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Kathryn Schulz: Über das Irren

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    Es ist also 1995,
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    ich bin an der Universität
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    und eine Freundin und ich starten einen Roadtrip
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    von Providence, Rhode Island,
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    nach Portland, Oregon.
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    Und wissen Sie, wir sind jung und arbeitslos,
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    deswegen fahren wir die ganze Strecke über Nebenstraßen,
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    durch Naturschutzgebiete
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    und Nationalparks –
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    im Grunde genommen die längste mögliche Route, die man überhaupt nehmen kann.
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    Und irgendwo in der Mitte von South Dakota
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    wende ich mich zu meiner Freundin
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    und stelle ihr eine Frage,
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    die mich schon
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    2.000 Meilen lang beschäftigt hat.
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    „Was soll das chinesische Schriftzeichen bedeuten, das ich andauernd am Straßenrand sehe?“
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    Meine Freundin sieht mich vollkommen verständnislos an.
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    Da ist übrigens ein Herr in der ersten Reihe,
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    der ihren Gesichtsausdruck perfekt imitiert.
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    (Lachen)
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    Und ich so: „Du weißt schon,
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    all die Schilder, die wir andauernd sehen,
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    mit dem chinesischen Schriftzeichen drauf.“
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    Sie starrt mich ein paar Sekunden lang bloß an
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    und dann bricht es aus ihr heraus,
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    weil sie kapiert hat, wovon ich spreche.
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    Und was ich meinte, ist Folgendes.
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    (Lachen)
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    Richtig, das berühmte chinesische Schriftzeichen für Rastplatz.
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    (Lachen)
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    Ich habe die letzten fünf Jahre meines Lebens damit verbracht,
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    über Situationen nachzudenken,
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    genau wie diese –
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    warum wir manchmal die Zeichen
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    um uns herum missverstehen,
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    und wie wir uns verhalten, wenn es passiert
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    und was all das uns über die menschliche Natur verraten kann.
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    Mit anderen Worten, so wie es Chris gesagt hat,
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    ich habe die fünf Jahre damit verbracht,
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    über das Irren nachzudenken.
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    Dies mag Ihnen als Karrierewahl merkwürdig erscheinen,
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    aber es hat in der Tat einen großen Vorteil:
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    keine Konkurrenz.
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    (Lachen)
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    Tatsächlich tun die meisten von uns alles Mögliche,
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    um zu vermeiden, über das Irren nachzudenken,
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    oder wenigstens um zu vermeiden, über die Möglichkeit nachzudenken,
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    dass wir selbst uns irren.
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    Wir verstehen das auf einer abstrakten Ebene.
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    Wir alle wissen, dass jeder in diesem Raum Fehler macht.
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    Die menschliche Spezies ist grundsätzlich fehlbar – so weit, so gut.
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    Aber wenn es speziell um mich geht,
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    um alles, woran ich glaube,
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    hier in der Gegenwart,
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    ist plötzlich all diese abstrakte Anerkennung der Fehlbarkeit
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    für die Katz –
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    und mir fällt einfach nichts ein, bei dem ich mich irren könnte.
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    Und die Sache ist die, wir leben in der Gegenwart.
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    Wir gehen zu Besprechungen in der Gegenwart;
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    wir machen Familienurlaub in der Gegenwart;
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    wir gehen zur Wahl und geben unsere Stimme ab in der Gegenwart.
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    Alles in allem ist es so, dass wir durchs Leben gehen,
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    gefangen in dieser kleinen Blase
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    der Gewissheit, bei allem recht zu haben.
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    Ich denke, das ist ein Problem.
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    Ich denke, das ist ein Problem für jeden von uns als Individuum,
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    in unserem Privat- und Berufsleben,
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    und ich denke, das ist ein kollektives Problem für uns alle als Kultur.
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    Was ich heute also tun möchte,
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    ist zu allererst, darüber zu sprechen, warum wir
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    in dem Gefühl gefangen sind, recht zu haben.
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    Und zweitens, warum das so ein Problem ist.
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    Und schließlich möchte ich Sie überzeugen,
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    dass es möglich ist
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    dieses Gefühl hinter sich zu lassen,
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    und dass dies, wenn Sie es können,
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    der größte moralische, intellektuelle und
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    kreative Sprung ist, den Sie machen können.
