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Wie offene Grenzen uns schützen | Andrew Solomon | TEDxExeter

  • 0:16 - 0:22
    Der große Naturforscher des 19. Jh.
    Alexander von Humboldt sagte einmal:
  • 0:23 - 0:26
    "Die gefährlichste aller Weltanschauungen
  • 0:26 - 0:30
    ist die Weltanschauung derer,
    die die Welt nie angeschaut haben."
  • 0:31 - 0:35
    Und ich glaube, dass Reisen
    ein moralisches Gebot ist,
  • 0:35 - 0:37
    für alle, die es sich leisten können.
  • 0:37 - 0:41
    Wir schulden es der Welt,
    uns zu engagieren.
  • 0:43 - 0:48
    Jeder muss sich irgendwann
    der weiten Welt aussetzen,
  • 0:48 - 0:50
    und wenn jeder vor
    seinem 30. Lebensjahr
  • 0:50 - 0:53
    zwei Wochen im Ausland verbringen würde,
  • 0:53 - 0:57
    egal wohin sie gingen
    und was sie dort machen,
  • 0:57 - 1:01
    wäre die Hälfte aller diplomatischen
    Probleme der Welt gelöst.
  • 1:01 - 1:06
    Verstünde die Regierung
    die soziale Funktion von Reisen,
  • 1:06 - 1:09
    gäbe es staatliche Programme,
    um Reisen zu unterstützen,
  • 1:09 - 1:14
    so wie es Programme
    für Gesundheit und Bildung gibt.
  • 1:15 - 1:17
    Reisen ist Fenster und Spiegel in einem.
  • 1:17 - 1:18
    Ein Fenster,
  • 1:18 - 1:23
    weil es einem eine andere Gesellschaft
    und Kultur zeigt, die man besucht.
  • 1:23 - 1:26
    Aber auch ein Spiegel,
    denn reist man ins Ausland,
  • 1:26 - 1:29
    wird man auf sein essentielles
    Selbst zurückgeworfen,
  • 1:29 - 1:31
    und man erkennt,
    was das eigentliche Selbst ist,
  • 1:31 - 1:34
    mit einer Klarheit,
    die man sonst nie erreicht hätte.
  • 1:35 - 1:38
    Wir alle brauchen unsere Landsleute.
  • 1:38 - 1:41
    Wenn wir keinen Ort
    unser Eigen nennen können,
  • 1:41 - 1:44
    ist es fast unmöglich,
    herauszufinden, wer wir sind.
  • 1:44 - 1:46
    Aber ohne andersartige Menschen
  • 1:47 - 1:50
    wird man zur Karikatur seiner selbst.
  • 1:50 - 1:52
    Kein Modell muss gewinnen.
  • 1:53 - 1:55
    Keines untergräbt das andere.
  • 1:56 - 2:01
    Ich besitze die US-amerikanische
    und die britische Staatsbürgerschaft.
  • 2:01 - 2:06
    Letztes Jahr stimmte ich
    gegen den Brexit und Trump,
  • 2:07 - 2:09
    und verlor beide Male.
  • 2:09 - 2:10
    (Gelächter)
  • 2:11 - 2:14
    Die Ergebnisse dieser Abstimmungsrunden,
  • 2:14 - 2:17
    wie die Ernennung
    nationalistischer Regierungen
  • 2:17 - 2:21
    in Polen, Ungarn,
    in der Türkei und Russland,
  • 2:21 - 2:25
    stellen die Ablehnung
    der menschlichen Vielfalt
  • 2:25 - 2:29
    und der offenen Grenzen dar,
    die die Weltordnung geprägt haben.
  • 2:29 - 2:35
    Während des Parteitags der Konservativen
    im Oktober sagte Theresa May:
  • 2:36 - 2:40
    "Es gibt keinen Weltbürger.
  • 2:40 - 2:45
    Falls Sie glauben, Sie seien Weltbürger,
    sind Sie Bürger von nirgendwo.
  • 2:45 - 2:50
    Dann verstehen Sie nicht, was das Wort
    'Staatsbürgerschaft' bedeutet."
  • 2:51 - 2:53
    Theresa May liegt falsch.
  • 2:54 - 2:57
    Patriotismus ist kein Nationalismus.
  • 2:58 - 3:03
    Man kann gleichzeitig sein Land
    und andere Länder lieben.
  • 3:04 - 3:06
    Es ist kein Entweder-oder.
