter Gast ist Dr. Thilo
Weichert. Vielen von euch ist er bekannt
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als Juror und Laudator der Big Brother
Awards. In diesem Jahr zum Beispiel für
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Doctolib in der Kategorie Gesundheit.
Thilo engagiert sich seit dem
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Volkszählungsboykott Mitte der 80er Jahre
für Datenschutz. Er war 11 Jahre
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Landesbeauftragter für Datenschutz in
Schleswig-Holstein und ist heute unter
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anderem Vorstandsmitglied in der Deutschen
Vereinigung für Datenschutz. Herzlich
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willkommen, Thilo!
Thilo Weichert: Ich grüße euch. Moin!
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Katrin: Und unseren dritten Gast kennt ihr
alle. Er ist Künstler und Netzaktivist,
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Mitbegründer und Vorsitzender von
Digitalcourage, hat die Internet
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Enquetekommission des Bundestags beraten
und gerade mit anderen Aktivistinnen und
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Aktivisten Handlungsempfehlungen für
Digitalpolitik formuliert und der
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Ampelkoalition übergeben. Schön, dass du
da bist, padeluun. So, Kolja, was ist
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genau das chinesische Sozialkreditsystem?
Und wie bist du auf dieses Thema
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aufmerksam geworden?
Kolja: Ja, ich glaube wir machen es
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umgekehrt. Ich beantworte dir erst die
eine Frage und dann hole ich ein bisschen
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aus, um das Sozialkreditsystem
vorzustellen. Ich habe tatsächlich davon
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gelesen, während ich in Shanghai war und
bin dann wirklich daran kleben geblieben,
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weil ich dachte, so ein gigantisches
Konstrukt was da geplant ist, was wirklich
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in alle Lebensbereiche irgendwie
vordringen wird, da will ich mehr drüber
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wissen und habe mich dann mehr und mehr
sozusagen in die Abgründe vertieft. Und
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jetzt sitze ich hier und darf mich mit
euch unterhalten. Aber damit wir alle so
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ein bisschen auf den gleichen Stand
kommen, wenn ich wirklich alles sozusagen
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erzählen würde, was es zu wissen gibt, was
eine ganze Menge gibt, was natürlich eine
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ganze Menge ist, dann würde das den Rahmen
hier sprengen. Deswegen versuche ich kurz
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ein kleines bisschen, kurz und knackig zu
erzählen, was das Sozialkreditsystem
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eigentlich ist. Ich habe keine Slides o.ä.
vorbereitet. Das würde uns viel
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zu viel Zeit bei unserem Talk nehmen,
sondern ich habe hier ganz klassisch
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traditionell ein paar Stichpunkte vor mir
liegen. Wenn ich also nach unten gucke,
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dann weil ich versuche, nichts zu
vergessen. Aber ja, ganz kurz vielleicht.
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Die derzeitige Situation in China, die das
Sozialkreditsystem dann hervorgebracht
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hat, ist folgende: Und zwar gibt es eine
verhältnismäßig hohe Kriminalitätsrate,
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zum Beispiel Korruption, Betrügereien
etc., ohne dass zum Teil verlässliche
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Strafen umgesetzt werden können. Dem soll
natürlich entgegen gearbeitet werden. Dann
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sollen die Nutzerinnen des Internets, die
Nutzerinnen und Nutzer, nicht so
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ungezügelt sein und natürlich die
Stabilität in der Gesellschaft und auch in
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der Politik gefestigt werden. Und die
Lösung, die jetzt Staatspräsident Xi
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Jinping hat, ist eben das
Sozialkreditsystem. Das Sozialkreditsystem
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soll jedem Individuum eine gewisse
Vertrauens- und Kreditwürdigkeit
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bescheinigen, sodass Bürgerinnen und
Bürger sich ein Bild von
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Geschäftspartnern, aber auch von
Nachbarinnen und Nachbarn und von
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Menschen, mit denen sie verkehren, machen
können. Und man muss jetzt dazu sagen, es
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gibt nicht nur ein einziges
Sozialkreditsystem, sondern es gibt in
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Dutzenden Städten mehrere Konzepte, die
sozusagen ausprobiert werden. Und 2014
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wurde das Ganze erstmals implementiert für
eine Testphase bis 2020. Das heißt, wir
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haben jetzt gerade die Situation, dass
ganz viele Daten analysiert werden, wie
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die Leute das System angenommen haben, wie
das angekommen ist. Und ja, wir sind jetzt
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gespannt, was aus all diesen Daten gemacht
wird. Wie in Zukunft dann die Version 2.0
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sozusagen aussehen soll. Die dann wiederum
verbindlich im ganzen Land implementiert
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werden soll. Das Konzept des Sozial-
kreditsystems ist relativ einfach. Und
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zwar: Um die Vertrauenswürdigkeit einer
Person einschätzen zu können, werden Daten
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dieser Person gesammelt, und zwar alle
möglichen Arten von Daten. Alle möglichen
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Daten, die man bekommen kann. Offline-
Verhalten, Online-Verhalten, also Online-
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Verhalten, sprich das Kaufverhalten auf
zum Beispiel Taobao, also dem chinesischen
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Äquivalent von Ebay. Chatverläufe werden
mitgelesen, GPS-Daten vom Smartphone
-
werden ausgelesen, Accounts,
Mitgliedschaften, Apps, die genutzt
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werden, alles was eben zur Verfügung
steht. Nebenbei sei noch gesagt: Es gibt
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umfangreiche Datenschutzgesetze in China,
aber die Umsetzung, daran hapert es dann
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doch, sodass das in dem Sinne kein Thema
ist. Offline-Verhalten, Ämter, Behörden,
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alle teilen ihre Daten in einer ziemlich
großen Cloud, wo alles gesammelt wird zu
-
jeder Person. Und hinzu kommen neueste
Erfindungen wie Videoüberwachung,
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Spracherkennung, Gesichtserkennung, sogar
Gangerkennungssoftware. Alles um eben das
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aufgenommene Verhalten, was man wahrnimmt
sozusagen, auch wirklich einer konkreten
-
Person zuordnen zu können. Da geht es dann
um Mülltrennung, um
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Straßenverkehrsdelikte, all diese Dinge.
