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Die Kunst der Stille

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    Ich reise schon mein Leben lang.
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    Bereits als kleines Kind
  • 0:04 - 0:08
    habe ich mir ausgerechnet,
    dass es billiger wäre,
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    auf ein Internat in England zu gehen,
  • 0:10 - 0:13
    als gleich in der Nähe
    meines Elternhauses in Kalifornien
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    in die beste Schule zu gehen.
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    Ab meinem 10. Lebensjahr
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    flog ich also mehrmals im Jahr
    alleine über den Nordpol,
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    nur um zur Schule zu gehen.
  • 0:25 - 0:29
    Und je mehr ich flog,
    desto mehr liebte ich es.
  • 0:29 - 0:32
    Genau eine Woche nach
    meinem High-School-Abschluss
  • 0:32 - 0:35
    bekam ich einen Job als Tischabwischer,
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    sodass ich im Laufe meines
    18. Lebensjahres jede Jahreszeit
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    auf einem anderen Kontinent
    verbringen konnte.
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    Und so wurde ich zwangsläufig
    ein Reiseschriftsteller;
  • 0:46 - 0:50
    ich machte das, was ich liebte, zum Beruf.
  • 0:51 - 0:55
    In mir entstand das tiefe Gefühl,
    dass, wenn man das Glück hat,
  • 0:55 - 0:58
    die Tempel von Tibet
    im Kerzenschein zu begehen,
  • 0:58 - 1:01
    oder der Küste Havannas
    entlang zu laufen,
  • 1:01 - 1:03
    wo von überall Musik herkommt,
  • 1:03 - 1:06
    man dann diese Klänge,
    den hohen kobaltblauen Himmel
  • 1:06 - 1:09
    und das Leuchten des blauen Ozeans
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    mit nach Hause zu den Freunden nehmen,
  • 1:11 - 1:13
    und etwas Zauber
  • 1:13 - 1:15
    und Klarheit in das eigene Leben
    bringen kann.
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    Davon abgesehen -- das wissen wir alle --
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    lernt man beim Reisen zuallererst,
  • 1:21 - 1:26
    dass nur dort ein Zauber liegt,
    wo man mit den richtigen Augen hinsieht.
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    Nimmt man einen wütenden Mann
    mit in den Himalaya,
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    wird er sich nur über
    das Essen beschweren.
  • 1:32 - 1:34
    Ich fand heraus,
  • 1:34 - 1:38
    dass der Blick noch aufmerksamer
    und wertschätzender wird,
  • 1:38 - 1:40
    wenn man -- seltsamerweise --
  • 1:40 - 1:44
    nirgendwo hingeht, sondern nur stillsitzt.
  • 1:44 - 1:46
    Durch das Stillsitzen bekommen
    viele von uns das,
  • 1:46 - 1:49
    wonach sie sich
    in ihrem schnelllebigen Leben sehnen,
  • 1:49 - 1:51
    und was sie am meisten
    brauchen -- eine Pause.
  • 1:51 - 1:54
    Aber es war auch der einzige Weg,
  • 1:54 - 1:59
    auf dem ich meine Erfahrungen im Leben
    noch einmal durchgehen
  • 1:59 - 2:03
    und den Sinn der Vergangenheit
    und der Zukunft verstehen konnte.
  • 2:03 - 2:06
    Und darum war ich sehr überrascht,
    als ich herausfand,
  • 2:06 - 2:08
    dass nirgendwo hinzugehen,
  • 2:08 - 2:12
    mindestens genauso aufregend war,
    wie nach Tibet oder Kuba zu reisen.