  • 3:06 - 3:09
    Wenn die Identitätspolitik
    der letzten 20 Jahre
  • 3:09 - 3:10
    uns nichts anderes verschafft hat,
  • 3:10 - 3:14
    dann zumindest ein Vokabular
    der Intersektionalität,
  • 3:14 - 3:18
    ein Verständnis, dass wir alle immer
    verschiedene Identitäten haben,
  • 3:19 - 3:24
    und dass man alt, konservativ,
    britisch und schwul sein kann,
  • 3:24 - 3:29
    oder jung, taub, radikal und französisch,
  • 3:29 - 3:35
    oder angloamerikanisch,
    europäisch und ein Weltbürger.
  • 3:36 - 3:39
    Es ist ein Kennzeichen von Erfahrenheit,
  • 3:39 - 3:42
    sich deckende Identitäten
    zu tolerieren und zu feiern.
  • 3:42 - 3:46
    Das Fehlen dieser Fähigkeit
    ist ein Zeichen von Entfremdung
  • 3:46 - 3:49
    und des Widerspruchs.
  • 3:49 - 3:53
    Aber wir irren, wenn wir annehmen,
    dass wir die gleichen Lösungen brauchen,
  • 3:53 - 3:56
    weil wir die gleichen Probleme teilen.
  • 3:57 - 4:02
    Als ich in Kambodscha arbeitete,
    traf ich eine Frau namens Phaly Nuon,
  • 4:02 - 4:06
    die während des Genozids
    unglaubliche Gräuel durchlebt hatte.
  • 4:07 - 4:10
    Sie war gezwungen, zuzusehen,
  • 4:10 - 4:14
    wie ihre Tochter vergewaltigt
    und dann vor ihr ermordet wurde.
  • 4:14 - 4:16
    Ihr Baby starb,
  • 4:16 - 4:19
    weil sie zu unterernährt war,
    um Muttermilch zu produzieren.
  • 4:20 - 4:25
    Zu Kriegsende fand sie sich im Lager
    an der thailändischen Grenze wieder,
  • 4:25 - 4:28
    und sie bemerkte, das es in diesem Lager
  • 4:28 - 4:30
    besonders viele Frauen gab,
  • 4:30 - 4:35
    die irgendwie entsetzliche Demütigungen
    und Gräuel überlebt hatten,
  • 4:35 - 4:39
    aber die jetzt vor ihren Zelten
    im Lager saßen, in die Luft starrten,
  • 4:39 - 4:42
    sich nicht um ihre Kinder kümmerten
    und gar nichts taten.
  • 4:43 - 4:46
    Sie ging zu den Leuten,
    die das Lager leiteten.
  • 4:46 - 4:49
    Sie sagten: "Wir haben alle Hände voll
    mit Infektionskrankheiten zu tun.
  • 4:49 - 4:51
    Wir können nichts dagegen tun."
  • 4:52 - 4:55
    Daher beschloss sie,
    selbst etwas dagegen zu tun.
  • 4:55 - 4:58
    Und sie kam auf etwas,
    das sie im Gespräch mit mir
  • 4:58 - 5:00
    ihr "Drei-Punkte-Programm" nannte.
  • 5:01 - 5:03
    Sie sagte: "Als Erstes
    ging ich zu diesen Frauen
  • 5:04 - 5:06
    und brachte ihnen bei, zu vergessen --
  • 5:06 - 5:09
    nicht, dass sie jemals
    das Grauen vergessen würden,
  • 5:09 - 5:11
    das ihnen widerfahren war.
  • 5:11 - 5:14
    Aber ich gab ihnen andere
    Dinge zum Nachdenken
  • 5:14 - 5:16
    und um ihren Geist
    mit etwas anderem zu füllen,
  • 5:16 - 5:19
    und das war der Beginn
    einer Art von Vergessen.
  • 5:20 - 5:24
    Nachdem ich ihnen beigebracht hatte,
    zu vergessen, lehrte ich sie, zu arbeiten.
  • 5:25 - 5:27
    Manche konnten gerade mal sauber machen;
  • 5:27 - 5:32
    manche hatte handwerkliche Kenntnisse,
    andere konnten anspruchsvollere Dinge,
  • 5:32 - 5:33
    aber alle brauchten irgendetwas,
  • 5:33 - 5:37
    von dem sie wussten, dass sie es konnten."
  • 5:37 - 5:41
    Sie meinte: "Hatte ich ihnen einmal
    beigebracht, zu vergessen und zu arbeiten,
  • 5:42 - 5:45
    lehrte ich sie, Maniküren
    und Pediküren durchzuführen."
  • 5:46 - 5:48
    Darauf sagte ich: "Wie bitte?"
  • 5:48 - 5:49
    (Gelächter)
  • 5:49 - 5:53
    Sie sagte: "Was die Menschen in der Zeit
    der Roten Khmer verloren hatten,
  • 5:54 - 5:56
    war die Fähigkeit, anderen zu vertrauen.