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    Warum also sind wir in dem Gefühl gefangen,
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    recht zu haben?
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    Ein Grund hat tatsächlich etwas mit dem Gefühl zu tun, sich zu irren.
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    Nun, lassen Sie mich etwas fragen –
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    oder lassen Sie mich die Frage an Sie richten, weil Sie direkt hier sitzen:
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    Wie fühlt es sich an – emotional gesehen –
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    wie fühlt es sich an, sich zu irren?
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    Fürchterlich. Daumen runter.
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    Peinlich. Okay, wunderbar, gut.
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    Fürchterlich, Daumen runter, peinlich –
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    danke, das sind großartige Antworten,
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    aber es sind Antworten auf eine andere Frage.
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    Sie beantworten die Frage:
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    Wie fühlt es sich an, festzustellen, dass man sich irrt?
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    (Lachen)
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    Festzustellen, dass man sich irrt, kann sich genau so und noch ganz anders anfühlen, richtig?
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    Ich meine, es kann verheerend sein, es kann aufschlussreich sein,
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    es kann tatsächlich sehr lustig sein,
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    wie mein dummer Irrtum mit dem chinesischen Schriftzeichen.
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    Aber sich bloß zu irren,
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    fühlt sich nach gar nichts an.
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    Ich zeige Ihnen eine Analogie.
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    Erinnern Sie sich an den Cartoon „Loony Tunes“,
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    mit diesem Mitleid erregenden Kojoten,
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    der immer den Rennkuckuck jagt und ihn niemals fängt?
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    In so ziemlich jeder Folge von diesem Cartoon
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    gibt es den Moment, in dem der Kojote den Rennkuckuck jagt
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    und der Rennkuckuck über eine Klippe rennt,
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    was okay ist, denn er ist ein Vogel, er kann fliegen.
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    Doch die Sache ist, der Kojote rennt gleich nach ihm über die Klippe.
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    Und was daran lustig ist –
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    zumindest wenn man sechs Jahre alt ist –
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    ist, dass das für den Kojoten auch völlig in Ordnung ist.
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    Er rennt einfach weiter –
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    genau bis zu dem Moment, in dem er nach unten schaut
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    und realisiert, dass er in der Luft schwebt.
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    Das ist der Moment, in dem er fällt.
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    Wenn wir uns bei etwas irren –
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    nicht dann, wenn wir es realisieren, sondern davor –
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    sind wir wie der Kojote,
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    nachdem er über die Klippe gerannt ist und bevor er herunterschaut.
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    Wissen Sie, wir irren uns schon,
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    wir stecken bereits in Schwierigkeiten,
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    aber wir denken, wir befinden uns auf festem Boden.
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    Ich sollte also etwas korrigieren, was ich gerade eben gesagt habe.
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    Es fühlt sich an wie etwas, wenn wir uns irren;
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    es fühlt sich an, als ob wir recht hätten.
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    (Lachen)
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    Dies ist also ein Grund, ein struktureller Grund,
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    warum wir in dem Gefühl, recht zu haben, gefangen sind.
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    Ich nenne dies Fehlerblindheit.
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    Die meiste Zeit
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    verfügen wir nicht über einen internen Fingerzeig,
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    der uns darauf hinweist, dass wir uns bei einer Sache irren,
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    bis es zu spät ist.
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    Aber es gibt noch einen zweiten Grund, warum wir in diesem Gefühl gefangen sind –
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    und dieser ist kulturell.
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    Denken Sie kurz an die Grundschule zurück.
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    Sie sitzen dort in der Klasse,
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    und Ihre Lehrerin gibt Testbögen zurück
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    und einer davon sieht aus wie dieser.
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    Das ist übrigens nicht meiner.
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    (Lachen)
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    Sie sind also in der Grundschule,
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    und Sie wissen genau, was sie von
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    dem Kind halten sollen, das diesen Bogen bekommt.
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    Das ist das dumme Kind, das Ärger macht,
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    eines, das nie seine Hausaufgaben macht.
