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Sarah Kaminsky: Mein Vater, dieser Fälscher

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    Ich bin die Tochter eines Fälschers.
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    Nicht irgendein Fälscher:
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    wenn man "Fälscher" hört, versteht man oft "Söldner",
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    man hört "falsches Geld", man hört "falsche Bilder".
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    Mein Vater gehört nicht zu diesen Menschen.
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    Während 30 Jahren seines Lebens,
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    hat er falsche Papiere angefertigt.
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    Niemals für sich selber, immer für andere,
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    und um den Verfolgten und Unterdrückten zu Hilfe zu kommen.
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    Lassen Sie mich ihn Ihnen vorstellen.
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    Hier ist mein Vater, als er 19 Jahre alt war.
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    Für ihn begann tatsächlich alles während des Zweiten Weltkriegs,
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    als er sich im Alter von 17 Jahren in einem
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    Laboratorium von falschen Papieren wiederfand.
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    Er wurde sehr rasch zu einem Expreten für falsche Papier für den Widerstand.
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    Die Geschichte wird dort ungewöhnlich,
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    wo er nach der Befreiung damit weitergemacht hat,
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    falsche Papiere zu erstellen, bis in die 70er Jahre.
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    Und ich, als ich noch klein war,
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    wusste selbstverständlich nichts von alledem.
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    Das bin ich da in der Mitte, mit der Grimasse.
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    Ich wuchs am Stadtrand von Paris auf und,
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    voilà, ich war das Jüngste von drei Kindern.
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    Und ich hatte einen "normalen" Papa, also wie die anderen,
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    mit Ausnahme der Tatsache, dass er 30 Jahre älter war als...
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    nun, er hatte vor allem das Alter, mein Grossvater zu sein.
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    Auf jeden Fall war er Fotograf, er war eine Art Streetworker,
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    und er hat uns immer gelehrt, Gesetzen strikte zu gehorchen.
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    Und von seinem Vorleben, davon als er ein Fälscher war,
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    davon sprach er natürlich niemals.
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    Es gab allerdings ein Vorkommnis, dass ich Ihnen erzählen werde
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    und wo er mir vielleicht diesen Floh hätte ins Ohr setzen können.
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    Ich war am Gymnasium und hatte eine schlechte Note bekommen,
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    was eher selten vorkam,
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    auf jeden Fall hatte ich entschieden, sie vor meinen Eltern zu verstecken.
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    Und um das zu tun, sagte ich mir, dass ich ihre Unterschrift fälschen müsste.
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    Ich habe mich an der Unterschrift meiner Mutter versucht,
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    denn die meines Vaters ist absolut unfälschbar.
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    Ich habe also einen Moment lang auf einigen Schmierblättern trainiert,
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    und trainiert, und trainiert,
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    bis ich einen guten Handstreich hatte,
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    und da ging ich zur eigentlichen Handlung über.
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    Ein bisschen später durchsuchte meine Mutter meine Schulmappe,
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    fand die Kopie und sah sofort, dass die Unterschrift falsch war.
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    Ich wurde angeschrien wie noch nie zuvor,
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    ich ging und versteckte mich in meinem Zimmer, unter meiner Bettdecke
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    und wartete darauf, dass mein Vater von der Arbeit heimkäme,
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    mit einer Menge Furch vor dem Moment, das kann ich sagen.
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    Ich hörte ihn hereinkommen,
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    ich blieb unter den Decken, er kam in mein Zimmer
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    und setzte sich auf die Ecke des Bettes
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    und dann sagte er nichts, also streckte ich den Kopf unter der Decke hervor,
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    und als er mich sah, brach er in Gelächter aus.
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    Er lachte und konnte gar nicht mehr aufhören und er hatte die Kopie in der Hand,
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    und dann sagte er, "Aber Sarah, Du hättest Dich mehr anstrengen können, du siehst doch, dass sie zu klein ist!"
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    Tatsächlich ist sie ein bisschen klein.
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    Ich wurde in Algerien geboren.
