35C3-Vorspannmusik
Herald: Herzlich willkommen zu unserem
nächsten Talk: "Das ist mir nicht
erinnerlich, der NSU-Komplex heute." Es
gab einiges an Auseinandersetzung um die
Morde des Nationalsozialistischen
Untergrunds und auch den Prozess dazu.
Aber es sind trotzdem ziemlich viele
Fragen nicht gestellt worden und es gibt
vor allem auch ziemlich viele Leute, die
eigentlich die Antworten gar nicht hören
wollen. Und darum geht es jetzt am
nächsten Talk. Caro Keller ist hier, das
ist unsere Speakerin. Sie ist auch aktiv
bei NSU-Watch und sie beschäftigt sich in
diesem Talk mit der Frage: Was jetzt?
Bitte einen sehr herzlichen Applaus für
Caro und viel Spaß.
Applaus
Caro Keller: Ja vielen Dank. Hallo auch
von mir, ich bin wie gesagt Caro Keller
von NSU-Watch. NSU-Watch ist ein
bundesweites antifaschistisches Bündnis,
Uns gibt es so seit 2012 und zwar im
Nachgang des Bekanntwerden des
Nationalsozialistischen Untergrunds. Wir
gucken uns gleich auch nochmal natürlich an, was das ist,
so für unsere Erinnerung. 2011, als eben
bekannt wurde, dass es den NSU gab, haben
sich bundesweit Antifaschisten,
Antifaschistinnen zusammengetan, haben in
ihren Erinnerungen und in ihren Archiven
alles zusammengetragen, was man finden
konnte zu dem Zeitpunkt über diese Neonazi-
Gruppierung, Neonazi-Terrorgruppierung. Und
dieses Bündnis hat sich dann eben
verstetigt, als dann klar wurde: Es wird
eben auch Untersuchungsausschüsse und ein
Prozess oder mehrere Prozesse zu dem Thema
geben und es dann klar war: Es gibt keine
offiziellen Protokolle, beispielsweise in
diesem großen Prozess, der 2012 noch in der
Zukunft lag. Und deswegen haben wir uns
eben überlegt, eine Säule unserer Arbeit soll
sein, jeden Tag diesen Prozess in München
zu begleiten und da Protokolle zu
erstellen. Und das ist eben das bundesweite
antifaschistische Netzwerk, was es bis
heute gibt. Und inzwischen sind wir am
anderen Ende des Prozesses angelangt. Das
heißt der NSU-Prozess in München, der ist
in diesem Jahr im Juli zu Ende gegangen.
Aber schauen wir doch noch einmal schnell,
was da 2011 bekannt wurde. Nämlich: Es hat
sich herausgestellt, dass eine vorher unter
anderem Namen bekannte Mordserie, eine
rassistische Mordserie, durchgeführt von
Neonazis war. Nämlich die Mordserie an
9 Menschen mit migrantischem
Hintergrund und einer deutschen
Polizistin sowie 3
Sprengstoffanschläge und 15
Banküberfälle. Vor 2011 wurde nicht in
Richtung rechtes Motiv wirklich ermittelt, sondern
es wurde gegen die Betroffenen, gegen die
Opfer, gegen die Familien, gegen die
Überlebenden ermittelt. Aber dazu später
mehr. Das ist das, was auch in München vor
Gericht verhandelt wurde und das, was 2011
bekannt wurde. Wir sprechen aber eben
nicht nur von NSU, sondern von NSU-Komplex.
Und warum das so ist, das möchte ich in dem
Vortrag auch zeigen. Weil es nämlich nicht
nur diese Mordserie war, nicht nur
Neonazis, die die durchgeführt hat, sondern weil
eigentlich die gesamte Gesellschaft daran
ihren Anteil hatte, dass diese Mordserie
funktionieren konnte und dass der NSU bis
2011 unentdeckt blieb. Am 11.07.2018 gab
es nach über 5 Jahren die
Urteilsverkündung im ersten NSU-Prozess.
Dieser Prozess, der sollte sich also genau dem
widmen, was wir in der vorherigen Grafik
gesehen haben, also das heißt: Den 10
Morden, den Sprengstoffanschlägen und den
Banküberfällen. Aber schon sehr schnell ist
am Anfang des Prozesses und auch schon
davor bekannt geworden, dass der NSU-
Komplex eben, wie gesagt, schon sehr viel mehr
umfasst. Und in diesem Prozess konnte das
auch gezeigt werden – und zwar vor allen
Dingen durch die sehr engagierte Arbeit
der Nebenklage, das heißt, das sind die
Angehörigen, das sind die Überlebenden und
ihre jeweiligen anwaltlichen Vertretungen,
die dort in dem Prozess eben auch
Verfahrensbeteiligte waren, das heißt
viele Rechte hatten. Sie konnten selber
Erklärungen abgeben. Sie konnten Fragen
stellen und sie konnten Beweisanträge
stellen. Und das haben sie versucht, immer
zu zeigen, dass es hier um mehr geht, dass
es um gesamtgesellschaftlichen Rassismus
geht, das es um Polizeiermittlungen gehen
muss, die sich gegen die Familien
gerichtet haben. Dass es um ein Neonazi-
Netzwerk gehen muss, das die Morde mitgetragen,
unterstützt hat, ermöglicht hat und eben
nicht nur um diese 3. Das ist deswegen
so schwierig gewesen, das in den Prozess
hineinzubringen, weil die Anklageschrift, in
den Jahren 2012, 2013 verfasst, nur
beinhaltete: Der NSU ist ein isoliertes
Trio, hat kein großes
Unterstützungsnetzwerk und der Staat hat
überhaupt keinen Anteil an dieser
Mordserie. Und diesem Narrativ musste
praktisch die ganzen Jahre
entgegengetreten werden. Und es ist auch
von unterschiedlichen Seiten passiert. Wie
gesagt, zum einen von Nebenklage, aber auch
von den vielen parlamentarischen
Untersuchungsausschüssen, die es gab und
auch noch gibt, in denen der staatliche
Anteil am NSU-Komplex weiterhin
aufgearbeitet wird und wo beispielsweise
in den Bundestags-Untersuchungsausschüssen
auch sehr deutlich gesagt wurde – und auch
vom Thüringer Untersuchungsausschuss sehr
deutlich gesagt wurde: Nein, der NSU, das ist
kein Trio, das ist ein Netzwerk. Und hier
sehen wir eben, am Tag der
Urteilsverkündung einige der Angehörigen
der Mordopfer und der Überlebenden und
einige Überlebende selbst, die am Tag der
Urteilsverkündung auf die Straße gegangen
sind, und zwar auch deswegen weil, all das,
was an Wissen über den NSU-Komplex in den
letzten Jahren aufgearbeitet wurde, an
diesem Tag der Urteilsverkündung vom Tisch
gewischt wurde. Das heißt, es konnte viel
gezeigt werden. Wir wissen vieles und auch
die Angehörigen und Überlebenden haben
immer wieder die Kraft gefunden, im
Prozess zu erzählen: Was haben die Morde
für sie bedeutet? Was haben die
Ermittlungen für sie bedeutet? Und am Ende
stand ein Urteil, in dem das alles nicht
stattgefunden hat. Das war eigentlich so
eine kurze Darstellung der Verbrechen, wie
wir hier noch, eigentlich das hat in der
Urteilsverkündung stattgefunden. Mehr
nicht. Nicht die Worte der Angehörigen,
nichts über die Ermittlungen, nicht zum
Verfassungsschutz, nicht zum Rassismus,
sondern einfach nur eine kurze Darstellung
der Verbrechen, die dem überhaupt nicht
gerecht wird, was dort in diesem Prozess
überhaupt verhandelt wurde und
gleichzeitig bedeutet dieser Tag ein
Triumph für die dort angeklagten Neonazis, weil
insbesondere diejenigen, die bis heute
aktiv in der Neonazi-Szene sind, nämlich
André Eminger und Ralf Wohlleben. Einer
von ihnen konnte an dem Tag schon das
Gericht freien Fußes verlassen. Nämlich
André Eminger und Ralf Wohlleben konnte
eine Woche später in die Neonazi-Szene
zurückkehren. Dementsprechend haben auch
die Neonazis, die an dem Tag im Gericht
anwesend waren, dieses Urteil mit Jubel
begleitet. Das heißt, das letzte, was wir in
diesem Gerichtssaal gehört haben, war auch
der Jubel der Neonazis. Und das heißt auch,
dass eben dieses Gericht in München nicht
es für angemessen gesehen hat, rechten
Terror aufzuklären, aufzuarbeiten und dem
Grenzen zu setzen. Weil das wäre natürlich
auch ein Teil dieses Urteils gewesen, zu
sagen, dass diese Mordserie, muss auch hart
bestraft werden. Das ist eben an diesem
Tag nicht passiert, aber das Schlimmste
ist eben, dass der Richter keine Worte gefunden
hat zu den Angehörigen, zu den
Überlebenden, was in solchen
Urteilsverkündungen eigentlich total üblich
ist. Das heißt, man kann eigentlich
alles sagen in diesen Urteilsverkündungen.
