Becky Blanton: Das Jahr in dem ich obdachlos war.
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0:00 - 0:03Ich bin Schriftstellerin und Journalistin
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0:03 - 0:06und außerdem eine wahnsinnig neugierige Person.
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0:06 - 0:08In 22 Jahren als Journalistin
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0:08 - 0:10habe ich viele neue Dinge gelernt.
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0:10 - 0:13Vor drei Jahren war eines, was ich lernte,
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0:13 - 0:16unsichtbar zu werden.
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0:16 - 0:19Ich wurde eine der arbeitenden Obdachlosen.
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0:19 - 0:21Ich gab meine Stelle als Zeitungsredakteurin auf,
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0:21 - 0:25nachdem mein Vater im Februar des gleichen Jahres gestorben war,
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0:25 - 0:28und entschied mich zu reisen.
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0:28 - 0:30Sein Tod hatte mich tief getroffen.
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0:30 - 0:34Und es gab viele Dinge, mit denen ich mich während der Reise intensiv beschäftigen wollte.
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0:34 - 0:36Ich war mein Leben lang campen gefahren. Und so entschied ich,
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0:36 - 0:38dass ein Jahr in einem Kleinbus zu leben
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0:38 - 0:40wie ein einziger langer Campingurlaub sein würde.
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0:40 - 0:43Also packte ich meine Katze, meinen Rottweiler
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0:43 - 0:47und meine Campingausrüstung in einen 1975er Chevy-Bus
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0:47 - 0:49und fuhr los, dem Sonnenuntergang entgegen,
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0:49 - 0:53ohne allerdings drei sehr wichtige Dinge zu beachten:
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0:53 - 0:551. Dass die Gesellschaft
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0:55 - 0:59das Leben in einer festen Behausung, ja selbst in einer Hütte,
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0:59 - 1:01mit dem Wert einer Person gleichsetzt.
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1:01 - 1:042. Ich merkte nicht, wie schnell
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1:04 - 1:06die negativen Wahrnehmungen anderer Menschen
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1:06 - 1:09mit unsere Realität kollidieren können, wenn wir es zulassen.
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1:09 - 1:113. Ich war mir nicht bewusst,
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1:11 - 1:13dass Obdachlosigkeit eine Einstellung
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1:13 - 1:16und kein Lebensstil ist.
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1:16 - 1:18Am Anfang war das Leben im Bus großartig.
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1:18 - 1:21Ich duschte auf Campingplätzen. Ich ging regelmäßig essen.
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1:21 - 1:25Und ich hatte Zeit zu entspannen und zu trauern.
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1:25 - 1:29Doch dann setzte die Wut und die Depression wegen meines Vaters Tod ein.
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1:29 - 1:32Mein freiberuflicher Job lief aus und ich musste eine Vollzeit-Stelle annehmen,
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1:32 - 1:34um meine Rechnungen zu bezahlen.
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1:34 - 1:36Was als milder Frühling begann,
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1:36 - 1:38wurde zu einem quälend heißen Sommer.
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1:38 - 1:40Und es wurde unmöglich, irgendwo zu parken,
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1:40 - 1:41(Gelächter)
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1:41 - 1:43ohne zu verraten,
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1:43 - 1:46dass ich eine Katze und einen Hund dabei hatte. Und es war wirklich enorm heiß.
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1:46 - 1:49Die Katze kam und ging durch ein offenes Fenster im Bus.
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1:49 - 1:51Das Hundchen ging in eine Hunde-Tagesbetreuung.
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1:51 - 1:53Und ich schwitzte.
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1:53 - 1:55Wann immer ich konnte, benutzte ich
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1:55 - 1:59die Duschen fürs Personal in Bürogebäuden und Raststätten.
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1:59 - 2:03Oder ich wusch mich in öffentlichen Toiletten.
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2:03 - 2:06Nachts wurde es im Bus kaum kälter als 26°C,
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2:06 - 2:09was es schwierig oder unmöglich machte zu schlafen.
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2:09 - 2:12Das Essen verdarb in der Hitze.
