Devdutt Pattanaik: Ost und West - Im Labyrinth der Mythen
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0:02 - 0:05Zum besseren Verständnis der Angelegenheiten der Mythologie
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0:05 - 0:09und dessen, was der Job eines Chief Belief Officers sein soll,
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0:09 - 0:11müssen Sie eine Geschichte hören,
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0:11 - 0:13über Ganesha,
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0:13 - 0:15den elefantenköpfigen Gott,
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0:15 - 0:18welcher der Schreiber der Geschichtenerzähler ist,
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0:18 - 0:19und über seinen Bruder,
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0:19 - 0:21den athletischen Kriegsherrn der Götter,
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0:21 - 0:23Kartikeya.
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0:23 - 0:26Die beiden Brüder beschlossen eines Tages, um die Wette zu rennen,
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0:26 - 0:29und zwar dreimal um die Welt.
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0:29 - 0:32Kartikeya sprang auf seinen Pfau
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0:32 - 0:35und flog über die Kontinente hinweg
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0:35 - 0:40und die Berge und die Meere.
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0:40 - 0:42Er umflog sie zum ersten Mal,
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0:42 - 0:44er umflog sie zum zweiten Mal,
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0:44 - 0:47er umflog sie zum dritten Mal.
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0:47 - 0:50Aber sein Bruder Ganesha
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0:50 - 0:53spazierte einfach um seine Eltern herum,
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0:53 - 0:55einmal, zweimal, dreimal,
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0:55 - 0:58und sprach: "Ich habe gewonnen."
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0:58 - 1:00"Und wieso?", sagte Kartikeya.
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1:00 - 1:01Und Ganesha erwiderte,
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1:01 - 1:04"Du bist um 'die Welt' geflogen.
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1:04 - 1:07Ich habe 'meine Welt' abgeschritten."
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1:07 - 1:10Was ist wichtiger?
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1:10 - 1:13Wenn Sie den Unterschied zwischen "Der Welt" und "Meiner Welt" verstehen,
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1:13 - 1:17verstehen Sie den Unterschied zwischen Logos und Mythos.
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1:17 - 1:19"Die Welt" ist objektiv,
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1:19 - 1:22logisch, universell, sachlich,
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1:22 - 1:24wissenschaftlich.
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1:24 - 1:27"Meine Welt" ist subjektiv.
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1:27 - 1:30Sie ist emotional, persönlich.
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1:30 - 1:33Sie ist Wahrnehmung, Gedanke, Gefühl, Traum.
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1:33 - 1:36Es ist das Glaubensgebäude, das wir mit uns tragen.
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1:36 - 1:39Der Mythos, in dem wir leben.
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1:39 - 1:42"Die Welt" gibt uns Auskunft, wie die Welt funktioniert,
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1:42 - 1:45wie die Sonne aufgeht,
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1:45 - 1:48wie wir geboren werden.
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1:48 - 1:51"Meine Welt" gibt Auskunft, warum die Sonne aufgeht,
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1:51 - 1:55warum wir geboren wurden.
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1:55 - 1:59Jede Kultur versucht, sich selbst zu verstehen,
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1:59 - 2:01"Warum sind wir hier?"
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2:01 - 2:04Und jede Kultur bringt ihr eigenes Verständnis vom Leben hervor,
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2:04 - 2:09ihre eigene maßgeschneiderte Mythologie.
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2:09 - 2:12Kultur ist eine Reaktion auf die Natur,
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2:12 - 2:14und dieses Verständnis unserer Vorfahren
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2:14 - 2:17wird von Generation auf Generation weitergegeben
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2:17 - 2:20in Gestalt von Geschichten, Symbolen und Ritualen,
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2:20 - 2:26in denen Rationalität überhaupt keine Rolle spielt.
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2:26 - 2:28Und so erkennt man, wenn man sie studiert,
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2:28 - 2:30dass unterschiedliche Völker der Welt
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2:30 - 2:33die Welt auf unterschiedliche Weise verstehen.
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2:33 - 2:35Unterschiedliche Völker sehen die Dinge auf unterschiedliche Weise:
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2:35 - 2:37Unterschiedliche Blickwinkel.
