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Willkommen zur nächsten Teilnehmerin,
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und die junge Dame heißt:
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Giulia Enders!
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Und sie studiert an der Goethe Universität
in Frankfurt am Main.
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Und jetzt macht mal Lärm,
wenn wir sie auf die Bühne bitten!
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(Applaus)
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Ach da bist du ja schon!
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Deine zehn Minuten!
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(Applaus)
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Okay. Also, wie gesagt,
ich studiere Medizin,
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[Jemand jubelt]
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[Giulia lacht]
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Ja, genau...
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Und eine Sache, für die Medizin
ganz großartig ist
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-- wie man eben auch gemerkt hat --
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sind Kaffeekränzchen und Teekränzchen
bei Tanten.
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Da wird man nämlich meistens gefragt,
was man studiert,
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und wenn meine Schwester dann
eine halbe Stunde erklären muß,
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was Kommunikationsdesign ist,
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sag' ich:
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Medizin!
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(Lachen)
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Und krieg' frohlockende Blicke,
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die ich ernten kann,
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(Lachen) (Applaus)
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Das ist echt ganz nett,
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aber das hält bei mir leider immer
ungefähr nur so dreißig Sekunden,
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dann kommt nämlich die Frage:
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"Und in welches Gebiet
willst du später gehen?"
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Und dann muß ich blank ziehen
aus treuer Liebe, und sagen:
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"Seit dem ersten Semester
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bin ich total auf dem Darmrohr
hängengeblieben.
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Es fing alles mal mit dem Anus an
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und es ist mein großes Faszinationsgebiet."
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(Lachen) (Applaus)
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Dann versickert die Verzückung,
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es wird auch unangenehm still meistens,
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und ich höre dann immer nur ganz weit entfernt
in der Ecke vom Zimmer:
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"Und was macht man dann
mit Kommunikationsdesign?"
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(Lachen)
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Und es ist eigentlich schade,
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weil der Darm hat 'ne Menge Charme.
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Und ich weiß nicht ganz genau,
was meine Tanten da so denken,
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Aber ich vermute mal, es hat einfach
mit wahnsinnig viel Kot zu tun,
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in allen Formationen und Zuständen,
die Kot annehmen kann,
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oder mit Kot anderer,
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mit dem man nichts zu tun haben wollte.
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(Lachen) (Applaus)
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Oder auch...
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Oder auch mit obskuren Reinigungsmethoden,
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die uns so aus 'nem Arztzimmer
wieder raus gehen lassen.
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Oder Internetvideos,
die so graphisch sind,
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daß allein die Reaktion darauf
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so gut ist, daß wir sie nicht mal
gucken brauchen.
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Und auch die Wissenschaft hat Gründe
warum sie den Darm haßt.
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Aber das sind wenigstens auch die Gründe,
warum er so faszinierend ist.
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Das ist hundertmal die Fläche der Haut --
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ich könnte mich also 99 mal
neben mich stellen.
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Das in so 'nem engen Rohr
soviel Immunsystem drin ist,
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soviel Hormone produziert werden,
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daß es hier 100 Trillionen Möglichkeiten
an Bakterien gibt, die hier leben können --
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das ist die Menschheit mal die Menschheit
mal zwei.
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Und wenn ich ein Stück...
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Der hat ein so eigenständiges Nervensystem,
daß wenn ich ein Stück Darm rausschneide,
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so hinhalte und mal draufticke,
dann grummelt er mir freundlich entgegen.
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Und das ist sehr komplex und macht der Wissenschaft Angst, und das versteh' ich auch,
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aber meine Oma sagt immer,
wenn man was wirklich mag,
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auch wenn es am Anfang
einen ein bißchen überwältigt,
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dann macht man es halt Schritt für Schritt.
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Wenn man dann in 'ne Pfütze tritt,
ist auch nur ein Fuß naß.
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(Lachen) (Applaus)
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Deswegen fangen wir mal hier an,
wir sehen die Speiseröhre,
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die macht so melkartige Bewegungen,
drückt das Essen nach unten,
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[es] fällt in den Magen, der Magen schaukelt
so ein bißchen hin und her, zerkleinert das,
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und füttert das häppchenweise
an den Dünndarm.
