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Alles, was Sie über Sucht zu wissen glauben, ist falsch

  • 0:00 - 0:02
    In einer meiner ersten Erinnerungen
  • 0:03 - 0:05
    will ich einen Verwandten aufwecken,
    schaffe es aber nicht.
  • 0:05 - 0:08
    Als kleines Kind verstand ich
    den Grund nicht,
  • 0:08 - 0:10
    doch später wurde mir klar,
  • 0:10 - 0:12
    dass es Drogensucht in meiner Familie gab
  • 0:12 - 0:14
    und später auch Kokainabhängigkeit.
  • 0:14 - 0:19
    Das beschäftigt mich in letzter Zeit sehr,
    teils weil vor genau 100 Jahren
  • 0:19 - 0:22
    in den USA und Großbritannien
    zum ersten Mal Drogen verboten wurden
  • 0:22 - 0:24
    und wir dieses Verbot
    anschließend exportiert haben.
  • 0:24 - 0:28
    Vor einem Jahrhundert trafen wir
    die verhängnisvolle Entscheidung,
  • 0:28 - 0:32
    Abhängige zu bestrafen
    und leiden zu lassen,
  • 0:32 - 0:36
    weil wir meinten, das würde sie
    abschrecken und ermuntern aufzuhören.
  • 0:36 - 0:41
    Vor einigen Jahren dachte ich über
    die Süchtigen nach, die mir nahestehen,
  • 0:41 - 0:45
    und zerbrach mir den Kopf darüber,
    wie man ihnen helfen kann.
  • 0:45 - 0:48
    Da fiel mir auf, dass es sehr viele
    ganz grundlegende Fragen gab,
  • 0:48 - 0:50
    die ich nicht beantworten konnte.
  • 0:50 - 0:52
    Beispielsweise: Was genau löst Sucht aus?
  • 0:52 - 0:56
    Warum beharren wir auf einem Ansatz,
    der anscheinend nicht funktioniert?
  • 0:56 - 0:59
    Kennt irgendwer bessere Ansätze,
    die man ausprobieren könnte?
  • 0:59 - 1:00
    Also las ich eine Menge darüber,
  • 1:00 - 1:03
    fand aber nicht das,
    wonach ich eigentlich suchte.
  • 1:03 - 1:06
    Daher beschloss ich, unterschiedliche
    Leute in aller Welt aufzusuchen,
  • 1:06 - 1:08
    die sich damit beschäftigen,
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    um von ihnen vielleicht
    Anregungen zu bekommen,
  • 1:11 - 1:14
    ohne zu ahnen, dass ich mich auf
    eine fast 50 000 km lange Suche einließ.
  • 1:14 - 1:17
    Doch ich traf dabei
    viele unterschiedliche Leute,
  • 1:17 - 1:19
    von einem Transgender-
    Crack-Dealer aus Brooklyn
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    über einen Forscher, der Mangusten
    mit Halluzinogenen füttert, um zu sehen,
  • 1:23 - 1:24
    ob sie sie mögen --
  • 1:24 - 1:27
    das tun sie auch, aber nur unter
    sehr speziellen Umständen --
  • 1:27 - 1:29
    bis zum einzigen Land,
  • 1:29 - 1:33
    das je alle Drogen von Cannabis
    bis Crack freigegeben hat: Portugal.
  • 1:33 - 1:36
    Ich war völlig verblüfft
    von der Erkenntnis,
  • 1:36 - 1:40
    dass nahezu alles, was wir meinen,
    über Sucht zu wissen, falsch ist.
  • 1:40 - 1:43
    Wenn wir die neuen Erkenntnisse
    über Sucht verinnerlichen,
  • 1:43 - 1:46
    müssen wir wohl sehr viel mehr ändern
    als nur unsere Drogenpolitik.
  • 1:46 - 1:50
    Doch fangen wir damit an,
    was Sie und ich zu wissen glaubten:
  • 1:50 - 1:52
    Nehmen wir diese Reihe in der Mitte.