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    Dort hörte ich, dass mein Vater ein "moudjahid" sei,
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    das heisst, ein Kämpfer.
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    Und später, in Frankreich, hörte ich gerne unbemerkt den Gesprächen der Grossen zu,
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    ich hörte alle möglichen Dinge über das frühere Leben meines Vaters,
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    ich hörte vor allem, dass er den Zweiten Weltkrieg "gemacht" habe
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    und dass er den Algerischen Krieg "gemacht"habe.
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    Und in meinem Kopf sagte ich mir, dass das hiesse, er sei ein Soldat.
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    Ich kannte meinen Vater und er sagte mir immer, er sei ein Pazifist und gewaltlos,
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    also hatte ich grosse Mühe, ihn mir mit einem Helm und einem Gewehr vorzustellen.
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    Und tatsächlich lag ich ganz schön daneben.
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    Eines Tages, als mein Vater ein Dossier zusammenstellte,
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    damit wir alle die französische Nationalität erhielten,
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    sah ich Dokumente,
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    die mich beschäftigten.
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    Diese hier sind echte!
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    Es sind meine, ich wurde als Argentinierin geboren.
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    Aber das Dokument, das ich da sah
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    und das uns helfen sollte, unser Dossier zu vollenden,
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    das war ein Dokument von der Armee,
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    das meinem Vater für seinen Einsatz dankte,
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    den er für den Geheimdienst ausgeführt habe.
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    Und plötzlich sagte ich mir "wow"!
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    Ähm... mein Vater, ein Geheimagent?!
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    Das kam mir doch sehr wie James Bond vor...
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    Und ich wollte ihm Fragen stellen, auf die er nicht antwortete.
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    Später sagte ich mir, dass ihn
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    eines Tages befragen müsste.
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    Und ich war selber schon Mutter eines kleinen Jungen,
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    als ich mir sagte, es sei jetzt an der Zeit, er müsste unbedingt mit uns sprechen.
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    Tatsächlich war ich gerade Mutter geworden,
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    er wurde eben 77 Jahre alt,
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    und plötzlich hatte ich grosse Angst.
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    Ich hatte Angst, er ginge von uns
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    und nähme seine Stille mit,
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    er nähme all seine Geheimnisse mit.
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    Ich konnte ihn überzeugen, dass es für uns wichtig war,
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    aber vielleicht auch für die anderen,
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    dass er seine Geschichte mit uns teilte.
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    Er entschied sich, sie mir zu erzählen
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    und ich habe daraus ein Buch gemacht,
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    aus dem ich Ihnen nachher einige Stellen vorlesen werde.
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    Seine Geschichte also. Mein Vater wurde in Argentinien geboren.
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    Seine Eltern waren russischer Herkunft.
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    Und seine ganze Familie zog in den 30er Jahren nach Frankreich.
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    Seine Eltern waren Juden, Russen und vor allem sehr arm.
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    Also musste mein Vater im Alter von 14 Jahren arbeiten.
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    Und mit seinem einzigen Diplom,
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    seinem Abgangszeugnis,
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    fand er eine Anstellung in einer Färberei.
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    Dort entdeckte er etwas absolut magisches für ihn,
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    und wenn er davon spricht, ist es faszinierend,
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    es ist die Magie der Färbechemie.
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    Zu dieser Zeit war Krieg
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    und seine Mutter wurde ermordet, als er 15 Jahre alt war.
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    Das trifft zusammen mit dem Zeitpunkt,
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    in dem er sich mit Körper und Seele der Chemie verschrieb,
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    denn das war der einzige Trost in seiner Traurigkeit.
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    Den ganzen Tag lang stellte er seinem Chef eine Menge Fragen,
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    um mehr zu wissen, um mehr Kenntnisse zu sammeln,
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    und nachts, geschützt vor den Blicken,
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    setzte er seine Erfahrungen in die Tat um
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    und er interessierte sich vor allem für das Entfärben von Tinten.
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    All das um Ihnen zus sagen,
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    dass wenn mein Vater ein Fälscher wurde,
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    geschah das tatsächlich beinahe per Zufall.