Man will ja möglichst genau festlegen
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können, zu welcher Person eben diese
Handlung gehört. Alle Daten werden in
-
Echtzeit registriert und von einem
Algorithmus, über den im Grunde genommen
-
nichts offiziell bekannt ist, analysiert
und bewertet. Jetzt gibt es ein Verhalten,
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das wünschenswert ist und es gibt
Verhalten, das nicht wünschenswert ist.
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Für wünschenswertes Verhalten, zum
Beispiel, wenn man sich um seine Eltern
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kümmert, die krank sind oder einfach
pietätvoll besucht, wenn man
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ehrenamtliches Engagement zeigt, und
Ähnliches. Dann gibt es Pluspunkte. Wenn
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man aber unerwünschtes Verhalten an den
Tag legt, zum Beispiel Gesetze bricht oder
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ähnliches, dann gibt es Minuspunkte. All
das wird auf einem digitalen Konto
-
festgelegt. Und ist sogar offiziell
einsehbar für jede und jeden. Wenn man
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jetzt einen besonders hohen Kontostand
hat, dann werden verschiedene Privilegien
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freigeschaltet. Zum Beispiel bekommt man
einen kostenlosen Bibliotheksausweis. Man
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ist befreit von verschiedenen
Kautionszahlungen, und ähnlichem. Wenn man
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einen niedrigen Punktestand hat, dann
werden ziemlich massive Sanktionen
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wirksam. Das geht dann los mit man bekommt
keine 1.-Klasse Tickets mehr für den Zug,
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sondern muss dann die harten Holzbänke
nehmen und es geht dann immer so weiter
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und wird schlimmer, dass man irgendwann
die Reisefreiheit ganz eingeschränkt
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bekommt. Man bekommt keine Auslandsvisa
mehr ausgestellt, man kann keine
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Flugtickets mehr kaufen. Das geht sogar so
weit, dass die eigenen Kinder irgendwann
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keine guten Schulen mehr besuchen können.
Berufliche Entwicklungen werden verwehrt
-
und so weiter. Das heißt, was damit im
Grunde genommen auch bezweckt werden soll,
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ist die Umerziehung des Volkes, oder der
Bürgerinnen und Bürger, zu gutem Verhalten
-
hin. So, da möchte ich jetzt gleich schon
ein paar Kritikpunkte mit einbringen. Und
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zwar lässt sich das teilen in technische
Mängel bei dem System. Allerdings können
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wir die gleich auslassen. 1. kenne
ich mich dafür technisch nicht gut genug
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aus und 2. würde das dann wirklich
den Rahmen sprengen. Aber es gibt soziale
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und ethische Probleme, die glaube ich
hochinteressant sind für uns auch heute,
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und natürlich Herausforderungen für das
Management selbst. Die sozialen und
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ethischen Probleme sind zum Beispiel
folgende: Ich habe gerade gesagt, es soll
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gutes Verhalten anerzogen werden. Wer
entscheidet denn, was gutes Verhalten ist?
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Und da liegt schon der Casus Knacktus. Die
Sozialkreditsysteme, im Moment sind es ja
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noch mehrere, sind zwar offiziell in
privater Hand von den großen Tech-Firmen
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wie Tencent, Alibaba und wie sie alle so
heißen, aber eben nur offiziell.
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Inoffiziell behält sich die Kommunistische
Partei Chinas vor, ohne Angabe von
-
Gründen, Dinge in diesem System verändern
zu können und sogar retrospektiv verändern
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zu können. Das heißt, unerwünschtes
Verhalten kann zum Beispiel angepasst
-
werden. Retrospektiv heißt in diesem
Kontext, wenn die Kommunistische Partei
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heute etwas, ja, als unerwünscht festlegt,
was gestern noch in Ordnung war, dann wird
-
man auch heute noch für das Verhalten von
gestern bestraft. Wenn ich also heute mit
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meinen Freunden auf dem Weihnachtsmarkt
Glühwein trinke und morgen wird es
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bestraft, weil das Verzehr von Alkohol
ist. Dann werde ich auch morgen bestraft
-
dafür, obwohl es heute noch völlig in
Ordnung ist. Ja, und das Ganze schürt
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natürlich oder erleichtert auch die
Verfolgung von Minderheiten. Dabei ist
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egal, ob es um Homosexuelle geht oder um
ethnische Minderheiten, Uiguren, was ja
-
auch viel in den Medien im Moment
diskutiert wird. Ja, und das sind
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natürlich Dinge, die uns entsprechend
beschäftigen werden. Dann wird der
-
Algorithmus vorgeschoben. Die
Kommunistische Partei und überhaupt alle
-
Betreiber des Systems waschen die eigenen
Hände in Unschuld und sagen, ihr seid doch
-
für euer eigenes Handeln selbst
verantwortlich. Handelt so, wie wir euch
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das vorgeben und dann habt ihr auch nichts
zu befürchten. Auch das ist garantiert ein
-
Punkt, über den man streiten kann, weil
natürlich das System menschengemacht ist
-
und entsprechende Mechanismen vom Menschen
justiert und nachjustiert werden. Ja, und
-
ein weiterer Punkt, der auch unbedingt
genannt werden sollte: Solidarität,
-
Nächstenliebe, Zwischenmenschlichkeit, all
diese Punkte gehen natürlich mehr und mehr
-
verloren, weil die Leute nicht mehr
Handeln aus reiner Nächstenliebe, sondern
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um Punkte zu gewinnen oder wenigstens um
keine Punkte zu verlieren. Also auch da,
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die Moral, wie wir wissen, ist ein Muskel,
der entsprechend gepflegt werden will. Und
-
wenn andere einem das Denken abnehmen,
dann wird das ganze schwierig,
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wenn das System irgendwann
vielleicht mal wieder
-
abgestellt wird und wir überhaupt
keinen inneren Kodex mehr haben,
-
wie wir eigentlich handeln wollen.