  • 1:52 - 1:56
    Angenommen, Sie spritzen sich über
    20 Tage hinweg dreimal täglich Heroin.
  • 1:56 - 1:59
    Einige von Ihnen scheinen davon
    begeisterter als andere.
  • 1:59 - 2:00
    (Lachen)
  • 2:00 - 2:02
    Keine Sorge! Es ist nur ein Gedankenspiel.
  • 2:02 - 2:04
    Stellen Sie sich vor, Sie würden das tun.
  • 2:04 - 2:05
    Was würde geschehen?
  • 2:05 - 2:09
    Seit einem Jahrhundert wird uns
    dieselbe Geschichte dazu erzählt:
  • 2:09 - 2:12
    Wir glauben, dass das Heroin
    sich chemisch verankert,
  • 2:12 - 2:14
    wenn Sie es eine Weile einnehmen,
  • 2:14 - 2:16
    und Ihr Körper davon abhängig wird.
  • 2:16 - 2:18
    Ihr Körper fängt an, es zu brauchen,
  • 2:18 - 2:21
    und nach 20 Tagen wären Sie alle
    heroinsüchtig, nicht wahr?
  • 2:21 - 2:22
    Dachte ich jedenfalls.
  • 2:22 - 2:26
    Der erste Hinweis, dass etwas
    faul an dieser Geschichte ist,
  • 2:26 - 2:28
    war für mich der Ort,
    wo sie mir erzählt wurde.
  • 2:28 - 2:32
    Wenn mich nach dem Vortrag ein Auto
    anfährt und ich mir die Hüfte breche,
  • 2:32 - 2:35
    lande ich im Krankenhaus
    und werde mit Diamorphin vollgepumpt.
  • 2:35 - 2:37
    Diamorphin ist Heroin --
  • 2:37 - 2:40
    sogar ein sehr gutes Heroin
    im Vergleich zum Schwarzmarkt,
  • 2:40 - 2:43
    wo das Zeug vom Dealer gestreckt ist
  • 2:43 - 2:45
    und nur ganz wenig Heroin enthält.
  • 2:45 - 2:48
    Dagegen gibt Ihnen der Arzt
    medizinisch reinen Stoff,
  • 2:48 - 2:49
    und das für recht lange Zeit.
  • 2:49 - 2:51
    Hier im Saal befinden sich viele Leute.
  • 2:51 - 2:55
    Vielleicht ist Ihnen nicht klar,
    dass Sie viel Heroin genommen haben.
  • 2:55 - 2:58
    Das betrifft alle Zuschauer
    dieses Vortrags auf der ganzen Welt.
  • 2:58 - 3:00
    Wenn unsere Annahme von Sucht zutrifft,
  • 3:00 - 3:03
    sind diese Leute den
    chemischen Ankern ausgeliefert.
  • 3:03 - 3:05
    Was wäre zu erwarten?
    Dass sie süchtig werden.
  • 3:05 - 3:07
    Dies wurde eingehend untersucht.
  • 3:07 - 3:11
    Es passiert nicht. Sie haben bemerkt,
    dass Ihre Oma nach der Hüftoperation
  • 3:11 - 3:14
    nicht als Junkie entlassen wurde.
    (Lachen)
  • 3:14 - 3:16
    Als ich davon erfuhr,
    erschien es mir derart seltsam,
  • 3:16 - 3:20
    derart im Widerspruch zu allem, was mir
    gesagt wurde und ich zu wissen glaubte,
  • 3:20 - 3:24
    dass ich an der Tatsache zweifelte,
    bis ich Bruce Alexander begegnete.
  • 3:24 - 3:26
    Er ist Professor
    für Psychologie in Vancouver
  • 3:26 - 3:28
    und hat ein unglaubliches
    Experiment durchgeführt,
  • 3:28 - 3:30
    das uns hilft, das Problem zu verstehen.
