Scott Fraser: Warum Augenzeugen sich irren
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0:02 - 0:07Der Mord passierte vor etwas über 21 Jahren,
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0:07 - 0:11am 18. Januar 1991,
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0:11 - 0:13in einer kleinen
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0:13 - 0:15Trabantenstadt
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0:15 - 0:18in Lynwood, Kalifornien, nur ein paar Kilometer
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0:18 - 0:21südöstlich von Los Angeles.
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0:21 - 0:24Ein Vater kam aus seinem Haus,
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0:24 - 0:27um seinem halbwüchsigen Sohn und
dessen fünf Freunden zu sagen, -
0:27 - 0:30dass es Zeit sei, mit dem Herumalbern
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0:30 - 0:33auf dem Rasen im Vorgarten und
dem Bürgersteig aufzuhören, -
0:33 - 0:36nach Hause zu gehen, die
Schularbeiten fertig zu machen -
0:36 - 0:38und sich bettfertig zu machen.
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0:38 - 0:42Und während der Vater diese Anweisungen gab,
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0:42 - 0:45fuhr ein Wagen vorbei, langsam,
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0:45 - 0:48und als er gerade an dem Vater und den
Teenagern vorbei gefahren war, -
0:48 - 0:52kam eine Hand aus dem Beifahrerfenster
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0:52 - 0:57und — »Peng, peng!« — erschoss den Vater.
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0:57 - 1:01Dann raste der Wagen davon.
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1:01 - 1:02Die Polizei,
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1:02 - 1:06die ermittelnden Beamten, waren
verblüffend gründlich. -
1:06 - 1:09Sie zogen alle üblichen Schuldigen in Betracht
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1:09 - 1:13und hatten nach nicht einmal 24 Stunden
ihren Verdächtigen ausgewählt: -
1:13 - 1:17Francisco Carrillo, einen 17-jährigen Jugendlichen,
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1:17 - 1:19der ungefähr zwei oder drei Straßen weit
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1:19 - 1:22vom Ort der Erschießung entfernt wohnte.
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1:22 - 1:26Sie fanden Fotos von ihm.
Sie bereiteten eine Fotostrecke vor -
1:26 - 1:30und am Tag nach der Erschießung
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1:30 - 1:33zeigten sie diese einem der Teenager, der sagte:
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1:33 - 1:35»Das ist das Bild.
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1:35 - 1:40Das ist der Schütze, den ich gesehen habe,
wie er den Vater getötet hat.« -
1:40 - 1:43Das war alles, was der Richter sich
in der Voranhörung -
1:43 - 1:48anhören musste, um Herrn
Carrillo festzuhalten und -
1:48 - 1:51wegen vorsätzlichen Mordes anzuklagen.
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1:51 - 1:54In der Untersuchung, die dem eigentlichen
Prozess voraus ging, -
1:54 - 1:57bekam jeder der anderen fünf Teenager
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1:57 - 2:02Fotos gezeigt, die gleiche Fotostrecke.
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2:02 - 2:04Das Foto, das sie nach unseren
besten Erkenntnissen -
2:04 - 2:07in der Fotostrecke gezeigt bekommen hatten,
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2:07 - 2:10ist in der linken unteren Ecke dieser
Schnappschüsse zu sehen. -
2:10 - 2:14Der Grund, weswegen wir nicht absolut sicher sind,
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2:14 - 2:18ist die Art der Aufbewahrung von Beweismitteln
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2:18 - 2:20in unserem Rechtssystem,
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2:20 - 2:25aber das wäre ein ganz anderer
TEDx-Talk für später. (Gelächter) -
2:25 - 2:28Also, im tatsächlichen Prozess
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2:28 - 2:31sagten alle sechs Teenager aus
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2:31 - 2:35und bezeugten die Identifizierungen, die sie
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2:35 - 2:38anhand der Fotostrecke gemacht hatten.
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2:38 - 2:43Er wurde schuldig gesprochen. Er wurde
zu lebenslänglicher Haft verurteilt -
2:43 - 2:49und ins Folsom Prison gebracht.
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2:49 - 2:51Also was ist hier falsch?