  • 2:12 - 2:16
    Und mit "nirgendwo hingehen"
    meine ich nichts Schlimmeres,
  • 2:16 - 2:19
    als sich ein paar Minuten am Tag,
  • 2:19 - 2:21
    ein paar Tage in jeder Jahreszeit
  • 2:21 - 2:23
    oder sogar -- wie manche Menschen --
  • 2:23 - 2:25
    ein paar Jahre im Leben Zeit zu nehmen,
  • 2:25 - 2:28
    um lange genug stillzusitzen,
  • 2:28 - 2:31
    um herauszufinden,
    was einen am meisten bewegt,
  • 2:31 - 2:35
    um sich zu entsinnen,
    worin wahre Glückseligkeit besteht,
  • 2:35 - 2:37
    und um sich daran zu erinnern,
  • 2:37 - 2:39
    dass das Leben zu bestreiten
    und es zu leben,
  • 2:39 - 2:42
    manchmal zwei
    grundverschiedene Dinge sind.
  • 2:42 - 2:46
    Das haben uns natürlich bereits
    weise Menschen aus jeder Kultur
  • 2:46 - 2:48
    seit Jahrhunderten gesagt.
  • 2:48 - 2:50
    Es ist ein alter Gedanke.
  • 2:50 - 2:53
    Vor mehr als 2000 Jahren
    erinnerten uns die Stoiker daran,
  • 2:53 - 2:56
    dass das Leben nicht
    aus unseren Erfahrungen besteht,
  • 2:56 - 2:58
    sondern daraus, was wir damit machen.
  • 2:58 - 3:02
    Stellen Sie sich vor, plötzlich
    fegt ein Hurrikan durch Ihre Stadt
  • 3:02 - 3:07
    und legt alles in Trümmer.
  • 3:07 - 3:10
    Ein Mann ist
    sein Leben lang traumatisiert.
  • 3:10 - 3:14
    Aber ein anderer, vielleicht sogar
    sein Bruder, ist fast schon erleichtert
  • 3:14 - 3:19
    und entscheidet, dass dies seine große
    Chance ist, noch einmal neu zu beginnen.
  • 3:19 - 3:20
    Es ist dasselbe Ereignis,
  • 3:20 - 3:23
    aber zwei grundverschiedene Reaktionen.
  • 3:23 - 3:27
    Es gibt weder Gutes noch Schlechtes,
    so sagt es Shakespeare in "Hamlet",
  • 3:27 - 3:30
    nur die Denkweise macht es dazu.
  • 3:31 - 3:34
    Diese Erfahrung habe ich
    auch als Reisender gemacht.
  • 3:34 - 3:37
    Vor 24 Jahren unternahm ich
    eine bewusstseinsverändernde Reise
  • 3:37 - 3:40
    nach Nordkorea.
  • 3:40 - 3:43
    Die Reise dauerte nur ein paar Tage.
  • 3:43 - 3:46
    Danach habe ich mich still hingesetzt,
    bin in Gedanken wieder zurückgekehrt,
  • 3:46 - 3:50
    habe versucht, es zu verstehen
    und in mein Denken einzuordnen.
  • 3:50 - 3:52
    Dies dauert jetzt schon 24 Jahre an
  • 3:52 - 3:56
    und wird wahrscheinlich
    ein Leben lang dauern.
  • 3:56 - 3:59
    Ich habe auf der Reise
    erstaunliche Dinge gesehen,
  • 3:59 - 4:01
    aber nur durch das Stillsitzen
  • 4:01 - 4:05
    wurden diese zu bleibenden Erkenntnissen.
  • 4:05 - 4:08
    Manchmal denke ich,
    dass sich vieles in unserem Leben
  • 4:08 - 4:10
    in unseren Köpfen abspielt,
  • 4:10 - 4:15
    in der Erinnerung, der Vorstellung,
    bei der Interpretation oder Spekulation,
  • 4:15 - 4:17
    sodass ich, wenn ich mein Leben
    wirklich verändern will,
  • 4:17 - 4:21
    am besten damit anfange,
    meine Denkweise zu ändern.
  • 4:21 - 4:23
    Aber das ist nichts Neues.
  • 4:23 - 4:27
    Shakespeare und die Stoiker sagten uns
    das bereits vor einigen Jahrhunderten,
  • 4:27 - 4:32
    aber Shakespeare hatte nie
    200 E-Mails am Tag zu bewältigen.
  • 4:32 - 4:33
    (Lachen)
  • 4:33 - 4:37
    Und die Stoiker waren
    meines Wissens nicht auf Facebook.
