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36C3 Vorspannmusik
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Herald: Früher gab es die
Berichterstattung über Krisen und Kriege
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eigentlich nur durch Journalisten, bevor
es das Smartphone gab. Seitdem aber jeder
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ein Smartphone haben kann, kann er Videos
oder Bilder mit jedem teilen. Was das
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eigentlich heißt für die Wahrnehmung, für
die anderen in der Welt und was es auch
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heißt, für welche Konflikte eventuell
auftreten für Hilfsorganisationen, die vor
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Ort sind, werden euch heute Ruben
Neugebauer und Sebastian Jünemann vom
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Cadus e.V. erzählen. Also gebt ihnen einen
großartigen Applaus und viel Spaß bei dem Talk.
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Applaus
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Sebastian Jünemann: Ja, einen
wunderschönen guten Morgen! Schön, dass so
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viele Leute schon sind. Ist ja nicht so
einfach, einen der ganz frühen Talks zu
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halten. Ich würde ganz am Anfang sagen:
wir sind zu dritt. Wir haben noch eine
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Live-Schalte. Wir wollten nicht nur mit
zwei Typen auf der Bühne stehen, wir haben
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noch zugeschaltet Fee Baumann von Heyva
Sor a Kurd dem Kurdischen Roten Halbmond.
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Die ist gerade in Nord-Ost-Syrien, da, wo
unsere Projekte auch stattfinden, und wir
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hoffen, es klappt gleich, dass sie so ein
paar Anteile ganz live euch erzählen kann.
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Vielleicht ganz kurz als Anfang: Cadus an
sich, als humanitäre Organisation ist
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natürlich - muss und es ist auch gut so -
religiös und politisch komplett unabhängig
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sein. Wir als Einzelpersonen sind es nicht.
Wir begreifen uns durchaus als links. Das
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heißt, wenn wir jetzt im Verlauf des Talks
über diesen völkerrechtswidrigen
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türkischen Angriffskrieg reden, dann ist
das durchaus... Also wir haben nicht den
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Anspruch, das wissenschaftlich neutral zu
bewerten, sondern bewerten das schon auch
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durchaus politisch.
Applaus
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SJ: Ganz kurz zu kurz zu uns und zu Heyva
Sor a Kurd der Kurdische Rote Halbmond,
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das ist eine Hilfsorganisation,
vergleichbar hier mit den großen
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Hilfsorganisationen ASB und ähnlichem. Die
machen in Nord-Ost-Syrien unfassbar gute
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Arbeit. Also die machen nicht nur
mittlerweile Rettungsdienst und Trauma
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Stabilisation, sondern in sehr vielen
Geschichten auch Rehabilitationssachen in
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der psychischen Versorgung. Es ist eine
ziemlich große Organisation geworden in
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den letzten fünf Jahren. Wir haben seit
fünf Jahren immer wieder Partnerschaften
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mit ihnen gehabt, jetzt auch gerade
durchgehend. Zu uns: Cadus ist eine
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kleine Hilfsorganisation aus Berlin. Gibt
es auch seit fünf Jahren jetzt gerade. In
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Berlin betreiben wir so ein Crisis
Response Makerspace. So ein paar Gesichter
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haben wir da auch schon mal gesehen. Da
versuchen wir, an diversen Problemen zu
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arbeiten, die es im humanitären Markt so
gibt. Also mehr so ein klassisches Maker-
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Ding. Wir sind aber auch richtig im Feld,
seit fünf Jahren auch schon, hauptsächlich
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in Nord-Ost-Syrien, waren im Irak im
Einsatz, hatten einen kurzen Ausflug in
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die Seenotrettung und wie gesagt, diese
Region Nord-Ost-Syrien da verbindet uns
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jetzt schon seit 2014 tatsächlich eine
gemeinsame Projektgeschichte. Auch nochmal
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ganz kurz als Disclaimer: In der Talk-
Ankündigung stand noch drin 'Rojava'. Das
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ist so der politische Begriff der Region,
und es ist für uns auch teilweise ganz
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schwer, das fällt uns immer wieder in den
Kopf, diesen Begriff zu benutzen. Die
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Strukturen vor Ort ziehen es mittlerweile
vor, dass man es gerade als Region Nord-
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Ost-Syrien bezeichnet, also auch die
lokale Selbstverwaltung. Deswegen
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versuchen wir, das auch umzusetzen. Aber
weil der Begriff schon so lange im Kopf
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ist, wird es im Talk bestimmt das eine
oder andere Mal uns noch in den Kopf
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schießen.
Ruben Neugebauer: Ja, Krisen und
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Kommunikation, das ist ja so heutzutage
kann man alles Mögliche live mitverfolgen.
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Man kann live mitverfolgen, wie
irgendwelche Raketen ins All geschossen
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werden oder wieder landen. Man kann live
mitverfolgen, wie die PR-Abteilung der
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Deutschen Bahn sich komplett zerlegt. Man
kann Florian Silbereisen Konzerte live im
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Internet mitverfolgen, und man kann
heutzutage eben auch Krisen und Konflikte
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live verfolgen. Wir haben uns schon lang
immer mal gefragt: Was heißt das
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eigentlich für Hilfsorganisationen vor
Ort? Also es ist ja schön, wenn man
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irgendwie Informationen verfügbar hat.
Aber nochmal was anderes ist es dann, wenn
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man sich nicht nur informieren möchte von
diesen Informationen, sondern wenn man als
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Organisation vor Ort ist und
Entscheidungen treffen muss, wenn es darum
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geht: Wo kann ich zum Beispiel auch
helfen? Wo bin ich vielleicht selber auch
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gefährdet? All das hängt davon ja auch so
ein bisschen ab. Also was heißt das dann
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für Hilfsorganisationen vor Ort? Wir sind
ja im Zeitalter des Postfaktischen, im
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Zeitalter der Twitter-Diplomatie. Es ist
ja so, dass heutzutage Kriege quasi nicht
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nur über die sozialen Medien live
mitverfolgt werden können, sondern mehr
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oder weniger auch über die sozialen Medien
ausgetragen werden. Dank dieser
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Quellenvielfalt, die wir jetzt
mittlerweile durch das Internet, durch die
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verschiedenen sozialen Medien haben, ist
es eben zum einen so, dass wir sehr viel
-
mehr Informationen zur Verfügung haben,
als wir das früher hatten. Vor allem haben
-
wir diese Informationen oft sehr viel
schneller zur Verfügung. Aber es ist dafür
-
auch so, dass es natürlich sehr viel
schwerer wird, die zu bewerten, weil auch
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Desinformation, auch Gerüchte sich halt
sehr viel schneller streuen. Deswegen
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hatten wir schon lange mal vor, darüber
mal so ein bisschen zu reden: Was bedeutet
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das eigentlich für uns vor Ort, diese
veränderte Medienlandschaft. Und dafür
-
haben wir eigentlich ein ganz gutes
Beispiel da vor Ort.
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SJ: Genau. Warum ist Nord-Ost-Syrien
eigentlich wirklich ein gutes Beispiel? Es
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ist halt kein klassischer Konflikt
alleine, sondern es ist ein Bürgerkrieg
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innerhalb Syriens, mit multiplen Akteuren,
mit Milizen, mit einem Staatsregime, das
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international geächtet ist, das trotzdem
natürlich auch versucht, Propaganda zu
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machen, gerade deswegen Propaganda zu
machen. Habt ihr mit Sicherheut auch schon
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gehört: Es ist eine Art von
Stellvertreterkrieg. Russland ist stark
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involviert, die USA waren lange stark
involviert, und es gibt begleitend noch
-
diesen Konflikt zwischen Kurden,
Kurdinnenn und dem türkischen Staat. Und
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das alles merged sich dann quasi in dieser
Region. Die war in den letzten fünf Jahren
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immer schon hoch dynamisch, auch für uns.
Auch allein schon aufgrund der Tatsache,
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dass es innerkurdisch viele Konflikte gibt
zwischen nordirakischen Kurden und den
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nordsyrischen Kurden und Kurdinnen. Sodass
da immer wieder...also da kommt ganz, ganz
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viel zusammen, was man anderen
Konfliktregionen zum Beispiel nicht hat.