  • 5:56 - 5:59
    Die Frauen hatten viele Jahre
    ohne die Chance verbracht,
  • 5:59 - 6:01
    sich schön zu fühlen.
  • 6:01 - 6:04
    Ich lade sie in meine Hütte ein,
    füllte sie mit Dampf
  • 6:05 - 6:06
    und innerhalb von Minuten
  • 6:06 - 6:11
    streckten sie ihre Hände und Füße
    Fremden mit scharfen Instrumenten hin."
  • 6:11 - 6:11
    (Gelächter)
  • 6:12 - 6:16
    "Nach ein paar Minuten begannen sie,
    einander ihre Geschichten zu erzählen.
  • 6:16 - 6:22
    Dann lehrte ich sie, dass es keine
    drei getrennten Fähigkeiten sind,
  • 6:22 - 6:24
    sondern Teil einer
    einzigen Art des Daseins.
  • 6:25 - 6:28
    Und wenn sie den Grund verstanden,
  • 6:28 - 6:31
    waren sie bereit,
    wieder in die Welt zu treten."
  • 6:32 - 6:36
    Demokratische Regierungen müssen in einem
    vorwärtsgerichteten Blick verwurzelt sein,
  • 6:36 - 6:38
    was Vergessen einschließt.
  • 6:39 - 6:44
    Aber wir müssen auch anstreben,
    zu arbeiten und zu vertrauen.
  • 6:44 - 6:50
    Wir vergessen das im Moment zu leicht
    und dann arbeiten und vertrauen wir kaum.
  • 6:51 - 6:53
    In seiner Kampagne sagte Donald Trump:
  • 6:53 - 6:55
    "Ich habe keine Zeit zu reisen,
  • 6:55 - 6:58
    Amerika braucht jetzt
    meine Aufmerksamkeit."
  • 6:58 - 7:00
    Kann man Amerika sehen,
  • 7:00 - 7:03
    wenn man es nicht manchmal
    vom Ausland betrachtet?
  • 7:04 - 7:08
    Bei all diesen nationalistischen
    Bewegungen herrscht das Gefühl vor,
  • 7:08 - 7:11
    Unterschiede seien
    eher bedrohlich als schön.
  • 7:11 - 7:16
    Teil ihrer gemeinsamen Aufgabe ist,
    unsere Menschheit zu verleugnen.
  • 7:17 - 7:18
    Daher überrascht es nicht,
  • 7:18 - 7:21
    dass in den Wochen
    nach der Brexitabstimmung
  • 7:21 - 7:23
    der Leiter der Londoner Polizei
  • 7:23 - 7:27
    über einen extremen Anstieg
    an Hassverbrechen sprach,
  • 7:27 - 7:30
    während in den USA
    das Southern Poverty Law Center
  • 7:30 - 7:36
    in den drei Wochen nach der Wahl
    über 1.000 hassmotivierte Fälle erfasste.
  • 7:36 - 7:39
    Wenn wir einander nicht kennen,
  • 7:39 - 7:42
    fällt es uns viel leichter,
    einander zu töten.
  • 7:43 - 7:47
    Mit etwa 6 war ich
    mit meinem Vater im Auto.
  • 7:47 - 7:49
    Wir fuhren durchs Land.
  • 7:50 - 7:52
    Er erzählte mir eine Geschichte
  • 7:52 - 7:54
    mit einer Anspielung auf den Holocaust.
  • 7:54 - 7:58
    Er dachte, ich wüsste davon,
    tat ich aber nicht.
  • 7:58 - 8:02
    Ich bat ihn, es mir
    zu erklären und er tat es.
  • 8:02 - 8:06
    Ich verstand es nicht und bat ihn,
    es mir noch mal zu erklären.
  • 8:06 - 8:09
    Er erklärte es erneut, und als ich
    ihn ein drittes Mal fragte,
  • 8:09 - 8:12
    sagte er: "Es war das pure Böse."
  • 8:12 - 8:16
    Er sagte es in einem Tonfall,
    der das Ende der Unterhaltung markierte.
  • 8:16 - 8:18
    Aber ich hatte noch eine Frage:
  • 8:19 - 8:25
    "Warum gingen die Juden nicht einfach,
    als alles so schlimm wurde?"
  • 8:26 - 8:31
    Mein Vater sagte: "Es gab keinen Ort,
    wohin sie gehen konnten."
  • 8:32 - 8:36
    Ich weiß noch, dass ich sogar
    damals mit 6 Jahren dachte,
  • 8:36 - 8:39
    dass ich niemals eine
    dieser Personen sein würde;
  • 8:40 - 8:43
    ich würde immer einen Ort haben,
    wohin ich gehen konnte
  • 8:43 - 8:45
    und immer Menschen,
    die mich mit offenen Armen
  • 8:45 - 8:49
    auf jedem bewohnten Kontinent
    willkommen heißen.