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Im Dünndarm wird es dann
so magisch geknetet,
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es wird nämlich immer
weniger beim kneten,
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es wird dann über den Dickdarm
transportiert,
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am Anus kommt’s wieder raus --
klingt einfach.
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Wenn wir uns aber
einen Prozeß rauspicken --
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-- es war bei mir der Anus --
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Ja -- dann merken wir, das ist ein bißchen
komplexer, als es erst mal scheint.
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Ich hab mir das jetzt auch
nicht freiwillig ausgesucht,
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das war so, mein Mitbewohner
kam in die Küche und sagt:
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Giulia, du studierst doch Medizin --
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Wie geht kacken?
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(Lachen)
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Da habe ich gemerkt, daß der Anus
auch sehr kommunikativ ist, eigentlich.
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Das ganze ist nämlich so ein Zwischending
zwischen zwei Bewußtseinswelten.
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Wir haben einmal hier
den Inneren Sphinkter
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und hier den Äußeren Sphinkter,
also den Schließmuskel.
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Den Äußeren, den kennen wir ganz gut.
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Wenn ich jetzt zum Beispiel sag',
macht mal bitte:
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A - O - A - O
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(A - O - A - O)
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-- also mit dem Anus --
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(Lachen)
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-- machen bestimmt ganz viele gerade,
ihr seht's nur nicht --
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dann merken wir, das können wir.
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Wenn ich jetzt sag': Das gleiche...
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Das gleiche...
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Wenn ich jetzt sag': Das gleiche jetzt bitte
noch mal mit eurem Inneren Schließmuskel,
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das ist schwieriger.
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(Lachen)
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Hat vielleicht geklappt? Eh?
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Aber wir merken, da ist ein Unterschied,
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das ist nicht so bewußt steuerbar.
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Wir gehen jetzt mal den Durchgang durch.
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Wenn jetzt so verdautes Essen ankommt
und an diesen inneren Schließmuskel stößt,
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dann macht der reflexartig auf,
läßt 'nen Testhappen durch.
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Und in diesem Zwischenraum zwischen dem inneren
und dem äußeren Schließmuskel sitzen Sensorzellen.
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Die prüfen dann: ist das, was hier ankommt fest
oder gasförmig, und melden das dann dem Gehirn.
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(Lachen)
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In dem Moment wird dem Gehirn dann bewußt:
Ah! Ich muß kacken.
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Und das Gehirn macht dann, was es
mit seinem bewußten Bewußtsein so toll kann,
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es stellt uns nämlich auf unsere Umwelt ein.
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Es sagt dann z.B.: Du, ich hab geguckt,
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(Lachen)
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wir sind gerade...
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Wir sind gerade beim Science Slam.
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Gasförmig geht, wenn du es so leise
raustwitschen läßt, vielleicht noch,
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fest -- eher ungut.
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(Lachen)
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Dann vereinigen die sich
und schieben das wieder zurück,
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(Lachen)
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es kommt dann in die Warteschleife,
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raus muß es eh irgendwann.
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Wenn wir aber gerade zu Hause
auf dem Couchsofa rumhängen,
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haben eh nichts Besseres zu tun --
freie Fahrt.
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(Lachen) (Applaus)
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Der Anus ist nur die Spitze des Eisbergs.
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[Gerda], was hat sie gesagt?
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Ich glaub sie hat gesagt:
Der Anus ist nur die Spitze des Eisbergs.
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Der Anus ist wirklich
nur die Spitze des Eisbergs.
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Es sind zwei Zentimeter,
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die wir bewußt wahrnehmen
und die wir kontrollieren können,
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und dieser ganze Rest...
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Wenn wir wirklich wissen wollen: was ist hier
unten noch [vergeben?], dann schlag' ich vor,
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als ersten Zwischenschritt
gehen wir an die Grenzfläche.
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Wir suchen uns also was aus,
was mit dem Darmrohr zu tun hat,
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aber gleichzeitig unterbewußt
und bewußt ist.
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Dafür sind super die 7 Basisemotionen --
ich hab mal drei genommen --
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die wir im Gesicht ablesen können.