Und ganz häufig wird gesagt:
Was bedeuten eigentlich die Verbrechen?
Das ist im NSU-Prozess nicht passiert. Und
trotzdem haben eben, wie man auf diesem
Bild sieht, einige Angehörige und
Überlebende an dem Tag die Kraft gefunden,
doch noch abends auf die Straße zu gehen
und eine antifaschistische Demonstration
unter dem Motto "Kein Schlussstrich unter
den NSU-Komplex", sozusagen anzuführen. Dort
voranzugehen und sich dieser Forderung, dass mit
dem Ende des NSU-Prozesses der NSU-Komplex
nicht abgeschlossen werden kann, dass sie
sich dieser Forderung eben auch
anschließen. Und das heißt, wir nehmen von
diesem Tag und aus diesem Prozess sehr
viel mehr mit, als am Ende im Urteil
drinsteht. Der Prozess und alle
Untersuchungsausschüsse waren natürlich
geprägt von diesem Satz, der auch der Titel
für diesen Vortrag ist, nämlich: "Das ist mir
nicht erinnerlich." Das haben Menschen, die
beim Verfassungsschutz arbeiten gesagt,
das haben Neonazis gesagt, das haben
Vertreter, Vertreterinnen der Polizei
gesagt, dass sie sich nun wirklich nicht
an die Ereignisse vor fünfzehn bis vor
einem Jahr erinnern können. Diese
Erinnerungslücken waren sozusagen zeitlich
relativ unabhängig. Aber uns geht das eben
anders. Als Prozessbeobachterin, als
Beobachterin der Untersuchungsausschüsse.
Wir haben uns das natürlich gemerkt, wir
merken uns das, was die Angehörigen, die
Überlebenden, in diesem Prozess gesagt
haben, was wir über den Verfassungsschutz
erfahren, haben was wir über die Polizei
erfahren haben. Und, das Wichtigste: Was wir
über die Gesellschaft erfahren haben. Und
das ist eben das, was wir mitnehmen und das
ist auch der Kern dieses Vortrages: Was
ist unsere Analyse oder könnte eine
Analyse des NSU-Komplexes sein, aus der
wir lernen können, die wir uns in
Erinnerung behalten können, die wir
sozusagen mitnehmen, dass so etwas nicht
noch einmal passiert? Das ist natürlich
ein Zielpunkt unserer Arbeit. Dass solche
Morde nie wieder passieren können und wenn
sie passieren, dann nicht mehr unentdeckt
bleiben und man deutlich machen kann, dass
es sich um rechten Terror handelt. Und das ist
eben, wie gesagt, die Frage: Was wissen wir
über den NSU-Komplex? Und wie gesagt, wir
sprechen von NSU-Komplex und nicht nur von
NSU, weil es sich eben um ein, bisschen
stumpfe Erklärung, um ein komplexeres
Thema handelt, als nur Neonazis, die ihre
Ideologie befolgen und Menschen aus
rassistischen Gründen ermorden. Und dafür
habe ich mitgebracht, hier so eine Grafik
und die wird auch gleich mit so Zoom-
Effekten funktionieren, wenn wir da eben
durchgehen. Ich hoffe das klappt auch
alles, die ist nicht so besonders schön,
aber das macht vielleicht nichts. Was das
zeigen soll, schon mal vorweggenommen, ist,
dass rechter Terror und der NSU-Komplex,
das ist ein gesellschaftliches Verhältnis,
ein gesellschaftliches Zusammenspiel. Ohne
diese gesellschaftlichen Strukturen hätte
der NSU nicht funktioniert und wäre diese
Mordserie vielleicht nie geschehen oder
hätte früher aufgedeckt werden können. Es
hätten Morde verhindert werden können,
vieles ist da denkbar. Wenn nur der
mittlere Teil, also der NSU gemordet hätte
und alle anderen gesellschaftlichen
Akteure, Akteurinnen sich anders verhalten
hätten. So, und das gehen wir jetzt durch
und das bedeutet auch, dass wir ein grobes
Bild davon, was wir über den NSU-Komplex
wissen. Es sind viele Fragen offen, aber
vieles konnte eben über die letzten Jahre
sehr wohl erfahren werden.
Wir haben also einmal in der Mitte
die Neonazis des NSU und ihr
Netzwerk, das die Morde erdacht hat
und durchgeführt hat.
Und was wir über die
letzten Jahre gelernt haben, was aber auch
schon vorher klar war, ist: Dieses Neonazi-
Netzwerk und wie es funktioniert hat. Der
NSU hat sich das, was er gemacht hat – oder
das was sie gemacht haben, nicht selber
ausgedacht, sondern das sind Konzepte des
rechten Terrors, die es spätestens seit
1945 gibt, die immer weiterentwickelt
werden in der Neonazi-Szene und auch von
Altnazis miterdacht und mitgetragen
wurden. Es ist also nichts Neues und
gleichzeitig ist rechter Terror auch etwas,
was nicht mit dem NSU begonnen hat, sondern
was eine Kontinuität hat seit 1945. Das
ist auch etwas, was über die letzten Jahre
aufgearbeitet wurde – gerade im Hinblick
auf diese Sätze, die 2011 überall
geschrieben standen. Was? Neonazis?
Mordserie? Rechter Terror – so etwas gibt
es? Natürlich gibt es das und das gab es
auch schon vor dem NSU und auch in
ähnlicher Form. Das sogenannte Kern-Trio
des NSU also Mundlos, Böhnhardt und
Zschäpe haben sich also in ihrer
Sozialisationphase, in den 1990er Jahren,
ein breites Netzwerk bundesweit aufgebaut.
Wir können insbesondere diejenigen, die sie
kurz nach dem Untertauchen in ihren
Wohnorten Chemnitz und Zwickau dort
unterstützt haben, auch namentlich
benennen. Diejenigen, die ihnen bei den
Morden und Sprengstoffanschlägen in den
jeweiligen Städten geholfen haben, die
können wir noch nicht namentlich benennen.
Das ist eine große offene Frage, die uns
weiterhin beschäftigt und die wir auch
hoffen, dass man die irgendwann lösen kann.
Wer sind die konkreten Neonazis für den
NSU unterstützt haben, Tatorte gezeigt
haben, mitgemordet haben und so weiter und so
fort. Das ist die Frage und das sind eben
die Neonazis, die hier zur Tat schreiten
und sozusagen das was sie an rassistischen
Ideen haben nur konsequent umsetzen und
Menschen aus rassistischen Gründen
ermorden. Und wie gesagt, wir haben zum
einen gelernt, wie wurden sie
sozialisiert? Wie waren die organisiert
und was haben Sie sich dabei gedacht? All
das ist etwas, was wir, wo wir sagen
können das wissen wir so ziemlich genau.
Gerade weil das in den 1990er Jahren auch
sehr stark dokumentiert wurde, von
Menschen die antifaschistisch recherchiert
haben damals. Als der NSU dann eben
angefangen hat zu morden, Anschläge zu
begehen. Da gab es natürlich auch
entsprechende polizeiliche Ermittlungen
und diesen polizeilichen Ermittlungen,
denen wäre es natürlich auch möglich
gewesen, mal in Richtung rechtes Motiv,
rassistisches Motiv zu schauen und da
wären Sie dann eigentlich relativ schnell,
auf genau diese Neonazi-Szene getroffen.