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    Sie waren Juden und infolgedessen verfolgt.
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    Letztendlich wurde seine ganze Familie verhaftet und ins Lager von Drancy gebracht
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    und sie schafften es, in letzter Minute dank ihrer argentinischen Papiere zu entkommen.
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    Allerdings waren sie zwar draussen,
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    aber immer noch in Gefahr. Es gab immer noch einen grossen "Judenstempel" auf ihren Papieren.
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    Es war sein Vater, der entschied, dass sie falsche Papiere brauchten.
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    Und mein Vater hatte solchen Respekt vor dem Gesetz,
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    dass er zwar verfolgt wurde,
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    aber niemals an falsche Papiere gedacht hatte.
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    Er traf sich dann mit dem Mann vom Widerstand.
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    Zu dieser Zeit waren die Papiere kartonniert,
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    sie waren von Hand ausgefüllt
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    und der Beruf wurde darin ausgewiesen.
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    Damit er überleben konnte, war es nötig,
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    dass er arbeiete. Er bat diesen Mann,
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    ihn als "Färber" auszugeben.
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    Und plötzlich schien der Mann sehr sehr interessiert.
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    "Wie, Färber, weisst Du etwa, wie man Tintenflecke entfernt?"
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    Natürlich wusste er es.
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    Und plötzlich erklärte ihm der Mann,
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    dass der ganze Widerstand ein riesiges Problem hatte:
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    Nicht einmal die berühmtesten Experten
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    schafften es, eine Tinte zu entfernen, die als unlöschbar galt,
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    die blaue "Waterman"-Tinte.
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    Und mein Vater antwortete sofort, dass er genau wusste,
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    wie sie zu löschen war.
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    Nun, der Mann war natürlich sehr beeindruckt von diesem 17-jährigen Bengel,
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    der ihm die Formel einfach so sagen konnte, er rekrutierte ihn sofort.
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    Und ohne es zu wissen, hatte mein Vater gerade etwas erfunden,
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    das man heute in den Federmäppchen aller Schüler findet,
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    nämlich den Tintenkiller.
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    (Applaus)
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    Aber das war nur ein Anfang.
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    Das ist mein Vater.
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    Ab dem Tag seiner Ankunft im Laboratorium,
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    auch wenn er der jüngste war,
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    sah er sofort, dass es im Hinblick auf das Herstellen von falschen Papieren ein Problem gab.
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    Alle Bewegungen gaben sich damit zufrieden, sie zu verfälschen.
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    Aber die Nachfrage wurde immer grösser
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    und es war schwierig, mit existierenden Papieren zu basteln.
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    Er sagte sich, dass man sie fabrizieren müsste.
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    Er schuf die Druckerei. Er schuf den Lichtdruck.
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    Er machte sich daran, Stempel zu reproduzieren,
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    er erfand alle möglichen Arten von Dingen
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    aus allem möglichen Materia, er erfand eine Zentrifuge mit dem Rad eines Fahrrads.
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    Nun, es war nötig, dass er das alles tat,
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    denn er war absolut besessen von der Ausbeute.
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    Er hatte eine simple Rechnung angestellt:
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    in einer Stunde fabrizierte er 30 falsche Ausweise.
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    Wenn er eine Stunde schliefe, müssten 30 Menschen sterben.
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    Dieses Gefühl der Verantwortung
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    über das Leben anderer hatte er trotz seines jungen Alters von 17 Jahren,
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    und auch seine Schuld, ein Überlebender zu sein,
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    da er aus einem Lager entkommen war, während seine Freunde geblieben waren,
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    behielt er sein ganzes Leben lang.
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    Das erklärt vielleicht auch dass er während 30 Jahren
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    damit fortfuhr, falsche Papiere zu machen
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    und den Preis all seiner Opfer.
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    Ich möchte von den Opfern sprechen,
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    denn davon gab es mehrere.
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    Es gab natürlich finanzielle Opfer,
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    denn er hat sich immer geweigert, bezahlt zu werden.