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2:37 - 2:39Hier ist meine Welt und dort ist deine Welt,
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2:39 - 2:42und meine Welt ist immer besser als deine Welt,
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2:42 - 2:45weil meine Welt, wie du siehst, rational ist
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2:45 - 2:47und deine ist Aberglaube,
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2:47 - 2:49deine ist Glaube,
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2:49 - 2:52deine ist unlogisch.
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2:52 - 2:55Hier liegt die Wurzel des Kampfes der Kulturen.
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2:55 - 2:59Es gab einen, einst, im Jahre 326 vor Christus
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2:59 - 3:02an den Ufern eines Flusses namens Indus,
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3:02 - 3:04im heutigen Pakistan.
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3:04 - 3:07Dieser Fluss stand Pate für Indiens Namen.
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3:07 - 3:09Indien. Indus.
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3:12 - 3:15Alexander, ein junger Makedone,
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3:15 - 3:19traf dort auf einen, wie er ihn nannte, "Gymnosophen",
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3:19 - 3:22was "nackter, weiser Mann" bedeutet.
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3:22 - 3:24Wir wissen nicht, wer er war.
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3:24 - 3:26Vielleicht war er ein jainischer Mönch,
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3:26 - 3:28wie Bahubali dort drüben,
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3:28 - 3:29der Gomateshvara Bahubali,
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3:29 - 3:31dessen Bildnis nicht weit von Mysore entfernt zu sehen ist.
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3:31 - 3:33Oder vielleicht war er nur ein Yogi,
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3:33 - 3:35der auf einem Felsen saß und den Himmel anstarrte,
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3:35 - 3:37und die Sonne und den Mond.
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3:37 - 3:40Alexander fragte: "Was tust du?"
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3:40 - 3:42Und der Gymnosoph antwortete:
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3:42 - 3:45"Ich mache die Erfahrung des Nichts."
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3:45 - 3:48Darauf fragte der Gymnosoph:
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3:48 - 3:50"Was machst du?"
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3:50 - 3:53Und Alexander sagte: "Ich bin dabei, die Welt zu erobern."
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3:53 - 3:56Und dann lachten beide.
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3:56 - 4:00Jeder hielt den anderen für einen Narren.
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4:00 - 4:04Der Gymnosoph sagte: "Warum erobert er die Welt?
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4:04 - 4:07Das ist sinnlos."
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4:07 - 4:09Und Alexander dachte,
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4:09 - 4:11"Warum sitzt er hier herum und tut nichts?
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4:11 - 4:13Was für eine Verschwendung von Lebenszeit."
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4:13 - 4:17Um diesen Unterschied in der Sichtweise zu verstehen,
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4:17 - 4:20müssen wir die subjektive Wahrheit
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4:20 - 4:23Alexanders verstehen:
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4:23 - 4:28seinen Mythos und die Mythologie, aus der er erwachsen war.
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4:28 - 4:31Alexanders Mutter, seine Eltern, sein Lehrer Aristoteles,
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4:31 - 4:34alle erzählten ihm die Geschichte von Homers "Ilias".
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4:34 - 4:37Sie berichteten ihm von einem großen Helden Namens Achilles,
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4:37 - 4:40der, sofern er sich am Kampfgeschehen beteiligte, den Sieg gewiss machte,
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4:40 - 4:43aber, wenn er sich vom Kampf zurückzog,
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4:43 - 4:46war die Niederlage unausweichlich.
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4:46 - 4:49"Achilles war ein Mann, der Geschichte gestalten konnte,
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4:49 - 4:52ein Mann der Vorsehung,
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4:52 - 4:55und das ist, was auch du sein solltest, Alexander."
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4:55 - 4:57Das war, was er hörte.
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4:57 - 5:00"Was solltest du nicht sein?
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5:00 - 5:03Du solltest nicht Sisyphos sein,
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5:03 - 5:05der bei Tage einen Fels einen Berg hinaufrollt,
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5:05 - 5:10nur um ihn am nächsten Morgen wieder heruntergerollt aufzufinden.
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5:10 - 5:13Lebe kein Leben, das gleichförmig ist,
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5:13 - 5:15mittelmäßig, bedeutungslos.
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5:15 - 5:18Sei einzigartig! --
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5:18 - 5:20Wie die griechischen Heroen,
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5:20 - 5:22wie Iason, der über das Meer fuhr
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5:22 - 5:26mit den Argonauten und das goldene Vlies raubte.
