Alles, was Sie über Sucht zu wissen glauben, ist falsch
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0:00 - 0:02In einer meiner ersten Erinnerungen
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0:03 - 0:05will ich einen Verwandten aufwecken,
schaffe es aber nicht. -
0:05 - 0:08Als kleines Kind verstand ich
den Grund nicht, -
0:08 - 0:10doch später wurde mir klar,
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0:10 - 0:12dass es Drogensucht in meiner Familie gab
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0:12 - 0:14und später auch Kokainabhängigkeit.
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0:14 - 0:19Das beschäftigt mich in letzter Zeit sehr,
teils weil vor genau 100 Jahren -
0:19 - 0:22in den USA und Großbritannien
zum ersten Mal Drogen verboten wurden -
0:22 - 0:24und wir dieses Verbot
anschließend exportiert haben. -
0:24 - 0:28Vor einem Jahrhundert trafen wir
die verhängnisvolle Entscheidung, -
0:28 - 0:32Abhängige zu bestrafen
und leiden zu lassen, -
0:32 - 0:36weil wir meinten, das würde sie
abschrecken und ermuntern aufzuhören. -
0:36 - 0:41Vor einigen Jahren dachte ich über
die Süchtigen nach, die mir nahestehen, -
0:41 - 0:45und zerbrach mir den Kopf darüber,
wie man ihnen helfen kann. -
0:45 - 0:48Da fiel mir auf, dass es sehr viele
ganz grundlegende Fragen gab, -
0:48 - 0:50die ich nicht beantworten konnte.
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0:50 - 0:52Beispielsweise: Was genau löst Sucht aus?
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0:52 - 0:56Warum beharren wir auf einem Ansatz,
der anscheinend nicht funktioniert? -
0:56 - 0:59Kennt irgendwer bessere Ansätze,
die man ausprobieren könnte? -
0:59 - 1:00Also las ich eine Menge darüber,
-
1:00 - 1:03fand aber nicht das,
wonach ich eigentlich suchte. -
1:03 - 1:06Daher beschloss ich, unterschiedliche
Leute in aller Welt aufzusuchen, -
1:06 - 1:08die sich damit beschäftigen,
-
1:08 - 1:11um von ihnen vielleicht
Anregungen zu bekommen, -
1:11 - 1:14ohne zu ahnen, dass ich mich auf
eine fast 50 000 km lange Suche einließ. -
1:14 - 1:17Doch ich traf dabei
viele unterschiedliche Leute, -
1:17 - 1:19von einem Transgender-
Crack-Dealer aus Brooklyn -
1:19 - 1:23über einen Forscher, der Mangusten
mit Halluzinogenen füttert, um zu sehen, -
1:23 - 1:24ob sie sie mögen --
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1:24 - 1:27das tun sie auch, aber nur unter
sehr speziellen Umständen -- -
1:27 - 1:29bis zum einzigen Land,
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1:29 - 1:33das je alle Drogen von Cannabis
bis Crack freigegeben hat: Portugal. -
1:33 - 1:36Ich war völlig verblüfft
von der Erkenntnis, -
1:36 - 1:40dass nahezu alles, was wir meinen,
über Sucht zu wissen, falsch ist. -
1:40 - 1:43Wenn wir die neuen Erkenntnisse
über Sucht verinnerlichen, -
1:43 - 1:46müssen wir wohl sehr viel mehr ändern
als nur unsere Drogenpolitik. -
1:46 - 1:50Doch fangen wir damit an,
was Sie und ich zu wissen glaubten: -
1:50 - 1:52Nehmen wir diese Reihe in der Mitte.
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1:52 - 1:56Angenommen, Sie spritzen sich über
20 Tage hinweg dreimal täglich Heroin. -
1:56 - 1:59Einige von Ihnen scheinen davon
begeisterter als andere. -
1:59 - 2:00(Lachen)
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2:00 - 2:02Keine Sorge! Es ist nur ein Gedankenspiel.
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2:02 - 2:04Stellen Sie sich vor, Sie würden das tun.
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2:04 - 2:05Was würde geschehen?
