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35C3 - "Das ist mir nicht erinnerlich." − Der NSU-Komplex heute

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    35C3-Vorspannmusik
  • 0:19 - 0:22
    Herald: Herzlich willkommen zu unserem
    nächsten Talk: "Das ist mir nicht
  • 0:22 - 0:29
    erinnerlich, der NSU-Komplex heute." Es
    gab einiges an Auseinandersetzung um die
  • 0:29 - 0:35
    Morde des Nationalsozialistischen
    Untergrunds und auch den Prozess dazu.
  • 0:35 - 0:39
    Aber es sind trotzdem ziemlich viele
    Fragen nicht gestellt worden und es gibt
  • 0:39 - 0:42
    vor allem auch ziemlich viele Leute, die
    eigentlich die Antworten gar nicht hören
  • 0:42 - 0:46
    wollen. Und darum geht es jetzt am
    nächsten Talk. Caro Keller ist hier, das
  • 0:46 - 0:50
    ist unsere Speakerin. Sie ist auch aktiv
    bei NSU-Watch und sie beschäftigt sich in
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    diesem Talk mit der Frage: Was jetzt?
    Bitte einen sehr herzlichen Applaus für
  • 0:54 - 0:55
    Caro und viel Spaß.
  • 0:55 - 0:56
    Applaus
  • 0:56 - 1:08
    Caro Keller: Ja vielen Dank. Hallo auch
    von mir, ich bin wie gesagt Caro Keller
  • 1:08 - 1:16
    von NSU-Watch. NSU-Watch ist ein
    bundesweites antifaschistisches Bündnis,
  • 1:16 - 1:23
    Uns gibt es so seit 2012 und zwar im
    Nachgang des Bekanntwerden des
  • 1:23 - 1:28
    Nationalsozialistischen Untergrunds. Wir
    gucken uns gleich auch nochmal natürlich an, was das ist,
  • 1:28 - 1:35
    so für unsere Erinnerung. 2011, als eben
    bekannt wurde, dass es den NSU gab, haben
  • 1:35 - 1:41
    sich bundesweit Antifaschisten,
    Antifaschistinnen zusammengetan, haben in
  • 1:41 - 1:47
    ihren Erinnerungen und in ihren Archiven
    alles zusammengetragen, was man finden
  • 1:47 - 1:55
    konnte zu dem Zeitpunkt über diese Neonazi-
    Gruppierung, Neonazi-Terrorgruppierung. Und
  • 1:55 - 2:01
    dieses Bündnis hat sich dann eben
    verstetigt, als dann klar wurde: Es wird
  • 2:01 - 2:05
    eben auch Untersuchungsausschüsse und ein
    Prozess oder mehrere Prozesse zu dem Thema
  • 2:05 - 2:13
    geben und es dann klar war: Es gibt keine
    offiziellen Protokolle, beispielsweise in
  • 2:13 - 2:19
    diesem großen Prozess, der 2012 noch in der
    Zukunft lag. Und deswegen haben wir uns
  • 2:19 - 2:27
    eben überlegt, eine Säule unserer Arbeit soll
    sein, jeden Tag diesen Prozess in München
  • 2:27 - 2:33
    zu begleiten und da Protokolle zu
    erstellen. Und das ist eben das bundesweite
  • 2:33 - 2:39
    antifaschistische Netzwerk, was es bis
    heute gibt. Und inzwischen sind wir am
  • 2:39 - 2:44
    anderen Ende des Prozesses angelangt. Das
    heißt der NSU-Prozess in München, der ist
  • 2:44 - 2:50
    in diesem Jahr im Juli zu Ende gegangen.
    Aber schauen wir doch noch einmal schnell,
  • 2:50 - 2:59
    was da 2011 bekannt wurde. Nämlich: Es hat
    sich herausgestellt, dass eine vorher unter
  • 2:59 - 3:05
    anderem Namen bekannte Mordserie, eine
    rassistische Mordserie, durchgeführt von
  • 3:05 - 3:11
    Neonazis war. Nämlich die Mordserie an
    9 Menschen mit migrantischem
  • 3:11 - 3:15
    Hintergrund und einer deutschen
    Polizistin sowie 3
  • 3:15 - 3:22
    Sprengstoffanschläge und 15
    Banküberfälle. Vor 2011 wurde nicht in
  • 3:22 - 3:29
    Richtung rechtes Motiv wirklich ermittelt, sondern
    es wurde gegen die Betroffenen, gegen die
  • 3:29 - 3:34
    Opfer, gegen die Familien, gegen die
    Überlebenden ermittelt. Aber dazu später
  • 3:34 - 3:41
    mehr. Das ist das, was auch in München vor
    Gericht verhandelt wurde und das, was 2011
  • 3:41 - 3:47
    bekannt wurde. Wir sprechen aber eben
    nicht nur von NSU, sondern von NSU-Komplex.
  • 3:47 - 3:54
    Und warum das so ist, das möchte ich in dem
    Vortrag auch zeigen. Weil es nämlich nicht
  • 3:54 - 3:59
    nur diese Mordserie war, nicht nur
    Neonazis, die die durchgeführt hat, sondern weil
  • 3:59 - 4:06
    eigentlich die gesamte Gesellschaft daran
    ihren Anteil hatte, dass diese Mordserie
  • 4:06 - 4:18
    funktionieren konnte und dass der NSU bis
    2011 unentdeckt blieb. Am 11.07.2018 gab
  • 4:18 - 4:26
    es nach über 5 Jahren die
    Urteilsverkündung im ersten NSU-Prozess.
  • 4:26 - 4:31
    Dieser Prozess, der sollte sich also genau dem
    widmen, was wir in der vorherigen Grafik
  • 4:31 - 4:36
    gesehen haben, also das heißt: Den 10
    Morden, den Sprengstoffanschlägen und den
  • 4:36 - 4:43
    Banküberfällen. Aber schon sehr schnell ist
    am Anfang des Prozesses und auch schon
  • 4:43 - 4:49
    davor bekannt geworden, dass der NSU-
    Komplex eben, wie gesagt, schon sehr viel mehr
  • 4:49 - 4:56
    umfasst. Und in diesem Prozess konnte das
    auch gezeigt werden – und zwar vor allen
  • 4:56 - 5:01
    Dingen durch die sehr engagierte Arbeit
    der Nebenklage, das heißt, das sind die
  • 5:01 - 5:06
    Angehörigen, das sind die Überlebenden und
    ihre jeweiligen anwaltlichen Vertretungen,
  • 5:06 - 5:11
    die dort in dem Prozess eben auch
    Verfahrensbeteiligte waren, das heißt
  • 5:11 - 5:15
    viele Rechte hatten. Sie konnten selber
    Erklärungen abgeben. Sie konnten Fragen
  • 5:15 - 5:21
    stellen und sie konnten Beweisanträge
    stellen. Und das haben sie versucht, immer
  • 5:21 - 5:26
    zu zeigen, dass es hier um mehr geht, dass
    es um gesamtgesellschaftlichen Rassismus
  • 5:26 - 5:30
    geht, das es um Polizeiermittlungen gehen
    muss, die sich gegen die Familien
  • 5:30 - 5:37
    gerichtet haben. Dass es um ein Neonazi-
    Netzwerk gehen muss, das die Morde mitgetragen,
  • 5:37 - 5:42
    unterstützt hat, ermöglicht hat und eben
    nicht nur um diese 3. Das ist deswegen
  • 5:42 - 5:48
    so schwierig gewesen, das in den Prozess
    hineinzubringen, weil die Anklageschrift, in
  • 5:48 - 5:56
    den Jahren 2012, 2013 verfasst, nur
    beinhaltete: Der NSU ist ein isoliertes
  • 5:56 - 5:59
    Trio, hat kein großes
    Unterstützungsnetzwerk und der Staat hat
  • 5:59 - 6:06
    überhaupt keinen Anteil an dieser
    Mordserie. Und diesem Narrativ musste
  • 6:06 - 6:09
    praktisch die ganzen Jahre
    entgegengetreten werden. Und es ist auch
  • 6:09 - 6:14
    von unterschiedlichen Seiten passiert. Wie
    gesagt, zum einen von Nebenklage, aber auch
  • 6:14 - 6:19
    von den vielen parlamentarischen
    Untersuchungsausschüssen, die es gab und
  • 6:19 - 6:25
    auch noch gibt, in denen der staatliche
    Anteil am NSU-Komplex weiterhin
  • 6:25 - 6:29
    aufgearbeitet wird und wo beispielsweise
    in den Bundestags-Untersuchungsausschüssen
  • 6:29 - 6:35
    auch sehr deutlich gesagt wurde – und auch
    vom Thüringer Untersuchungsausschuss sehr
  • 6:35 - 6:41
    deutlich gesagt wurde: Nein, der NSU, das ist
    kein Trio, das ist ein Netzwerk. Und hier
  • 6:41 - 6:46
    sehen wir eben, am Tag der
    Urteilsverkündung einige der Angehörigen
  • 6:46 - 6:52
    der Mordopfer und der Überlebenden und
    einige Überlebende selbst, die am Tag der
  • 6:52 - 7:01
    Urteilsverkündung auf die Straße gegangen
    sind, und zwar auch deswegen weil, all das,
  • 7:01 - 7:05
    was an Wissen über den NSU-Komplex in den
    letzten Jahren aufgearbeitet wurde, an
  • 7:05 - 7:10
    diesem Tag der Urteilsverkündung vom Tisch
    gewischt wurde. Das heißt, es konnte viel
  • 7:10 - 7:14
    gezeigt werden. Wir wissen vieles und auch
    die Angehörigen und Überlebenden haben
  • 7:14 - 7:19
    immer wieder die Kraft gefunden, im
    Prozess zu erzählen: Was haben die Morde
  • 7:19 - 7:24
    für sie bedeutet? Was haben die
    Ermittlungen für sie bedeutet? Und am Ende
  • 7:24 - 7:30
    stand ein Urteil, in dem das alles nicht
    stattgefunden hat. Das war eigentlich so
  • 7:30 - 7:36
    eine kurze Darstellung der Verbrechen, wie
    wir hier noch, eigentlich das hat in der
  • 7:36 - 7:42
    Urteilsverkündung stattgefunden. Mehr
    nicht. Nicht die Worte der Angehörigen,
  • 7:42 - 7:47
    nichts über die Ermittlungen, nicht zum
    Verfassungsschutz, nicht zum Rassismus,
  • 7:47 - 7:53
    sondern einfach nur eine kurze Darstellung
    der Verbrechen, die dem überhaupt nicht
  • 7:53 - 7:57
    gerecht wird, was dort in diesem Prozess
    überhaupt verhandelt wurde und
  • 7:57 - 8:03
    gleichzeitig bedeutet dieser Tag ein
    Triumph für die dort angeklagten Neonazis, weil
  • 8:03 - 8:09
    insbesondere diejenigen, die bis heute
    aktiv in der Neonazi-Szene sind, nämlich
  • 8:09 - 8:14
    André Eminger und Ralf Wohlleben. Einer
    von ihnen konnte an dem Tag schon das
  • 8:14 - 8:19
    Gericht freien Fußes verlassen. Nämlich
    André Eminger und Ralf Wohlleben konnte
  • 8:19 - 8:23
    eine Woche später in die Neonazi-Szene
    zurückkehren. Dementsprechend haben auch
  • 8:23 - 8:28
    die Neonazis, die an dem Tag im Gericht
    anwesend waren, dieses Urteil mit Jubel
  • 8:28 - 8:32
    begleitet. Das heißt, das letzte, was wir in
    diesem Gerichtssaal gehört haben, war auch
  • 8:32 - 8:42
    der Jubel der Neonazis. Und das heißt auch,
    dass eben dieses Gericht in München nicht
  • 8:42 - 8:49
    es für angemessen gesehen hat, rechten
    Terror aufzuklären, aufzuarbeiten und dem
  • 8:49 - 8:54
    Grenzen zu setzen. Weil das wäre natürlich
    auch ein Teil dieses Urteils gewesen, zu
  • 8:54 - 9:01
    sagen, dass diese Mordserie, muss auch hart
    bestraft werden. Das ist eben an diesem
  • 9:01 - 9:06
    Tag nicht passiert, aber das Schlimmste
    ist eben, dass der Richter keine Worte gefunden
  • 9:06 - 9:10
    hat zu den Angehörigen, zu den
    Überlebenden, was in solchen
  • 9:10 - 9:15
    Urteilsverkündungen eigentlich total üblich
    ist. Das heißt, man kann eigentlich
  • 9:15 - 9:17
    alles sagen in diesen Urteilsverkündungen.