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Deswegen ist es sehr spannend, sich das
genau an dem Beispiel mal anzuschauen, und
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auch wenn es in den letzten fünf Jahren
immer hoch dynamisch war und dieser Clown
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im Weißen Haus jetzt auch schon länger an
der Macht ist, ist es so, dass in den
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letzten Monaten tatsächlich die Dynamik
des Konfliktes so unfassbar krass geworden
-
ist, dass man im Endeffekt ja sich
eigentlich auf gar nichts mehr verlassen
-
konnte. Erdogan hat ja schon immer viel
gedroht, mit dem Säbel gerasselt und
-
gesagt: Da muss was passieren, ich
marschier da ein. Irgendwie gab es aber
-
immer eine Form von Doch-noch-Stabilität,
mit der irgendwie gerechnet werden konnte,
-
gerade auch aufgrund dieses
Stellvertreterkrieges. Jetzt ist es so,
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das ist übrigens auch ein Tweet, wo ich
dachte, jetzt ist er entweder gehackt oder
-
wirklich vollkommen durchgeschallert. Ist
er tatsächlich nicht und deswegen wollen
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wir heute hauptsächlich in diesem Talk
auch so ein bisschen darauf gucken, wie
-
gehe ich mit Quellen eigentlich um und mit
der Quellenverifikation, wenn ich mich
-
nicht darauf verlassen möchte, dass die
unmatched wisdom von Präsident Trump im
-
Endeffekt vor Ort doch alle Dinge für uns
regeln kann. Einsteigen würden wir gerne
-
mit einem kurzen Überblick. Wie war das
eigentlich bei der Invasion? Um den zu
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geben, würden wir jetzt aber super gerne
versuchen, Fee dazuzuschalten? Das müsste
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hoffentlich funktionieren. Muss ich da was
machen am Rechner, macht ihr das? Hallo
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Fee.
Applaus
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SJ: Vielleicht ganz kurz noch zu Fee: Fee
arbeitet für den kurdischen Roten
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Halbmond. Ich weiß, sie stellt sich
unfassbar ungern selber vor, macht vor Ort
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eine unfassbar gute Arbeit, lebt
hauptsächlich in der Region, koordiniert
-
da ganz, ganz viele Projekte und hat
deswegen einfach einen viel besseren
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Inside nochmal, als wir, die zwar auch
häufig da sind, aber bei weitem nicht die
-
gleiche Ahnung repräsentieren können wie
Fee das tut. Fee, vielleicht dein Part!
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leiser Applaus
SJ: Fee, warte mal. Wir haben noch keinen
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Ton.
RN: Äh.
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Lachen aus dem Publikum
SJ: Versuch nochmal!
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Fee Baumann: Hallo!
Sebastian: Ja!
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Applaus
Fee: Ja, vielen Dank für die Einladung.
-
Ich würde einmal ganz schnell einen
Überblick geben. Ich habe hier so eine
-
kleine Rückkopplung. Genau, also zur
aktuellen Situation. Momentan ist es so,
-
dass wir vermutlich mehr als 300.000
Geflüchtete insgesamt momentan haben. In
-
der gesamten Region. Das ist eine
geschätzte Zahl bzw. kann nicht genau
-
genannt werden, weil von den Geflüchteten
privat untergekommen sind. Das heißt bei
-
Familien oder bei Freunden oder einfach
sich selbst Verschläge irgendwo gebaut
-
haben. Das heißt, wir können sie nicht
genau erfassen, aber es sind etwa 300.000.
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Momentan bauen wir neue Camps auf für die
neuen Geflüchteten. Wir bekommen dafür
-
keine UN-Hilfe. Also der UNHCR kann uns
nicht unterstützen mit Zelten zum
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Beispiel, einfach aus dem einfachen Grund,
dass die syrische Regierung diese Camps
-
nicht akzeptiert , diese neuen Camps. Das
heißt, UN-Organisationen können und dürfen
-
uns offiziell nicht unterstützen.
Zusätzlich finden natürlich immer noch
-
weiterhin Kämpfe statt entlang der
Sicherheitszone. Momentan glücklicherweise
-
nicht mehr mit allzu vielen Zivilisten,
die verletzt werden oder getötet werden.
-
Das beschränkt sich momentan
glücklicherweise einigermaßen auf
-
militärische Akteure. Zudem ist es aber
so, dass seit die Türkei hier angegriffen
-
hat, ist die Sicherheitslage massiv
schlecht geworden. Das heißt, es gibt
-
überall in der Region weiterhin IS-Zellen
oder auch andere Gruppierungen, die
-
versuchen, diese Region weitestgehend so
gut es geht eben, zu destabilisieren. Und
-
diese IS-Zellen oder auch andere
Gruppierungen sind seit dem Angriff der
-
Türkei eben erstarkt, also stärker
geworden. Deswegen gibt es auch sehr viel
-
mehr Anschläge überall in der Region.
Zudem ist es mittlerweile so, dass in den
-
durch die Türkei besetzten Gebieten, also
im Norden Raʾs al-ʿAin und Tal Abjad, ist
-
es vermutlich mittlerweile verboten,
Kurdisch zu sprechen. Was sicher ist, ist,
-
dass alle öffentlichen Gebäude umbenannt
worden. Also es wird keine kurdische
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Sprache mehr benutzt, sondern eben nur
noch Türkisch und Arabisch. Und es ist
-
davon auszugehen, dass das eben wie in
Afrin auch schon komplett verboten sein
-
wird, Kurdisch zu sprechen auf der Straße
oder geschweige denn in den Schulen zu
-
lernen. Die medizinische Versorgung vor
Ort ... also sie war vorher schon
-
natürlich desolat nach acht Jahren
Bürgerkrieg und die Versorgung von den
-
Geflüchteten in den anderen, in den alten
Camps, möchte ich sagen, war vorher schon
-
miserabel bzw. kritisch. Jetzt, durch
300.000 mehr Geflüchtete, ist es natürlich
-
nochmal extrem kritischer geworden, sagen
wir so. Dazu kommt, dass wir gerade Winter
-
haben. Das heißt, dass wir natürlich viele
Erkrankungen haben werden. Die
-
Unterbringung ist okay, also
verhältnismäßig okay, aber immer noch
-
schlecht. Also in Zelten im Winter ist
einfach mies. Es ist gerade Regenzeit.
-
Zudem sind natürlich Neugeborene und
Schwangere sind extrem gefährdet. Dann
-
haben wir sehr viel, eine sehr hohe
Stresssituation natürlich. Das heißt, wir
-
haben auch sehr viele psychische
Erkrankungen, was wir kaum bzw. nur schwer
-
auffangen können. Man muss sich
vorstellen, dass die Leute aus relativ
-
gesicherten, aus einem relativ gesicherten
Umfeld bzw. Umgebung eben jetzt alles
-
verloren haben und auch nicht die Zeit
hatten, irgendwas mitzunehmen und auch
-
nicht zurück können. Zudem ist die
Versorgung mit Trinkwasser und ausreichend
-
Essen auch nicht gut. Also das heißt, es
ist einfach zu wenig für alle. Dann kommt
-
dazu, dass eben immer noch ein
Wasserhauptversorgungsrohr, was durch die
-
Türkei durch einen Luftangriff beschädigt
wurde und jetzt im türkischen Gebiet
-
liegt, immer noch kaputt ist. Das heißt,
es sind mittlerweile etwa 700.000,
-
wahrscheinlich mehr Menschen, ohne
ausreichende Wasserversorgung. Und
-
momentan bringen wir das Wasser in
Tanklastwagen vor Ort nach Hasaki in die
-
Region. Allerdings ist die Wasserqualität
auch deutlich schlechter geworden. Dann
-
haben wir das Problem, es ist momentan
einigermaßen stabil, dass humanitäre
-
Hilfsgüter, das heißt auch Medizin,
durchkommen. Allerdings sind wir da immer
-
auf den Goodwill angewiesen von zum
Beispiel den irakischen Grenzübergängen.
-
Und wir können uns eben nicht darauf
verlassen, dass Hilfsgüter rechtzeitig
-
ankommen. Und wir können sie auch nicht
immer rechtzeitig hier vor Ort weiter
-
schicken in die jeweiligen Regionen, weil
eben die Straßen immer noch sehr unsicher
-
sind. Dann ist die Versorgung insgesamt
von öffentlichen Krankenhäusern mit
-
medizinischen Hilfsgütern sowie auch
medizinisches Equipment weiterhin
-
schlecht. Und jetzt eben nochmal
schlechter geworden. Dann haben wir
-
natürlich durch den Krieg oder durch den
Angriff der Türkei haben wir natürlich
-
sehr viele Schwerstverletzte mit
Langzeitfolgen, die wir momentan nicht
-
betreuen können. Das heißt, viele - es
werden natürlich Prothesen benötigt und
-
Physiotherapie et cetera. Neben
psychologischer Hilfe. Und das können wir
-
momentan gar nicht leisten. Es gibt
natürlich die Unterstützung von
-
internationalen NGOs wie auch Cadus. Das
Problem ist, dass viele von denen, also
-
die Sicherheitslage hat sich eben so doll
verschlechtert hier momentan oder ist,
-
sagen wir, nicht abzuschätzen oder schwer
abzuschätzen, dass sie eben wenig hier vor
-
Ort sein können. Und das macht auch, dass
die Hilfe langsamer kommt und eben auch
-
oft nicht ausreichend ist. Von den
internationalen Staaten, also von der
-
internationalen Gemeinschaft, kommt
momentan gar nichts. Kann man so sagen. Es
-
gibt ganz kleine Fussel aber, dass ist
alles inoffiziell und sehr vorsichtig,
-
sagen wir so, um sich eben nicht in
politische Schwierigkeiten zu bringen,
-
schätzungsweise. Das war so ein ganz
kurzer Überblick, wie die momentane
-
Situation hier ist. Wir haben natürlich
zusätzlich einfach super viele
-
Unsicherheiten, in der Bevölkerung, als
auch bei NGOs natürlich, weil einfach
-
super viele Akteure jetzt plötzlich hier
in der Region aktiv sind. Das heißt, wir
-
haben die Türkei und deren Alliierten.