  • 8:49 - 8:52
    Dieses Erlebnis prägte mein Leben.
  • 8:53 - 8:57
    Wir erleben eine Phase des Isolationismus,
    wenn Menschen vergessen haben,
  • 8:57 - 9:02
    dass das Verbindungsglied von Sicherheit
    viele Orte sind, an die man gehen kann.
  • 9:03 - 9:05
    Vor etwa einem Jahr war ich in Moskau,
  • 9:05 - 9:09
    als Putin einige seiner autokratischen
    Maßnahmen durchgebracht hatte.
  • 9:09 - 9:12
    Ich war bei Andre Reuter,
    den ich seit vielen Jahren kannte,
  • 9:12 - 9:15
    und der in den Widerstand
    gegen den Putsch involviert war,
  • 9:15 - 9:17
    als die Sowjetunion zusammenbrach,
  • 9:17 - 9:21
    und der idealistisch für Freiheit
    und Gerechtigkeit gekämpft hatte.
  • 9:21 - 9:23
    Ich sagte zu ihm: "Bereust du es?
  • 9:23 - 9:27
    Bereust du, dass du so viel Energie
    in Hoffnungen gesteckt hast,
  • 9:27 - 9:29
    die sich nicht verwirklicht haben?"
  • 9:29 - 9:34
    Er sah mich an und sagte:
    "Ob ich es bereue? Nein.
  • 9:34 - 9:38
    Es treibt alles an, was ich seither
    getan oder gedacht habe."
  • 9:39 - 9:44
    Er sagte: "Der Moment des Idealismus
    war wie eine glückliche Kindheit.
  • 9:44 - 9:47
    Etwas, worauf man aufbauen konnte,
  • 9:47 - 9:50
    um mit allem fertigzuwerden,
    was danach kommt.
  • 9:50 - 9:52
    In diesem Moment merkte ich,
  • 9:53 - 9:56
    dass eine zerstörte Hoffnung
    von einer Edelmut erfüllt ist,
  • 9:56 - 9:59
    die reine Hoffnungslosigkeit
    nie erfahren kann.
  • 9:59 - 10:03
    Der Moment, wenn Dinge sich ändern,
    kann in der Gegenwart wertvoll sein,
  • 10:03 - 10:06
    egal wohin die Veränderung hinführt,
  • 10:06 - 10:12
    und diese Änderung tritt nur nach
    mehrfachen Anfängen von Hoffnung auf.
  • 10:13 - 10:17
    Im Februar 2002, direkt nach der Invasion,
  • 10:17 - 10:19
    ging ich nach Afghanistan.
  • 10:19 - 10:22
    Zum Großteil ging ich, da ich dachte,
    es könnte kein Land sein,
  • 10:22 - 10:27
    das nur aus kriegerischen Bauern
    und korrupten Bürokraten besteht,
  • 10:27 - 10:31
    was dem Bild entsprach, das ein Großteil
    der westlichen Presse damals hatte.
  • 10:32 - 10:35
    Ich hatte einen Übersetzer
    und lokalen Führer,
  • 10:35 - 10:38
    der ein guter Freund
    geblieben ist: Farouq.
  • 10:38 - 10:41
    Ich sagte ihm, dass ich einen
    dieser Pelzhüte haben wollte,
  • 10:41 - 10:43
    wie der, den Karzai trug.
  • 10:44 - 10:47
    Farouq sagte: "Dann müssen wir
    in die Straße der Hutmacher gehen
  • 10:47 - 10:49
    und einen in Auftrag geben."
  • 10:49 - 10:53
    Also bestellten wir dort einen Hut
    und holten ihn am nächsten Tag ab.
  • 10:53 - 10:56
    Farouq sagte: "Unser nächster Termin
    ist nur 5 Minuten von hier.
  • 10:56 - 10:59
    Wir können direkt über den Markt laufen."
  • 10:59 - 11:00
    Ich sagte: "Okay".
  • 11:00 - 11:05
    Damals waren die meisten Europäer,
    die in Afghanistan waren,
  • 11:05 - 11:07
    entweder bei der UN oder dem Militär,
  • 11:07 - 11:10
    und sie durften nicht durch Orte
    wie überfüllte Märkte laufen.
  • 11:11 - 11:13
    Als wir unterwegs waren,
    sagte Farouq zu mir:
  • 11:13 - 11:15
    "Setz deinen Hut auf."
  • 11:15 - 11:19
    Ich sagte: "Farouq, Ausländer, die sich
    lokal kleiden, sehen lächerlich aus."
  • 11:19 - 11:20
    (Gelächter)
  • 11:20 - 11:22
    "Ich werde diesen Hut nicht tragen."