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    Und wenn Sie neun Jahre alt sind,
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    haben Sie erstens schon gelernt,
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    dass Menschen, die Sachen falsch machen,
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    faule, verantwortungslose Dummköpfe sind –
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    und zweitens,
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    dass man im Leben erfolgreich ist,
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    wenn man keine Fehler macht.
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    Wir lernen diese wirklich schlechte Lektion wirklich gut.
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    Und viele von uns –
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    und ich vermute, besonders viele von uns in diesem Raum –
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    reagieren darauf, indem sie einfach
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    kleine perfekte Einser-Schüler werden,
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    Perfektionisten, Overachiever.
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    Nicht wahr,
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    Mr. CFO, Astrophysiker, Ultra-Marathonläufer?
  • 7:25 - 7:32
    (Lachen)
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    Scheinbar sind Sie alle CFOs, Astrophysiker, Ultra-Marathonläufer.
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    Das ist okay.
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    Außer, dass wir dann ausflippen
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    bei der Möglichkeit, uns bei etwas geirrt zu haben.
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    Denn gemäß dem hier
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    bedeutet, wenn man etwas falsch macht,
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    dass etwas mit uns falsch ist.
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    Wir bestehen also darauf, dass wir recht haben,
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    weil es uns das Gefühl gibt, smart und verantwortlich
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    und talentiert und auf der sicheren Seite zu sein.
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    Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen.
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    Vor ein paar Jahren
  • 8:03 - 8:06
    kam eine Frau für eine Operation ins Beth Israel Deaconess-Krankenhaus.
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    Beth Israel ist in Boston,
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    Es ist die Universitätsklinik von Harvard –
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    eines der besten Krankenhäuser des Landes.
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    Die Frau kommt also an und wird in den OP gebracht.
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    Sie wird narkotisiert und der Chirurg macht seine Sache –
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    näht sie wieder zu, schickt sie in den Aufwachraum.
  • 8:20 - 8:23
    Alles scheint gut gelaufen zu sein.
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    Und sie wacht auf und sie schaut an sich herunter
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    und sie sagt: „Warum ist die falsche Seite meines Körper verbunden?“
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    Nun, die falsche Seite ihres Körpers ist verbunden,
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    weil der Chirurg eine große Operation
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    an ihrem linken, anstatt an ihrem rechten Bein durchgeführt hat.
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    Als der Vize-Direktor für die Qualität der Gesundheitspflege im Beth Israel
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    über diesen Vorfall sprach,
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    sagte er etwas sehr Interessantes.
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    Er sagte: „Warum auch immer,
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    der Chirurg dachte einfach,
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    auf der richtigen Seite der Patientin zu sein.“
  • 8:55 - 8:58
    (Lachen)
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    Der Punkt hier ist,
  • 9:02 - 9:05
    dass zu viel Vertrauen auf das Gefühl,
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    auf der richtigen Seite von irgendetwas zu sein,
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    sehr gefährlich sein kann.
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    Dieses innere Gefühl der Richtigkeit,
  • 9:14 - 9:16
    das wir alle so oft erleben,
  • 9:16 - 9:18
    ist keine verlässliche Referenz,
  • 9:18 - 9:21
    für das, was tatsächlich in der externen Welt vor sich geht.
  • 9:21 - 9:23
    Und wenn wir so tun, als ob es das wäre
  • 9:23 - 9:27
    und aufhören, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass wir uns irren könnten,
  • 9:27 - 9:29
    nun, dann endet es damit, dass wir Dinge tun,
  • 9:29 - 9:33
    wie 200 Millionen Gallonen Öl im Golf von Mexiko zu versenken,
  • 9:33 - 9:36
    oder die Weltwirtschaft zu torpedieren.
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    Dies ist also ein großes praktisches Problem.
  • 9:40 - 9:43
    Es ist aber auch ein großes soziales Problem.
  • 9:43 - 9:47
    Denken Sie für einen Moment daran, wie es ist, sich im Recht zu fühlen.
  • 9:47 - 9:49
    Es bedeutet, dass Sie denken, dass Ihre Überzeugungen
  • 9:49 - 9:52
    einfach perfekt die Realität widerspiegeln.
  • 9:52 - 9:54
    Und wenn Sie so fühlen,
  • 9:54 - 9:56
    stehen Sie vor einem großen Problem,
  • 9:56 - 9:58
    das da wäre: Wie können Sie sich all die Leute erklären,
  • 9:58 - 10:01
    die nicht Ihrer Meinung sind?