  • 3:30 - 3:32
    Professor Alexander erklärte mir,
  • 3:32 - 3:34
    dass unsere Vorstellung von Sucht
  • 3:34 - 3:36
    teilweise auf Experimenten beruht,
  • 3:36 - 3:38
    die Anfang des 20. Jahrhunderts
    durchgeführt wurden.
  • 3:38 - 3:40
    Sie sind sehr einfach.
  • 3:40 - 3:43
    Mit etwas Sadismus können Sie
    sie gleich zuhause durchführen.
  • 3:43 - 3:47
    Sie stecken eine Ratte in einen Käfig
    und geben ihr zwei Trinkflaschen:
  • 3:47 - 3:51
    Die eine enthält nur Wasser und
    die andere zusätzlich Heroin oder Kokain.
  • 3:51 - 3:54
    Wenn Sie das tun, bevorzugt
    die Ratte fast immer die Droge
  • 3:54 - 3:57
    und bringt sich fast immer
    sehr schnell um.
  • 3:57 - 4:00
    Da haben wir es, oder?
    So läuft es, denken wir.
  • 4:00 - 4:03
    In den 70ern sieht sich
    Professor Alexander das Experiment an.
  • 4:03 - 4:04
    Dabei fällt ihm eines auf.
  • 4:04 - 4:07
    Die Ratte steckt in einem leeren Käfig,
  • 4:07 - 4:10
    wo sie nichts zu tun hat,
    außer Drogen zu nehmen.
  • 4:10 - 4:11
    Probieren wir etwas anderes!
  • 4:11 - 4:14
    Also baute Professor Alexander
    einen Käfig, den "Rattenpark",
  • 4:14 - 4:17
    der gewissermaßen ein Rattenhimmel ist.
  • 4:17 - 4:21
    Sie bekommen jede Menge Käse,
    bunte Bälle und Tunnel.
  • 4:21 - 4:25
    Entscheidend ist, dass sie jede Menge
    Freunde und Sex haben können.
  • 4:25 - 4:29
    Sie haben beide Trinkflaschen
    -- einmal mit und einmal ohne Drogen.
  • 4:29 - 4:32
    Doch es geschieht etwas Faszinierendes:
  • 4:32 - 4:36
    Im Rattenpark mögen die Ratten
    das Drogenwasser nicht.
  • 4:36 - 4:37
    Sie benutzen es fast nie.
  • 4:37 - 4:40
    Keine von ihnen nutzt es zwanghaft.
  • 4:40 - 4:41
    Keine nimmt eine Überdosis.
  • 4:41 - 4:45
    Das ist ein Rückgang von
    100 % Überdosierung in der Isolation
  • 4:45 - 4:48
    zu 0 % Überdosierung
    in einer glücklichen Gemeinschaft.
  • 4:48 - 4:51
    Als Professor Alexander das
    zum ersten Mal sah, dachte er,
  • 4:51 - 4:54
    dass das vielleicht
    eine Besonderheit von Ratten ist.
  • 4:54 - 4:57
    Sie sind ganz anders als wir
    -- möchten wir zumindest glauben.
  • 4:57 - 4:59
    Zum Glück gab es einen Menschenversuch,
  • 4:59 - 5:02
    der zur selben Zeit stattfand
    und nach demselben Muster ablief.
  • 5:02 - 5:04
    Man nannte ihn den Vietnamkrieg.
  • 5:04 - 5:09
    In Vietnam nahmen 20 % aller US-Soldaten
    Heroin in rauen Mengen.
  • 5:09 - 5:11
    In der damaligen Berichterstattung
  • 5:12 - 5:15
    findet man die große Sorge,
  • 5:15 - 5:18
    Hunderttausende würden als Junkies
    in den USA nach dem Krieg
  • 5:18 - 5:20
    auf der Straße landen; es schien logisch.