  • 11:22 - 11:23
    Er sagte: "Ach, komm schon."
  • 11:23 - 11:25
    Ich sagte: "Ehrlich,
    Farouq, lieber nicht."
  • 11:25 - 11:27
    Er meinte: "Bitte, trag den Hut."
  • 11:27 - 11:30
    Und ich sagte: "Okay,
    ich trage meinen Hut."
  • 11:30 - 11:36
    Also trug ich meinen Hut und plötzlich
    klatschten alle um mich herum Beifall.
  • 11:36 - 11:37
    (Gelächter)
  • 11:37 - 11:40
    Ein alter Mann trat vor und umarmte mich.
  • 11:41 - 11:45
    Er sagte: "Du bist ein Ausländer,
    aber du kamst in unser Land,
  • 11:45 - 11:47
    du bist hier mit uns auf dem Markt,
  • 11:47 - 11:51
    du trägst schon einen echten
    afghanischen Hut nach afghanischer Art,
  • 11:51 - 11:55
    und wir möchten dich wissen lassen,
    dass du hier willkommen bist."
  • 11:57 - 12:02
    Nach etwa einer Woche
    interviewte ich drei Aktivistinnen.
  • 12:02 - 12:06
    Zum Treffen mit mir kamen sie in Burkas,
  • 12:06 - 12:09
    die sie aber direkt ablegten,
    damit wir uns setzen und reden konnten.
  • 12:09 - 12:14
    Aber ich sagte zu ihnen:
    "Das ist keine Taliban-Regel mehr.
  • 12:14 - 12:17
    Man muss keine Burkas mehr tragen.
    Warum tragt ihr sie immer noch?"
  • 12:18 - 12:22
    Die erste Frau sagte: "Wenn man
    ohne Burka rausgeht und vergewaltigt wird,
  • 12:22 - 12:24
    sagt jeder, dass man selbst schuld sei."
  • 12:25 - 12:29
    Die zweite sagte:
    "Geht man ohne Burka raus
  • 12:29 - 12:32
    und die Taliban kommen
    wieder an die Macht,
  • 12:32 - 12:35
    könnten sie jede Frau bestrafen,
    die ohne Burka unterwegs war."
  • 12:36 - 12:38
    Aber die dritte sagte:
  • 12:38 - 12:41
    "Als die Taliban scheiterten,
    schwor ich mir,
  • 12:41 - 12:45
    dass ich dieses Kleidungsstück verbrennen
    und so etwas nie wieder ansehen würde.
  • 12:47 - 12:52
    Aber nach 5 Jahren gewöhnt
    man sich daran, unsichtbar zu sein,
  • 12:53 - 12:56
    und die Aussicht, wieder sichtbar zu sein,
  • 12:56 - 12:58
    ist sehr stressig."
  • 12:58 - 13:01
    Ich verstand, dass für diese Frau
  • 13:01 - 13:05
    ihre Unsichtbarkeit
    eine Art Freiheit darstellte.
  • 13:05 - 13:07
    Aber ich erkannte auch,
  • 13:07 - 13:11
    dass diese Freiheit selbst
    eine Art Gefängnis war,
  • 13:11 - 13:15
    und dass oft die Menschen,
    die am wenigsten frei sind,
  • 13:16 - 13:18
    Freiheit am besten verstehen.
  • 13:19 - 13:20
    Wie Tony Morrison sagte:
  • 13:20 - 13:25
    "Wenn man freigelassen wird,
    muss man das befreite Selbst einfordern."
  • 13:26 - 13:28
    In einer freien Gesellschaft
    hat man die Chance,
  • 13:28 - 13:31
    seine Ziele zu erreichen.
  • 13:31 - 13:33
    In einer unfreien fehlt diese Chance,
  • 13:34 - 13:37
    was oft zu viel visionäreren Zielen führt.
  • 13:38 - 13:42
    Menschen, die eingeschränkt sind,
    nutzen ihre Worte oft viel kraftvoller,
  • 13:42 - 13:46
    aber das Wort "Freiheit"
    ist als Verb zu verstehen.
  • 13:46 - 13:50
    Man muss es täglich
    neu erleben und erlangen.
  • 13:50 - 13:52
    Es ist nichts Statisches.
  • 13:52 - 13:56
    Es ist kein Zustand, der stetig
    angenommen werden kann.
  • 13:56 - 14:00
    Es erfordert so viel Zeit und Einsatz,
  • 14:01 - 14:02
    Freiheit aufzubauen.
  • 14:03 - 14:05
    Und doch können hart erkämpfte Freiheiten
  • 14:05 - 14:09
    mit alarmierender Geschwindigkeit
    ausgelöscht werden.