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5:26 - 5:29Sei einzigartig wie Theseus,
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5:29 - 5:35der das Labyrinth durchdrang und den stierköpfigen Minotaurus tötete.
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5:35 - 5:39Wenn du an einem Wettrennen teilnimmst, gewinne! --
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5:39 - 5:42denn wenn du gewinnst, wird dein Siegesrausch
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5:42 - 5:47dem Ambrosia der Götter gleichen wie nichts anderes."
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5:47 - 5:50Denn, sehen Sie, die Griechen glaubten,
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5:50 - 5:52dass man nur einmal lebt
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5:52 - 5:56und nach dem Tode den Fluss Styx überqueren muss,
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5:56 - 5:59und wenn man ein außerordentliches Leben gelebt hat,
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5:59 - 6:02wird man ins Elysium gelangen,
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6:02 - 6:06oder, wie die Franzosen es nennen: die "Champs-Élysées" --
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6:06 - 6:07(Lachen) --
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6:07 - 6:10den Himmel der Heroen.
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6:13 - 6:17Aber das sind nicht die Geschichten, die der Gymnosoph gehört hatte.
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6:17 - 6:20Er hörte eine ganz andere Geschichte.
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6:20 - 6:23Er hörte von einem Mann namens Bharat,
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6:23 - 6:26nach dem Indien "Bhārata" genannt wird.
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6:26 - 6:29Bharat hat ebenfalls die Welt erobert.
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6:29 - 6:32Und dann erklomm er den höchsten Gipfel
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6:32 - 6:35des höchsten Berges in der Mitte der Welt
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6:35 - 6:36namens Meru.
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6:36 - 6:39Und dort wollte er sein Banner aufrichten, um zu sagen:
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6:39 - 6:42"Ich war als erster hier."
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6:42 - 6:44Aber als er den Bergesgipfel erreicht hatte,
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6:44 - 6:49sah er die Kuppe übersät mit zahllosen Bannern
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6:49 - 6:52von Welteroberern vor ihm,
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6:52 - 6:56und jede rief ihm zu "'Ich war zuerst hier'...
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6:56 - 7:00so dachte ich, bevor ich hierhergekommen bin."
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7:00 - 7:03Und plötzlich, vor diesem Sinnbild der Unendlichkeit,
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7:03 - 7:07fühlte Bharat sich unbedeutend.
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7:07 - 7:11Dies war die Mythologie des Gymnosophen.
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7:11 - 7:16Sehen Sie, er hatte Helden wie Ram -- Raghupati Ram
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7:16 - 7:18und Krishna, Govinda Hari.
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7:18 - 7:22Diese waren aber nicht zwei Helden zweier verschiedener Abenteuer.
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7:22 - 7:26Sie waren zwei Leben ein und desselben Helden.
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7:26 - 7:30Wenn das Ramayana endet, beginnt das Mahabharata.
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7:30 - 7:32Wenn Ram stirbt, wird Krishna geboren.
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7:32 - 7:35Wenn Krishna stirbt, wird er eines Tages als Ram wiedergeboren werden.
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7:35 - 7:38Sehen Sie, die Inder kannten auch einen Fluss,
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7:38 - 7:41der das Land der Lebenden vom Land der Toten trennt.
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7:41 - 7:43Aber man überquert ihn nicht einmal.
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7:43 - 7:46Man überquert ihn unzählige Male.
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7:46 - 7:49Das wurde Vaitarni genannt.
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7:49 - 7:52Man geht wieder, und wieder, und wieder.
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7:52 - 7:53Weil nichts, sehen Sie,
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7:53 - 7:56für immer ist in Indien, nicht einmal der Tod.
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7:56 - 7:59Und so kommt es zu diesen großartigen Ritualen,
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7:59 - 8:02in denen große Bildnisse der Muttergottheiten errichtet
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8:02 - 8:04und für 10 Tage angebetet werden ...
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8:04 - 8:06Und was macht man am Ende der 10 Tage?
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8:06 - 8:09Man wirft sie in den Fluss.
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8:09 - 8:11Weil es enden muss.
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8:11 - 8:14Und im nächsten Jahr wird sie zurückkehren.