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2:51 - 2:55Einfacher, fairer Prozess,
umfassende Untersuchung. -
2:55 - 2:59Ah ja, eine Waffe wurde nie gefunden.
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2:59 - 3:03Kein Fahrzeug wurde je als dasjenige identifiziert,
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3:03 - 3:06aus dem der Schütze seinen Arm gestreckt hatte
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3:06 - 3:10und keine Person wurde je beschuldigt,
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3:10 - 3:13den Wagen des Schützen gefahren zu haben.
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3:13 - 3:17Und Herr Carrillos Alibi?
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3:17 - 3:22Welche der hier im Raum anwesenden
Eltern würden nicht -
3:22 - 3:25bezüglich des Aufenthaltsorts ihres Sohnes
oder ihrer Tochter lügen, -
3:25 - 3:29wenn ein Mord untersucht wird?
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3:31 - 3:34Ins Gefängnis geschickt,
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3:34 - 3:37beharrte er eisern auf seiner Unschuld,
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3:37 - 3:42und bleibt seit 21 Jahren konsequent dabei.
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3:42 - 3:45Was ist also das Problem?
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3:45 - 3:48In Fällen dieser Art gibt es vielfältige
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3:48 - 3:52Probleme, die von jahrzehntelanger Forschung
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3:52 - 3:56mit dem menschlichen Gedächtnis herrühren.
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3:56 - 3:59Zuallererst gibt es die statistische Analyse
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3:59 - 4:01aus der Arbeit des Innocence Projects,
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4:01 - 4:04anhand derer wir wissen, dass es nun
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4:04 - 4:07etwa 250, 280 dokumentierte Fälle gibt, in denen jemand
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4:07 - 4:11zu Unrecht verurteilt und nachträglich frei
gesprochen wurde, -
4:11 - 4:18manche aus der Todeszelle heraus,
auf der Grundlage späterer DNS-Analyse -
4:18 - 4:21und wissen Sie, dass in mehr als
drei Vierteln all dieser Fälle -
4:21 - 4:28von Freisprüchen nur anhand
von Augenzeugenberichten -
4:28 - 4:31verurteilt worden war?
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4:31 - 4:37Wir wissen, dass Identifizierungen durch
Augenzeugen nicht unfehlbar sind. -
4:37 - 4:39Ein weiteres Problem kommt von einem
interessanten Aspekt -
4:39 - 4:42des menschlichen Gedächtnisses, der mit
verschiedenen Gehirnfunktionen zusammen hängt, -
4:42 - 4:44den ich aber der Kürze wegen hier in einer
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4:44 - 4:47einfachen Zeile zusammenfassen kann:
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4:47 - 4:52Das Gehirn verabscheut Vakuum.
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4:52 - 4:56Unter den besten Beobachtungsbedingungen,
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4:56 - 4:57den allerbesten,
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4:57 - 5:01erkennen, kodieren und speichern
wir in unserem Gehirn nur -
5:01 - 5:05Bruchstücke des gesamten Erlebnisses vor uns
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5:05 - 5:07und diese werden in verschiedenen
Teilen des Gehirns gespeichert. -
5:07 - 5:11Wenn es nun wichtig für uns ist,
uns an das erinnern zu können, -
5:11 - 5:14was wir erlebt haben,
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5:14 - 5:20haben wir einen unvollständigen,
partiellen Speicher -
5:20 - 5:22und was passiert?
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5:22 - 5:25Unbewusst, ohne die Notwendigkeit bewusster
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5:25 - 5:30Verarbeitung irgendwelcher Art,
fügt das Gehirn Informationen hinzu, -
5:30 - 5:32die nicht da waren,
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5:32 - 5:35ursprünglich nicht gespeichert,
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5:35 - 5:37durch Rückschlüsse, durch Vermutung,
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5:37 - 5:40aus Informationsquellen, die sich uns
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5:40 - 5:43als Beobachter erst nach der
Beobachtung präsentiert haben. -
5:43 - 5:45Doch das passiert unbewusst,
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5:45 - 5:49sodass man nicht einmal etwas davon bemerkt.
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5:49 - 5:51Wir nennen das rekonstruierte Erinnerung.
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5:51 - 5:56Es passiert uns in allen Lebenslagen, jederzeit.