Dann haben wir natürlich die USA, die
-
weiterhin da sind, aber hauptsächlich sich
tatsächlich um ihre Ölfelder oder ja, um
-
die Ölfelder kümmern. Und Russland und
Syrien, die hier unterwegs sind und
-
genauso wie die Türkei unberechenbar sind.
Das heißt, man weiß nie genau, was da
-
jetzt passiert und worauf man sich, auf
welche Absprachen man sich verlassen kann.
-
Es gab mehrere Zwischenfälle oder Unfälle
mit russischen Panzern auf ZivilistInnen.
-
Mindestens fünf ZivilistInnen sind dabei
gestorben. Wenn nicht mehr. Genau und
-
insgesamt ist die Bevölkerung, sagen wir,
oder in der Bevölkerung herrscht einfach
-
eine immense große Unsicherheit und Angst.
Ja, das war soweit mein Überblick.
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RN: Wir zeigen gleich auch noch ein paar
Bilder kurz, bevor wir weitermachen.
-
SJ: Ja, vielen Dank, Fee, erst einmal für
den Input!
-
Applaus
SJ: Also auch wenn wir wieder "switchen"
-
Fee bleibt hoffentlich im Loop und dann
können wir nochmal ein-, zweimal mal
-
zurückschalten zu ein, zwei
Fragestellungen. Genau, wir haben noch so
-
ein paar Bilder, da würden wir jetz
relativ kurz, schnell durchgehen. Das war
-
gedacht für den Moment, wenn wir Fee nicht
auf Video bekommen hätten. Dann hätten wir
-
sie nur über die Tonspur gelegt. Genau,
das ist auch
-
richtig.
RN: Genau, also so sieht es dort vor Ort
-
aus. Wir haben von Fee gehört, relativ
eindrücklich, wie komplex die Lage da ist,
-
was da alles so zu beachten ist, super
viele AkteurInnen. Es ist super schwer,
-
teilweise rauszukriegen, was irgendwie
tatsächlich vor Ort passiert. Und wenn wir
-
vorhin kurz vom postfaktischem Zeitalter
gesprochen haben, dann meinen wir damit
-
nicht nur jetzt reine Fake News. Die
gibt's natürlich auch. Aber wir meinen
-
nicht nur Geschichten, die jetzt komplett
erstunken und erlogen sind. Sondern wenn
-
wir drüber sprechen, wie schwierig es ist
irgendwie Quellen zu bewerten, dann meinen
-
wir damit auch, dass es gar nicht
unbedingt intendiert ist. Und deswegen
-
haben wir jetzt ein paar Schwierigkeiten,
mit denen wir konfrontiert sind vor Ort.
-
Es ist ja so, dass: früher hatte man
klassische Berichterstattung im Fernsehen,
-
heute hat sich das alles sehr stark
verlagert hin zu diversesten Quellen in
-
den sozialen Medien. Das ist auf der einen
Seite natürlich prima, weil wir eben, wie
-
schon gesagt, superschnell die
Informationen kriegen. Weil wir auch
-
teilweise Informationen kriegen, die wir
sonst niemals bekommen hätten und dadurch
-
ganz andere Möglichkeiten haben auch Dinge
zu verifizieren, wenn die irgendwie
-
auftreten. Zum anderen ist es aber so,
dass es halt auch schwierig ist, weil es
-
viel schwieriger wird eine ordentliche
Analyse zu machen, weil natürlich auch
-
Fehlinformationen sich superschnell
verbreiten. Und was auch ein Effekt ist,
-
ist, dass zum Beispiel die klassischen
Medien ihre KorrespondentInnen-Netzwerke
-
zurückfahren, weil die sich das gar nicht
mehr leisten können vor Ort informierte
-
KorrespondentInnen zu haben. Und dann
könnte man natürlich jetzt das machen, was
-
wir hier gemacht haben, nämlich eine sehr
informierte Person, wie Fee, einfach über
-
Skype zuzuschalten. Aber viele Medien
machen das dann anders. Die schicken dann
-
lieber einen Fernsehmoderator aus
Deutschland mal eben für ein paar Tage
-
darüber. Und deswegen ist es für uns auch
so ein bisschen was, was zu diesem
-
Posfaktischen dazu zählt. Wenn man dann
sozusagen Medien hat, die eigentlich gar
-
nicht so richtig präsent sind in der
Region, die aber dann mal schnell darüber
-
fahren und zum Beispiel über die
schwierige hygienische Situation in dem
-
Lager Al Hol sprechen. Al Hol ist
tatsächlich ein Lager, wo es schwierig
-
ist. Da sind viele tausende Menschen
interniert, die früher dem IS angehört
-
haben. Das ist relativ angespannt die Lage
dort, und tatsächlich ist es so, dass es
-
da teilweise vielleicht schwierige
hygienische Verhältnisse gibt. Das Problem
-
ist nur der Reporter. Der hat vor Ort gar
nicht den Zugang zu diesen, zu diesen
-
Situationen. Deswegen nimmt er halt das,
was ihm vor die Kamera kommt und spricht
-
von den schwierigen hygienischen
Verhältnissen anhand von einer
-
herkömmlichen Pfütze, wie wir sie ja auch
auf einem europäischen Campingplatz hätten
-
haben können. Und die Schwierigkeit dabei
ist natürlich dann für uns, dass wir zwar
-
eine Berichterstattung haben, das es aber
sehr schwer ist, es eigentlich irgendwie
-
zu sehen: Bauschen die eigentlich eine
Situation nur auf, oder ist es tatsächlich
-
so schlimm? Und das Ganze wird dann von
seinen Kollegen aber noch als absolutes
-
Qualitätsfernsehen abgespeichert. Das ist
sozusagen so ein Problem mit dem wir dann
-
konfrontiert sind mit den klassischen
Medien.
-
SJ: Genau, wenn wir über postfaktisch
reden, dann ist es aber auch so, dass
-
meine Karte, die zeigt die internationalen
Reaktionen von Staaten, also nicht die
-
politische Solidarität, sondern von
Staaten tatsächlich in Bezug auf diesen
-
türkischen Einmarsch. Und da seht ihr grün
ist das, was diesen Einmarsch supported
-
hat, also gut geheißen hat. Dann gab es
halt ein bisschen Neutralität, die nichts
-
gesagt haben, aber die überwiegende Zahl
der Länder, die sich geäußert haben, haben
-
alle ganz klar gesagt: Geht gar nicht, ist
völkerrechtswidrig, haben sogar Sanktionen
-
mit eingebracht. Trotzdem waren Pro-
Kriegs-Hashtags zu der Zeit weit über
-
Anti-Kriegs-Hashtags zum Thema Nord-Ost
Syrien. Und in der Türkei selber sogar
-
waren Pro-Kriegs-Hashtags tatsächlich
absolut, also länger, auf der obersten
-
Linie. Jetzt wollen wir nicht heute über
Click-Farms und etc. reden, wie sowas
-
entsteht. Es ist nun erst mal so: das ist
ein Bild, das präsentiert sich. Kann man
-
sich angucken die Hashtags. Und die haben
aber eigentlich mit der Realität nicht
-
viel zu tun. Postfaktisch ist auch wenn
die Kommandantur der türkisch "gebackten"
-
Milizen, die sie vorgeschickt haben, über
Social Media aufruft, dass eben genau
-
diese Milizionäre eben diese Social Media
nicht mehr bitte benutzen sollen, um Dinge
-
von der Front aufzunehmen und zu zeigen.