  • 9:17 - 9:21
    Und ganz häufig wird gesagt:
    Was bedeuten eigentlich die Verbrechen?
  • 9:21 - 9:26
    Das ist im NSU-Prozess nicht passiert. Und
    trotzdem haben eben, wie man auf diesem
  • 9:26 - 9:32
    Bild sieht, einige Angehörige und
    Überlebende an dem Tag die Kraft gefunden,
  • 9:32 - 9:37
    doch noch abends auf die Straße zu gehen
    und eine antifaschistische Demonstration
  • 9:37 - 9:44
    unter dem Motto "Kein Schlussstrich unter
    den NSU-Komplex", sozusagen anzuführen. Dort
  • 9:44 - 9:50
    voranzugehen und sich dieser Forderung, dass mit
    dem Ende des NSU-Prozesses der NSU-Komplex
  • 9:50 - 9:56
    nicht abgeschlossen werden kann, dass sie
    sich dieser Forderung eben auch
  • 9:56 - 10:03
    anschließen. Und das heißt, wir nehmen von
    diesem Tag und aus diesem Prozess sehr
  • 10:03 - 10:08
    viel mehr mit, als am Ende im Urteil
    drinsteht. Der Prozess und alle
  • 10:08 - 10:12
    Untersuchungsausschüsse waren natürlich
    geprägt von diesem Satz, der auch der Titel
  • 10:12 - 10:18
    für diesen Vortrag ist, nämlich: "Das ist mir
    nicht erinnerlich." Das haben Menschen, die
  • 10:18 - 10:22
    beim Verfassungsschutz arbeiten gesagt,
    das haben Neonazis gesagt, das haben
  • 10:22 - 10:26
    Vertreter, Vertreterinnen der Polizei
    gesagt, dass sie sich nun wirklich nicht
  • 10:26 - 10:33
    an die Ereignisse vor fünfzehn bis vor
    einem Jahr erinnern können. Diese
  • 10:33 - 10:39
    Erinnerungslücken waren sozusagen zeitlich
    relativ unabhängig. Aber uns geht das eben
  • 10:39 - 10:45
    anders. Als Prozessbeobachterin, als
    Beobachterin der Untersuchungsausschüsse.
  • 10:45 - 10:52
    Wir haben uns das natürlich gemerkt, wir
    merken uns das, was die Angehörigen, die
  • 10:52 - 10:55
    Überlebenden, in diesem Prozess gesagt
    haben, was wir über den Verfassungsschutz
  • 10:55 - 10:59
    erfahren, haben was wir über die Polizei
    erfahren haben. Und, das Wichtigste: Was wir
  • 10:59 - 11:06
    über die Gesellschaft erfahren haben. Und
    das ist eben das, was wir mitnehmen und das
  • 11:06 - 11:15
    ist auch der Kern dieses Vortrages: Was
    ist unsere Analyse oder könnte eine
  • 11:15 - 11:19
    Analyse des NSU-Komplexes sein, aus der
    wir lernen können, die wir uns in
  • 11:19 - 11:24
    Erinnerung behalten können, die wir
    sozusagen mitnehmen, dass so etwas nicht
  • 11:24 - 11:30
    noch einmal passiert? Das ist natürlich
    ein Zielpunkt unserer Arbeit. Dass solche
  • 11:30 - 11:36
    Morde nie wieder passieren können und wenn
    sie passieren, dann nicht mehr unentdeckt
  • 11:36 - 11:42
    bleiben und man deutlich machen kann, dass
    es sich um rechten Terror handelt. Und das ist
  • 11:42 - 11:51
    eben, wie gesagt, die Frage: Was wissen wir
    über den NSU-Komplex? Und wie gesagt, wir
  • 11:51 - 11:58
    sprechen von NSU-Komplex und nicht nur von
    NSU, weil es sich eben um ein, bisschen
  • 11:58 - 12:06
    stumpfe Erklärung, um ein komplexeres
    Thema handelt, als nur Neonazis, die ihre
  • 12:06 - 12:12
    Ideologie befolgen und Menschen aus
    rassistischen Gründen ermorden. Und dafür
  • 12:12 - 12:18
    habe ich mitgebracht, hier so eine Grafik
    und die wird auch gleich mit so Zoom-
  • 12:18 - 12:22
    Effekten funktionieren, wenn wir da eben
    durchgehen. Ich hoffe das klappt auch
  • 12:22 - 12:28
    alles, die ist nicht so besonders schön,
    aber das macht vielleicht nichts. Was das
  • 12:28 - 12:32
    zeigen soll, schon mal vorweggenommen, ist,
    dass rechter Terror und der NSU-Komplex,
  • 12:32 - 12:38
    das ist ein gesellschaftliches Verhältnis,
    ein gesellschaftliches Zusammenspiel. Ohne
  • 12:38 - 12:44
    diese gesellschaftlichen Strukturen hätte
    der NSU nicht funktioniert und wäre diese
  • 12:44 - 12:49
    Mordserie vielleicht nie geschehen oder
    hätte früher aufgedeckt werden können. Es
  • 12:49 - 12:56
    hätten Morde verhindert werden können,
    vieles ist da denkbar. Wenn nur der
  • 12:56 - 13:02
    mittlere Teil, also der NSU gemordet hätte
    und alle anderen gesellschaftlichen
  • 13:02 - 13:09
    Akteure, Akteurinnen sich anders verhalten
    hätten. So, und das gehen wir jetzt durch
  • 13:09 - 13:14
    und das bedeutet auch, dass wir ein grobes
    Bild davon, was wir über den NSU-Komplex
  • 13:14 - 13:18
    wissen. Es sind viele Fragen offen, aber
    vieles konnte eben über die letzten Jahre
  • 13:18 - 13:22
    sehr wohl erfahren werden.
    Wir haben also einmal in der Mitte
  • 13:22 - 13:28
    die Neonazis des NSU und ihr
    Netzwerk, das die Morde erdacht hat
  • 13:28 - 13:33
    und durchgeführt hat.
    Und was wir über die
  • 13:33 - 13:40
    letzten Jahre gelernt haben, was aber auch
    schon vorher klar war, ist: Dieses Neonazi-
  • 13:40 - 13:45
    Netzwerk und wie es funktioniert hat. Der
    NSU hat sich das, was er gemacht hat – oder
  • 13:45 - 13:50
    das was sie gemacht haben, nicht selber
    ausgedacht, sondern das sind Konzepte des
  • 13:50 - 13:58
    rechten Terrors, die es spätestens seit
    1945 gibt, die immer weiterentwickelt
  • 13:58 - 14:06
    werden in der Neonazi-Szene und auch von
    Altnazis miterdacht und mitgetragen
  • 14:06 - 14:10
    wurden. Es ist also nichts Neues und
    gleichzeitig ist rechter Terror auch etwas,
  • 14:10 - 14:19
    was nicht mit dem NSU begonnen hat, sondern
    was eine Kontinuität hat seit 1945. Das
  • 14:19 - 14:23
    ist auch etwas, was über die letzten Jahre
    aufgearbeitet wurde – gerade im Hinblick
  • 14:23 - 14:28
    auf diese Sätze, die 2011 überall
    geschrieben standen. Was? Neonazis?
  • 14:28 - 14:33
    Mordserie? Rechter Terror – so etwas gibt
    es? Natürlich gibt es das und das gab es
  • 14:33 - 14:40
    auch schon vor dem NSU und auch in
    ähnlicher Form. Das sogenannte Kern-Trio
  • 14:40 - 14:45
    des NSU also Mundlos, Böhnhardt und
    Zschäpe haben sich also in ihrer
  • 14:45 - 14:52
    Sozialisationphase, in den 1990er Jahren,
    ein breites Netzwerk bundesweit aufgebaut.
  • 14:52 - 15:00
    Wir können insbesondere diejenigen, die sie
    kurz nach dem Untertauchen in ihren
  • 15:00 - 15:03
    Wohnorten Chemnitz und Zwickau dort
    unterstützt haben, auch namentlich
  • 15:03 - 15:08
    benennen. Diejenigen, die ihnen bei den
    Morden und Sprengstoffanschlägen in den
  • 15:08 - 15:12
    jeweiligen Städten geholfen haben, die
    können wir noch nicht namentlich benennen.
  • 15:12 - 15:19
    Das ist eine große offene Frage, die uns
    weiterhin beschäftigt und die wir auch
  • 15:19 - 15:24
    hoffen, dass man die irgendwann lösen kann.
    Wer sind die konkreten Neonazis für den
  • 15:24 - 15:31
    NSU unterstützt haben, Tatorte gezeigt
    haben, mitgemordet haben und so weiter und so
  • 15:31 - 15:37
    fort. Das ist die Frage und das sind eben
    die Neonazis, die hier zur Tat schreiten
  • 15:37 - 15:45
    und sozusagen das was sie an rassistischen
    Ideen haben nur konsequent umsetzen und
  • 15:45 - 15:51
    Menschen aus rassistischen Gründen
    ermorden. Und wie gesagt, wir haben zum
  • 15:51 - 15:56
    einen gelernt, wie wurden sie
    sozialisiert? Wie waren die organisiert
  • 15:56 - 16:03
    und was haben Sie sich dabei gedacht? All
    das ist etwas, was wir, wo wir sagen
  • 16:03 - 16:10
    können das wissen wir so ziemlich genau.
    Gerade weil das in den 1990er Jahren auch
  • 16:10 - 16:16
    sehr stark dokumentiert wurde, von
    Menschen die antifaschistisch recherchiert
  • 16:16 - 16:24
    haben damals. Als der NSU dann eben
    angefangen hat zu morden, Anschläge zu
  • 16:24 - 16:30
    begehen. Da gab es natürlich auch
    entsprechende polizeiliche Ermittlungen
  • 16:30 - 16:35
    und diesen polizeilichen Ermittlungen,
    denen wäre es natürlich auch möglich
  • 16:35 - 16:42
    gewesen, mal in Richtung rechtes Motiv,
    rassistisches Motiv zu schauen und da
  • 16:42 - 16:48
    wären Sie dann eigentlich relativ schnell,
    auf genau diese Neonazi-Szene getroffen.