  • 4:37 - 4:40
    Wir wissen alle,
    dass in unserem Leben auf Abruf
  • 4:40 - 4:42
    eines der nachgefragtesten Dinge
  • 4:42 - 4:43
    wir selbst sind.
  • 4:43 - 4:46
    Wo immer wir auch sind,
    sei es Tag oder Nacht,
  • 4:46 - 4:50
    unsere Vorgesetzten, Junk-E-Mails,
    unsere Eltern können uns immer erreichen.
  • 4:50 - 4:54
    Soziologen haben tatsächlich
    herausgefunden, dass die Amerikaner
  • 4:54 - 4:57
    heute weniger arbeiten
    als noch vor 50 Jahren,
  • 4:57 - 5:00
    aber es fühlt sich weitaus mehr an.
  • 5:00 - 5:03
    Wir haben immer mehr
    zeiteinsparende Geräte,
  • 5:03 - 5:07
    aber wir scheinen manchmal
    immer weniger Zeit zu haben.
  • 5:07 - 5:09
    Es wird immer leichter,
    Kontakt mit Menschen herzustellen,
  • 5:09 - 5:12
    die an den entlegensten Orten
    der Welt leben,
  • 5:12 - 5:14
    aber manchmal verlieren wir dabei
  • 5:14 - 5:17
    den Kontakt zu uns selbst.
  • 5:17 - 5:21
    Eine der größten Überraschungen
    als Reisender war für mich,
  • 5:21 - 5:24
    dass ich herausfand,
    dass es oft genau die Leute sind,
  • 5:24 - 5:27
    die es uns ermöglichen,
    überall hin zu gelangen,
  • 5:27 - 5:30
    die nicht die Absicht haben,
    irgendwo hinzugehen.
  • 5:30 - 5:32
    Also genau diese Menschen,
  • 5:32 - 5:35
    die diese Technologien entwickelt haben,
  • 5:35 - 5:38
    welche sich über
    alte Grenzen hinwegsetzen,
  • 5:38 - 5:41
    sind die Weisesten, wenn es
    um das Bedürfnis von Grenzen geht,
  • 5:41 - 5:45
    das gilt sogar für die Technologie.
  • 5:45 - 5:48
    Ich besuchte einmal
    den Hauptsitz von Google
  • 5:48 - 5:51
    und sah all die Dinge, von denen Sie
    sicher bereits gehört haben:
  • 5:51 - 5:54
    Baumhäuser im Innenbereich, Trampoline.
  • 5:54 - 5:58
    Die Mitarbeiter haben
    20 % der Arbeitszeit frei zur Verfügung,
  • 5:58 - 6:02
    sodass sie ihrer Vorstellungskraft
    einfach freien Lauf lassen können.
  • 6:02 - 6:05
    Aber was mich noch mehr beeindruckte:
  • 6:05 - 6:09
    Während ich auf
    meinen digitalen Ausweis wartete,
  • 6:09 - 6:11
    erzählte mir ein Google-Mitarbeiter
    etwas über das Programm,
  • 6:11 - 6:15
    das er gerade initiierte,
    um die vielen Google-Mitarbeiter,
  • 6:15 - 6:19
    die Yoga machen, zu Trainern auszubilden,
  • 6:19 - 6:23
    und ein anderer Google-Mitarbeiter
    erzählte mir von dem Buch,
  • 6:23 - 6:26
    das er über die innere Suchmaschine
    schreiben wolle,
  • 6:26 - 6:29
    und darüber, dass die Wissenschaft
    durch Erfahrungswerte gezeigt hat,
  • 6:29 - 6:31
    dass Stillsitzen oder Meditation
  • 6:31 - 6:35
    nicht nur zu besserer Gesundheit
    und klarerem Denken,
  • 6:35 - 6:38
    sondern sogar zu
    emotionaler Intelligenz führen kann.