  • 5:20 - 5:24
    Man untersuchte, was daheim
    aus solchen Heroinkonsumenten wurde,
  • 5:24 - 5:27
    nachzulesen in
    "Archives of General Psychiatry".
  • 5:27 - 5:28
    Was geschah?
  • 5:28 - 5:32
    Sie machten keine Drogentherapie
    und gingen nicht in die Entzugsklinik.
  • 5:32 - 5:35
    95 % von ihnen hörten einfach auf.
  • 5:35 - 5:38
    Gemäß der Geschichte
    von den chemischen Ankern
  • 5:38 - 5:40
    ergibt das keinerlei Sinn,
  • 5:40 - 5:44
    doch Professor Alexander überlegte sich
    eine andere Erklärung für Sucht:
  • 5:44 - 5:47
    Vielleicht geht es bei Sucht
    gar nicht um chemische Anker.
  • 5:47 - 5:49
    Kann Sucht eine Folge Ihres Käfigs sein?
  • 5:49 - 5:52
    Kann Sucht eine Anpassung
    an Ihre Umgebung sein?
  • 5:52 - 5:54
    Angesichts dessen sagte
  • 5:54 - 5:56
    ein anderer Professor namens
    Peter Cohen aus den Niederlanden,
  • 5:56 - 5:59
    dass wir wohl gar nicht
    von Sucht sprechen sollten,
  • 5:59 - 6:01
    sondern von Bindung.
  • 6:01 - 6:04
    Das menschliche Bindungsbedürfnis
    ist angeboren und natürlich,
  • 6:04 - 6:07
    und wenn wir glücklich und gesund sind,
    gehen wir Bindungen ein.
  • 6:07 - 6:10
    Doch wenn man das nicht kann,
  • 6:10 - 6:14
    weil man traumatisiert, einsam
    oder vom Schicksal gebeutelt ist,
  • 6:14 - 6:17
    dann bindet man sich an etwas,
    das einem Erleichterung verschafft.
  • 6:17 - 6:20
    Das kann Glücksspiel sein
    oder Pornographie,
  • 6:20 - 6:22
    vielleicht ist es Kokain oder Cannabis,
  • 6:22 - 6:26
    doch man verbindet sich mit etwas,
    weil es unserer Natur entspricht.
  • 6:26 - 6:28
    Wir Menschen streben danach.
  • 6:28 - 6:32
    Anfangs wollte mir das
    nicht so recht einleuchten,
  • 6:32 - 6:34
    doch folgender Ansatz half mir umzudenken:
  • 6:34 - 6:38
    Da drüben an meinem Sitz
    steht eine Flasche Wasser, nicht wahr?
  • 6:38 - 6:41
    Auch viele von Ihnen haben
    Wasserflaschen mitgebracht.
  • 6:41 - 6:43
    Vergessen Sie einmal das Drogenthema!
  • 6:43 - 6:48
    All diese Flaschen könnten völlig legal
    mit Wodka gefüllt sein.
  • 6:48 - 6:51
    Wir könnten uns alle betrinken --
    mache ich vielleicht nachher -- (Lachen)
  • 6:52 - 6:53
    doch wir tun es nicht.
  • 6:53 - 6:56
    Weil Sie offenbar die Phantastillionen
    auftreiben konnten, die man braucht,
  • 6:56 - 7:00
    um einem TEDTalk beizuwohnen,
    könnten Sie es sich auch leisten,
  • 7:00 - 7:02
    die nächsten sechs Monate
    Wodka zu trinken.
  • 7:02 - 7:04
    Sie würden dadurch nicht obdachlos.
  • 7:04 - 7:06
    Sie werden das nicht tun.
  • 7:06 - 7:09
    Der Grund liegt nicht darin,
    dass jemand Sie aufhalten würde.
  • 7:09 - 7:12
    Es liegt daran, dass Sie Bindungen haben,
  • 7:12 - 7:13
    für die Sie da sein möchten.
  • 7:13 - 7:16
    Sie haben Arbeit und Leute,
    die Ihnen lieb sind.
