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So fühlt es sich an, undercover in Nordkorea zu leben

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    2011, während der letzten 6 Monate
    von Kim Jong-Ils Leben,
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    lebte ich undercover in Nordkorea.
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    Ich bin in Südkorea, ihrem Feind,
    geboren und aufgewachsen.
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    Ich lebe in Amerika, ihrem anderen Feind.
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    Seit 2002 war ich
    ein paarmal in Nordkorea.
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    Mir ist klar geworden, dass,
    um über Nordkorea schreiben zu können,
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    oder es jenseits
    der Propaganda zu verstehen,
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    absolutes Eintauchen
    meine einzige Möglichkeit war.
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    Also tarnte ich mich
    als Lehrerin und Missionarin
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    an einer reinen
    Männeruniversität in Pjöngjang.
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    Die Universität Pjöngjang
    für Wissenschaft und Technologie
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    wurde von evangelischen
    Christen gegründet,
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    die mit dem Regime zusammenarbeiten,
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    um die Söhne der Elite auszubilden,
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    ohne Missionsarbeit,
    was dort ein Kapitalverbrechen ist.
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    Dort studierten 270 junge Männer,
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    von denen erwartet wurde,
    die zukünftigen Führer
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    der isoliertesten
    und brutalsten Diktatur zu werden.
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    Als ich ankam, wurden sie meine Studenten.
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    2011 war ein besonderes Jahr.
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    Es war das 100. Jubiläum des Geburtstages
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    von Nordkoreas erstem großen Führer,
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    Kim Il-Sung.
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    Zu diesem Anlass schloss
    das Regime alle Universitäten
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    und schickte alle Studenten
    nach draußen auf die Felder,
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    um Nordkoreas berühmtes Ideal,
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    die stärkste und wohlhabendste Nation
    der Welt zu sein, darzustellen.
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    Meine Studenten waren die Einzigen,
    denen das erspart blieb.
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    Nordkorea ist ein Gulag getarnt als Staat.
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    Alles dort dreht sich
    um den großen Führer.
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    Jedes Buch, jeder Zeitungsartikel,
    jedes Lied, jede TV-Sendung --
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    es gibt nur ein Thema.
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    Blumen sind nach ihm benannt,
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    in die Berge sind seine Parolen gemeißelt.
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    Jeder Bürger trägt zu jeder Zeit
    die Anstecknadel des großen Führers.
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    Sogar der Kalender beginnt
    mit der Geburt von Kim Il-Sung.
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    Die Schule war ein
    schwer bewachtes Gefängnis,
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    getarnt als Campus.
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    Lehrer durften nur in Begleitung
    von offiziellen Betreuern
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    Gruppenausflüge machen.
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    Selbst dann waren unsere Ausflüge
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    auf zugelassene
    Nationaldenkmäler beschränkt,
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    die den großen Führer feierten.
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    Die Studenten durften
    den Campus nicht verlassen
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    oder mit ihren Eltern in Kontakt treten.
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    Die Tage waren genau durchgeplant
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    und jegliche Freizeit wurde genutzt,
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    um den großen Führer zu ehren.
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    Stundenpläne musste erst
    das nordkoreanische Personal genehmigen;
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    jede Stunde wurde aufgenommen
    und es gab einen Bericht;
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    jedes Zimmer war verwanzt
    und jede Unterhaltung wurde belauscht.
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    Jede Lücke war mit Bildern
    von Kim Il-Sung und Kim-Jong-Il gefüllt,
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    so wie überall in Nordkorea.
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    Wir durften nie über die Welt
    da draußen sprechen.
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    Als Studenten der Wissenschaft und Technik
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    hatten viele Informatik als Hauptfach,
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    wussten aber nichts
    von der Existenz des Internets.
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    Sie hatten noch nie von Mark Zuckerberg
    oder Steve Jobs gehört.
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    Facebook, Twitter -- all das hatte
    für sie keine Bedeutung