  • 6:38 - 6:41
    Ich habe noch einen anderen Freund
    im Silicon Valley,
  • 6:41 - 6:44
    der wirklich einer
    der wortgewandtesten Fürsprecher
  • 6:44 - 6:46
    für die neusten Technologien
  • 6:46 - 6:50
    und auch eines der Gründungsmitglieder
    des Fachmagazins Wired ist: Kevin Kelly.
  • 6:50 - 6:53
    Kevin schrieb sein letztes Buch
    über die neusten Technologien,
  • 6:53 - 6:58
    ohne ein Smartphone, einen Laptop
    und einen Fernseher zu Hause.
  • 6:58 - 7:01
    Und wie viele im Silicon Valley
  • 7:01 - 7:03
    ist er sehr bemüht,
  • 7:03 - 7:07
    den sogenannten "Internet-Sabbat"
    einzuhalten.
  • 7:08 - 7:11
    Dabei gehen sie jede Woche
    ein oder zwei Tage lang
  • 7:11 - 7:14
    vollständig "offline",
  • 7:14 - 7:16
    um den nötigen Sinn für Orientierung
  • 7:16 - 7:19
    und Ausgewogenheit zu finden,
    bevor sie wieder online gehen.
  • 7:19 - 7:23
    Vielleicht hat uns die Technologie
    nicht immer das Gespür dafür gegeben,
  • 7:23 - 7:28
    wie man sie am besten anwendet.
  • 7:28 - 7:31
    Und wenn ich vom Sabbat spreche,
  • 7:31 - 7:33
    die zehn Gebote anschaue --
  • 7:33 - 7:37
    da gibt es nur ein einziges Wort, wofür
    das Adjektiv "heilig" verwendet wird,
  • 7:37 - 7:39
    und das ist der Sabbat.
  • 7:39 - 7:42
    Ich nehme das heilige Buch der Juden,
    die Thora, in die Hand --
  • 7:42 - 7:46
    das längste Kapitel handelt vom Sabbat.
  • 7:46 - 7:49
    Und wir alle wissen,
    dass unser größter Luxus --
  • 7:49 - 7:52
    der leere Raum ist.
  • 7:52 - 7:56
    In vielen Musikstücken ist es
    die Pause oder das Pausenzeichen,
  • 7:56 - 7:59
    die dem Stück seine Schönheit
    und seine Form verleihen.
  • 7:59 - 8:00
    Als Schriftsteller
  • 8:00 - 8:04
    versuche ich oft viel leeren Platz
    auf der Seite zu lassen,
  • 8:04 - 8:08
    sodass der Leser meine Gedanken
    und Sätze ergänzen
  • 8:08 - 8:12
    und seinen Vorstellungen
    Raum zum Atmen geben kann.
  • 8:13 - 8:16
    Auf der physischen Ebene
    versuchen natürlich viele Menschen,
  • 8:16 - 8:18
    wenn sie die Mittel dazu haben,
  • 8:18 - 8:21
    einen Wohnsitz, ein zweites Zuhause
    auf dem Land zu kaufen.
  • 8:21 - 8:24
    Ich habe diese Mittel nie gehabt,
  • 8:24 - 8:28
    aber ich erinnere mich, dass ich jederzeit
  • 8:28 - 8:32
    ein zweites Zuhause in der Zeit
    statt im Raum haben kann,
  • 8:32 - 8:35
    indem ich mir einfach nur
    einen Tag freinehme.
  • 8:35 - 8:37
    Das ist nie leicht.
    Wenn ich es nämlich mache,
  • 8:37 - 8:39
    verbringe ich die meiste Zeit damit,
  • 8:39 - 8:40
    mich über die Extra-Arbeit zu sorgen,
  • 8:40 - 8:43
    die mich dann am nächsten Tag verschlingt.
  • 8:43 - 8:46
    Ich denke manchmal, ich würde eher
    Fleisch, Sex oder Wein aufgeben,
  • 8:46 - 8:48
    als die Möglichkeit,
    meine E-Mails zu checken.