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Es gibt 7, die sind bei allen Menschen auf der Welt gleich, egal [welche] Kultur usw.
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Hier eben drei:
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Schreck -- Freude -- Trauer.
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Diese 7 Basisemotionen, die huschen,
wenn wir das Gefühl haben, über unser Gesicht,
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und wir können sie im ersten Moment
nicht kontrollieren.
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Und das erinnert uns jetzt vielleicht auch so
ein bißchen an diesen inneren Schließmuskel
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-- den konnten wir ja auch gerade nicht so kontrollieren -- und so weit hergeholt ist das nicht,
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als wir nämlich kleine embryologische Zellhäufchen
in der Gebärmutter waren,
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da war da nicht groß was mit Gesicht --
da war das Anfang vom Darmrohr.
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Und irgendwann hat man gesagt:
O.k., wir machen noch ein Gesicht drum rum,
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scheint ja gut anzukommen.
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Aber an sich waren das dieser
unkontrollierte Muskelschlauch,
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der hat da angefangen,
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und die Überreste, die davon noch da sind,
sind dafür verantwortlich,
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daß wir unsere Mimik nicht dauernd
kontrollieren können.
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Den Arm können wir dauernd kontrollieren,
die Mimik nicht.
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Jetzt eröffnet das für mich
so ein bißchen die Frage:
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Was macht denn da der Darm
bei all diesen Emotionen?
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Erschreckt der sich furchtbar?
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Hat er ein zauberhaftes lächeln?
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Oder ist er auch manchmal traurig?
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Und da gehen wir jetzt mal ein bißchen tiefer,
nämlich an diese untere Basis des Eisbergs,
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weil es ist ein bißchen
[eine] Frage [Unterbewußtsein],
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und da streiten sich auch viele Leute,
weil klar, man kann immer sagen:
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Nee, der Darm hat mit unserer Gefühlswelt
gar nichts zu tun,
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er hat halt auch nur Zellen,
und unser Gehirn...
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und es ist alles DNA, und unsere Gene
verursachen wie wir uns fühlen usw.
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Also es gibt zwei Grundüberlegungen,
nämlich einmal:
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Gehirn sagt halt 'ne Stimmung und sagt dann
allen Organen so wie der Herrscher was los ist,
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und die andere ist: Hat der Darm vielleicht auch
was mit unseren Gefühlen zu tun,
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und unserer Gedankenwelt
und eventuell unserem Verhalten?
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Und da ist interessant,
daß wir einfach was nehmen,
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was nicht mit unseren Genen und unserer DNA
zu tun hat, nämlich diese riesen Flora.
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Wir haben hier also ein Volk,
was in jedem von uns sitzt,
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das kann zum Teil bis zu zwei Kilo
schwer werden, was auch völlig normal ist,
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und es ist sozusagen so 'ne Ansammlung
an Dingen, Entscheidungen, die wir treffen,
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an Essen, was wir zu uns nehmen,
die Umgebung, die uns umgibt,
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so was wie unsere eigene Pokemonsammlung
an Darmbakterien.
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Würde die euch auch alle gerne vorstellen,
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aber über 60% kennen wir gar nicht,
die kann man nämlich nicht anzüchten,
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und die mögen es einfach in unserem Darm,
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so daß wir die nicht wirklich in einer Petrischale
schön beobachten [können], was die so tun usw.
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Aber daß sie doch irgendwie einen Einfluß haben,
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da fängt man an seit ein paar Jahren
ein bißchen intensivere Forschung zu machen.
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Was man bisher schon wußte, waren so grundlegenden Dinge: die trainieren unser Immunsystem,
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unsere Blutgruppe entsteht
nur durch unsere Darmbakterien,
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durch dieses Training, durch den Einfluß,
das Zwischenspiel,
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und wenn wir böse, ganz böse haben,
dann bekommen wir bösen Durchfall.
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Aber was ist mit den dezenten, die da einfach
den ganzen Tag sitzen und ihre Arbeit machen?
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Die machen das auf völlig
verschiedene Art und Weise,
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wir haben die unterschiedlichsten Völker,
was für Einflüsse haben die?