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8:14 - 8:16Es gibt nichts Neues unter der Sonne,
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8:16 - 8:19und diese Regel gilt nicht nur für den Mensch,
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8:19 - 8:21sondern auch für die Götter.
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8:21 - 8:24Sehen Sie, die Götter
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8:24 - 8:26müssen immer wieder und wieder zurückkehren
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8:26 - 8:28als Ram, als Krishna.
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8:28 - 8:31Sie leben nicht nur unendliche Leben,
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8:31 - 8:34sondern dasselbe Leben wird unendlich oft gelebt,
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8:34 - 8:39bis man den Sinn des Ganzen versteht.
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8:39 - 8:41Und täglich grüßt das Murmeltier.
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8:41 - 8:44(Lachen)
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8:46 - 8:49Zwei unterschiedliche Mythologien.
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8:49 - 8:51Welche ist richtig?
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8:51 - 8:54Zwei unterschiedliche Mythologien, zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Welt.
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8:54 - 8:56Eine linear, eine zyklisch.
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8:56 - 8:58Der eine glaubt, dieses sei das eine und einzige Leben.
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8:58 - 9:03Der andere glaubt, dieses sei eines von vielen Leben.
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9:03 - 9:07Folglich war der Nenner im Leben von Alexander "Eins".
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9:07 - 9:10Und der Wert seines Lebens war die Summe
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9:10 - 9:12seiner Leistungen.
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9:12 - 9:16Der Nenner im Leben des Gymnsophen war "Unendlich".
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9:16 - 9:19Und damit, egal was er anstellte,
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9:19 - 9:21war es immer "Null".
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9:21 - 9:24Und ich glaube, dass dieses mythologische Paradigma
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9:24 - 9:27die indischen Mathematiker dazu brachte,
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9:27 - 9:29die Zahl "Null" zu entdecken.
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9:29 - 9:31Wer weiß?
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9:31 - 9:34Und das bringt uns zur Mythologie des Geschäfts.
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9:34 - 9:37Wenn Alexanders Glaube sein Verhalten beeinflusst hat,
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9:37 - 9:41wenn der Glaube des Gymnosophen sein Verhalten beeinflusst,
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9:41 - 9:46dann beeinflusst er zwangsläufig auch ihr jeweiliges Geschäft.
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9:46 - 9:48Sehen Sie, was ist Geschäft denn anderes
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9:48 - 9:50als ein Ergebnis aus dem Verhalten des Marktes
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9:50 - 9:53und dem Verhalten einer Organisation?
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9:53 - 9:56Und wenn man sich die Kulturen rund um den Erdball betrachtet
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9:56 - 9:58muss man nur ihre Mythologie verstehen
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9:58 - 10:01und man wird erkennen, wie sie sich verhalten und wie sie Geschäfte machen.
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10:01 - 10:05Schauen Sie.
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10:05 - 10:08In Kulturen, die an nur ein Leben glauben, wird man überall auf der Welt
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10:08 - 10:10eine Besessenheit mit binärer Logik,
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10:10 - 10:13absoluten Wahrheiten, Standardisierung,
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10:13 - 10:16Absolutheit und linearen Mustern im Design finden.
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10:16 - 10:19Schaut man aber auf Kulturen, die eine zyklische Auffassung
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10:19 - 10:24auf der Basis unendlich vieler Leben vertreten, wird man Vertrautheit mit Uneindeutigkeit,
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10:24 - 10:26mit Meinungen,
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10:26 - 10:28mit kontextabhängigem Denken,
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10:28 - 10:31mit allem Relativen finden, irgendwie --
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10:31 - 10:32(Lachen)
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10:32 - 10:34meistens.
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10:34 - 10:35(Lachen)
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10:35 - 10:38Schauen Sie sich Kunst an, betrachten Sie die Ballerina.
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10:38 - 10:40Wie linear sie ist in ihrer Bewegung.
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10:40 - 10:42Und dann sehen Sie die indische klassische Tänzerin,
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10:42 - 10:44die Kuchipudi-Tänzerin, die Bharatanatyam-Tänzerin,
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10:44 - 10:46kurvig.
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10:46 - 10:49(Lachen)
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10:49 - 10:51Und dann schauen Sie die Unternehmen an.
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10:51 - 10:53Standard-Geschäftsmodell:
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10:53 - 10:57Vision, Mission, Werte, Prozesse.