  • 8:48 - 8:49
    (Lachen)
  • 8:49 - 8:52
    Viermal im Jahr versuche ich
    drei Tage freizunehmen,
  • 8:52 - 8:55
    um mich zurückzuziehen,
    aber ein Teil von mir
  • 8:55 - 8:58
    fühlt sich immer schuldig,
    meine Frau einfach zurückzulassen
  • 8:58 - 9:01
    und all diese scheinbar dringenden E-Mails
  • 9:01 - 9:02
    meiner Vorgesetzten zu ignorieren,
  • 9:02 - 9:05
    und vielleicht die Geburtstagsfeier
    eines Freundes zu verpassen.
  • 9:05 - 9:09
    Aber sobald ich an einem wirklich
    ruhigen Ort angekommen bin,
  • 9:09 - 9:12
    wird mir bewusst,
    dass ich nur durch diesen Rückzug
  • 9:12 - 9:16
    meiner Frau, meinen Vorgesetzten
    oder Freunden
  • 9:16 - 9:18
    Neues, Kreatives oder Freudiges
    weitergeben kann.
  • 9:18 - 9:20
    Ansonsten dränge ich ihnen
  • 9:20 - 9:23
    nur meine Erschöpfung oder Verwirrung auf,
  • 9:23 - 9:26
    was auch keinen Segen bringt.
  • 9:27 - 9:29
    Als ich 29 war,
  • 9:29 - 9:32
    entschied ich mich also, mein ganzes Leben
  • 9:32 - 9:35
    im Sinne des Nirgendwo-Hingehens
    neu zu gestalten.
  • 9:35 - 9:38
    Eines Abends kam ich aus dem Büro zurück,
  • 9:38 - 9:42
    es war nach Mitternacht, ich saß in
    einem Taxi, fuhr am Times Square vorbei,
  • 9:42 - 9:45
    und plötzlich wurde mir klar, dass ich
    so sehr in meinem Leben herumrannte,
  • 9:45 - 9:48
    dass ich es nie einholen konnte.
  • 9:48 - 9:51
    Mein Leben damals,
    wie es der Zufall wollte,
  • 9:51 - 9:54
    war eigentlich so, wie ich es mir
    als kleiner Junge gewünscht hatte.
  • 9:54 - 9:57
    Ich hatte sehr
    interessante Freunde und Kollegen,
  • 9:57 - 10:01
    eine schöne Wohnung
    an der Ecke Park Avenue / 20th Street.
  • 10:01 - 10:03
    Ich hatte -- fand ich --
    einen faszinierenden Job,
  • 10:03 - 10:06
    ich schrieb
    über internationale Beziehungen,
  • 10:06 - 10:08
    aber ich konnte mich
    nie wirklich davon trennen,
  • 10:08 - 10:10
    um mich selbst denken zu hören --
  • 10:10 - 10:14
    oder um wirklich zu verstehen,
    ob ich wahrhaftig glücklich war.
  • 10:14 - 10:17
    Also gab ich mein Traumleben
  • 10:17 - 10:21
    für ein Zimmer in den Hinterhöfen
    von Kyoto in Japan auf,
  • 10:22 - 10:26
    ein Ort, der schon seit Langem
  • 10:26 - 10:30
    eine starke, geheimnisvolle,
    anziehende Wirkung auf mich ausübte.
  • 10:30 - 10:31
    Schon als Kind
  • 10:31 - 10:34
    hatte ich beim Anblick eines Gemäldes
    von Kyoto eine Art Déjà-vu;
  • 10:34 - 10:37
    ich kannte es, bevor ich es gesehen hatte.
  • 10:37 - 10:40
    Aber Kyoto ist bekanntlich auch
  • 10:40 - 10:42
    eine wunderbare Stadt,
    umrandet von Bergen,
  • 10:42 - 10:46
    mit mehr als 2000 Tempeln und Schreinen,
  • 10:46 - 10:51
    in denen die Menschen
    seit mehr als 800 Jahren stillsitzen.