  • 16:48 - 16:53
    Denn natürlich gab es immer wieder auch
    Spekulationen in den Behörden darüber
  • 16:53 - 16:58
    rechter Terror gibt es das überhaupt,
    eigentlich nicht war dann die Antwort.
  • 16:58 - 17:04
    Aber wenn überhaupt, dann diese Struktur,
    diese drei. Das heißt auch nach 1998,
  • 17:04 - 17:09
    hatte die Polizei eigentlich nicht
    vergessen dass die drei nicht mehr da
  • 17:09 - 17:18
    sind, also seit 1998 im Untergrund leben.
    Aber das hat die Polizei eben nicht getan,
  • 17:18 - 17:25
    bei der Mordserie und im Vorhinein, nach
    1998 als sie von Jena nach Chemnitz
  • 17:25 - 17:29
    umgezogen waren. Man sagt auch
    untergetaucht waren, hätten sie sie ja
  • 17:29 - 17:35
    auch festnehmen können und auch das ist
    eben nicht geschehen. Diese polizeilichen
  • 17:35 - 17:39
    Ermittlungen, sind auch in den letzten
    Jahren sehr sehr detailliert angeguckt
  • 17:39 - 17:45
    worden, insbesondere in den
    Untersuchungsausschüssen und gerade über
  • 17:45 - 17:52
    die ganz wichtigen Zeitpunkte, nehme ich
    beispielsweise zum Untertauchen, 1998 da
  • 17:52 - 17:58
    kam es erst zu einer Durchsuchung der
    gemeinsamen Garagen und da war Uwe
  • 17:58 - 18:03
    Böhnhardt auch noch anwesend. Er hat dann
    gefragt beispielsweise, ob er jetzt mal
  • 18:03 - 18:07
    wegfahren kann. Die Polizisten vor Ort
    haben gesagt: "Ja"; dann ist er also
  • 18:07 - 18:09
    weggefahren hat sich die anderen
    geschnappt und die sind nach Chemnitz
  • 18:09 - 18:16
    umgezogen. Das wissen wir alles sehr genau
    und wirklich geradezu im Minutenablauf.
  • 18:16 - 18:22
    Und davon getrennt dann eben die
    polizeilichen Ermittlungen nach den Morden
  • 18:22 - 18:27
    und nach den Sprengstoffanschlägen, die
    eigentlich alle sehr ähnlich verliefen.
  • 18:27 - 18:35
    Nämlich: Man hat sich mit rassistisch
    konnotierten Thesen mal auf die Suche nach
  • 18:35 - 18:41
    den möglichen Tätern gemacht und was meine
    ich damit? Die Beamten/ Beamtinnen haben
  • 18:41 - 18:47
    also gesehen, dass dort Menschen mit einem
    Migrationshintergrund angegriffen wurden
  • 18:47 - 18:53
    und/oder ermordet wurden und haben dann
    sich gedacht: "Worum könnte sich's
  • 18:53 - 18:58
    handeln?" und hatten dann eben diese
    rassistisch konnotierten Thesen von: Es
  • 18:58 - 19:04
    könnte sich um einen Mafia-Hintergrund
    handeln, um sogenannte Familienfehden und
  • 19:04 - 19:09
    so weiter und so fort. Also eine
    Vorstellungswelt, die wahrscheinlich -
  • 19:09 - 19:17
    oder die wir deswegen rassistisch nennen,
    weil es nicht die Gedankenwelt ist, die
  • 19:17 - 19:24
    sich bei Polizisten/Polizistinnen auftut,
    wenn es sich um weißdeutsche Opfer
  • 19:24 - 19:27
    gehandelt hätte. Deswegen sprechen wir
    hier von Rassismus, und zwar von
  • 19:27 - 19:32
    institutionellen Rassismus, also
    Rassismus, der die Behörde durchzieht,
  • 19:32 - 19:37
    aber auch von individuellem Rassismus. Das
    heißt, wir konnten auch über die letzten
  • 19:37 - 19:42
    Jahre sehen, dass sich einzelne Beamte und
    Beamtinnen einfach selber rassistisch
  • 19:42 - 19:48
    geäußert haben, rassistisch verhalten
    haben. Und das wissen wir deswegen, weil
  • 19:48 - 19:54
    zum einen die Akten eben in den
    Untersuchungsausschüssen deutlich gezeigt
  • 19:54 - 19:58
    haben, wie die Verhöre gelaufen sind. Das
    heißt, wenn eben Angehörige oder
  • 19:58 - 20:03
    Überlebende gesagt haben, "Wir glauben, es
    handelt sich hier um einen rechten
  • 20:03 - 20:07
    Hintergrund", dann wurde das von den
    Verhören, den Polizeibeamten/-beamtinnen
  • 20:07 - 20:14
    einfach vom Tisch gewischt und stattdessen
    wurde dann nach eben diesen sogenannten
  • 20:14 - 20:19
    Mafiahintergründen gefragt und nicht in
    Richtung rechtes Motiv und zugespitzt eben
  • 20:19 - 20:25
    dort, dass in Köln beispielsweise, äh, ne,
    in Dortmund beispielsweise eine Zeugin
  • 20:25 - 20:30
    gesagt hat, sie hat die Mörder gesehen und
    das waren entweder Nazis oder Junkies. Und
  • 20:30 - 20:34
    im Protokoll stand am Ende eben nur das
    Wort "Junkies". Also das heißt, es ist
  • 20:34 - 20:39
    immer vom Tisch gewischt worden und
    stattdessen ist eben massiv gegen die
  • 20:39 - 20:45
    Familien vorgegangen worden. Also das
    heißt, dass beispielsweise den Ehefrauen
  • 20:45 - 20:48
    der Ermordeten auch Fotos von
    irgendwelchen fremden Frauen gezeigt
  • 20:48 - 20:52
    wurden und gesagt wurde, "Mit dieser
    Person hat dein Mann eine zweite Familie
  • 20:52 - 20:56
    gegründet". Das waren alles Lügen und
    sollten dafür dienen, dass eben die
  • 20:56 - 21:02
    Angehörigen aus der Reserve gelockt
    werden. Und das zeigt sich ganz gut in
  • 21:02 - 21:08
    diesem Zitat. Das stammt aus einer
    Fallanalyse der Polizei. Da stand drin:
  • 21:08 - 21:13
    "Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von
    Menschen in unserem Kulturraum mit einem
  • 21:13 - 21:18
    hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten dass
    der Täter hinsichtlich seines
  • 21:18 - 21:23
    Verhaltenssystems weit außerhalb des
    hiesigen Normen- und Wertesystems verortet
  • 21:23 - 21:30
    ist." Also mit anderen Worten: Weiße Deutsche
    Menschen töten sozusagen keine anderen
  • 21:30 - 21:34
    Menschen. Das ist vor dem geschichtlichen
    Hintergrund in Deutschland natürlich etwas
  • 21:34 - 21:39
    mutig zu behaupten, aber das ist eben das,
    was in der Fallanalyse aus dem Jahr 2006
  • 21:39 - 21:46
    vermerkt war und so waren eben auch die
    Ermittlungen geleitet. Und die Polizei hat
  • 21:46 - 21:51
    da wirklich keinerlei Stein unumgedreht
    gelassen, das muss man schon sagen. Also
  • 21:51 - 21:55
    in Hamburg beispielsweise wurde ein
    Wahrsager aus dem Iran dazugeholt, um mit
  • 21:55 - 22:02
    dem dort ermordeten Süleyman Taşköprü
    Kontakt aufzunehmen. Es wurde in Nürnberg
  • 22:02 - 22:07
    ein Dönerstand von der Polizei betrieben
    mit dem Gedanken "OK, wir zahlen jetzt
  • 22:07 - 22:10
    kein Schutzgeld und dann kommen die
    vielleicht auch zu uns und so fassen wir
  • 22:10 - 22:16
    die jetzt" also wirklich solche
    Ermittlungsansätze noch und nöcher. Und
  • 22:16 - 22:19
    immer, wenn gefragt wurde: "Könnte sich's
    auch um einen rechten Hintergrund
  • 22:19 - 22:22
    handeln?", dann wurde gesagt "Ne, dafür
    gibt's... äh, naja, haben wir geguckt aber
  • 22:22 - 22:27
    dafür gibt's keinen Beleg". Und da muss
    man mal ganz klar sagen: Auch für diese
  • 22:27 - 22:31
    rassistisch konnotierten Thesen gab es
    keinerlei Beleg und sie haben das den
  • 22:31 - 22:37
    Opfern und Überlebenden dann einfach
    angehangen. Also das heißt, wir haben
  • 22:37 - 22:42
    beispielsweise im Fall von der Ermordung
    von Enver Simsek, da hat sich irgendjemand
  • 22:42 - 22:48
    aus dem Gefängnis gemeldet als Informant
    und hat eben angegeben, ja er sei mit
  • 22:48 - 22:55
    Enver Simsek immer Richtung Holland
    gefahren, um dort Drogen zu kaufen. Und
  • 22:55 - 22:59
    das war von dem Informanten einfach
    erfunden, um Hafterleichterungen
  • 22:59 - 23:04
    Hafterleichterung zu bekommen, aber dem
    wurde von der Polizei eben extrem viel
  • 23:04 - 23:07
    Gewicht beigemessen und allen Aussagen
    dazu - "Es könnte sich hier um einen
  • 23:07 - 23:12
    rechten Hintergrund handeln" - eben gar
    nicht. Das heißt, wie gesagt, kein Beleg
  • 23:12 - 23:20
    dafür und trotzdem bis 2011 einfach
    relativ unveränderte Ermittlungsrichtung.