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10:57 - 10:59Klingt sehr nach der Reise durch die
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10:59 - 11:01Wildnis hin ins gelobte Land,
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11:01 - 11:03mit den Geboten in der Hand des Führers.
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11:03 - 11:08Und wenn du mitspielst, wirst du in den Himmel kommen.
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11:08 - 11:10Aber in Indien gibt es dieses eine gelobte Land nicht.
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11:10 - 11:13Es gibt viele gelobte Länder,
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11:13 - 11:16abhängig von deiner Stellung in der Gesellschaft,
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11:16 - 11:18abhängig von Stadium deines Lebens.
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11:18 - 11:22Sehen Sie, Unternehmen werden nicht wie Institutionen geführt,
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11:22 - 11:25sondern nach den Eigenheiten einzelner Menschen.
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11:25 - 11:28Es geht immer um Vorlieben.
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11:28 - 11:32Es geht immer um meine Vorlieben.
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11:32 - 11:34Sehen Sie, indische Musik, zum Beispiel,
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11:34 - 11:36kommt ohne das Konzept des geordneten Zusammenspiels aus.
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11:36 - 11:40Es gibt keinen Dirigenten.
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11:40 - 11:43Ein Musiker steht vorn und alle anderen folgen.
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11:43 - 11:47Und man kann diese Aufführung nicht replizieren.
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11:47 - 11:49Es geht nicht um Dokumentation und Vertrag.
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11:49 - 11:53Es geht um das miteinander sprechen und Glauben.
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11:53 - 11:57Es geht nicht um das Einhalten von Regeln. Es geht um den Rahmen,
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11:57 - 12:01darum, den Job zu erledigen, indem man die Regeln ausdehnt oder bricht --
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12:01 - 12:03sehen Sie sich einfach die Inder hier an,
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12:03 - 12:05Sie sehen, wie sie lächeln; die wissen, worum es geht.
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12:05 - 12:06(Lachen)
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12:06 - 12:08Und dann sehen Sie die Leute an, die in Indien Geschäfte gemacht haben,
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12:08 - 12:10Sie sehen den Ausdruck der Verzweiflung auf ihren Gesichtern.
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12:10 - 12:11(Lachen)
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12:11 - 12:15(Applaus)
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12:15 - 12:17Sehen Sie, das ist Indien heute. Die Grundauffassung der Wirklichkeit
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12:17 - 12:19basiert auf einem zyklischen Weltbild.
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12:19 - 12:22Sie ist also hochgradig divers und geprägt von schneller Veränderung,
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12:22 - 12:25chaotisch, uneindeutig, unvorhersehbar.
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12:25 - 12:28Und die Leute fühlen sich gut damit.
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12:28 - 12:30Und dann passiert die Globalisierung.
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12:30 - 12:34Die Anforderungen modernen institutionellen Denkens werden hereingetragen.
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12:34 - 12:38Welches seine Wurzeln in der "Einmal-Leben"-Kultur hat.
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12:38 - 12:40Und eine Auseinandersetzung wird stattfinden,
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12:40 - 12:43wie an den Ufern des Indus.
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12:43 - 12:46Es wird unausweichlich passieren.
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12:46 - 12:49Ich habe es am eigenen Leib erfahren. Ich bin studierter Arzt.
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12:49 - 12:52Den chirurgischen Facharzt wollte ich nicht machen. Fragen Sie nicht, warum.
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12:52 - 12:54Ich liebe die Mythologie zu sehr.
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12:54 - 12:56Ich wollte Mythologie studieren. Aber studieren kann man das nirgends.
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12:56 - 12:58Also musste ich es mir selbst beibringen.
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12:58 - 13:01Und Mythologie zahlt sich nicht aus. Bis jetzt, jedenfalls.
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13:01 - 13:05(Lachen)
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13:05 - 13:08Also musste ich einen Job annehmen. Und habe in der Pharmaindustrie gearbeitet.
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13:08 - 13:10Und im Gesundheitswesen.
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13:10 - 13:12Und ich war im Marketing, ich war Vertriebler,
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13:12 - 13:15und ein Wissensmanager, Inhaltsmanager und ein Trainer.
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13:15 - 13:18Ich war sogar Unternehmensberater für Strategie und Taktik.