Denn natürlich gab es immer wieder auch
Spekulationen in den Behörden darüber
rechter Terror gibt es das überhaupt,
eigentlich nicht war dann die Antwort.
Aber wenn überhaupt, dann diese Struktur,
diese drei. Das heißt auch nach 1998,
hatte die Polizei eigentlich nicht
vergessen dass die drei nicht mehr da
sind, also seit 1998 im Untergrund leben.
Aber das hat die Polizei eben nicht getan,
bei der Mordserie und im Vorhinein, nach
1998 als sie von Jena nach Chemnitz
umgezogen waren. Man sagt auch
untergetaucht waren, hätten sie sie ja
auch festnehmen können und auch das ist
eben nicht geschehen. Diese polizeilichen
Ermittlungen, sind auch in den letzten
Jahren sehr sehr detailliert angeguckt
worden, insbesondere in den
Untersuchungsausschüssen und gerade über
die ganz wichtigen Zeitpunkte, nehme ich
beispielsweise zum Untertauchen, 1998 da
kam es erst zu einer Durchsuchung der
gemeinsamen Garagen und da war Uwe
Böhnhardt auch noch anwesend. Er hat dann
gefragt beispielsweise, ob er jetzt mal
wegfahren kann. Die Polizisten vor Ort
haben gesagt: "Ja"; dann ist er also
weggefahren hat sich die anderen
geschnappt und die sind nach Chemnitz
umgezogen. Das wissen wir alles sehr genau
und wirklich geradezu im Minutenablauf.
Und davon getrennt dann eben die
polizeilichen Ermittlungen nach den Morden
und nach den Sprengstoffanschlägen, die
eigentlich alle sehr ähnlich verliefen.
Nämlich: Man hat sich mit rassistisch
konnotierten Thesen mal auf die Suche nach
den möglichen Tätern gemacht und was meine
ich damit? Die Beamten/ Beamtinnen haben
also gesehen, dass dort Menschen mit einem
Migrationshintergrund angegriffen wurden
und/oder ermordet wurden und haben dann
sich gedacht: "Worum könnte sich's
handeln?" und hatten dann eben diese
rassistisch konnotierten Thesen von: Es
könnte sich um einen Mafia-Hintergrund
handeln, um sogenannte Familienfehden und
so weiter und so fort. Also eine
Vorstellungswelt, die wahrscheinlich -
oder die wir deswegen rassistisch nennen,
weil es nicht die Gedankenwelt ist, die
sich bei Polizisten/Polizistinnen auftut,
wenn es sich um weißdeutsche Opfer
gehandelt hätte. Deswegen sprechen wir
hier von Rassismus, und zwar von
institutionellen Rassismus, also
Rassismus, der die Behörde durchzieht,
aber auch von individuellem Rassismus. Das
heißt, wir konnten auch über die letzten
Jahre sehen, dass sich einzelne Beamte und
Beamtinnen einfach selber rassistisch
geäußert haben, rassistisch verhalten
haben. Und das wissen wir deswegen, weil
zum einen die Akten eben in den
Untersuchungsausschüssen deutlich gezeigt
haben, wie die Verhöre gelaufen sind. Das
heißt, wenn eben Angehörige oder
Überlebende gesagt haben, "Wir glauben, es
handelt sich hier um einen rechten
Hintergrund", dann wurde das von den
Verhören, den Polizeibeamten/-beamtinnen
einfach vom Tisch gewischt und stattdessen
wurde dann nach eben diesen sogenannten
Mafiahintergründen gefragt und nicht in
Richtung rechtes Motiv und zugespitzt eben
dort, dass in Köln beispielsweise, äh, ne,
in Dortmund beispielsweise eine Zeugin
gesagt hat, sie hat die Mörder gesehen und
das waren entweder Nazis oder Junkies. Und
im Protokoll stand am Ende eben nur das
Wort "Junkies". Also das heißt, es ist
immer vom Tisch gewischt worden und
stattdessen ist eben massiv gegen die
Familien vorgegangen worden. Also das
heißt, dass beispielsweise den Ehefrauen
der Ermordeten auch Fotos von
irgendwelchen fremden Frauen gezeigt
wurden und gesagt wurde, "Mit dieser
Person hat dein Mann eine zweite Familie
gegründet". Das waren alles Lügen und
sollten dafür dienen, dass eben die
Angehörigen aus der Reserve gelockt
werden. Und das zeigt sich ganz gut in
diesem Zitat. Das stammt aus einer
Fallanalyse der Polizei. Da stand drin:
"Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von
Menschen in unserem Kulturraum mit einem
hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten dass
der Täter hinsichtlich seines
Verhaltenssystems weit außerhalb des
hiesigen Normen- und Wertesystems verortet
ist." Also mit anderen Worten: Weiße Deutsche
Menschen töten sozusagen keine anderen
Menschen. Das ist vor dem geschichtlichen
Hintergrund in Deutschland natürlich etwas
mutig zu behaupten, aber das ist eben das,
was in der Fallanalyse aus dem Jahr 2006
vermerkt war und so waren eben auch die
Ermittlungen geleitet. Und die Polizei hat
da wirklich keinerlei Stein unumgedreht
gelassen, das muss man schon sagen. Also
in Hamburg beispielsweise wurde ein
Wahrsager aus dem Iran dazugeholt, um mit
dem dort ermordeten Süleyman Taşköprü
Kontakt aufzunehmen. Es wurde in Nürnberg
ein Dönerstand von der Polizei betrieben
mit dem Gedanken "OK, wir zahlen jetzt
kein Schutzgeld und dann kommen die
vielleicht auch zu uns und so fassen wir
die jetzt" also wirklich solche
Ermittlungsansätze noch und nöcher. Und
immer, wenn gefragt wurde: "Könnte sich's
auch um einen rechten Hintergrund
handeln?", dann wurde gesagt "Ne, dafür
gibt's... äh, naja, haben wir geguckt aber
dafür gibt's keinen Beleg". Und da muss
man mal ganz klar sagen: Auch für diese
rassistisch konnotierten Thesen gab es
keinerlei Beleg und sie haben das den
Opfern und Überlebenden dann einfach
angehangen. Also das heißt, wir haben
beispielsweise im Fall von der Ermordung
von Enver Simsek, da hat sich irgendjemand
aus dem Gefängnis gemeldet als Informant
und hat eben angegeben, ja er sei mit
Enver Simsek immer Richtung Holland
gefahren, um dort Drogen zu kaufen. Und
das war von dem Informanten einfach
erfunden, um Hafterleichterungen
Hafterleichterung zu bekommen, aber dem
wurde von der Polizei eben extrem viel
Gewicht beigemessen und allen Aussagen
dazu - "Es könnte sich hier um einen
rechten Hintergrund handeln" - eben gar
nicht. Das heißt, wie gesagt, kein Beleg
dafür und trotzdem bis 2011 einfach
relativ unveränderte Ermittlungsrichtung.