  • 23:20 - 23:25
    Und in dem Moment, wo mal daran gedacht
    wurde, dass es sich um einen rechten
  • 23:25 - 23:30
    Hintergrund handeln könnte, nämlich im
    Jahr 2006, da gab es dann Streit in der
  • 23:30 - 23:38
    bundesweiten Ermittlungsgruppe und es
    wurde eben, ja, sich wieder auf diese Art
  • 23:38 - 23:46
    der Ermittlungen geeinigt sozusagen. Und
    das heißt, damit haben die
  • 23:46 - 23:52
    Polizeibehörden, hat die Polizei, den NSU
    eben auch mitgetragen, weil, sie hätten
  • 23:52 - 23:59
    natürlich mit den richtigen Ermittlungen
    den NSU entsprechend stoppen können. Und
  • 23:59 - 24:02
    wir sprechen hier von rassistischen
    Ermittlungen oder institutionellen
  • 24:02 - 24:07
    Rassismus oder auch deswegen, weil wir das
    an einer Stelle eigentlich ganz gut sehen
  • 24:07 - 24:15
    können. Es gibt drei Mal einen Neuanfang
    für die Polizei vor 2011, wo sie in eine
  • 24:15 - 24:20
    andere Richtung hätten ermitteln können,
    nämlich: Es gab den Sprengstoffanschlag in
  • 24:20 - 24:24
    der Kölner Probsteigasse; es gab die
    Mordserie und es gab den Anschlag in der
  • 24:24 - 24:28
    Kölner Keupstraße. Erst seit 2011 wissen
    wir, dass diese Verbrechen
  • 24:28 - 24:34
    zusammengehören, dass die also dem NSU
    zuzuordnen sind. Vor 2011 war das nicht
  • 24:34 - 24:39
    klar. Also konnte man eigentlich - hätte
    man unabhängig voneinander dort ermitteln
  • 24:39 - 24:47
    können, aber nein. Bei allen drei Fällen
    genau das Gleiche und wirklich bis hin zu
  • 24:47 - 24:53
    Einschleusung von verdeckten Ermittlern
    Ermittlerinnen, die sich dann an die
  • 24:53 - 24:56
    Familien rangehangen haben, um deren
    Vertrauen zu gewinnen, um etwas aus denen
  • 24:56 - 25:04
    herauszubekommen. Der nächste Ring
    sozusagen ist die Berichterstattung der
  • 25:04 - 25:12
    Medien, die komplett in die gleiche
    Richtung ging. Also das heißt, sie haben
  • 25:12 - 25:16
    zum Einen verlautbaren lassen, was die
    Polizei ihnen gesagt hat und haben dann
  • 25:16 - 25:23
    aber im Grunde immer noch ihre eigenen
    rassistischen Märchen dazugesponnen. Da
  • 25:23 - 25:28
    gibt es zum Beispiel aus dem Jahr 2011
    einen Spiegel-Artikel mit der Überschrift
  • 25:28 - 25:35
    "Düstere Parallelwelt". Er ist aus dem
    Sommer 2011, also so etwas wie sechs
  • 25:35 - 25:39
    Monate, bevor der NSU bekannt geworden
    ist. Und der Artikel funktioniert also so:
  • 25:39 - 25:44
    Am Anfang steht so eine Überlegung: "Ja,
    könnte es einen einzelnen Psychopathen
  • 25:44 - 25:50
    geben, der Menschen aus... oder der
    türkische Menschen ermordet, weil er sie
  • 25:50 - 25:55
    so sehr hasst?" Das ist eine These. Aber
    nein, das ist ja eigentlich nicht
  • 25:55 - 26:00
    plausibel und dann folgen 2-3 Seiten
    eigentlich,ja, so ein rassistisches, so
  • 26:00 - 26:06
    eine rassistische Fantasiewelt, wo eben
    die Rede ist von sogenannten
  • 26:06 - 26:11
    Parallelwelten, wo sie mit irgendwelchen
    Informanten/Informantinnen sprechen, die
  • 26:11 - 26:18
    genau das bestätigen, dass es sich bei
    dieser Mordserie eben um eine Mordserie
  • 26:18 - 26:25
    aus solchen Gründen, wie eben die Polizei
    auch vermutet, das heißt beispielsweise
  • 26:25 - 26:29
    einen Mafiahintergrund gibt. Das ist
    eigentlich gar nicht groß aufgearbeitet
  • 26:29 - 26:32
    worden, mit wem damals - es gilt ja nicht
    nur für den SPIEGEL, das gilt für die
  • 26:32 - 26:36
    andere Medienberichterstattung auch: Wer
    sind eigentlich die Leute, mit denen die
  • 26:36 - 26:40
    da gesprochen haben? Welche
    Informanten/Informantinnen waren das,
  • 26:40 - 26:45
    denen einfach sozusagen geglaubt wurde,
    weil sie genau die eigene Gedankenwelt
  • 26:45 - 26:53
    dort auch bestätigt haben. Das ist, wie
    gesagt, kaum aufgearbeitet worden. Und
  • 26:53 - 26:59
    gleichzeitig gab es ja auch noch das Extra
    obendrauf, nämlich, dass in der
  • 26:59 - 27:05
    Medienlandschaft damals das sogenannte
    Wort von den sogenannten "Dönermorden"
  • 27:05 - 27:09
    erfunden wurde, um diese Mordserie zu
    beschreiben. Was ein Wort ist, das
  • 27:09 - 27:13
    rassistisch ist, ohne dass es sich hier um
    eine Mordserie mit rechtem Hintergrund
  • 27:13 - 27:18
    hätte handeln müssen. Das heißt, es ist
    etwas, was auch schon vor 2011 als
  • 27:18 - 27:23
    rassistisch kritisiert hätte werden
    können. Das ist aber eben nicht passiert
  • 27:23 - 27:30
    und gleichzeitig hatte eigentlich
    sozusagen die Medien... oder gab es in
  • 27:30 - 27:34
    verschiedenen Zeitungen, auch im SPIEGEL,
    auch Artikel über rechten Terror und wie
  • 27:34 - 27:40
    der eigentlich funktioniert. Und dort lag
    dasselbe Wissen vor wie eben auch bei der
  • 27:40 - 27:46
    Polizei, nämlich: Wie funktioniert rechter
    Terror und wer... wenn, dann wer? Nämlich
  • 27:46 - 27:50
    die drei. Es gibt beispielsweise wieder
    SPIEGEL-Artikel aus dem Jahr 2003, wo
  • 27:50 - 27:54
    genau das drinsteht: So funktioniert
    rechter Terror und wenn das jemand machen
  • 27:54 - 28:02
    kann, dann sind das Mundlos, Böhnhardt und
    Zschäpe, die seit 1998 eben nicht mehr
  • 28:02 - 28:07
    aufzufinden sind sozusagen. Aber auch hier
    wurden diese beiden... die Mordserie und
  • 28:07 - 28:13
    dieses Wissen um rechten Terror eben nicht
    zusammengebracht. Und auch hier hätte es
  • 28:13 - 28:18
    natürlich einen Unterschied gemacht, wenn
    anders... wenn die Berichterstattung
  • 28:18 - 28:21
    anders verlaufen wäre, wenn also
    hinterfragt worden wäre, selbst
  • 28:21 - 28:26
    recherchiert worden wäre und in Richtung
    rassistisches Motiv gedacht worden wäre.
  • 28:26 - 28:32
    Und das Gleiche gilt dann eben auch für
    die Gesellschaft. "Gesellschaft" klingt
  • 28:32 - 28:36
    immer so ein bisschen abstrakt, aber was
    ich eigentlich damit sagen möchte, ist:
  • 28:36 - 28:42
    Das Gleiche gilt für uns. Das heißt,
    Gesellschaft und die Linke der
  • 28:42 - 28:48
    Gesellschaft, Antifaschist*innen und so
    weiter. Die hinterfragen das nicht. Die
  • 28:48 - 28:52
    nehmen zwar die Mordserie vielleicht wahr,
    nehmen die Berichterstattung wahr, aber
  • 28:52 - 28:58
    nehmen das offensichtlich weitestgehend
    für bare Münze, was dort eben berichtet
  • 28:58 - 29:04
    wird. Und sie hören eben die Angehörigen
    nicht, die immer öffentlicher werden, auf
  • 29:04 - 29:08
    einen möglichen rechten Hintergrund
    hingewiesen haben. Das heißt, von Anfang
  • 29:08 - 29:12
    an sagen Angehörige und überlebende bei
    der Polizei: "Was ist eigentlich mit
  • 29:12 - 29:20
    Neonazis?" Aber dabei bleibt es eben nicht
    und so organisieren 2006 die Angehörigen
  • 29:20 - 29:25
    zwei Demonstrationen, und zwar in Kassel
    und in Dortmund gehen sie auf die Straße
  • 29:25 - 29:32
    und fordern: "Kein zehntes Opfer; wir
    wollen, dass auch in Richtung rechtes
  • 29:32 - 29:36
    Motiv bei dieser Mordserie ermittelt
    wird". Und da sind mehrere tausend
  • 29:36 - 29:41
    Menschen auch mitgegangen in Kassel und in
    Dortmund. Aber 2006 - was findet parallel
  • 29:41 - 29:46
    statt? Die Fußball-Weltmeisterschaft der
    Männer und die ist in diesem Jahr in
  • 29:46 - 29:51
    Deutschland gewesen und wir erinnern uns
    an den Spruch von damals. An diesen
  • 29:51 - 29:56
    Leitsatz: "Die Welt zu Gast bei Freunden".
    Das war eben das Motto. Und für diese
  • 29:56 - 30:00
    Demonstration hieß das ganz konkret: In
    Dortmund die Demonstration hat
  • 30:00 - 30:04
    gleichzeitig zu einem Fußballspiel
    stattgefunden und musste verlegt werden,
  • 30:04 - 30:12
    ist dann durch leere Straßen gelaufen und
    ist leider eben ungehört geblieben. Und
  • 30:12 - 30:17
    auch da kommt natürlich wieder dieser
    Gedanke: Was wäre, wenn das gehört worden
  • 30:17 - 30:23
    wäre? Und ich glaube, das hätte ein
    Unterschied ums Ganze bedeuten können,
  • 30:23 - 30:29
    wenn eine, Gesellschaft
    Antifaschist*innen, Medien, wer auch immer
  • 30:29 - 30:34
    damit aufmerksamer umgegangen wären, man
    also gemeinsam mit den Angehörigen hätte
  • 30:34 - 30:39
    fordern können: Was ist eigentlich, wenn
    diese Mordserie einen rechten Hintergrund
  • 30:39 - 30:49
    hat? Aber eben auch das ist nicht
    geschehen und so stellt eben dieses 2006
  • 30:49 - 30:56
    nicht nur... ja, also im Nachhinein ist
    das ja dieser Bruch oder dieses
  • 30:56 - 31:02
    Neuaufflammen vom deutschen Nationalismus,
    wo wieder ganz unverkrampft die
  • 31:02 - 31:07
    Deutschlandfahnen geschwenkt werden
    konnten. Und gleichzeitig sind eben die
  • 31:07 - 31:12
    Angehörigen durch die Straßen gelaufen und
    somit wird dieser schale Beigeschmack im
  • 31:12 - 31:19
    Rückblick auf diese WM einfach nur noch
    stärker. Und gleichzeitig, auch das nicht
  • 31:19 - 31:26
    unerwähnt zu lassen, hat eigentlich auch
    die Polizei umgedacht. Dieses Umdenken
  • 31:26 - 31:30
    oder kurzzeitige Umdenken - vielleicht hat
    diese Mordserie ja einen rechten
  • 31:30 - 31:34
    Hintergrund - das geschah 2006, also
    ungefähr gleichzeitig zu den
  • 31:34 - 31:39
    Demonstrationen. Aber auch da kommt wieder
    die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer
  • 31:39 - 31:44
    ins Spiel. Denn man hat sich eben
    entschieden, das nicht allzu öffentlich zu
  • 31:44 - 31:49
    kommunizieren in Zeiten der
    Weltmeisterschaft, dass man eine rechte
  • 31:49 - 31:56
    Mordserie möglicherweise vorliegen hat,
    aber die Täter/Täterinnen nicht dingfest
  • 31:56 - 32:01
    gemacht hat. Also das heißt nicht nur die
    Intervention innerhalb der bundesweiten
  • 32:01 - 32:05
    Ermittlungsgruppe haben dann eine Rolle
    gespielt, sondern eben auch das Denken an:
  • 32:05 - 32:12
    Was ist eigentlich mit dem schönen Bild
    der Fußball-WM in Deutschland und der Welt
  • 32:12 - 32:18
    zu Gast bei Freunden. So, und dann
    natürlich der Verfassungsschutz auch als
  • 32:18 - 32:26
    Teil der Gesellschaft, der sein eigenes
    Spiel sozusagen gespielt hat. Kann man so
  • 32:26 - 32:35
    sagen. Und zwar hat der Verfassungsschutz
    viele, viele V-Leute im Umfeld des NSU
  • 32:35 - 32:44
    geführt. Das heißt, das sind Neonazis, die
    für Geld Informationen an die Landesämter
  • 32:44 - 32:50
    und ans Bundesamt für Verfassungsschutz
    eben über die Neonazi-Szene gegeben haben.