Herausforderungen an
-
das Management, und
dann bin ich auch gleich am Ende. Es geht
-
natürlich darum, internen Missbrauch zu
verhindern. Dass diejenigen, die das Ganze
-
einstellen, so einstellen, dass es, ja,
verträglich ist. Ist vielleicht ein sehr
-
starkes Wort. Ja, und natürlich externe
Angriffe, Hackerangriffe, Datenlecks etc.
-
Auch damit muss umgegangen werden. Und es
muss natürlich eine völlig neue
-
Gesetzesgrundlage geschaffen werden, dass
das Sozialkreditsystem
-
transparent wird. Das ist auch ein
großes Problem
-
derzeit. Dieser Algorithmus
ist in seiner Tiefe überhaupt nicht
-
durchschaubar. Es ist, den Leuten ist
nicht bekannt, warum sie den Punktestand
-
haben, den sie haben. Ja, in diesem Sinne
denke ich, wir haben einiges, über das wir
-
sprechen können. Es sei an dieser Stelle
noch ganz kurz ein Video empfohlen. Und
-
zwar wie gesagt, mir ist klar, dass wir
jetzt, dass ich hier ziemlich
-
durchgaloppiert bin. Aber es gibt ein
wunderbares Video von Antonia Hmaidi von
-
der Universität Duisburg, auch auf
YouTube. Die war vor 3 Jahren an dieser
-
Stelle hier und hat ein Video über das
Sozialkreditsystem erstellen lassen und
-
hat da eben noch mal sehr ausführlich
drüber gesprochen. Also herzliche
-
Empfehlung. Oder wer gerne liest, wie
gesagt, diese nette kleine Broschüre hier,
-
die ich geschrieben habe mit
redaktioneller Begleitung von Katrin
-
Schwahlen im Art d'Ameublement-Verlag,
möchte ich an dieser Stelle auch herzlich
-
empfehlen. So. Ja, vielen Dank erstmal
soweit.
-
Katrin: Dankeschön, Kolja. Aber das klingt
ja schon auch ziemlich gruselig. Du hast
-
zwar gesagt, es gibt Datenschutz in China.
Gibt es denn auch sowas wie eine
-
Bürger*innenbewegung?
Kolja: Nichts, was wirklich so mächtig
-
ist, dass es Dinge verändern kann. Weil
die, die Unzufriedenheit im Volk, die ist
-
da. Die ist auch lange da. Es gibt jeden
Tag hunderte Demonstrationen, die
-
natürlich unangekündigt sind, weil sie
sonst nicht gestattet werden, und
-
Ähnliches. Die meisten kriegen wir hier
gar nicht mit. Also die Unzufriedenheit
-
ist da, aber es wird natürlich alles
sofort, ja, zerschlagen, wenn man so will.
-
Katrin: Okay, Sozialkreditsystem, also
dieser Begriff hat mich am Anfang ein
-
bisschen verwirrt, weil sozial hört sich
erst mal gut an, Kredit , na ja, geht
-
irgendwie so. Ist das gleichbedeutend mit
Bonitätssystemen, wie wir sie hier in
-
Deutschland haben? Das wäre meine Frage an
dich, Thilo. Bonitätssysteme wie
-
beispielsweise die Schufa oder andere
Auskunftsdateien, wie unterscheiden die
-
sich vom chinesischen Sozialkreditsystem?
Kann man das so einfach auf den Punkt
-
bringen?
Thilo: Also es gibt eine ganze Menge von
-
Ähnlichkeiten, aber es gibt auch einige
Unterschiede und auf die kommt es dann
-
tatsächlich auch an. Aber vorneweg muss
ich erst mal auch eine Information geben.
-
Ich war 2017 in Shanghai auf Einladung von
der Friedrich-Ebert-Stiftung. Und dort
-
wurde ich eingeladen, um eben über die
Schufa und über andere
-
Kreditsbonitätssysteme zu referieren und
eben auch den Vergleich mit den
-
chinesischen Systemen zu machen. Da ging
es insbesondere auch um die Frage, wie
-
weit kann in China Akzeptanz geschaffen
werden für ein System, was in Deutschland
-
mehr oder weniger akzeptiert ist? Und
insofern habe ich auch so ein bisschen
-
jetzt auch Einblick nehmen können vor Ort.
Das was aber publiziert wird, das geht
-
weit über das hinaus, was ich tatsächlich
dann dort offengelegt bekommen habe. Ich
-
durfte mir zwar die Computer anschauen und
die Räumlichkeiten, in denen das Ganze
-
untergebracht ist. Aber wenn es dann
wirklich darum ging, wirklich harte Fakten
-
nachzufragen, da ist dann meistens
gemauert worden. Es gibt einen riesigen
-
Unterschied, und zwar den, der hat sich
auch bei diesen Vorträgen und Diskussionen
-
herausgeschält. Ich habe immer wieder das
Wort Bürgerrechte, Menschenrechte in den
-
Mund genommen und darauf gab es keinerlei
Resonanz. Wir haben Menschenrechte, wir
-
haben Bürgerrechte, die sind weltweit auch
garantiert. Und zu denen gehört auch das
-
Recht auf Privatsphäre oder jetzt in
modernerer Form eben das Grundrecht auf
-
Datenschutz in der Europäischen
Grundrechtecharta oder dann auch vom
-
Verfassungsgericht in der deutschen
Verfassung abgeleitet. Also das ist ganz
-
zentral. Ein weiterer Punkt ist, dass
diese Grundrechte eben auch einklagbar
-
sind. Das heißt also, man kann vor Gericht
eben auch einfordern, dass die eingehalten
-
werden. Und das ist zwar in China auch
teilweise möglich, Kolja hat schon darauf
-
hingewiesen, dass es Datenschutzgesetze
gibt. Die werden auch von Gerichten
-
überprüft. Die werden aber natürlich nicht
überprüft, wenn die Polizei diese Daten
-
nutzt und sie werden erst recht nicht
überprüft auf das, was im Bild das
-
Relevante ist, auf die Vorgaben, die durch
die Kommunistische Partei gemacht werden.
