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33c3 Vorspannmusik
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Herald: Also wir sind hier für den Talk
„Von Kaffeeriechern, Abtrittfahrern
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und Fischbeinabreißern“ mit
Michaela Vieser.
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Michaela: Fast, haha
Abtrittanbieter und Fischbeinreißer.
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Herald: Abtrittanbieter (leise: verdammt)
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Berufe aus vergangenen Zeiten. Michaela
ist Autorin, Bloggerin und Radiomensch.
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Hat da schon beim Deutschlandradio Features
gehalten, hat ne sehr interessante Geschichte:
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War im japanischen Kloster, hat da
ganz viele tolle Sachen gemacht.
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Und ich würde sagen erstmal ne Runde
Applaus für sie und wir fangen dann
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direkt danach an.
Applaus
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So, hab sie vorgestellt, jetzt überlass ich
dir das Bild, äh das Feld.
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M: Ich erzähl mal ganz kurz so ein bisschen
zu mir weil mein Lebenslauf son bisschen,
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sag mal, schräg ist. Ich hab meinen
Highschool Abschluss in Amerika gemacht,
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damals in Science Fiction,
hab mit … — Applaus
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und hab dann in London Japanologie und
asiatische Kunstgeschichte studiert,
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und fand das dann so spannend – ich dachte
wenn man westliche Kunstgeschichte macht
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dann muss man das Christentum verstehen,
weil das ja immer wieder vorkommt.
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Und deshalb dachte ich in der japanischen
Kunstgeschichte kommt dieser Buddhismus
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immer vor, also wenn ich diese Kunst verstehen
will, muss ich auch diesen Buddhismus verstehen
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und hab dann damals ein Kloster gefunden
das mich aufgenommen hat für ein Jahr,
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wo ich dann Schwertkampf, und Kalligrafie,
und Blumenstecken und Teezeremonie,
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und all die Dinge gelernt habe ein Jahr lang.
Blieb dann länger in Japan, hab dort über
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die Bergasketen geforscht. Hatte ein
Stipendium an der Uni. Hab dann gearbeitet
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für, damals kam Broadband gerade auf. Hab
da neue Inhalte entwickelt, hatte ’n Team
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das in LA, Tokio, London gearbeitet hat
und dann kam radikaler Bruch. Dann hab ich
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gesagt „OK jetzt reichts mit Japan, ich
muss zurück nach Deutschland“ und bin dann
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mit nem VW Bus 6 Monate durchs Land
gefahren, um Orte zu suchen, die keiner
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kennt. Und hab dann darüber …
Und damit fing dann quasi meine
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Karriere als Schriftstellerin an. Und ich
erzähl das jetzt einfach, weil in meiner
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Arbeit geht’s mir immer darum, Dinge echt
zu erleben oder echte Dokumente zu haben.
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Diese Recherche ist mir ganz ganz wichtig
in allem. Und ich fang jetzt mal an hier,
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mit … hier das ist mir jetzt gerade
aufgefallen, als ich oben wartete, bis die
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anderen fertig sind. Es geht ja
hier heute um Arbeitswelten.
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Das ist hier, fand ich ganz lustig, hier
ist der Panik-Knopf, also falls hier Panik
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ausbricht, kann man hier draufdrücken.
Dann geht die Beleuchtung an, oben gibt’s
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noch ’ne Pausenklingel, noch ’n schönes
altes Telefon, das sind so Artefakte die
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wird’s bald nicht mehr geben. Und
darum geht's jetzt in meinem Talk.
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Es geht um die Poetics of
Work, von Kaffeeriechern,
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Abtrittanbietern und
Fischbeinreißern.
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Und zwar ist das der Titel von einem Buch,
das habe ich zusammen mit der wunderbaren
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Illustratorin Irmela Schautz gemacht,
wo wir Berufe gesucht haben, wo man
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selbst am Namen heute nicht mehr
erkennen kann, was es für Berufe sind.
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Also Kaffeeriecher, dazu komm ich später
noch. Aber es hat nichts mit Barista zu tun.
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Fischbeinreißer, ja Fische haben ja keine
Beine, was ist das also. Und ich hab dann
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danach noch 2 andere Bücher gemacht
über das Thema Arbeit. Eins mit dem
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Preußischem Kulturbesitz, oder beide mit
dem Preußischem Kulturbesitz und zwar
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haben die mich in ihre Archive gelassen
und dort ihre alten Fotografien rausholen
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lassen. Und die hatten dann – zum Teil waren
diese Fotografien in Berlin Charlottenburg
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in ner alten Offizierskegelbahn im Keller,
also das waren ganz ungewöhnliche Orte.
