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36c3 Vorspannmusik
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Herald: Es freut mich sehr, dass ihr alle
da seid für Sven Hilbig. Er ist Referent
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im Verein „Brot für die Welt“ und dort vor
allen Dingen für Welthandel und
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Umweltpolitik zuständig. Einige von euch
kennen ihn wahrscheinlich auch als
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Vertreter von Brot für die Welt im Träger-
Kreis von Bits und Bäume. Ich freue mich
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sehr, dass er heute hier ist, beim
Kongress, um über Gerechtigkeit 4.0 zu
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sprechen und Gerechtigkeit vor allen
Dingen in der Digitalisierung im globalen
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Süden. Dankeschön Sven, dass du da bist.
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Applaus
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Sven Hilbig: Ja, ganz herzlichen Dank für
die Einladung vom Chaos Computer Club zu
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dem Vortrag heute. Wie du gerade schon
sagtest: Ich arbeite bei Brot für die Welt
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zu Handel und Umweltpolitik. Und bevor
ich zum Vortrag komme, möchte ich
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vielleicht noch ein paar einleitende Worte
sagen, warum wir uns von Brot für die Welt
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uns überhaupt mit dem Thema
Digitalisierung beschäftigen. Brot für die
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Welt wurde vor 60 Jahren gegründet, ist
inzwischen in ungefähr 100 Ländern aktiv.
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Wir kooperieren mit ungefähr 1300
Partnerorganisationen, und unser
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Kernanliegen ist es, die Lebensbedingungen
der Menschen in Entwicklungs- und
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Schwellenländern zu verbessern. Dabei
konzentrieren wir uns vor allen Dingen auf
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die Überwindung von Armut und
Ungleichheit. Wir fördern auch viele
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Projekte in den Bereichen Gesundheit,
Bildung, ländliche Entwicklung,
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beschäftigen uns auch mit anderen Themen
wie umweltpolitischen Themen und
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ökonomischen Herausforderungen, wie dem
Klimawandel, der Rohstoffpolitik und
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Handelsabkommen. Denn Handelsabkommen und
auch der Abbau von Rohstoffen
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beeinträchtigen auch ganz stark die
Menschen in Entwicklungsländern wie z. B.
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Kleinbauern in Afrika oder indigene
Menschen, Indigene im Amazonas.
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Und mit der Digitalisierung ist es nicht
anders. Auch das greift weit in die Lebens-
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und Arbeitsbedingungen der Menschen im
globalen Süden ein. Wir sehen das – zum
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Beispiel einige Partnerorganisation nutzen
Digitalisierung in ihrer Arbeit. Im Kongo
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zum Beispiel setzen sie Cargodrohnen ein,
um Medikamente zu transportieren in entlegene
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Gebiete. Und andere Partnerorganisationen
berichten davon, dass sie immer mehr
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kontrolliert, überwacht werden von techno-
logischen Instrumenten. Und von daher haben
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wir gesagt – verschiedene Kollegen in der
Politikabteilung –, dass wir uns damit
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befassen wollen: Was sind denn eigentlich
nur die Risiken? Und was sind auch die
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Chancen der Digitalisierung. Und ich tue
dies vor allen Dingen aus der
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handelspolitischen Perspektive. Ich habe
mich zwei Jahre lang relativ intensiv mit
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der Frage beschäftigt. Das Ergebnis ist
unsere Publikation Gerechtigkeit 4.0, die
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vor drei Monaten herausgekommen ist. Und
ich möchte Ihnen ein paar Inhalte heute
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vorstellen. Was sind nun die Risiken, was
sind nun die Chance Digitalisierung für
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die Menschen in Entwicklungsländern? Viele
Akteure in Entwicklungszusammenarbeit sind
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relativ optimistisch. Sie glauben, dass
die Digitalisierung dazu beitragen kann,
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viele Potenziale hat, um Armut,
Ungleichheit zu überwinden. Ich möchte
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hier nur stellvertretend unseren Minister
für wirtschaftliche Zusammenarbeit
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zitieren, Gerd Müller, der sagt: „Neue
Technologien beschleunigen unser Leben,
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machen es transparenter und effizienter.
Mehr Menschen können mehr Wissen teilen.
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Wertschöpfungsketten werden neu gestaltet,
Unternehmergeist in Garagen geweckt.“ Das
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ist eine sehr optimistische Einschätzung.
Und diese optimistische Einschätzung
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beruht vor allen Dingen auf zwei Thesen.
Da haben wir zum einen die These, die
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sagt, dass die Digitalisierung ganz neue
Märkte schaffe, auch in den
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Entwicklungsländern mit einem sehr hohen
Wachstumspotenzial. Und dass dies
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schlussendlich dazu führe, dass der
Wohlstand gesteigert wird. Und das Andere,
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das steckte ja auch schon im Zitat drin: Man
glaubt, dass die Digitalisierung der globalen
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Lieferketten dazu führt, dass diese
Lieferketten transparenter sind,
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effizienter, produktiver und
schlussendlich dazu führen, dass die
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Menschen, die am Anfang der Kette stehen –
der Teepflücker, der Kleinbauer – mehr
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verdient als vorab. Und ich möchte nun in
meinem Vortrag auf diese beiden Thesen
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eingehen, schauen: was hat sich bisher
verwirklicht, bzw. wie hoch sind die
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Wahrscheinlichkeiten, dass sie sich in der
Zukunft verwirklichen und danach ein paar
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Bausteine benennen, die dazu beitragen
können, dass die Potenziale stärker betont
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werden und die Risiken gemindert werden.
Ich möchte beginnen mit dem Welthandel.