-
Also das heißt, was die Kommunistische
Partei an Vorgaben macht und welche Daten
-
abgefragt werden oder wie die Daten auf
Befehl der Kommunistischen Partei
-
ausgewertet werden, das ist ein absolutes
Tabu. Und dann haben wir natürlich die
-
Regelung, die dann auch aus unserer
Verfassung abgeleitet wird, die in
-
Grundrechtecharta drin steht. Wir haben
die Zweckbindung. Das heißt, Daten dürfen
-
grundsätzlich nur für den Zweck genutzt
werden, für den sie erhoben worden sind.
-
Und wenn sie für einen anderen Zweck
verwendet werden, dann bedarf es dafür
-
einer angemessenen gesetzlichen Grundlage,
die als Legitimation für diese Nutzung
-
eben dann auch verwendet wird. Und das ist
natürlich dann schon etwas, was eigentlich
-
dann den Austausch zwischen Polizeidaten,
Straßenverkehrsdaten, Bonitätsdaten,
-
Konsumdaten, und Familiendaten, und wer
weiß was, eigentlich verbietet. Aber, und
-
da ist dann wieder das Problem, wir haben
auch in Deutschland viele Regelungen, die
-
eben Netzwerkaufhebung auch erlauben. Und
da muss man sich dann eben genau angucken,
-
welche anderen Zwecke sind erlaubt. Das
Verfassungsgericht, der Europäische
-
Gerichtshof sind da relativ eng. Die
sagen, es muss nicht nur eine klare
-
gesetzliche Grundlage geben, sondern es
müssen auch verfahrensrechtliche
-
Vorkehrungen vorgesehen werden. Und was
Kolja auch schon beschrieben hat, was in
-
China fehlt: Transparenz. Das wird sowohl
vom EuGH als auch vom
-
Bundesverfassungsgericht immer wieder
eingefordert. Eben, dass die Betroffenen
-
sich einschätzen, oder dass sie
einschätzen können, was mit ihren Daten
-
passiert und welche Folgen aus ganz
bestimmten Daten folgen, sich ergeben
-
können. Also ich denke, da gibt es einen
Riesenunterschied. Was aber trotzdem
-
natürlich auch in Europa, in Deutschland
existiert: Wir haben künstliche
-
Intelligenz, wir haben Algorithmen und
diese Algorithmen sind bisher sehr
-
intransparent. Der Bundesgerichtshof hat
eine Entscheidung zum Scoring Verfahren
-
bei der Schufa getroffen, wo der Schufa
zugestanden wird, ihr Score Verfahren,
-
also ihr Algorithmus als Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse gegenüber den
-
Betroffenen geheim halten zu können. Das
hat zur Folge, dass selbst
-
Aufsichtsbehörden - ich war damals noch
Chef einer Aufsichtsbehörde und habe das
-
versucht irgendwo transparent zu machen,
dass es selbst uns untersagt war, eben in
-
diese Algorithmen reinzuschauen bzw. die
zu kontrollieren und die zu hinterfragen.
-
Ob sich das jetzt in Zukunft ändert, wird
sich zeigen. Die Europäische Kommission
-
hat einen Vorschlag für eine KI-Richtlinie
gemacht. Also eine Richtlinie zur
-
künstlichen Intelligenz, die natürlich bei
der, in diesem ganzen Scoring Verfahren
-
zum Einsatz kommt. Und dort ist
vorgesehen, dass Transparenz geschaffen
-
wird, dass also dann künstliche
Intelligenz Einsatz zum Beispiel in der
-
Werbung als weniger problematisch
angesehen wird, wie eben jetzt der Einsatz
-
von künstlicher Intelligenz bei der
Polizei oder bei Bonitätsbewertung. Auch
-
Bonitätsbewertung, also die Bewertung der
Zahlungsfähigkeit und
-
Zahlungsbereitschaft, ist also ein ganz
zentraler Punkt auch von diesem
-
Richtlinienvorschlag. Die werden also
relativ hoch eingestuft. Aber dann auch
-
alle Verfahren, wo künstliche Intelligenz
zum Einsatz kommt und wo es dann, ja,
-
existenzielle Folgen für die Betroffenen
haben könnte. Und das ist ja in China
-
umfassend so. Also das, was der
Algorithmus auswirft, das ist bestimmend
-
für unser Leben, oder für das Leben der
Chinesen. Das ist aber natürlich auch bei
-
dem Schufa Score, bei anderen Scoring
Verfahren der Fall. Und wenn ich einen
-
schlechten Schufa Score habe und der ist
nicht hinreichend transparent,
-
dann kann es bedeuten, dass ich
meinen Beruf nicht bekomme,
-
dass ich nen Telekommunikations-
vertrag nicht bekomme,
-
dass ich auf jeden Fall keinen
Kredit bekomme,
-
dass ich nicht online einkaufen
kann. Also es gibt eine Vielzahl von
-
Konsequenzen, die wir auch in Deutschland
haben. Also insofern ist es also
-
tatsächlich auch ein riesiges Problem. Und
wir haben natürlich auch in Europa und in
-
Deutschland die Begehrlichkeiten, die auch
in China existieren, die hier durch die
-
Gerichte gebremst werden, auch durch die
Datenschutzbehörden, nur teilweise
-
gebremst werden. Und diese
Begehrlichkeiten gehen weit über das
-
hinaus, was von den Gerichten akzeptiert
wird. Wir haben zum Beispiel ein
-
Bonitätsverfahren von einem polnischen
Firma - in Deutschland wurde es nicht
-
etabliert, weil eben der Widerstand so
groß ist - dass eben nicht nur Daten aus
-
dem Finanzgebaren von einem Menschen
analysiert, sondern zum Beispiel auch die
-
Internetaktivitäten auswertet und daraus
Rückschlüsse zieht auf die Bonität. Oder
-
dann auch die Schufa. Die schließt aus der
Wohngegend zurück auf die Bonität. Das
-
heißt, wenn ich also Nachbarn habe, die
schlecht beleumundet sind, die ihre
-
Kredite nicht zurückbezahlen, dann wird
unterstellt, dass ich als Nachbar
-
sozusagen eben auch meine Kredite nicht
zurückbezahle. Wenn keine sonstige
-
Information vorhanden ist. Das hat zum
Beispiel zur Folge gehabt, dass ich erst
-
mal, als ich in einer anderen Gegend
gewohnt habe, nega, einen absolut
-
schlechten Score gehabt habe bei der
Schufa. Das hat sich jetzt geändert,
-
nachdem ich in Kiel in die Innenstadt
gezogen bin. Also auch da zeigt sich, dass
-
das Problem immer noch existiert, dass wir
das Problem in der Transparenz haben, dass
-
wir eben auch in einer absolut, ja, im
wahrsten Sinne des Wortes auch im Neuland
-
uns befinden. Weil eben solche Firmen wie
die Schufa, wie Infoscore, wie
-
Creditreform und viele anderen, Universum,
also diese ganzen
-
Bonitätsbewertungsfirmen, sich die Daten
aus allen möglichen Quellen
-
zusammenzusuchen versuchen. Und die Schufa
zum Beispiel ist immer wieder berühmt und
-
berüchtigt dadurch geworden, dass sie eben
Daten aus definitiv illegitimen Quellen zu
-
schöpfen versucht hat. Und da gab es dann
aber öffentlich Widerstand. Den gibt es
-
eben nur ganz verhalten in China. Und
dieser Widerstand ist im Prinzip das
-
Wesentliche, um eben solche Auswüchse von
Algorithmennutzung und von solchen
-
Bonitätsverfahren zu verhindern.