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Aussterbende Arbeit, der Anthropologe David
Graeber hat schon von den Bullshit Jobs
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gesprochen, ich hab jetzt im
Guardian 'ne Liste gefunden,
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von Jobs die bald aussterben werden. Die
haben ’ne Reihe von 704 Jobs aufgelistet,
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ich als „Autorin“ bin auf Platz 123, also
relativ sicher. Am sichersten ist der
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„recreational Therapist“, das ist jemand
der sich mit Leuten beschäftigt,
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die zurück ins Leben holt, durch Basteln
und so. Und ganz schlimm ist
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„Data Entry Keyers“, „Library technicians“,
„New Accounts Clerks“, das sind also
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alles Jobs die bald verschwinden werden.
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Aber ich geh jetzt mal zurück hier,
zum alten Handwerk. Das ist ein Bild aus
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’nem Buch von 1880, wo verschiedene
Handwerksberufe aufgelistet wurden.
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Und der Verleger damals, Winkelmann
und Söhne, hat dieses Buch gleich auf
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Französisch und Englisch und Deutsch
rausgebracht. Und das ist jetzt die
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Klempnerei, und ich wollt so’n bisschen
auf die Arbeitsatmosphäre eingehen.
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Also die sitzen da allen zusammen in diesem
Raum, da ist ’n Vogelkäfig, der singt dann
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den kann man dann füttern, und über den
Vogel reden. Die Frau kommt rein, hat
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so’n Sieb in der Hand, der noch bearbeitet
werden muss. Tee wird gekocht. Da ist ein
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ganz junger Lehrling, der alte Meister;
ist eigentlich ganz heimelig. Und zwar ist
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das von 1880. Und das ist auf Französisch
und Englisch, weil des damals eben auch in
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England und Frankreich so’ne
Klempnerwerkstatt ganz genauso aussah.
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Das ist jetzt noch mal 100 Jahre zurück,
wieder ’ne Klempnerwerkstatt, ist eigentlich
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genau das gleiche. Die sitzen auch
zusammen. Auch die Frau ist wieder
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mit im Raum. Männer verschiedenen
Alters, der Ofen und so weiter.
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Und dann geh ich jetzt vor, 1925, auch
damals noch ’ne Klempnerwerkstatt.
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Fotografiert von einem Kraus. Über den
ist nichts mehr bekannt, weil zu dem
-
Zeitpunkt waren auch Fotografen noch
Handwerker. Man sieht, es ist auch wieder
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die Frau mit dabei, der Ofen, aber ich
brauch das wohl kaum mit dazu zu sagen,
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dass es heute ganz anders aussieht in der
Klempnerwerkstatt, und eigentlich wie mit
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fast allen Berufen, also das geht mir so,
mit allen meinen Freunden, ob die jetzt
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Musik machen, ob die schreiben, ob die
programmieren, das ist eigentlich
-
alles immer nur auf diesem Computer,
und diese ganzen Atmosphären fehlen.
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In diesem Buch geht's dann um … das sind
alles Fotografien bis ’45, weil dann nach
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dem Krieg gab’s ’nen großen Bruch,
da ist das alles verschwunden,
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die Industrialisierung hat dann ganz stark
angefangen. Das ist jetzt spannend
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dieses Bild, weil das von dem Willy Römer
ist, und der war selbst aus ner Handwerker-
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familie in Berlin in der Torstraße ist er
bei Schneidern aufgewachsen. Seine
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Eltern waren Schneider, und der hatte
halt dieses Know-How, wie er mit diesen
-
anderen Handwerkern sprechen muss.
Wie er da rein kommt, ob er da ne Stulle
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mitbringt, er hatte auch das Vokabular,
und ist einfach reingelassen. Aber Hand-
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werk ist ja auch noch, das ist dann die
Abisag Tüllmann, ’36 ist die geboren,
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hat erst ne Tischlereilehre gemacht und
ist dann zur Fotografie erst gekommen.