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Die Beschäftigung mit Welthandel ist von
daher, meiner Ansicht nach, auch
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interessant, weil uns hier empirische
Daten vorliegen. Die Diskussion über die
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Digitalisierung ist ja auch bestimmt von
Spekulationen, wie sie sich zukünftig
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entwickeln wird, und schwankt oft hin und
her zwischen Dystopie und Utopie. Beim
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Welthandel ist’s ein bisschen anders. Ich
fange an mit dem Handeln mit digitalen
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Gütern. Digitale Güter sind alle Güter,
die digital hergestellt werden, digital
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gehandelt werden und digital konsumiert
werden, das heißt das E-Book, Musik oder
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Videostreaming Software. Und da ist die
Frage, wie hat sich das in den letzten 20
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Jahren entwickelt? Welche Regionen, welche
Weltregionen profitieren davon und welche
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nicht? Und ein Bericht der Vereinten
Nationen gibt dazu Antwort. Hier sehen
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wir, dass 51 Prozent des Handels mit
digitalen Gütern auf den asiatisch-
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pazifischen Raum entfallen. Dahinter
steckt vor allen Dingen ein Land, das ist
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China. Auf Europa und Nordamerika
ungefähr ein Viertel. Auf den afrikanischen
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Kontinent, zusammen mit dem Mittleren
Osten nur ein einziger Prozent und selbst
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auf Lateinamerika, wo immerhin vier
Schwellenländer liegen – Brasilien, Mexiko,
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Argentinien, Chile – auch nur ein Prozent.
Damit zeigt sich, dass die Ungleichheit
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beim Handeln mit digitalen Gütern noch
größer ist als beim Handel mit analogen
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Gütern. Denn beim analogen Gütern
repräsentieren Lateinamerika und Afrika
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zusammen zumindest acht Prozent
und nicht nur zwei Prozent. Die
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Welthandelsorganisation WTO hat sehr früh
in Teilbereichen zumindest den digitalen
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Handel liberalisiert. Sie hat bereits 1998
ein Abkommen verabschiedet – Informations-
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und Technologieabkommen –, was den Handel
mit IT-Produkten, also Tablets, PCs und so
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weiter liberalisiert, indem es ein Zoll
Moratorium verhängt hat. Das heißt, auf
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diese Produkte dürfen von Anfang an keine
Zölle erhoben werden. Nun stellt sich die
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Frage, wie sich das auswirkt. So ein Zoll
Moratorium. Bei der Beantwortung müssen
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wir unterscheiden zwischen den IT-
Konzernen, die Marktführer sind bei der
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Herstellung dieser Produkte, den Tablets,
den GPS-Geräten und den Konsumenten auf
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der einen Seite und den Staaten auf der
anderen Seite. Für die IT-Konzerne ist’s
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natürlich vorteilhaft, wenn keine Zölle
erhoben werden. Die Produkte sind
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günstiger, sie werden stärker nachgefragt,
der Umsatz steigt und damit ihre Profite.
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Und wir freuen uns natürlich auch. Wir
Konsumenten hätten es natürlich besser,
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wenn wir den Laptop kaufen, der nur 900
und nicht 1000 Euro kostet. Was heißt es
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aber für die Staaten? Für die Staaten hat
es vor allem monetäre Konsequenzen. Wir
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sehen das hier: die Mehrzahl der Staaten
im südlichen Afrika hat ein
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Handelsbilanzdefizit. Das heißt, sie
importieren sehr viel mehr IT-Produkte
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als sie exportieren. Ein kleiner Staat wie
Malawi hat ein Handelsbilanzdefizit von 80
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oder fast 80 Millionen US-Dollar. Das ist
viel für diesen Staat. Und die
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Schwellenländer, profitieren die zumindest
davon? Selbst Schwellenländer, die über
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einen ziemlich hohen
industrialisierungsgrad verfügen, wie
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Mexiko, Thailand, Südafrika und Brasilien,
haben auch Handelsbilanzdefizite teilweise
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von fast 600 Millionen im Falle von
Mexiko. Und die anderen drei Benannten
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liegen bei ungefähr 200 Millionen
US-Dollar. Alle haben ein
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Handelsbilanzdefizit. Bei diesem Abkommen
von 1998 wurde vereinbart, dass das
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Moratorium nur ein zeitlich befristetes
Moratorium ist. Das heißt, es wird alle
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zwei Jahre auf den WTO-Ministerkonferenzen
verlängert um weitere zwei Jahre.
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Die Industriestaaten drängen
verständlicherweisedarauf, dass das in ein
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permanentes Moratorium verwandelt wird.
Und viele Entwicklungsländer sind dagegen
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und das nicht nur aufgrund der negativen
Zahlungsbilanz, sondern gerade die ärmsten
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Entwicklungsländer führen noch zwei andere
Argumente ins Felde. Das eine Argument
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ist, dass für gerade arme
Entwicklungsländer Zolleinnahmen enorm
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wichtig sind für die Staatseinnahmen.
Staaten wie Mali oder Sierra Leone, in
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diesen Staaten machen die Zolleinnahmen 40
Prozent der gesamten Staatseinnahmen aus.
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Nun können wir uns vorstellen, wenn diese
Zölle nicht mehr vorhanden sind, was das
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bedeutet für die Möglichkeit, noch in
Gesundheit oder Bildung zu investieren.
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Und das zweite Argument ist, dass Zölle
auch wirtschaftslenkende politische
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Maßnahmen einleiten können. Gerade die
Staaten Südostasiens haben es vorgemacht,
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wie eine nachholende Industrialisierung
möglich ist. Südkorea, Taiwan, Singapur
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sie haben schon vor 30, 40 Jahren
entschieden, dass sie ihre neuen
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Industrien, die sie aufbauen, vor
ausländischer Konkurrenz schützen, indem
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sie einfach hohe Schutzzölle erhoben
haben. Und erst als ihre Unternehmen
-
international wettbewerbsfähig waren,
haben sie Schutzzölle zurückgenommen und
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haben ihre Produkte exportiert. Das ist
dann nicht mehr möglich. Nun hat sich der
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digitale Handel in den letzten 20, 25
Jahren stark verändert. Er verändert sich
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permanent. Es kommen immer neue Produkte
hinzu, es kommen neue Vermittlungswege
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hinzu. Wir könnten uns ja wahrscheinlich
auch kein Leben mehr ohne digitale
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Dienstleistungen vorstellen:
Hotelreservierungen, Online-Kurse et
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cetera. Das Portfolio wird immer größer.