Katrin: Danke Thilo, das war schon mal ein
-
ziemlich großer Einblick. Wobei es ja hier
in Deutschland nicht nur so ist, dass
-
bonitätsbezogene Daten abgefragt werden,
sondern wir haben ja auch noch viele
-
andere Formen von Überwachung aufgrund von
KI. Sei es die Vorratsdatenspeicherung,
-
sei es die Gesichtserkennung, also die
Kameras beispielsweise am Berliner Bahnhof
-
Südkreuz, Staatstrojaner,
Telekommunikationsüberwachung. Padeluun,
-
wie ist es deiner Einschätzung nach
möglich oder unmöglich, so chinesische
-
Bonitäts- oder Überwachungssysteme als
Ganzes oder in Einzelteilen in Deutschland
-
umzusetzen?
padeluun: Na ja, ich hoffe, dass das nicht
-
möglich ist - Gelächter - und das hoffe
ich, hoffen wir alle anderen auch. Aber
-
ich glaube, diese Hoffnung wird versucht,
immer wieder zu unterlaufen. Also es gibt
-
eine Menge Leute, auch in Deutschland, die
sich überhaupt kein Problem damit haben,
-
dass alle anderen drangsaliert werden.
Hauptsache ihnen geht es gut. Dass das
-
natürlich nicht funktioniert, sondern sie
dann auch selber auch drangsaliert werden,
-
das erschließt sich ihnen nicht. Also die
Psychologie, die hinter diesen ganzen
-
Überwachungen steckt, die finde ich super
interessant. Und ich hoffe eigentlich
-
immer mal, dass bei einer psychologischen
Fakultät einfach auch mal überlegt wird,
-
was führt eigentlich dazu, dass Menschen
sowas mit sich machen lassen? Wie kommt
-
es, dass sie sagen, das sei eine gute
Geschichte? Oder es ist schon richtig,
-
wenn der Nachbar mal gezeigt geht, wo es
lang geht und so. Und da mag ich mal eine
-
Polizistin zitieren, die ich in einem
Seminar hatte, das ich gab. Sie sagte:
-
"Na ja, da kommen die Leute und sagen wir
möchten gerne, dass vor dem Kindergarten
-
mehr Geschwindigkeit überwacht wird. Weil
die fahren da alle viel zu schnell.
-
Und sind dann super entsetzt, dass sie
selber diejenigen sind, die in die
-
Geschwindigkeitskontrollen ausgewunken
werden, weil sie die Leute sind, die ihre
-
Kinder mit zu hohem Tempo zum Kindergarten
bringen. Und ich will jetzt nicht dafür
-
plädieren, dass man vor Kindergärten rasen
soll. Aber sich wirklich Gedanken zu
-
machen, wie schaffen wir es, möglichst
unsere Nachbarn, sozusagen seinen
-
kranken Nachbarn auch dazu zu bringen,
sich eben tatsächlich für eine,
-
für Freiheit einzusetzen?
Und da meine ich nicht die
-
Freiheit auf der Straße rumzukrakelen,
nach dem Motto, ich will aber nicht
-
erwachsen werden. Sondern eher im Sinne
von, ich bin ein erwachsener Mensch, ich
-
brauche nicht überwacht werden. Ich mache
auch nichts Böses. Ich lasse mir meine
-
Fingerabdrücke nicht abnehmen. Ich möchte
nicht in einem Bonitätssystem rum agieren
-
und mache da dran auch nicht mit. Und auch
ab wann Leute wieder anfangen zu
-
begreifen, dass das eben eine politische
Forderung ist, die ich auch politisch
-
versuchen muss durchzusetzen. Und
durchsetzen kann ich das nur, wenn ich
-
meinen Bundestagsabgeordneten, meinen
Parlamentariern den Rücken stärke und,
-
also man nennt das auch manchmal sie unter
Druck setzen, aber das finde ich gar nicht
-
das richtige Wort. Sondern einfach auch
mit den Leuten diskutieren und eben sagen,
-
wenn schon wieder mal einer eurer
Innenpolitiker*innen, kann man ja
-
mittlerweile sagen, ankommt und sagt, wir
wollen jetzt gerne weiter mehr
-
Überwachung, mehr Sicherheit, das dann
wirklich zu hinterfragen und zu fragen,
-
was da los ist. Also ich habe zum Beispiel
rausgefunden, dass das meiste, was in den
-
letzten 30 Jahren, in denen ich in dem
Thema auch von innerer Sicherheit arbeite
-
und dauernd mit irgendwelchen unsinnigen
Forderungen von Politikern zu tun hat, was
-
sie alles sicherer machen wollen,
eigentlich nur so Sicherheitstheater
-
gemacht wurde. Weil das eben ganz
wunderbar im Wahlkampf funktioniert, den
-
Leuten mehr Sicherheit zu versprechen,
obwohl wir in einem der sichersten Länder
-
der Erde sitzen. Was aber tatsächlich
nicht gemacht wurde, da wo es um echte
-
Sicherheit geht, nämlich z.B.