  • 7:16 - 7:18
    Sie haben gesunde Beziehungen.
  • 7:18 - 7:20
    Ein Kernbestandteil von Sucht liegt
  • 7:20 - 7:23
    -- nach meiner Überzeugung
    und den Belegen --
  • 7:23 - 7:27
    darin, dass man die Gegenwart
    des eigenen Lebens nicht erträgt.
  • 7:27 - 7:29
    Daraus folgen wirklich
    entscheidende Schlüsse.
  • 7:29 - 7:32
    Der offensichtlichste betrifft
    den Krieg gegen die Drogen.
  • 7:32 - 7:36
    In Arizona traf ich eine Gruppe Frauen,
  • 7:36 - 7:40
    die T-Shirts mit der Aufschrift
    "Ich war drogenabhängig" tragen,
  • 7:40 - 7:43
    in Ketten gehen und
    Gräber ausheben mussten --
  • 7:43 - 7:45
    unter dem Spott der Öffentlichkeit.
  • 7:45 - 7:48
    Bei ihrer Entlassung sind
    diese Frauen vorbestraft,
  • 7:48 - 7:51
    was bedeutet, dass sie
    keine legale Stelle mehr finden.
  • 7:51 - 7:55
    Das ist natürlich
    ein besonders krasses Beispiel.
  • 7:55 - 7:57
    Doch fast überall in der Welt
  • 7:57 - 7:59
    behandeln wir Abhängige ähnlich.
  • 7:59 - 8:02
    Wir bestrafen sie, erniedrigen sie,
    geben ihnen Vorstrafen
  • 8:02 - 8:04
    und behindern ihre Wiedereingliederung.
  • 8:04 - 8:07
    Ein erstaunlicher Mensch
    und Arzt aus Kanada, Dr. Gabor Maté,
  • 8:07 - 8:11
    sagte mir, ein System, das gezielt
    Sucht verschlimmern sollte,
  • 8:11 - 8:13
    würde genau so aussehen.
  • 8:13 - 8:15
    Ein Land hat beschlossen,
    das genaue Gegenteil zu tun,
  • 8:15 - 8:18
    und ich habe mir dort ein Bild gemacht.
  • 8:18 - 8:21
    2000 hatte Portugal eines der
    größten Drogenprobleme in Europa.
  • 8:21 - 8:25
    1 % der Bevölkerung war heroinabhängig,
    was wirklich krass ist.
  • 8:25 - 8:28
    Von Jahr zu Jahr übernahm man
    zunehmend die US-Methoden.
  • 8:28 - 8:31
    Man bestrafte, stigmatisierte
    und erniedrigte Süchtige immer mehr
  • 8:31 - 8:32
    und mit jedem Jahr wuchs das Problem.
  • 8:32 - 8:36
    Bis sich eines Tages der Ministerpräsident
    und der Oppositionsführer einigten,
  • 8:36 - 8:38
    dass es damit nicht weitergehen konnte,
  • 8:38 - 8:41
    dass immer mehr Menschen
    im Land dem Heroin verfielen.
  • 8:41 - 8:44
    Sie ließen ein Gremium
    aus Wissenschaftlern und Ärzten
  • 8:44 - 8:46
    nach einer echten Lösung suchen.
  • 8:46 - 8:49
    Das Gremium leitete Dr. João Goulão,
    ein erstaunlicher Mann.
  • 8:49 - 8:51
    Es sichtete die neuen Belege
  • 8:51 - 8:53
    und kam zu dem Schluss:
  • 8:53 - 8:57
    "Legalisiert alle Drogen
    von Cannabis bis Crack, doch"
  • 8:57 - 9:00
    -- und das ist entscheidend --
  • 9:00 - 9:03
    "nehmt die Mittel, die wir
    bisher zur Isolierung Süchtiger
  • 9:03 - 9:05
    und ihrer Absonderung verwendet haben
  • 9:05 - 9:08
    und gebt sie für ihre Wiedereingliederung
    in die Gesellschaft aus."
