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Scott Fraser: Warum Augenzeugen sich irren

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    Der Mord passierte vor etwas über 21 Jahren,
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    am 18. Januar 1991,
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    in einer kleinen
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    Trabantenstadt
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    in Lynwood, Kalifornien, nur ein paar Kilometer
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    südöstlich von Los Angeles.
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    Ein Vater kam aus seinem Haus,
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    um seinem halbwüchsigen Sohn und
    dessen fünf Freunden zu sagen,
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    dass es Zeit sei, mit dem Herumalbern
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    auf dem Rasen im Vorgarten und
    dem Bürgersteig aufzuhören,
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    nach Hause zu gehen, die
    Schularbeiten fertig zu machen
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    und sich bettfertig zu machen.
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    Und während der Vater diese Anweisungen gab,
  • 0:42 - 0:45
    fuhr ein Wagen vorbei, langsam,
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    und als er gerade an dem Vater und den
    Teenagern vorbei gefahren war,
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    kam eine Hand aus dem Beifahrerfenster
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    und — »Peng, peng!« — erschoss den Vater.
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    Dann raste der Wagen davon.
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    Die Polizei,
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    die ermittelnden Beamten, waren
    verblüffend gründlich.
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    Sie zogen alle üblichen Schuldigen in Betracht
  • 1:09 - 1:13
    und hatten nach nicht einmal 24 Stunden
    ihren Verdächtigen ausgewählt:
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    Francisco Carrillo, einen 17-jährigen Jugendlichen,
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    der ungefähr zwei oder drei Straßen weit
  • 1:19 - 1:22
    vom Ort der Erschießung entfernt wohnte.
  • 1:22 - 1:26
    Sie fanden Fotos von ihm.
    Sie bereiteten eine Fotostrecke vor
  • 1:26 - 1:30
    und am Tag nach der Erschießung
  • 1:30 - 1:33
    zeigten sie diese einem der Teenager, der sagte:
  • 1:33 - 1:35
    »Das ist das Bild.
  • 1:35 - 1:40
    Das ist der Schütze, den ich gesehen habe,
    wie er den Vater getötet hat.«
  • 1:40 - 1:43
    Das war alles, was der Richter sich
    in der Voranhörung
  • 1:43 - 1:48
    anhören musste, um Herrn
    Carrillo festzuhalten und
  • 1:48 - 1:51
    wegen vorsätzlichen Mordes anzuklagen.
  • 1:51 - 1:54
    In der Untersuchung, die dem eigentlichen
    Prozess voraus ging,
  • 1:54 - 1:57
    bekam jeder der anderen fünf Teenager
  • 1:57 - 2:02
    Fotos gezeigt, die gleiche Fotostrecke.
  • 2:02 - 2:04
    Das Foto, das sie nach unseren
    besten Erkenntnissen
  • 2:04 - 2:07
    in der Fotostrecke gezeigt bekommen hatten,
  • 2:07 - 2:10
    ist in der linken unteren Ecke dieser
    Schnappschüsse zu sehen.
  • 2:10 - 2:14
    Der Grund, weswegen wir nicht absolut sicher sind,
  • 2:14 - 2:18
    ist die Art der Aufbewahrung von Beweismitteln
  • 2:18 - 2:20
    in unserem Rechtssystem,
  • 2:20 - 2:25
    aber das wäre ein ganz anderer
    TEDx-Talk für später. (Gelächter)
  • 2:25 - 2:28
    Also, im tatsächlichen Prozess
  • 2:28 - 2:31
    sagten alle sechs Teenager aus
  • 2:31 - 2:35
    und bezeugten die Identifizierungen, die sie
  • 2:35 - 2:38
    anhand der Fotostrecke gemacht hatten.
  • 2:38 - 2:43
    Er wurde schuldig gesprochen. Er wurde
    zu lebenslänglicher Haft verurteilt
  • 2:43 - 2:49
    und ins Folsom Prison gebracht.
  • 2:49 - 2:51
    Also was ist hier falsch?
  • 2:51 - 2:55
    Einfacher, fairer Prozess,
    umfassende Untersuchung.
  • 2:55 - 2:59
    Ah ja, eine Waffe wurde nie gefunden.
  • 2:59 - 3:03
    Kein Fahrzeug wurde je als dasjenige identifiziert,
  • 3:03 - 3:06
    aus dem der Schütze seinen Arm gestreckt hatte
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    und keine Person wurde je beschuldigt,
  • 3:10 - 3:13
    den Wagen des Schützen gefahren zu haben.
  • 3:13 - 3:17
    Und Herr Carrillos Alibi?