Gesundheitsämter so auszustatten, dass bei
-
einer Globalisierung die zu erwartende
Pandemie gut bekämpft werden kann im
-
Ansatz. Das ist nicht geschehen. Also wir
haben die ganze Zeit damit zu tun, dass
-
uns billige Sachen, die recht einfach
sind, wie, wir bauen einfach mal überall
-
Überwachungskameras hin und kassieren pro
Standleitung 850 Euro im Monat, weil dann
-
können wir viel Steuergelder in private
Kassen umlenken. Das funktioniert. Aber
-
Gesundheitsämter auszustaffieren mit einer
notwendigen IT, mit einem Konzept, auch
-
mit einer STIKO, die genügend Leute hat,
um Entscheidungen treffen zu können. Das
-
wird halt nicht gemacht. Das ist halt
komplizierter. Das ist halt nicht so
-
einfach. Und ich glaube, da müssen wir als
Bevölkerung wirklich uns überlegen, wie
-
wir dafür sorgen, politisch entsprechend
zu agieren. Klar, eine der Möglichkeiten
-
ist es, Organisationen zu gründen, die da
dran arbeiten. Ich habe so etwas
-
mitgemacht, also Digitalcourage ist eine
der Organisationen, die sich darum
-
kümmert. Und wenn ich jetzt selber dafür
keine Zeit habe, weil ich doch lieber
-
meinem anderen Job nachgehe, der mir mehr
Spaß macht, dann muss ich halt solche
-
Organisation unterstützen. Was mich aber
nicht davon entbindet, mindestens einmal
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im Monat etwas zu tun, was politisch
notwendig is und sei es auch nur mal zu
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einer Veranstaltung zu gehen, die meine
Bundestagsabgeordnete oder mein
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Bundestagsabgeordneter in meiner Stadt
veranstaltet, um dort zuzuhören und
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vielleicht auch mich dort einzubringen.
Katrin: Danke padeluun, das war wirklich
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ein guter Aufruf und ich möchte an dieser
Stelle an Kitty weitergeben, die nämlich
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über den Chat und die sozialen Medien
schon ganz, ganz viele Fragen gesammelt
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hat. Das heißt, das Thema ist wirklich ein
sehr bewegendes Thema, Kitty.
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Herald: Erst mal vielen, vielen lieben
Dank. Extrem spannend. Ich denke, das
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interessiert ja wirklich alle extremst
deswegen es gibt sehr, sehr viele Fragen.
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Wir fangen gleich an. Wie stark sind die
Auswirkungen auf Nicht-Chinesische
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Unternehmen oder z.B. auch Universitäten?
Kolja: Ja, das nehme ich einfach mal auf
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meine Kappe. Alle Unternehmen, alle
Individuen, die im chinesischen Raum
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leben, also im Festland chinesischen Raum,
in der Volksrepublik, sind davon
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betroffen. Lange war überlegt worden oder
es war zumindest nicht kommuniziert
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worden, ob sozusagen auch Nicht-Chinesen,
also Ausländer sozusagen aus chinesischer
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Sicht einen Punktestand bekommen sollen
und eben entsprechende Sanktionen, die
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damit verbunden sind und man hat
inzwischen festgestellt, ja, natürlich,
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wer sich auf chinesischem Grund befindet,
ist mit in diesem System drin. Und das
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gilt auch für Unternehmen.
Herald: Wie ist das für Chinesen, die im
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Ausland wohnen?
Kolja: Soweit ich weiß, sind die davon nur
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betroffen, wenn eben Daten im
chinesischen Land, in der Volksrepublik
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gesammelt werden.
Thilo: Die Möglichkeit überhaupt ins
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Ausland zu reisen, wird auch teilweise
abhängig gemacht vom Social Score.
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D.h. es ist z.Z. unheimlich schwierig
dann im Ausland Daten zu erheben, soweit
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die chinesischen Geheimdienste oder
irgendwelche anderen Institutionen eben
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nicht an die Daten rankommen. Aber das,
was vorhanden ist, das wird definitiv
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ausgewertet. Und solange die in China
sind, ist das natürlich ein ganz
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relevanter Aspekt, um überhaupt ins
Ausland reisen zu können. Sogar schon
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innerchinesische Reisen werden davon
abhängig gemacht, ob eben einen guten
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Score hat oder nicht.
Herald: Wie wird das System von der
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chinesischen Bevölkerung aufgenommen?
Kolja: Am Anfang war es so, dass erstmal
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überhaupt keine Daten da waren, also
zumindest wurden keine Daten rausgelassen.
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Dann war es so, dass festgestellt wurde,
dass ungefähr 80% der befragten
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Chinesinnen und Chinesen
das System für gut befanden.
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Das mag erst mal überraschend sein.
Andererseits, ich habe
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nicht genau vor Augen, wie viele
Teilnehmerinnen und Teilnehmer
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es an diesem System gibt. Im
Vergleich zu wie viele Leute tatsächlich
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mitgemacht haben bei dieser Umfrage. Genia
Kostka, ich hoffe ich habe den Namen
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richtig ausgesprochen, die hat dazu mal
eine Untersuchung gemacht, die sehr
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aussagekräftig ist. Hat aber auch gesagt,
dass natürlich diejenigen, die im System
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sind, die vielleicht auch nicht ganz
ehrlich sind, weil sie wissen, wenn sie
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sich kritisch äußern, gibt es Minuspunkte.