  • 9:08 - 9:13
    Das entspricht nicht unserer Vorstellung
    von Suchtbehandlung --
  • 9:13 - 9:15
    jedenfalls in den USA und Großbritannien.
  • 9:15 - 9:17
    Also bieten sie stationäre Drogentherapie
  • 9:17 - 9:19
    und eine Psychotherapie an,
    was sicher nützlich ist.
  • 9:19 - 9:23
    Der Clou sind aber Punkte,
    die unseren Ansatz auf den Kopf stellen:
  • 9:23 - 9:26
    Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm
    für Süchtige
  • 9:26 - 9:28
    und Mikrokredite zur Gründung
    kleiner Unternehmen.
  • 9:28 - 9:30
    Angenommen, Sie waren Mechaniker.
  • 9:30 - 9:32
    Eine Werkstatt, die Sie
    für ein Jahr übernimmt,
  • 9:32 - 9:35
    bekommt die Hälfte des Lohns erstattet.
  • 9:35 - 9:37
    Das Ziel dabei ist,
    dass jeder Süchtige in Portugal
  • 9:37 - 9:40
    einen Grund hat, morgens
    aus dem Bett aufzustehen.
  • 9:40 - 9:43
    Die Süchtigen in Portugal sagten mir,
  • 9:43 - 9:46
    dass sie wieder Sinn in ihrem Leben sahen.
  • 9:46 - 9:49
    Sie traten wieder
    mit der Gesellschaft in Verbindung.
  • 9:49 - 9:52
    Vor 15 Jahren nahm man
    dieses Experiment in Angriff.
  • 9:52 - 9:53
    Nun liegen Ergebnisse vor:
  • 9:53 - 9:55
    Erheblich weniger hängen an der Nadel
  • 9:55 - 9:58
    gemäß dem "British Journal of Criminology"
  • 9:58 - 10:00
    ganze 50 % weniger.
  • 10:00 - 10:04
    Überdosierungen und HIV unter Süchtigen
    sind stark rückläufig.
  • 10:04 - 10:07
    Unstrittig ist, dass die Sucht
    erheblich zurückging.
  • 10:07 - 10:10
    Dass es gut funktioniert hat,
    sieht man daran, dass niemand in Portugal
  • 10:10 - 10:12
    zum alten System zurückkehren will.
  • 10:12 - 10:14
    Soweit zu den politischen Folgerungen.
  • 10:14 - 10:17
    Ich meine, es gibt
    tiefer gehende Folgerungen
  • 10:17 - 10:19
    aus all diesen Untersuchungen.
  • 10:19 - 10:22
    Wir leben in einer Kultur,
    in der Menschen sich zunehmend
  • 10:22 - 10:24
    für allerlei Süchte anfällig fühlen,
  • 10:24 - 10:26
    sei es Handysucht,
    Kaufsucht oder Esssucht.
  • 10:26 - 10:29
    Uns allen hier im Saal wurde gesagt,
  • 10:29 - 10:31
    dass Handys während der Vorträge
    aus bleiben müssen.
  • 10:32 - 10:35
    Mir fiel auf, dass dabei viele von Ihnen
    dreinschauten wie Süchtige,
  • 10:35 - 10:38
    deren Dealer in den
    nächsten Stunden keine Zeit hat.
  • 10:38 - 10:39
    (Lachen)
  • 10:39 - 10:42
    Erstaunlicherweise kennen
    viele von uns dieses Gefühl.
  • 10:42 - 10:45
    Wie gesagt, ist Bindungslosigkeit
    ein Hauptauslöser von Sucht,
  • 10:45 - 10:47
    und sie nimmt zu,
  • 10:47 - 10:50
    obwohl unsere Gesellschaft doch gewiss
    so vernetzt ist wie nie zuvor.