  • 32:50 - 32:56
    Und wir wissen auch, dass diese V-Leute
    eigentlich die wichtigsten Sachen über den
  • 32:56 - 33:01
    NSU auch gemeldet haben, nämlich, die
    drei, die sind in Chemnitz, also der erste
  • 33:01 - 33:06
    Unterschlupf nach Jena und die besorgen
    sich Waffen und begehen Überfälle. Das
  • 33:06 - 33:12
    sind also Informationen, die dann zeitnah,
    das heißt, in den Jahren 98 bis 2000 bei
  • 33:12 - 33:17
    den Landesämtern, beim Bundesamt für
    Verfassungsschutz auch vorlagen, die aber
  • 33:17 - 33:22
    eben nicht dazu geführt haben, dass die
    drei gefasst wurden, dass die drei
  • 33:22 - 33:29
    gestoppt wurden. Und was wir eben nicht
    wissen, ist, ob der Verfassungsschutz
  • 33:29 - 33:34
    tatsächlich auch von der Mordserie
    währenddessen gewusst hat. Was wir aber
  • 33:34 - 33:41
    wissen, ist, dass der Verfassungsschutz
    seit 2011 eben massiv die Aufklärung
  • 33:41 - 33:46
    behindert und Aufklärung auch verhindert
    durch Vertuschung und Aktenschredderei.
  • 33:46 - 33:53
    Das heißt, sehr schnell nach Bekanntwerden
    des NSU, nämlich der NSU wird sozusagen
  • 33:53 - 34:00
    bekannt ab dem 4.11.2011 und am 11.11.2011
    kommt es zur ersten großen Schredderaktion
  • 34:00 - 34:06
    im Bundesamt für Verfassungsschutz, wo
    eben die ersten Akten geschreddert werden
  • 34:06 - 34:11
    und das zieht sich eben über die Jahre so
    durch. Immer wieder werden Akten
  • 34:11 - 34:16
    geschreddert, werden Akten
    Geheimhaltungsstufen unterlegt, bis zu 120
  • 34:16 - 34:22
    Jahre ein Teil der Akten in Hessen. Also
    das heißt, das ist allein dieses
  • 34:22 - 34:26
    Aktenhandling, was zur Vertuschung
    beiträgt, aber eben auch die konkreten
  • 34:26 - 34:31
    Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Ämter für
    Verfassungsschutz, beim Gericht, in den
  • 34:31 - 34:35
    Untersuchungsausschüssen können sich an
    nichts erinnern. Wie gesagt, zum Teil
  • 34:35 - 34:42
    Zeiträume von wenigen Monaten, die dann
    plötzlich verschwunden sind. Und wenn es
  • 34:42 - 34:46
    eben nicht der Geheimhaltung unterliegt,
    haben sie es eben selbst dann nicht
  • 34:46 - 34:50
    gesagt. Das heißt, was hier die große
    Frage ist: Was wusste der
  • 34:50 - 34:55
    Verfassungsschutz oder die ganzen Ämter
    für Verfassungsschutz? Und warum haben sie
  • 34:55 - 35:01
    so gehandelt, wie sie gehandelt haben oder
    - warum haben sie so nicht gehandelt, wie
  • 35:01 - 35:05
    sie eben nicht gehandelt haben? Also das
    heißt, an Informationsweitergabe und so
  • 35:05 - 35:12
    weiter und so fort. Das ist aber eben
    nicht der Hauptpunkt. Das ist ja häufig
  • 35:12 - 35:18
    dann das, was beim Nachdenken über den
    NSU-Komplex übrig bleibt: Ja, der
  • 35:18 - 35:21
    Verfassungsschutz hat dort eben
    undurchsichtig gehandelt und so weiter und
  • 35:21 - 35:25
    so fort und nur deswegen hat der NSU
    morden können. Und wir glauben eben, dass
  • 35:25 - 35:31
    das nicht so ist, sondern, dass eben es
    sich um ein gesamtgesellschaftliches
  • 35:31 - 35:37
    Verhältnis handelt. Und das heißt, diese
    Schichten tragen den NSU... mitgetragen,
  • 35:37 - 35:41
    hätten ihnen also auf der anderen Seite
    auch am Morden hindern können oder hätten
  • 35:41 - 35:47
    zumindest einen Unterschied machen können
    und hätten damit auch - da fehlt sozusagen
  • 35:47 - 35:51
    der Pfeil - das Handeln des
    Verfassungsschutzes unterbrechen können,
  • 35:51 - 35:55
    weil natürlich, wenn die Polizei in
    Richtung rechts ermittelt hätte, die drei
  • 35:55 - 36:00
    sozusagen ermittelt hätte, dann hätte der
    Verfassungsschutz ja so viele V-Leute, wie
  • 36:00 - 36:06
    er gehabt hätte um den NSU drumrum haben
    können - es hätte trotzdem sozusagen dann
  • 36:06 - 36:10
    keinen Unterschied gemacht. Und das
    Gleiche gilt eben auch für die anderen
  • 36:10 - 36:16
    Ebenen. Und das Perfide ist: Der NSU hat
    das auch mitbekommen. Aus dem Untergrund
  • 36:16 - 36:22
    heraus haben Sie mitbekommen, wie mit der
    Mordserie umgegangen wurde und dass eben
  • 36:22 - 36:27
    gegen die Angehörigen und die Überlebenden
    ermittelt wurde. Dass die in den
  • 36:27 - 36:32
    Zeitungen, wie in den Zeitungen über die
    Mordserie berichtet wurde und wie eben
  • 36:32 - 36:37
    über die Angehörigen und Überlebenden in
    den Zeitungen und im Fernsehen eben
  • 36:37 - 36:43
    gesprochen wurde, nämlich auf rassistische
    Art und Weise. Der NSU hat tatsächlich ein
  • 36:43 - 36:48
    Zeitungsarchiv angelegt über die eigene
    Mordserie. Und deswegen wissen wir, dass
  • 36:48 - 36:55
    sie das eben mitbekommen haben. Und das
    muss ihnen ja auch noch gleichzeitig
  • 36:55 - 37:00
    sozusagen noch mehr Antrieb gegeben haben,
    dass sie also gesehen haben: Nicht nur
  • 37:00 - 37:06
    haben sie diese Menschen ermordet, sondern
    zusätzlich dazu geht jetzt auch noch die
  • 37:06 - 37:10
    Polizei gegen diese Familien vor und
    drangsaliert die. Und die Medien und die
  • 37:10 - 37:16
    Gesellschaft hört das nicht. Und der NSU
    hat auch die Demonstrationen 2006
  • 37:16 - 37:21
    mitbekommen. Und das ist eigentlich das
    Perfideste in diesem Bekennervideo von
  • 37:21 - 37:27
    2011: Da taucht eben, tauchen diese
    Demonstration, Bilder, Videobilder von den
  • 37:27 - 37:31
    Demonstrationen in Dortmund und Kassel,
    die sind in diesen Bekennervideo zu sehen.
  • 37:31 - 37:37
    Also das hatten sie auf dem Zettel und
    müssen sich eben dadurch bestärkt gefühlt
  • 37:37 - 37:39
    haben. Und da kommt natürlich aber
    gleichzeitig auch noch das
  • 37:39 - 37:45
    gesellschaftliche Umfeld des NSU mit zum
    Tragen. Die waren ja nicht nur umgeben von
  • 37:45 - 37:50
    ihrem festen Neonazi-Netzwerk, sondern
    haben eben gelebt in Nachbarschaften in
  • 37:50 - 37:56
    Chemnitz und in Zwickau. Und insbesondere
    die Nachbarn/Nachbarinnen in Zwickau - das
  • 37:56 - 38:02
    waren keine organisierten Neonazis in dem
    Sinne. Das waren, wie sie sich selber
  • 38:02 - 38:07
    bezeichnet haben, ganz normale Menschen
    mit ganz normalen Ansichten. Und vor
  • 38:07 - 38:12
    Gericht kam dann raus, was diese normalen
    Ansichten sind: Nämlich in dem Umfeld in
  • 38:12 - 38:17
    Zwickau war es normal, sich rassistisch zu
    äußern, war es normal, dass dort
  • 38:17 - 38:23
    Hitlerbüsten im Partykeller ausgestellt
    werden und so weiter und so fort. Und das
  • 38:23 - 38:29
    heißt, das ist zwar etwas, was wir uns nur
    vorstellen oder was wir nur spekulieren
  • 38:29 - 38:33
    können, aber sich in diesen
    Nachbarschaften zu bewegen, muss für den
  • 38:33 - 38:37
    NSU geheißen haben, dass sie sich nicht
    groß verstellen mussten, wenn sie sich...
  • 38:37 - 38:41
    wenn sie eine rassistische Äußerung
    gemacht haben, sondern, dass das dort eben
  • 38:41 - 38:48
    dazugehört hat. Und gleichzeitig heißt das
    auch oder könnte es auch heißen, dass sie
  • 38:48 - 38:53
    sich auch davon bestärkt gefühlt haben.
    Der NSU ist, wie gesagt, in den 1990er
  • 38:53 - 38:59
    Jahren sozialisiert worden, als es einen
    massiven gesellschaftlichen Rechtsruck
  • 38:59 - 39:02
    damals auch in Deutschland gab mit den
    Pogromen beispielsweise in Rostock-
  • 39:02 - 39:09
    Lichtenhagen, mit den Brandanschlägen in
    Mölln und Solingen. Und dieser
  • 39:09 - 39:14
    gesellschaftliche Rassismus damals hat
    ihnen oder muss ihnen Mut gegeben haben.
  • 39:14 - 39:17
    Und in Zwickau konnten sie dann immer
    wieder feststellen, das hat sich
  • 39:17 - 39:23
    wahrscheinlich auch nicht geändert, dass
    das in der Bevölkerung weit verbreitet
  • 39:23 - 39:31
    ist. Und gleichzeitig neben dem, das es
    eben nicht nur Neonazis für rechten Terror
  • 39:31 - 39:36
    braucht, sondern die gesamte Gesellschaft,
    heißt das aber auch im Umkehrschluss:
  • 39:36 - 39:42
    Daraus entstehen auch unsere
    Handlungsmöglichkeiten. Daraus entsteht
  • 39:42 - 39:48
    auch: Was können wir aus dem NSU-Komplex
    lernen, um rechten Terror zu verhindern?