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2:05 - 2:09Seit einem Jahrhundert wird uns
dieselbe Geschichte dazu erzählt: -
2:09 - 2:12Wir glauben, dass das Heroin
sich chemisch verankert, -
2:12 - 2:14wenn Sie es eine Weile einnehmen,
-
2:14 - 2:16und Ihr Körper davon abhängig wird.
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2:16 - 2:18Ihr Körper fängt an, es zu brauchen,
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2:18 - 2:21und nach 20 Tagen wären Sie alle
heroinsüchtig, nicht wahr? -
2:21 - 2:22Dachte ich jedenfalls.
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2:22 - 2:26Der erste Hinweis, dass etwas
faul an dieser Geschichte ist, -
2:26 - 2:28war für mich der Ort,
wo sie mir erzählt wurde. -
2:28 - 2:32Wenn mich nach dem Vortrag ein Auto
anfährt und ich mir die Hüfte breche, -
2:32 - 2:35lande ich im Krankenhaus
und werde mit Diamorphin vollgepumpt. -
2:35 - 2:37Diamorphin ist Heroin --
-
2:37 - 2:40sogar ein sehr gutes Heroin
im Vergleich zum Schwarzmarkt, -
2:40 - 2:43wo das Zeug vom Dealer gestreckt ist
-
2:43 - 2:45und nur ganz wenig Heroin enthält.
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2:45 - 2:48Dagegen gibt Ihnen der Arzt
medizinisch reinen Stoff, -
2:48 - 2:49und das für recht lange Zeit.
-
2:49 - 2:51Hier im Saal befinden sich viele Leute.
-
2:51 - 2:55Vielleicht ist Ihnen nicht klar,
dass Sie viel Heroin genommen haben. -
2:55 - 2:58Das betrifft alle Zuschauer
dieses Vortrags auf der ganzen Welt. -
2:58 - 3:00Wenn unsere Annahme von Sucht zutrifft,
-
3:00 - 3:03sind diese Leute den
chemischen Ankern ausgeliefert. -
3:03 - 3:05Was wäre zu erwarten?
Dass sie süchtig werden. -
3:05 - 3:07Dies wurde eingehend untersucht.
-
3:07 - 3:11Es passiert nicht. Sie haben bemerkt,
dass Ihre Oma nach der Hüftoperation -
3:11 - 3:14nicht als Junkie entlassen wurde.
(Lachen) -
3:14 - 3:16Als ich davon erfuhr,
erschien es mir derart seltsam, -
3:16 - 3:20derart im Widerspruch zu allem, was mir
gesagt wurde und ich zu wissen glaubte, -
3:20 - 3:24dass ich an der Tatsache zweifelte,
bis ich Bruce Alexander begegnete. -
3:24 - 3:26Er ist Professor
für Psychologie in Vancouver -
3:26 - 3:28und hat ein unglaubliches
Experiment durchgeführt, -
3:28 - 3:30das uns hilft, das Problem zu verstehen.
-
3:30 - 3:32Professor Alexander erklärte mir,
-
3:32 - 3:34dass unsere Vorstellung von Sucht
-
3:34 - 3:36teilweise auf Experimenten beruht,
-
3:36 - 3:38die Anfang des 20. Jahrhunderts
durchgeführt wurden. -
3:38 - 3:40Sie sind sehr einfach.
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3:40 - 3:43Mit etwas Sadismus können Sie
sie gleich zuhause durchführen. -
3:43 - 3:47Sie stecken eine Ratte in einen Käfig
und geben ihr zwei Trinkflaschen: -
3:47 - 3:51Die eine enthält nur Wasser und
die andere zusätzlich Heroin oder Kokain. -
3:51 - 3:54Wenn Sie das tun, bevorzugt
die Ratte fast immer die Droge -
3:54 - 3:57und bringt sich fast immer
sehr schnell um. -
3:57 - 4:00Da haben wir es, oder?
So läuft es, denken wir. -
4:00 - 4:03In den 70ern sieht sich
Professor Alexander das Experiment an. -
4:03 - 4:04Dabei fällt ihm eines auf.