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5:56 - 5:59Diese beiden Betrachtungsweisen,
neben anderen – -
5:59 - 6:03rekonstruierte Erinnerung,
Fehlbarkeit des Augenzeugen – -
6:03 - 6:07war zum Teil der Anlass
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6:07 - 6:09für eine Gruppe
von Berufungsanwälten, -
6:09 - 6:12unter der Leitung einer erstaunlichen
Anwältin namens Ellen Eggers, -
6:12 - 6:17ihre Erfahrung und ihre Talente zu bündeln
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6:17 - 6:18und bei einem höheren Gericht
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6:18 - 6:23eine Wiederholung des Prozesses gegen
Francisco Carrillo zu beantragen. -
6:23 - 6:28Sie beauftragten mich als
forensischen Neurologen, -
6:28 - 6:30weil ich Sachkenntnis
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6:30 - 6:32von Augenzeugenidentifizierung
anhand von Erinnerung habe, -
6:32 - 6:35was offensichtlich für diesen Fall
Sinn ergab, nicht wahr? -
6:35 - 6:39Aber auch, weil ich Sachkenntnis über die Natur
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6:39 - 6:43der menschlichen Nachtsicht habe
und darüber aussage. -
6:43 - 6:46Nun, was hat das hiermit zu tun?
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6:46 - 6:49Also wenn Sie das Fallmaterial durchlesen
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6:49 - 6:52im Fall Carrillo,
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6:52 - 6:55wird Ihnen plötzlich eine Sache auffallen:
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6:55 - 6:58Die ermittelnden Beamten sagten aus,
die Lichtverhältnisse -
6:58 - 7:02am Tatort während des Schusses
seien gut gewesen. -
7:02 - 7:05Alle Teenager hatten während der
Verhandlung ausgesagt, -
7:05 - 7:09sie hätten sehr gut sehen können.
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7:09 - 7:12Aber der Vorfall ereignete sich
mitten im Januar, -
7:12 - 7:18auf der Nordhalbkugel, um 7 Uhr abends.
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7:18 - 7:21Als ich also die Berechnungen
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7:21 - 7:23für die Mond- und Sonnendaten
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7:23 - 7:26an dieser Stelle der Erde zum
Zeitpunkt des Vorfalls -
7:26 - 7:28des Schusses machte,
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7:28 - 7:31war die bürgerliche Dämmerung längst vorbei
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7:31 - 7:33und es gab keinen Mond in jener Nacht.
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7:33 - 7:35Demnach war das ganze Sonnen-
und Mondlicht in der Gegend -
7:35 - 7:38das, was Sie hier auf dem Bildschirm sehen.
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7:38 - 7:41Die einzige Beleuchtung in der Gegend musste
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7:41 - 7:44aus künstlichen Lichtquellen stammen
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7:44 - 7:47und an diesem Punkt gehe ich her
und erstelle eine Rekonstruktion -
7:47 - 7:50der Szene mit Photometern und
verschiedenen Maßen -
7:50 - 7:52der Beleuchtung und anderen Maßen
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7:52 - 7:56der Farbwahrnehmung, zusammen
mit Spezialkameras -
7:56 - 7:58und Hochgeschwindigkeitsfilm, ja?
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7:58 - 8:01Ich nehme alle Messungen vor
und zeichne sie auf, ja? -
8:01 - 8:03Dann mache ich Fotos und so sah die Szene
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8:03 - 8:05zum Zeitpunkt des Schusses
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8:05 - 8:07vom Standpunkt der Teenager aus,
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8:07 - 8:11als sie den Wagen vorbei fahren
und schießen sahen. -
8:11 - 8:13Das ist die Sicht direkt über die Straße
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8:13 - 8:16von dort aus, wo sie standen.
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8:16 - 8:18Einnern Sie sich, dass im Bericht der
ermittelnden Beamten stand, -
8:18 - 8:20die Sicht sei gut gewesen.
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8:20 - 8:23Die Jugendlichen sagten aus, sie
hätten sehr gut sehen können. -
8:23 - 8:26Das ist die Sicht Richtung Osten,
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8:26 - 8:30wohin das Fahrzeug davonraste
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8:30 - 8:35und das ist die Beleuchtung
direkt hinter dem Vater -
8:35 - 8:37und den Teenagern.
