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Wheelmap.org | Raul Krauthausen | TEDxBerlin

  • 0:07 - 0:12
    (Applaus)
  • 0:12 - 0:13
    Guten Morgen!
  • 0:13 - 0:15
    (Applaus)
  • 0:15 - 0:17
    Guten Morgen!
  • 0:17 - 0:21
    Viele ... nein, ich fange anders an.
  • 0:21 - 0:23
    Was geht Ihnen durch den Kopf,
  • 0:23 - 0:28
    wenn Sie einem Menschen
    mit Behinderung im Alltag begegnen?
  • 0:28 - 0:30
    Ich nehme an, genau das gleiche wie mir.
  • 0:30 - 0:33
    Okay. Sie werden sich jetzt fragen:
  • 0:33 - 0:36
    Warum? Ich müsste doch
    eigentlich wissen, wie das ist?
  • 0:36 - 0:40
    Aber jedes Mal, wenn ich einen Menschen
    mit Behinderung im Alltag sehe,
  • 0:40 - 0:43
    dann frage ich mich zwei Fragen.
  • 0:43 - 0:46
    Die erste Frage: Was hat er?
  • 0:46 - 0:50
    Und die zweite Frage: Wie macht er das?
  • 0:50 - 0:50
    Also: Was hat er?
  • 0:50 - 0:53
    Zum Beispiel: Warum kann er
    mich nicht sehen?
  • 0:53 - 0:54
    Warum kann er mich nicht hören?
  • 0:54 - 0:56
    Warum kann er mich nicht verstehen?
  • 0:56 - 1:00
    Oder: Warum sitzt er im Rollstuhl?
  • 1:00 - 1:03
    Und die andere Frage ist:
    Wie macht er das?
  • 1:03 - 1:05
    Wie kommt er eigentlich
    morgens aus dem Bett?
  • 1:05 - 1:07
    Braucht er Hilfe?
  • 1:07 - 1:08
    Hat er einen Job?
  • 1:08 - 1:12
    Hat er eine Freundin? Haben die Sex?
  • 1:13 - 1:17
    Und obwohl jeder Zehnte von uns
    in Deutschland eine Behinderung hat
  • 1:17 - 1:21
    und obwohl es
    1,6 Mio. Rollstuhlfahrer gibt
  • 1:21 - 1:23
    -- die Dunkelziffer liegt weltweit --
  • 1:23 - 1:24
    nein ...
  • 1:24 - 1:27
    Also weltweit geht man von
    85 Millionen Rollstuhlfahrern aus.
  • 1:27 - 1:29
    Weltweit liegt die Dunkelziffer
    dreimal höher.
  • 1:29 - 1:33
    Obwohl es so viele Menschen
    mit Behinderungen in unserem Alltag gibt,
  • 1:33 - 1:36
    -- in diesem Raum müsste
    jeder Zehnte eine Behinderung haben,
  • 1:36 - 1:38
    ich bin einer davon --,
  • 1:39 - 1:41
    tauchen sie in unserem Alltag nicht auf.
  • 1:41 - 1:44
    Und die Frage ist: Warum?
  • 1:44 - 1:47
    Für Deutschland habe ich
    dafür eine Erklärung:
  • 1:47 - 1:50
    Und zwar ist es in Deutschland so,
    dass nach dem Zweiten Weltkrieg
  • 1:50 - 1:53
    der Sozialstaat etabliert wurde,
  • 1:53 - 1:55
    und in den 50er, 60er Jahren
    man gesagt hat:
  • 1:55 - 1:59
    "Okay, wir brauchen die optimale Förderung
    für Menschen mit Behinderung
  • 1:59 - 2:01
    unter optimalen Bedingungen."
  • 2:01 - 2:04
    Damals in den 50er, 60er Jahren
    war es "State of the Art",
  • 2:04 - 2:06
    dass man sie an den Stadtrand
  • 2:06 - 2:08
    -- im wahrsten Sinne --
    am Rande der Gesellschaft,
  • 2:08 - 2:11
    in Sondereinrichtungen parkte,
  • 2:11 - 2:13
    die bis heute noch existieren.
  • 2:13 - 2:17
    Das nennt sich dann
    Behindertenwerkstatt, Behindertenheim
  • 2:17 - 2:20
    oder seit Neustem nennt man
    so was dann Förderschule.
  • 2:20 - 2:23
    Das Einzige, das sich geändert hat,
    sind die Namen,
  • 2:23 - 2:27
    aber letztendlich sind das
    im Prinzip so eine Art Parallelwelten.
  • 2:27 - 2:31
    Das sind dann, wie gesagt, Sonderschulen,
  • 2:31 - 2:33
    wo Menschen mit Behinderungen
    unterschiedlichster Art
  • 2:33 - 2:35
    in eine Klasse gesteckt werden.
  • 2:35 - 2:38
    Die gehen danach, also
    die Durchlässigkeit dieser Systeme
  • 2:38 - 2:41
    in reguläre Schulsysteme ist so gut wie
  • 2:41 - 2:46
    bei 0,01 % der Schüler dort
    machen das Abitur.