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4:04 - 4:07Die Ratte steckt in einem leeren Käfig,
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4:07 - 4:10wo sie nichts zu tun hat,
außer Drogen zu nehmen. -
4:10 - 4:11Probieren wir etwas anderes!
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4:11 - 4:14Also baute Professor Alexander
einen Käfig, den "Rattenpark", -
4:14 - 4:17der gewissermaßen ein Rattenhimmel ist.
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4:17 - 4:21Sie bekommen jede Menge Käse,
bunte Bälle und Tunnel. -
4:21 - 4:25Entscheidend ist, dass sie jede Menge
Freunde und Sex haben können. -
4:25 - 4:29Sie haben beide Trinkflaschen
-- einmal mit und einmal ohne Drogen. -
4:29 - 4:32Doch es geschieht etwas Faszinierendes:
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4:32 - 4:36Im Rattenpark mögen die Ratten
das Drogenwasser nicht. -
4:36 - 4:37Sie benutzen es fast nie.
-
4:37 - 4:40Keine von ihnen nutzt es zwanghaft.
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4:40 - 4:41Keine nimmt eine Überdosis.
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4:41 - 4:45Das ist ein Rückgang von
100 % Überdosierung in der Isolation -
4:45 - 4:48zu 0 % Überdosierung
in einer glücklichen Gemeinschaft. -
4:48 - 4:51Als Professor Alexander das
zum ersten Mal sah, dachte er, -
4:51 - 4:54dass das vielleicht
eine Besonderheit von Ratten ist. -
4:54 - 4:57Sie sind ganz anders als wir
-- möchten wir zumindest glauben. -
4:57 - 4:59Zum Glück gab es einen Menschenversuch,
-
4:59 - 5:02der zur selben Zeit stattfand
und nach demselben Muster ablief. -
5:02 - 5:04Man nannte ihn den Vietnamkrieg.
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5:04 - 5:09In Vietnam nahmen 20 % aller US-Soldaten
Heroin in rauen Mengen. -
5:09 - 5:11In der damaligen Berichterstattung
-
5:12 - 5:15findet man die große Sorge,
-
5:15 - 5:18Hunderttausende würden als Junkies
in den USA nach dem Krieg -
5:18 - 5:20auf der Straße landen; es schien logisch.
-
5:20 - 5:24Man untersuchte, was daheim
aus solchen Heroinkonsumenten wurde, -
5:24 - 5:27nachzulesen in
"Archives of General Psychiatry". -
5:27 - 5:28Was geschah?
-
5:28 - 5:32Sie machten keine Drogentherapie
und gingen nicht in die Entzugsklinik. -
5:32 - 5:3595 % von ihnen hörten einfach auf.
-
5:35 - 5:38Gemäß der Geschichte
von den chemischen Ankern -
5:38 - 5:40ergibt das keinerlei Sinn,
-
5:40 - 5:44doch Professor Alexander überlegte sich
eine andere Erklärung für Sucht: -
5:44 - 5:47Vielleicht geht es bei Sucht
gar nicht um chemische Anker. -
5:47 - 5:49Kann Sucht eine Folge Ihres Käfigs sein?
-
5:49 - 5:52Kann Sucht eine Anpassung
an Ihre Umgebung sein? -
5:52 - 5:54Angesichts dessen sagte
-
5:54 - 5:56ein anderer Professor namens
Peter Cohen aus den Niederlanden, -
5:56 - 5:59dass wir wohl gar nicht
von Sucht sprechen sollten, -
5:59 - 6:01sondern von Bindung.
-
6:01 - 6:04Das menschliche Bindungsbedürfnis
ist angeboren und natürlich, -
6:04 - 6:07und wenn wir glücklich und gesund sind,
gehen wir Bindungen ein. -
6:07 - 6:10Doch wenn man das nicht kann,
-
6:10 - 6:14weil man traumatisiert, einsam
oder vom Schicksal gebeutelt ist, -
6:14 - 6:17dann bindet man sich an etwas,
das einem Erleichterung verschafft. -
6:17 - 6:20Das kann Glücksspiel sein
oder Pornographie, -
6:20 - 6:22vielleicht ist es Kokain oder Cannabis,
-
6:22 - 6:26doch man verbindet sich mit etwas,
weil es unserer Natur entspricht. -
6:26 - 6:28Wir Menschen streben danach.