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Und da entsteht so eine neue Babel,
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die meine Leidenschaft ist, sozusagen,
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und bei der wir einfach uns viele Fragen
anfangen zu stellen.
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Wenn ich diese oder diese Bakterien habe,
werde ich dann dicker,
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obwohl ich das gleiche
esse wie jemand anderes?
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Kann ich Depressionen eher kriegen
durch verschiedene Darmbakterien?
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Schützen mich manche
Darmbakterien vor Krebs
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und andere lassen ihn eher entstehen?
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Die meisten von diesen Fragen
kann man anhand der Forschungen,
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die Wege, die sie gerade [geht],
tendenziell mit "ja" beantworten.
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Und das ist ein sehr interessantes Ding
und schwebt über meinem Kopf wie so eine Wolke.
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Ich war jetzt seit einem halben Jahr oder bin noch
ein halbes Jahr an der Neuroscience in Frankfurt,
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da machen wir Tests z.B.
mit [körpereigenen] Proteinen,
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wo wir gucken: schützen die Nervenzellen
oder eher nicht?
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Aber ich merke einfach, ich sitze davor
und denke die ganze Zeit:
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So, und das will ich jetzt
mit Bakterienprotein machen.
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Da gab's 'ne Studie,
die hätte ich so nie erwartet.
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Da waren [Mäuse],
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die hat man mit bestimmten
Darmbakterien kolonisiert,
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und hat dann festgestellt, unter Streß,
wo die Darmwand ein bißchen durchlässiger wird,
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haben die Gedächtnislücken
von zehn bis dreißig Tagen.
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Gleichzeitige Probiotikagaben --
[keine] Gedächtnislücken.
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Und da wollte ich eben wissen:
O.k., was passiert denn dann?
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Und lauter Sachen...
Also ich nehme die Fragen immer mit,
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und mein Anliegen ist -- weil in Deutschland gibt es einfach sau wenig Doktorarbeiten und [Forscher]gruppen dazu --
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daß ich es ein bißchen weiter verbreite.
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Deswegen, ich hoffe, ihr nehmt auch was mit,
z.B. der Anus ist kommunikativ,
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beim Lächeln von einer hübschen Dame darf man
gerne auch unpervers an ihr Darmrohr denken,
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Der Darm ist sehr volksnah
mit einem riesen Eigentum,
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ihr habt selber alle ein Volk,
behandelt's gut,
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Und ich hoffe ihr mögt ihn jetzt lieber,
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vielleicht hat mancher Politiker jetzt
Konkurrenzangst vor ihm oder so,
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und ich hoff' die Damen
freuen sich ein bißchen mehr.
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Ich danke sehr euch für's Zuhören
und meiner Schwester,
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weil sie das mit Kommunikationsdesign
möglich gemacht hat.
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(Applaus)
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Giulia Enders!
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(Applaus)
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...geht doch!
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So, dann geben wir der jungen Dame,
die heute Abend gewonnen hat,
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nochmal für eine Minute dreißig
unsere volle Aufmerksamkeit:
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Eine kleine wissenschaftliche Zugabe!
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Und dann, äh, ja, du hast das letzte Wort.
Freut mich!
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Oh, wie schön, und wie außergewöhnlich auch.
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Ja ist mir dann eingefallen durch die schicke Ballnummer hier, dachte:
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ich hab auch noch was, was ich noch...
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Ich vergess' es nämlich jedes Mal --
das ist eigentlich ziemlich cool.
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Ich hab ja vorhin von diesen Sensorzellen erzählt,
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die zwischen gas[förmig]
und fest unterscheiden können --
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da fehlt ja noch ein Aggregatzustand: flüssig...
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Ist immer ein bißchen...
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Ist immer ein bißchen schlecht
für so 'ne Publikumsfrage so 'n Thema --
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aber vielleicht kennt der
eine oder andere das:
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Man hat Durchfall, denkt man muß pupsen --
geht in die Hose?
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Flüssig kennt der nicht,
da wirft er den Zufallsgenerator an!
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Das war's!
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(Lachen) (Applaus)
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Ich hab es auch schon in Freiburg vergessen,
ich vergess' das immer wieder...