  • 10:01 - 10:04
    Es ist so, die meisten von uns erklären sich diese Leute auf die gleiche Weise,
  • 10:04 - 10:07
    indem sie auf eine Reihe von unglücklichen Annahmen zurückgreifen.
  • 10:08 - 10:11
    Das erste, was wir machen, wenn man uns nicht zustimmt,
  • 10:11 - 10:14
    ist anzunehmen, dass diejenigen ignorant sind.
  • 10:14 - 10:16
    Sie haben keinen Zugriff auf dieselben Informationen wie wir
  • 10:16 - 10:19
    und wenn wir diese Informationen großzügig mit ihnen teilen,
  • 10:19 - 10:22
    werden sie das Licht am Ende des Tunnels erblicken und auf unsere Seite wechseln.
  • 10:22 - 10:25
    Wenn das nicht funktioniert,
  • 10:25 - 10:27
    wenn sich herausstellt, die Leute haben die gleichen Fakten wie wir
  • 10:27 - 10:29
    und sie stimmen uns immer noch nicht zu,
  • 10:29 - 10:31
    dann gehen wir über zu einer zweiten Annahme,
  • 10:31 - 10:33
    die lautet, dass sie Idioten sind.
  • 10:33 - 10:35
    (Lachen)
  • 10:35 - 10:37
    Sie haben alle passenden Puzzlestücke
  • 10:37 - 10:40
    und sie sind geistig nicht dazu in der Lage, sie korrekt zusammenzusetzen.
  • 10:40 - 10:42
    Und wenn das nicht funktioniert,
  • 10:42 - 10:45
    wenn sich herausstellt, dass Leute, die uns nicht zustimmen,
  • 10:45 - 10:47
    die gleichen Fakten haben wie wir
  • 10:47 - 10:50
    und auch noch ziemlich klug sind,
  • 10:50 - 10:53
    dann gehen wir über zu einer dritten Annahme:
  • 10:53 - 10:56
    Sie kennen die Wahrheit
  • 10:56 - 10:58
    und sie verzerren sie absichtlich
  • 10:58 - 11:01
    für ihre eigenen bösartigen Absichten.
  • 11:02 - 11:04
    Das ist eine Katastrophe.
  • 11:04 - 11:07
    Diese Treue zu unserer eigenen Richtigkeit
  • 11:07 - 11:09
    hält uns davon ab, Fehler zu vermeiden,
  • 11:09 - 11:11
    wenn es wirklich notwendig ist
  • 11:11 - 11:14
    und bringt uns dazu, einander schrecklich zu behandeln.
  • 11:15 - 11:17
    Was aber für mich das Erstaunlichste
  • 11:17 - 11:20
    und Tragischste daran ist,
  • 11:20 - 11:24
    ist, dass es den Kern des Menschseins nicht gerecht wird.
  • 11:24 - 11:26
    Es ist, als ob wir uns vorstellen wollen,
  • 11:26 - 11:29
    dass unser Geist ein absolut durchsichtiges Fenster ist
  • 11:29 - 11:31
    und wir einfach hindurch nach draußen sehen
  • 11:31 - 11:34
    und die Welt beschreiben, wie sie sich vor uns entfaltet.
  • 11:34 - 11:36
    Und wir wollen, dass alle anderen auch durch dieses gleiche Fenster schauen
  • 11:36 - 11:38
    und exakt die gleiche Sache sehen.
  • 11:38 - 11:40
    Dem ist aber nicht so
  • 11:40 - 11:43
    und wenn es so wäre, dann wäre das Leben unglaublich langweilig.
  • 11:43 - 11:46
    Das Wunder Ihres Geists
  • 11:46 - 11:49
    ist nicht, dass Sie die Welt sehen können, wie sie ist.
  • 11:50 - 11:53
    Es ist, dass Sie die Welt sehen können, wie sie nicht ist.
  • 11:54 - 11:56
    Wir können uns an die Vergangenheit erinnern
  • 11:56 - 11:59
    und wir können über die Zukunft nachdenken
  • 11:59 - 12:01
    und wir können uns vorstellen, wie es ist,
  • 12:01 - 12:04
    eine andere Person an einem anderen Ort zu sein.