  • 2:46 - 2:51
    Das heißt, sie werden
    in einer Parallelwelt gehalten,
  • 2:51 - 2:52
    die sich dann natürlich manifestiert.
  • 2:52 - 2:55
    Man kommt dann in
    sogenannte Ausbildungsstätten,
  • 2:55 - 2:57
    lernt dann Büroassistenz.
  • 2:57 - 3:00
    Ich kenne so viele Rollstuhlfahrer,
  • 3:00 - 3:03
    die wiederum Bürokaufmänner
    geworden sind.
  • 3:04 - 3:06
    Es sind einfach -- wie soll ich sagen --,
  • 3:06 - 3:09
    die tauchen in unserem Alltag nicht auf.
  • 3:09 - 3:10
    Und wenn man diese Einrichtungen besucht
  • 3:10 - 3:14
    und ich habe ein paar kennengelernt,
    meine Mutter hat in einer gearbeitet,
  • 3:14 - 3:16
    wenn man diese Einrichtungen besucht
  • 3:16 - 3:19
    und den Leuten ins Gesicht guckt,
    die dort zur Schule gehen
  • 3:19 - 3:21
    oder die Ausbildung machen,
  • 3:21 - 3:23
    dann habe ich das Gefühl,
  • 3:23 - 3:26
    haben die eine gewisse Art
    von Traurigkeit in ihren Gesichtern.
  • 3:26 - 3:28
    Und wenn man sie dann fragt:
    Sag mal, was ist denn los?
  • 3:28 - 3:30
    Was willst du eigentlich
    mal später werden?
  • 3:30 - 3:31
    Was willst du machen?
  • 3:31 - 3:36
    Dann hört man relativ häufig,
    dass sie sagen: "Ich weiß es nicht."
  • 3:36 - 3:38
    "Und warum weißt du das nicht?"
  • 3:38 - 3:40
    "Ja, die Welt da draußen,
    die ist so schwierig.
  • 3:40 - 3:43
    Die Welt da draußen
    der Nicht-Behinderten ist schwierig.
  • 3:43 - 3:46
    Sie ist nicht rollstuhlgerecht,
    was auch immer."
  • 3:46 - 3:47
    Und ich hatte das Glück,
  • 3:47 - 3:50
    dass ich auf eine normale
    Integrationsschule gegangen bin.
  • 3:50 - 3:53
    Und kann natürlich bestätigen,
    die Welt da draußen ist brutal.
  • 3:53 - 3:56
    Die Welt da draußen ist brutal
    für Menschen im Rollstuhl.
  • 3:56 - 4:01
    Briefkästen ... wir müssen
    ständig Umwege gehen, ja.
  • 4:02 - 4:04
    Briefkästen sind zu hoch.
  • 4:05 - 4:07
    Bankautomaten, da kommen wir nicht ran.
  • 4:07 - 4:09
    Die Frage ist: Wie kommen wir ran?
  • 4:09 - 4:11
    Indem wir ... Also:
    Wie kommen wir an Geld?
  • 4:11 - 4:14
    Wir verraten wildfremden
    Leuten unsere PIN.
  • 4:14 - 4:17
    Also wenn das nicht gefährlich ist.
  • 4:18 - 4:21
    Aber auf der anderen Seite,
  • 4:21 - 4:23
    das hat auch seine schönen Seiten.
  • 4:23 - 4:24
    (Lachen)
  • 4:24 - 4:29
    (Applaus)
  • 4:30 - 4:34
    Das ist ein bisschen sexistisch, ich weiß.
  • 4:34 - 4:35
    Anyway.
  • 4:35 - 4:39
    Oh, mein englisches Wort.
  • 4:39 - 4:42
    Anyway, das größte Problem
    für einen Rollstuhlfahrer wie mich
  • 4:42 - 4:44
    in der brutalen Welt wie Berlin
  • 4:44 - 4:46
    sind aber nach wie vor Treppen --
  • 4:46 - 4:48
    Stufen am Eingang.
  • 4:48 - 4:51
    Stufen am Eingang -- ich würde sagen,
    aus eigener Erfahrung,
  • 4:51 - 4:54
    in 70 % der nicht-rollstuhlgerechten Läden
  • 4:54 - 4:55
    komme ich deswegen nicht,
  • 4:55 - 4:58
    weil sie mindestens
    zwei Stufen am Eingang haben.
  • 4:58 - 5:01
    Zwei Stufen am Eingang --
    Leute, was ist das Problem?
  • 5:01 - 5:03
    Und eines Tages, als ich mich
    mit einem Freund, Holger,
  • 5:03 - 5:06
    in einem Café traf
    und wir uns verabschiedeten,
  • 5:06 - 5:08
    da meinte er: "Raul, sorry!
  • 5:08 - 5:10
    Also ich würde dich
    echt gern wieder sehen,
  • 5:10 - 5:14
    aber ich bin es leid, wenn wir uns
    ständig im gleichen Café treffen."
  • 5:14 - 5:17
    Und ich so: "Ja, mach einen Vorschlag!
    Wo können wir hingehen?"
  • 5:17 - 5:19