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Die hat andere Berufe fotografiert, die
eben auch noch so ganz handwerklich
-
waren. Und das ist das Zählen in der Bank
von Geldscheinen. Das ist wieder ’n Bild
-
von dem Willy Römer, wo man auch sieht,
wie wichtig es ist, ’nen Lehrling zu haben,
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weil der dann da reinpasst in diese Turm-
uhr zum reparieren. Das hat auch ’nen Sinn
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Und der Willy Römer ist dann auch gerne
raus gegangen und hat die Handwerker
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dann nicht im Kämmerchen fotografiert,
sondern ist raus in die Stadt, ist auf
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die Dächer von Berlin gegangen und hat die
Schornsteinfeger fotografiert,
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was die gemacht haben. Und ich möchte
jetzt noch ein Bild zeigen von einem
-
Zeitgenossen von ihm, das ist der Seiden-
stücker, das war der Flaneur der Fotografen
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damals. Also ich geh nochmal zurück. Also
Willy Römer hat so die während der Arbeit
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gemacht, und der Seidenstücker hat dann
schon angefangen, das ästhetisch wahrzu-
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nehmen, das Schwarz-Weiß und diese Formen
und Schatten. Man sieht es hier noch mal:
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oben das Bild von Willy Römer ist einer der
diese Pantinen macht und hier beim Seiden-
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stücker da haben sie die dann tatsächlich
an die Arbeiter. Ja, ich find, die erzählen
-
wahnsinnig viel diese Bilder, und auch das
ist Handarbeit, Handwerk, dieser Kabelsalat,
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den man sich niemandem wünscht. Ja und
da geht also damals als ich das Buch
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gemacht hab der Gedanke zurück:
Was ist denn Handwerk? Bei den alten
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Griechen war es so, Homer hat geschrieben:
„Muse mit heller Stimme! Hephaistos“,
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das war ja der Schmied, „den ruhmvollen
Denker preise im Lied! Mit Athene der
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eulenäugigen Göttin, lehrte er herrliche
Werke die Menschen auf Erden, die früher
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hausten wie Tiere in Höhlen der Berge.
doch jetzt in der Lehre jenes ruhmreichen
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Künstlers Hephaistos lernten sie schaffen,
bringen sie leicht ihre Zeit dahin bis zum
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Ende des Jahres, leben in Ruhe und Frieden
in ihren eigenen Häusern.“
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Also es geht darum, dass der Handwerker
verantwortlich war, die Menschen aus den
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Höhlen herauszuholen und die Zivilisation
zu schaffen, alles was wir heute um uns
-
herum haben ist von jemandem
erdacht, erschaffen worden.
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Das war also die große Leistung. Homer
sagt deshalb auch, dass der Handwerker
-
hat die genannt Demioergos, öffentlich und
produktiv, und das waren alle, die nicht
-
Sklaven waren oder adelig, alles
dazwischen. Chirurgen, Arbeiter, …
-
das waren alles Handwerker. Die eben
unsere Zivilisation erschaffen haben.
-
Und jetzt kommt eben der David Graeber,
den ihr vielleicht kennt aus der
-
Occupy Bewegung. Der sagt: So wir sind
jetzt in nem Zeitalter angekommen wo es
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wahnsinnig viele Bullshit Jobs gibt. Also
Jobs—administrativ, bürokrativ, aber auch
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prekäre wie Pizzaservice, Putzdienst, usw.
Jobs die keiner machen möchte. Und da
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möchte ich jetzt ein bisschen Jobs zeigen,
die es früher gab, die Bullshit Jobs waren.
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Und jetzt also wirklich im wahrsten
Sinne des Wortes der Abtrittanbieter.
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Da les ich mal ganz kurz vor, was Casanova
gesagt hat. Casanova berichtete:
-
Wir setzten unseren Spaziergang fort,
ohne ein Ziel zu haben und sprachen von
-
Literatur und allerlei Gebräuchen.
Plötzlich bemerkte ich in der Nähe von
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Buckinghamhaus zu meiner linken im Gebüsch
5 oder 6 Personen, die ein dringendes
-
Bedürfnis verrichteten und dabei den
Vorübergehenden den Hintern zukehrten.