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2:12 - 2:15Das Eis in meiner Kühlbox schmolz innerhalb von Stunden,
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2:15 - 2:23und mein Leben war einfach erbärmlich.
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2:23 - 2:25Ich konnte mir keine Wohnung leisten,
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2:25 - 2:27jedenfalls keine, in der
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2:27 - 2:29der Rottweiler und die Katze erlaubt waren.
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2:29 - 2:31Ich weigerte mich, sie wegzugeben.
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2:31 - 2:37Also wohnte ich weiter ich im Bus.
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2:37 - 2:39Und immer wenn die Hitze mich zu schwach machte,
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2:39 - 2:42um nachts die 15 Meter zur öffentlichen Toilette
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2:42 - 2:44draußen vor meinem Bus zu gehen,
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2:44 - 2:47benutzte ich einen Eimer und eine Mülltüte als Toilette.
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2:47 - 2:50Mit Beginn des Winterwetters fielen die Temperaturen
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2:50 - 2:52unter den Gefrierpunkt. Und dort blieben sie.
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2:52 - 2:57Ich sah mich mit einer Reihe völlig neuer Herausforderungen konfrontiert.
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2:57 - 3:00Ich parkte jede Nacht woanders,
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3:00 - 3:03um nicht aufzufallen und Probleme mit der Polizei zu vermeiden.
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3:03 - 3:05Das gelang mir nicht immer.
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3:05 - 3:12Stattdessen fühlte ich, wie ich die Kontrolle über mein Leben verlor.
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3:12 - 3:16Ich weiß nicht, wann oder wie es geschah,
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3:16 - 3:18aber das Tempo, mit dem ich
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3:18 - 3:21von der talentierten Schriftstellerin und Journalistin
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3:21 - 3:24zur obdachlosen Frau im Bus wurde,
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3:24 - 3:26war atemberaubend.
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3:26 - 3:29Ich hatte mich nicht verändert. Mein IQ war nicht gesunken.
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3:29 - 3:35Meine Fähigkeiten, mein Charakter, meine Moralvorstellungen,
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3:35 - 3:38alles an mir war dasselbe geblieben.
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3:38 - 3:40Und doch hatte ich mich irgendwie verändert.
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3:40 - 3:43Ich versank zusehends tiefer in eine Depression.
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3:43 - 3:46Bis mich schließlich jemand auf eine Obdachlosen-Ambulanz hinwies.
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3:46 - 3:49Ich ging hin. Ich hatte mich drei Tage lang nicht gewaschen.
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3:49 - 3:53Ich roch und war deprimiert, genau wie jeder andere in der Warteschlange.
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3:53 - 3:56Ich war nicht betrunken oder high.
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3:56 - 3:59Und als einige der Obdachlosen,
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3:59 - 4:01darunter auch ein ehemaliger Universitätsprofessor, das merkten,
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4:01 - 4:05sagten sie, "Du bist gar nicht obdachlos. Warum bist du wirklich hier?"
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4:05 - 4:07Andere Obdachlose also sahen mich nicht als obdachlos an,
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4:07 - 4:10aber ich sah mich so.
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4:10 - 4:14Dann hörte sich der Professor meine Geschichte an und sagte,
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4:14 - 4:17"Du hast Arbeit. Du hast Hoffnung.
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4:17 - 4:21Echte Obdachlose haben keine Hoffnung."
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4:21 - 4:24Die Medikamente, die sie mir in der Ambulanz gegen meine Depressionen gaben,
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4:24 - 4:26führten bei mir zu Selbstmordgedanken. Und ich weiß noch, wie ich dachte:
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4:26 - 4:31"Wenn ich mich jetzt umbrächte, würde es niemand merken."
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4:37 - 4:42Eine Freundin erzählte mir kurz danach,
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4:42 - 4:44dass sie gehört hatte, wie Tim Russert,
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4:44 - 4:46ein hierzulande berühmter Journalist,
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4:46 - 4:48im Fernsehen über mich gesprochen hatte.
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4:48 - 4:50Ein Aufsatz, den ich über meinen Vater geschrieben hatte,
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4:50 - 4:54in dem Jahr, bevor er starb, war in Tims neuem Buch.
