VS Ramachandran: Die Neuronen, die die Zivilisation formten
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0:00 - 0:03Heute möchte ich Ihnen gern über das menschliche Gehirn erzählen,
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0:03 - 0:05das wir an der Universität von Kalifornien untersuchen.
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0:05 - 0:07Denken Sie einmal eine Sekunde über dieses Problem nach!
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0:07 - 0:10Da ist ein Klumpen Fleisch von etwa 1,4 kg,
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0:10 - 0:12den Sie auf Ihrer Handfläche halten können.
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0:12 - 0:16Aber er kann über die Weite des interstellaren Raumes nachdenken.
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0:16 - 0:18Er kann über die Bedeutung der Unendlichkeit nachdenken,
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0:18 - 0:21Fragen über die Bedeutung seiner eigenen Existenz stellen
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0:21 - 0:23und über die Natur Gottes.
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0:23 - 0:25Und das ist wahrhaftig die verblüffendste Sache der Welt.
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0:25 - 0:28Es ist das größte Mysterium, dem menschliche Wesen gegenüberstehen:
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0:28 - 0:30Wie kommt das alles zustande?
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0:30 - 0:32Gut, das Gehirn besteht, wie Sie wissen, aus Neuronen.
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0:32 - 0:34Hier sehen wir Neuronen.
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0:34 - 0:37Es gibt 100 Milliarden Neuronen im erwachsenen menschlichen Gehirn.
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0:37 - 0:40Und jedes Neuron steht in Kontakt
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0:40 - 0:42mit so etwa 1.000 bis 10.000 anderen Neuronen im Gehirn.
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0:42 - 0:44Und auf dieser Basis hat man berechnet,
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0:44 - 0:47dass die Anzahl von Permutationen und Kombinationen der Gehirnaktivität
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0:47 - 0:50die Anzahl der Elementarteilchen im Universum übersteigt.
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0:50 - 0:52Wie macht man sich also daran, das Gehirn zu erforschen?
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0:52 - 0:54Ein Einstieg ist, Patienten mit Verletzungen in verschiedenen Gehirnpartien
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0:54 - 0:57zu beobachten und Änderungen in ihrem Verhalten zu studieren.
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0:57 - 0:59Darüber habe ich auf der letzten TED gesprochen.
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0:59 - 1:01Heute werde ich über eine andere Herangehensweise sprechen,
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1:01 - 1:03nämlich Elektroden in verschiedenen Gehirnpartien anzubringen
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1:03 - 1:07und die Aktivität einzelner Nervenzellen im Gehirn effektiv aufzuzeichnen.
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1:07 - 1:11Das ist wie das Belauschen von Nervenzellen im Gehirn.
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1:11 - 1:14Nun, eine jüngere Entdeckung,
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1:14 - 1:16die von Forschern in Italien, in Parma,
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1:16 - 1:19von Giacomo Rizzolatti und seinen Kollegen gemacht wurde,
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1:19 - 1:21ist eine Gruppe von Neuronen, Spiegelneuronen genannt,
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1:21 - 1:24die sich im Vorderteil des Gehirns befinden, in den Frontallappen.
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1:24 - 1:26Nun, es stellt sich heraus, es gibt Neuronen,
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1:26 - 1:29die gewöhnliche motorische Befehlsneuronen genannt werden, im Vorderteil des Gehirns,
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1:29 - 1:31die man schon seit über 50 Jahren kennt.
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1:31 - 1:34Diese Neuronen feuern, wenn jemand eine bestimmte Handlung ausführt.
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1:34 - 1:37Wenn ich das zum Beispiel tue und aushole und einen Apfel ergreife,
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1:37 - 1:41wird ein motorisches Befehlsneuron in meinem Gehirn feuern.
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1:41 - 1:44Wenn ich aushole und einen Gegenstand heranhole, wird ein anderes Neuron feuern,
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1:44 - 1:46das mir befiehlt, den Gegenstand heranzuholen.
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1:46 - 1:48Diese nennt man motorische Befehlsneuronen, die man schon geraume Zeit kennt.
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1:48 - 1:50Was aber Rizzolatti fand, war,
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1:50 - 1:52dass eine Teilmenge dieser Neuronen,
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1:52 - 1:54vielleicht etwa 20 Prozent davon, ebenfalls feuert,
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1:54 - 1:57wenn ich jemandem zusehe, der die gleiche Handlung ausführt.