  • 10:51 - 10:55
    Sehr bald nach meinem Umzug kam ich
    an den Ort, an dem ich noch immer
  • 10:55 - 10:57
    mit meiner Frau --
    und früher unseren Kindern -- lebe,
  • 10:57 - 11:00
    in einer Zweizimmerwohnung
    am Ende der Welt,
  • 11:00 - 11:02
    wo wir kein Fahrrad, kein Auto,
  • 11:02 - 11:05
    kein Fernsehen haben,
    das ich verstehen kann,
  • 11:05 - 11:07
    und ich muss meine Lieben
    mit meiner Arbeit
  • 11:07 - 11:10
    als Reiseschriftsteller
    und Journalist unterstützen.
  • 11:10 - 11:13
    Das ist ganz klar nicht ideal
    für einen Karriereaufstieg,
  • 11:13 - 11:15
    kulturelles Geschehen
  • 11:15 - 11:17
    oder gesellschaftliche Zerstreuung.
  • 11:17 - 11:22
    Aber es wurde mir klar, dass es mir
    das gibt, was ich am meisten wertschätze,
  • 11:22 - 11:24
    nämlich Tage
  • 11:24 - 11:26
    und Stunden.
  • 11:26 - 11:28
    Ich musste dort kein einziges Mal
    ein Handy benutzen.
  • 11:28 - 11:32
    Ich muss fast nie auf die Uhr schauen.
  • 11:32 - 11:34
    Jeden Morgen, wenn ich aufwache,
  • 11:34 - 11:37
    erstreckt sich der Tag vor mir
  • 11:37 - 11:40
    wie eine weite Wiese.
  • 11:40 - 11:43
    Und wenn das Leben eine seiner
    gemeinen Überraschungen bereithält
  • 11:43 - 11:45
    -- was der Fall ist,
    und das mehr als einmal --
  • 11:45 - 11:47
    wenn ein Doktor in mein Zimmer kommt
  • 11:47 - 11:49
    und eine ernste Miene macht,
  • 11:49 - 11:53
    oder ein Auto vor mir
    auf der Landstraße scharf abbiegt,
  • 11:53 - 11:55
    dann spüre ich instinktiv,
  • 11:55 - 11:58
    dass die Zeit, die ich
    mit Stillsitzen verbracht habe,
  • 11:58 - 12:00
    mir viel mehr gegeben hat
  • 12:00 - 12:03
    als die Zeit, die ich
    damit verbracht habe,
  • 12:03 - 12:05
    in Bhutan oder
    auf den Osterinseln herumzurennen.
  • 12:05 - 12:08
    Ich werde immer auf Reisen gehen --
  • 12:08 - 12:10
    meine Existenz hängt davon ab --
  • 12:10 - 12:12
    aber das Schöne am Reisen ist,
  • 12:12 - 12:20
    dass es Stille in die Bewegung
    und den Aufruhr der Welt bringen kann.
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    Einmal nahm ich am
    Frankfurter Flughafen eine Maschine.
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    Eine junge Deutsche setzte sich neben mich
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    und verwickelte mich
    in ein nettes Gespräch,
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    das 30 Minuten dauerte.
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    Dann drehte sie sich einfach um
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    und saß 12 Stunden lang still.
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    Sie schaltete nicht einmal
    ihren Video-Bildschirm ein,
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    sie holte nie ein Buch heraus,
    sie schlief auch nicht,
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    sie saß einfach nur still da
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    und etwas von ihrer Klarheit und Ruhe
    schwappte zu mir über.
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    Ich beobachte, dass immer mehr Menschen
    heutzutage bewusst Maßnahmen ergreifen,
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    um in ihrem Leben Raum zu machen.
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    Einige besuchen sog. "Black-Hole"- Hotels,
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    wo sie Hunderte von Dollars
    pro Nacht ausgeben,
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    nur um ihr Handy und ihren Laptop
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    bei der Ankunft
    an der Rezeption abzugeben.