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8:37 - 8:41Wie Sie sehen können, ist sie bestenfalls dürftig.
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8:41 - 8:45Niemand wird dies als gut ausgeleuchtet,
gutes Licht bezeichnen -
8:45 - 8:48und tatsächlich, so schön diese Bilder sind —
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8:48 - 8:51ich hatte sie gemacht, weil ich wusste,
dass ich vor Gericht auszusagen hätte -
8:51 - 8:55und ein Bild sagt mehr als tausend Worte —
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8:55 - 8:57wenn es darum geht, Zahlen zu vermitteln,
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8:57 - 9:00abstrakte Konzepte wie Lux, die
internationale Maßeinheit -
9:00 - 9:05der Beleuchtungsstärke, die Werte
der Ishihara-Farbtafeln. -
9:05 - 9:09Wenn Sie das Menschen zeigen, die sich mit
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9:09 - 9:12diesen Aspekten der Wissenschaft und dergleichen
nicht gut auskennen, werden sie -
9:12 - 9:14zu Salamandern in der Mittagssonne.
Das ist, als ob Sie -
9:14 - 9:17über die Tangente des Blickwinkels
sprechen, nicht wahr? -
9:17 - 9:20Ihre Augen werden ganz glasig, nicht wahr?
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9:20 - 9:24Ein guter Forensikexperte muss
auch ein guter Pädagoge sein, -
9:24 - 9:26ein guter Mitteiler, und das ist einer der Gründe,
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9:26 - 9:29weshalb wir Fotos machen, nicht nur um zu zeigen,
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9:29 - 9:31wo die Lichtquellen sind und das, was wir die
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9:31 - 9:34Lichtverteilung nennen, sondern auch, weil sie es
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9:34 - 9:38dem Überprüfer von Fakten einfacher
machen, die Umstände zu verstehen. -
9:38 - 9:41Hier haben wir also einige der
Bilder, die ich in der Tat -
9:41 - 9:43für meine Aussage verwendet habe;
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9:43 - 9:45wichtiger aber waren mir als Wissenschaftler
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9:45 - 9:47die Messwerte, die Werte der Photometer,
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9:47 - 9:52aus denen ich richtige Aussagen
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9:52 - 9:55über die visuellen Möglichkeiten
des menschlichen Auges -
9:55 - 9:58unter diesen Umständen ableiten kann
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9:58 - 10:01und anhand meiner Messwerte, die ich am Tatort
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10:01 - 10:04unter denselben Sonnen- und
Mondlichtverhältnissen -
10:04 - 10:07zur selben Zeit und so weiter und so fort
gemacht hatte, nicht wahr, -
10:07 - 10:08konnte ich ableiten,
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10:08 - 10:10dass keine zuverlässige
Farberkennung möglich war, -
10:10 - 10:12die für Gesichtserkennung äußerst wichtig ist,
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10:12 - 10:15und dass nur skotopisches Sehen möglich war,
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10:15 - 10:17d.h. dass die Auflösung sehr gering war —
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10:17 - 10:19wir nennen das Kantendetektion —
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10:19 - 10:21und dass außerdem, weil die Augen unter diesen
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10:21 - 10:25Lichtverhältnissen vollständig
erweitert waren, die Schärfentiefe, -
10:25 - 10:28die Entfernung, in der man Details
fokussieren und sehen kann, -
10:28 - 10:34weniger als 45 Zentimeter weit gewesen sein muss.
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10:34 - 10:36Ich sagte das vor Gericht aus
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10:36 - 10:39und auch wenn der Richter sehr aufmerksam war,
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10:39 - 10:41war es eine sehr, sehr lange Anhörung
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10:41 - 10:46zum Antrag auf Wiederholung des
Verfahrens gewesen und infolgedessen -
10:46 - 10:48stellte ich aus dem Augenwinkel fest,
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10:48 - 10:52dass ich dachte, der Richter braucht wohl
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10:52 - 10:54ein bisschen mehr Anstoß
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10:54 - 10:56als nur noch mehr Zahlen.