  • 12:04 - 12:06
    Und wir alle machen das ein wenig anders
  • 12:06 - 12:08
    und deswegen können wir alle in den gleichen Nachthimmel schauen
  • 12:08 - 12:10
    und dies sehen
  • 12:10 - 12:12
    und auch das
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    und auch dieses hier.
  • 12:15 - 12:18
    Und ja, das ist auch der Grund, warum wir Dinge falsch verstehen.
  • 12:19 - 12:21
    1.200 Jahre bevor Descartes seine berühmte Sache sagte
  • 12:21 - 12:23
    von wegen, „Ich denke, also bin ich“,
  • 12:23 - 12:25
    setzte sich dieser Mann namens St. Augustinus hin
  • 12:25 - 12:28
    und schrieb, „Fallor ergo sum“ –
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    „Ich irre, also bin ich.“
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    Augustinus verstand,
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    dass unsere Fähigkeit, Dinge zu vergeigen,
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    keine Art von peinlichem Defekt ist
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    im menschlichen System,
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    etwas, das wir ausrotten oder überwinden können.
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    Es ist ein absolut fundamentaler Teil unseres Selbst.
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    Denn anders als Gott
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    haben wir nicht wirklich eine Ahnung von dem, was hier abläuft.
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    Und anders als alle anderen Tiere
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    sind wir davon besessen, zu versuchen, es herauszufinden.
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    Für mich ist diese Besessenheit
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    die Quelle und Wurzel
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    von all unserer Produktivität und Kreativität.
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    Aus verschiedenen Gründen hörte ich letztes Jahr
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    viele Folgen
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    der öffentlichen Radio-Sendung „This American Life“ an.
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    Und ich höre also und höre
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    und an einem Punkt bekomme ich das Gefühl,
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    irgendwie handeln alle Geschichten davon, dass man falsch liegt.
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    Und mein erster Gedanke war,
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    „Das wars.
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    Ich bin die verrückte Irrtums-Lady geworden.
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    Ich sehe es einfach überall.“,
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    was auch so passiert ist.
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    Aber ein paar Monate später
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    hatte ich die Möglichkeit, Ira Glass, den Moderator der Sendung, zu interviewen.
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    Und ich erwähnte dies ihm gegenüber
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    und er antwortete: „Nein, das ist wirklich wahr.
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    Tatsächlich“, sagte er,
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    „witzelt das Team darüber,
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    dass jede einzelne Folge unserer Sendung
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    das gleiche Geheimthema hat.
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    Und das Geheimthema lautet:
  • 13:52 - 13:55
    'Ich dachte, diese eine Sache würde passieren
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    und dann ist etwas anderes stattdessen passiert.'
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    Und die Tatsache ist“, sagt Ira Glass, „wir brauchen das.
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    Wir brauchen diese Momente
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    der Überraschung und Umkehr und des Irrtums,
  • 14:05 - 14:07
    um diese Geschichten erzählen zu können.“
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    Und die Übrigen unter uns, Anwesende,
  • 14:09 - 14:12
    als Zuhörer, als Leser,
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    wir saugen dieses Zeug auf.
  • 14:14 - 14:17
    Wir lieben Sachen wie verdrehte Handlungen
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    und falsche Fährten und ein überraschendes Ende.
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    Wenn es um unsere Geschichten geht,
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    lieben wir es, uns zu irren.
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    Aber, wissen Sie, unsere Geschichten sind so,
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    weil unser Leben so ist.
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    Wir denken, diese eine Sache wird passieren
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    und irgendetwas anderes passiert statt dessen.
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    George Bush dachte, er würde in den Irak einmarschieren,
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    einen Haufen Massenvernichtungswaffen finden,
  • 14:41 - 14:44
    das Volk befreien und Demokratie in den Mittleren Osten bringen.
  • 14:45 - 14:47
    Und etwas anderes ist statt dessen passiert.
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    Und Hosni Mubarak
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    dachte, er würde für den Rest seines Lebens Diktator in Ägypten sein,
  • 14:52 - 14:54
    bis er zu alt oder zu krank wäre
  • 14:54 - 14:57
    und seine Herrschaft an seinen Sohn weitergeben könnte.