Es ist ziemlich klar, dass es beim
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digitalen Handel um materielle,
immaterielle Güter geht und um digitale
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Dienstleistungen. Was vielleicht weniger
bewusst ist, dass es mittlerweile auch um
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Daten geht. Nach Ansicht der OECD sind
Daten ein handelbares Gut. Und in
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Anbetracht dieser Dynamik kann es nicht
verwundern, dass es immer mehr
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Handelsabkommen gibt – bilaterale,
multilaterale Handelsabkommen –, indem es
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ein sogenanntes E-Commerce Chapter gibt, in
dem genau weitreichende Regelungen
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getroffen werden und auch was den
Datenaustausch angeht. Das ist keine
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zufällige Entwicklung, wie uns teilweise
IT-Konzerne oder auch das
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Bundeswirtschaftsministerium halt
weismachen will. Die sagen: Naja, die
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Technik entwickelt sich weiter, müssen uns
anpassen. Sondern vielmehr, wenn wir
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verstehen wollen, was hier eigentlich
gerade abgeht und was zum ziemlichen
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Zankapfel wird zwischen Industriestaaten
einerseits, Entwicklungsländer
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andererseits, müssen wir einen Schritt
zurück machen, und zwar einen weiten
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Schritt zurück. Wir müssen 20 Jahre
zurückgehen und müssen uns zurück bewegen
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in das Silicon Valley der ’90er Jahre. Tech-
Konzerne planen, wie auch Erdölkonzerne,
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langfristig und strategisch. Und mit
langfristig meine ich jetzt nicht fünf
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oder zehn Jahre, sondern mehrere
Jahrzehnte im Voraus. Amazon, Facebook,
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die in der zweiten Hälfte der ’90er Jahre
eher noch in den Kinderschuhen steckten,
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war natürlich eigentlich bewusst, dass sie
im 21. Jahrhundert abräumen werden. Ihr
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technologischer Vorsprung war zu groß,
und auch das finanzielle Kapital, was
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hinter ihnen steckte, war auch zu groß, dass
irgendjemand sie daran hindern könnte,
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sozusagen die neuen Weltherrscher zu
werden. Die Zahlen sind, glaube ich, den
-
vielen bekannt. Heutzutage ist es so, dass
die Big Five des Silicon Valley das
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Dreieinhalbfache des Börsenwertes
repräsentieren wie die vier größten
-
Erdölkonzerne. Das wussten die damals
schon. Aber sie waren auch so klug. Sie
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wussten auch, wenn sie erst einmal diese
dominante Rolle eingenommen haben, wird
-
diese dominante Rolle auch zu Widerspruch
und auch zu Widerstand führen. Das heißt,
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es werden Forderungen laut nach
Regulierung, Kontrolle ihrer Unternehmen.
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Das wollten sie verhindern. Also haben sie
sich bereits in ’90er Jahren überlegt: Was
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können wir tun, damit es auch in 20, 30,
40 Jahren keine Regulierung gibt? Und dann
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sind sie auf eine ziemlich gute Idee
gekommen aus ihrer Perspektive … sie
-
haben sich überlegt, dass sie das
internationale Handelsrecht benutzen, um
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es für ihre Interessen zu
instrumentalisieren. Warum? Weil die WTO
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als auch bilaterale Handelsabkommen nur
ein einziges Ziel haben. Und das ist
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Liberalisierung und Deregulierung. Es geht
in Handelsabkommen um nichts anderes, als
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Handelshemmnisse abzubauen und andere
Handelshemmnisse, die man vielleicht
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sozusagen sich neu ausdenken könnte, gar
nicht erst zu erlauben. Und sie waren auch
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extrem erfolgreich. Im Jahr 2000 hat die
USA bereits eine digitale Agenda erlassen,
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in dem die ganze Wunschliste des Silicon
Valley enthalten ist. Das ist eine
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Antiverbotsagenda, da steht drin: Verbot
von Zöllen, Verbot von Digitalsteuer,
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Verbot, Quellcodes zu öffnen, Verbot von
lokaler Datenspeicherung. Die Daten sollen
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schön auf den Servern im Silicon Valley
oder in Seattle landen. Das sollte
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zukünftig in die Handelsabkommen hinein
verhandelt werden. Zwei Jahre später,
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2002, hat die USA das erste
Handelsabkommen zum digitalen Handeln
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abgeschlossen. Da ging es um Kooperation,
man ist vorsichtig vorgegangen und mit jedem
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neuen Abkommen ist immer mehr von dem, was
ich eben benannt hab, hineinverhandelt worden.
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Wir haben – ich weiß nicht, ob das vielen von
euch bekannt ist – seit Januar 2019, also
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ziemlich genau einem Jahr, gibt es eine
transpazifische Partnerschaft, an der elf
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Staaten beteiligt sind, darunter wichtige
Staaten wie Australien, Chile, Japan,
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Kanada. Und diese Staaten haben sich
darauf verständigt, unter anderem Verbot
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lokaler Datenspeicherung, Verbot von
Zugriff auf Quellcodes, Verbot auf Zölle
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zu erheben. Das ist Völkerrecht, da
kommt man nicht mehr ran. Internationales
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Völkerrecht, Handelsrecht, Handelsabkommen
werden nicht aufgehoben. Die haben kein
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Enddatum. Diese elf Staaten ist das alles
nicht mehr möglich. Nun könnte der eine
-
oder andere – oder die andere – halt sagen:
Die USA ist ja gar nicht dabei, die USA hat
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das Ganze doch initiiert. Obama hat … die
USA war an diesem Abkommen beteiligt.