Und in dem Moment, wo mal daran gedacht
wurde, dass es sich um einen rechten
Hintergrund handeln könnte, nämlich im
Jahr 2006, da gab es dann Streit in der
bundesweiten Ermittlungsgruppe und es
wurde eben, ja, sich wieder auf diese Art
der Ermittlungen geeinigt sozusagen. Und
das heißt, damit haben die
Polizeibehörden, hat die Polizei, den NSU
eben auch mitgetragen, weil, sie hätten
natürlich mit den richtigen Ermittlungen
den NSU entsprechend stoppen können. Und
wir sprechen hier von rassistischen
Ermittlungen oder institutionellen
Rassismus oder auch deswegen, weil wir das
an einer Stelle eigentlich ganz gut sehen
können. Es gibt drei Mal einen Neuanfang
für die Polizei vor 2011, wo sie in eine
andere Richtung hätten ermitteln können,
nämlich: Es gab den Sprengstoffanschlag in
der Kölner Probsteigasse; es gab die
Mordserie und es gab den Anschlag in der
Kölner Keupstraße. Erst seit 2011 wissen
wir, dass diese Verbrechen
zusammengehören, dass die also dem NSU
zuzuordnen sind. Vor 2011 war das nicht
klar. Also konnte man eigentlich - hätte
man unabhängig voneinander dort ermitteln
können, aber nein. Bei allen drei Fällen
genau das Gleiche und wirklich bis hin zu
Einschleusung von verdeckten Ermittlern
Ermittlerinnen, die sich dann an die
Familien rangehangen haben, um deren
Vertrauen zu gewinnen, um etwas aus denen
herauszubekommen. Der nächste Ring
sozusagen ist die Berichterstattung der
Medien, die komplett in die gleiche
Richtung ging. Also das heißt, sie haben
zum Einen verlautbaren lassen, was die
Polizei ihnen gesagt hat und haben dann
aber im Grunde immer noch ihre eigenen
rassistischen Märchen dazugesponnen. Da
gibt es zum Beispiel aus dem Jahr 2011
einen Spiegel-Artikel mit der Überschrift
"Düstere Parallelwelt". Er ist aus dem
Sommer 2011, also so etwas wie sechs
Monate, bevor der NSU bekannt geworden
ist. Und der Artikel funktioniert also so:
Am Anfang steht so eine Überlegung: "Ja,
könnte es einen einzelnen Psychopathen
geben, der Menschen aus... oder der
türkische Menschen ermordet, weil er sie
so sehr hasst?" Das ist eine These. Aber
nein, das ist ja eigentlich nicht
plausibel und dann folgen 2-3 Seiten
eigentlich,ja, so ein rassistisches, so
eine rassistische Fantasiewelt, wo eben
die Rede ist von sogenannten
Parallelwelten, wo sie mit irgendwelchen
Informanten/Informantinnen sprechen, die
genau das bestätigen, dass es sich bei
dieser Mordserie eben um eine Mordserie
aus solchen Gründen, wie eben die Polizei
auch vermutet, das heißt beispielsweise
einen Mafiahintergrund gibt. Das ist
eigentlich gar nicht groß aufgearbeitet
worden, mit wem damals - es gilt ja nicht
nur für den SPIEGEL, das gilt für die
andere Medienberichterstattung auch: Wer
sind eigentlich die Leute, mit denen die
da gesprochen haben? Welche
Informanten/Informantinnen waren das,
denen einfach sozusagen geglaubt wurde,
weil sie genau die eigene Gedankenwelt
dort auch bestätigt haben. Das ist, wie
gesagt, kaum aufgearbeitet worden. Und
gleichzeitig gab es ja auch noch das Extra
obendrauf, nämlich, dass in der
Medienlandschaft damals das sogenannte
Wort von den sogenannten "Dönermorden"
erfunden wurde, um diese Mordserie zu
beschreiben. Was ein Wort ist, das
rassistisch ist, ohne dass es sich hier um
eine Mordserie mit rechtem Hintergrund
hätte handeln müssen. Das heißt, es ist
etwas, was auch schon vor 2011 als
rassistisch kritisiert hätte werden
können. Das ist aber eben nicht passiert
und gleichzeitig hatte eigentlich
sozusagen die Medien... oder gab es in
verschiedenen Zeitungen, auch im SPIEGEL,
auch Artikel über rechten Terror und wie
der eigentlich funktioniert. Und dort lag
dasselbe Wissen vor wie eben auch bei der
Polizei, nämlich: Wie funktioniert rechter
Terror und wer... wenn, dann wer? Nämlich
die drei. Es gibt beispielsweise wieder
SPIEGEL-Artikel aus dem Jahr 2003, wo
genau das drinsteht: So funktioniert
rechter Terror und wenn das jemand machen
kann, dann sind das Mundlos, Böhnhardt und
Zschäpe, die seit 1998 eben nicht mehr
aufzufinden sind sozusagen. Aber auch hier
wurden diese beiden... die Mordserie und
dieses Wissen um rechten Terror eben nicht
zusammengebracht. Und auch hier hätte es
natürlich einen Unterschied gemacht, wenn
anders... wenn die Berichterstattung
anders verlaufen wäre, wenn also
hinterfragt worden wäre, selbst
recherchiert worden wäre und in Richtung
rassistisches Motiv gedacht worden wäre.
Und das Gleiche gilt dann eben auch für
die Gesellschaft. "Gesellschaft" klingt
immer so ein bisschen abstrakt, aber was
ich eigentlich damit sagen möchte, ist:
Das Gleiche gilt für uns. Das heißt,
Gesellschaft und die Linke der
Gesellschaft, Antifaschist*innen und so
weiter. Die hinterfragen das nicht. Die
nehmen zwar die Mordserie vielleicht wahr,
nehmen die Berichterstattung wahr, aber
nehmen das offensichtlich weitestgehend
für bare Münze, was dort eben berichtet
wird. Und sie hören eben die Angehörigen
nicht, die immer öffentlicher werden, auf
einen möglichen rechten Hintergrund
hingewiesen haben. Das heißt, von Anfang
an sagen Angehörige und überlebende bei
der Polizei: "Was ist eigentlich mit
Neonazis?" Aber dabei bleibt es eben nicht
und so organisieren 2006 die Angehörigen
zwei Demonstrationen, und zwar in Kassel
und in Dortmund gehen sie auf die Straße
und fordern: "Kein zehntes Opfer; wir
wollen, dass auch in Richtung rechtes
Motiv bei dieser Mordserie ermittelt
wird". Und da sind mehrere tausend
Menschen auch mitgegangen in Kassel und in
Dortmund. Aber 2006 - was findet parallel
statt? Die Fußball-Weltmeisterschaft der
Männer und die ist in diesem Jahr in
Deutschland gewesen und wir erinnern uns
an den Spruch von damals. An diesen
Leitsatz: "Die Welt zu Gast bei Freunden".
Das war eben das Motto. Und für diese
Demonstration hieß das ganz konkret: In
Dortmund die Demonstration hat
gleichzeitig zu einem Fußballspiel
stattgefunden und musste verlegt werden,
ist dann durch leere Straßen gelaufen und
ist leider eben ungehört geblieben. Und
auch da kommt natürlich wieder dieser
Gedanke: Was wäre, wenn das gehört worden
wäre? Und ich glaube, das hätte ein
Unterschied ums Ganze bedeuten können,
wenn eine, Gesellschaft
Antifaschist*innen, Medien, wer auch immer
damit aufmerksamer umgegangen wären, man
also gemeinsam mit den Angehörigen hätte
fordern können: Was ist eigentlich, wenn
diese Mordserie einen rechten Hintergrund
hat? Aber eben auch das ist nicht
geschehen und so stellt eben dieses 2006
nicht nur... ja, also im Nachhinein ist
das ja dieser Bruch oder dieses
Neuaufflammen vom deutschen Nationalismus,
wo wieder ganz unverkrampft die
Deutschlandfahnen geschwenkt werden
konnten. Und gleichzeitig sind eben die
Angehörigen durch die Straßen gelaufen und
somit wird dieser schale Beigeschmack im
Rückblick auf diese WM einfach nur noch
stärker. Und gleichzeitig, auch das nicht
unerwähnt zu lassen, hat eigentlich auch
die Polizei umgedacht. Dieses Umdenken
oder kurzzeitige Umdenken - vielleicht hat
diese Mordserie ja einen rechten
Hintergrund - das geschah 2006, also
ungefähr gleichzeitig zu den
Demonstrationen. Aber auch da kommt wieder
die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer
ins Spiel. Denn man hat sich eben
entschieden, das nicht allzu öffentlich zu
kommunizieren in Zeiten der
Weltmeisterschaft, dass man eine rechte
Mordserie möglicherweise vorliegen hat,
aber die Täter/Täterinnen nicht dingfest
gemacht hat. Also das heißt nicht nur die
Intervention innerhalb der bundesweiten
Ermittlungsgruppe haben dann eine Rolle
gespielt, sondern eben auch das Denken an:
Was ist eigentlich mit dem schönen Bild
der Fußball-WM in Deutschland und der Welt
zu Gast bei Freunden. So, und dann
natürlich der Verfassungsschutz auch als
Teil der Gesellschaft, der sein eigenes
Spiel sozusagen gespielt hat. Kann man so
sagen. Und zwar hat der Verfassungsschutz
viele, viele V-Leute im Umfeld des NSU
geführt. Das heißt, das sind Neonazis, die
für Geld Informationen an die Landesämter
und ans Bundesamt für Verfassungsschutz
eben über die Neonazi-Szene gegeben haben.