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    Denn bezahlt zu werden, das hiess für ihn, ein Söldner zu sein.
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    Denn wenn er es akzeptierte, bezahlt zu werden,
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    dann könnte er nicht mehr "ja" oder "nein" sagen,
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    danach, ob der Zweck ihm rechtens erschien oder nicht.
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    So war er tagsüber Fotograf
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    und nachts Fälscher während 30 Jahren,
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    und die ganze Zeit über pleite.
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    Und dann gab es gefühlsmässige Opfer:
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    Wie mit einer Frau zusammenleben und so viele Geheimnisse haben?
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    Wie ihr erklären, was man nachts im Labor tut, und zwar jede Nacht?
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    Selbstverständlich gab es eine andere Art von Opfer,
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    in der Familienordnung, das habe ich später verstanden.
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    Eines Tages stellte mir mein Vater meine Schwester vor.
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    Und er erklärte mir, dass ich übrigens auch einen Bruder hätte,
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    und als ich sie das erste Mal sah, war ich wohl etwa 3 oder 4 Jahre alt
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    und sie waren 30 Jahre älter als ich.
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    Heute sind sie beide um die sechzig.
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    Um das Buch schreiben zu können,
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    habe ich meine Schwester befragt. Ich wollte wissen, wer mein Vater war,
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    wer der Vater war, den sie gekannt hatte.
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    Sie erklärte mir, dass dieser Vater, den sie gehabt hatte,
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    ihnen sagte, er käme am Sonntag und hole sie zu einem Spaziergang ab.
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    Und dass sie sich hübsch machten und auf ihn warteten
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    und er fast nie kam.
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    Er sagte "Ich rufe Euch an". Er rief nicht an.
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    Und dann kam er nicht.
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    Und dann eines Tages verschwand er einfach.
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    Wie die Zeit verging,
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    sagten sie sich, er hätte sie sicherlich
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    in der ersten Zeit vergessen.
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    Und als noch mehr Zeit verging,
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    nach fast zwei Jahren, sagten sie sich,
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    "Nun, vielleicht ist unser Vater letztendlich tot."
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    Ich habe begriffen,
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    dass die Tatsache, all diese Fragen an meinen Vater zu stellen,
  • 9:43 - 9:46
    eine ganze Vergangenheit aufrührte, über die er vielleicht nicht sprechen wollte,
  • 9:46 - 9:47
    weil es schmerzhaft war.
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    Und während sich meine Halbschwester und mein Halbbruder aufgegeben glaubten,
  • 9:52 - 9:54
    sozusagen Waisen,
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    fertigte mein Vater falsche Papiere an.
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    Wenn er es ihnen nicht sagte, war das natürlich zu ihrem Schutz.
  • 10:00 - 10:01
    Nach der Befreiung machte er weiter falsche Papiere,
  • 10:01 - 10:04
    um den Überlebenden zu erlauben, nach Palästina zu emigrieren,
  • 10:04 - 10:06
    bevor Israel geschaffen wurde.
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    Und weil er ein überzeugter Anti-Kolonialist war,
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    machte er falsche Papiere für die Algerier während des Algerienkriegs.
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    Und dann, nach dem Algerienkrieg,
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    im Kern der Bewegungen des internationalen Widerstands,
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    ging sein Name weiter um.
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    Und die ganze Welt klopfte an seine Tür.
  • 10:21 - 10:25
    In Afrika gab es Länder, die um ihre Unabhängigkeit kämpften.
  • 10:25 - 10:28
    Guinea, Guinea-Bissau, Angola.
  • 10:28 - 10:32
    Und mein Vater freundete sich mit der Anti-Apartheid-Partei von Nelson Mandela an.
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    Er machte falsche Papiere für die verfolgten schwarzen Südafrikaner.
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    Dann war da auch Lateinamerika.
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    Mein Vater kam den Widerstandskämpfern in Diktaturen zu Hilfe,
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    auf der Insel Santo Domingo, auf Haiti,
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    und dann in Brasilien, Argentinien, Venezuela, Salvador, Nicaragua,
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    Kolumbien, Peru, Uruguay, Chile und Mexico.