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Obama hat dieses Abkommen erfolgreich zu
Ende verhandelt. Das war seine, war sein
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großes Projekt im Handelsbereich. Das
wollte er verhandeln. Das war ihm viel
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wichtiger als die TTIP-Verhandlungen. Die
Verhandlung kamen zu Ende, Trump kam in die
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Regierung und Trump war einfach nicht
bereit, ein von Obama erfolgreich zu Ende
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verhandeltes Abkommen zu ratifizieren.
Trump hat es nicht ratifiziert, darum sind
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nur diese elf Staaten beteiligt. Das Ganze
hat Trump aber nicht daran gehindert,
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jetzt im Oktober vor zwei Monaten mit
Japan ein eigenes Abkommen zu verhandeln
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zum digitalen Handel, in dem die ganzen
Sachen drinstehen. Und dieses Abkommen:
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USA, Japan kann jetzt möglicherweise im
Januar schon ratifiziert werden. Das
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kommende Jahr wird was den Bereich Digital-
Handel angeht auch deswegen spannend, weil
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die große Frage ist, ob die WTO anfängt,
jetzt ein multilaterales Abkommen zu
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verhandeln, wo es auch um den digitalen
Handel geht. Es gibt die sogenannten
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Freunde des E-Commerce. Das sind ungefähr
80 Staaten, darunter EU, Japan, USA, aber
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auch China und verschiedene
Schwellenländer. Die haben auf dem
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Weltwirtschaftsforum in Davos 2019
angekündigt, dass sie bei der nächsten WTO
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Ministerkonferenz, die im Juni 2020 in
Kasachstan stattfindet, ein Mandat
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bekommen, um genau so ein Abkommen zu
verhandeln, in dem genau solche Sachen
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enthalten sind. Wir wissen nicht, was
rauskommt, wir sind bei Brot für die Welt,
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wir werden hinfahren nach Kasachstan zwar
jetzt im Juni 2020. Klar ist, dass
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grundsätzlich. Tschuldigung, die
Bundesregierung, Angela Merkel hinter
-
einem solchen Abkommen steht, das hat sie
bereits in Davos angekündigt. Auch wenn
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sie gleichzeitig gesagt hat, dass
natürlich die EU nicht dem Modell der USA
-
und nicht dem Modell Chinas folgen soll,
sondern eigenen Weg geht. Vor allem, was
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Privatsphäre angeht und die
Datenschutzgrundverordnung. Letzteres ist
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sicherlich ein Zankapfel zwischen der USA
und der EU. Ich komme zum zweiten
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Versprechen, wenn ihr euch erinnert, das
zweite Versprechen lautete ja, dass die
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Digitalisierung von Lieferketten dazu
beiträgt, dass sie transparenter und
-
produktiver und effizienter werden und
tatsächlich für die Leute vor Ort, für
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Kleinbauern Teepflücker dann auch zur
Wertsteigerung führen. Mark Graham, ein
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Brite, hat sich seit über zehn Jahren mit
der Digitalisierung in Entwicklungsländern
-
beschäftigt, und er hat die
Digitalisierung von Lieferketten
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untersucht am Beispiel von Teepflückern
in Ostafrika. Dabei hat sich Folgendes
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gezeigt: Die Teepflücker haben anfangs
auch gedacht, es ist gut, sozusagen das
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Internet zu benutzen. Sie würden sich
stärker in den Markt integrieren. Und
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diese Untersuchung kam zu folgendem
Ergebnis. Erstens, tatsächlich führt die
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Digitalisierung dazu, dass die Akteure
mehr miteinander kommunizieren,
-
untereinander, mit anderen Akteuren der
Lieferkette. Es führt auch dazu, dass sie
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ihre Arbeit effizienter gestalten.
Und natürlich, das ist klar, bei
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Digitalisierung, die ganze Arbeit wird
transparenter. Das wiederum führt dazu,
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dass sie Ihr Management besser
organisieren und dass auch die ganze
-
Lieferkette besser kontrolliert werden
kann. Auch für die Frage, ob Standards
-
eingehalten werden, was ja kein
unwichtiger Aspekt ist. Bleibt die Frage,
-
ob deswegen die Teepflücker mehr verdienen
als vorher. Und da kam die Untersuchung zu
-
dem Ergebnis, dass neben den genannten
Folgen es noch weitere Auswirkung hat,
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wenn man eine Lieferkette digitalisiert.
Und da zeigt sich vor allen Dingen der
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Punkt, dass die Konsumenten heutzutage
aufgrund mehr Transparenz sehr gut sehen
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können, wo der Tee herkommt und ob der
Tee, unter welchen Bedingungen der Tee
-
hergestellt wird, welchen
Arbeitsbedingungen und welchen
-
Umweltbedingungen zu ganz wichtiger … zu
ganz wichtigem Element der Wertschöpfung
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wird. Weswegen die Konzerne noch mehr
Geld investieren in die Erhebung von Daten.
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Das führt dazu, dass die Einkäufer des
Tees heutzutage viel mehr Lieferanten
-
haben. Sie wissen nicht nur, dass dieser
Tee unter genau den gleichen Bedingungen
-
von 4, 5 Produzenten erstellt wird,
sondern von 20, 30, 40 Produzenten. Und
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das können sie ausspielen, auch
kurzfristig. Aus der Perspektive der
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Teeproduzenten vor Ort heißt das: sie sind
einer größeren Konkurrenz ausgesetzt. Und
-
sie verdienen heutzutage weniger als
vorher, was dieses Schaubild verdeutlicht.