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10:56 - 10:59Und nun wurde ich ein wenig verwegen,
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10:59 - 11:00drehte mich herum
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11:00 - 11:03und fragte den Richter,
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11:03 - 11:05ich sagte: »Euer Gnaden, ich denke,
Sie sollten hingehen -
11:05 - 11:08und sich den Tatort selbst anschauen.«
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11:08 - 11:11Nun hatte ich vielleicht einen Tonfall
verwendet, der mehr nach einer
Herausforderung klang -
11:11 - 11:13als nach einer Bitte, — (Gelächter) —
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11:13 - 11:18aber nichtsdestoweniger muss man diesem
Mann seinen Mut zugute halten, -
11:18 - 11:21mit dem er sagte: »Ja, das werde ich tun«.
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11:21 - 11:25Ein Schocker in der amerikanischen
Rechtswissenschaft. -
11:25 - 11:28Also, tatsächlich fanden wir dieselben
identischen Bedingungen vor, -
11:28 - 11:30wir rekonstruierten die ganze Sache noch einmal,
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11:30 - 11:34er kam mit einer ganzen Brigade
von Beamten des Sheriffs an, -
11:34 - 11:39um ihn in dieser Gesellschaft zu beschützen,
ja? (Gelächter) -
11:39 - 11:44Wir ließen ihn knapp auf der Straße stehen,
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11:44 - 11:47also näher am verdächtigen Wagen,
dem Schützenwagen, -
11:47 - 11:50als es die Teenager gewesen waren,
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11:50 - 11:52er stand also ein paar Meter
vom Bordstein entfernt -
11:52 - 11:55Richtung Straßenmitte.
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11:55 - 11:58Wir hatten einen Wagen, der vorbeifuhr,
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11:58 - 12:03derselbe identische Wagen wie der, den die
Teenager beschrieben hatten, ja? -
12:03 - 12:05Er hatte einen Fahrer und einen Beifahrer
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12:05 - 12:08und nachdem der Wagen den Richter passiert hatte,
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12:08 - 12:12streckte der Beifahrer seine Hand aus
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12:12 - 12:16und richtete sie nach hinten auf den Richter,
während der Wagen weiter fuhr, -
12:16 - 12:19genau wie es die Jugendlichen
beschrieben hatten, nicht wahr? -
12:19 - 12:22Er hatte nun keine richtige Waffe in der Hand,
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12:22 - 12:24sondern einen schwarzen Gegenstand,
der so ähnlich aussah -
12:24 - 12:26wie die beschriebene Waffe.
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12:26 - 12:29Er zeigte damit auf den Richter und dieser sah das hier.
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12:29 - 12:36Das ist der Wagen 10 Meter vom Richter entfernt.
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12:36 - 12:39Ein Arm ragt aus der Beifahrerseite heraus
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12:39 - 12:41und ist rückwärts auf Sie gerichtet.
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12:41 - 12:43Das ist zehn Meter entfernt.
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12:43 - 12:45Einige der Teenager sagten aus,
der Wagen sei tatsächlich -
12:45 - 12:48fünf Meter entfernt gewesen, als der Schuss fiel.
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12:48 - 12:52Gut. Das sind 5 Meter.
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12:52 - 12:56An dieser Stelle wurde ich ein wenig besorgt.