    "Ja, lass uns mal bei uns
    um die Ecke gehen."
  • 5:19 - 5:22
    Ich so: "Okay! Weißt du,
    ob das rollstuhlgerecht ist?"
  • 5:22 - 5:24
    Und er so: "Nein."
  • 5:24 - 5:27
    Und er antwortete aber
    auch gleichzeitig, indem er sagte:
  • 5:27 - 5:30
    "Aber wenn es 1,6 Millionen
    Rollstuhlfahrer wie dich gibt,
  • 5:30 - 5:33
    dann muss es doch heißen,
    dass es auch 1,6 Millionen Menschen gibt,
  • 5:33 - 5:36
    die Orte kennen,
    die rollstuhlgerecht sind."
  • 5:36 - 5:39
    Und so entstand die Idee von Wheelmap.
  • 5:39 - 5:43
    Wheelmap ist praktisch
    eine OpenData-Karte,
  • 5:43 - 5:45
    in die Menschen mit
    Mobilitätseinschränkung
  • 5:45 - 5:48
    -- wie ich es jetzt mal
    ganz allgemein formuliere --
  • 5:48 - 5:50
    in die Menschen mit
    Mobilitätseinschränkung
  • 5:50 - 5:53
    Orte eintragen können, ob sie
    rollstuhlgerecht sind oder nicht.
  • 5:55 - 5:57
    Ich sage das deswegen so allgemein,
  • 5:57 - 6:01
    weil natürlich gibt es
    nicht nur Rollstuhlfahrer.
  • 6:01 - 6:03
    Es gibt noch Familien mit Kinderwagen.
  • 6:03 - 6:05
    Es gibt Menschen mit Rollatoren.
  • 6:05 - 6:08
    Es gibt dreimal so viele Rollatoren
    wie Rollstühle in Deutschland
  • 6:08 - 6:12
    und die Zahl steigt aufgrund
    des demografischen Wandels.
  • 6:12 - 6:15
    Und letztendlich, wenn man sich mal
    ein Zitat von Volker Schönwiese,
  • 6:15 - 6:21
    einem Professor der Disability Studies
    aus Österreich zu Rate zieht,
  • 6:21 - 6:25
    der sagt: "Behindert ist der,
    der Hilfe braucht."
  • 6:25 - 6:26
    Und wir brauchen immer Hilfe,
  • 6:26 - 6:30
    entweder als Kind oder als Greis.
  • 6:30 - 6:32
    Dazwischen gibt es eine Zeit,
  • 6:32 - 6:34
    in der die meisten von uns
    nicht behindert sind.
  • 6:34 - 6:38
    Also es gibt gar nicht die Dichotomie
    zwischen behindert und nicht behindert,
  • 6:38 - 6:43
    sondern nur zwischen behindert
    und zeitweise nicht behindert.
  • 6:43 - 6:45
    Und wenn man so denkt ...
  • 6:45 - 6:49
    (Applaus)
  • 6:50 - 6:52
    Und wenn man so denkt,
  • 6:52 - 6:55
    dann betrifft dieses Thema
    auf einmal alle.
  • 6:55 - 6:59
    Und deswegen
    habe ich zwei Bitten an euch.
  • 6:59 - 7:01
    Die erste Bitte: Benutzt Wheelmap!
  • 7:01 - 7:05
    Tragt die Orte ein, die ihr kennt,
    ob sie rollstuhlgerecht sind oder nicht.
  • 7:05 - 7:06
    Gerne weltweit.
  • 7:07 - 7:08
    Und die zweite Bitte:
  • 7:08 - 7:11
    Sollte einer von euch
    in der glücklichen Lage sein,
  • 7:11 - 7:14
    eine Tanzschule zu eröffnen,
    ein Café, eine Disco
  • 7:14 - 7:16
    oder vielleicht sogar ein Bordell:
  • 7:16 - 7:19
    Achtet auf Rollstuhlgerechtigkeit! Danke!
  • 7:19 - 7:22
    (Applaus)
Title:
Wheelmap.org | Raul Krauthausen | TEDxBerlin
Description:

Raul Krauthausen ist ein Marketingexperte, der versucht, gesellschaftliche Probleme zu lösen, und das mit viel Spaß. In seiner Kindheit in Südamerkia erlebte er ein starkes Wirtschaftsgefälle, und mit seiner genetischen Knochenkrankheit, die ihn an den Rollstuhl fesselt, erfuhr er auch eine gesellschaftliche Kluft, den Menschen mit Behinderungen erlebten.

Dieser Vortrag wurde bei einem TEDx-Event gehalten, der dem Format für TED-Konferenzen entspricht, aber eigenständig von einem lokalen Veranstalter organisiert wurde. Erfahren Sie mehr unter http://ted.com/tedx.

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Video Language:
German
Team:
closed TED
Project:
TEDxTalks
Duration:
07:24

German subtitles

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