Herald: Das heißt, gibt es dann eine
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Gegenbewegung oder eher gar nicht?
Kolja: Es gibt auf jeden Fall diejenigen,
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die sich versuchen dagegen zu wehren. Es
gibt sogenannte schwarze Listen.
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Das sind diejenigen, die Zahlungen
nicht nachgegangen sind oder
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sonstige Dinge gemacht haben, um
eben auf diese schwarze Liste
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zu kommen. Und die versuchen dagegen
vorzugehen, weil bisher es so war,
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dass, wer einmal auf der schwarzen
Liste stand, nicht wieder von
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dieser schwarzen Liste runterkam. Wer auf
der schwarzen Liste stand, aber
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sämtliche Sanktionen zu
befürchten hatte. Ja und da dann
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wieder runterzukommen, da versuchen
die Leute sich dann eben zu engagieren.
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Herald: Das ist tatsächlich gleich die
nächste Frage. Gibt es denn die
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Möglichkeit, das System irgendwie
zu hacken? Oder kann man Geld
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dafür zahlen, dass man bessere Punkte
bekommt? Wie würde sowas gehen?
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Kolja: Das ist auch eine große Frage, mit
dem sich das Management
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auseinandersetzen muss. Da gibt's schon
Nachrichten drüber und immer wieder neue
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Skandale, dass da die entsprechenden
Polizeistellen, wo Daten aufgenommen
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werden, wo Daten verarbeitet werden,
Stichwort Korruption, entsprechende
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Leistungen in Anspruch genommen haben,
um dann Punkte zu verteilen. Ja, das wird
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definitiv auch was sein, womit sich das
Management auseinandersetzen muss.
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Herald: Okay. Gibt es Informationen wie
die Mitarbeiter der Firmen,
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die so was umsetzen oder
das System entwickeln, dazu stehen?
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Kolja: Ich weiß von einigen ganz
großen Köpfen die sagen,
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na ja, es ist ein Dienst
am Volk, natürlich, wenn das Volk
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vertrauensvoll ist, wenn man weiß, mit wem
man es zu tun hat, mit wem man sich
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einlässt, dann profitieren davon alle,
weil natürlich auch alle gemeinsam dann zu
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einer sicheren, guten Gesellschaft
beitragen. Aber ja, viele werden da
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garantiert auch nicht angehört.
Herald: Seht ihr denn irgendwas Positives
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an dem System? Könnt ihr dem irgendwas
abgewinnen wo ihr sagt, es hat zwar seine
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Schwächen, aber es hat auch was positives?
lacht
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Thilo: Also vielleicht darf ich, kann ich
noch was ergänzen zu dem, was Kolja gesagt
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hat zur Akzeptanz in der chinesischen
Bevölkerung.
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Kolja: Sehr gerne.
Thilo: Bei der Diskussion mit den
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Chinesen, das waren natürlich
Universitätsprofessoren oder Justizbeamte
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und Ähnliches, wurde uns dann auch immer
vorgehalten: "Ja, ihr in Europa, ihr habt
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eine völlig andere Kultur. Wir leben mit
Konfuzius, ihr lebt mit irgendwelchen
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Bürgerrechten oder ihr habt eine
Aufklärung gehabt. Die haben wir in ganz
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anderer Form gehabt. Wir sind viel
kollektivistischer aufgestellt wie ihr.
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Ihr seid totale Individualisten. Und bei
euch", das war das Hauptargument, "in
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Europa oder in Deutschland. Da halten sich
die Leute freiwillig an die Regeln.
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Während wir in China wir müssen das eben
mit Kontrolle und Überwachung eben dann
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auch verifizieren bzw. steuern". Inwieweit
das zutrifft, ist natürlich schwierig zu
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überprüfen, solange man den Chinesen keine
Freiheiten gibt und dass eben so ein
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Freiheitsbedürfnis auch in China möglich
ist, zeigt ja gerade Hongkong. Und es ist
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grad spannend eben zu sehen, wie die
Chinesische Volksrepublik Regierung eben
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wirklich auch eben die Datenverarbeitung
und die systemische Überwachung der
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Bevölkerung in Hongkong übernimmt und
wirklich da im Prinzip die gleichen
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Systeme etabliert wie in der
Volksrepublik. Also ich denke, dass die
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Bevölkerung in Hongkong eben mit
Freiheitsrechten sehr gut umging, solange
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sie eben die Möglichkeit hatte, die auch
auszuleben.
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Herald: Okay, kann denn der eigene
Punktestand auch abgefragt werden?
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Ist es wie bei der Schufa, wo man
wenigstens 1x im Jahr nachschauen kann
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oder ist es einfach so, man probiert
zu fliegen, geht's doch nicht.
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Kolja: Ja, man kann das abfragen. Ich
glaube sogar, man kann das tagesaktuell
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abfragen. Das Problem ist allerdings, man
kann es nicht nur selber abfragen, sondern
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auch alle anderen. Bei Unternehmen ist das
vielleicht noch verständlich, weil man
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dann weiß ah ist das ein Fake Unternehmen.
Wenn ich jetzt irgendwas online kaufe,
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sehe ich das Produkt wirklich was ich
kaufe dann demnächst bei mir zu Hause.
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Aber bei Individuuen wird es natürlich
schwierig. Die Leute prahlen im Internet
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mit ihren Kontoständen. Aber diejenigen,
die einen etwas geringeren Score haben,
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warum auch immer, das muss ja nicht immer
selbstverschuldet sein, sondern das kann
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ja auch fremverschuldet sein. Das ist ein
wichtiger Punkt. Da wird's dann schwierig.
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Herald: Ok.
Thilo: Ein großes Problem gibt's
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natürlich dort, wo eben Mitarbeiter von
deutschen Firmen in China
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bewertet werden und dann die
deutschen Unternehmen eben
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das dann auch zur Grundlage nehmen. Ich
weiß nicht, Kolja, hast du da irgendwelche
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Erfahrungen, ob es da irgendwelche
Kooperation oder irgendwelche
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Datenauswertung von den deutschen Firmen
gibt? Das wäre spannend. Auf jeden Fall.
