Zwei politische Systeme
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0:01 - 0:02Guten Morgen.
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0:02 - 0:08Ich heiße Eric Li, und ich bin hier geboren.
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0:08 - 0:10Stimmt gar nicht – da bin ich nicht geboren.
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0:10 - 0:11Hier bin ich geboren:
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0:11 - 0:15In Shanghai auf dem Höhepunkt
der Kulturrevolution. -
0:15 - 0:18Meine Großmutter erzählt,
dass sich meine ersten Schreie -
0:18 - 0:21mit dem Knallen von
Gewehrschüssen vermischten. -
0:21 - 0:25Als ich aufwuchs, erzählte man mir
die einzige Geschichte, -
0:25 - 0:29die ich zum Verständnis
der Menschheit brauchen würde, -
0:29 - 0:30und die ging so:
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0:30 - 0:34Alle menschlichen Gesellschaften
entwickeln sich linear, -
0:34 - 0:38fangen mit einfachen Gesellschaften an,
und landen nach Sklaverei, -
0:38 - 0:41Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus,
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0:41 - 0:42beim – na, wo? – beim
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0:42 - 0:45Kommunismus!
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0:45 - 0:48Früher oder später wird die ganze Menschheit,
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0:48 - 0:51unabhängig von Kultur,
Sprache, Nationalität, -
0:51 - 0:57diese Endstufe der politischen und
gesellschaftlichen Entwicklung erreichen. -
0:57 - 1:01Alle Völker der Erde werden in diesem
Paradies auf Erden vereint sein -
1:01 - 1:04und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
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1:04 - 1:07Allerdings müssen wir vorher noch den Kampf
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1:07 - 1:11des guten Sozialismus gegen
den bösen Kapitalismus ausfechten, -
1:11 - 1:14an dessen Ende das Gute triumphiert.
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1:14 - 1:16Das war natürlich eine Meta-Erzählung,
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1:16 - 1:19abgeleitet aus den Theorien von Karl Marx.
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1:19 - 1:22Die Chinesen kauften das.
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1:22 - 1:25Diese Geschichte wurde uns
tagein, tagaus eingebläut. -
1:25 - 1:28Sie wurde Teil von uns,
und wir glaubten daran. -
1:28 - 1:30Sie war ein Verkaufsschlager:
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1:30 - 1:34Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung
lebte mit dieser Meta-Erzählung. -
1:34 - 1:38Doch dann änderte sich die Welt
quasi über Nacht. -
1:38 - 1:41Von der bankrotten Religion
meiner Jugend enttäuscht -
1:41 - 1:44ging ich nach Amerika
und wurde Berkeley-Hippie. -
1:44 - 1:47(Lachen)
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1:47 - 1:49Als ich älter wurde, passierte etwas.
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1:49 - 1:53Als ob eine so große Geschichte
nicht schon gereicht hätte, -
1:53 - 1:55bekam ich noch eine aufgetischt.
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1:55 - 1:59Die war genauso großartig.
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1:59 - 2:02Die behauptete auch,
dass alle menschlichen Gesellschaften -
2:02 - 2:05nur ein einziges Ziel hätten,
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2:05 - 2:07und die ging so:
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2:07 - 2:13Alle Gesellschaften, egal welcher Kultur,
christlich, muslimisch, konfuzianisch, -
2:13 - 2:17müssen sich von traditionellen Gesellschaften
mit Gruppen als Grundeinheit -
2:17 - 2:22zu modernen entwickeln, in denen
die einzelnen Individuen vorherrschen. -
2:22 - 2:26und diese Individuen sind
per definitionem rational -
2:26 - 2:28und wollen alle nur das Eine:
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2:28 - 2:31das Stimmrecht.
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2:31 - 2:34Das führt zur besten möglichen Staatsform
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2:34 - 2:37und sie leben glücklich
bis ans Ende ihrer Tage. -
2:37 - 2:40Schon wieder das Paradies auf Erden.
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2:40 - 2:43Über kurz oder lang
ist die repräsentative Demokratie -
2:43 - 2:47die einzige Staatsform
für alle Länder und Völker, -
2:47 - 2:50mit einem freien Markt,
der alle reich macht. -
2:50 - 2:52Bevor es jedoch soweit ist, müssen wir noch
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2:52 - 2:55den Kampf von Gut und Böse ausfechten.
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2:55 - 2:56(Lachen)
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2:56 - 2:59Das Gute, die Demokratien mit der Mission,
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2:59 - 3:04sich wenn es sein muss auch mit Gewalt
auf dem ganzen Erdball auszubreiten, -
3:04 - 3:07gegen das Böse, das keine Wahlen zulässt.