-
6:28 - 6:32Anfangs wollte mir das
nicht so recht einleuchten, -
6:32 - 6:34doch folgender Ansatz half mir umzudenken:
-
6:34 - 6:38Da drüben an meinem Sitz
steht eine Flasche Wasser, nicht wahr? -
6:38 - 6:41Auch viele von Ihnen haben
Wasserflaschen mitgebracht. -
6:41 - 6:43Vergessen Sie einmal das Drogenthema!
-
6:43 - 6:48All diese Flaschen könnten völlig legal
mit Wodka gefüllt sein. -
6:48 - 6:51Wir könnten uns alle betrinken --
mache ich vielleicht nachher -- (Lachen) -
6:52 - 6:53doch wir tun es nicht.
-
6:53 - 6:56Weil Sie offenbar die Phantastillionen
auftreiben konnten, die man braucht, -
6:56 - 7:00um einem TEDTalk beizuwohnen,
könnten Sie es sich auch leisten, -
7:00 - 7:02die nächsten sechs Monate
Wodka zu trinken. -
7:02 - 7:04Sie würden dadurch nicht obdachlos.
-
7:04 - 7:06Sie werden das nicht tun.
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7:06 - 7:09Der Grund liegt nicht darin,
dass jemand Sie aufhalten würde. -
7:09 - 7:12Es liegt daran, dass Sie Bindungen haben,
-
7:12 - 7:13für die Sie da sein möchten.
-
7:13 - 7:16Sie haben Arbeit und Leute,
die Ihnen lieb sind. -
7:16 - 7:18Sie haben gesunde Beziehungen.
-
7:18 - 7:20Ein Kernbestandteil von Sucht liegt
-
7:20 - 7:23-- nach meiner Überzeugung
und den Belegen -- -
7:23 - 7:27darin, dass man die Gegenwart
des eigenen Lebens nicht erträgt. -
7:27 - 7:29Daraus folgen wirklich
entscheidende Schlüsse. -
7:29 - 7:32Der offensichtlichste betrifft
den Krieg gegen die Drogen. -
7:32 - 7:36In Arizona traf ich eine Gruppe Frauen,
-
7:36 - 7:40die T-Shirts mit der Aufschrift
"Ich war drogenabhängig" tragen, -
7:40 - 7:43in Ketten gehen und
Gräber ausheben mussten -- -
7:43 - 7:45unter dem Spott der Öffentlichkeit.
-
7:45 - 7:48Bei ihrer Entlassung sind
diese Frauen vorbestraft, -
7:48 - 7:51was bedeutet, dass sie
keine legale Stelle mehr finden. -
7:51 - 7:55Das ist natürlich
ein besonders krasses Beispiel. -
7:55 - 7:57Doch fast überall in der Welt
-
7:57 - 7:59behandeln wir Abhängige ähnlich.
-
7:59 - 8:02Wir bestrafen sie, erniedrigen sie,
geben ihnen Vorstrafen -
8:02 - 8:04und behindern ihre Wiedereingliederung.
-
8:04 - 8:07Ein erstaunlicher Mensch
und Arzt aus Kanada, Dr. Gabor Maté, -
8:07 - 8:11sagte mir, ein System, das gezielt
Sucht verschlimmern sollte, -
8:11 - 8:13würde genau so aussehen.
-
8:13 - 8:15Ein Land hat beschlossen,
das genaue Gegenteil zu tun, -
8:15 - 8:18und ich habe mir dort ein Bild gemacht.
-
8:18 - 8:212000 hatte Portugal eines der
größten Drogenprobleme in Europa. -
8:21 - 8:251 % der Bevölkerung war heroinabhängig,
was wirklich krass ist. -
8:25 - 8:28Von Jahr zu Jahr übernahm man
zunehmend die US-Methoden. -
8:28 - 8:31Man bestrafte, stigmatisierte
und erniedrigte Süchtige immer mehr -
8:31 - 8:32und mit jedem Jahr wuchs das Problem.