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Also akzeptieren die deutschen Firmen die
Gesetze in China und nehmen das problemlos
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hin, dass Uiguren verfolgt werden, obwohl
eben deutsche Investitionen im Nordwesten
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von China eben dann stattfinden. Und es
wäre natürlich schon auch wichtig zu
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wissen für die deutschen Unternehmen, was
mit ihren eigenen Mitarbeitern passiert.
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Da gibt es auch eine gewisse
Fürsorgepflicht.
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Kolja: Ja, ja genau, wenn ich ergänzen
darf. Genaue Zahlen sind mir nicht
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bekannt, aber genau es ist wirklich so,
dass gerade die deutschen Unternehmen, die
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entweder schon sehr lange da sind, dass
die natürlich jetzt das System
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übergestülpt bekommen und jetzt gucken
müssen, wie sie klarkommen und dann
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natürlich auch um ihre Lizenzen fürchten
müssen, wenn sie sich entsprechend anders
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verhalten, als es gewünscht ist. Oder eben
diejenigen, die jetzt neu nach China
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kommen, die sagen der Markt ist so groß,
wir müssen irgendwie damit klarkommen. Und
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du hast vollkommen recht Thilo, da wird
vieles abgenickt, wo hier in Deutschland
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vielleicht nur hinter verhaltener, hinter
vorgehaltener Hand gesagt wird, dass das,
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das es ja so eigentlich nicht geht. Also
schwierig ja.
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Herald: Macht das dann bei den nicht-
chinesischen Menschen, die mit abgefragt
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werden, einen Unterschied, aus welchem
Land sie kommen? Werden Deutsche da z.B.
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anderst abgefragt als Amerikaner?
Kolja: Das ist eine sehr gute Frage, da
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kann ich leider nichts zu sagen, da habe
ich keine Informationen.
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Herald: Ok, entschuldigung an die
Signalleute. Die Frage ist leider nicht zu
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beantworten. Wie ist das denn mit
Parteifunktionären oder höheren Menschen
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im chinesischen Government dort?
Werden die auch eingestuft?
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Kolja: Auch so eine gute Frage, ja. Also
man weiß z.B. nicht, ob Xi Jinping
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auch einen Punktestand hat, der
Staatspräsident von China. Natürlich, wenn
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so was gefragt wird, dann wird immer
gesagt "Na ja, wir sind Menschen des
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Volkes und wir verstehen natürlich das
Volk" und so. Aber mir ist nicht bekannt,
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ob Xi Jinping z.B oder andere
Parteifunktionäre einen eigenen
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Punktestand haben. Müsste ja eigentlich so
sein.
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Thilo: Also was die Parteimitgliedschaft
angeht, das ist relativ klar, wie das
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gehandhabt sein dürfte, wissen es also
nicht genau. Aber wer Parteimitglied ist,
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das ist natürlich erst mal viele
Positivpunkte und Fehlverhalten jetzt von
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solchen Parteimitgliedern wird von der
oberen Schicht ja auch voll gedeckt wie
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wir es jetzt bei der Tennisspielerin
erlebt haben, wo es dann sogar
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internationale Auseinandersetzungen
gegeben hat. Also ich vermute mal, dass so
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was dann über den Algorithmus schon
irgendwie alles abgedämpft wird und so
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gewährleistet bleibt, dass also die
Parteimitglieder und die Funktionäre, dass
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die da gut wegkommen.
padeluun: Also das würde ja auch bedeuten,
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dass der Score von ihm nicht abgefragt
werden kann, wenn wir gerade gehört haben,
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dass eigentlich jeder diesen Score
abfragen kann. Das ist ja schon mal eine
-
Aussage, also eine Unterschiedlichkeit.
Ich habe es tatsächlich noch nicht
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probiert. Es kann natürlich sein, dass
jeder Score abfragbar ist, aber aufgrund
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enormer Verdienste für das gesamte
chinesische Volk so viele Pluspunkte
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verteilt werden sag ich jetzt mal, ja,
keine Ahnung, aber wäre ja durchaus
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denkbar. Ja, dass man da schon im
Vornherein
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sehr im Plus ist.
Herald: Ich hab' jetzt noch eine letzte
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Frage: Fühlen sich dann in China
möglicherweise die Staatsbediensteten
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dadurch angehalten, etwas freundlicher zu
sein oder vielleicht vorsichtiger
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vorzugehen, weil sie Sorge haben, einen
schlechteren Score zu bekommen?
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Gibt es so eine Möglichkeit? Kann man sich
das Szenario vorstellen?
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Kolja: Ich denke, im Einzelfall, in
Einzelfällen wird es bestimmt
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der Fall sein. Es gab schon
mehrere Interviews von
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Leuten, die gesagt haben wir achten in
unserer Kommune nur auf die Punkte und
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halten uns auch gegenseitig dazu an,
möglichst uns entsprechend zu verhalten.
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Aber natürlich, wie immer wird es diese
Einzelfälle geben und andere Einzelfälle.
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Und ja, also ich glaube nicht, dass das,
das das den Menschenverstand und die Moral
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und einfach eine gute Erziehung ersetzen
kann.
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Katrin: Okay, so leid es mir tut, weil die
Diskussion sehr sehr spannend ist, unsere
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Zeit ist leider um. Ganz, ganz herzlichen
Dank an Euch, Kolja, padeluun und Tilo.
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Ich hoffe, das Zuhören und das
Mitdiskutieren hat allen großen Spaß
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gemacht und ich geb nochmal zurück an
Kitty. Auch an dich Kitty, vielen vielen
-
Dank für deinen Support und die Fragen.
Tschüss und bis zum nächsten Mal.
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Herald: Dankeschön.
Thilo: Tschüss.
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Kolja: Bis dahin.
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RC3 Abspannmusik
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