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4:54 - 4:57Er machte diese Talkshow-Runde. Und er sprach über meine Texte.
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4:57 - 5:01Und als ich mir bewusst machte, dass Tim Russert, der ehemalige Moderator von "Meet the Press",
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5:01 - 5:03über meine Texte sprach,
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5:03 - 5:05während ich in einem Bus auf einem Wal-Mart-Parkplatz lebte,
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5:05 - 5:07begann ich zu lachen.
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5:07 - 5:09Und auch Sie sollten lachen.
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5:09 - 5:10(Gelächter)
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5:10 - 5:12Ich begann zu lachen
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5:12 - 5:14weil es soweit gekommen war, dass ich mich fragte,
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5:14 - 5:17ob ich eine Schriftstellerin oder eine Obdachlose war.
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5:17 - 5:20Also ging ich in einen Buchladen. Und ich fand Tims Buch.
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5:20 - 5:23Ich stand da. Und ich las meinen Aufsatz noch einmal.
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5:23 - 5:25Und ich weinte.
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5:25 - 5:28Weil ich eine Schriftstellerin war.
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5:28 - 5:30Ich war eine Schriftstellerin.
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5:30 - 5:33Kurz darauf ging ich zurück nach Tennessee.
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5:33 - 5:36Mal schlief ich im Bus, mal übernachtet ich bei Freunden.
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5:36 - 5:39Und ich begann wieder zu schreiben.
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5:39 - 5:42Im Sommer des folgenden Jahres arbeitete ich wieder als Journalistin.
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5:42 - 5:45Ich gewann Preise. Ich lebte in meiner eigenen Wohnung.
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5:45 - 5:47Ich war nicht länger obdachlos.
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5:47 - 5:50Und ich war nicht länger unsichtbar.
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5:50 - 5:53Tausende Menschen arbeiten in Voll- und Teilzeitbeschäftigung
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5:53 - 5:55und leben in ihren Autos.
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5:55 - 5:58Aber nach wie vor stigmatisiert und kriminalisiert die Gesellschaft das
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5:58 - 6:01Leben im Fahrzeug oder auf der Straße.
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6:01 - 6:05Also bleiben die Obdachlosen, die arbeitenden Obdachlosen, meist unsichtbar.
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6:05 - 6:07Aber falls Sie jemals einem begegnen,
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6:07 - 6:11zeigen Sie Verständnis für ihn, ermutigen Sie ihn und geben Sie ihm Hoffnung.
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6:11 - 6:16Der Mensch kann eine Menge verkraften, wenn er Hoffnung hat.
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6:16 - 6:18Ich bin nicht hier, um ein Aushängeschild für Obdachlose zu sein.
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6:18 - 6:21Ich will Sie nicht ermutigen, dem nächsten Bettler, den Sie treffen, Geld zu geben.
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6:21 - 6:24Sondern ich bin hier, um Ihnen aufgrund meiner Erfahrungen zu sagen:
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6:24 - 6:27Was den Menschen ausmacht, ist nicht, wo er wohnt,
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6:27 - 6:29wo er schläft
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6:29 - 6:34oder in welcher Lebenssituation er sich jeweils gerade befindet.
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6:34 - 6:37Vor drei Jahren lebte ich noch in einem Kleinbus
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6:37 - 6:39auf einem Wal-Mart-Parkplatz.
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6:39 - 6:42Und heute spreche ich bei TED.
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6:42 - 6:47Hoffnung findet immer, immer einen Weg. Danke!
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6:47 - 6:49(Beifall)
- Title:
- Becky Blanton: Das Jahr in dem ich obdachlos war.
- Speaker:
- Becky Blanton
- Description:
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Becky Blanton hatte vor, ein Jahr in ihrem Kleinbus zu leben und sich das Land anzusehen, doch als ihre Depression einsetzte und ihre freiberufliche Stelle zu Ende ging, wurde ihr Camping-Reise zur Obdachlosigkeit. In diesem sehr persönlichen Vortrag beschreibt sie ihre Erfahrung, eine von Amerikas arbeitenden Obdachlosen zu werden.
- Video Language:
- English
- Team:
closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 06:49