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12:56 - 13:00Dieser Richter ist niemand, mit dem man
jemals Poker würde spielen wollen. -
13:00 - 13:05Er war vollkommen stoisch. Ich konnte kein
Zucken seiner Augenbrauen erkennen. -
13:05 - 13:08Ich konnte nicht die kleinste Neigung
seines Kopfes erkennen. -
13:08 - 13:12Ich hatte keine Ahnung, wie er darauf reagierte,
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13:12 - 13:15und nachdem er die Nachstellung angesehen hatte,
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13:15 - 13:16drehte er sich zu mir um und sagte:
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13:16 - 13:19»Möchten Sie, dass ich mir noch
irgend etwas anschaue?« -
13:19 - 13:23Ich sagte: »Euer Gnaden«, und ich wusste nicht,
-
13:23 - 13:26ob die wissenschaftlichen Messergebnisse
mich mutig gemacht hatten, -
13:26 - 13:30die ich in der Tasche hatte, und meine
Gewissheit, dass sie genau waren, -
13:30 - 13:32oder ob es einfach bloße Dummheit war,
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13:32 - 13:35wie die Anwälte der Verteidigung dachten,
— (Gelächter) — -
13:35 - 13:37als sie mich sagen hörten:
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13:37 - 13:40»Jawohl, Euer Gnaden, ich möchte,
dass Sie genau dort stehen -
13:40 - 13:44und der Wagen noch einmal um den Block fährt,
-
13:44 - 13:47auf Sie zukommt und genau vor Ihnen anhält,
-
13:47 - 13:51etwa einen Meter entfernt,
-
13:51 - 13:55und dass der Beifahrer seine Hand ausstreckt
-
13:55 - 13:57mit einem schwarzen Gegenstand
und damit direkt auf Sie zeigt -
13:57 - 14:03und Sie können ihn so lange anschauen,
wie Sie wollen.« -
14:03 - 14:07Und er sah das hier. (Gelächter)
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14:07 - 14:11Sie werden merken, was auch in
meinem Prüfbericht stand, -
14:11 - 14:14dass das ganze dominierende Licht
von der Nordseite kommt, -
14:14 - 14:15was bedeutet, dass das Gesicht des Schützen
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14:15 - 14:18verdeckt gewesen wäre.
Es wäre hinterleuchtet gewesen. -
14:18 - 14:20Außerdem verursacht das Autodach
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14:20 - 14:24im Wagen das, was wir eine Schattenwolke nennen,
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14:24 - 14:27wodurch es dunkler wird.
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14:27 - 14:32Und das ist gut einen Meter entfernt.
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14:32 - 14:35Warum ging ich dieses Risiko ein?
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14:35 - 14:39Ich wusste, dass die Sichtweite
45 cm oder weniger betrug. -
14:39 - 14:41Bei etwa einem Meter hätte es genauso gut
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14:41 - 14:45einen Fußballplatz weit entfernt sein können.
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14:45 - 14:47Dies ist, was er sah.
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14:47 - 14:51Er fuhr zurück, die Beweisaufnahme dauerte
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14:51 - 14:53noch ein paar Tage. Am Ende
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14:53 - 14:56lautete sein Urteil, dass er dem Antrag
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14:56 - 14:59auf Wiederholung des Verfahrens
stattgeben würde. -
14:59 - 15:02Und außerdem ließ er Herrn Carrillo frei,
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15:02 - 15:05sodass dieser bei der Vorbereitung seiner
eigenen Verteidigung mithelfen konnte, -
15:05 - 15:11falls die Staatsanwaltschaft sich entscheiden
sollte, ihn erneut anzuklagen. -
15:11 - 15:13Was sie aber nicht tat.
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15:13 - 15:18Er ist nun ein freier Mann. (Applaus)
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15:18 - 15:22(Applaus)
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15:22 - 15:27Hier umarmt er seine Schwiegergroßmutter.
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15:27 - 15:31Er — seine Freundin war schwanger,
als er angeklagt wurde. -
15:31 - 15:35Und sie bekam einen kleinen Jungen.
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15:35 - 15:38Er und sein Sohn gehen nun beide auf die
California State University, Long Beach, -
15:38 - 15:44und studieren beide. (Applaus)
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15:44 - 15:48Und was zeigt dieses Beispiel —
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15:48 - 15:52was davon ist wichtig für uns
im Gedächtnis zu behalten? -
15:52 - 15:56Zuallererst gibt es eine lange
Geschichte von Abneigung -
15:56 - 15:58zwischen Wissenschaft und Gesetz
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15:58 - 16:01in der amerikanischen Rechtssprechung.
