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Jacqueline Novogratz über ein Entkommen aus der Armut

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    Ich habe mit Themen der Armut seit mehr als 20 Jahren zu tun,
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    und so ist es an sich witzig, dass das Problem und die Frage, mit denen ich am meisten ringe,
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    die wirkliche Definition der Armut ist. Was bedeutet das?
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    So oft betrachten wir es unter dem Blickwinkel von Dollars --
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    Menschen mit einem Einkommen von weniger als zwei oder drei Dollar am Tag.
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    Und doch fordert die Komplexität der Armut, dass man das Einkommen
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    nur als eine Variable betrachtet.
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    Denn in Wirklichkeit ist es ein Zustand, der von Wahlmöglichkeiten
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    und dem Mangel an Freiheit gekennzeichnet ist.
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    Und ich machte eine Erfahrung, die mein Verständnis davon
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    wirklich vertieft und klarer gemacht hat.
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    Es war in Kenia, und ich möchte sie mit Ihnen teilen.
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    Ich war mit meiner Freundin Susan Meiselas, der Fotografin,
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    in den Mathare Valley Slums unterwegs.
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    Nun ist es so, dass Mathare Valley eines der ältesten Slums in Afrika ist.
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    Es liegt rund drei Meilen außerhalb von Nairobi,
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    und es ist eine Meile lang und rund 350 Meter breit,
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    und dort leben über eine halbe Million Menschen
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    eingepfercht in diesen kleinen Hütten,
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    Generation nach Generation, zur Miete,
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    oft acht oder zehn Menschen in einem Raum.
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    Und es ist bekannt für Prostitution, Gewalt, Drogen.
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    Ein harter Ort zum Großwerden.
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    Und als wir durch die engen Gassen gingen,
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    war es buchstäblich unmöglich, nicht in die
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    Jauche und den Müll entlang der kleinen Häuser zu treten.
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    Aber zugleich war es ebenso unmöglich,
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    die menschliche Lebenslust zu übersehen,
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    die Hoffnungen und das Streben der Menschen, die dort leben.
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    Frauen, die ihre Babies wuschen, die ihre Kleider wuschen und zum Trocknen aufhängten.
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    Ich traf diese Frau, Mama Rose,
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    die seit 32 Jahren die selbe kleine Blechhütte gemietet hat,
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    in der sie mit ihren sieben Kindern lebt.
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    Vier davon schlafen in einem Einzelbett,
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    und drei schlafen auf dem Lehmboden oder dem Linoleum.
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    Und sie hält sie alle in der Schule, indem sie Wasser in einem Kiosk verkauft,
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    und Seife und Brot in dem kleinen Laden, der sich daran anschließt.
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    Es war auch der Tag nach der Inauguration
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    und ich musste daran denken, dass Mathare trotzdem mit der Welt in Verbindung steht.
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    Und ich habe Kinder an den Straßenecken stehen sehen,
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    die mir zugerufen haben: "Obama, das ist unser Bruder!"
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    Und ich habe gesagt: "Tja, Obama ist mein Bruder, also bist auch Du mein Bruder."
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    Sie haben skeptisch die Augen zusammengekniffen und dann "High five!" gemacht.
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    Und dort war es, dass ich Jane traf.
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    Die Freundlichkeit und Güte in Ihrem Gesicht nahmen mich sofort für sie ein,
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    und ich bat sie, mir ihre Geschichte zu erzählen.
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    Sie begann, indem sie mir ihren Lebenstraum offenbarte. Sie sagte: "Ich hatte zwei.
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    Mein erster Traum war, Ärztin zu werden,
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    und der zweite war, einen guten Mann zu heiraten,
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    der bei mir und meiner Familie bleiben würde.
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    Denn meine Mutter war alleinerziehend
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    und konnte das Schulgeld nicht bezahlen.
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    Also musste ich meinen ersten Traum aufgeben, und ich konzentrierte mich auf den zweiten."
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    Sie heiratete mit 18 und brachte bald eine Tochter zur Welt.
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    Und als sie 20 wurde, war sie mit ihrem zweiten Kind schwanger,
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    ihre Mutter starb und ihr Mann verließ sie -- heiratete eine andere.
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    Also kam sie zurück nach Mathare, ohne Einkommen, ohne Beruf, ohne Geld.
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    Und so endetete sie letztlich in der Prostitution.
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    Das war nicht so organisiert, wie wir oft glauben.
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    Sie ging normalerweise nachts in die Stadt, zusammen mit rund 20 Mädchen,
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    schaute sich nach Arbeit um und kam manchmal mit ein paar Schillingen nach Hause,
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    manchmal mit gar nichts.
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    Sie sagte: "Wissen sie, die Armut war nicht das schlimme. Es war die Erniedrigung
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    und die Peinlichkeit der ganzen Sache."
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    2001 veränderte sich ihr Leben.
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    Sie hatte eine Freundin, die von dieser Organisation namens Jamii Bora gehört hatte,
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    die Geld an Leute verlieh, egal wie arm sie waren,
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    vorausgesetzt man brachte eine entsprechende Summe an Ersparnissen mit.
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    Und so verwendete sie ein Jahr darauf, fünfzig Dollar zu sparen,
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    und begann sich Geld zu leihen und war nach einiger Zeit in der Lage, sich eine Nähmaschine zu kaufen.
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    Sie begann zu schneidern.
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    Und daraus wurde, was sie heute macht,
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    nämlich auf Second Hand Märkte zu gehen und
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    für rund drei Dollar und 25 Cent kauft sie ein altes Ballkleid.
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    Einige davon haben vielleicht Sie gespendet.
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    Und sie näht sie um mit Rüschen und Bändern