-
8:32 - 8:36Bis sich eines Tages der Ministerpräsident
und der Oppositionsführer einigten, -
8:36 - 8:38dass es damit nicht weitergehen konnte,
-
8:38 - 8:41dass immer mehr Menschen
im Land dem Heroin verfielen. -
8:41 - 8:44Sie ließen ein Gremium
aus Wissenschaftlern und Ärzten -
8:44 - 8:46nach einer echten Lösung suchen.
-
8:46 - 8:49Das Gremium leitete Dr. João Goulão,
ein erstaunlicher Mann. -
8:49 - 8:51Es sichtete die neuen Belege
-
8:51 - 8:53und kam zu dem Schluss:
-
8:53 - 8:57"Legalisiert alle Drogen
von Cannabis bis Crack, doch" -
8:57 - 9:00-- und das ist entscheidend --
-
9:00 - 9:03"nehmt die Mittel, die wir
bisher zur Isolierung Süchtiger -
9:03 - 9:05und ihrer Absonderung verwendet haben
-
9:05 - 9:08und gebt sie für ihre Wiedereingliederung
in die Gesellschaft aus." -
9:08 - 9:13Das entspricht nicht unserer Vorstellung
von Suchtbehandlung -- -
9:13 - 9:15jedenfalls in den USA und Großbritannien.
-
9:15 - 9:17Also bieten sie stationäre Drogentherapie
-
9:17 - 9:19und eine Psychotherapie an,
was sicher nützlich ist. -
9:19 - 9:23Der Clou sind aber Punkte,
die unseren Ansatz auf den Kopf stellen: -
9:23 - 9:26Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm
für Süchtige -
9:26 - 9:28und Mikrokredite zur Gründung
kleiner Unternehmen. -
9:28 - 9:30Angenommen, Sie waren Mechaniker.
-
9:30 - 9:32Eine Werkstatt, die Sie
für ein Jahr übernimmt, -
9:32 - 9:35bekommt die Hälfte des Lohns erstattet.
-
9:35 - 9:37Das Ziel dabei ist,
dass jeder Süchtige in Portugal -
9:37 - 9:40einen Grund hat, morgens
aus dem Bett aufzustehen. -
9:40 - 9:43Die Süchtigen in Portugal sagten mir,
-
9:43 - 9:46dass sie wieder Sinn in ihrem Leben sahen.
-
9:46 - 9:49Sie traten wieder
mit der Gesellschaft in Verbindung. -
9:49 - 9:52Vor 15 Jahren nahm man
dieses Experiment in Angriff. -
9:52 - 9:53Nun liegen Ergebnisse vor:
-
9:53 - 9:55Erheblich weniger hängen an der Nadel
-
9:55 - 9:58gemäß dem "British Journal of Criminology"
-
9:58 - 10:00ganze 50 % weniger.
-
10:00 - 10:04Überdosierungen und HIV unter Süchtigen
sind stark rückläufig. -
10:04 - 10:07Unstrittig ist, dass die Sucht
erheblich zurückging. -
10:07 - 10:10Dass es gut funktioniert hat,
sieht man daran, dass niemand in Portugal -
10:10 - 10:12zum alten System zurückkehren will.
-
10:12 - 10:14Soweit zu den politischen Folgerungen.
-
10:14 - 10:17Ich meine, es gibt
tiefer gehende Folgerungen -
10:17 - 10:19aus all diesen Untersuchungen.