  • 14:57 - 15:00
    Und etwas anderes ist statt dessen passiert.
  • 15:01 - 15:03
    Und vielleicht haben Sie gedacht,
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    Sie würden aufwachsen und ihre erste Liebe aus der Schulzeit heiraten
  • 15:05 - 15:08
    und in Ihre Heimatstadt zurückziehen und zusammen eine paar Kinder großziehen.
  • 15:09 - 15:12
    Und etwas anderes ist statt dessen passiert.
  • 15:12 - 15:14
    Und ich muss Ihnen erzählen,
  • 15:14 - 15:16
    dass ich dachte, ich schreibe dieses unglaublich nerdige Buch
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    über ein Thema, dass alle hassen,
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    für ein Publikum, das es niemals geben würde.
  • 15:21 - 15:23
    Und etwas anderes ist statt dessen passiert.
  • 15:23 - 15:25
    (Lachen)
  • 15:25 - 15:27
    Ich meine, so ist das Leben.
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    Im Guten wie im Schlechten,
  • 15:29 - 15:32
    wir produzieren diese unglaublichen Geschichten
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    über die Welt um uns herum,
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    und dann dreht sich die Welt um und überrascht uns.
  • 15:40 - 15:43
    Nichts für ungut, aber diese gesamte Konferenz
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    ist ein unglaubliches Denkmal
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    unserer Fähigkeit, Sachen falsch zu machen.
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    Wir haben gerade eben eine ganze Woche damit verbracht,
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    über Erfindungen und Fortschritte
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    und Verbesserungen zu sprechen,
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    aber wissen Sie, warum wir all diese Erfindungen
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    und Fortschritte und Verbesserungen benötigen?
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    Weil die Hälfte von dem,
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    was am verblüffendsten und revolutionärsten ist –
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    TED 1998 –
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    nicht wahr.
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    (Lachen)
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    Hat irgendwie nicht geklappt, oder?
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    (Lachen)
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    Wo ist mein Jetpack, Chris?
  • 16:18 - 16:22
    (Lachen)
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    (Applaus)
  • 16:27 - 16:30
    Nun sind wir also wieder hier.
  • 16:30 - 16:32
    Und so läuft der Hase.
  • 16:32 - 16:34
    Wir entwickeln eine andere Idee.
  • 16:34 - 16:37
    Wir erzählen eine andere Geschichte.
  • 16:37 - 16:40
    Wir veranstalten eine andere Konferenz.
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    Das Thema von dieser,
  • 16:42 - 16:44
    wie Sie alle mittlerweile sieben Millionen Mal gehört haben,
  • 16:44 - 16:46
    ist die Wiederentdeckung der Verwunderung.
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    Und für mich heißt das,
  • 16:48 - 16:51
    wenn Sie wirklich die Verwunderung wiederentdecken wollen,
  • 16:51 - 16:53
    müssen Sie heraustreten
  • 16:53 - 16:59
    aus Ihrem kleinen, in Angst erstarrten Raum der Richtigkeit
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    und sich gegenseitig anschauen
  • 17:02 - 17:05
    und in die Weite
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    und Komplexität und in das Rätsel
  • 17:08 - 17:11
    des Universums hinausblicken
  • 17:11 - 17:14
    und in der Lage sein, zu sagen,
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    „Wow, ich habe keine Ahnung.
  • 17:18 - 17:20
    Vielleicht irre ich mich."
  • 17:20 - 17:22
    Vielen Dank.
  • 17:22 - 17:25
    (Applaus)
  • 17:25 - 17:27
    Vielen Dank, Leute.
  • 17:27 - 17:30
    (Applaus)
Title:
Kathryn Schulz: Über das Irren
Speaker:
Kathryn Schulz
Description:

Die meisten von uns werden alles dafür tun, um zu vermeiden, dass sie sich irren. Aber was ist daran so schlimm? „Irrologin" Kathryn Schulz liefert verblüffende Argumente dafür, dass wir uns unsere Fehlbarkeit nicht nur eingestehen, sondern sie auch annehmen sollten.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
17:31
Sandra Holtermann added a translation

German subtitles

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