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    und macht diese schaumigen Angelegenheiten daraus, die sie an Frauen
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    für die Erstkommunion oder Schulabschlussbälle ihrer Töchter verkauft --
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    diese Wegmarken im Leben, die die Menschen aus jedem Bereich
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    des ökonomischen Spektrums feiern wollen.
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    Und ihre Geschäfte laufen wirklich gut. Ich habe sie sogar beobachtet,
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    wie sie durch die Straßen ging und verkaufte. Und bevor man sich versah
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    war sie von einer Schar Frauen umgeben, die ihre Kleider kauften.
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    Und ich überlegte mir, als ich ihr beim Verkaufen der Kleider zusah,
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    und des Schmucks, den sie auch herstellt,
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    dass Jane jetzt mehr als vier Dollar am Tag verdient.
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    Und nach vielen Definitionen ist sie nicht länger arm.
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    Aber sie lebt immer noch in Mathare Valley.
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    Und sie kann nicht umziehen.
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    Sie lebt mit all dieser Unsicherheit
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    und tatsächlich wurde sie im Januar, während der Stammeskrawalle,
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    aus ihrem Heim vertrieben und musste eine neue Hütte finden,
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    in der sie fortan leben konnte.
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    Jamii Bora versteht das. Und man versteht dort,
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    dass wenn man über Armut spricht,
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    wir Menschen im ganzen ökonomischen Spektrum betrachten müssen.
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    Und so haben sie mit geduldigem Kapital von Acumen und anderen Organisationen,
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    Krediten und Investitionen, die auf lange Frist mit ihnen geplant sind,
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    ein Niedrig-Preis Wohnbauprojekt verwirklicht,
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    ungefähr eine Stunde außerhalb der Stadtmitte von Nairobi.
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    Und sie haben es aus dem Blickwinkel von
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    Kunden wie Jane entworfen,
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    und dabei auf Selbstverpflichtung und Rechenschaft bestanden.
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    Also muss sie 10 Prozent der Hypothek --
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    des Gesamtwerts, oder rund 400 Dollar, an Ersparnissen anzahlen.
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    Und dann passen sie die Rate an die bisher für ihre Hütte gezahlte Miete an.
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    Und in den nächsten Wochen wird sie
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    als eine der ersten 200 Familien in dieses Neubaugebiet einziehen.
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    Als ich sie zuletzt fragte, ob sie vor irgendetwas Angst habe,
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    oder ob sie etwas an Mathare vermissen würde,
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    sagte sie: "Wovor sollte ich Angst haben,
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    dem ich nicht schon entgegengetreten bin?
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    Ich bin HIV-positiv. Mir ist schon alles passiert."
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    Und sie sagte: "Was sollte ich vermissen?
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    Denken Sie, ich werde die Gewalt oder die Drogen vermissen? Den Mangel an Privatsphäre?
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    Denken Sie, ich werde es vermissen, nicht zu wissen, ob meine Kinder nach Hause kommen werden
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    am Ende des Tages?" Sie sagte: "Gäben Sie mir 10 Minuten,
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    meine Koffer wären gepackt."
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    Ich sagte: "Und was ist mit Ihren Träumen?"
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    meine Träume sehen nicht genauso aus, wie ich dachte, als ich ein kleines Mädchen war.
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    Aber wenn ich darüber nachdenke, habe ich gedacht, dass ich einen Ehemann wollte,
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    aber was ich wirklich wollte, war eine Familie,
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    die einander liebt. Und ich liebe meine Kinder über alles, und sie lieben mich zurück."
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    Sie sagte: "Ich dachte, dass ich ein Arzt sein wollte,
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    aber was ich wirklich wollte war, jemand zu sein,
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    der zu Diensten ist, und heilt, und gesund macht.
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    Und so fühle ich mich gesegnet mit allem, was ich habe,
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    dass ich zwei Tage die Woche losgehe und HIV Patienten berate.
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    Und ich sage ihnen: 'Schaut mich an. Ihr seid noch nicht tot.
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    Ihr lebt noch. Wenn man lebt, muss man dienen.' "
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    Und sie sagte: "Ich bin keine Ärztin, die Tabletten ausgibt.
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    Aber vielleicht gebe ich etwas besseres,
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    denn ich gebe ihnen Hoffnung."
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    Und inmitten dieser Wirtschaftskrise,
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    in der so viele von uns dazu neigen, sich zurückzuziehen
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    aus Angst, glaube ich, dass es uns wohl anstehen würde,
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    eine Anregung von Jane zu übernehmen und die Hand auszustrecken,
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    und uns klar zu machen, dass arm sein nicht bedeutet, durchschnittlich zu sein.
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    Denn wenn Systeme am Zusammenbrechen sind,
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    wie wir es auf der ganzen Welt sehen,
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    dann ist das eine Gelegenheit für Erfindungen und Innovation.
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    Es ist eine Gelegenheit, wirklich eine Welt zu bauen,
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    in der wir Dienstleistungen und Güter zu allen
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    Menschen bringen können, so dass sie
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    Entscheidungen treffen und für sich selbst wählen können.
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    Ich glaube wirklich, dass dort die Würde ihre Wurzeln hat.
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    Wir schulden es den Janes dieser Welt.
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    Und genauso wichtig ist, wir schulden es uns selbst.
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    Danke.
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Title:
Jacqueline Novogratz über ein Entkommen aus der Armut
Speaker:
Jacqueline Novogratz
Description:

Jacqueline Novogratz erzählt die berührende Geschichte einer Begegnung in einem Slum in Nairobi mit Jane, einer ehemaligen Prostituierten, deren Träume, der Armut zu entkommen, Ärztin zu werden und zu heiraten sich auf unerwartete Weise erfüllten.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
07:18
Matthias Daues added a translation

German subtitles

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