Und wir wissen auch, dass diese V-Leute
eigentlich die wichtigsten Sachen über den
NSU auch gemeldet haben, nämlich, die
drei, die sind in Chemnitz, also der erste
Unterschlupf nach Jena und die besorgen
sich Waffen und begehen Überfälle. Das
sind also Informationen, die dann zeitnah,
das heißt, in den Jahren 98 bis 2000 bei
den Landesämtern, beim Bundesamt für
Verfassungsschutz auch vorlagen, die aber
eben nicht dazu geführt haben, dass die
drei gefasst wurden, dass die drei
gestoppt wurden. Und was wir eben nicht
wissen, ist, ob der Verfassungsschutz
tatsächlich auch von der Mordserie
währenddessen gewusst hat. Was wir aber
wissen, ist, dass der Verfassungsschutz
seit 2011 eben massiv die Aufklärung
behindert und Aufklärung auch verhindert
durch Vertuschung und Aktenschredderei.
Das heißt, sehr schnell nach Bekanntwerden
des NSU, nämlich der NSU wird sozusagen
bekannt ab dem 4.11.2011 und am 11.11.2011
kommt es zur ersten großen Schredderaktion
im Bundesamt für Verfassungsschutz, wo
eben die ersten Akten geschreddert werden
und das zieht sich eben über die Jahre so
durch. Immer wieder werden Akten
geschreddert, werden Akten
Geheimhaltungsstufen unterlegt, bis zu 120
Jahre ein Teil der Akten in Hessen. Also
das heißt, das ist allein dieses
Aktenhandling, was zur Vertuschung
beiträgt, aber eben auch die konkreten
Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Ämter für
Verfassungsschutz, beim Gericht, in den
Untersuchungsausschüssen können sich an
nichts erinnern. Wie gesagt, zum Teil
Zeiträume von wenigen Monaten, die dann
plötzlich verschwunden sind. Und wenn es
eben nicht der Geheimhaltung unterliegt,
haben sie es eben selbst dann nicht
gesagt. Das heißt, was hier die große
Frage ist: Was wusste der
Verfassungsschutz oder die ganzen Ämter
für Verfassungsschutz? Und warum haben sie
so gehandelt, wie sie gehandelt haben oder
- warum haben sie so nicht gehandelt, wie
sie eben nicht gehandelt haben? Also das
heißt, an Informationsweitergabe und so
weiter und so fort. Das ist aber eben
nicht der Hauptpunkt. Das ist ja häufig
dann das, was beim Nachdenken über den
NSU-Komplex übrig bleibt: Ja, der
Verfassungsschutz hat dort eben
undurchsichtig gehandelt und so weiter und
so fort und nur deswegen hat der NSU
morden können. Und wir glauben eben, dass
das nicht so ist, sondern, dass eben es
sich um ein gesamtgesellschaftliches
Verhältnis handelt. Und das heißt, diese
Schichten tragen den NSU... mitgetragen,
hätten ihnen also auf der anderen Seite
auch am Morden hindern können oder hätten
zumindest einen Unterschied machen können
und hätten damit auch - da fehlt sozusagen
der Pfeil - das Handeln des
Verfassungsschutzes unterbrechen können,
weil natürlich, wenn die Polizei in
Richtung rechts ermittelt hätte, die drei
sozusagen ermittelt hätte, dann hätte der
Verfassungsschutz ja so viele V-Leute, wie
er gehabt hätte um den NSU drumrum haben
können - es hätte trotzdem sozusagen dann
keinen Unterschied gemacht. Und das
Gleiche gilt eben auch für die anderen
Ebenen. Und das Perfide ist: Der NSU hat
das auch mitbekommen. Aus dem Untergrund
heraus haben Sie mitbekommen, wie mit der
Mordserie umgegangen wurde und dass eben
gegen die Angehörigen und die Überlebenden
ermittelt wurde. Dass die in den
Zeitungen, wie in den Zeitungen über die
Mordserie berichtet wurde und wie eben
über die Angehörigen und Überlebenden in
den Zeitungen und im Fernsehen eben
gesprochen wurde, nämlich auf rassistische
Art und Weise. Der NSU hat tatsächlich ein
Zeitungsarchiv angelegt über die eigene
Mordserie. Und deswegen wissen wir, dass
sie das eben mitbekommen haben. Und das
muss ihnen ja auch noch gleichzeitig
sozusagen noch mehr Antrieb gegeben haben,
dass sie also gesehen haben: Nicht nur
haben sie diese Menschen ermordet, sondern
zusätzlich dazu geht jetzt auch noch die
Polizei gegen diese Familien vor und
drangsaliert die. Und die Medien und die
Gesellschaft hört das nicht. Und der NSU
hat auch die Demonstrationen 2006
mitbekommen. Und das ist eigentlich das
Perfideste in diesem Bekennervideo von
2011: Da taucht eben, tauchen diese
Demonstration, Bilder, Videobilder von den
Demonstrationen in Dortmund und Kassel,
die sind in diesen Bekennervideo zu sehen.
Also das hatten sie auf dem Zettel und
müssen sich eben dadurch bestärkt gefühlt
haben. Und da kommt natürlich aber
gleichzeitig auch noch das
gesellschaftliche Umfeld des NSU mit zum
Tragen. Die waren ja nicht nur umgeben von
ihrem festen Neonazi-Netzwerk, sondern
haben eben gelebt in Nachbarschaften in
Chemnitz und in Zwickau. Und insbesondere
die Nachbarn/Nachbarinnen in Zwickau - das
waren keine organisierten Neonazis in dem
Sinne. Das waren, wie sie sich selber
bezeichnet haben, ganz normale Menschen
mit ganz normalen Ansichten. Und vor
Gericht kam dann raus, was diese normalen
Ansichten sind: Nämlich in dem Umfeld in
Zwickau war es normal, sich rassistisch zu
äußern, war es normal, dass dort
Hitlerbüsten im Partykeller ausgestellt
werden und so weiter und so fort. Und das
heißt, das ist zwar etwas, was wir uns nur
vorstellen oder was wir nur spekulieren
können, aber sich in diesen
Nachbarschaften zu bewegen, muss für den
NSU geheißen haben, dass sie sich nicht
groß verstellen mussten, wenn sie sich...
wenn sie eine rassistische Äußerung
gemacht haben, sondern, dass das dort eben
dazugehört hat. Und gleichzeitig heißt das
auch oder könnte es auch heißen, dass sie
sich auch davon bestärkt gefühlt haben.
Der NSU ist, wie gesagt, in den 1990er
Jahren sozialisiert worden, als es einen
massiven gesellschaftlichen Rechtsruck
damals auch in Deutschland gab mit den
Pogromen beispielsweise in Rostock-
Lichtenhagen, mit den Brandanschlägen in
Mölln und Solingen. Und dieser
gesellschaftliche Rassismus damals hat
ihnen oder muss ihnen Mut gegeben haben.
Und in Zwickau konnten sie dann immer
wieder feststellen, das hat sich
wahrscheinlich auch nicht geändert, dass
das in der Bevölkerung weit verbreitet
ist. Und gleichzeitig neben dem, das es
eben nicht nur Neonazis für rechten Terror
braucht, sondern die gesamte Gesellschaft,
heißt das aber auch im Umkehrschluss:
Daraus entstehen auch unsere
Handlungsmöglichkeiten. Daraus entsteht
auch: Was können wir aus dem NSU-Komplex
lernen, um rechten Terror zu verhindern?