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3:07 - 3:10(Video) George H.W. Bush:
Eine neue Weltordnung ... -
3:10 - 3:13(Video) George W. Bush:
... ein Ende der Tyrannei in der Welt ... -
3:13 - 3:17(Video) Barack Obama:
... Maßstab für alle, die an der Macht sind. -
3:17 - 3:19Eric X. Li: Naja –
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3:19 - 3:21(Lachen)
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3:21 - 3:26(Beifall)
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3:26 - 3:30Auch diese Geschichte
wurde ein Verkaufsschlager. -
3:30 - 3:32Nach Angaben von »Freedom House«
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3:32 - 3:37wuchs die Anzahl der Demokratien
von 1970 bis 2010 von 45 auf 115. -
3:37 - 3:41In den letzten 20 Jahren
sind die westlichen Eliten unermüdlich -
3:41 - 3:44rund um den Globus dafür
Klinken putzen gegangen: -
3:44 - 3:49Eine Vielparteienlandschaft
zusammen mit dem allgemeinen Wahlrecht -
3:49 - 3:53sind der einzige Heilsweg
für die so lange leidende dritte Welt. -
3:53 - 3:57Die, die einem das abkaufen,
sind auf der Erfolgsschiene, -
3:57 - 3:59die anderen zum Scheitern verdammt.
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3:59 - 4:03Aber diesmal kauften die Chinesen das nicht.
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4:03 - 4:10Wer zweimal auf den gleichen Trick
hereinfällt ... – (Lachen) -
4:10 - 4:11Der Rest ist Geschichte.
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4:11 - 4:16In nur 30 Jahren wurde aus China,
einem der ärmsten Agrarstaaten der Welt, -
4:16 - 4:18die zweitgrößte Wirtschaftsmacht.
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4:18 - 4:22650 Millionen Menschen
wurden aus der Armut geführt. -
4:22 - 4:2680% der Armut auf der ganzen Welt
wurde in dieser Zeit in China beseitigt. -
4:26 - 4:31Anders ausgedrückt: all die neuen
und alten Demokratien zusammen -
4:31 - 4:33haben nur ein Bruchteil dessen geschafft,
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4:33 - 4:38was ein einziger Einparteienstaat
ohne Wahlen geschafft hat. -
4:38 - 4:41Damit bin ich groß geworden: Essensmarken.
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4:41 - 4:46Fleisch war zeitweise auf wenige 100 Gramm
pro Person pro Monat rationiert. -
4:46 - 4:50Ist ja klar, dass ich alle Rationen
meiner Großmutter bekam. -
4:50 - 4:53Mir stellte sich die Frage:
»Was stimmt hier nicht?« -
4:53 - 4:58Mein Geschäft in meiner eigenen
Heimatstadt wächst und gedeiht. -
4:58 - 5:01Neu-Unternehmer gründen
jeden Tag neue Firmen. -
5:01 - 5:06Die Mittelschicht wird in nie gesehenem Maße
immer schneller immer größer. -
5:06 - 5:10Aber entsprechend der Über-Erzählung
sollte nichts davon stattfinden. -
5:10 - 5:14Also tat ich das einzige,
was ich konnte: Ich forschte darüber. -
5:14 - 5:16Ja, China ist ein Einparteienstaat.
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5:16 - 5:21»Die Partei« ist die Kommunistische Partei Chinas –
die braucht keine Wahlen. -
5:21 - 5:26Die heute vorherrschenden Politiktheorien
gehen von drei Grundannahmen aus: -
5:26 - 5:29Ein solches System ist operativ beschränkt,
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5:29 - 5:33politisch abgeschottet,
und moralisch nicht legitimiert. -
5:33 - 5:36Diese Annahmen sind schlichtweg falsch.
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5:36 - 5:38Ganz im Gegenteil – es ist gerade umgekehrt.
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5:38 - 5:43Anpassungsfähigkeit, Leistungsorientiertheit,
und Legitimation -
5:43 - 5:46sind die definierenden Eigenschaften
des Systems. -
5:46 - 5:48Politikwissenschaftler wenden ein,
-
5:48 - 5:53dass ein solches System zu Selbstkorrektur
und Anpassung nicht fähig ist. -
5:53 - 5:56Deshalb kann es sich nicht halten.