-
Also wir hatten ’ne Situation in Europa,
16./17. bis 18. Jahrhundert, wo es keine
-
öffentlichen Toiletten gab. Also es gab
zu Zeiten … In Rom gab es 116,
-
ich habs mir aufgeschrieben,
144 Latrinen und 116 Pissstände, aber das
-
ist alles verloren gegangen. Gerade im
16. Jahrhundert ist man wirtschaftlich
-
beweglicher geworden, musste von Ort zu Ort
reisen, und da war natürlich auch dieses
-
Bedürfnis erledigen ’n starkes. Und so
taucht dann eben der Abtrittanbieter auf,
-
der ist dann auf Messen, der wär dann auch
hier im Kongresszentrum wahrscheinlich
-
rumgelaufen. Der hatte dann so’nen
Eimer dabei, und Ledermäntel
-
einzelnes kichern
und dann konnte man sich da drauf setzen
-
und seine Notdurft verrichten, weil
ansonsten hat man sich damals tatsächlich
-
ganz unmöglicher Dinge bedient.
Also ich hab dann, ich war in der
-
Raritätenbibliothek usw., also da sind
Leute, haben sich ne Kutsche anhalten
-
lassen, sind mit der einmal ums Carré
gefahren und dann wieder ausgestiegen
-
und fühlten sich besser.
leises Gelächter
-
Und erst im 19. Jahrhundert kamen dann
diese öffentlichen Toiletten wieder
-
auf in Europa. Kaffee Achteck hießen die
dann oder Madei Tempel und das waren
-
quasi, das waren gußeiserne Strukturen
so achteckig. Die man dann auch bewegen
-
konnte, weil das natürlich ne Belästigung
war für die Leute die an den Plätzen
-
wohnten wo diese Toiletten waren. Dann
wurden die also immer bewegt.
-
Als nächstes hab ich den Fullonen, der
Fullone ist jemand, der das Urin aufsammelt
-
und das Urin dann gärt, das wird dann zu
Ammoniak und wird dann ’n tolles Putz-
-
mittel. Die waren ganz wichtig im alten
Rom, denn im alten Rom sagte man: Jemand
-
ist lautus, ein Römer ist ein lautus, ein
guter Römer, wenn er, und lautus heißt gut
-
gewaschen, das heißt, diese weiße Toga war
ganz ganz wichtig. Gerade diese Senatoren
-
dass die diese weißen Togen trugen, und
diese weißen Togen gab’s eben nur aus dem
-
Grund, dass es diese Fullonen gab. Diese
Männer und Frauen die hatten dann
-
tatsächlich, hatte ich ja schon erwähnt,
in der ganzen Stadt verschiedene Latrinen,
-
die sie immer geleert haben, aber die
hatten auch Amphoren, die sie aufgestellt
-
hatten, auch beim Senat. Da haben sie dann
auch oben den Kopf abgebrochen, dass man
-
besser reinpinkeln konnte und haben die
dann eingesammelt. Und man sagte dann
-
zum Beispiel auch ein Senator sei:
„non valet lotium suum“, d.h. seines Urins
-
nicht würdig. Weil es war bekannt, dass
wenn man Wein getrunken hat, war das
-
Urin nicht so gut, wie wenn man anderes
getrunken hat. So, und es wurde dann,
-
es ist auch so ’ne Sache, die dann später…
also die Fullonen haben dann das gesammelt
-
und haben darin gewalkt und dadurch wurden
die weiß die Togen, die waren in Karthago
-
am Rande der Stadt, in Italien waren sie
eher in der Stadt, weil es dort nicht so
-
gestunken hat, weil die Temperaturen
anders waren. Das ging dann so weit, dass
-
man dann, Fullonen gabs dann auch zur Zeit
als Paris umgebaut wurde, und da hatte man
-
dann damals schon, hatte man für ganz
viel Geld Straßenkehrer eingesetzt die
-
die Straßen reinigen und hat denen dann
aber paar Jahre später wieder viel Geld
-
gegeben dass man die Fäkalien wieder
einsammeln konnte und daraus Ammoniak
-
gewinnen. Das ist immer so ’n Hin-und-Her.
Und man wusste auch, dass der Urin aus
-
armen Mietshäusern in Mailand zum Beispiel
viel besser war als der Urin aus den
-
reichen Gegenden, weil die ’ne
ganz andere Ernährung hatten.
-
Die waren dann stickstoffhaltiger.