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Das ist, wie gesagt, der erste Teil des
Versprechens ist eingetreten, der zweite
-
Teil nicht. Auch andere Untersuchungen
zeigen, dass es kein Einzelfall ist. Es
-
zeigt sich immer mehr bei der
Digitalisierung von Wertschöpfungsketten.
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Dass die Wertschöpfung, die der
eigentlichen Produktion vorgelagert ist,
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zum Beispiel Produktdesign oder
nachgelagert ist, dass da die
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Wertschöpfung abnimmt und gleichzeitig
auch die „Smilekurve“, die Wertschöpfung,
-
bei denen, die die Produktion betreiben,
nach und nach runtergeht. Die
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Wertschöpfungs … die Teekette ist auch von
daher interessant, wenn wir uns mit der
-
Frage beschäftigen, inwieweit die
Digitalisierung dazu beiträgt, dass den
-
Entwicklungsländern möglicherweise eine
nachholende Industrialisierung oder
-
nachholende Entwicklung gelingt. Weil wir
sehen ja, dass Daten immer wichtiger
-
werden. Die Frage ist natürlich, wer über
diese Daten verfügt, wer ist Eigentümer
-
dieser Daten. Das wird immer wichtiger,
insofern wir uns hin entwickeln auf eine
-
Datenökonomie. Die in einer Kette heute
erhobenen Daten sind inzwischen auch
-
interessant für andere Prozesse. Und
meiner Ansicht nach hat es der Economist
-
relativ gut auf den Punkt gebracht vor
zweieinhalb Jahren mit dieser Metapher,
-
dass die Daten das neue Roh-Öl sind. Wir
hier im Raum werden natürlich sagen, wir
-
können jetzt nicht Daten, Informationen
als Rohstoffe klassifizieren. Das ist
-
völlig richtig. Zugleich, glaube ich,
stimmt die Metapher aber insofern, dass
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zwischen beiden Prozessen, zwischen der
Extraktion von Rohstoffen, von Erdöl auf
-
der einen Seite und Extraktion von Daten,
strukturelle Abhängigkeiten sehr, sehr
-
ähnlich sind und sehr deutlich werden.
Denn auch wir von Brot für die Welt und
-
auch andere entwicklungspolitische
Organisationen wissen sehr genau,
-
dass nicht die Staaten, wo die
Rohstoffe wie das Erdöl vorhanden
-
waren, von den Rohstoffen
profitiert haben, sondern die
-
Konzerne diese Rohstoffe … in der Lage
waren, Rohstoffe abzubauen, die die
-
Infrastruktur aufstellen konnten. Das
heißt die Bohrtürme, die Pipelines, die
-
Tanker und schlussendlich auch die
Tankstellen. Und das gilt natürlich auch
-
genauso für die Digitalisierung. Warum
beherrscht denn das Silicon Valley das
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Internet so stark? Weil sie sozusagen die
globale Infrastruktur entweder zur Verfügung
-
oder sie kontrollieren. Wieviel Minuten?
Gut, dann mache ich das Fazit ein bisschen
-
dem, was ich bisher gesagt habe. Ist
erstens: der digitale Handel hat die Kluft
-
zwischen den führenden Industrienationen
und der Mehrzahl der Entwicklungs- und
-
Schwellenländer weiter vertieft. Zweitens:
Die Liberalisierung des digitalen Handels
-
im Rahmen von Handelsabkommen geht zu
Ungunsten der weniger wettbewerbsfähigen
-
Industrien in den ärmsten Ländern des
globalen Südens. Die Digitalisierung der
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globalen Lieferketten erhöht zwar die
Effizienz des Wirtschaftens und die
-
Transparenz der Lieferkette, aber die
Wertschöpfung nimmt im Norden zu und nicht
-
im Süden, wie uns weisgemacht wird. Und
sollte es Entwicklungsländern nicht
-
gelingen, die Souveränität über ihre Daten
zu erhalten, dann werden die globalen
-
Macht-Asymmetrien durch die Datenökonomie
weiter zulasten des Südens verschoben.
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Was können wir tun, damit das nicht
geschieht? Wir haben in unserer Studie
-
Gerechtigkeit 4.0 neun Bausteine
formuliert, von denen ich ein paar
-
benennen möchte. Das erste ist: Die
Vereinte Nation hat ganz klar gesagt:
-
das Wichtigste ist, dass die
Entwicklungsländer in die Lage versetzt
-
werden, dass sie eine eigene, auf ihre
nationalen Bedürfnisse zugeschnittene
-
Digitalisierung aufbauen können. Und
Grundvoraussetzung, nach Ansicht der
-
UNCTAD ist dafür, dass die bisher bestehenden
Spielräume im Handelsabkommen erstens nicht
-
weiter eingeengt werden dürfen und
obendrein auch noch erweitert werden
-
müssen. Daraus zieht die UNCTAD zwei
Konsequenzen. Erstens, es darf keine
-
weitere Liberalisierung im Rahmen von
digitalen Handelsabkommen geben, sei es
-
bilaterale oder multilaterale. Denn wenn
man zwei Akteure gleich behandelt, darum
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geht’s um Liberalisierung, geht das immer
zu Ungunsten der Staaten, die auf einem
-
niedrigen Entwicklungsniveau sind.
Der zweite Punkt ist, es muss
-
Entwicklungsländern zukünftig mehr möglich
sein, dass sie ihre eigene digitale
-
Industrie stärker schützen und fördern.
Also schützen vor ausländischer Konkurrenz.
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Das ist bisher nur unter sehr restriktiven
Konditionen möglich. Da besteht
-
Reformbedarf, unter anderem bei der WTO.