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5:56 - 5:57Hier sind die Fakten dazu:
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5:57 - 6:02Die Partei hat in der Führung
des größten Landes in den letzten 64 Jahren -
6:02 - 6:06eine größere Bandbreite an Strategien
entwickelt als irgendwer sonst, -
6:06 - 6:10von der Land-Kollektivierung
zum ›Großen Sprung nach vorn‹, -
6:10 - 6:13zur Privatisierung von Ackerland,
-
6:13 - 6:15dann zur Kulturrevolution,
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6:15 - 6:18Deng Xiaopings
Sozialistische Marktwirtschaft, -
6:18 - 6:21der riesige Schritt
seines Nachfolgers Jiang Zemins -
6:21 - 6:25zur Öffnung der Partei
für private Geschäftsleute – -
6:25 - 6:28etwas, was unter Mao
unvorstellbar gewesen wäre. -
6:28 - 6:31Die Partei korrigiert sich selbst
auf dramatische Weise. -
6:31 - 6:37Um vorherige Fehlfunktionen zu korrigieren.
verordnet der Apparat neue Regeln. -
6:37 - 6:39Nehmen wir als Beispiel Amtszeiten.
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6:39 - 6:41Politiker benutzten ihre Lebensstellung,
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6:41 - 6:45um Macht anzuhäufen und so
ihre Herrschaft zu wahren. -
6:45 - 6:47Mao war der Vater des modernen China,
-
6:47 - 6:51aber seine überlange Amtszeit
führte zu schrecklichen Fehlern. -
6:51 - 6:56Also beschränkte die Partei die Amtszeiten
und legte das Rentenalter auf 68 oder 70. -
6:56 - 6:57Wir hören oft:
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6:57 - 7:01»Politische Reformen hinken
den ökonomischen weit hinterher.« -
7:01 - 7:04und »China braucht dringend
eine politische Reform.« -
7:04 - 7:10Aber das ist eine rhetorische Falle
aus einer politischen Grundhaltung heraus. -
7:10 - 7:14Da entscheidet jemand,
welche Veränderungen wünschenswert seien, -
7:14 - 7:18und von da an werden nur noch diese
als Reform anerkannt. -
7:18 - 7:21Die politischen Reformen
haben nie aufgehört. -
7:21 - 7:25Verglichen mit den Zuständen
vor 30, 20, sogar vor 10 Jahren, -
7:25 - 7:30ist die chinesische Gesellschaft,
wie sie heute auf allen Ebenen geführt wird, -
7:30 - 7:33nicht mehr wiederzuerkennen.
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7:33 - 7:37Solche Veränderungen sind
ohne fundamentalste politische Reformen -
7:37 - 7:39schlicht nicht denkbar.
-
7:39 - 7:43Das weist die Partei
als weltweit führenden Spezialisten -
7:43 - 7:45in politischen Reformen aus.
-
7:45 - 7:48Die zweite Annahme ist,
dass sich im Einparteienstaat -
7:48 - 7:51die Macht auf einige wenige konzentriert,
-
7:51 - 7:54und daraus schlechte Führung
und Korruption folgen. -
7:54 - 7:59Korruption ist wirklich ein großes Problem,
aber zunächst mal ein Blick auf das Ganze. -
7:59 - 8:02Das mag einem wenig intuitiv erscheinen:
-
8:02 - 8:04Weltweit ist die Partei heute
-
8:04 - 8:07eine der leistungsorientiertesten
politischen Institutionen. -
8:07 - 8:12Von den 25 Mitglieder des Politbüros,
Chinas oberstem Führungsgremium, -
8:12 - 8:15sind nur fünf privilegierter Herkunft,
die ›Prinzchen‹. -
8:15 - 8:19Die anderen 20, inklusive
Präsident und Premierminister, -
8:19 - 8:21kommen aus ganz normalen Verhältnissen.
-
8:21 - 8:24Im Zentralkomitee mit über 300 Mitgliedern
-
8:24 - 8:28ist der Prozentsatz derer
aus einem »besseren« Umfeld noch geringer. -
8:28 - 8:32Im Vergleich mit anderen
Industrie- und Entwicklungsländern -
8:32 - 8:35hat sich die Mehrheit
der chinesischen Führungseliten -
8:35 - 8:38ihren Weg an die Spitze hart erstritten.