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    Einige Leute, die ich kenne,
    gehen nicht mehr ihre Nachrichten durch
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    oder auf YouTube,
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    bevor sie ins Bett gehen,
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    sondern schalten das Licht aus
    und hören etwas Musik.
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    Sie merken, dass sie so besser schlafen
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    und am Morgen frischer sind.
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    Einmal konnte ich mich glücklich schätzen,
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    in die hohen, dunklen Berge
    hinter Los Angeles zu fahren,
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    wo der große Dichter und Sänger,
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    und internationale Frauenschwarm
    Leonard Cohen
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    viele Jahre lang lebte
    und als Vollzeit-Mönch
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    im Mount-Baldy-Zen-Center arbeitete.
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    Und ich war nicht überrascht,
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    als er im Alter von 77 Jahren
    ein Album veröffentlichte,
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    dem er bewusst den unattraktiven Titel
    "Old Ideas" [Alte Gedanken] gab
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    und das Platz eins in den Charts
    von 17 Ländern erreichte,
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    und in neun anderen
    unter den ersten fünf landete.
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    Etwas in uns -- denke ich --
    schreit förmlich
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    nach Intimität und Tiefe,
    die wir von Menschen wie ihm bekommen,
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    die die Zeit und die Mühe
    auf sich nehmen, um stillzusitzen.
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    Und ich denke, viele von uns
    haben das Gefühl -- ich zumindest --,
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    dass wir etwa 5 cm weg von
    einem riesigen Bildschirm stehen,
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    er ist laut und er ist überfüllt,
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    und er ändert sich jede Sekunde,
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    und dieser Bildschirm ist unser Leben.
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    Nur durch einen Schritt zurück
    und noch weiter zurück,
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    und inne halten,
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    können wir beginnen zu verstehen,
    was die Leinwand bedeutet
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    und das große Ganze überblicken.
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    Einige Menschen tun das für uns,
    indem sie nirgendwo hingehen.
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    In einem Zeitalter der Beschleunigung
  • 14:44 - 14:48
    ist nichts beglückender
    als zu "entschleunigen".
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    In einem Zeitalter der Zerstreuung
  • 14:50 - 14:54
    gibt es keinen größeren Luxus
    als Acht zu geben.
  • 14:55 - 14:57
    In einem Zeitalter ständiger Bewegung
  • 14:57 - 15:01
    gibt es nichts Wichtigeres
    als stillzusitzen.
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    Sie können also in Ihrem nächsten Urlaub
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    Paris, Hawaii oder New Orleans besuchen;
  • 15:07 - 15:10
    ich wette, Sie verbringen
    eine wunderbare Zeit.
  • 15:10 - 15:15
    Aber wenn Sie lebendig, voll
    neuer Hoffnung und verliebt in die Welt
  • 15:15 - 15:17
    nach Hause kommen wollen,
  • 15:17 - 15:22
    dann denke ich, sollten Sie
    in Erwägung ziehen, nirgendwo hinzugehen.
  • 15:22 - 15:24
    Vielen Dank.
Title:
Die Kunst der Stille
Speaker:
Pico Iyer
Description:

Der Ort, an den Reiseschriftsteller Pico Iyer am liebsten hingehen würde? Nirgendwohin. In einem kontraintuitiven und leidenschaftlichen Vortrag wirft Iyer einen Blick auf die unglaublichen Erkenntnisse, die man gewinnt, wenn man sich Zeit für die Stille nimmt. In einer Welt ständiger Bewegung und Zerstreuung kitzelt er Strategien heraus, die wir alle nutzen können, um uns ein paar Minuten am Tag oder ein paar Tage im Jahr für uns selbst zu nehmen. Dieser Vortrag ist für all diejenigen, die von den Anforderungen der heutigen Welt überfordert sind.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
15:37
Helene Batt approved German subtitles for The art of stillness
Helene Batt edited German subtitles for The art of stillness
Helene Batt edited German subtitles for The art of stillness
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Nadine Hennig edited German subtitles for The art of stillness
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