Worum es darum ging, is vermeintlich eine
-
Geschichte mit Sicherheit und "Wo sind wir
eigentlich?" und "Ihr gefährdet unsere
-
Soldaten!". Eigentlich ging es aber
hauptsächlich darum, dass zu Beginn der
-
Invasion wahnsinnig viele Kriegsverbrechen
und Menschenrechtsverletzungen live auf
-
Twitter mitverfolgbar waren. Hier ging es
jetzt zum Beispiel tatsächlich um -das
-
habt ihr wahrscheinlich auch mitbekommen-
um die Ermordung einer kurdischen
-
Menschenrechts- und Frauenrechtlerin,
Hevrin Khalaf. Das war relativ klar, dass
-
es ein gezielter Anschlag gewesen ist:
aufgehalten, aus dem Auto gezogen,
-
erschossen worden. Das ging sogar ein
bisschen durch die Medien, weil die Person
-
selber bekannt ist. Sowas konnte man zu
der Zeit aber, wenn man sich dafür
-
interessiert hat, das ist wirklich
tagtäglich durch die Timeline gekommen.
-
Also wie die Milizen, die vorgestoßen
sind, diese Kriegsverbrechen aufgenommen
-
haben und genau, einfach so frei auf
Twitter rausgehauen haben.
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RN: Ja, und natürlich sind die der
Aufforderung nicht gefolgt, irgendwie
-
nichts mehr vom Schlachtfeld hochzuladen.
Die haben munter weiter hochgeladen und
-
deswegen ist es auch z.B. so ein bisschen
interessant, wenn man über Postfaktisches
-
redet, dass zwar im Internet plötzlich
sehr viele Bilder aufgetaucht sind von den
-
tollen, deutschen Leopard-Panzern, wie die
da in Syrien an der Front eingesetzt
-
werden, dass aber gleichzeitig die
Bundesregierung gesagt hat: Wir haben ja
-
gar keine eigenen Quellen dazu. Wir wissen
eigentlich gar nicht so genau, was da
-
eigentlich passiert. Das heißt, was man
auch immer betrachten muss, wenn es darum
-
geht: Was haben wir eigentlichfür Quellen
zur Verfügung? Ist: Wer möchte eigentlich
-
gerade, dass diese Quellen gesehen werden?
Weil zwar hat die Bundesregierung gesagt:
-
Wir haben keine eigenen Erkenntnisse
darüber, ob dort und wie dort Leopard-
-
Panzer eingesetzt werden. Aber eigentlich
hätten sie vielleicht sagen sollen: Wir
-
wollen eigentlich gar keine eigenen
Erkenntnisse darüber haben. Weil, wenn man
-
sich überlegt, was die Bundesregierung
eigentlich an Ressourcen zur Verfügung
-
hätte, um irgendwie zum Beispiel so ein
Video zu verifizieren und was es dafür
-
auch für technische Möglichkeiten gibt,
dann ist es schon ein bisschen traurig,
-
wenn es da dann keine eigenen Erkenntnisse
gibt. Jetzt wissen wir aber natürlich seit
-
Chemnitz, dass die deutschen Geheimdienste
nicht allzu gut darin sind Videos zu
-
verifizieren. Und deswegen haben wir
gedacht, müssen wir einmal ein bisschen
-
Nachhilfe betreiben für die
Bundesregierung. Es gibt also zahlreiche
-
Kanäle, über die man sich heutzutage
informieren kann. Da sind natürlich die
-
klassischen Nachrichtenkanäle mit dabei.
Die haben dann den Vorteil, dass die
-
zumindest so ein bisschen eine Redaktion
vorgeschaltet haben. Das heißt, dass sie
-
ein bisschen herausfiltern: Was ist
eigentlich echt? Was ist nicht echt? Die
-
sind dafür aber verhältnismäßig langsam.
Dann gibt es meistens vor Ort auch einige
-
Agenturen, zum Beispiel, die sich speziell
mit der Region auseinandersetzen. Die also
-
schauen, "Was passiert eigentlich in der
Region?", die speziell dazu Nachrichten
-
liefern. Das sind meistens gute Kanäle, um
sich zu informieren. Und dann gibt es zum
-
einen die klassischen sozialen Medien,
also Facebook, Twitter, YouTube und so
-
weiter. Was in dem Fall super interessant
war, war, dass Telegram eine total
-
wichtige Rolle gespielt hat. Über, wie
toll jetzt Telegram ist oder nicht, kann
-
man sich streiten. Aber Fakt war, dass
sehr viele gerade von den Milizen eben
-
Telegram-Kanäle verwendet haben, um dann
im Prinzip zu kommunizieren mit ihren
-
AnhängerInnen. Da ist es so, da muss man
sich ein bisschen reinfuchsen. Also, das
-
findet man nicht sofort. Aber es ist
Beispiel teilweise so bei den Milizen,
-
dass sie dann auf anderen Kanälen, die sie
nutzen, auf ihre Telegram-Kanäle
-
hinweisen. Das war ganz spannend, dass man
so auch immer so ein bisschen gucken muss.
-
Was sind eigentlich gerade die Quellen,
die funktionieren und die am schnellsten
-
sind? Dass man sich da sozusagen nicht nur
auf die klassischen verlässt. Eine weitere
-
Herausforderung, die total wichtig war,
ist, wir haben es mit einem Konflikt zu
-
tun, wo sehr unterschiedliche Sprachen
gesprochen werden. Das heißt, wenn ich mir
-
die sozialen Medien anschaue, dann kann es
sein, dass z.B. auf Türkisch auf Twitter
-
ganz andere Informationen verfügbar sind,
wie zum Beispiel auf Englisch oder
-
Arabisch. Deswegen ist es immer wichtig,
auch im Kopf zu haben, dass es
-
unterschiedliche Sprachen gibt, die da
relevant sind. In dem Fall, bei dem
-
Konflikt ist es natürlich die Sprache der
Konfliktparteien, also Türkisch, Kurdisch,
-
Arabisch, Englisch natürlich für die
internationale Community. Aber
-
interessanterweise z.B. auch Deutsch, es
ist super viel auf Deutsch auf Twitter
-
gelaufen, weil es eine sehr große Diaspora
aus der Region in Deutschland gibt, und
-
zwar sowohl von kurdischer als auch von
türkischer Seite.
-
SJ: Nicht nur die Sprachen, die trenden,
sondern auch das Konzept der Echo-Chambers
-
oder Filterbubbles, bei Filterbubbles ist
man sich ja gar nicht so sicher, wie die
-
existieren, wie geschlossen die sind. Aber
diese Echokammern, das ist ja relativ
-
klar. Also wenn mich nur bestimmte
Informationen interessieren oder wenn ich
-
politisch auf eine gewisse Art und Weise
gefärbt bin, dann hole ich mir wenig
-
Informationen aus einem anderen Bereich.
Da wurde auch schon viel drüber
-
diskutiert. Da gab es ja auch schon
verschiedene Talks, eine richtig schöne
-
Blüte dazu: Dieser kriegsbejahende Hashtag
von einem Fussballspieler, ich weiß nicht,
-
ob ihr es mitbekommen habt. Das ging so
weit, dieses Echokammer-Konzept, dass er
-
tatsächlich als angestellter
Fußballspieler des linken Fußballvereins
-
Deutschlands, FC St. Pauli, trotzdem auf
seinem Social Media rausgehauen hat: "Wir
-
sind an der Seite unserer heldenhaften
Militärs und der Armeen" - sehr spannend,
-
Militärs, also mit Armeen sind tatsächlich
auch die Milizen gemeint mit den
-
Menschenrechtsverletzungen. "Unsere Gebete
sind mit euch." Das heißt, da ist eine
-
Person, die lebt und arbeitet in einem
eigentlich ganz anderen linken Umfeld, das
-
eher Pro-kurdisch ist, vor allem aber
gegen Krieg. Entweder bekommt er es aber
-
nicht mit, oder es ist ihm egal. Von
dieser Seite nochmal Gruß an den FC St.
-
Pauli, das war die einzig richtige
Reaktion, weil er wurde gefeuert, und das
-
ist auch gut so.