-
8:38 - 8:43Ich glaube, die Partei ist führend,
was Aufstiegsmöglichkeiten anbetrifft. -
8:43 - 8:48Das wirft die Frage auf, wie das
in einem Einparteiensystem möglich ist. -
8:48 - 8:52Damit kämen wir zu einer
sehr mächtigen politischen Einrichtung, -
8:52 - 8:56die im Westen kaum bekannt ist:
der Organisationsabteilung. -
8:56 - 9:00Die Abteilung stellt eine riesige
Personal-Maschinerie dar, -
9:00 - 9:04auf die selbst erfolgreichste Firmen
neidisch sein könnten. -
9:04 - 9:07In einer rotierenden Pyramide
bilden drei Komponenten -
9:07 - 9:10eigenständige Karrierewege für Funktionäre:
-
9:10 - 9:15Öffentlicher Dienst, Staatsunternehmen,
und gesellschaftliche Organisationen, -
9:15 - 9:20wie z.B. eine Universität
oder ein Gemeindeprogramm. -
9:20 - 9:23Man holt sich für jede
der drei Komponenten Universitätsabsolventen -
9:23 - 9:28in die Einstiegspositionen – sie starten
zuerst als »keyuan« [Sachbearbeiter]. -
9:28 - 9:32Dann durchlaufen sie
vier aufsteigende Positionen. -
9:32 - 9:37»fuke«, »ke« [Abteilungsleiter],
»fuchu« und »chu« [Bereichsleiter]. -
9:37 - 9:41Das hat nichts mit »Karate Kid« zu tun –
das ist ein ernstes Geschäft. -
9:41 - 9:46Die Auswahl an Positionen ist groß:
vom dörflichen Gesundheitswesen -
9:46 - 9:50über städtische Auslands-Direktinvestitionen
bis zur Konzernleitung. -
9:50 - 9:53Einmal im Jahr beurteilt
die Abteilung die Leistungen. -
9:53 - 9:57Sie befragt und prüft,
und die Gewinner werden befördert. -
9:57 - 10:00Im Laufe ihrer Karriere können die Kader
-
10:00 - 10:03zwischen den drei Komponenten frei wechseln.
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10:03 - 10:05Nach den vier unteren Positionen
-
10:05 - 10:10werden sie »fuju« [stellvertretender
Büroleiter] und »ju« [Büroleiter] -
10:10 - 10:13und steigen in die höhere Führungsriege auf.
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10:13 - 10:15Dort wäre eine typische Aufgabe etwa
-
10:15 - 10:19die Leitung eines Distrikts
mit Millionen Einwohnern -
10:19 - 10:24oder die Leitung einer Firma mit Erlösen
von Hunderten Millionen Dollars. -
10:24 - 10:27Um zu zeigen, wie konkurrenzbetont
das System ist: -
10:27 - 10:312012 gab es 900.000 fuke und ke und
600.000 fuchu und chu, -
10:31 - 10:34aber nur 40.000 fuju und ju.
-
10:34 - 10:41Nach der ju Position steigen einige wenige
der besten noch ein paar Stufen höher, -
10:41 - 10:44bis sie irgendwann
im Zentralkomitee ankommen. -
10:44 - 10:47Der ganze Prozess dauert 20 bis 30 Jahre.
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10:47 - 10:50Spielt Protektion dabei
eine Rolle? Ja, natürlich. -
10:50 - 10:54Aber die wesentliche Triebkraft
bleibt die Leistung. -
10:54 - 10:57Eigentlich betreibt
die Organisationsabteilung -
10:57 - 11:01das uralte chinesische Betreuungssystem
in moderner Form. -
11:01 - 11:03Chinas neuer Präsident, Xi Jinping,
-
11:03 - 11:08ist das erste ›Prinzchen‹, das
an die Spitze gekommen ist – ungewöhnlich. -
11:08 - 11:11Aber selbst seine Karriere dauerte 30 Jahre.
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11:11 - 11:15Er begann als Vorsteher eines Dorfes,
und bis er ins Politbüro kam -
11:15 - 11:19hatte er schon Gebiete
mit 150 Millionen Menschen -
11:19 - 11:23und Bruttoinlandsprodukten
von 1,5 Billionen Dollar geleitet. -
11:23 - 11:25Verstehen Sie mich bitte nicht falsch.
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11:25 - 11:29Ich will niemanden herabwürdigen.
Es sind einfach Tatsachen. -
11:29 - 11:32Erinnern Sie sich noch an George W. Bush?
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11:32 - 11:35Keine Herabsetzung.