Der zweite Punkt ist: Wir müssen natürlich
-
die digitale Kluft schließen, also
digitale Kluft heißt, dass ganz viele
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Menschen in Entwicklungsländern nach wie
vor keinen Internetanschluss haben. Im
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südlichen Afrika sind es 3 von 4 Menschen,
die keinen Internetanschluss haben. Das ist
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völlig klar, das sagen alle. Das sagt auch
das BMZ. Das sagt aber auch Alibaba. Sagt
-
auch Amazon. Und die letzteren beiden
sind natürlich dabei, Funkmasten aufzustellen,
-
Seekabel zu verlegen. Nur geht es
natürlich den IT-Konzern aus China und
-
USA, handeln die nicht aus altruistischen
Gründen, sondern denen geht es darum, Zugang
-
zum Markt zu bekommen und Zugang zu Daten
zu bekommen. Und wenn wir das umkehren
-
wollen, dann müssen wir uns dafür
einsetzen, dass es eine öffentliche
-
Infrastruktur in den Entwicklungsländern
gibt. Und dazu werden sie allein nicht in
-
der Lage sein. Dazu brauchen sie
Unterstützung, sei es finanzielle
-
Unterstützung bzw. Wissens- und
Technologietransfer aus dem globalen
-
Norden. Der dritte Punkt ist, die Monopole
sind so dermaßen dominant auch gerade auf
-
dem afrikanischen Kontinent, der oft als
ein Kontinent der Hoffnung auch gerade im
-
digitalen Bereich genannt wird. Zum einen
ist extrem schwer es für neue Unternehmen,
-
sich auf dem Markt zu etablieren und
selbst etablierte Unternehmen, das gilt
-
sowohl für den afrikanischen Kontinent als
auch für Indien, geraten immer mehr in
-
Bedrängnis. Wir haben hier in Europa vor
längerer Zeit schon Diskussionen angestoßen,
-
dass diese Monopole kontrolliert reguliert
werden müssen. Die EU jetzt mittlerweile
-
auch bei aller Kritik, zumindest ist die
Diskussion halt da. Es kann aber nicht
-
angehen, dass Diskussionen, die der EU-Rat
führt, im Endeffekt am Mittelmeer enden.
-
Also wenn man eine global gerechte
Digitalisierung möchte, dann muss man
-
auch Konzepte entwerfen, dass die digitalen
großen Konzerne aus China, Japan, USA auf
-
globaler Ebene reguliert werden und
kontrolliert werden. Und schließlich
-
kommen wahrscheinlich auch viele
Entwicklungsländer nicht drum herum, auch
-
selbst nationale und regionale digitale
Plattformen aufzubauen für einige
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regionale kleine Staaten, sowohl in Asien,
Lateinamerika, Afrika, werden nicht in der
-
Lage sein, digitale Plattformen
aufzubauen, die wettbewerbsfähig sind mit
-
den großen bestehenden digitalen
Konzernen, d. h., eher ein regionaler Ansatz
-
ist wichtig. Und dafür braucht man halt
auch dementsprechend regionale
-
Freihandelszonen. Afrika hat den ersten
Schritt gemacht. Es gibt jetzt sozusagen
-
die Arbeiten hin auf eine panafrikanische
Freihandelszone. Das ist ein ganz
-
wichtiger Schritt. Für die EU bedeutet
das, dass die EU erst diesen Prozess
-
unterstützen muss. Und vor allen Dingen,
was die EU nicht machen darf, ist und das
-
tut sie seit 15 Jahren, ganz viele
bilaterale Handelsabkommen nicht im
-
digitalen Bereich, sondern allgemein mit
verschiedenen afrikanischen Staaten zu
-
schließen. Und damit zerschießen sie im
Endeffekt diesen sozusagen kontinentalen
-
Ansatz. Und damit auch möglichst viele
Leute auch profitieren von solchen
-
digitalen Plattformen, ist es sicherlich
auch wichtig, dass sie genossenschaftlich
-
organisiert werden. Die große
Schwierigkeit besteht sicherlich darin,
-
eine genossenschaftliche Plattform zu
organisieren, einerseits und zum anderen
-
international wettbewerbsfähig zu sein.
Denn sie konkurrieren mit
-
Aktiengesellschaften. Hier müsste man sich
wahrscheinlich ein neues Modell überlegen,
-
inwieweit auch Industriestaaten,
internationale Staatengemeinschaft dies
-
fördert mit Kapital. Ganz
herzlichen Dank fürs Zuhören.
-
Applaus
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Herald: Danke, Sven Hilbig. Punktlandung!
Wir haben jetzt noch genau 10 Minuten Zeit
-
für eure Fragen, eure Kommentare, unsere
Diskussion. Ich habe schon gesehen, der
-
Signal Angel hat eine Frage. Deswegen fange
ich direkt mit ihm an und ihr könnt in der
-
Zwischenzeit euch an die Mikrofone
stellen, wenn ihr möchtet.
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Signalengel: Eine Frage, wie sieht es mit
SSI aus? Inwieweit wird sich Self Sovereign
-
Identity hinsichtlich Direktmarketing als
Lösungsstruktur für dieses Problem
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erweisen?
Sven: Da müsst ihr mir zunächst kurz
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erklären, was SSI ist.
Frage: Ich habe das so reinbekommen, ich
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hab nachgefragt, aber keine Antwort
bekommen. Herald: Und Direktmarketing?
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Vielleicht ist für einen
anderen Raum gedacht‽
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Frage: Ist eventuell eine Option
vielleicht, ich habe noch keine Antwort.
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Herald: Danke schön, dann
nehmen wir die nächste Frage.
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Frage: Vielen Dank für den
Vortrag. Sehr interessant!
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Inwiefern siehst du den russischen
Ansatz, für alle elektronischen
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Geräte jeweils eine nationale Alternative
zu schaffen? Direkt vorinstalliert als
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einen guten Lösungsansatz für andere
Länder, nationale Plattform zu stärken. Da
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wird ja mal mit sehr viel Kritik gegen
argumentiert. Wegen Überwachung. Würd mich
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mal interessieren.