  • 39:48 - 39:55
    Was wir in den letzten Jahren sehen
    können, ist, dass einige
  • 39:55 - 40:00
    Akteure/Akteurinnen jetzt nicht besonders
    viel aus dem NSU-Komplex gelernt haben und
  • 40:00 - 40:05
    höchstwahrscheinlich auch gar nicht lernen
    wollten. Also wir hatten jetzt in den
  • 40:05 - 40:12
    letzten Wochen den Skandal um den
    sogenannten NSU 2.0, wo sich zumindest
  • 40:12 - 40:17
    wahrscheinlich Teile dessen in der
    Frankfurter Polizei oder in der Polizei in
  • 40:17 - 40:21
    Hessen bewegen, was ist natürlich eine
    Kontinuität von rassistischen Strukturen
  • 40:21 - 40:28
    in der Polizei dargestellt. Wir sehen,
    dass der Verfassungsschutz weiterhin nicht
  • 40:28 - 40:33
    in der Lage ist, Neonazis - und auch nicht
    willentlich ist, ganz offensichtlich -
  • 40:33 - 40:40
    Neonazis Einhalt zu gebieten und die
    Medienberichterstattung - ja, mal so, mal
  • 40:40 - 40:45
    so. Und das heißt, was uns natürlich übrig
    bleibt, ist, dass wir aus dem NSU-Komplex
  • 40:45 - 40:50
    lernen können und dass wir unsere
    Verhaltensweisen, unsere Denkweisen so
  • 40:50 - 40:57
    verändern können, dass zumindest wir eine
    andere Rolle spielen im Fall von rechten
  • 40:57 - 41:02
    Terror. Weil das gilt nicht nur für den
    NSU, das gilt auch für sonstigen rechten
  • 41:02 - 41:13
    Terror. Daraus ergeben sich eben
    Perspektiven. Was heißt das also: Sein
  • 41:13 - 41:18
    Handeln ändern, was heißt das: Lernen aus
    dem NSU-Komplex? Das muss natürlich auch
  • 41:18 - 41:22
    jeder/jede für sich selber so ein bisschen
    wissen, aber so ein paar Ansatzpunkte gibt
  • 41:22 - 41:31
    es natürlich schon. Zum einen natürlich
    Initiativen, die sich direkt mit dem NSU-
  • 41:31 - 41:38
    Komplex auseinandersetzen und da
    beispielsweise Gedenkarbeit machen. Das
  • 41:38 - 41:43
    heißt, eine unserer gesellschaftlichen
    antifaschistischen Aufgaben ist es
  • 41:43 - 41:48
    natürlich, dass das, was passiert ist
    nicht in Vergessenheit gerät. Dass wir
  • 41:48 - 41:53
    also die Mordopfer des NSU nicht
    vergessen, dass wir nicht vergessen, dass
  • 41:53 - 41:59
    Menschen für ihr Leben lang eben von den
    Anschlägen, von den Morden gezeichnet sein
  • 41:59 - 42:04
    werden und das heißt, in den letzten
    Jahren ist eben etwas entstanden, das in
  • 42:04 - 42:10
    den verschiedenen Tatortstädten es eben
    Gedenkveranstaltungen gibt,
  • 42:10 - 42:16
    Gedenkdemonstrationen, Gedenktafeln,
    unterschiedliche Arten des Gedenkens. Das
  • 42:16 - 42:20
    hängt immer jeweils davon ab, wie sich die
    Stadt dort vor Ort verhält; das hängt auch
  • 42:20 - 42:28
    davon ab, was die Familien für Wünsche
    haben. Und so sieht das eben in allen
  • 42:28 - 42:32
    Tatortstädten unterschiedlich aus, ist
    aber eben etwas, was extrem wichtig ist.
  • 42:32 - 42:36
    Was wir hier oben sehen, ist eine
    Demonstration im letzten Jahr in Kassel.
  • 42:36 - 42:40
    Man sieht das schon, die sieht ähnlich aus
    wie die "Kein zehntes Opfer"-Demonstration
  • 42:40 - 42:46
    und hieß damals eben "Kein nächstes Opfer"
    und hat sich natürlich auch damit befasst,
  • 42:46 - 42:50
    dass wir jetzt auch wieder einen
    gesellschaftlichen Rechtsruck erleben,
  • 42:50 - 42:54
    dass man sich also vorstellen kann, dass
    auch wieder Neonazis sich von der
  • 42:54 - 42:58
    gesellschaftlichen Stimmung bestärkt
    fühlen. Organisierte Neonazis, nicht
  • 42:58 - 43:02
    organisierte Neonazis, Rechte,
    Rassisten/Rassistinnen, AntisemitInnen und
  • 43:02 - 43:08
    so weiter sich eben bestärkt fühlen und
    deswegen ihre Ideologie mit Gewalt
  • 43:08 - 43:15
    umsetzen. Und deswegen die Forderung auch,
    "Kein nächstes Opfer". Dann hier unten
  • 43:15 - 43:21
    Gedenkbänke an Mehmet Turgut, der in
    Rostock ermordet wurde und das ist zum
  • 43:21 - 43:27
    Beispiel eine Gedenkveranstaltung, wo die
    Stadt Rostock auch mit Anteil hat, weil
  • 43:27 - 43:32
    das eben ein Wunsch der Familie ist. Und
    hier drüben sehen wir eine Gedenktafel im
  • 43:32 - 43:37
    Gedenken an Ismail Jascha. Das ist keine
    offizielle Gedenktafel der Stadt. Das gibt
  • 43:37 - 43:42
    es in Nürnberg eben nicht, sondern dort
    sorgt sich eine antifaschistische
  • 43:42 - 43:48
    Initiative darum, dass die... dass dort
    Gedenkveranstaltungen stattfinden und dass
  • 43:48 - 43:52
    diese Gedenktafeln dort hängen, weil die
    werden immer wieder beschädigt,
  • 43:52 - 43:58
    kaputtgemacht, weggenommen und
    dementsprechend... ja. Und eben, das eine
  • 43:58 - 44:03
    ist das Gedenken, das andere ist eben
    konkret die Forderung der Familien und der
  • 44:03 - 44:09
    Angehörigen umzusetzen, soweit es eben uns
    möglich ist. Das heißt, die Familien haben
  • 44:09 - 44:14
    häufig Forderungen nach Aufklärung, haben
    aber auch ganz konkrete Forderungen, wie
  • 44:14 - 44:19
    in Kassel die Familie von Halit Yozgat,
    die eben fordert, dass die Holländische
  • 44:19 - 44:27
    Straße, in der ihr Sohn ermordet wurde,
    dass die umbenannt wird in Halitstraße für
  • 44:27 - 44:33
    alle Halits und dass nie wieder ein Halit
    ermordet wird aus rassistischen Gründen.
  • 44:33 - 44:37
    Deswegen soll diese Holländische Straße
    umbenannt werden. Die Stadt Kassel sperrt
  • 44:37 - 44:42
    sich dagegen. Die hat stattdessen einen
    vorher unbenannten Platz schräg gegenüber
  • 44:42 - 44:47
    des ehemaligen Internetcafés umbenannt und
    eine Straßenbahnhaltestelle und sagt eben,
  • 44:47 - 44:53
    "OK, das reicht an Verantwortungsübernahme
    hier in Kassel". Und gleichzeitig ist die
  • 44:53 - 44:56
    Stadt inzwischen auch so weit zu sagen,
    "Wir ziehen uns zurück aus der offiziellen
  • 44:56 - 45:02
    Gedenkveranstaltung" und stattdessen wird
    es jetzt sozusagen eine nichtöffentliche
  • 45:02 - 45:09
    Wissenschaftspreisvergabe zum Thema NSU
    geben. Und das heißt, es ist an
  • 45:09 - 45:13
    Aktivisten/AktivistInnen, diese Forderung
    umzusetzen beziehungsweise der immer
  • 45:13 - 45:17
    wieder auch Nachhall zu geben und das
    passiert in Kassel auch sehr stark, durch
  • 45:17 - 45:23
    Straßenumbenennungen, beispielsweise auch
    bei der letztjährigen Documenta war auf
  • 45:23 - 45:28
    der offiziellen Documenta-Stadtkarte die
    Holländische Straße also in Halitstraße
  • 45:28 - 45:34
    umbenannt. Und das ist eben etwas, was
    ganz konkret jetzt auch in den nächsten
  • 45:34 - 45:39
    Jahren natürlich so weitergehen muss. Das
    Gedenken muss weitergehen und eben das
  • 45:39 - 45:43
    Ausloten dessen, inwieweit kann... können
    wir eigentlich als Gesellschaft die
  • 45:43 - 45:47
    Forderungen der Angehörigen und
    Überlebenden, die häufig öffentlich
  • 45:47 - 45:54
    einfach nachlesbar sind, eigentlich
    umsetzen. Und eine der Forderungen der
  • 45:54 - 45:59
    Angehörigen, aber auch eine unserer
    zentralen Forderungen, ist natürlich die
  • 45:59 - 46:06
    nach weiterer Aufklärung. Das heißt, diese
    offenen Fragen: Das Neonazinetzwerk, das
  • 46:06 - 46:09
    Handeln des Verfassungsschutzes, das
    Handeln der Behörden, die
  • 46:09 - 46:15
    Vertuschungsaktionen der Behörden - was
    ist eigentlich damit? Wann werden diese
  • 46:15 - 46:19
    Fragen beantwortet? Wann wird dort endlich
    aufgeklärt? Und deswegen gibt es auch
  • 46:19 - 46:25
    Initiativen, die eben weitere Aufklärung
    fordern, ganz konkret beispielsweise in
  • 46:25 - 46:33
    Hamburg. Die Initiative zur Aufklärung des
    Mordes an Süleyman Taşköprü, die in
  • 46:33 - 46:37
    Hamburg fordern: Es muss einen
    Untersuchungsausschuss geben, denn Hamburg
  • 46:37 - 46:42
    ist weiterhin das letzte Tatortland des
    NSU, wo es keinen Untersuchungsausschuss
  • 46:42 - 46:45
    gegeben hat. Natürlich haben wir In den
    letzten Jahren gesehen, dass diese
  • 46:45 - 46:49
    parlamentarische Untersuchungsausschüsse
    jetzt auch nicht das Allheilmittel sind.