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11:35 - 11:35(Lachen)
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11:35 - 11:38Bevor er Gouverneur von Texas wurde,
-
11:38 - 11:41oder bevor Barack Obama
Präsident werden wollte – -
11:41 - 11:46sie wären in China noch nicht mal
Führer eines kleinen Landesteils geworden. -
11:46 - 11:50Winston Churchill hat gesagt,
Demokratie sei ein furchtbares System, -
11:50 - 11:51außer all den anderen.
-
11:51 - 11:54Er kannte wohl
die Organisationsabteilung noch nicht. -
11:54 - 11:57Im Westen wird allgemein angenommen,
-
11:57 - 12:01dass einzig ein Mehrparteiensystem
mit allgemeinem Wahlrecht -
12:01 - 12:03politisch legitimierbar sei.
-
12:03 - 12:07Man hat mich gefragt:
»Die Partei ist ja nicht frei gewählt – -
12:07 - 12:09welche Legitimation hat sie?«
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12:09 - 12:11Ich antwortete: »Wie wär's mit Kompetenz?«
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12:11 - 12:14Als die Partei 1949 die Macht übernahm,
-
12:14 - 12:19war China in Bürgerkriege verstrickt und
durch ausländische Aggression zersplittert. -
12:19 - 12:23Die durchschnittliche Lebenserwartung
lag bei 41 Jahren. -
12:23 - 12:27Heute ist es die brodelnde
zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, -
12:27 - 12:31und seine Menschen leben
in zunehmenden Wohlstand. -
12:31 - 12:36Hier sind neuste Zahlen der »Pew«-Umfragen
über die Stimmung in China: -
12:36 - 12:40Zufriedenheit mit der
allgemeinen Ausrichtung des Landes: 85%. -
12:40 - 12:45Anzahl derer, denen es jetzt gefühlt
besser geht als vor fünf Jahren: 70%. -
12:45 - 12:50Anzahl derer, die glauben,
dass die Zukunft besser wird: kolossale 82%. -
12:50 - 12:54Die »Financial Times« fragte
nach den Einstellungen der Jugend, -
12:54 - 12:57und hier sind die neusten Zahlen
von letzter Woche: -
12:57 - 13:0293% von Chinas Generation Y sehen
optimistisch in die Zukunft des Landes. -
13:02 - 13:08Wenn das keine Legitimation ist – was sonst?
-
13:08 - 13:12Im Gegensatz dazu leiden
die meisten Demokratien auf der Welt -
13:12 - 13:14an trostlosen Ergebnissen.
-
13:14 - 13:17Vor diesem Publikum
muss ich gar nicht weiter ausführen, -
13:17 - 13:20wie zerrüttet es von Washington
bis Europa zugeht. -
13:20 - 13:24Mit wenigen Ausnahmen
leiden die meisten der Entwicklungsländer, -
13:24 - 13:27die frei wählbare Regierungen
übernommen haben, -
13:27 - 13:30immer noch an Armut und inneren Konflikten.
-
13:30 - 13:33Regierungen werden gewählt,
und wenige Monate später -
13:33 - 13:38sinkt ihr Zuspruch unter 50% oder wird
sogar schlechter – bis zur nächsten Wahl. -
13:38 - 13:43Demokratie wird immer mehr
zu einem Teufelskreis von Wahl und Bedauern. -
13:43 - 13:48Ich fürchte: Wenn das so weitergeht,
ist es nicht Chinas Einparteiensystem, -
13:48 - 13:51sondern die Demokratie,
die ihre Legitimation verliert. -
13:51 - 13:54Ich möchte nicht
den falschen Eindruck erwecken, -
13:54 - 13:58China sei ganz locker auf dem Weg
zu irgendeiner Supermacht. -
13:58 - 14:01Die gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Probleme -
14:01 - 14:07nach so radikalen Veränderungen
stellen das Land vor enorme Herausforderungen. -
14:07 - 14:11Umweltverschmutzung. Nahrungsmittelsicherheit.
Bevölkerungswachstum. -
14:11 - 14:14Innenpolitisch ist Korruption
das größte Problem. -
14:14 - 14:18Sie unterwandert das System
und seine moralische Legitimation. -
14:18 - 14:21Aber die meisten Analysten
stellen eine Fehldiagnose: -
14:21 - 14:24Korruption sei Folge des Einparteiensystems
-
14:24 - 14:28und nur mit dem ganzen System
zusammen zu beseitigen. -
14:28 - 14:31Genauer betrachtet zeigt sich aber
ein ganz anderes Bild: -
14:31 - 14:34»Transparency International« sieht China
-
14:34 - 14:38zwischen Rang 70 und 80 von 170 Ländern,
Tendenz steigend. -
14:38 - 14:44Indien, die größte Demokratie in der Welt,
liegt auf Platz 94, Tendenz fallend. -
14:44 - 14:50Mehr als die Hälfte der etwa 100 Länder
unterhalb Chinas haben repräsentative Demokratien. -
14:50 - 14:53Wenn Wahlrecht das Patentrezept
gegen Korruption ist, -
14:53 - 14:56warum bekommen diese Länder
sie dann nicht in den Griff? -
14:56 - 15:00Ich bin Wagniskapitalgeber.