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    und ich durfte ihnen nicht davon erzählen.
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    Ich ging nach Nordkorea,
    um die Wahrheit herauszufinden.
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    Aber wo soll man anfangen,
    wenn die Ideologie einer gesamten Nation,
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    das tägliche Leben meiner Studenten,
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    und sogar meine eigene Anstellung
    an der Universität
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    auf Lügen basierten?
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    Wir spielten ein Spiel:
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    "Wahrheit oder Lüge".
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    Ein Freiwilliger schrieb
    einen Satz an die Tafel
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    und die Studierenden rieten,
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    ob der Satz wahr oder falsch war.
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    Einmal schrieb ein Student: "Ich war
    letztes Jahr in China auf Urlaub",
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    und alle riefen: "Lüge!".
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    Sie alle wussten,
    dass das nicht möglich ist.
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    Nahezu kein Bürger Nordkoreas
    darf das Land verlassen.
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    Man braucht sogar für Reisen
    innerhalb von Nordkorea einen Reisepass.
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    Ich hatte gehofft, dass dieses Spiel
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    einige Wahrheiten über meine Studenten
    hervorbringen würde,
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    weil sie so oft und unbedacht lügen --
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    ob wegen der mythischen Leistungen
    ihres großen Führers
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    oder der Behauptung, sie hätten
    als 11-Jährige einen Hasen geklont.
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    Der Unterschied zwischen Wahrheit
    und Lüge schien ihnen manchmal vage.
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    Ich brauchte eine Weile,
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    bis ich die unterschiedlichen
    Arten von Lügen verstand.
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    Sie lügen, um ihr System
    vor der Außenwelt zu schützen,
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    oder ihnen wurden Lügen erzählt,
    die sie einfach nachplapperten.
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    Manchmal logen sie auch aus Gewohnheit.
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    Wenn jedoch all ihr Wissen
    nur aus Lügen besteht,
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    wie können wir erwarten,
    dass sie anders sind?
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    Als nächstes versuchte ich,
    ihnen Aufsatzschreiben beizubringen.
  • 5:52 - 5:55
    Das war jedoch nahezu unmöglich.
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    Beim Aufsatzschreiben geht es darum,
    eine eigene These aufzustellen
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    und evidenzbasierte Argumente zu bringen,
    um die These zu belegen.
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    Diesen Studenten jedoch wurde gesagt,
    was sie zu denken haben,
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    und sie gehorchten.
  • 6:10 - 6:13
    In ihrer Welt war
    kritisches Denken nicht erlaubt.
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    Ich trug ihnen auf, jede Woche
    einen persönlichen Brief zu schreiben.
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    An irgendjemanden.
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    Es dauerte lange, doch schlussendlich
    begannen einige zu schreiben:
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    an ihre Mutter, Freunde oder Freundin.
  • 6:30 - 6:33
    Obwohl es nur eine Hausaufgabe war
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    und die Briefe nie ihren Empfänger
    erreichen würden,
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    begannen meine Studenten, in den Briefen
    ihre wahren Gefühle zu offenbaren.
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    Sie schrieben, dass sie
    die Uniformität satt hätten.
  • 6:47 - 6:50
    Sie machten sich Sorgen über ihre Zukunft.
  • 6:50 - 6:55
    In den Briefen wurde
    der große Führer fast nie erwähnt.
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    Ich verbrachte meine ganze Zeit
    mit diesen jungen Männern.
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    Wir aßen gemeinsam, spielten Basketball.
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    Ich nannte sie oft Gentlemen,
    was sie zum Kichern brachte.
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    Sie erröteten, wenn
    von Mädchen die Rede war.
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    Und ich vernarrte mich in sie.
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    Zu sehen, wie sie sich mir gegenüber
    auch nur ein wenig öffneten,
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    war zutiefst berührend.
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    Aber etwas fühlte sich falsch an.
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    In jenen Monaten,
    die ich in ihrer Welt verbrachte,
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    fragte ich mich oft, ob die Wahrheit
    ihr Leben verbessern würde.
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    Ich wollte ihnen so sehr
    die Wahrheit über ihr Land
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    und die Welt da draußen sagen,
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    in der die arabische Jugend
    ihr korruptes Regime auf den Kopf stellte,
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    indem sie die Macht
    der Sozialen Medien nutzte;
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    wo jeder bis auf sie