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1:57 - 2:00Hier ist also ein Neuron, das feuert, wenn ich aushole und etwas ergreife,
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2:00 - 2:03aber es feuert auch, wenn ich Joe beobachte, wie er ausholt und etwas ergreift.
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2:03 - 2:05Und das ist wahrlich verblüffend,
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2:05 - 2:07denn es ist, als ob dieses Neuron
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2:07 - 2:09den Gesichtspunkt der anderen Person annähme.
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2:09 - 2:13Es ist fast, als ob es eine Simulation in virtueller Realität
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2:13 - 2:15der Aktion der anderen Person durchführte.
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2:15 - 2:18Nun, was ist die Bedeutung dieser Spiegelneuronen?
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2:18 - 2:21Zumindest müssen sie an Dingen wie Imitation und Emulation beteiligt sein.
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2:21 - 2:24Denn um einen komplexen Akt zu imitieren,
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2:24 - 2:27muss mein Gehirn die Perspektive der anderen Person annehmen.
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2:27 - 2:29Also ist das wichtig für Imitation und Emulation.
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2:29 - 2:31Gut, warum ist das wichtig?
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2:31 - 2:34Nun, sehen wir uns das nächste Dia an!
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2:34 - 2:37Also, wie imitieren Sie? Warum ist Imitation wichtig?
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2:37 - 2:39Spiegelneutronen und Imitation, Emulation.
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2:39 - 2:43Nun, betrachten wir Kultur, das Phänomen der menschlichen Kultur!
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2:43 - 2:47Wenn Sie ungefähr 75.000 bis 100.000 Jahre in der Zeit zurückgehen,
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2:47 - 2:49in Hinblick auf die menschliche Evolution, da zeigt sich,
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2:49 - 2:52dass etwas sehr Wichtiges geschehen ist vor ungefähr 75.000 Jahren.
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2:52 - 2:54Und das ist ein plötzliches Auftreten und eine rasche Verbreitung
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2:54 - 2:57einer Anzahl von Fertigkeiten, die für Menschen einzigartig sind,
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2:57 - 2:59wie der Gebrauch von Werkzeugen,
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2:59 - 3:02der Gebrauch des Feuers, der Gebrauch von Unterkünften und, natürlich, die Sprache
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3:02 - 3:04und die Fähigkeit, die Absicht einer anderen Person zu lesen
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3:04 - 3:06und das Verhalten dieser Person zu deuten.
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3:06 - 3:08All dies geschah relativ schnell.
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3:08 - 3:11Obwohl das menschliche Gehirn seine heutige Größe
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3:11 - 3:13schon vor drei- oder vierhunderttausend Jahren erreicht hatte,
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3:13 - 3:15geschah all das vor 100.000 Jahren sehr, sehr schnell.
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3:15 - 3:18Und ich behaupte, dass das, was geschah,
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3:18 - 3:21das plötzliche Auftreten eines hoch entwickelten Spiegelneuronensystems war,
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3:21 - 3:23das es erlaubte, Handlungen anderer Personen zu emulieren und zu imitieren.
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3:23 - 3:27Wenn es also zu einer plötzlichen, zufälligen Entdeckung
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3:27 - 3:30durch ein Mitglied der Gruppe kam, etwa dem Gebrauch von Feuer
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3:30 - 3:32oder einer bestimmten Art von Werkzeug, verfiel diese nicht dem Vergessen
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3:32 - 3:35sondern verbreitete sich rasch horizontal über die Bevölkerung
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3:35 - 3:38oder wurde vertikal an die nachfolgenden Generationen weitergegeben.
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3:38 - 3:40Das machte die Evolution plötzlich Lamarckisch
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3:40 - 3:42statt Darwinisch.
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3:42 - 3:45Darwinische Evolution ist langsam; sie braucht hunderttausende Jahre.
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3:45 - 3:47Ein Eisbär braucht, um einen Pelz zu entwickeln,
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3:47 - 3:50tausende Generationen, vielleicht hunderttausend Jahre.