Ich schließe Wetten ab. -
15:00 - 15:05Ich will diesen Vortrag nicht beschließen,
ohne ein paar Vorhersagen zu wagen: -
15:05 - 15:06Hier sind sie:
-
15:07 - 15:11In den nächsten zehn Jahren wird China
die größte Wirtschaftsmacht werden. -
15:11 - 15:16Das Pro-Kopf-Einkommen wird eines
der höchsten aller Entwicklungsländer sein. -
15:16 - 15:20Korruption wird reduziert,
aber nicht verschwunden sein, -
15:20 - 15:24so dass China auf der T.I.-Skala
auf über Rang 60 steigen wird. -
15:24 - 15:26Wirtschaftsreformen werden beschleunigt,
-
15:26 - 15:30politische Reformen und
das Einparteiensystem werden bleiben. -
15:30 - 15:33Wir leben in der Abenddämmerung einer Ära.
-
15:33 - 15:37Meta-Erzählungen, die
universellen Anspruch erheben, -
15:37 - 15:42haben uns im 20. Jahrhundert irregeführt,
und sie tun das auch im 21. -
15:42 - 15:46Sie sind der Krebs,
der Demokratie von innen heraus zersetzt. -
15:46 - 15:48Eines möchte ich allerdings klarstellen:
-
15:48 - 15:52Ich stehe hier nicht
als Ankläger der Demokratie. -
15:52 - 15:55Ich bin überzeugt,
dass sie den Aufstieg des Westens -
15:55 - 15:58und die moderne Welt gefördert hat.
-
15:58 - 16:03Aber der universelle Anspruch,
den viele westliche Eliten daraus ableiten, -
16:03 - 16:07begründet das gegenwärtige Übel des Westens.
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16:07 - 16:10Wenn sie, statt anderen
ihren Weg aufzuzwingen, -
16:10 - 16:14ihre Zeit mehr für politische Reformen
im eigenen Haus verwendeten, -
16:14 - 16:18eröffneten sie der Demokratie
vielleicht bessere Chancen. -
16:18 - 16:21Das chinesische Modell
wird Demokratie nie verdrängen, -
16:21 - 16:25weil es anders als sie
nicht allgemeingültig sein will. -
16:25 - 16:29Es kann nicht exportiert werden.
Aber das ist genau der Punkt. -
16:29 - 16:32Die Bedeutung des chinesischen Beispiels
liegt nicht darin, -
16:32 - 16:38dass es eine Alternative anbietet, sondern
darin, deren Möglichkeit aufzuzeigen. -
16:38 - 16:41Lassen Sie uns mit diesen
Meta-Geschichten abschließen. -
16:41 - 16:45Kommunismus und Demokratie
mögen beides löbliche Ideale sein, -
16:45 - 16:49aber die Zeit ihres Universalanspruchs
ist vorbei. -
16:49 - 16:53Hören wir auf, allen weismachen zu wollen,
dass es nur eine Staatsform -
16:53 - 16:58und nur eine Zukunft gibt, zu der sich
alle Gesellschaften entwickeln müssen. -
16:58 - 17:00Das ist falsch. Das ist unverantwortlich.
-
17:00 - 17:03Und am Schlimmsten: Es ist langweilig.
-
17:05 - 17:08Lassen wir die Universalität
zu Gunsten der Vielfalt fallen. -
17:08 - 17:12Vielleicht stehen wir
vor einem interessanteren Zeitalter. -
17:12 - 17:14Sind wir mutig genug dafür?
-
17:14 - 17:15Vielen Dank.
-
17:15 - 17:21(Beifall)
-
17:31 - 17:35Danke, danke, danke.