Applaus
-
SJ: Das Beispiel hat bei mir diese Frage
aufgeworfen: Hat er es einfach nicht
-
mitbekommen, dachte er, er kann das jetzt
machen? Ist das normal, weil sein Umfeld
-
halt auf Pro-Krieg eingestellt ist oder
nicht? Dann ist da immer die Frage, welche
-
Informationen bekommen Menschen eigentlich
noch mit? Und da kommen wir zu einem
-
Beispiel, was uns betrifft als Cadus. Wir
haben ja mit Heyva Sor gesagt, relativ
-
schnell, es braucht mehr Ambulanzen. Also
haben wir kurzfristig nach dem Einmarsch
-
der Türkei fünf weitere Ambulanzen zur
Verfügung gestellt, eine von denen ist
-
beschossen worden. Und dann haben wir das
rausgehauen. Auf Twitter sieht man ja an
-
diesem Beispiel, und wir versuchen
meistens eigentlich nicht so viel mit
-
Bildern zu arbeiten, weil uns ist Recht am
Bild wichtig ist und wir auch dieses
-
Emotions-Heischende eigentlich nicht so
gut finden, aber die gleiche Information,
-
mit anderen Bildern unterlegt, gibt
einfach schon eine ganz andere Reichweite
-
und eine ganz andere Durchdringung dieser
Information. Das heißt auch tatsächlich,
-
auch wir als Quelle müssen uns natürlich
überlegen, wie wir Informationen
-
aufbereiten und wie weit wir eigentlich
kommen. Genau, da wollen wir ganz gerne
-
noch einmal kurz Fee dazuschalten, weil
als unsere Ambulanz beschossen wurde, war
-
das für uns natürlich emotional nochmal
ein ganz anderes Ding. Wir waren aber ja
-
bei weitem nicht die erste medizinische
Einrichtungen, die angegriffen wurde in
-
diesem Krieg. Dazu muss man auch noch mal
sagen, medizinische Einrichtungen, also
-
eigentlich Zivilistinnen und Zivilisten
sowieso und medizinische Einrichtungen
-
nochmal ganz speziell sind natürlich im
Krieg eigentlich geschützt. Da gibt es die
-
Genfer Konvention, da gibt es ein
Völkerrecht zu. Das heißt, eigentlich
-
müsste es einen Aufschrei der Empörung
geben, wenn sowas passiert. Die
-
asymmetrischen Konflikte der letzten Jahre
führten aber immer mehr dazu, dass es
-
wieder so normal ist, dass halt die
Angriffe zum Beispiel auf Heyva Sor a Kurd
-
komplett ohne Medienecho verhallt sind.
Und ganz spannend für uns vielleicht, wir
-
haben natürlich nach diesem Angriff auch
eine große Pressemitteilung rausgehauen,
-
gesagt, deutsche Hilfsorganisation,
international tätig. Die Rückmeldung war
-
mau.
RN: Fee, wie sieht es denn bei dir aus?
-
Ihr habt es ja öfter erlebt. Wie waren
denn die Reaktionen, wenn da was passiert
-
ist? Und was ist passiert?
Fee: Also passiert ist erstmal, wir hatten
-
mindestens einen Angriff auf einen so
genannten Trauma Stabilisation Point, etwa
-
20 Kilometer südlich von Raʾs al-ʿAin,
also außerhalb der Sicherheitszone. Dabei
-
wurden ein Glück nur Ambulanzen beschädigt
und keine MitarbeiterInnen. Genau, dann
-
wurden unter anderem nicht von uns, aber
medizinische Teams von der Self-
-
Administration entführt und hingerichtet,
tatsächlich. Dann wurden, wie Seb schon
-
gesagt hat, die gemeinsam betriebenen
Ambulanzen angegriffen durch Beschuss. Und
-
zudem hatten wir die Situation in Raʾs al-
ʿAin, dass wir immer noch Teams in der
-
Stadt hatten, also im Krankenhaus, die da
weiterhin auch gearbeitet haben und
-
Schwerstverletzte versorgt haben und wir
einfach keine Chance hatten, diese
-
Menschen zu evakuieren. Das heißt, diese
Leute, MedizinerInnen-Team plus
-
Schwerverletzte, waren drei Tage
eingeschlossen in der Stadt. Wir sind,
-
eigentlich haben wir mit allen Nationen
mehr oder weniger gesprochen und haben um
-
Hilfe gebeten, uns einen humanitären
Sicherheitskorridor zu gewährleisten.
-
Daraufhin ist nichts passiert. Am Ende
sind wir sozusagen auf gut Glück mit 30
-
Ambulanzen in die Stadt gefahren und haben
unsere Teams und die Schwerverletzten aus
-
dem Krankenhaus evakuiert. Das ging
einigermaßen, es ging, ein Glück, alles
-
gut. Aber trotzdem war das natürlich mehr
als gefährlich, weil klar war, dass wir
-
als humanitäre Hilfsorganisation nicht
anerkannt werden bzw. dann auch beschossen
-
werden. Wir haben versucht, das auf allen
möglichen Ebenen zu verbreiten, diese
-
Informationen publik zu machen, über
Social Media, aber auch durch Interviews.
-
Leider war die Reaktion gleich null.
Zumindest nicht, dass ich etwas
-
mitbekommen hätte. Ja, die Lage war super
dramatisch. Und trotzdem hat keiner
-
eingegriffen und geholfen. Genau. Und ich
glaube, solange die Genfer Konventionen
-
nicht beachtet werden von militärischen
Akteuren oder auch von Staaten, werden
-
auch Ambulanzen oder humanitäre
Hilfsorganisationen nie sicher sein. Das
-
heißt, laut den Genfer Konventionen ist es
verboten, auf humanitäre
-
Hilfseinrichtungen oder auch Ambulanzen zu
feuern. Das wurde aber in unserem Fall
-
einfach nicht akzeptiert. Und solange das
nicht akzeptiert wird, von wem auch immer,
-
kann auch eine sichere humanitäre
Hilfeleistung nicht gewährleistet werden.
-
RN: Im Hintergrund haben wir jetzt schon
ein paar Bilder gesehen von diesen
-
Übergriffen auf medizinische
Einrichtungen.
-
SN: Wir laufen ein bisschen in der Zeit
aus dem Ruder. Deswegen wird Ruben gleich
-
noch was erzählen, wie Quellenanalyse für
uns vor Ort eigentlich funktioniert. Ich
-
würde jetzt noch mal ganz kurz was sagen,
wir hatten ja, oder haben auch immer
-
wieder, internationale Teams vor Ort, was
für uns tatsächlich so viel Probleme macht
-
über die Social Media, bzw. über die
Möglichkeit, dass jeder Mensch zur Quelle
-
wird. Da fällt mir als allererstes zum
Beispiel das Thema Frontverläufe ein. Fee
-
hat das gerade schon angesprochen, als
Ra's al-'Ain angegriffen wurde, haben die
-
türkischen Milizen sehr schnell vermelden
lassen: "Wir haben diese Stadt
-
eingenommen." Keine zehn Minuten später
haben sich kurdische Kräfte
-
zurückgemeldet. "Nein, die Stadt ist nicht
eingenommen." 10 Minuten später heißt es
-
wieder... und genau das ist der Punkt. Wie
kann ich auf so eine Quelle vertrauen?
-
Wenn ich in dem Moment eigentlich eine
Ambulanz auf dem Weg in die Stadt habe?
-
Weiß ich, wo die Front verläuft? Weiß ich
mittlerweile wirklich, wo die
-
Kampfhandlungen sind? Wir waren damals mit
Cadus auch in Mossul, da war es das
-
Gleiche.Wenn Meldungen kommen, wo der IS
auf einmal meldet: wir haben wieder
-
Straßenzüge eingenommen, das könnten
totale Fake-News sein, und das kann ich
-
hier in Deutschland in einem Lagezentrum
auch in aller Ruhe vielleicht eruieren.
-
Aber für mich, da gerade vor Ort, ist ja
genau die Frage: Wie reagiere ich darauf?
-
Schon dieser einzige Twitter, oder diese
einzige Aussage, auch wenn es Fake sein
-
könnte, könnte trotzdem über Leben oder
Tod entscheiden für mich. Vor Ort sind es
-
zum Beispiel so Geschichten Checkpoints.
Checkpoints in Nord-Ost-Syrien, Fee hat
-
das vorhin auch schon gesagt. Es gibt
unfassbar viele Akteure mittlerweile vor
-
Ort. Fun Fact: Vor zwei Tagen haben sich
russische und US-amerikanische Soldaten in
-
Tal Tamr geprügelt, weil sie aufeinander
getroffen sind. Das ist absoluter
-
Wahnsinn, was da gerade stattfindet in
diesem Schmelztiegel. Und das ist
-
natürlich für viele Menschen extrem
wichtig zu wissen: Wo kann ich mich gerade
-
eigentlich bewegen? Normalerweise ist so
ein Checkpoint relativ gut gekennzeichnet.
-
Was machen jetzt aber Milizen oder auch
zum Beispiel die syrische Armee, wenn sie
-
irgendwo durchfahren? Gehen zum
Checkpoint, hissen ihre Flagge. Ob die
-
dann noch da sind oder nicht, kann ich gar
nicht wissen. Auch hier wieder. Es reicht
-
ein Foto, das ich hochladen in den
sozialen Medien. Dann braucht es lange, um
-
wirklich wieder Sicherheit herzustellen,
ob diese Information stimmt oder nicht. Es
-
ist für mich aber total entscheidend, ob
ich mich da noch bewegen kann oder nicht.