Sven: Ja, das ist glaube ich, eine sehr
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gute und gleichzeitig sehr heikle Frage.
Ich hab ja das Thema kurz angekreuzt,
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nationale Datenspeicherung. Dieses Thema
kann man aus zwei Blickwinkeln betrachten.
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Aus der menschenrechtlichen Perspektive –
Reporter ohne Grenzen – sagen die, dass es
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natürlich auch teilweise sehr
problematisch ist, weil gerade autoritäre
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Staaten natürlich auch diesen Ansatz von
lokaler Datenspeicherung nutzen, um ihre
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Bürger zu kontrollieren. So, das ist das
eine. Das Andere aus einer ökonomischen
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Perspektive. Dürfen wir aber daraus aus
dieser Problematik nicht die Folgerung
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ziehen, dass keine lokale Datenspeicherung
möglich ist, weil dann wird sich der
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digitale Handel, Digitalisierung, genauso
zukünftig weiterentwickeln, wie er sich in
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der Vergangenheit entwickelt: ungleich.
Was den russischen Ansatz angeht von der
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aktuellen Regierung her. Und auch was
Kontrolle von Zivilgesellschaft angeht,
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soziale Bewegung, würde ich von daher zum
Teil eher in Richtung einer
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Problematisierung betrachten. Das ist,
glaube ich, der entscheidende Punkt ist,
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wozu dient die lokale Datenspeicherung?
Lokaler Ansatz dient es dazu, die Bürger
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zu kontrollieren oder dazu, eine eigene
Wirtschaft aufzubauen.
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Frage: Vielen Dank für den hochinteressanten
Vortrag. Ich war Ende der ’80er Jahre für
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die Open Software Foundation in Brasilien
unterwegs. Brasilien hatte damals hohe
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Importzölle für IT mit dem Ergebnis, dass
es da ungefähr 60 PC-Hersteller gab. Das
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haben die irgendwann aufgeben müssen, weil
alle anderen Bereiche der Wirtschaft in
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Brasilien darunter gelitten haben, dass
sie so einen schlechten Zugang zu IT
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hatten. Das heißt also, wenn ich versuche,
den digitalen Bereich durch Zölle zu
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schützen, um etwas Eigenes aufzubauen,
wenn das Eigene, was ich dort aufbaue,
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geschützt werden muss, weil es nicht
wettbewerbsfähig ist, dann behindere ich
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im Prinzip den gesamten Rest der
Wirtschaft. Wie kann man dieses
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Problem auflösen?
Sven: Das hängt natürlich stark von der
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jeweiligen Regierung ab. Du redest
wahrscheinlich von ’98 rückwärts, denke ich
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mal, was Brasilien angeht. Damals Laptops
war ja absurd! Die haben in Brasilien das
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Fünffache gekostet. … ok, sehr weit zurück.
Das ist natürlich klar. Das ist natürlich;
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die Sache ist ambivalent. Wenn man
natürlich nur ’ne Schutzzoll-Politik betreibt,
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ohne gleichzeitig die eigenen Unternehmen
zu fördern, dann passiert genau das, was
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du gerade aufgezeigt hast. Aber es geht
auch andersherum. Die Regierung von ’89,
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das war ja gerade erst zum ersten Mal ein
brasilianischer Präsident direkt vom Volk
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gewählt worden. 13 Jahre später kam die PT
an die Regierung. Und bei aller Kritik an
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der Arbeiterpartei, Lula hat eine andere
Politik verfolgt. Lula hat auch gerade in
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verschiedenen Wirtschaftszweigen hat
gesagt: OK, wir fassen Geld an und wir
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investieren. Und das ist auch genau, was
die südostasiatischen Staaten gemacht
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haben: Schutzzölle aufzuheben, um die
eigenen Unternehmen zu stützen, weil es
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vielleicht eine Klientelpolitik ist, das
geht nach hinten los. Aber wenn man einen
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langfristigen Plan für die nächsten 20, 30
Jahre hat, dass man sagt, man baut eigene
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Industrien auf, dann ist es natürlich
schon ein richtiger Ansatz. Was Brasilien
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angeht, das ist ja – führt vielleicht ein
bisschen zu weit – Ich habe 5 Jahre in der
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Menschenrechtsorganisation … vielleicht
spreche ich deswegen mehr darauf an … Die
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betreiben ja mittlerweile eine
Deindustrialisierungspolitik. Die haben ja
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die letzten 8, 10 Jahre ganz stark darauf
gesetzt, Agrargüter zu exportieren und der
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Industrialisierungsgrad ist zurückgegangen.
Das ist natürlich eine völlig falsche Politik.
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Unter ’nem Liberalisierungsdogma sozusagen.
Herald: Vielleicht als Ergänzung: auf der
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Grassroots-Hackerebene, in so einer
Organisation arbeite ich, gibt’s halt
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Leute, die zum Beispiel in Kenia, weil sie
keine 3D-Drucker importieren können, aus
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E-Waste 3D-Drucker bauen und gleich die
lokale Ökonomie mitnutzen und Filament
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muss man dann eben auch selber Precious-
Plastic-mäßig herstellen, weil es extrem
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teuer zu importieren ist und schwer zu
bekommen, selbst in der Stadt wie in
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Nairobi. Wir haben noch viele Fragen auch
vom Signal Angel und hier im Raum und dann
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sicher auch noch Gelegenheit, mit dir
draußen zu sprechen. Deswegen will ich als
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erstes den Signal Angel nehmen, weil die
Leute im Internet ja nicht danach noch
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kurz sprechen können.
Signal-Engel: Was kann man unter dem
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Verbot von lokaler Datenspeicherung
verstehen? Welche Daten sind das?
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Gibt’s da ein Beispiel?