-
17:35 - 17:38Bruno Giussani: Eric, bleiben Sie noch
etwas bei mir – -
17:38 - 17:41ich würde Ihnen gerne
ein paar Fragen stellen. -
17:41 - 17:43Ich glaube viele hier,
und ganz allgemein im Westen, -
17:43 - 17:47stimmen Ihrer These zu,
dass die Demokratien zerrüttet sind, -
17:47 - 17:51aber gleichzeitig fühlen sich viele
unwohl bei dem Gedanken, -
17:51 - 17:54dass es eine nicht-gewählte
Autorität geben soll, -
17:54 - 17:59die ohne Kontrolle oder Beratung
die nationalen Interessen festlegt. -
18:05 - 18:08Über welchen Mechanismus
kann das Volk in China sagen: -
18:08 - 18:12»Die von euch vorgegebenen
nationalen Interessen sind falsch«? -
18:12 - 18:16EXL: Der Politikwissenschaftler Frank
Fukuyama nennt das chinesische System -
18:16 - 18:20»Verantwortungsbewussten Autoritarismus«.
-
18:20 - 18:24Das trifft es nicht ganz,
aber es kommt dem am nächsten. -
18:24 - 18:29Ich kenne die größte
chinesische Meinungsumfragefirma. -
18:29 - 18:32Wer ist ihr größter Kunde?
-
18:32 - 18:34Die chinesische Regierung.
-
18:34 - 18:36Und nicht nur die Zentralregierung,
-
18:36 - 18:40auch auf Stadt-, Provinz-,
sogar lokaler Ebene. -
18:40 - 18:42Sie lassen laufend Umfragen machen:
-
18:42 - 18:47Sind Sie zufrieden mit der Müllabfuhr?
Mit der generellen Ausrichtung des Landes? -
18:47 - 18:50Es gibt in China eine andere Methode,
-
18:50 - 18:53auf die Bedürfnisse und das Denken
der Menschen einzugehen. -
18:53 - 18:57Wichtig ist, dass wir uns
von der Vorstellung lösen, -
18:57 - 18:59dass es nur ein politisches System gibt –
-
18:59 - 19:01Wahlen, Wahlen, Wahlen –
-
19:01 - 19:03das Verantwortung übernehmen kann.
-
19:03 - 19:07Ich denke nicht, dass Wahlen heute
noch solche Regierungen hervorbringen. -
19:07 - 19:12(Beifall)
-
19:12 - 19:13BG: Breite Zustimmung.
-
19:13 - 19:16Eines der Merkmale von Demokratie
ist der Freiraum, -
19:16 - 19:19in dem sich die Gesellschaft
ausdrücken kann. -
19:19 - 19:24Sie haben Zahlen über den Rückhalt gezeigt,
den die Regierung in China hat. -
19:24 - 19:29Aber Sie haben auch andere Elemente erwähnt,
große Herausforderungen, -
19:29 - 19:33und natürlich gibt es auch Zahlen,
die in eine andere Richtung weisen: -
19:33 - 19:38Zehntausende Unruhen und Proteste
und Umweltdemonstrationen und ähnliches. -
19:38 - 19:42Meinen Sie, dass die Gesellschaft
in dem chinesischen Modell -
19:42 - 19:46außerhalb der Partei keinen Raum hat,
sich auszudrücken? -
19:46 - 19:49EXL: Die Zivilgesellschaft
in China ist recht aktiv, -
19:49 - 19:52sei es für die Umwelt oder was auch immer.
-
19:52 - 19:55Aber sie ist anders.
Sie würden es nicht erkennen, -
19:55 - 20:00weil nach westlicher Maßgabe das zivile
vom politischen System gelöst -
20:00 - 20:02oder dem sogar entgegengesetzt ist,
-
20:02 - 20:06aber ein solches Konzept
ist der chinesischen Kultur fremd. -
20:06 - 20:09Zivilgesellschaft gibt es seit Jahrtausenden,
-
20:09 - 20:14aber sie ist beständiger und zusammenhängender Teil
der politischen Ordnung – -
20:14 - 20:17darin liegt der große
kulturelle Unterschied. -
20:17 - 20:21BG: Eric, vielen Dank dafür, vor TED
zu sprechen. – EXL: Vielen Dank.
- Title:
- Zwei politische Systeme
- Speaker:
- Eric X. Li
- Description:
-
Im Westen herrscht ein Standardbild: Wenn sich eine Gesellschaft weiterentwickelt, wird daraus letztendlich eine kapitalistische Demokratie mit mehreren Parteien - stimmt's? Nicht für Eric X. Li, chinesischer Investor und Politikwissenschaftler. In diesem provokativen, Grenzen verschiebenden Vortrag bittet er seine Zuhörer in Erwägung zu ziehen, dass es mehr als eine Möglichkeit gibt, eine moderne Nation erfolgreich zu betreiben.