Was wir in den letzten Jahren sehen
können, ist, dass einige
Akteure/Akteurinnen jetzt nicht besonders
viel aus dem NSU-Komplex gelernt haben und
höchstwahrscheinlich auch gar nicht lernen
wollten. Also wir hatten jetzt in den
letzten Wochen den Skandal um den
sogenannten NSU 2.0, wo sich zumindest
wahrscheinlich Teile dessen in der
Frankfurter Polizei oder in der Polizei in
Hessen bewegen, was ist natürlich eine
Kontinuität von rassistischen Strukturen
in der Polizei dargestellt. Wir sehen,
dass der Verfassungsschutz weiterhin nicht
in der Lage ist, Neonazis - und auch nicht
willentlich ist, ganz offensichtlich -
Neonazis Einhalt zu gebieten und die
Medienberichterstattung - ja, mal so, mal
so. Und das heißt, was uns natürlich übrig
bleibt, ist, dass wir aus dem NSU-Komplex
lernen können und dass wir unsere
Verhaltensweisen, unsere Denkweisen so
verändern können, dass zumindest wir eine
andere Rolle spielen im Fall von rechten
Terror. Weil das gilt nicht nur für den
NSU, das gilt auch für sonstigen rechten
Terror. Daraus ergeben sich eben
Perspektiven. Was heißt das also: Sein
Handeln ändern, was heißt das: Lernen aus
dem NSU-Komplex? Das muss natürlich auch
jeder/jede für sich selber so ein bisschen
wissen, aber so ein paar Ansatzpunkte gibt
es natürlich schon. Zum einen natürlich
Initiativen, die sich direkt mit dem NSU-
Komplex auseinandersetzen und da
beispielsweise Gedenkarbeit machen. Das
heißt, eine unserer gesellschaftlichen
antifaschistischen Aufgaben ist es
natürlich, dass das, was passiert ist
nicht in Vergessenheit gerät. Dass wir
also die Mordopfer des NSU nicht
vergessen, dass wir nicht vergessen, dass
Menschen für ihr Leben lang eben von den
Anschlägen, von den Morden gezeichnet sein
werden und das heißt, in den letzten
Jahren ist eben etwas entstanden, das in
den verschiedenen Tatortstädten es eben
Gedenkveranstaltungen gibt,
Gedenkdemonstrationen, Gedenktafeln,
unterschiedliche Arten des Gedenkens. Das
hängt immer jeweils davon ab, wie sich die
Stadt dort vor Ort verhält; das hängt auch
davon ab, was die Familien für Wünsche
haben. Und so sieht das eben in allen
Tatortstädten unterschiedlich aus, ist
aber eben etwas, was extrem wichtig ist.
Was wir hier oben sehen, ist eine
Demonstration im letzten Jahr in Kassel.
Man sieht das schon, die sieht ähnlich aus
wie die "Kein zehntes Opfer"-Demonstration
und hieß damals eben "Kein nächstes Opfer"
und hat sich natürlich auch damit befasst,
dass wir jetzt auch wieder einen
gesellschaftlichen Rechtsruck erleben,
dass man sich also vorstellen kann, dass
auch wieder Neonazis sich von der
gesellschaftlichen Stimmung bestärkt
fühlen. Organisierte Neonazis, nicht
organisierte Neonazis, Rechte,
Rassisten/Rassistinnen, AntisemitInnen und
so weiter sich eben bestärkt fühlen und
deswegen ihre Ideologie mit Gewalt
umsetzen. Und deswegen die Forderung auch,
"Kein nächstes Opfer". Dann hier unten
Gedenkbänke an Mehmet Turgut, der in
Rostock ermordet wurde und das ist zum
Beispiel eine Gedenkveranstaltung, wo die
Stadt Rostock auch mit Anteil hat, weil
das eben ein Wunsch der Familie ist. Und
hier drüben sehen wir eine Gedenktafel im
Gedenken an Ismail Jascha. Das ist keine
offizielle Gedenktafel der Stadt. Das gibt
es in Nürnberg eben nicht, sondern dort
sorgt sich eine antifaschistische
Initiative darum, dass die... dass dort
Gedenkveranstaltungen stattfinden und dass
diese Gedenktafeln dort hängen, weil die
werden immer wieder beschädigt,
kaputtgemacht, weggenommen und
dementsprechend... ja. Und eben, das eine
ist das Gedenken, das andere ist eben
konkret die Forderung der Familien und der
Angehörigen umzusetzen, soweit es eben uns
möglich ist. Das heißt, die Familien haben
häufig Forderungen nach Aufklärung, haben
aber auch ganz konkrete Forderungen, wie
in Kassel die Familie von Halit Yozgat,
die eben fordert, dass die Holländische
Straße, in der ihr Sohn ermordet wurde,
dass die umbenannt wird in Halitstraße für
alle Halits und dass nie wieder ein Halit
ermordet wird aus rassistischen Gründen.
Deswegen soll diese Holländische Straße
umbenannt werden. Die Stadt Kassel sperrt
sich dagegen. Die hat stattdessen einen
vorher unbenannten Platz schräg gegenüber
des ehemaligen Internetcafés umbenannt und
eine Straßenbahnhaltestelle und sagt eben,
"OK, das reicht an Verantwortungsübernahme
hier in Kassel". Und gleichzeitig ist die
Stadt inzwischen auch so weit zu sagen,
"Wir ziehen uns zurück aus der offiziellen
Gedenkveranstaltung" und stattdessen wird
es jetzt sozusagen eine nichtöffentliche
Wissenschaftspreisvergabe zum Thema NSU
geben. Und das heißt, es ist an
Aktivisten/AktivistInnen, diese Forderung
umzusetzen beziehungsweise der immer
wieder auch Nachhall zu geben und das
passiert in Kassel auch sehr stark, durch
Straßenumbenennungen, beispielsweise auch
bei der letztjährigen Documenta war auf
der offiziellen Documenta-Stadtkarte die
Holländische Straße also in Halitstraße
umbenannt. Und das ist eben etwas, was
ganz konkret jetzt auch in den nächsten
Jahren natürlich so weitergehen muss. Das
Gedenken muss weitergehen und eben das
Ausloten dessen, inwieweit kann... können
wir eigentlich als Gesellschaft die
Forderungen der Angehörigen und
Überlebenden, die häufig öffentlich
einfach nachlesbar sind, eigentlich
umsetzen. Und eine der Forderungen der
Angehörigen, aber auch eine unserer
zentralen Forderungen, ist natürlich die
nach weiterer Aufklärung. Das heißt, diese
offenen Fragen: Das Neonazinetzwerk, das
Handeln des Verfassungsschutzes, das
Handeln der Behörden, die
Vertuschungsaktionen der Behörden - was
ist eigentlich damit? Wann werden diese
Fragen beantwortet? Wann wird dort endlich
aufgeklärt? Und deswegen gibt es auch
Initiativen, die eben weitere Aufklärung
fordern, ganz konkret beispielsweise in
Hamburg. Die Initiative zur Aufklärung des
Mordes an Süleyman Taşköprü, die in
Hamburg fordern: Es muss einen
Untersuchungsausschuss geben, denn Hamburg
ist weiterhin das letzte Tatortland des
NSU, wo es keinen Untersuchungsausschuss
gegeben hat. Natürlich haben wir In den
letzten Jahren gesehen, dass diese
parlamentarische Untersuchungsausschüsse
jetzt auch nicht das Allheilmittel sind.