-
Jetzt geht's weiter zum Kaffeeriecher. Da
muss man bisschen aufholen, Kaffee gab’s
-
ja nicht schon ewig. Kaffee kam auf, als
die Türken Wien belagert haben. Und nach
-
der Belagerung fand man halt diese ganzen
Säcke mit Kaffeebohen, und es dauerte dann
-
auch ’ne Weile, bis man wusste, wie man den
brauen muss diesen Kaffee und mit Sahne
-
und Zucker anrichten und dann wurden auch
die ersten Cafés eröffnet. Und man merkte:
-
Ah, der macht ’nen wachen Geist, das ist
toll. Und wurde sehr sehr schnell dann zum
-
Luxusgut. Das heißt der wurde mit 150%
seines Kaufpreises besteuert, das heißt
-
für eine Kanne Kaffee den Kaffee zu kochen
musste man mit Steuern soviel zahlen wie
-
eine Spinnerin an einem Tag verdient hat.
Und es ist halt immer so bei Waren, wissen
-
wir ja alle, die von allen gewollt werden,
die aber klein sind wie Kaffeebohnen
-
wenn die dann nicht geröstet sind sondern
noch grün, dann riechen die ja nicht, die
-
konnte man überall mit sich schmuggeln
und der Kaffeeschmuggel, gerade in Berlin
-
war unglaublich. Der wurde wirklich …, das
war …, der wurde …, also der kam einfach
-
rein in die Stadt. Der König wollte was
dagegen tun und hat dann gedacht: OK, dann
-
setz ich doch diese alten Kriegsveteranen
ein. Hat dann 400 Veteranen ausgebildet,
-
die zu jedem nach Hause gehen durften und
dort schnuppern konnten, ob die Leute
-
gerade Kaffee hatten und wenn sie keine
Besteuerungsurkunde hatten, konnten die
-
verhaften. Und das ist so’n bisschen, ich
meine wir werden ja heute auch überwacht
-
aber heute merkt man’s nicht, aber die
Typen, die waren so, die waren so schlimm.
-
Man muss dann sich vorstellen, das waren
dann halt Kriegsveteranen, die hatten, ja,
-
das waren halt rohe Kerle, und die kamen
halt dann einfach nach Hause und haben das
-
Haus umgekrempelt. Ich hab dann
mal noch ’n Zitat von ’ner Frau.
-
Zwischenrufer: Wurde schon vorher das
„Schnüffeln“ verwendet?
-
M: Ne, aber Schnüffeln ist sehr gut.
Das passt. Moment, so, hier.
-
Das hat also eine Frau dann geschrieben:
„Man stelle sich die Aufregung vor als ich
-
mit meinen Freundinnen bei Tische saß,
die Tür aufgerissen wurde, drei
-
uniformierte Männer in die Stube stürmten,
unsere Tassen inspizierten und die Küche
-
auf den Kopf stellten. Zu meinem Glück wurde
an diesem Nachmittag nur Tee serviert.“
-
Und die Kaffeeriecher waren so verhasst,
dass die nach 8 Jahren abgeschafft wurden.
-
Da ist wirklich das Volk auf die Barrikaden
gestiegen. Da denk ich mir manchmal, das
-
wär nicht so schlecht,
wenn das heute auch so wäre.
-
Applaus
-
Es gab dann tatsächlich nur noch einen
Beruf der verhasster war, das war der
-
Perrückenriecher oder -schnüffler, der
dann Leuten die Perücke abreißen konnte.
-
Und da gucken, ob die diesen Zettel drin
hatte. Der Sandmann ist jetzt einer dieser
-
Berufe, dieser Bullshit Jobs, dieser
Scheißjobs, die so furchtbar waren, dass
-
ich tatsächlich Probleme hatte, darüber
irgendwas zu finden. Es gab in keinem
-
Archiv irgendwas—da musste ich tatsächlich
detektivisch rangehen. Und das war dank
-
dieser Deutschlandreise die ich damals
gemacht hab im VW Bus, bin ich an einen
-
Ort gekommen wo es Sandsteinhöhlen gab,
und da hatte ich zum ersten mal von diesen
-
Sandmännern gehört. Und zwar waren
Sandmänner …, man brauchte damals, um die
-
guten Stuben zu reinigen, hat man so’n
bisschen Sand überall ausgestreut auf dem
-
Holzboden und dann zusammengefegt. Nachdem
man dann diesen Sand aufgefegt hat, hat man
-
auch diesen ganzen Schmutz mit eingefegt.