-
10:19 - 10:22Wir leben in einer Kultur,
in der Menschen sich zunehmend -
10:22 - 10:24für allerlei Süchte anfällig fühlen,
-
10:24 - 10:26sei es Handysucht,
Kaufsucht oder Esssucht. -
10:26 - 10:29Uns allen hier im Saal wurde gesagt,
-
10:29 - 10:31dass Handys während der Vorträge
aus bleiben müssen. -
10:32 - 10:35Mir fiel auf, dass dabei viele von Ihnen
dreinschauten wie Süchtige, -
10:35 - 10:38deren Dealer in den
nächsten Stunden keine Zeit hat. -
10:38 - 10:39(Lachen)
-
10:39 - 10:42Erstaunlicherweise kennen
viele von uns dieses Gefühl. -
10:42 - 10:45Wie gesagt, ist Bindungslosigkeit
ein Hauptauslöser von Sucht, -
10:45 - 10:47und sie nimmt zu,
-
10:47 - 10:50obwohl unsere Gesellschaft doch gewiss
so vernetzt ist wie nie zuvor. -
10:50 - 10:53Ich glaube immer fester,
dass die Bindungen, die wir haben -
10:53 - 10:56oder glauben zu haben,
eher ein müder Abklatsch davon sind. -
10:57 - 10:59In einer Lebenskrise werden Sie merken,
-
10:59 - 11:02dass Sie weder von Ihren Twitter-Anhängern
-
11:02 - 11:05noch von Ihren Facebook-Freunden
Beistand bekommen, -
11:05 - 11:08sondern von Ihren Freunden
aus Fleisch und Blut, -
11:08 - 11:11zu denen Sie eine tiefe, ausgeprägte,
persönliche Bindung haben. -
11:11 - 11:15Der Umwelt-Autor Bill McKibben
wies mich auf eine Studie hin, -
11:15 - 11:17die uns meiner Meinung nach
viel darüber sagt. -
11:17 - 11:21In ihr wurde die Anzahl der Freunde
untersucht, von denen man glaubt, -
11:21 - 11:23dass man sie in einer Krise anrufen kann.
-
11:23 - 11:26Diese Zahl hat seit den 1950ern
beständig abgenommen. -
11:26 - 11:31Dagegen hat sich die Wohnfläche
des Einzelnen beständig vergrößert. -
11:31 - 11:34Das kommt mir wie eine Metapher
für die Prioritäten unserer Kultur vor. -
11:34 - 11:39Wir tauschen Freunde gegen Wohnraum ein,
und Bindungen gegen Dinge. -
11:39 - 11:43Infolgedessen sind wir eine der
einsamsten Gesellschaften aller Zeiten. -
11:43 - 11:46Bruce Alexander, der Erfinder
des Rattenparks, meint, -
11:46 - 11:50dass wir stets von der Gesundung
des einzelnen Süchtigen reden, -
11:50 - 11:52was auch richtig ist.
-
11:52 - 11:54Doch was ist mit der Gesundung
der Gesellschaft? -
11:54 - 11:58Mit uns läuft etwas schief, nicht nur
mit jedem Einzelnen, sondern insgesamt. -
11:58 - 11:59Wir bilden eine Gesellschaft,
-
11:59 - 12:03in der das Leben für viele
eher einem Einzelkäfig ähnelt -
12:03 - 12:05als dem Rattenpark.
-
12:05 - 12:08Offen gesagt war das nicht
meine Stoßrichtung. -
12:08 - 12:11Ich wollte nicht die politischen
und sozialen Fragen ergründen, -
12:11 - 12:14sondern wie ich
geliebten Menschen helfen kann. -
12:14 - 12:17Als ich von meiner langen,
lehrreichen Reise zurückkehrte, -
12:17 - 12:20führte ich mir die Süchtigen
in meinem Leben vor Augen. -
12:20 - 12:24Einmal ganz ehrlich: Es fällt schwer,
einen Süchtigen zu lieben. -
12:24 - 12:27Viele von Ihnen hier im Saal wissen das.
-
12:27 - 12:29Man ist oft verärgert.
-
12:29 - 12:33Die Diskussion ist wohl
auch deshalb so aufgeladen, -
12:33 - 12:36weil die Sache jedem von uns
an die Nieren geht, richtig? -
12:36 - 12:39Beim Anblick eines Süchtigen
regt sich in jedem der Wunsch, -
12:39 - 12:41irgendjemand möge ihn abhalten.