Also das heißt, nur weil es sie gibt,
heißt das nicht, dass am Ende die
komplette Aufklärung steht. Aber natürlich
ist es ein Mittel, was zumindest einmal
angewandt werden musste und was... ja, wo
der Staat die Städte, und in dem Fall
konkret Hamburg, eben ein Stück weit auch
Verantwortung für das eigene Handeln
übernehmen müssen. In Hamburg gibt es
stattdessen nur
Symbolpolitik.Beispielsweise wurde eine
Straße umbenannt und dort gab es eine
offizielle Entschuldigung des Senats, aber
einen Untersuchungsausschuss möchte man
nicht einrichten mit der Begründung, die
wir auch in anderen Bundesländern, wie zum
Beispiel Bayern, hören: "Ja, das ist ganz
wichtig alles. Aber solange wir keine
neuen Informationen haben, können wir
leider keinen Untersuchungsausschuss
einrichten." Und so ist es eben an
zivilgesellschaftlichen Initiativen, diese
diese Aufklärung weiterhin einzufordern,
aber auch zu versuchen die Aufklärung
selber voranzutreiben. Das sehen wir
natürlich auch als unsere Aufgabe, als
AntifaschistInnen, NSU-Watch und so
weiter, nämlich unseren eigenen Anteil zur
Aufklärung auch beizutragen. Also das
heißt, am Anfang - kurz nach Bekanntwerden
des NSU - da ging das los, dass
Antifaschistinnen/Antifaschisten da in den
Archiven geguckt haben, für Informationen
gesorgt haben, recherchiert haben. Und das
hat seitdem auch nie aufgehört. So sehen
wir auch unsere Rolle als NSU-Watch. Wir
sind nicht einfach nur Beobachter/
Beobachterinnen, sondern wir sind selber
Akteure und Akteurinnen in der Aufklärung
des NSU-Komplexes und... beispielsweise,
welche von den offenen Fragen kann man
vielleicht als Gesellschaft möglicherweise
beantworten? Ich glaube, dass wir eher die
Frage nach dem Neonazi-Netzwerk
beantworten können, als die nach dem Warum
des Handeln des Verfassungsschutzes. Aber
das werden eben die nächsten Jahre zeigen,
aber da bin ich eigentlich relativ
optimistisch, dass wir da den Antworten
auch noch näher kommen. Und wir haben auch
gesehen, seit Ende dieses Prozesses, haben
die Forderungen nach Aufklärung nicht
aufgehört. Für manche war das vielleicht
das Ende des NSU-Komplexes, aber für
viele, viele eben nicht. Dann gibt es auch
Initiativen, die sich... oder wo ich sagen
würde, das könnte es bedeuten, als
Initiative, als Gesellschaft aus dem NSU-
Komplex zu lernen und sich gar nicht
direkt mit dem NSU-Komplex zu
beschäftigen, sondern eben mit anderen
möglichen rassistischen Morden, mit
rechtem Terror. Da gibt es zum einen die
Burak Bektaş-Initiative aus Berlin, die
sich mit dem Mord an Burak Bektaş
befassen, der 2012 auf offener Straße
ermordet wurde. Burak Bektaş stand mit
seinen Freunden in einer Gruppe in Berlin-
Neukölln und da trat eben ein weißer Mann
auf sie zu und hat auf sie geschossen und
ist dann eben wortlos wieder weggegangen.
Und Burak Bektaş hat diesen Anschlag eben
nicht überlebt. Und in Neukölln gibt es
bis heute Neonazi-Umtriebe und es spricht
einfach sehr viel dafür, dass es sich hier
um einen möglichen rassistischen Mord
handelt. Das ist bis heute aber nicht
aufgeklärt worden. Aber diese Initiative
kämpft eben gemeinsam mit der Familie
darum, dass das aufgeklärt wird. Und sie
haben auch dieses Denkmal in Berlin-
Neukölln schon erkämpfen können. Das
heißt, hier ist... wird gemeinsam mit den
Betroffenen gekämpft und die Familie wird
eben nicht alleingelassen. Und einfach nur
diese Vorstellung, sowas hätte man vor
2011 geschafft mit den Angehörigen, die
wir vorher auf dem Foto der Demonstration
gesehen haben - ich glaube schon, dass
das einen großen Unterschied gemacht
hätte. Dann gibt es viele Initiativen, die
die Geschichte des rechten Terrors seit
1945 aufarbeiten, das heißt, die nach 2011
noch einmal geschaut haben: Wie sieht
diese Kontinuität eigentlich aus? Und das
ist eine Initiative aus Hamburg, deren
Gedenken wir hier sehen. Das ist die
Initiative in Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu
und Đỗ Anh Lân, die sich in Hamburg
gegründet hat und die an die beiden Opfer
des Brandanschlags von 1980 in Hamburg
gedenken. Dieser Brandanschlag ist 1980
von den Deutschen Aktionsgruppen verübt
worden und ist... war... hat damals auch
viel Aufmerksamkeit bekommen, ist aber
dann jahrelang in Vergessenheit geraten.
Und diese Initiative hat sich eben
gegründet, nachdem sie auf den
Brandanschlag aufmerksam geworden sind,
haben sich auch mit Überlebenden und mit
Angehörigen zusammengetan und kämpfen
jetzt dort in Hamburg um einen Gedenkort
und machen eben eine jährliche
Gedenkveranstaltung auch dort. Und so
kehren immer mehr rechte Anschläge, rechte
Terroranschläge zurück in, zumindest ein
linkes Gedächtnis, zurück in, ein Stück
weit, ein kollektives Gedächtnis.
Anschläge, die lange Zeit vergessen waren,
an die wird sich jetzt eben wieder
erinnert. Und so kann eben auch gezeigt
werden: Rechter Terror, das ist... sind
nicht nur so verrückte Einzelfälle, die
eben mal passieren, sondern das ist etwas,
was eine Kontinuität hat und wo sich die
Täter/Täterinnen immer an den ähnlichen
Konzepten orientieren, die eben geeint
sind von, ja, der rassistischen Ideologie.
Dann hier ein Bild auch aus Hamburg,
nämlich sozusagen ein Symbolbild vom
S-Bahnhof Veddel. Am S-Bahnhof Veddel gab
es im letzten Jahr im Dezember einen
Sprengstoffanschlag. Und sehr schnell
wurde auf Social Media darauf aufmerksam
gemacht, dass es sich hier um einen
rechten Anschlag handeln könnte. Nämlich
deswegen, weil der S-Bahnhof Veddel der
Zugang ist zu den Vierteln Veddel und
Wilhelmsburg in Hamburg, die ja sehr stark
migrantisch geprägt sind und wo auch viele
linke Menschen leben. Und deswegen wurde
gesagt: Hier könnte es sich also um einen
rechten Anschlag handeln. Und das konnte
man deswegen sagen, weil rechter Terror
funktioniert eben so, dass die Taten
häufig ohne Bekennerschreiben auskommen.
Also daran kann man es schon mal nicht
erkennen, auch wenn das die Polizei und
Medien bis heute glauben, dass man rechten
Terror an Hakenkreuzschmierereien oder so
erkennt. Das stimmt eben nicht, sondern
man erkennt die als Botschaftstat. Das
heißt, man muss schauen: Wer waren
möglicherweise die gemeinten Menschen,
also wer war als Opfer, als Betroffener
hier gemeint? Und wenn es da eben eine
Übereinstimmung gibt mit rechter
Ideologie, dann könnte es sich um rechten
Terror handeln. Und häufig gibt es eben
Überschneidungen in der Vorgehensweise.
Also hier ein Sprengsatz, der erinnert hat
an das Vorgehen der Gruppe Freital, die
also ähnliche Sprengkörper benutzt haben,
und dadurch, dass der Sprengsatz auch mit
Schrauben versehen war, haben auch viele
an den Nagelbombenanschlag in der Kölner
Keupstraße gedacht. Also das heißt,
Opferauswahl, potentielle, und die
Vorgehensweise. Deswegen haben viele
Menschen daran gedacht: Hier könnte es
sich um einen rechten Hintergrund handeln.
Der Täter ist dann festgenommen worden.
Das war Stefan Kronbügel aus Hamburg, ein
altbekannter Neonazi, der schon einmal in
den 90er Jahren aus rechten Gründen
gemordet hatte. Und das heißt, noch ein
weiteres Indiz dafür, dass es sich hier um
rechten Terror gehandelt hat. Dann konnte
man sehen, wie war das, wer reagiert wie?
Die Polizei hat runtergespielt, die haben
immer gesagt: "Nein, der ist kein Neonazi
mehr, weil der ist nicht organisiert und
der ist jetzt in der sogenannten
Trinkerszene." Als ob das das irgendwie
ausschließen würde, dass der Rassist oder
Neonazi sein könnte. Das war eben aber
das, wie die Polizei das verhandelt hat.