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13:18 - 13:20Und immer sah ich die Verzweiflung
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13:20 - 13:23bei meinen amerikanischen und europäischen Kollegen,
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13:23 - 13:25wenn sie es mit Indien zu tun hatten.
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13:25 - 13:28Beispiel: Bitte beschreiben Sie uns den Ablauf
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13:28 - 13:31der Rechnungsstellung bei Krankenhäusern.
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13:31 - 13:35Schritt A. Schritt B. Schritt C. Meistens.
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13:35 - 13:37(Lachen)
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13:37 - 13:39Wie parametrisiert man "meistens"?
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13:39 - 13:43Wie verpackt man es in einer netten, kleinen Software? Das geht nicht.
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13:43 - 13:45Immer wieder habe ich meine Ansichten Leuten erzählt.
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13:45 - 13:47Aber keiner wollte zuhören,
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13:47 - 13:51wissen Sie, bis ich Kishore Biyani von der "Future Group" traf.
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13:51 - 13:56Wissen Sie, er hat die größte Kaufhauskette aufgebaut, sie heißt "Big Bazaar".
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13:56 - 13:58Und es gibt mehr als 200 Ladenkonzepte
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13:58 - 14:00verteilt auf 50 Städte und Großstädte in Indien.
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14:00 - 14:04Und er hatte es mit vielfältigen und dynamischen Märkten zu tun.
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14:04 - 14:06Und er wusste ganz intuitiv,
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14:06 - 14:08dass bewährte Methoden,
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14:08 - 14:11entwickelt in Japan, China, Europa und Amerika
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14:11 - 14:14in Indien nicht funktionieren würden.
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14:14 - 14:18Er wusste, dass institutionelles Denken in Indien nicht funktioniert. Individuelles Denken schon.
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14:18 - 14:22Er hatte ein intuitives Verständnis für die mythische Struktur Indiens.
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14:22 - 14:24Also bat er mich, sein Chief Belief Officer zu sein und sagte:
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14:24 - 14:27"Alles was ich von dir will, ist, dass du Glauben miteinander in Einklang bringst."
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14:27 - 14:29Klingt so einfach.
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14:29 - 14:31Aber Glaube ist nicht messbar.
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14:31 - 14:33Man kann ihn nicht messen, man kann ihn nicht managen.
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14:33 - 14:35Wie also konstruiert man Glauben?
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14:35 - 14:39Wie schärft man die Wahrnehmung der Menschen für das Indisch-Sein?
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14:39 - 14:43Selbst wenn man Inder ist, ist es nicht offensichtlich.
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14:43 - 14:47Und so habe ich versucht, nach dem Standard-Modell der Kultur zu arbeiten,
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14:47 - 14:49also Geschichten, Symbole und Rituale zu entwickeln.
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14:49 - 14:52Und eines dieser Rituale werde ich Ihnen zeigen.
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14:52 - 14:55Es basiert, wie Sie sehen, auf dem hinduistischen Ritual des "Darshan".
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14:55 - 14:57Hindus verfügen nicht über das Konzept von Geboten.
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14:57 - 14:59Also ist nichts richtig oder falsch an dem, was man in deinem Leben tut.
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14:59 - 15:02Also weiß man nicht so recht, wie man in Gottes Augen dasteht.
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15:02 - 15:05Wenn man also in den Tempel geht, sucht man vor allem eine Audienz mit Gott.
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15:05 - 15:07Man will Gott sehen.
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15:07 - 15:11Und man will, dass Gott einen selbst sieht, und deshalb haben die Götter sehr große Augen,
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15:11 - 15:13große, sich nie schließende Augen,
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15:13 - 15:16die manchmal aus Silber gemacht sind,
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15:16 - 15:18damit sie einen ansehen.
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15:18 - 15:20Weil man nicht weiß, ob man richtig handelt oder nicht, ist also alles was man ersehnt
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15:20 - 15:24göttliches Mitgefühl.
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15:24 - 15:27"Nur damit du weißt, woher ich komme, warum ich da improvisiert habe."
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15:27 - 15:28(Lachen)
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15:28 - 15:30"Warum ich diesen Weg gewählt habe,
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15:30 - 15:35warum mich die Abläufe nicht interessieren, versteh mich einfach, bitte."