-
Gleiches Bild aus Manbij. Wir wissen, dass
die syrische Armee reingefahren ist, ihre
-
Flaggen gehisst hat und wieder
rausgefahren ist, um sich im Endeffekt dem
-
Konflikt mit den Milizen in dem Moment
nicht zu stellen. Frontverläufe auch z.B.
-
es gibt in Nord-Ost Syrien den Highway M4. Das ist
die Lebensader der Region, könnte man
-
sagen. Da war es genau das Gleiche.
Türkische "gebackte" Milizen sagen: Wir
-
haben diesen Highway eingenommen. Als
Verifikation schicken Sie ihn ein Foto,
-
wie ein paar Bewaffnete auf irgendeinem
Teil von diesem Highway stehen, der
-
natürlich über Hunderte Kilometer geht..
Kurz danach gibt's die Rückmeldung von
-
kurdischen Kräften: Nein, es ist gar nicht
so. Für mich als Person vor Ort
-
vielleicht, müsste ich ja trotzdem sagen:
Wenn die Wahrscheinlichkeit da ist, fahre
-
ich natürlich nicht diese Strecke. Oder
auch als lokaler Ambulanzfahrer,
-
Ambulanzfahrerin müsste ich in dem Moment
sagen: Diese Strecke fahre ich nicht,
-
diesen Highway, der relativ sicher ist,
fahre ich nicht. Ich fahre eine andere
-
Strecke, wo ich dann aber auf ganz andere
Gefahren stoße. Viel schlechtere
-
Straßenverhältnisse, vielleicht
Sprengfallen, vielleicht sleeping Cells
-
vom IS. So kann diese
Informationsfreiheit, die wir ja
-
eigentlich abfeiern, in dem Moment zum
echten Problem werden. Da hatte Fee vorhin
-
ein ganz schönes Beispiel zu. Fee bist du
noch da?
-
Fee: Ja.
SJ: genau aus Qamişlo. vielleicht kannst
-
du nochmal ein, zwei Beispiele nennen, wie
das für dich und für euch gewesen ist vor
-
Ort.
RN: Fee nutzt nämlich eigentlich keine
-
sozialen Medien, hat sie gesagt.
Fee: Richtig, ich benutze keine sozialen
-
Medien, Facebook oder sowas. Genau. Es war
einigermaßen verstörend, weil ich in
-
Qamişlo war, als die Angriffe angefangen
haben und mich dann sozusagen.. also dass
-
die Angriffe im nördlichen, nördlich-
westlichen Teil schon angefangen haben,
-
das wusste ich natürlich. Also in Tall
Abyad, Raʾs al-ʿAin. Aber dann erreichten
-
mich Nachrichten von Freunden, die über
Social Media gesehen haben, dass Qamişlo
-
jetzt angegriffen wird durch Drohnen bzw.
durch Luftschläge. Ich habe dann aus dem
-
Fenster geguckt und gelauscht und
festgestellt: Hier ist nichts. Ich habe
-
dann natürlich noch meine meine
Kolleginnen und Kollegen vor Ort direkt
-
gefragt, ob es hier irgendwelche Angriffe
schon gab. Und das wurde verneint. Das
-
heißt ja, diese Informationen kamen zu
früh. Später am Abend war es dann auch
-
tatsächlich so, dass es Angriffe gab in
Qamişlo, aber zu dem Zeitpunkt, als mich
-
die Nachricht erreichte, dass Qamişlo
gerade angegriffen wird, war es eben nicht
-
so.
RN: Da stellt sich natürlich die Frage:
-
Wie gehen wir eigentlich mit Onlinequellen
um? Wie können wir eine Lagebewertung
-
vornehmen, und wie können wir solche
Ereignisse dann auch verifizieren?
-
SJ: Ich sage noch kurz dazu, wie wir das
direkt bei Cadus machen. Genau was Fee
-
beschrieben hat, ist für uns natürlich die
Situation. Wir hatten noch Leute in der
-
Region und haben diese blöde Geschichte
von Privilegien. Wir können natürlich
-
entscheiden, ob wir gehen, ob wir nicht
gehen. Das können viele Menschen, viele
-
lokale Menschen halt nicht. Für uns die
Entscheidung, können wir gehen. Wenn, dann
-
wie und über welche Wege. Da verlassen wir
uns nicht nur auf uns selber, sondern
-
natürlich auch auf Netzwerke und Anbieter.
Einer dieser Anbieter ist zum Beispiel
-
INSO, die International NGO Security
Organisation. Die sitzt mit richtig vielen
-
Angestellten da und macht genau das, was
wir gleich erklären, was wir auch in klein
-
machen, nämlich eine Quellenanalyse. Die
sind 24/7 erreichbar. Alle incidents
-
nehmen die auf, bewerten die. Das ist aber
eine Quelle, die ist Menschen vor Ort,
-
Locals, gar nicht zugänglich, sondern sie
ist nur für registrierte internationale
-
humanitäre Hilfsorganisationen zugänglich.
Das gibt's auch am freien Markt,
-
natürlich. Da könnte ich mir vorstellen,
das sind Summen, die man dafür ausgeben
-
muss, die haben auch nur große Firmen, die
sich Sicherheitsleistungen einkaufen. Wir
-
haben, gerade weil wir dachten, wir können
uns nicht nur darauf verlassen, dass
-
dieses Netzwerk, das für uns macht, auch
ein eigenes Lagezentrum eingerichtet. Das
-
hier sind jetzt Bilder bei uns aus dem
Büro im Holzmarkt. Wir haben sofort
-
gesagt: Okay, auch wir müssen jetzt 24/7
die Situation monitoren. Da gehört erst
-
mal eine ganze Menge gespendete Mate dazu.
Danke dafür ins Publikum. Dann geht es
-
darum, wirklich online diese Info-
Geschichten zu monitoren. Wir haben auch
-
versucht, diese Twitter-Accounts zu
monitoren. Wir haben natürlich auch andere
-
Homepages benutzt wie liveuamp etc., und
daraus versucht, noch zusätzlich zu den
-
professionellen Informationen für uns eine
ganz eigene Lageinformationen zu bekommen,
-
die wir unseren Leuten vor Ort und unter
anderem auch Fee zur Verfügung stellen
-
konnten. Wie man das macht, das erzählt
der Ruben jetzt nochmal.
-
RN: Genau. Im Prinzip stützen wir uns
dabei immer auf drei Pfeiler. Das eine ist
-
natürlich Open Source Intelligence, also
das, was wir aus dem Internet kriegen. Das
-
zweite ist Fachwissen, ganz klar. Das
dritte sind Kontakte vor Ort. Und wenn wir
-
eine Information wirklich zuverlässig
verifizieren wollen, dann brauchen wir
-
meistens alles davon. Wenn wir jetzt
nochmal das Panzer Video nehmen mit dem
-
Leopard, da ist es zum einen so, dass
unser Fachwissen uns natürlich sagt: Das
-
ist ein Leopard, den erkennt man relativ
einfach. Wir sind keine Waffennerds, aber
-
so ein bisschen Wissen ist da manchmal
hilfreich, um zu sehen: Womit hat man es
-
eigentlich zu tun? Dann erkennen wir auch
das Logo von der Gruppe in dem Bild schon
-
relativ einfach und häufig lässt sich dann
die Location von so einem Vorfall auch
-
irgendwie rekonstruieren. Da gibt es
verschiedene Möglichkeiten, das kann man
-
triangulieren. Da kann man auch lokale
Ressourcen fragen, die vielleicht
-
irgendwelche Häuser wiedererkennen, die
dann in dem Video auftauchen. D.h. ich
-
weiß dann: Wo hat so etwas stattgefunden.