  • 10:50 - 10:53
    Ich glaube immer fester,
    dass die Bindungen, die wir haben
  • 10:53 - 10:56
    oder glauben zu haben,
    eher ein müder Abklatsch davon sind.
  • 10:57 - 10:59
    In einer Lebenskrise werden Sie merken,
  • 10:59 - 11:02
    dass Sie weder von Ihren Twitter-Anhängern
  • 11:02 - 11:05
    noch von Ihren Facebook-Freunden
    Beistand bekommen,
  • 11:05 - 11:08
    sondern von Ihren Freunden
    aus Fleisch und Blut,
  • 11:08 - 11:11
    zu denen Sie eine tiefe, ausgeprägte,
    persönliche Bindung haben.
  • 11:11 - 11:15
    Der Umwelt-Autor Bill McKibben
    wies mich auf eine Studie hin,
  • 11:15 - 11:17
    die uns meiner Meinung nach
    viel darüber sagt.
  • 11:17 - 11:21
    In ihr wurde die Anzahl der Freunde
    untersucht, von denen man glaubt,
  • 11:21 - 11:23
    dass man sie in einer Krise anrufen kann.
  • 11:23 - 11:26
    Diese Zahl hat seit den 1950ern
    beständig abgenommen.
  • 11:26 - 11:31
    Dagegen hat sich die Wohnfläche
    des Einzelnen beständig vergrößert.
  • 11:31 - 11:34
    Das kommt mir wie eine Metapher
    für die Prioritäten unserer Kultur vor.
  • 11:34 - 11:39
    Wir tauschen Freunde gegen Wohnraum ein,
    und Bindungen gegen Dinge.
  • 11:39 - 11:43
    Infolgedessen sind wir eine der
    einsamsten Gesellschaften aller Zeiten.
  • 11:43 - 11:46
    Bruce Alexander, der Erfinder
    des Rattenparks, meint,
  • 11:46 - 11:50
    dass wir stets von der Gesundung
    des einzelnen Süchtigen reden,
  • 11:50 - 11:52
    was auch richtig ist.
  • 11:52 - 11:54
    Doch was ist mit der Gesundung
    der Gesellschaft?
  • 11:54 - 11:58
    Mit uns läuft etwas schief, nicht nur
    mit jedem Einzelnen, sondern insgesamt.
  • 11:58 - 11:59
    Wir bilden eine Gesellschaft,
  • 11:59 - 12:03
    in der das Leben für viele
    eher einem Einzelkäfig ähnelt
  • 12:03 - 12:05
    als dem Rattenpark.
  • 12:05 - 12:08
    Offen gesagt war das nicht
    meine Stoßrichtung.
  • 12:08 - 12:11
    Ich wollte nicht die politischen
    und sozialen Fragen ergründen,
  • 12:11 - 12:14
    sondern wie ich
    geliebten Menschen helfen kann.
  • 12:14 - 12:17
    Als ich von meiner langen,
    lehrreichen Reise zurückkehrte,
  • 12:17 - 12:20
    führte ich mir die Süchtigen
    in meinem Leben vor Augen.
  • 12:20 - 12:24
    Einmal ganz ehrlich: Es fällt schwer,
    einen Süchtigen zu lieben.
  • 12:24 - 12:27
    Viele von Ihnen hier im Saal wissen das.
  • 12:27 - 12:29
    Man ist oft verärgert.
  • 12:29 - 12:33
    Die Diskussion ist wohl
    auch deshalb so aufgeladen,
  • 12:33 - 12:36
    weil die Sache jedem von uns
    an die Nieren geht, richtig?
  • 12:36 - 12:39
    Beim Anblick eines Süchtigen
    regt sich in jedem der Wunsch,
  • 12:39 - 12:41
    irgendjemand möge ihn abhalten.
  • 12:41 - 12:45
    Die Handlungsmuster für den Umgang
    mit Süchtigen, die man uns nahelegt,
  • 12:45 - 12:46
    versinnbildlicht wohl
  • 12:46 - 12:49
    die Reality-Show "Intervention",
    eine US-Fernseh-Serie.