-
12:41 - 12:45Die Handlungsmuster für den Umgang
mit Süchtigen, die man uns nahelegt, -
12:45 - 12:46versinnbildlicht wohl
-
12:46 - 12:49die Reality-Show "Intervention",
eine US-Fernseh-Serie. -
12:49 - 12:51Alles in unserem Leben wird
durch Reality-TV definiert. -
12:52 - 12:53Doch ich schweife ab.
-
12:53 - 12:56Die Sendung "Intervention" ist
recht einfach gestrickt. -
12:56 - 12:59Man nehme einen Süchtigen,
versammle alle Leute aus seinem Leben, -
12:59 - 13:03konfrontiere ihn mit seinem Verhalten,
und drohe ihm, ihn fallen zu lassen, -
13:03 - 13:05wenn er sich nicht bessert.
-
13:05 - 13:08Man nimmt also die Bindungen
eines Süchtigen -
13:08 - 13:10als Druckmittel dafür her,
-
13:10 - 13:12dass er das gewünschte Verhalten zeigt.
-
13:12 - 13:16Mir ist klar geworden,
warum dieser Ansatz nicht klappt. -
13:16 - 13:20Man scheint die Logik
des Kriegs gegen die Drogen -
13:20 - 13:22ins Privatleben zu übertragen.
-
13:22 - 13:26Mich beschäftigte, wie ich selbst
ein "Portugiese" werden kann. -
13:26 - 13:29Momentan versuche ich
ohne Anspruch auf Konsequenz -
13:29 - 13:31und ohne dass es mir leicht fällt,
-
13:31 - 13:34den Süchtigen in meinem Leben zu sagen,
-
13:34 - 13:36dass ich engeren Kontakt zu ihnen will,
-
13:36 - 13:40dass ich sie liebe,
egal ob sie abstinent bleiben. -
13:40 - 13:43"Ich liebe dich,
egal in welchem Zustand du bist. -
13:43 - 13:45Wenn du mich brauchst,
bin ich für dich da, -
13:45 - 13:48weil ich dich liebe und
damit du nicht einsam bist -
13:48 - 13:50oder dich einsam fühlst."
-
13:50 - 13:52Meiner Meinung nach muss die Kernaussage
-
13:52 - 13:55-- du bist nicht allein,
wir lieben dich -- -
13:55 - 13:58auf allen Ebenen unsere Botschaft
an die Süchtigen sein, -
13:58 - 14:00ob sozial, politisch oder individuell.
-
14:00 - 14:05Seit 100 Jahren singen wir nun
Kampflieder über Süchtige. -
14:05 - 14:09Wir hätten ihnen in der Zeit
Liebeslieder singen sollen. -
14:09 - 14:13Denn das Gegenteil von Sucht
ist nicht Nüchernheit. -
14:13 - 14:17Das Gegenteil von Sucht ist Bindung.
-
14:17 - 14:19Ich danke Ihnen.
-
14:19 - 14:22(Applaus)
- Title:
- Alles, was Sie über Sucht zu wissen glauben, ist falsch
- Speaker:
- Johann Hari
- Description:
-
Was ist die wahre Ursache von Sucht – sei es nach Kokain oder nach dem Smartphone? Und wie kann man sie überwinden? Johann Hari erlebte hautnah das Scheitern unserer derzeitigen Methoden, als er den Kampf von Süchtigen, die ihm nahestehen, mitverfolgte. Er stellte sich die Frage, warum wir mit Süchtigen auf diese Weise umgehen, und ob es bessere Ansätze gibt. Wie er in diesem sehr persönlichen Vortrag preisgibt, führten ihn seine Fragen rund um den Erdball und legten einige überraschende und ermutigende Denkansätze zu einem uralten Problem frei.
- Video Language:
- English
- Team:
closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 14:42
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Nadine Hennig edited German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong | |
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Nadine Hennig approved German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong | |
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Nadine Hennig edited German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong | |
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Nadine Hennig edited German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong | |
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Nadine Hennig edited German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong | |
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Retired user accepted German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong | |
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Thomas Leske edited German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong | |
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Thomas Leske edited German subtitles for Everything you think you know about addiction is wrong |