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15:35 - 15:38Und darauf basierend haben wir ein Ritual für die Filialleiter entwickelt.
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15:38 - 15:42Nachdem ein Filialleiter seine Ausbildung abgeschlossen hat und kurz bevor er den Laden übernimmt,
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15:42 - 15:46verbinden wir ihm die Augen, wir stellen alle, für die er Verantwortung hat, um ihn herum,
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15:46 - 15:50die Kunden, seine Familie, sein Team, seinen Boss.
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15:50 - 15:53Man verkündet seine wichtigsten Aufgabenbereiche und Leistungsindikatoren, man gibt ihm die Schlüssel,
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15:53 - 15:55und dann entfernt man die Augenbinde.
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15:55 - 15:58Und jedesmal sieht man eine Träne,
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15:58 - 16:00weil der Groschen gefallen ist.
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16:00 - 16:04Ihm wird klar, dass er kein Profi sein muss,
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16:04 - 16:07um Erfolg zu haben,
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16:07 - 16:10nicht seine Gefühle abschalten muss,
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16:10 - 16:13sondern dass er alle diese Leute mit in seine Welt
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16:13 - 16:17hineinnehmen muss, um Erfolg zu haben, sie glücklich zu machen,
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16:17 - 16:19den Boss glücklich zu machen, jeden glücklich zu machen.
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16:19 - 16:22Der Kunde ist glücklich, denn der Kunde ist Gott.
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16:22 - 16:25Dieses Einfühlungsvermögen brauchen wir. Hat dieser Glaube erst Einzug gehalten,
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16:25 - 16:28findet Verhalten statt, findet Geschäft statt.
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16:28 - 16:31Und so ist es.
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16:31 - 16:34Dann kommen wir also zurück zu Alexander
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16:34 - 16:36und dem Gymnosophen.
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16:36 - 16:40Und jeder fragt mich: "Was ist der bessere Weg, dieser oder jener?"
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16:40 - 16:42Und das ist eine sehr gefährliche Frage.
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16:42 - 16:46Weil sie einen auf den Pfad des Fundamentalismus und der Gewalt führt.
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16:46 - 16:48Also werde ich diese Frage nicht beantworten.
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16:48 - 16:50Stattdessen werde ich Ihnen eine indische Antwort geben,
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16:50 - 16:52das indische Kopfschüttlen.
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16:52 - 16:54(Lachen)
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16:54 - 16:58(Applaus)
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16:58 - 17:00Abhängig vom Kontext,
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17:00 - 17:02abhängig vom Ergebnis,
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17:02 - 17:05wähle dein Paradigma.
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17:05 - 17:08Weil beide Denkmuster menschliche Konstrukte sind.
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17:08 - 17:11Sie sind kulturelle Schöpfungen,
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17:11 - 17:14nicht natürliche Erscheinungen.
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17:14 - 17:17Und wenn Sie also das nächste Mal jemandem begegnen, einem Fremden,
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17:17 - 17:19dann habe ich eine Bitte:
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17:19 - 17:22Verstehen Sie, dass Sie in einer subjektiven Wahrheit leben,
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17:22 - 17:24und der andere auch.
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17:24 - 17:26Verstehen Sie das.
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17:26 - 17:31Und wenn Sie das verstehen, werden Sie eine spektakuläre Entdeckung machen.
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17:31 - 17:33Sie werden entdecken, dass inmitten unendlicher Mythen
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17:33 - 17:35die ewige Wahrheit liegt.
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17:35 - 17:37Wer sieht alles?
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17:37 - 17:39Varuna hat immerhin tausend Augen.
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17:39 - 17:42Indra einhundert.
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17:42 - 17:44Sie und ich nur zwei
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17:44 - 17:47Danke.
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17:47 - 18:05(Applaus)
- Title:
- Devdutt Pattanaik: Ost und West - Im Labyrinth der Mythen
- Speaker:
- Devdutt Pattanaik
- Description:
-
Devdutt Pattanaik öffnet uns die Augen für einen neuen Blick auf die Mythen Indiens und des Westens -- und zeigt, warum diese grundverschiedenen Systeme des Gottesglaubens, des Umgangs mit dem Tod und der Jenseitsvorstellung uns dabei helfen, uns konsequent misszuverstehen.
- Video Language:
- English
- Team:
closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 18:08