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3:50 - 3:53Ein menschliches Wesen, ein Kind, kann einfach seinem Vater zusehen,
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3:53 - 3:56wie der einen weiteren Eisbären tötet,
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3:56 - 3:59ihn häutet und die Haut auf seinen Körper legt, das Fell auf der Körperseite,
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3:59 - 4:01und das alles auf einmal lernen. Was den Eisbären
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4:01 - 4:03100.000 Jahre des Lernens gekostet hat,
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4:03 - 4:06kann es in fünf Minuten lernen, vielleicht in zehn Minuten.
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4:06 - 4:08Und dann, wenn es einmal gelernt ist, verbreitet es sich
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4:08 - 4:11in geometrischer Progression über eine Bevölkerung.
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4:11 - 4:14Das ist die Basis. Die Imitation komplexer Fertigkeiten ist,
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4:14 - 4:17was wir Kultur nennen, und die Basis der Zivilisation.
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4:17 - 4:19Nun gibt es noch eine Art von Spiegelneuronen,
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4:19 - 4:21die mit etwas ganz anderem zu tun haben.
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4:21 - 4:23Und das ist, es gibt Spiegelneuronen,
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4:23 - 4:26ebenso wie es Spiegelneuronen für die Aktion gibt, gibt es Spiegelneuronen für die Berührung.
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4:26 - 4:28Mit anderen Worten, wenn jemand mich berührt,
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4:28 - 4:30meine Hand, feuert ein Neuron im sensorischen Cortex
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4:30 - 4:32in der sensorischen Region des Gehirns.
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4:32 - 4:35Aber dasselbe Neuron wird in einigen Fällen feuern,
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4:35 - 4:37wenn ich einfach zusehe, wie eine andere Person berührt wird.
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4:37 - 4:40Also ist das ein Einfühlen in die andere Person, die berührt wird.
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4:40 - 4:42Es werden also die meisten davon feuern, wenn ich an verschiedenen Stellen
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4:42 - 4:45berührt werde. Verschiedene Neuronen für verschiedene Stellen.
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4:45 - 4:47Aber eine Teilmenge davon wird feuern, wenn ich zusehe,
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4:47 - 4:49wie jemand anderer an derselben Stelle berührt wird.
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4:49 - 4:51Wir haben also hier wiederum Neuronen,
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4:51 - 4:53die mit dem Einfühlen zu tun haben.
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4:53 - 4:56Nun stellt sich die Frage: Wenn ich einfach zusehe, wie eine andere Person berührt wird,
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4:56 - 5:00warum bin ich nicht verwirrt und habe buchstäblich dieses Berührungsgefühl
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5:00 - 5:02vom bloßen Zusehen, wie jemand berührt wird?
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5:02 - 5:06Das heißt, ich fühle mit dieser Person, aber ich fühle nicht buchstäblich die Berührung.
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5:06 - 5:08Nun, das ist so, weil man Rezeptoren in der Haut hat,
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5:08 - 5:10Berührungs - und Schmerzrezeptoren, die zum Gehirn führen
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5:10 - 5:13und sagen: „Keine Sorge, du wirst nicht berührt!
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5:13 - 5:16Fühle also, auf alle Fälle, mit der anderen Person,
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5:16 - 5:18aber erfahre nicht die Berührung,
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5:18 - 5:20sonst wirst du verwirrt und durcheinandergebracht.“
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5:20 - 5:22Also gut, es gibt ein Rückkopplungssignal,
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5:22 - 5:24das das Signal des Spiegelneurons außer Kraft setzt
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5:24 - 5:27und dich davor bewahrt, diese Berührung bewusst zu erfahren.
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5:27 - 5:30Wenn man aber den Arm entfernt, einfach meinen Arm betäubt,
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5:30 - 5:32wenn man mir eine Injektion in meinen Arm gibt,
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5:32 - 5:34den Plexus betäubt, auf dass der Arm empfindungslos ist,
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5:34 - 5:36und es kommt kein Gefühl herein,
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5:36 - 5:38wenn ich nun beobachte, wie jemand berührt wird,
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5:38 - 5:40fühle ich es buchstäblich in meiner Hand.
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5:40 - 5:42In anderen Worten, man hat die Barriere
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5:42 - 5:44zwischen einem selbst und anderen menschlichen Wesen aufgelöst.