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16:01 - 16:04Ich könnte Sie mit Horrorgeschichten
von Ignoranz unterhalten, -
16:04 - 16:08gesammelt über jahrzehntelange Erfahrung
als forensischer Experte, -
16:08 - 16:13der nur versuchte, die Wissenschaft
in den Gerichtssaal zu bringen. -
16:13 - 16:18Die gegnerischen Anwälte kämpfen immer
dagegen und lehnen es ab. -
16:18 - 16:21Ein Vorschlag ist, dass wir uns alle sehr viel mehr
-
16:21 - 16:24an die Notwendigkeit gewöhnen, durch Richtlinien,
-
16:24 - 16:26durch Verfahren
-
16:26 - 16:29mehr Wissenschaft in den Gerichtssaal zu bringen
-
16:29 - 16:32und ich glaube, ein großer Schritt dorthin ist,
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16:32 - 16:33höhere Anforderungen zu stellen,
-
16:33 - 16:36bei allem gebotenen Respekt den
Rechtsfakultäten gegenüber, -
16:36 - 16:41im Bezug auf Wissenschaft, Technologie,
Ingenieurwesen, Mathematik -
16:41 - 16:43für alle, die Rechtswesen studieren,
-
16:43 - 16:47denn sie werden Richter werden.
-
16:47 - 16:50Denken Sie darüber nach, wie wir in diesem
Land unsere Richter auswählen. -
16:50 - 16:53Es unterscheidet sich sehr von den
meisten anderen Kulturen. Richtig? -
16:53 - 16:55Das andere, was ich vorschlagen möchte,
-
16:55 - 16:58die Vorsicht, die wir alle haben müssen,
-
16:58 - 17:00ich muss mich immer wieder
selbst daran erinnern -
17:00 - 17:03wie genau die Erinnerungen sind,
-
17:03 - 17:08von denen wir wissen, dass sie wahr sind,
an die wir glauben? -
17:08 - 17:12Es gibt jahrzehntelange Forschung,
-
17:12 - 17:16Beispiele und mehr Beispiele solcher Fälle,
-
17:16 - 17:18wo Menschen
-
17:18 - 17:21wirklich, wirklich überzeugt sind.
Keiner dieser Teenager, -
17:21 - 17:23die ihn identifiziert hatten,
-
17:23 - 17:26glaubte, die falsche Person auszuwählen.
-
17:26 - 17:30Keiner von ihnen glaubte, das Gesicht der
Person nicht sehen zu können. -
17:30 - 17:32Wir alle müssen sehr vorsichtig sein.
-
17:32 - 17:35All unsere Erinnerungen sind
rekonstruierte Erinnerungen. -
17:35 - 17:38Sie sind das Produkt dessen, was wir
ursprünglich erlebt haben -
17:38 - 17:41und all dessen, was hinterher passiert ist.
-
17:41 - 17:43Sie sind dynamisch.
-
17:43 - 17:45Sie sind verformbar. Sie sind flüchtig
-
17:45 - 17:49und deshalb müssen wir uns immer
daran erinnern, vorsichtig zu sein, -
17:49 - 17:52dass die Genauigkeit unserer Erinnerungen
-
17:52 - 17:56nicht daran gemessen wird, wie lebhaft sie sind
-
17:56 - 18:01oder wie sicher Sie sind, dass sie korrekt sind.
-
18:01 - 20:30Danke schön. (Applaus)
- Title:
- Scott Fraser: Warum Augenzeugen sich irren
- Speaker:
- Scott Fraser
- Description:
-
Scott Fraser untersucht, wie Menschen sich an Verbrechen erinnern — und darüber aussagen. In diesem kraftvollen Vortrag, der sich auf einen tödlichen Schuss nach Sonnenuntergang konzentriert, legt er nahe, dass sogar Augenzeugen, die dem Verbrechen ganz nahe waren, »Erinnerungen« erzeugen können, die sie so nicht gesehen haben können. Warum? Weil das Gehirn Vakuum verabscheut.
- Video Language:
- English
- Team:
closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 20:50
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Katja Tongucer edited German subtitles for Why eyewitnesses get it wrong | |
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Judith Matz approved German subtitles for Why eyewitnesses get it wrong | |
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Judith Matz commented on German subtitles for Why eyewitnesses get it wrong | |
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Judith Matz edited German subtitles for Why eyewitnesses get it wrong | |
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Judith Matz edited German subtitles for Why eyewitnesses get it wrong | |
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Tanja Daub accepted German subtitles for Why eyewitnesses get it wrong | |
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Tanja Daub commented on German subtitles for Why eyewitnesses get it wrong |