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    Und es gab den Vietnamkrieg.
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    Mein Vater machte falsche Papiere für die amerikanischen Deserteure,
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    die nicht gegen die Vietnamesen in den Krieg ziehen wollten.
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    Und Europa wurde auch nicht ausgespart.
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    Mein Vater machte die falschen Papiere für die Dissidenten
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    von Franco in Spanien. Auch gegen Salazar in Portugal.
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    Und gegen die Diktatur der Obersten in Griechenland.
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    Sogar in Frankreich.
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    Ein einziges Mal ist das passiert im Mai 1968.
  • 11:19 - 11:21
    Mein Vater schaute, natürlich mit Wohlwollen,
  • 11:21 - 11:24
    die Kundgebungen zum ersten Mai,
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    aber sein Herz und seine Zeit waren woanders,
  • 11:26 - 11:30
    denn er hatte mehr als 15 Länder zu bedienen.
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    Einmal allerdings hatte er zugesagt, falsche Papiere zu erstellen
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    für jemanden, den Sie vielleicht wiedererkennen werden.
  • 11:34 - 11:37
    (Gelächter)
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    Er war viel jünger zu jener Zeit,
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    und mein Vater hatte akzeptiert, die falschen Papiere zu machen,
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    um ihm zu erlauben, zurückzukehren und an einer Versammlung zu sprechen.
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    Er hat mir gesagt, diese falschen Papiere waren die medienwirksamsten
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    und die am wenigsten nützlichen, die er in seinem ganzen Leben gemacht hatte.
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    Aber er hatte zugesagt, sie zu machen,
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    auch wenn das Leben von Daniel Cohn-Bendit nicht in Gefahr war,
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    es war,
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    weil es dennoch eine schöne Gelegenheit war,
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    den Behörden eine lange Nase zu drehen
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    und ihnen zu zeigen, dass es nichts brüchigeres gibt als eine Grenze
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    und dass Ideen keine Grenzen kennen.
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    Während meiner ganzen Kindheit,
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    währenddem die anderen Papas meinen Freundinnen Grimm-Märchen erzählten,
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    erzählte mein Vater mir Geschichten von sehr diskreten Helden.
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    Solchen mit unerschütterlichen Utopien,
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    die Wunder vollbringen konnten.
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    Und diese Helden brauchten keine Armee hinter sich,
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    übrigens wäre ihnen sowieso niemand gefolgt
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    ausser einer Handvoll Männer und Frauen voller Überzeugung und Mut.
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    Und später habe ich verstanden,
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    dass es seine eigene Geschichte war, die mein Vater mir zum Einschlafen erzählte.
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    Ich habe ihn gefragt, angesichts der Opfer, die er gebracht hatte,
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    ob er das jemals bereut habe.
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    Er sagte mir nein,
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    er sagte mir, dass er in jedem Fall ausserstande gewesen wäre,
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    diese Ungerechtigkeiten zu sehen oder zu erdulden, ohne etwas dagegen zu tun.
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    Und dass er überzeugt gewesen wäre und bliebe,
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    dass eine andere Welt möglich sei,
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    eine Welt, in der niemand mehr einen Fälscher bräuchte.
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    Er träumt immer noch davon.
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    Mein Vater
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    ist heute hier im Saal.
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    Er heisst Adolfo Kaminsky und ich bitte ihn, aufzustehen.
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    (Applaus)
  • 13:31 - 13:34
    Danke.
Title:
Sarah Kaminsky: Mein Vater, dieser Fälscher
Speaker:
Sarah Kaminsky
Description:

Sarah Kaminsky erzählt die aussergewöhnliche Geschichte ihres Vaters Adolfo und dessen Heldentaten während des Zweiten Weltkriegs, indem er seine Genialität und sein Talent einsetze, um mit seinen Fälschungen Leben zu retten.

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Video Language:
French
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
13:40
Karin Friedli added a translation

German subtitles

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