Was auch manchmal ganz praktisch ist, ist
-
Bilder reverse zu suchen. Also irgendein
Bild ploppt irgendwo auf. Ich geb das
-
einfach in die reverse Suche bei Google
ein. Dann findet man manchmal nämlich
-
superschnell Fakes raus, weil teilweise
einfach Bilder von woanders genommen
-
werden, um irgendwas zu dramatisieren. Da
wird dann irgendwas behauptet, und man hat
-
irgendwelche Bilder, die eigentlich, was
weiß ich, aus dem Libanon-Krieg von vor 30
-
Jahren stammen. Das ist also so etwas, wo
ich versuchen kann, möglichst viel zu
-
verifizieren. Im Fall von diesen Panzern
war dann klar: Okay, die werden da
-
eingesetzt. Was einem aber auch immer klar
sein muss, ist, man muss die eigenen
-
Grenzen kennen von dem, was man eben auch
nicht sagen kann. Oft lässt man sich dann
-
verleiten, im Prinzip dann irgendwelche
anderen Annahmen zu treffen. Da komme ich
-
dann später gleich nochmal drauf. Dass man
sich wirklich überlegen muss: Was wissen
-
wir, und was wissen wir auch nicht? Und
idealerweise stützen wir uns da immer auf
-
diese drei Pfeiler. Jetzt ist es so,
Fachwissen und Kontakte vor Ort. Die hat
-
man entweder, weil man viele Bücher
gelesen hat und viele gezuckerte Tees
-
getrunken hat vor Ort, oder man hat sie
eben nicht. Was man aber machen kann ist:
-
Man kann sich relativ schnell einarbeiten
in das, was sozusagen online verfügbar
-
ist. Das kann auch jeder machen. Jetzt
kriegt man aus einem herkömmlichen
-
Rettungsassistenten wie Seb nicht sofort
einen Nahost-Experten gebastelt. Aber es
-
gibt auch so ein paar Sachen, die man eben
machen kann. Zum einen hatten wir vorher
-
die Sprachen angesprochen, die da
irgendwie ein Problem sind. Da ist es
-
jetzt das Problem: Wir sprechen nicht alle
die Sprachen. Mittlerweile ist es aber so,
-
dass doch Online-Übersetzterdienste zum
Beispiel; eine ganz gute Hilfe sind, sich
-
dem zumindest anzunähern. Das ist
natürlich trotzdem gut, wenn man noch
-
Personen im Background hat, die das
tatsächlich können. Wir haben unseren
-
Analysten, der irgendwie Arabisch,
spricht, aber für so eine erste Annäherung
-
an die Inhalte reicht es meistens schon,
wenn man sich das online übersetzen lässt.
-
Wenn man sich dann seinen Recherche-
Baukasten bastelt, dann kann man sich zum
-
Beispiel bei seinem Twitter-Account diese
ganzen Sprachen einstellen, sodass man bei
-
einer Suche, die dann auch berücksichtigt.
Das ist extrem hilfreich, wenn man
-
möglichst viel von den Informationen
bekommen möchte. Was auch sehr hilfreich
-
ist, ist wenn man sich einen eigenen
Recherche-Account dafür macht, dass man
-
wirklich nur die Informationen in die
Timeline bekommt, die einen gerade
-
interessieren und dass man da den Quellen
folgt, die es vor Ort gibt. Da gibt es
-
unterschiedliche Quellen. Das eine sind
natürlich solche Dienstleister wie
-
angesprochen, Thinktanks, aber auch ganz
interessante Analysen von Privatpersonen.
-
Also es gibt super viele, zum Beispiel
ehemalige Mitarbeitende von NGOs,
-
WissenschaftlerInnen, die in den sozialen
Medien auch selber Analysen zur Verfügung
-
stellen, die sehr gut sind. Da muss man
nur ein bisschen angucken, welche
-
Interessen haben diese Personen dann. Was
natürlich auch immer eine gute Quelle ist,
-
sind Journalisten, Nachrichtenagenturen,
die vor Ort sind. Aber auch NGOs, wobei
-
man auch bei NGOs immer gucken muss: Was
haben die eigentlich für ein
-
Eigeninteresse? Und dann natürlich eine
Hülle und Fülle an lokalen Quellen, die
-
man auch sehr gut nutzen kann. Das sind
Privatpersonen, das sind Parteien, aber
-
auch Milizen, Initiativen, Funktionäre,
was auch immer. Das Problem da ist
-
jeweils: Das sind sehr schnelle Quellen,
oft sehr gute Quellen, weil wir darüber
-
Informationen kriegen, die wir sonst gar
nicht kriegen würden, wie z.B. eben, wenn
-
eine Miliz, wie schon erwähnt, so ein
Video ins Internet stellt, aber zum
-
anderen haben wir da auch das Problem,
dass man die immer nicht so richtig
-
einschätzen kann. So, jetzt haben wir
einen Haufen Informationen, müssen gucken,
-
wie gehen wir damit um. Dann muss ich die
erstmal Mappen. Es ist natürlich so, jede
-
Kriegshandlung ist schlimm, aber für uns
als NGO vor Ort ist vor allem schlimm,
-
wenn sie in unserer Nähe stattfindet. Kann
ich online wie offline oder in einem
-
eigenen Geo-Informationssystem für mich
aufbereiten. Davon weiß ich aber noch
-
lange nicht, ob sie wahr ist. Es gab einen
Vorfall, den fand ich ganz interessant,
-
das ist so eine Meldung. Ich war
felsenfest davon ausgegangen, dass das
-
Fake News ist. Das war ein Brief von
Donald Trump an den Irren vom Bosporus, wo
-
er so Sachen geschrieben hat wie "Don't be
a tough guy. Don't be a fool! I will call
-
you later". Ich war mir relativ sicher,
dass dieses Schreiben irgendwie ein joke
-
ist. Hab dann aber das quasi gegoogelt,
habe dieses Bild gesucht und habe das in
-
zahlreichen seriösen Quellen gefunden, das
ist bis heute nicht ganz klar, wer das
-
durchgestellt hat und ob das mit Absicht
veröffentlicht wurde. Klar ist aber: Das
-
stimmt. Deswegen immer gut, zwei Quellen
zu haben. Wenn ich diese zwei Quellen mir
-
suche, dann ist es immer gut, auch darauf
zu achten, dass die aus unterschiedlichen
-
Spektren sind. Das es nicht zwei Kämpfer
von derselben Einheit das getwittert
-
haben, oder so. Sondern ich schau: Naja,
die Miliz hat getwittert, aber ein
-
Journalist hat es eben auch gebracht. Dann
ist es wahrscheinlicher, dass es stimmt.
-
Also, wenn ich mir solche Quellen
anschaue, muss ich mich auch immer fragen:
-
Woher hat die Quelle die Info? Hab ich
diese unterschiedlichen Spektren bedient
-
oder ist das eh alles ein Brei, haben die
voneinander abgeschrieben? Ist die Quelle
-
lange bekannt? Wer glaubt der Quelle noch?
Und was auch immer wichtig ist, ist die
-
Gegenseite zu checken. Seb hat es vorhin
schon mal angesprochen: Raʾs al-ʿAin. Da
-
wurde relativ schnell vermeldet, dass die
Stadt eingenommen ist. Wir hatten unser
-
Team nur 30 Kilometer südlich, da ist
dazwischen nur freies Feld, und das ist
-
man mit einem Panzer schnell gefahren.
Deswegen haben wir uns natürlich Sorgen
-
gemacht, konnten dann aber über einen
Check mit der Gegenseite relativ schnell
-
feststellen, dass die kurdischen Einheiten
munter aktuelle Bilder aus Raʾs al-ʿAin
-
getwittert haben, die eben gezeigt haben,
dass die noch vor Ort sind. Deswegen muss
-
man sich auch immer fragen: Welches
Interesse hat eine Quelle, irgendwas zu
-
vermelden? Und da ist es natürlich klar,
dass Kräfte, die der Türkei nahe standen,
-
natürlich gerne schnell Erfolgsmeldungen
produziert hätten. Am Ende hat sich aber
-
herausgestellt, dass sie nur einen
Industriegebiet im Prinzip am Rande der
-
Stadt eingenommen hatten. Da ist auch
nochmal interessant mit dem Leopard-
-
Panzer. Wir haben vorhin schon
angesprochen: Was wissen wir eigentlich
-
und was wissen wir nicht? Das Spannende da
war ja auch nicht nur, werden die Panzer
-
dort eingesetzt, also schlimm genug, wenn
die sozusagen an der Seite von Islamisten
-
dort eingesetzt werden. Aber die Frage
war: Hat die Türkei Ihren Vertrag
-
verletzt, den sie mit Deutschland hat,
nämlich diese Panzer weiterzugeben oder
-
nicht weiterzugeben? Und da war es dann
so, dass mehrere Seiten das spannend
-
beobachtet haben, weil das wäre natürlich
ein Riesenskandal. Kurdische Einheiten
-
haben zum Teil relativ schnell vermeldet,
dass dort Leopard-Panzer bei den Rebellen
-
von der sogenannten Syrian National Army,
also der türkeinahen Miliz, eingesetzt
-
werden. Und da hat natürlich die
Bildzeitung einen Skandal gewittert und
-
hat dann auch einen Sprecher gefunden von
der SNA, der gesagt hat: Natürlich werden
-
wir von denen mit Panzern beliefert, das
ist alles ganz prima. Da könnte man jetzt
-
meinen, zwei Quellen gecheckt, Gegenseite
beachtet, alles super und wir neigen
-
natürlich dazu, auch so was dann für bare
Münze zu nehmen, weil es uns auch ganz gut
-
ins Konzept passt, kann man schön die
Bundesregierung kritisieren. Das Dumme war
-
nur, in dem Fall haben beide Seiten ein
Interesse daran gehabt, das so zu
-
vermelden. Die Gegenseite, die Kurden,
weil sie das skandalisieren können, die
-
Einheit selber, aber auch, weil sie
einfach so ein bisschen cool rüberkommen
-
wollte, zeigen wollte, wir haben hier
diese Panzer und sind hier im Prinzip gar
-
keine komische islamistische Miliz, die
man auf eine Terrorliste schreiben könnte.