Das war einfach Kehrwoche, so ganz normal.
-
Man hat den Sand auch benutzt, das hat mir
mein Opa auch noch erzählt, für Milchkannen
-
und so. Und die Sandmänner waren halt
Menschen die nach … – 1845 gab’s ne große
-
Kartoffelerntenkriese und da haben ganz
viele angefangen, diesen Sandstein abzu-
-
bearbeiten, und haben den mit nach Hause
genommen, mit ihren Familien gerieben,
-
gerieben, d. h. dieser Sand war bei denen
Zuhause, die hatten tränende Augen, der
-
Sand war in allen Körperritzen, -öffnungen.
Es muss ganz furchtbar gewesen sein.
-
Ich hab auch von ’nem Artzt noch’n
Dokument gefunden, der meint er hätte von
-
so ’nem Sandmann die Lunge seziert, die sei
ihm fast auseinander gebröselt. Und es gab
-
halt wirklich nichts, die waren so, das war
so ein schrecklicher Job, dass keiner darüber
-
geschrieben hat. Und ich hab dann
Aufzeichnungen gefunden, weil ich dann
-
auf ’ner Deutschlandkarte geguckt hab. Die
Geologie, wo gibt’s Sandstein, hab dann
-
dort die ganzen Heimatmuseen
angeschrieben, gefragt:
-
Habt ihr nicht irgendwas
über die Sandmänner?
-
Jetzt zum ganz … Also jetzt hatten wir ja
die normalen Handwerker, die die
-
Zivilisation aufbauen, wir hatten die
Scheißjobs die dann auftauchen,
-
wenn irgendwo ’n Bedürfnis entsteht, das
man erfüllen kann und dadurch eben
-
Brotverdienst hat. Und dann gibt’s in
Japan, durfte ich dann kennen lernen.
-
Eine „人間国宝“. Und ein „Ningen kokuhō“ ist
ein lebender Nationalschatz. Das haben
-
die dort, dass die dort Menschen haben,
die einfach etwas können, das sonst keiner
-
kann. Das kann dann Töpfern sein, oder
eine bestimmte Art und Weise, Papier her-
-
zustellen oder Puppen herzustellen, die
lernen das dann von ’nem Einzelnen, das
-
ist dann einfach so’ne Tradition, die von
einem zum anderen weitergereicht wird.
-
Und so kommt’s halt auch, dass in Japan
zum Beispiel Gold gar nicht, oder
-
jedenfalls im traditionellen Sinne, nicht
so wertvoll war wie jetzt eine hand-
-
getöpferte Teetasse. Weil Gold ist einfach
ein Material, da hat auch mal ’n
-
Teemeister, hat einfach mal, ein Teehaus
in Kioto gebaut, es einfach mit Gold
-
überzogen. Ratzfatz, Gold sieht schön aus
aber mehr nicht, er wollte einfach nur
-
dieses Material zeigen. Aber ansonsten ist
diese Kunst, ’nen Tonklumpen zu nehmen und
-
den zu formen und den zu lackieren. Und
das über Jahrtausende hinweg ist bei den
-
Japanern viel mehr, viel wertvoller als
jetzt so’ne Materialität. Deshalb gibt’s
-
jetzt immer noch diese Ningen kokuhō.
Und da wollte ich jetzt noch mal
-
zurückgehen zu – wir hatten ja vorhin
Homer, der gesagt hat, der Handwerker ist
-
produktiv und öffentlich. Platon hat für
Handwerker das Wort „poiein“ benutzt.
-
Machen/herstellen und es kommt vom
gleichen Wortstamm wie die Poesie.
-
Also die Muse dahinter. Das ist so ’n
bisschen, also man soll, ja einfach im
-
Blick behalten, was man arbeitet, weil man
ja so viel Zeit im Leben damit verbringt.
-
Ja weil das … Wie prägt die Arbeit, mit
der wir uns beschäftigen, unser Weltbild?
-
Und da hab ich eben Bilder gefunden.
Das kennt ihr vielleicht, von Fritz Karl,
-
von 1926, das war halt zur Hochzeit der
Industrialisierung, da hat man sich eben
-
den Menschen als Fabrik vorgestellt.