  • 14:09 - 14:14
    Nazismus, Apartheid,
    Hutu Power, Großserbien --
  • 14:14 - 14:17
    alle kamen auf und löschten
    die Gerechtigkeit aus,
  • 14:17 - 14:19
    die ihnen voranging.
  • 14:20 - 14:24
    Als ich in China war,
    verbrachte ich Zeit mit Zhang Peili,
  • 14:24 - 14:25
    einem Künstler,
  • 14:25 - 14:30
    der 1989 bei der Studentenrevolte
    auf dem Tianamen-Platz gewesen war.
  • 14:30 - 14:35
    Er war dort, floh und machte später
    ein Gemälde von dem dort Gesehenen,
  • 14:35 - 14:37
    und hängte es in Hangzhou
    von einer Brücke.
  • 14:37 - 14:40
    Dann musste er untertauchen,
    weil er gesucht wurde.
  • 14:41 - 14:46
    Er sagte zu mir: "Vielleicht
    passierte genau das Richtige;
  • 14:46 - 14:50
    wäre es nicht passiert,
    hätte es eine Revolution gegeben,
  • 14:50 - 14:53
    und hunderttausende Menschen
    hätten sterben können."
  • 14:54 - 14:58
    Ich sagte: "Aber Peili,
    wie kannst du das sagen?
  • 14:58 - 15:01
    Du gabst beinah dein Leben dafür.
    Du bist deswegen untergetaucht.
  • 15:01 - 15:04
    Du hast so sehr an diesen
    Studentenprotest geglaubt."
  • 15:05 - 15:10
    Und er meinte: "Ich bin ein Künstler;
    Idealismus ist mein Recht als Künstler.
  • 15:10 - 15:16
    Aber in den Händen von Anführern
    ist Idealismus eine furchtbare Sache."
  • 15:18 - 15:20
    Mein Mann und ich, unsere Familie,
  • 15:20 - 15:25
    nahmen kürzlich einen libyschen
    Flüchtling namens Hassan auf.
  • 15:25 - 15:30
    Teils taten wir das, weil das Leben,
    das wir als amerikanische Schwule führen,
  • 15:31 - 15:36
    so ein abstraktes Privileg
    für die Schwulen aus seiner Heimat
  • 15:36 - 15:38
    und für so viele Schwule weltweit ist;
  • 15:38 - 15:41
    teils aus dem Gefühl
    einer moralischen Verpflichtung,
  • 15:41 - 15:44
    Flüchtlingen in diesen Zeiten zu helfen,
  • 15:44 - 15:48
    und teils, weil wir eine Botschaft
    senden wollten --
  • 15:48 - 15:54
    an unsere Kinder, unsere Freunde,
    und auch an uns selbst --,
  • 15:54 - 15:59
    dass jener viel geschmähte "andere"
    nicht nur jemand Vertrautes sein kann
  • 16:00 - 16:02
    sondern auch jemand Geliebtes.
  • 16:03 - 16:07
    Dass Hassan Mitglied unseres
    Haushalts ist, ist für uns politisch,
  • 16:07 - 16:10
    auch wenn er unseren Sohn
    im Fußball trainiert,
  • 16:10 - 16:12
    im Krankenhaus arbeitet,
  • 16:12 - 16:17
    fantastische Kuchen backt
    und uns alle zum Lachen bringt.
  • 16:18 - 16:19
    Ich hatte gehofft,
  • 16:19 - 16:23
    dass der politische Beigeschmack
    mit der Zeit verschwinden würde.
  • 16:23 - 16:28
    aber diese Möglichkeit entglitt uns
    in der US-Wahlnacht.
  • 16:29 - 16:34
    Der italienische Politologe
    Antonio Gramsci sagte einmal,
  • 16:34 - 16:40
    dass Revolution Pessimismus des Intellekts
    und Optimismus des Willens braucht.
  • 16:40 - 16:46
    Ich denke, jeder soziale Wandel
    braucht Pessimismus des Intellekts
  • 16:46 - 16:48
    und Optimismus des Willens.
  • 16:48 - 16:51
    Damals schwächte sich Apartheid ab.
  • 16:51 - 16:54
    Ich fuhr nach Südafrika,
    um darüber zu berichten.
  • 16:54 - 16:58
    Ich kam aus einer Gesellschaft,
    in der Demokratie funktioniert,
  • 16:58 - 17:02
    in eine, wo es nur eine entfernte
    Hoffnung am Horizont gab.
  • 17:02 - 17:05
    Aber diese Dinge können sich umkehren.