Und gleichzeitig kam kein Bericht dar...
sozusagen ohne die Erwähnung des
Hintergrunds des Täters aus. Und dann hat
eben sich für den Gerichtsprozess diesen
Jahres auch eine Prozessbeobachtungsgruppe
gegründet, die diesen Prozess eben
beobachtet hat und bis zum Ende mit
beobachtet hat und am Ende stand das
Urteil: Zehn Jahre für den Täter wegen
versuchten Mordes. Und das Gericht sah ein
rassistisches Motiv als sehr
wahrscheinlich an, zwar nicht beweisbar,
aber als sehr wahrscheinlich. Und das
heißt, hier konnte darauf aufmerksam
gemacht wurden: "Wir glauben nicht, dass
das eine unpolitische Tat ist, sondern wir
glauben, dass das rechter Terror ist." Und
das heißt, glaube ich, auch aus dem NSU
Komplex lernen und man sieht das auch
immer wieder in Social Media-Bereich.
Insbesondere, dass also solche Aussagen
von Polizei, dass es bei bestimmten
Anschlägen keinen rechten Hintergrund hat,
dass dem nicht geglaubt wird, dass dem
entgegengetreten wird, dass also rechter
Terror von der Gesellschaft, von uns
aufgedeckt werden kann. Natürlich heißt
Lernen aus dem NSU-Komplex, sich dem
aktuellen Rechtsruck entgegen zu stellen.
Das wird ja sehr viel diskutiert, wie das
möglich sein könnte; leider haben auch wir
nicht die endgültige Antwort darauf, wie
das eigentlich funktionieren kann, sich
dem Rechtsruck entgegenzustellen und den
auch zurückzudrängen. Weil das wäre
natürlich das Ziel, dass man diesen
Rechtsruck ein Stück weit oder möglichst
weit rückgängig machen kann. Aber leider
gibt es bis dahin, gibt es da auch kein
Patentrezept, aber was wir sagen können,
wenn wir lernen aus dem NSU-Komplex, ist
das eigentlich das Einzige, was Rechte und
Neonazis verstehen, tatsächlich eine
Grenzsetzung ist, ein gesellschaftlicher
Aushandlungsprozess, an dem klar ist: Das
ist sozusagen nicht akzeptiert. Und daran
zeigt sich natürlich auch, wo ist
eigentlich für eine Gesellschaft eine
Grenze, wie weit rückt eine Gesellschaft
nach rechts? Aber, wie gesagt, da gibt
noch keine... leider noch keine Antwort
darauf, aber mit oder ohne NSU-Komplex im
Hintergrund ist das natürlich das, was
derzeit das Wichtigste ist. Und natürlich:
Kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex.
Das bleibt auch weiterhin unsere
Perspektive. Die Fragen sind nicht
beantwortet, die Forderungen der
Angehörigen sind nicht erfüllt worden. Es
muss... die Aufklärungsversprechen sind
alle gebrochen worden. Das heiß,t es ist
jetzt an uns, diese Versprechen vielleicht
ein Stück weit zu erfüllen und eben
weiterhin zu sagen: Der NSU-Komplex, das
ist nichts was für uns abgeschlossen ist,
sondern das muss eben weitergehen. Wie
gesagt: Antworten finden, Forderungen
erfüllen und dem gesamtgesellschaftlichen
Rassismus, der, wie, ich vorhin eben
gezeigt habe, den NSU-Komplex oder den NSU
mitgetragen hat, bei den Morden getragen
hat, eben entgegentreten und letztlich
auch natürlich abschaffen. Ja.
Applaus
Herald: Vielen Dank, Caro, für diesen
tollen Talk. Wir haben ganz kurz noch Zeit
für 1-2 Fragen und der Fairness halber
würde ich mit einer Frage aus dem Internet
beginnen.
Signal Angel: Aufgrund der mangelhaften
Ermittlungen, dass eben nicht in alle
Richtungen ermittelt wurde: Haben die
Beamten etwas zu befürchten?
Caro Keller: Also bisher nicht. Also es
gibt sozusagen weder für das Neonazi-
Netzwerk noch für die
Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Behörden
irgendwelche ernstzunehmenden
Konsequenzen. Da sind zwar sogar auch
Menschen in den Behörden benannt worden,
sowohl Polizei als auch Verfassungsschutz,
aber wir konnten da bisher keinerlei
Konsequenzen sehen, geschweige denn davon,
dass die irgendwie strafrechtlich belangt
werden. Es ist auch die Position der
Bundesanwaltschaft zu sagen: Kein
strafrechtliches Handeln des Staates. Das
ist sicherlich so nicht richtig, aber da
wird es wahrscheinlich leider keine
Konsequenzen geben, müssten aber natürlich
entsprechend gefordert werden.
Herald: Und dann nehmen wir noch eine
letzte Frage aus dem Publikum. Hier vorne
von dem Mikrofon Nr. 2.
Mikrofon 2: Ja, hallo. Es gab ja vor
einigen Monaten einen Anschlag auf eine
bayerische Bahnstrecke, wo ein Stahlseil
über eine Bahnstrecke gespannt wurde, wo
dann ein ICE dagegengefahren ist. Dagegen
ist nichts passiert. Es wurde ein
Bekennerschreiben in arabischer Sprache
gefunden, wobei es im Nachhinein aus den
Polizeirmittlungen hieß, es könnte sich
möglicherweise um einen rechtsextremen
Terroranschlag handeln. Wie ist das, sind
dir von deinen Kenntnissen und Erfahrungen
aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten
möglicherweise "false flag" rechtsextreme
Anschläge bekannt, die eigentlich so getan
wurden, dass sie möglicherweise einer...
ihrer gegnerischen Gruppe quasi
zugeschoben werden sollten?
Caro Keller: Das ist ja eine der
Strategien auch von rechtem Terror, genau
solche "false flag"-Aktionen zu machen,
das heißt also, einen Anschlag zu verüben
und dann so zu tun, als käme der entweder
von linker Seite oder von islamistischer
Seite und dadurch also ein... die
gesellschaftliche Spannung und
gesellschaftliche rassistische Stimmung
oder Stimmung gegen links eben
voranzutreiben und dadurch eben Menschen
Richtung rechts zu bewegen. Das ist
sozusagen die Idee dahinter und
beispielsweise der Anschlag in Italien auf
den Bahnhof in Bologna war genau so ein
Anschlag. Ein "false flag"-Anschlag, der
dann eine ganze Zeit lang sozusagen Linken
zugeschrieben wurde und der dann
tatsächlich auch dazu geführt hat, dass
Rechte mehr Wahlstimmen bekommen haben,
dass also diese... ja, diese Strategie
dahinter, das ist ja auch das, was Franco
A. wahrscheinlich vorgehabt hat, der
rechte Bundeswehrsoldat, der rechten
Terror eben geplant hat. Der hatte sich ja
auch als syrischer Flüchtling registrieren
lassen und wahrscheinlich hatte der eben
auch solche "false flag"-Aktionen vor. Und
genau zu diesem Anschlag auf die
Obertrasse des ICE gibt es jetzt nochmal
von vor ein paar Tagen einen ähnlichen
Anschlag in Berlin auf das Streckennetz,
der genauso war. Oberleitung und ringsrum
eben Flyer in arabischer Sprache, was eben
auch genau so ein "false flag" Anschlag
sein könnte. Und genau das versuchen wir
auch eben immer im Blick zu haben,
mitzunehmen, im Hinterkopf zu haben und
dort auf Aufklärung zu drängen und das
eben zu bemerken. Also das ist, glaube
ich, auch das ganze Zentrale, dass eben
wir dran sind, solche Sachen richtig
zuzuordnen oder zumindest wahrzunehmen und
dann so zuzuordnen.
Herald: Vielen Dank für eure Fragen,
besonders vielen Dank für die Antworten
und sowieso nochmal ganz vielen Dank für
diesen tollen Talk, Caro. Bitte nochmal
einen großen Applaus.
Applaus
Untertitel erstellt von c3subtitles.de
im Jahr 2019. Mach mit und hilf uns!