    mit dem World Wide Web verbunden war,
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    weshalb man eigentlich nicht
    von World Wide sprechen kann.
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    Aber für sie war die Wahrheit gefährlich.
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    Wenn ich sie ermutigen würde,
    nach der Wahrheit zu suchen,
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    würde ich sie einem Risiko aussetzen:
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    dem Risiko, verfolgt zu werden;
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    dem Risiko, Kummer zu erfahren.
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    Wenn man nicht offen sprechen darf,
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    lernt man schnell, Ungesagtes zu sehen.
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    In einem der persönlichen Briefe
    schrieb ein Student, dass er wisse,
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    warum ich sie immer Gentlemen nannte.
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    Weil ich ihnen wünschte, im Leben
    einfühlsam zu sein, schrieb er.
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    An meinem letztem Arbeitstag
    im Dezember 2011,
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    an dem der Tod von Kim Jong-Il
    bekanntgegeben wurde,
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    zerbrach ihre Welt.
  • 8:53 - 8:56
    Ich musste ohne Lebwohl zu sagen
    das Land verlassen.
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    Aber ich glaube, sie wussten,
    wie traurig ich war.
  • 9:00 - 9:04
    Kurz vor meinem letzten Arbeitstag
    sagte einmal ein Student zu mir:
  • 9:04 - 9:09
    "Professor, für uns sind Sie
    nicht anders als wir.
  • 9:10 - 9:14
    Unsere Lebenslage ist eine andere,
    aber Sie sind so wie wir.
  • 9:16 - 9:20
    Wir wollen, dass Sie das wissen."
  • 9:26 - 9:30
    Wenn ich meinen Studenten heute
    in einem Brief antworten könnte,
  • 9:30 - 9:32
    was natürlich unmöglich ist,
  • 9:32 - 9:35
    würde ich Folgendes schreiben:
  • 9:38 - 9:42
    "Meine lieben Gentlemen,
    ungefähr drei Jahre sind vergangen,
  • 9:42 - 9:44
    seit wir uns zuletzt gesehen haben.
  • 9:44 - 9:48
    Ihr seid nun 22 oder sogar 23.
  • 9:49 - 9:52
    In unserer letzten Stunde fragte ich,
    ob ihr euch etwas wünscht.
  • 9:54 - 10:00
    Euer einziger Wunsch, eure einzige Bitte
    in unserer gemeinsamen Zeit war es,
  • 10:01 - 10:03
    mit euch Koreanisch zu sprechen.
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    Wenigstens einmal.
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    Ich war hier als Englischlehrerin
    Ihr wusstet, dass ich das nicht durfte.
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    Aber ich verstand dann,
    dass ihr das Band, das uns verbindet,
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    unsere Muttersprache spüren wolltet.
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    Ich nannte euch meine Gentlemen,
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    aber ich weiß nicht, ob es gut ist,
    in Kim Jong-Uns Nordkorea sanft zu sein.
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    Ich will nicht, dass ihr
    eine Revolution anführt.
  • 10:30 - 10:33
    Überlasst dies einem anderen
    jungen Menschen.
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    Der Rest der Welt wird vielleicht
    einen Nordkoreanischen Frühling
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    befürworten oder sogar erwarten.
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    Ich will aber, dass ihr
    kein Risiko eingeht,
  • 10:42 - 10:45
    denn in eurer Welt werdet ihr
    ständig beobachtet.
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    Ich will mir nicht vorstellen müssen,
    was euch zustoßen könnte.
  • 10:50 - 10:54
    Wenn meine Versuche, euch zu erreichen,
    euch inspiriert haben,
  • 10:55 - 10:57
    wäre es mir lieber,
    ihr würdet mich vergessen.
  • 10:57 - 11:00
    Werdet Soldaten eures großen Führers
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    und lebt ein langes und sicheres Leben.
  • 11:04 - 11:08
    Ihr habt mich einst gefragt,
    ob ich Pjöngjang schön finde.
  • 11:09 - 11:12
    Ich konnte euch
    keine ehrliche Antwort geben.
  • 11:13 - 11:16
    Ich weiß aber, warum ihr gefragt habt.
  • 11:16 - 11:20
    Ich weiß, wie wichtig es für euch war,
    dass ich, eure Lehrerin,
  • 11:20 - 11:24
    die die Welt, die euch verwehrt bleibt,
    schon gesehen hat,
  • 11:24 - 11:27
    eure Stadt als die schönste
    der Welt bezeichne.
  • 11:29 - 11:34
    Ich weiß, dass diese Worte euer Leben
    dort etwas erträglicher machen würden,
  • 11:35 - 11:38
    jedoch finde ich
    eure Hauptstadt nicht schön.
  • 11:39 - 11:41
    Nicht weil sie monoton
    und zubetoniert ist,
  • 11:41 - 11:44
    sondern wegen dem, was sie symbolisiert:
  • 11:44 - 11:48
    ein Monster, das am restlichen Land zehrt,
  • 11:48 - 11:51
    wo Bürger Soldaten und Sklaven sind.
  • 11:54 - 11:56
    Ich sehe dort nur Dunkelheit.
  • 11:58 - 12:01
    Es ist jedoch euer Zuhause,
    deshalb kann ich es nicht hassen.
  • 12:02 - 12:06
    Ich hoffe dass ihr,
    meine jungen Gentlemen,
  • 12:07 - 12:10
    diese Stadt eines Tages
    zu einem schönen Ort machen werdet."
  • 12:11 - 12:12
    Danke schön.
  • 12:13 - 12:14
    (Applaus)
Title:
So fühlt es sich an, undercover in Nordkorea zu leben
Speaker:
Suki Kim
Description:

Sechs Monate lang arbeitete Suki Kim als Englischlehrerin an einer Eliteschule für Nordkoreas zukünftige Führer – während sie ein Buch über eines der unterdrückerischsten Regime weltweit schrieb. Während sie ihren Studierenden Konzepte wie "Wahrheit" und "kritisches Denken" näherbrachte, fragte sie sich: Brachte der Unterricht und das Bestreben, die Wahrheit zu erfahren, die Studierenden in Gefahr? (Diese Rede fand im Zuge der TED2015-Konferenz statt, das vom Pop-Up Magazine mitveranstaltet wurde:
popupmagazine.com oder @popupmag auf Twitter.)

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
12:32

German subtitles

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