  • 17:05 - 17:07
    Direkt nach der Wahl im November
  • 17:07 - 17:09
    kam der südafrikanische
    Künstler William Kentridge,
  • 17:09 - 17:12
    mit dem ich viel Zeit
    verbracht hatte, nach New York,
  • 17:12 - 17:15
    und wir sprachen darüber,
    was passiert war.
  • 17:15 - 17:20
    Er sagte: "Das Schockierendste ist nicht,
    wie schockiert du jetzt bist,
  • 17:20 - 17:24
    sondern wie wenig schockiert
    du in 6 Monaten sein wirst."
  • 17:25 - 17:29
    Ich verstand das als Einladung,
    schockiert zu bleiben.
  • 17:29 - 17:32
    (Gelächter) (Applaus)
  • 17:36 - 17:37
    Danke.
  • 17:37 - 17:40
    Schockiert zu bleiben ist langfristig.
  • 17:40 - 17:45
    Man muss der Desensibilisierung
    durch Wiederholung widerstehen
  • 17:46 - 17:47
    und erkennen,
  • 17:47 - 17:52
    dass wir als Gesellschaft
    jetzt Gefahr laufen, brutal zu werden,
  • 17:52 - 17:56
    und wir müssen dieser Tendenz widerstehen.
  • 17:56 - 17:59
    Reisen ist das Gegenteil von Chauvinismus.
  • 17:59 - 18:01
    Chauvinismus ist ein Einrollen nach Innen.
  • 18:01 - 18:04
    Reisen ist ein Öffnen nach außen.
  • 18:04 - 18:06
    Eine globale Welt zu erleben,
  • 18:06 - 18:10
    ist einer der besten Wege,
    um eine globale Welt zu erschaffen.
  • 18:11 - 18:14
    Der amerikanische Dichter
    Robert Frost schrieb:
  • 18:14 - 18:17
    "Bevor ich eine Mauer baue,
  • 18:17 - 18:22
    will ich wissen,
    was ich ein- oder ausschließe,
  • 18:22 - 18:24
    und wen ich damit
    vermutlich verärgern werde.
  • 18:25 - 18:28
    Es gibt etwas, das keine Mauer will.
  • 18:29 - 18:31
    Es will sie einreißen."
  • 18:31 - 18:34
    Worauf der Nachbar
    im Gedicht nur sagen kann:
  • 18:34 - 18:36
    "Gute Zäune machen gute Nachbarn."
  • 18:36 - 18:41
    Aber die Geschichte zeigt uns:
    Gute Zäune machen meist echte Feinde.
  • 18:42 - 18:45
    Donald Trump redet
    von dem großartigen Projekt,
  • 18:45 - 18:48
    eine Mauer zwischen
    den USA und Mexiko zu bauen.
  • 18:48 - 18:52
    Großbritannien hat an der großen
    Mauer von Calais gearbeitet,
  • 18:52 - 18:56
    die illegale Einwanderung
    vom Kontinent verhindern soll.
  • 18:56 - 18:58
    Die Friedensmauern in Nordirland
  • 18:58 - 19:01
    werden jetzt in Teilen beibehalten.
  • 19:01 - 19:03
    Ungarn hat geschworen,
  • 19:03 - 19:07
    einen massiven Grenzzaun
    um das gesamte Land zu bauen.
  • 19:07 - 19:11
    Und Israel ist auf dem besten Weg,
    eine ummauerte Nation zu werden.
  • 19:11 - 19:15
    Mauern sind konkrete
    Symbole der Ausgrenzung.
  • 19:15 - 19:19
    Ausgrenzung verletzt jene,
    die ausschließen,
  • 19:19 - 19:23
    oft genauso sehr wie jene,
    die ausgeschlossen werden.
  • 19:23 - 19:26
    Dieser Prozess bedingt es, zu übersehen,
  • 19:26 - 19:30
    wie die liberale Weltordnung
    allen Nationen zugutekommt,
  • 19:30 - 19:35
    und er zeigt eine unreife Gleichgültigkeit
    gegenüber der Ausbreitung von Krieg,
  • 19:35 - 19:37
    der Zunahme von Nuklearwaffen.
  • 19:37 - 19:40
    Es würde Amerika wieder schwach machen --
  • 19:41 - 19:43
    und Großbritannien auch.
  • 19:43 - 19:47
    Es verharmlost den nach zwei Weltkriegen
    geformten zerbrechlichen Frieden,
  • 19:47 - 19:49
    der nie selbstverständlich ist.
  • 19:50 - 19:53
    Denn Mauern sind unsere Burkas:
  • 19:54 - 19:59
    Sie sind Symbole der Sicherheit,
    die uns furchtbar unterdrücken,
  • 19:59 - 20:01
    und wir leiden unter ihnen.