-
Was nicht passiert, weil man dem Irren vom
Bosporus einen Gefallen tun will. Sondern
-
sie wollten sich framen als quasi "proper"
Armee, der man auch Panzer geben kann. Das
-
Dumme war nur, dass dann ein anderer
Sprecher dieser Syrian National Army
-
gesagt hat, die haben wir gar nicht. Diese
Fahrzeuge gehören der türkischen Armee,
-
und das waren Bilder, die nur in der
Kampfpause gemacht wurden, als Erinnerung
-
für die Kämpfer von der SNA. Da muss man
immer sehr genau hinschauen, wenn man
-
solche Bilder hat, wenn man solche
Meldungen hat. Was ist tatsächlich da
-
dran? Und dafür ist es wiederum wichtig,
sich auf diese drei Pfeiler zu stützen,
-
dass man die kombiniert und dann sich
einer Warheit zumindest annähern kann. Da
-
gibt es aber eine Sache, die man dann auch
noch beachten muss, die wir zum Schluss
-
nicht vergessen wollen. Da sagt Seb
nochmal was dazu.
-
SJ: Genau. Also im Endeffekt ist es für
uns als Organisation so, wir können jetzt
-
viel darüber reden, wie macht das
eigentlich Quellenanalyse und Blabla. Am
-
Ende des Tages ist es so, irgendwann sind
alle übernächtigt, irgendwann sind alle
-
über emotionalisiert natürlich auch. Nicht
nur wegen der Leute von uns, die da sind,
-
sondern auch nach fünf Jahren ist man in
so einer Region einfach ganz, ganz extrem
-
emotional verbandelt. Das heißt
tatsächlich auch bei uns kommt mal eine
-
ganz, ganz andere Unschärfe rein, mit der
man immer rechnen muss, die man aus der
-
Berichterstattung unserer Quellenanalysen
ganz überhaupt nicht herausbekommt.
-
RN: Dann muss man sich auch immer fragen:
Ist irgendwie gerade biased? Das ist das
-
eine. Das andere ist aber auch, dass man
natürlich im Eifer des Gefechts... es
-
kommen sehr viele Informationen rein, man
will natürlich sehr schnell das irgendwie
-
umsetzen. Und deswegen ist es ganz
wichtig. Das ist eigentlich im Prinzip
-
etwas total Simples, was aber, wie gesagt,
im Eifer des Gefechts sehr schnell
-
untergeht, das ist, Informationen zu
klassifizieren. Also wenn ich die
-
reingeschossen kriege, das ich mir
wirklich überlegt, was davon ist eine
-
gesicherte Informationen, wo ich die
Quelle kenne? Und was ist einfach ein
-
Gerücht von einer unbekannten Quelle? So,
das ist das, was eigentlich
-
selbstverständlich ist, was aber dann doch
sehr schnell untergeht und wo man sich
-
wichtigerweise immer wieder dran erinnern
muss. Ein letzter Punkt, ganz kurz noch
-
angerissen. Das freut sicherlich die Nerds
hier in der Community, das ist OPSEC,
-
Operational Security. Da ist es so, dass
das auch was ist, das können wir jetzt
-
nicht ausführen, das kann man nur
anreißen. Aber es gab z.B. auch in Syrien
-
ein paar Jahre zuvor mal das Selfie des
Todes. Da hat eine IS Einheit im Prinzip
-
ein Selfie gemacht, das ins Internet
gestellt. Vergessen, die Geodaten zu
-
löschen. Und das hat ein paar Stunden
gedauert, dann war die Rakete da. Also
-
auch das sind Fragen, mit denen man sich
auseinandersetzen muss. Was wir jetzt hier
-
in der Kürze der Zeit noch machen konnten,
ist, diese ganzen Themen anzureisen. Wir
-
wollen eigentlich auch gar nicht groß
irgendwelche Wahrheiten verkünden, sondern
-
uns ging es einfach darum, diese
Fragestellung in Raum zu stellen. Wir sind
-
jetzt auch die nächsten Tage hier auf dem
Kongress präsent und freuen uns da auch
-
über euren Input. Wir sind im Open
Infrastructure Orbit, besucht uns da an
-
unserem Stand. Wir freuen uns über
Anregungen und alles, was ihr sozusagen an
-
Input für uns habt, und sind damit im
Prinzip am Ende.
-
Applaus
-
Herald: Vielen Dank an Seb, entschuldige,
Sebastian und Ruben. Wer Fragen hat, der
-
kann bitte sich an die Mikrofone
einreihen. Mein Signalangel hat zwei
-
Fragen. Wir müssen mal gucken, wie viel
Zeit wir noch haben. Dann bitte.
-
Signalangel: Ja danke. Ich stelle die
erste Frage, weil sie mehrfach gestellt
-
wurde. Gibt es Äußerungen der
Kriegsparteien mit welcher Begründung auch
-
Ambulanzen beschossen wurden?
SJ: Nein, dann würden sie es ja zugeben,
-
dass sie es tun. Das gibt niemand
offiziell zu eine Ambulanz zu beschießen,
-
da gibt es keine Äußerungen zu.
RB: Meistens ist es schon relativ logisch,
-
wer es war, weil zum Beispiel nur begrenzt
Kräfte dort z.B. über Luftwaffen und
-
Drohnen verfügen. Und wenn man dann einen
Einschlag hat, der ja, im Prinzip von
-
einem Geschoss einer Drohne sich
rekonstruieren lässt, dann ist schon
-
relativ klar, wer das gewesen ist. Aber
zugeben werden die das sicher nicht.
-
Herald: Dann die zweite Frage.
Signalangel: Gerne. Wie werden helfende
-
Zivilisten an Ort und Stelle gebracht und
welche Fertigkeiten werden vor Ort am
-
meisten gesucht?
SJ: Dazu würde ich sagen, wir helfen mit
-
Zivilisten. Fertigkeiten, die gesucht
werden, sind wenn, dann schon
-
hochspeziell. Wir entsenden auch nur
Mediziner, Medizinerinnen, die vor Ort
-
einen Mehrwert haben. Es gibt ein
existentes Gesundheitssystem. Das ist zwar
-
überlastet, aber grundsätzlich muss man
auch überlegen, ins Kriegsgebiet zu gehen.
-
Klingt nach Abenteuer, ist aber
tatsächlich ein Punkt, der sehr, sehr viel
-
Vorbereitung braucht. Wir bereiten unsere
Teams sehr, sehr lange vor. Man muss bei
-
so einer Entscheidung immer überlegen, ob
man vor Ort einen tatsächlichen Mehrwert
-
bringt oder die Strukturen nur belastet.
Da kann Fee ein Lied von singen. Wenn man
-
sich tatsächlich um viele Menschen kümmern
muss, die vielleicht nur über Ausbildung
-
verfügen, die es vor Ort gibt, dann ist
mit Sicherheit eine andere Hilfe sehr viel
-
sinnvoller.
RB: Das vielleicht auch noch ganz kurz.
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Wichtig ist, was man natürlich machen kann
ist da Geld hinspenden und das
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organisieren. Das ist tatsächlich super
wichtig, vor allem auch deswegen, weil es
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da so eine komplexe Lage ist. Vor Ort ist
es nämlich so, dass internationale
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Organisationen, das UN-Gelder, das Gelder
z.B. vom Auswärtigen Amt teilweise sehr
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schwer dort verteilt werden können, weil
man ja nicht allzu sehr den Verrückten vom
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Bosporus provozieren möchte und es dann
eben dort für die Strukturen vor Ort für
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Heyva Sor A Kurd z.B. sehr schwer ist, an
Gelder überhaupt zu kommen und auch für
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Cadus es so ist, dass für bestimmte Dinge
es einfach Spendenbasiert funktionieren
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muss. Deswegen ist das natürlich eine
super wichtige Sache.
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SJ: Also nochmal, wir senden z.B.
ChirurgInnen, die wirklich die
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Facherfahrung haben, auch vor Ort zum
Beispiel mit den Kriegsverletzung umgehen
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zu können oder bei uns im Feldkrankenhaus
und dementsprechend die Erfahrung haben,
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da mit den lokalen Mitarbeitenden zusammen
Mehrwert darzustellen.
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Herald: Dann gebt doch nochmal einen
großen Applaus an Fee, Ruben und Seb.
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Applaus
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Abspannmusik
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Untertitel erstellt von c3subtitles.de
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