Eigentlich ein schreckliches Bild. Oben
-
geht’s rein und dann arbeitet alles und
unten kommt’s dann raus. Das hier wurde
-
in ’nem Tempel in Peking gefunden. Das ist
eher aus ’nem daoistischen Weltbild, wo …
-
das ist auch wieder der Körper eines
Menschen, aber da haben so alle Organe,
-
haben eine andere Zuordnung, alle arbeiten
zusammen und in Harmonie. Und ein Freund
-
von uns, der Tom Igoe, hat das gemacht,
jetzt, ist das Neueste, wie der Computer
-
uns sieht.
vereinzelt Gelächter
-
Tom Igoe ist in New York an der Universität
unterrichtet er und naja, das ist jetzt,
-
quasi so weit sind wir gekommen. Genau,
ich würd jetzt sagen, jetzt haben wir Frage
-
und Antwort. Ich würd euch bitten, Fragen
zu stellen die so gut sind, die zu gut
-
sind um beantwortet zu werden, dass wir
darüber noch nachdenken können. Ich weiß
-
nicht ob’s Fragen noch gibt, das war jetzt
wirklich nur so ’ne kleine Inspiration.
-
Applaus
-
H: Danke. Falls es Fragen gibt, bitte an
den Mikrofonen aufstellen. Da gibt’s
-
Mikrofone, 4 Stück im Saal, einfach
anstellen und ich rufe euch auf.
-
Ja dann erstmal du!
-
Frage: Ich glaub du hast uns nicht
erzählt, was Fischbeinreißer sind.
-
Antwort: Ach so, wollt ihr’s wissen?
Gerne. — Gelächter
-
H: Nachdem ich das am Anfang schon
verkackt hab, muss das jetzt raus.
-
A: yes Das erzähl ich doch so gerne.
Fischbeinreißer, Fischbein ist nichts
-
anderes als Barten beim Wal. Und das hat,
Walfang gibt’s ja schon lange, aber
-
irgendwann, ich meine früher gab’s ja kein
Plastik und Materialen hat man ja einfach
-
aus der Natur genommen und irgendwann kam
man dann halt darauf, diese Barten vom Wal
-
sind so lang und beweglich, toll was kann
man damit anstellen? Und dann kam man
-
zuerst in Spanien auf die Idee, die in
Kleider reinzustecken, und hat den Frauen
-
vor allem aber auch den Männern dann,
so kubistische Formen gegeben.
-
Mit Korsetten, so raus, oder Schnabel-
schuhe. Das war … lustigerweise war die
-
später dann … das war einer der Gründe,
warum der Walfang auch so floriert hat.
-
Die Quaker hatten in Nordamerika, in
Nantucket ihre Walstation, und waren ja
-
ganz …, die hatten überhaupt nichts mit
Mode zu tun, aber das waren die besten
-
Fischbeinreißer. Und der Fischbeinreißer
ist halt der, der dann die Barten
-
auseinander reißt. Ich glaub die sind so
fasrig, und die kann man dann, mit ’nem
-
Messer haut man oben rein, dann kann man
die so auseinander ziehen. Ich stell mir
-
das so haptisch ganz schön vor.
Lachen
-
F: Kommt der Sandmann, also der
Sandmann von den Geschichten,
-
auch von dem Sandmann?
Hat das irgendeinen Zusammenhang?
-
A: Ja, hat tatsächlich ’nen Zusammenhang,
E. T. A. Hoffmann hat ’ne Geschichte
-
geschrieben über den Sandmann, aber da war
das ’ne Gruselfigur, und wie man dann
-
diese Gruselfigur, die nachts kommt …
Weiß nicht, ob der die Kinder holt,
-
ich weiß es nicht mehr.
Also der war ’ne Gruselfigur.
-
Gelächter, Applaus
Der war ’ne Gruselfigur, weil diese Sand-
-
männer halt so furchtbar aussahen, weil
die natürlich den ganzen Tag mit diesem
-
Sand zu tun hatten, und halt wirklich
unterlaufene rote Augen hatten, und wahr-
-
scheinlich auch ständig Schmerzen und
vielleicht auch 'ne raue Stimme.
-
Und wie dann aber dieser Dreh kam zum
Sandmann, der dann diesen Traumsand
-
streut, …ja …, das ist mal
wieder ’ne Verdrehung.
-
H: Also ich seh keine Fragen mehr.
Dann ’nen tollen Applaus für
-
Applaus
-
Abspannmusik
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im Jahr 2017. Mach mit und hilf uns!