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5:44 - 5:47Daher nenne ich sie Gandhi-Neuronen oder Empathieneuronen.
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5:47 - 5:48(Gelächter)
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5:48 - 5:51Und das ist nicht in irgendeinem metaphorischen Sinn gemeint –
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5:51 - 5:53alles was dich von ihm trennt,
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5:53 - 5:55von der anderen Person, ist deine Haut.
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5:55 - 5:59Entferne die Haut, und du fühlst die Berührung jener Person in deinem Verstand.
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5:59 - 6:02Du hast die Barriere zwischen dir und anderen menschlichen Wesen aufgelöst.
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6:02 - 6:04Und das ist natürlich die Basis eines großen Teils östlicher Philosophie,
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6:04 - 6:07nämlich dass es kein wirkliches unabhängiges Selbst gibt,
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6:07 - 6:09fern von anderen menschlichen Wesen, das die Welt beobachtet,
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6:09 - 6:11andere Personen beobachtet.
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6:11 - 6:14Man ist tatsächlich verbunden, nicht nur über Facebook und Internet,
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6:14 - 6:17man ist wirklich ganz buchstäblich durch seine Neuronen verbunden.
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6:17 - 6:20Und es gibt ganze Ketten von Neuronen in diesem Bereich, die miteinander sprechen.
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6:20 - 6:22Und es gibt keine wirkliche Unterscheidung
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6:22 - 6:24zwischen dem eigenen Bewusstsein und dem von jemand anderem.
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6:24 - 6:26Und das ist keine Hokus-Pokus-Philosophie.
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6:26 - 6:29Sie ergibt sich aus unserem Verständnis der grundlegenden Neurologie.
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6:29 - 6:32So, wenn man einen Patienten mit einem Phantom-Glied hat – wenn der Arm entfernt wurde
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6:32 - 6:34und du ein Phantom hast und dann siehst, wie jemand
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6:34 - 6:36berührt wird, fühlst du es in deinem Phantom.
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6:36 - 6:38Nun, das Verblüffende ist:
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6:38 - 6:41Wenn du Schmerzen in deinem Phantom-Glied hast und die Hand der anderen Person drückst,
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6:41 - 6:43die Hand der anderen Person massierst,
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6:43 - 6:45verringert das den Schmerz in deiner Phantom-Hand,
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6:45 - 6:47fast als ob das Neuron
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6:47 - 6:49Erleichterung empfinge vom bloßen
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6:49 - 6:51Beobachten der Massage von jemand anderem.
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6:51 - 6:54So, hier haben Sie mein letztes Dia!
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6:54 - 6:56Die längste Zeit haben die Menschen Naturwissenschaften
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6:56 - 6:58und Geisteswissenschaften als getrennte Gebiete betrachtet.
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6:58 - 7:01C. P. Snow sprach von den beiden Kulturen:
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7:01 - 7:03Naturwissenschaften auf der einen, Geisteswissenschaften auf der anderen Seite,
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7:03 - 7:05niemals würden die beiden zueinander finden.
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7:05 - 7:07Ich sage also, das Spiegelneuronensystem ist die Basis der Schnittstelle,
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7:07 - 7:10die uns erlaubt, über Themen nachzudenken wie Bewusstsein,
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7:10 - 7:12Repräsentation des Selbst,
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7:12 - 7:14darüber, was uns von anderen menschlichen Wesen trennt,
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7:14 - 7:16was uns erlaubt, mit anderen menschlichen Wesen zu fühlen,
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7:16 - 7:19und auch sogar Dinge wie die Entstehung der Kultur und Zivilisation,
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7:19 - 7:21die nur der Mensch entwickelt hat. Vielen Dank!
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7:21 - 7:23(Applaus)
- Title:
- VS Ramachandran: Die Neuronen, die die Zivilisation formten
- Speaker:
- Vilayanur Ramachandran
- Description:
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Der Neurobiologe Vilayanur Ramachandran skizziert die faszinierenden Funktionen von Spiegelneuronen. Erst kürzlich entdeckt, erlauben uns diese Neuronen, komplexe soziale Verhaltensweisen zu lernen, von denen einige die Grundlagen der menschlichen Zivilisation, wie wir sie heute kennen, formten.
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- English
- Team:
closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 07:25