  • 20:02 - 20:05
    Jene von uns, die sich
    für Internationalismus einsetzen,
  • 20:05 - 20:09
    müssen anerkennen, dass Verhandeln
    verwirrend und schwierig sein kann.
  • 20:10 - 20:12
    Billige Arbeit reduziert Jobs im Westen,
  • 20:12 - 20:16
    während westliche Manager
    die weltweit verstreuten Armen ausnutzen.
  • 20:17 - 20:18
    Wir müssen daran denken,
  • 20:18 - 20:21
    dass Sprachbarrieren
    zu Missverständnissen führen,
  • 20:21 - 20:23
    und dass Werte oft herausgefordert werden.
  • 20:24 - 20:30
    Aber solange die Welt von Krieg,
    Hunger und Armut infiziert ist,
  • 20:30 - 20:35
    werden Menschen versuchen,
    aus gefährdeten und verarmten Orten
  • 20:35 - 20:39
    zu scheinbar weniger gefährdeten
    und wohlhabenderen Orten zu fliehen.
  • 20:40 - 20:43
    Sie gehen nicht, weil Auswanderung
    so viel Spaß macht.
  • 20:44 - 20:46
    Sie gehen nicht, um Orte auszubeuten.
  • 20:46 - 20:49
    Sie gehen nicht ohne Bedauern.
  • 20:49 - 20:54
    Sie bleiben schockiert,
    ob sie es wollen oder nicht.
  • 20:55 - 20:59
    Ich berichtete zum Ende
    des Gaddafi-Regimes aus Tripoli,
  • 20:59 - 21:04
    wo ich alle Minister
    der Regierung interviewte.
  • 21:04 - 21:09
    Mir fiel auf, dass alle, die ich traf,
    die sich dem Westen annähern wollten,
  • 21:09 - 21:14
    in den USA, Großbritannien oder Westeuropa
    gelebt oder studiert hatten.
  • 21:14 - 21:18
    Niemand, der wollte, dass Libyen
    ein terroristischer Schurkenstaat blieb,
  • 21:18 - 21:20
    hatte das getan.
  • 21:21 - 21:24
    Anderssein zu isolieren,
    Menschen auszuschließen,
  • 21:24 - 21:28
    fördert bei uns Ignoranz,
    die Hass erzeugt.
  • 21:29 - 21:32
    Offenheit schützt uns.
  • 21:32 - 21:35
    Es ist frappierend,
    dass New York und London,
  • 21:35 - 21:38
    die Städte mit dem größten
    Anteil an Immigranten,
  • 21:38 - 21:43
    viel weniger Angst vor Immigration haben,
    als Menschen in den Randgebieten.
  • 21:43 - 21:48
    Am meisten fürchten sich die Menschen,
    die noch keine Immigranten gesehen haben.
  • 21:48 - 21:50
    Mauern zu bauen löst ihre Probleme nicht.
  • 21:51 - 21:54
    Das ist Schwäche, maskiert als Stärkung.
  • 21:55 - 21:59
    Der einzige Weg nach vorne ist Kontakt.
  • 22:00 - 22:03
    Theresa May sah es genau falsch herum.
  • 22:04 - 22:08
    Wir müssen als Staatsbürger
    unserer Länder handeln,
  • 22:08 - 22:10
    und gleichzeitig das größere
    Ganze einbeziehen.
  • 22:11 - 22:14
    Zu glauben, wir könnten
    keine Weltbürger sein,
  • 22:14 - 22:17
    führt zum Verlust der Welt,
  • 22:17 - 22:19
    deren Bürger wir hätten sein können.
  • 22:19 - 22:20
    Danke.
  • 22:20 - 22:22
    (Applaus)
  • 22:24 - 22:25
    Danke.
  • 22:27 - 22:28
    Danke.
  • 22:28 - 22:30
    (Applaus)
  • 22:33 - 22:34
    Danke, danke.
Title:
Wie offene Grenzen uns schützen | Andrew Solomon | TEDxExeter
Description:

Indem er einen gefährlichen isolationistischen Trend hinter der Wahl von Präsident Donald Trump in den USA und dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich identifiziert, argumentiert der renommierte Autor und TED-Redner Andrew Solomon leidenschaftlich für die persönlichen und politischen Vorteile des Reisens. Er führt an, dass die Erkundung anderer Länder der beste Weg ist, sich selbst zu finden, während die Unkenntnis anderer Kulturen Furcht, Argwohn und Krieg zur Folge hat.

Dieser Vortrag wurde bei einem TEDx-Event gehalten, der dem Format für TED-Konferenzen entspricht, aber eigenständig von einem lokalen Veranstalter organisiert wurde. Erfahren Sie mehr unter http://ted.com/tedx.

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English
Team:
closed TED
Project:
TEDxTalks
Duration:
22:36

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