  • 46:49 - 46:54
    Also das heißt, nur weil es sie gibt,
    heißt das nicht, dass am Ende die
  • 46:54 - 47:00
    komplette Aufklärung steht. Aber natürlich
    ist es ein Mittel, was zumindest einmal
  • 47:00 - 47:06
    angewandt werden musste und was... ja, wo
    der Staat die Städte, und in dem Fall
  • 47:06 - 47:11
    konkret Hamburg, eben ein Stück weit auch
    Verantwortung für das eigene Handeln
  • 47:11 - 47:14
    übernehmen müssen. In Hamburg gibt es
    stattdessen nur
  • 47:14 - 47:19
    Symbolpolitik.Beispielsweise wurde eine
    Straße umbenannt und dort gab es eine
  • 47:19 - 47:23
    offizielle Entschuldigung des Senats, aber
    einen Untersuchungsausschuss möchte man
  • 47:23 - 47:29
    nicht einrichten mit der Begründung, die
    wir auch in anderen Bundesländern, wie zum
  • 47:29 - 47:33
    Beispiel Bayern, hören: "Ja, das ist ganz
    wichtig alles. Aber solange wir keine
  • 47:33 - 47:37
    neuen Informationen haben, können wir
    leider keinen Untersuchungsausschuss
  • 47:37 - 47:48
    einrichten." Und so ist es eben an
    zivilgesellschaftlichen Initiativen, diese
  • 47:48 - 47:52
    diese Aufklärung weiterhin einzufordern,
    aber auch zu versuchen die Aufklärung
  • 47:52 - 48:00
    selber voranzutreiben. Das sehen wir
    natürlich auch als unsere Aufgabe, als
  • 48:00 - 48:05
    AntifaschistInnen, NSU-Watch und so
    weiter, nämlich unseren eigenen Anteil zur
  • 48:05 - 48:14
    Aufklärung auch beizutragen. Also das
    heißt, am Anfang - kurz nach Bekanntwerden
  • 48:14 - 48:20
    des NSU - da ging das los, dass
    Antifaschistinnen/Antifaschisten da in den
  • 48:20 - 48:25
    Archiven geguckt haben, für Informationen
    gesorgt haben, recherchiert haben. Und das
  • 48:25 - 48:29
    hat seitdem auch nie aufgehört. So sehen
    wir auch unsere Rolle als NSU-Watch. Wir
  • 48:29 - 48:32
    sind nicht einfach nur Beobachter/
    Beobachterinnen, sondern wir sind selber
  • 48:32 - 48:40
    Akteure und Akteurinnen in der Aufklärung
    des NSU-Komplexes und... beispielsweise,
  • 48:40 - 48:47
    welche von den offenen Fragen kann man
    vielleicht als Gesellschaft möglicherweise
  • 48:47 - 48:54
    beantworten? Ich glaube, dass wir eher die
    Frage nach dem Neonazi-Netzwerk
  • 48:54 - 48:59
    beantworten können, als die nach dem Warum
    des Handeln des Verfassungsschutzes. Aber
  • 48:59 - 49:02
    das werden eben die nächsten Jahre zeigen,
    aber da bin ich eigentlich relativ
  • 49:02 - 49:08
    optimistisch, dass wir da den Antworten
    auch noch näher kommen. Und wir haben auch
  • 49:08 - 49:12
    gesehen, seit Ende dieses Prozesses, haben
    die Forderungen nach Aufklärung nicht
  • 49:12 - 49:18
    aufgehört. Für manche war das vielleicht
    das Ende des NSU-Komplexes, aber für
  • 49:18 - 49:25
    viele, viele eben nicht. Dann gibt es auch
    Initiativen, die sich... oder wo ich sagen
  • 49:25 - 49:30
    würde, das könnte es bedeuten, als
    Initiative, als Gesellschaft aus dem NSU-
  • 49:30 - 49:35
    Komplex zu lernen und sich gar nicht
    direkt mit dem NSU-Komplex zu
  • 49:35 - 49:40
    beschäftigen, sondern eben mit anderen
    möglichen rassistischen Morden, mit
  • 49:40 - 49:48
    rechtem Terror. Da gibt es zum einen die
    Burak Bektaş-Initiative aus Berlin, die
  • 49:48 - 49:54
    sich mit dem Mord an Burak Bektaş
    befassen, der 2012 auf offener Straße
  • 49:54 - 50:00
    ermordet wurde. Burak Bektaş stand mit
    seinen Freunden in einer Gruppe in Berlin-
  • 50:00 - 50:05
    Neukölln und da trat eben ein weißer Mann
    auf sie zu und hat auf sie geschossen und
  • 50:05 - 50:11
    ist dann eben wortlos wieder weggegangen.
    Und Burak Bektaş hat diesen Anschlag eben
  • 50:11 - 50:16
    nicht überlebt. Und in Neukölln gibt es
    bis heute Neonazi-Umtriebe und es spricht
  • 50:16 - 50:21
    einfach sehr viel dafür, dass es sich hier
    um einen möglichen rassistischen Mord
  • 50:21 - 50:26
    handelt. Das ist bis heute aber nicht
    aufgeklärt worden. Aber diese Initiative
  • 50:26 - 50:32
    kämpft eben gemeinsam mit der Familie
    darum, dass das aufgeklärt wird. Und sie
  • 50:32 - 50:37
    haben auch dieses Denkmal in Berlin-
    Neukölln schon erkämpfen können. Das
  • 50:37 - 50:43
    heißt, hier ist... wird gemeinsam mit den
    Betroffenen gekämpft und die Familie wird
  • 50:43 - 50:50
    eben nicht alleingelassen. Und einfach nur
    diese Vorstellung, sowas hätte man vor
  • 50:50 - 50:54
    2011 geschafft mit den Angehörigen, die
    wir vorher auf dem Foto der Demonstration
  • 50:54 - 50:58
    gesehen haben - ich glaube schon, dass
    das einen großen Unterschied gemacht
  • 50:58 - 51:04
    hätte. Dann gibt es viele Initiativen, die
    die Geschichte des rechten Terrors seit
  • 51:04 - 51:11
    1945 aufarbeiten, das heißt, die nach 2011
    noch einmal geschaut haben: Wie sieht
  • 51:11 - 51:16
    diese Kontinuität eigentlich aus? Und das
    ist eine Initiative aus Hamburg, deren
  • 51:16 - 51:22
    Gedenken wir hier sehen. Das ist die
    Initiative in Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu
  • 51:22 - 51:28
    und Đỗ Anh Lân, die sich in Hamburg
    gegründet hat und die an die beiden Opfer
  • 51:28 - 51:35
    des Brandanschlags von 1980 in Hamburg
    gedenken. Dieser Brandanschlag ist 1980
  • 51:35 - 51:43
    von den Deutschen Aktionsgruppen verübt
    worden und ist... war... hat damals auch
  • 51:43 - 51:47
    viel Aufmerksamkeit bekommen, ist aber
    dann jahrelang in Vergessenheit geraten.
  • 51:47 - 51:51
    Und diese Initiative hat sich eben
    gegründet, nachdem sie auf den
  • 51:51 - 51:55
    Brandanschlag aufmerksam geworden sind,
    haben sich auch mit Überlebenden und mit
  • 51:55 - 52:01
    Angehörigen zusammengetan und kämpfen
    jetzt dort in Hamburg um einen Gedenkort
  • 52:01 - 52:06
    und machen eben eine jährliche
    Gedenkveranstaltung auch dort. Und so
  • 52:06 - 52:14
    kehren immer mehr rechte Anschläge, rechte
    Terroranschläge zurück in, zumindest ein
  • 52:14 - 52:18
    linkes Gedächtnis, zurück in, ein Stück
    weit, ein kollektives Gedächtnis.
  • 52:18 - 52:24
    Anschläge, die lange Zeit vergessen waren,
    an die wird sich jetzt eben wieder
  • 52:24 - 52:27
    erinnert. Und so kann eben auch gezeigt
    werden: Rechter Terror, das ist... sind
  • 52:27 - 52:33
    nicht nur so verrückte Einzelfälle, die
    eben mal passieren, sondern das ist etwas,
  • 52:33 - 52:38
    was eine Kontinuität hat und wo sich die
    Täter/Täterinnen immer an den ähnlichen
  • 52:38 - 52:46
    Konzepten orientieren, die eben geeint
    sind von, ja, der rassistischen Ideologie.
  • 52:46 - 52:52
    Dann hier ein Bild auch aus Hamburg,
    nämlich sozusagen ein Symbolbild vom
  • 52:52 - 52:58
    S-Bahnhof Veddel. Am S-Bahnhof Veddel gab
    es im letzten Jahr im Dezember einen
  • 52:58 - 53:04
    Sprengstoffanschlag. Und sehr schnell
    wurde auf Social Media darauf aufmerksam
  • 53:04 - 53:08
    gemacht, dass es sich hier um einen
    rechten Anschlag handeln könnte. Nämlich
  • 53:08 - 53:12
    deswegen, weil der S-Bahnhof Veddel der
    Zugang ist zu den Vierteln Veddel und
  • 53:12 - 53:17
    Wilhelmsburg in Hamburg, die ja sehr stark
    migrantisch geprägt sind und wo auch viele
  • 53:17 - 53:23
    linke Menschen leben. Und deswegen wurde
    gesagt: Hier könnte es sich also um einen
  • 53:23 - 53:29
    rechten Anschlag handeln. Und das konnte
    man deswegen sagen, weil rechter Terror
  • 53:29 - 53:35
    funktioniert eben so, dass die Taten
    häufig ohne Bekennerschreiben auskommen.
  • 53:35 - 53:39
    Also daran kann man es schon mal nicht
    erkennen, auch wenn das die Polizei und
  • 53:39 - 53:43
    Medien bis heute glauben, dass man rechten
    Terror an Hakenkreuzschmierereien oder so
  • 53:43 - 53:48
    erkennt. Das stimmt eben nicht, sondern
    man erkennt die als Botschaftstat. Das
  • 53:48 - 53:53
    heißt, man muss schauen: Wer waren
    möglicherweise die gemeinten Menschen,
  • 53:53 - 53:58
    also wer war als Opfer, als Betroffener
    hier gemeint? Und wenn es da eben eine
  • 53:58 - 54:02
    Übereinstimmung gibt mit rechter
    Ideologie, dann könnte es sich um rechten
  • 54:02 - 54:08
    Terror handeln. Und häufig gibt es eben
    Überschneidungen in der Vorgehensweise.
  • 54:08 - 54:16
    Also hier ein Sprengsatz, der erinnert hat
    an das Vorgehen der Gruppe Freital, die
  • 54:16 - 54:22
    also ähnliche Sprengkörper benutzt haben,
    und dadurch, dass der Sprengsatz auch mit
  • 54:22 - 54:26
    Schrauben versehen war, haben auch viele
    an den Nagelbombenanschlag in der Kölner
  • 54:26 - 54:32
    Keupstraße gedacht. Also das heißt,
    Opferauswahl, potentielle, und die
  • 54:32 - 54:35
    Vorgehensweise. Deswegen haben viele
    Menschen daran gedacht: Hier könnte es
  • 54:35 - 54:40
    sich um einen rechten Hintergrund handeln.
    Der Täter ist dann festgenommen worden.
  • 54:40 - 54:45
    Das war Stefan Kronbügel aus Hamburg, ein
    altbekannter Neonazi, der schon einmal in
  • 54:45 - 54:52
    den 90er Jahren aus rechten Gründen
    gemordet hatte. Und das heißt, noch ein
  • 54:52 - 54:56
    weiteres Indiz dafür, dass es sich hier um
    rechten Terror gehandelt hat. Dann konnte
  • 54:56 - 55:03
    man sehen, wie war das, wer reagiert wie?
    Die Polizei hat runtergespielt, die haben
  • 55:03 - 55:06
    immer gesagt: "Nein, der ist kein Neonazi
    mehr, weil der ist nicht organisiert und
  • 55:06 - 55:09
    der ist jetzt in der sogenannten
    Trinkerszene." Als ob das das irgendwie
  • 55:09 - 55:15
    ausschließen würde, dass der Rassist oder
    Neonazi sein könnte. Das war eben aber
  • 55:15 - 55:22
    das, wie die Polizei das verhandelt hat.
    Und gleichzeitig kam kein Bericht dar...