Sven: Das gilt grundsätzlich für alle
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Daten. Es gibt das Verbot lokaler
Datenspeicherung. Gibt’s verschiedene
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Varianten, sozusagen, die umfangreichste
Variante ist die, die in dem
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transpazifischen Partnerschaftsabkommen
verabschiedet wurde. Das heißt im
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Endeffekt alle möglichen Daten, die in
einem Zusammenhang mit einer
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geschäftlichen Vereinbarung stehen, so
steht’s drin, dürfen nicht auf einem
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lokalen Server irgendwie gespeichert
werden, geschweige denn weiterverarbeitet
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werden. Das ist natürlich der Angelpunkt.
Man sagt halt immer, das muss, diese Daten
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müssen in einer geschäftlichen Beziehung
halt stehen. Aber das wird in Handelsabkommen
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regelmäßig relativ weit ausgelegt.
Herald: Vielleicht noch ein Kommentar,
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bevor wir gleich abgeschnitten werden. Auf
eurer Webseite Brot für die Welt hast du
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einen Blog, wo man Artikel von dir auf
Deutsch lesen kann. Und es gibt auch diese
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Studie Gerechtigkeit 4.0 auf Englisch zum
Runterladen. Das heißt, man kann ja auch
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dann nochmal weiterverbreiten und auch
selber lesen, natürlich auf Deutsch oder
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auf Englisch. Für die, die die Übersetzung
gerade anhören. Jetzt würde ich noch einmal
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Mikrofon 1, du stehst schon länger da,
nehmen.
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Frage: Ja, nochmal vielen Dank für den
Vortrag. Ich habe eine ganz kurze Frage.
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Und zwar schlägt Trump relativ viel
Porzellan auch bei der WTO um und besetzt
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Richterposten nicht neu. Und die Frage:
führt das vielleicht dazu, dass sich da was
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ändert, weil ja keine Schiedsverfahren
mehr entschieden werden können? Oder wird
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das eher zum Gegenteil führen, dass alles
so bleibt und in Zement gegossen wird?
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Sven: Gut, die aktuellen Entwicklungen der
WTO sind sehr kontrovers. Eine Woche
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nachdem die USA komplett die Neubesetzung
der Berufungsinstanz blockiert hat, hat
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Trump selbst sich an die Berufungsinstanz
gewandt, weil sie in erster Instanz gegen
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Indien verloren haben. Das zweite ist, die
EU arbeitet seit Sommer 2019 an einer Mini
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WTO. Sie haben bereits bilaterale Abkommen
getroffen, mit ungefähr 15 Staaten sehr
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wichtigen Staaten. Und die wollen jetzt ab
Januar nächsten Jahres 2020 darauf
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hinarbeiten, dass es ein sog. plurilaterales
Abkommen gibt. Im Rahmen der WTO. Aber
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nicht alle Staaten sind dabei, vielleicht
60, 65 Staaten, die sagen: Wir verständigen
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uns darauf, dass wir ad hoc ein
Schiedsgericht, das sieht die WTO vor, ein
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Schiedsgericht anerkennen. Und aus
diesem Ad-hoc-Schiedsgericht soll eine
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permanente Institution werden, eine kleine
Mini WTO. Das ist aus entwicklungspolitischer
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Perspektive höchst problematisch,
weil sich natürlich da die
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Industriestaaten nur darauf verständigen,
wie sie zukünftig miteinander umgehen. Und
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ein altes chinesisches Sprichwort sagt:
Wer nicht mit am Speisetisch sitzt, steht,
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auf der Speisekarte … Wer nicht am
Tisch sitzt, steht auf der Speisekarte.
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Von daher auch problematisch.
Herald: Mikrofon 2 bitte.
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Frage: Vielleicht noch mal bezugnehmend
auf das Szenario in Brasilien und E-Waste.
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Inwiefern sollte man besonders
unter der Überschrift Gerechtigkeit auch
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Generationengerechtigkeit und vielleicht
eher so etwas wie Right to Repair oder
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Modify die Geräte in Betracht ziehen,
sodass es nicht unbedingt um Produktion
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geht, die sich dann unterbieten muss?
Sven: Das ist natürlich ein richtiger
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Ansatz. Wiir waren – hast du ja auch erzählt –
Wir waren ja bei Bits und Bäumen dabei. Da
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ging es vor allem um ökologische
Nachhaltigkeit, vor allen die Punkte. Die
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sind ja auch im Forderungskatalog mit
aufgehoben. Ich habe mich ja nur auf einen
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kleinen Bereich konzentriert, weil das
Thema, die makroökonomische Auswirkung der
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Digitalisierung auf den globalen Süden in
der allgemeinen Disskussion viel zu kurz
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kommt. Ansonsten natürlich
Zustimmung dafür. Danke.
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Herald: Noch das Bedürfnis, eine ganze
Diskussion zu führen, sollten wir für
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nächstes Jahr beim Kongress einreichen,
auch auf Englisch mit Menschen aus dem
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globalen Süden in Anführungszeichen. Ein
Tipp noch: Wenn ihr euch für die Grassroots
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Initiativen interessiert: Es gibt eine arte-
Dokumentation, die heißt Made in Africa,
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die Hackerspaces and Innovation Labs in
Afrika sich anschaut und dokumentiert.
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Ansonsten freue ich mich, dass wir gleich
noch ein bisschen weiter reden können. Und
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ihr könnt uns auch noch im Open
Infrastructure Orbit und beim Bits und
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Bäume Bereich bei About Freedom besuchen
kommen, wenn ihr heute im Lauf des Tages
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noch Zeit habt. Dann: Dankeschön! Und
Tschüss auch dem Stream!
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Applaus
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36c3 Abspannmusik
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Untertitel erstellt von c3subtitles.de
im Jahr 2020. Mach mit und hilf uns!