- Video Language:
- English
- Team:
closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 20:37
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Norbert Langkau commented on German subtitles for A tale of two political systems | |
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Judith Matz approved German subtitles for A tale of two political systems | |
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Judith Matz accepted German subtitles for A tale of two political systems | |
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Judith Matz edited German subtitles for A tale of two political systems | |
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Judith Matz edited German subtitles for A tale of two political systems | |
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Judith Matz edited German subtitles for A tale of two political systems | |
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Judith Matz commented on German subtitles for A tale of two political systems | |
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Judith Matz edited German subtitles for A tale of two political systems |
Norbert Langkau
Liebe Reviewer,
aus gegebenem Anlass möchte ich gerne darstellen, wie es zu dieser Übersetzung gekommen ist – und zwei Bitten äußern:
Ich folge der Empfehlung in
http://translations.ted.org/wiki/Transcribing_talks
und dort insbesondere 4. (4.2, 4.3) und 5. (5.3, 5.4). Um damit klar zu kommen, mache ich starken Gebrauch von diesen Tips:
http://translations.ted.org/wiki/How_to_Compress_Subtitles .
Aus dem Inhalt des ersten Link leite ich auch ab, dass ich etwa 15 bis 17½ Zeichen pro Sekunde zeigen soll – das ist hier streng eingehalten (nie mehr als 16 Zeichen pro Sekunde), und daher rühren auch die um bis zu 0,2 Sekunden verschobenen Anfangszeiten der Untertitel. Außerdem steht bei einem der Verweise auf der Seite, dass man nicht über 2½ Worte pro Sekunde zeigen soll – auch daran versuche ich mich zu halten.
Ich mache beim »rephrasing« und beim »compressing« auch Gebrauch von der Maßgabe (des ersten Links), dass man Informationen weglassen kann, wenn die in der näheren Umgebung schon einmal steht oder man von einem Zuschauer vermuten darf, dass er das Weggelassene normalerweise weiß.
So viel zur Erklärung. Jetzt die erste Bitte: In
http://translations.ted.org/wiki/How_to_Tackle_a_Review
steht unter Punkt 2 dass der Reviewer den Translator kontaktieren soll, bevor ein Review zum Approval geschickt wird, weil ja schließlich unsere beiden Namen neben dem Talk erscheinen werden. Und da ich nicht gerne einen anderen Text übergebrezelt bekomme, wenn es gar nicht sein müsste, bitte ich auch um Beachtung von Punkt 4.11. Ich weiß allerdings auch, dass ich nicht immer richtig recherchiere und manches schlichtweg nicht kenne oder weiß und dann Feeler mache – für deren Korrektur ich natürlich hochgradig dankbar bin.
Und die zweite Bitte: Ich habe, falls direkte oder indirekte Rede vorkam, durchweg »Chevrons« (auch ›Guillemets‹ genannt) benutzt. Ich würde mich freuen, wenn die auch so bleiben. Doppelte Hochkommata " sind keine deutschen (http://de.wikipedia.org/wiki/Anführungszeichen#Deutschland_und_.C3.96sterreich), sondern englische Satzzeichen, schlechter zu lesen, und wir verlieren damit Information (Anfang und Ende des Zitats) – und dazu gibt es keinen Grund. Ich habe mich im April und Mai 2013 mit einigen der deutschen Language Coordinators auch dahingehend auseinandergesetzt, und demnach ist das OK.
Vielen Dank – Norbert
Norbert Langkau
Irgendwo habe ich übersetzt »Heilsmittel« – das muss natürlich »Allheilmittel« heißen :(
Judith Matz
17:34 -- Giussani
18:20 -- nah, näher, am nächsten. Superlativ nicht groß. :D
Und kleine Änderungen. Ich hab auch mit einem Zeilenumbruch bei 18:15 rumgespielt und gebe freimütig zu, dass es wohl nicht besser ist als vorher, allerdings hab ich jetzt vergessen, wie's vorher war. Sorry. :)
Und: Was für ein interessanter Vortrag!
Norbert Langkau
0:41 (beim Kommunismus) ich dachte nur groß, wenn das, was folgt, ein ganzer Satz ist=
6:06 viel besser so, vielen Dank.
15:37 oh Mann, bin ich blöd!
18:08 gehört nicht der Punkt zu der Feststellung und das Fragezeichen zu der (äußeren) Frage (und müßten also nicht beide erscheinen)?