  • 55:22 - 55:26
    sozusagen ohne die Erwähnung des
    Hintergrunds des Täters aus. Und dann hat
  • 55:26 - 55:30
    eben sich für den Gerichtsprozess diesen
    Jahres auch eine Prozessbeobachtungsgruppe
  • 55:30 - 55:35
    gegründet, die diesen Prozess eben
    beobachtet hat und bis zum Ende mit
  • 55:35 - 55:41
    beobachtet hat und am Ende stand das
    Urteil: Zehn Jahre für den Täter wegen
  • 55:41 - 55:48
    versuchten Mordes. Und das Gericht sah ein
    rassistisches Motiv als sehr
  • 55:48 - 55:52
    wahrscheinlich an, zwar nicht beweisbar,
    aber als sehr wahrscheinlich. Und das
  • 55:52 - 55:56
    heißt, hier konnte darauf aufmerksam
    gemacht wurden: "Wir glauben nicht, dass
  • 55:56 - 56:02
    das eine unpolitische Tat ist, sondern wir
    glauben, dass das rechter Terror ist." Und
  • 56:02 - 56:05
    das heißt, glaube ich, auch aus dem NSU
    Komplex lernen und man sieht das auch
  • 56:05 - 56:12
    immer wieder in Social Media-Bereich.
    Insbesondere, dass also solche Aussagen
  • 56:12 - 56:16
    von Polizei, dass es bei bestimmten
    Anschlägen keinen rechten Hintergrund hat,
  • 56:16 - 56:20
    dass dem nicht geglaubt wird, dass dem
    entgegengetreten wird, dass also rechter
  • 56:20 - 56:26
    Terror von der Gesellschaft, von uns
    aufgedeckt werden kann. Natürlich heißt
  • 56:26 - 56:33
    Lernen aus dem NSU-Komplex, sich dem
    aktuellen Rechtsruck entgegen zu stellen.
  • 56:33 - 56:37
    Das wird ja sehr viel diskutiert, wie das
    möglich sein könnte; leider haben auch wir
  • 56:37 - 56:41
    nicht die endgültige Antwort darauf, wie
    das eigentlich funktionieren kann, sich
  • 56:41 - 56:47
    dem Rechtsruck entgegenzustellen und den
    auch zurückzudrängen. Weil das wäre
  • 56:47 - 56:52
    natürlich das Ziel, dass man diesen
    Rechtsruck ein Stück weit oder möglichst
  • 56:52 - 56:57
    weit rückgängig machen kann. Aber leider
    gibt es bis dahin, gibt es da auch kein
  • 56:57 - 57:02
    Patentrezept, aber was wir sagen können,
    wenn wir lernen aus dem NSU-Komplex, ist
  • 57:02 - 57:08
    das eigentlich das Einzige, was Rechte und
    Neonazis verstehen, tatsächlich eine
  • 57:08 - 57:14
    Grenzsetzung ist, ein gesellschaftlicher
    Aushandlungsprozess, an dem klar ist: Das
  • 57:14 - 57:18
    ist sozusagen nicht akzeptiert. Und daran
    zeigt sich natürlich auch, wo ist
  • 57:18 - 57:23
    eigentlich für eine Gesellschaft eine
    Grenze, wie weit rückt eine Gesellschaft
  • 57:23 - 57:28
    nach rechts? Aber, wie gesagt, da gibt
    noch keine... leider noch keine Antwort
  • 57:28 - 57:33
    darauf, aber mit oder ohne NSU-Komplex im
    Hintergrund ist das natürlich das, was
  • 57:33 - 57:43
    derzeit das Wichtigste ist. Und natürlich:
    Kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex.
  • 57:43 - 57:48
    Das bleibt auch weiterhin unsere
    Perspektive. Die Fragen sind nicht
  • 57:48 - 57:54
    beantwortet, die Forderungen der
    Angehörigen sind nicht erfüllt worden. Es
  • 57:54 - 57:58
    muss... die Aufklärungsversprechen sind
    alle gebrochen worden. Das heiß,t es ist
  • 57:58 - 58:04
    jetzt an uns, diese Versprechen vielleicht
    ein Stück weit zu erfüllen und eben
  • 58:04 - 58:10
    weiterhin zu sagen: Der NSU-Komplex, das
    ist nichts was für uns abgeschlossen ist,
  • 58:10 - 58:17
    sondern das muss eben weitergehen. Wie
    gesagt: Antworten finden, Forderungen
  • 58:17 - 58:21
    erfüllen und dem gesamtgesellschaftlichen
    Rassismus, der, wie, ich vorhin eben
  • 58:21 - 58:27
    gezeigt habe, den NSU-Komplex oder den NSU
    mitgetragen hat, bei den Morden getragen
  • 58:27 - 58:33
    hat, eben entgegentreten und letztlich
    auch natürlich abschaffen. Ja.
  • 58:33 - 58:39
    Applaus
    Herald: Vielen Dank, Caro, für diesen
  • 58:39 - 58:54
    tollen Talk. Wir haben ganz kurz noch Zeit
    für 1-2 Fragen und der Fairness halber
  • 58:54 - 58:58
    würde ich mit einer Frage aus dem Internet
    beginnen.
  • 58:58 - 59:13
    Signal Angel: Aufgrund der mangelhaften
    Ermittlungen, dass eben nicht in alle
  • 59:13 - 59:14
    Richtungen ermittelt wurde: Haben die
    Beamten etwas zu befürchten?
  • 59:14 - 59:16
    Caro Keller: Also bisher nicht. Also es
    gibt sozusagen weder für das Neonazi-
  • 59:16 - 59:21
    Netzwerk noch für die
    Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Behörden
  • 59:21 - 59:27
    irgendwelche ernstzunehmenden
    Konsequenzen. Da sind zwar sogar auch
  • 59:27 - 59:31
    Menschen in den Behörden benannt worden,
    sowohl Polizei als auch Verfassungsschutz,
  • 59:31 - 59:36
    aber wir konnten da bisher keinerlei
    Konsequenzen sehen, geschweige denn davon,
  • 59:36 - 59:41
    dass die irgendwie strafrechtlich belangt
    werden. Es ist auch die Position der
  • 59:41 - 59:49
    Bundesanwaltschaft zu sagen: Kein
    strafrechtliches Handeln des Staates. Das
  • 59:49 - 59:54
    ist sicherlich so nicht richtig, aber da
    wird es wahrscheinlich leider keine
  • 59:54 - 59:59
    Konsequenzen geben, müssten aber natürlich
    entsprechend gefordert werden.
  • 59:59 - 60:04
    Herald: Und dann nehmen wir noch eine
    letzte Frage aus dem Publikum. Hier vorne
  • 60:04 - 60:08
    von dem Mikrofon Nr. 2.
    Mikrofon 2: Ja, hallo. Es gab ja vor
  • 60:08 - 60:12
    einigen Monaten einen Anschlag auf eine
    bayerische Bahnstrecke, wo ein Stahlseil
  • 60:12 - 60:17
    über eine Bahnstrecke gespannt wurde, wo
    dann ein ICE dagegengefahren ist. Dagegen
  • 60:17 - 60:20
    ist nichts passiert. Es wurde ein
    Bekennerschreiben in arabischer Sprache
  • 60:20 - 60:24
    gefunden, wobei es im Nachhinein aus den
    Polizeirmittlungen hieß, es könnte sich
  • 60:24 - 60:30
    möglicherweise um einen rechtsextremen
    Terroranschlag handeln. Wie ist das, sind
  • 60:30 - 60:34
    dir von deinen Kenntnissen und Erfahrungen
    aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten
  • 60:34 - 60:41
    möglicherweise "false flag" rechtsextreme
    Anschläge bekannt, die eigentlich so getan
  • 60:41 - 60:45
    wurden, dass sie möglicherweise einer...
    ihrer gegnerischen Gruppe quasi
  • 60:45 - 60:49
    zugeschoben werden sollten?
    Caro Keller: Das ist ja eine der
  • 60:49 - 60:52
    Strategien auch von rechtem Terror, genau
    solche "false flag"-Aktionen zu machen,
  • 60:52 - 60:58
    das heißt also, einen Anschlag zu verüben
    und dann so zu tun, als käme der entweder
  • 60:58 - 61:07
    von linker Seite oder von islamistischer
    Seite und dadurch also ein... die
  • 61:07 - 61:11
    gesellschaftliche Spannung und
    gesellschaftliche rassistische Stimmung
  • 61:11 - 61:18
    oder Stimmung gegen links eben
    voranzutreiben und dadurch eben Menschen
  • 61:18 - 61:21
    Richtung rechts zu bewegen. Das ist
    sozusagen die Idee dahinter und
  • 61:21 - 61:26
    beispielsweise der Anschlag in Italien auf
    den Bahnhof in Bologna war genau so ein
  • 61:26 - 61:32
    Anschlag. Ein "false flag"-Anschlag, der
    dann eine ganze Zeit lang sozusagen Linken
  • 61:32 - 61:36
    zugeschrieben wurde und der dann
    tatsächlich auch dazu geführt hat, dass
  • 61:36 - 61:42
    Rechte mehr Wahlstimmen bekommen haben,
    dass also diese... ja, diese Strategie
  • 61:42 - 61:48
    dahinter, das ist ja auch das, was Franco
    A. wahrscheinlich vorgehabt hat, der
  • 61:48 - 61:53
    rechte Bundeswehrsoldat, der rechten
    Terror eben geplant hat. Der hatte sich ja
  • 61:53 - 61:57
    auch als syrischer Flüchtling registrieren
    lassen und wahrscheinlich hatte der eben
  • 61:57 - 62:02
    auch solche "false flag"-Aktionen vor. Und
    genau zu diesem Anschlag auf die
  • 62:02 - 62:06
    Obertrasse des ICE gibt es jetzt nochmal
    von vor ein paar Tagen einen ähnlichen
  • 62:06 - 62:13
    Anschlag in Berlin auf das Streckennetz,
    der genauso war. Oberleitung und ringsrum
  • 62:13 - 62:19
    eben Flyer in arabischer Sprache, was eben
    auch genau so ein "false flag" Anschlag
  • 62:19 - 62:24
    sein könnte. Und genau das versuchen wir
    auch eben immer im Blick zu haben,
  • 62:24 - 62:28
    mitzunehmen, im Hinterkopf zu haben und
    dort auf Aufklärung zu drängen und das
  • 62:28 - 62:32
    eben zu bemerken. Also das ist, glaube
    ich, auch das ganze Zentrale, dass eben
  • 62:32 - 62:37
    wir dran sind, solche Sachen richtig
    zuzuordnen oder zumindest wahrzunehmen und
  • 62:37 - 62:40
    dann so zuzuordnen.
    Herald: Vielen Dank für eure Fragen,
  • 62:40 - 62:44
    besonders vielen Dank für die Antworten
    und sowieso nochmal ganz vielen Dank für
  • 62:44 - 62:46
    diesen tollen Talk, Caro. Bitte nochmal
    einen großen Applaus.
  • 62:46 - 62:53
    Applaus
  • 62:53 - 63:17
    Untertitel erstellt von c3subtitles.de
    im Jahr 2019. Mach mit und hilf uns!
Title:
35C3 - "Das ist mir nicht erinnerlich." − Der NSU-Komplex heute
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Video Language:
German
Duration:
01:03:18

German subtitles

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