  • 12:49 - 12:51
    Alles in unserem Leben wird
    durch Reality-TV definiert.
  • 12:52 - 12:53
    Doch ich schweife ab.
  • 12:53 - 12:56
    Die Sendung "Intervention" ist
    recht einfach gestrickt.
  • 12:56 - 12:59
    Man nehme einen Süchtigen,
    versammle alle Leute aus seinem Leben,
  • 12:59 - 13:03
    konfrontiere ihn mit seinem Verhalten,
    und drohe ihm, ihn fallen zu lassen,
  • 13:03 - 13:05
    wenn er sich nicht bessert.
  • 13:05 - 13:08
    Man nimmt also die Bindungen
    eines Süchtigen
  • 13:08 - 13:10
    als Druckmittel dafür her,
  • 13:10 - 13:12
    dass er das gewünschte Verhalten zeigt.
  • 13:12 - 13:16
    Mir ist klar geworden,
    warum dieser Ansatz nicht klappt.
  • 13:16 - 13:20
    Man scheint die Logik
    des Kriegs gegen die Drogen
  • 13:20 - 13:22
    ins Privatleben zu übertragen.
  • 13:22 - 13:26
    Mich beschäftigte, wie ich selbst
    ein "Portugiese" werden kann.
  • 13:26 - 13:29
    Momentan versuche ich
    ohne Anspruch auf Konsequenz
  • 13:29 - 13:31
    und ohne dass es mir leicht fällt,
  • 13:31 - 13:34
    den Süchtigen in meinem Leben zu sagen,
  • 13:34 - 13:36
    dass ich engeren Kontakt zu ihnen will,
  • 13:36 - 13:40
    dass ich sie liebe,
    egal ob sie abstinent bleiben.
  • 13:40 - 13:43
    "Ich liebe dich,
    egal in welchem Zustand du bist.
  • 13:43 - 13:45
    Wenn du mich brauchst,
    bin ich für dich da,
  • 13:45 - 13:48
    weil ich dich liebe und
    damit du nicht einsam bist
  • 13:48 - 13:50
    oder dich einsam fühlst."
  • 13:50 - 13:52
    Meiner Meinung nach muss die Kernaussage
  • 13:52 - 13:55
    -- du bist nicht allein,
    wir lieben dich --
  • 13:55 - 13:58
    auf allen Ebenen unsere Botschaft
    an die Süchtigen sein,
  • 13:58 - 14:00
    ob sozial, politisch oder individuell.
  • 14:00 - 14:05
    Seit 100 Jahren singen wir nun
    Kampflieder über Süchtige.
  • 14:05 - 14:09
    Wir hätten ihnen in der Zeit
    Liebeslieder singen sollen.
  • 14:09 - 14:13
    Denn das Gegenteil von Sucht
    ist nicht Nüchernheit.
  • 14:13 - 14:17
    Das Gegenteil von Sucht ist Bindung.
  • 14:17 - 14:19
    Ich danke Ihnen.
  • 14:19 - 14:22
    (Applaus)
Title:
Alles, was Sie über Sucht zu wissen glauben, ist falsch
Speaker:
Johann Hari
Description:

Was ist die wahre Ursache von Sucht – sei es nach Kokain oder nach dem Smartphone? Und wie kann man sie überwinden? Johann Hari erlebte hautnah das Scheitern unserer derzeitigen Methoden, als er den Kampf von Süchtigen, die ihm nahestehen, mitverfolgte. Er stellte sich die Frage, warum wir mit Süchtigen auf diese Weise umgehen, und ob es bessere Ansätze gibt. Wie er in diesem sehr persönlichen Vortrag preisgibt, führten ihn seine Fragen rund um den Erdball und legten einige überraschende und ermutigende Denkansätze zu einem uralten Problem frei.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
14:42

German subtitles

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