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Warum sollte man Sylvia Plath lesen? – Iseult Gillespie

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    "Von der Spitze jedes Zweiges
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    winkte und zwinkerte
    wie eine dicke lila Feige
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    eine wunderbare Zukunft ...
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    Aber eine davon zu wählen,
    hieß, den Rest zu verlieren,
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    und als ich dort saß,
    unfähig, zu entscheiden,
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    wurden die Feigen runzelig und schwarz
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    und fielen eine nach der anderen
    zu meinen Füßen auf die Erde."
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    In dieser Passage
    aus Sylvia Plaths "Die Glasglocke"
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    stellt sich eine junge Frau
    eine ungewisse Zukunft vor
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    und äußert sich zu der universellen Angst,
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    durch die Aussicht auf eine
    Fehlentscheidung gelähmt zu werden.
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    Obwohl Plath andere Berufe erwog,
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    wählte sie die Schriftstellerlaufbahn.
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    Poesie war ihre Berufung.
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    Unter ihrem scharfen Blick und Stift
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    wurden Alltagsobjekte
    zu eindringlichen Bildern:
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    eine "neue Statue im windigen Museum",
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    ein Schatten im Spiegel, ein Stück Seife.
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    Plath war hochintelligent,
    scharfsinnig und geistreich,
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    doch wurden bei ihr
    Depressionen diagnostiziert.
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    Sie benutzte die Poesie,
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    um ihre Seelenzustände
    auf sehr persönliche Art zu erkunden.
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    Ihre atemberaubenden Sichtweisen
    auf Gefühle, Natur und Kunst
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    üben bis heute fesselnde Strahlkraft aus.
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    In "Der Koloss", ihrer
    ersten Gedichtsammlung,
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    schrieb sie von einem Gefühl des Nichts:
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    "Weiß: Es ist ein Kolorit des Geistes."
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    Gleichzeitig fand sie Trost in der Natur:
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    von "blauem Nebel, der am See zerrt,"
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    über weiße Blüten,
    die "aufragen und stürzen",
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    hin zu blauen Muscheln,
    die "klumpten wie Knollen".
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    Nach "Der Koloss" erschien
    ihr einziger Roman, "Die Glasglocke".
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    Er beschreibt ihre Zeit
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    bei der New Yorker
    Modezeitschrift "Mademoiselle"
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    während ihres Studiums.
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    Der Roman folgt seiner Heldin Esther,
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    als sie in eine schwere
    depressive Phase gerät.
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    Er schildert aber auch
    boshaft und geistreich
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    versnobte Modepartys
    und Rendezvous mit farblosen Männern.
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    Kurz nach der Veröffentlichung
    von "Die Glasglocke"
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    nahm sich Plath mit 30 Jahren das Leben.
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    Zwei Jahre später
    erschien die Gedichtsammlung,
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    die sie kurz vor ihrem Tod
    in einem Schaffensrausch schrieb,
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    unter dem Titel "Ariel".
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    Sie gilt als ihr Meisterwerk
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    und veranschaulicht
    die Ehrlichkeit und Fantasie,
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    mit der Plath ihren Schmerz artikulierte.
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    In einem der kraftvollsten Gedichte
    der Sammlung, "Lady Lazarus",
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    erforscht sie ihre Versuche,
    sich durch Lazarus das Leben zu nehmen,
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    die biblische Gestalt,
    die von den Toten auferstand.
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    Sie schreibt:
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    "Und ich, eine lächelnde Frau,
    bin erst dreißig,
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    und hab', wie die Katze,
    neun Leben zu sterben."
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    Aber das Gedicht ist auch
    ein Beleg fürs Überleben:
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    "Ich steige auf mit roten Haar
    und esse Männer ganz und gar."
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    Diese kompromisslose Sprache
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    macht Plath zu einem wichtigen Maßstab
    für zahllose Leser und Autoren,
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    die zu Themen wie Traumata,
    Frustrationen und Sexualität
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    nicht länger schweigen wollten.
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    "Ariel" ist auch voll anrührender Gedanken
    zu Liebe, Leid und Kreativität.
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    Das Titelgedicht beginnt so:
    "Stillstand in der Dunkelheit.
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    Dann körperlos blauer Schauer
    von Fels und Entfernungen."
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    Das ist die Kulisse für einen
    frühmorgendlichen nackten Ausritt,
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    eine von Plaths denkwürdigsten Bekundungen
    der Euphorie durch kreative Freiheit.
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    Aber das Gedicht birgt auch
    unheilverkündende Bilder
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    wie "Der Kinderschrei
    verschwimmt in der Wand"
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    und das "rote Auge,
    Hexenkessel des Morgens".
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    Dieses Dunkel zieht sich
    durch die gesamte Sammlung,
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    die brisante Verweise auf den Holocaust
    und die Kamikaze enthält.
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    Selbst Relikte aus
    scheinbar besseren Zeiten
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    erweisen sich als Kreuzigung der Autorin:
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    "Mein Mann, mein Kind,
    vom Familienfoto herüberlächelnd,
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    ihr Lächeln verfängt sich in meiner Haut
    wie lächelnde kleine Haken."
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    Dauerthemen ihrer späteren Gedichte
    sind ihre häusliche Unzufriedenheit
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    und die schlechte Behandlung
    durch ihren Mann.
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    Nach ihrem Tod erbte er ihren Besitz
    und wurde beschuldigt,
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    einen Teil ihrer Werke
    nicht veröffentlicht zu haben.
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    Trotz dieser möglichen Unterschlagungen
    und Plaths frühen Todes
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    zählt das erhaltene Werk
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    zum Außergewöhnlichsten
    der Dichtung des 20. Jahrhunderts.
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    Plaths Werk schockiert
    durch seinen Zorn und seine Traumata.
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    Dabei beruft sie ihre Leser als Zeugen --
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    nicht nur der Wahrheit ihres Seelenlebens,
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    sondern ihrer erstaunlichen Fähigkeit,
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    das oft Unaussprechliche auszusprechen.
Title:
Warum sollte man Sylvia Plath lesen? – Iseult Gillespie
Speaker:
Iseult Gillespie
Description:

Die ganze Lektion unter: https://ed.ted.com/lessons/why-should-you-read-sylvia-plath-iseult-gillespie

Sylvia Plath verwandelte mit scharfem Blick und Stift Alltagsgegenstände in eindringliche Bilder: eine „neue Statue im windigen Museum", ein Schatten im Spiegel, ein Stück Seife. Ihre atemberaubenden Perspektiven und ihre kompromisslose Sprache machten sie zu einem Maßstab für Leser, die das Schweigen über Fragen zu Traumata, Frustrationen und Sexualität brechen wollen. Iseult Gillespie erzählt, warum Plaths Werk nach wie vor fesselt.

Lektion von Iseult Gillespie, unter Regie von Sarah Saidan.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TED-Ed
Duration:
04:30

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