  • 3:17 - 3:22
    Welche der hier im Raum anwesenden
    Eltern würden nicht
  • 3:22 - 3:25
    bezüglich des Aufenthaltsorts ihres Sohnes
    oder ihrer Tochter lügen,
  • 3:25 - 3:29
    wenn ein Mord untersucht wird?
  • 3:31 - 3:34
    Ins Gefängnis geschickt,
  • 3:34 - 3:37
    beharrte er eisern auf seiner Unschuld,
  • 3:37 - 3:42
    und bleibt seit 21 Jahren konsequent dabei.
  • 3:42 - 3:45
    Was ist also das Problem?
  • 3:45 - 3:48
    In Fällen dieser Art gibt es vielfältige
  • 3:48 - 3:52
    Probleme, die von jahrzehntelanger Forschung
  • 3:52 - 3:56
    mit dem menschlichen Gedächtnis herrühren.
  • 3:56 - 3:59
    Zuallererst gibt es die statistische Analyse
  • 3:59 - 4:01
    aus der Arbeit des Innocence Projects,
  • 4:01 - 4:04
    anhand derer wir wissen, dass es nun
  • 4:04 - 4:07
    etwa 250, 280 dokumentierte Fälle gibt, in denen jemand
  • 4:07 - 4:11
    zu Unrecht verurteilt und nachträglich frei
    gesprochen wurde,
  • 4:11 - 4:18
    manche aus der Todeszelle heraus,
    auf der Grundlage späterer DNS-Analyse
  • 4:18 - 4:21
    und wissen Sie, dass in mehr als
    drei Vierteln all dieser Fälle
  • 4:21 - 4:28
    von Freisprüchen nur anhand
    von Augenzeugenberichten
  • 4:28 - 4:31
    verurteilt worden war?
  • 4:31 - 4:37
    Wir wissen, dass Identifizierungen durch
    Augenzeugen nicht unfehlbar sind.
  • 4:37 - 4:39
    Ein weiteres Problem kommt von einem
    interessanten Aspekt
  • 4:39 - 4:42
    des menschlichen Gedächtnisses, der mit
    verschiedenen Gehirnfunktionen zusammen hängt,
  • 4:42 - 4:44
    den ich aber der Kürze wegen hier in einer
  • 4:44 - 4:47
    einfachen Zeile zusammenfassen kann:
  • 4:47 - 4:52
    Das Gehirn verabscheut Vakuum.
  • 4:52 - 4:56
    Unter den besten Beobachtungsbedingungen,
  • 4:56 - 4:57
    den allerbesten,
  • 4:57 - 5:01
    erkennen, kodieren und speichern
    wir in unserem Gehirn nur
  • 5:01 - 5:05
    Bruchstücke des gesamten Erlebnisses vor uns
  • 5:05 - 5:07
    und diese werden in verschiedenen
    Teilen des Gehirns gespeichert.
  • 5:07 - 5:11
    Wenn es nun wichtig für uns ist,
    uns an das erinnern zu können,
  • 5:11 - 5:14
    was wir erlebt haben,
  • 5:14 - 5:20
    haben wir einen unvollständigen,
    partiellen Speicher
  • 5:20 - 5:22
    und was passiert?
  • 5:22 - 5:25
    Unbewusst, ohne die Notwendigkeit bewusster
  • 5:25 - 5:30
    Verarbeitung irgendwelcher Art,
    fügt das Gehirn Informationen hinzu,
  • 5:30 - 5:32
    die nicht da waren,
  • 5:32 - 5:35
    ursprünglich nicht gespeichert,
  • 5:35 - 5:37
    durch Rückschlüsse, durch Vermutung,
  • 5:37 - 5:40
    aus Informationsquellen, die sich uns
  • 5:40 - 5:43
    als Beobachter erst nach der
    Beobachtung präsentiert haben.
  • 5:43 - 5:45
    Doch das passiert unbewusst,
  • 5:45 - 5:49
    sodass man nicht einmal etwas davon bemerkt.
  • 5:49 - 5:51
    Wir nennen das rekonstruierte Erinnerung.
  • 5:51 - 5:56
    Es passiert uns in allen Lebenslagen, jederzeit.
  • 5:56 - 5:59
    Diese beiden Betrachtungsweisen,
    neben anderen –
  • 5:59 - 6:03
    rekonstruierte Erinnerung,
    Fehlbarkeit des Augenzeugen –
  • 6:03 - 6:07
    war zum Teil der Anlass
  • 6:07 - 6:09
    für eine Gruppe
    von Berufungsanwälten,
  • 6:09 - 6:12
    unter der Leitung einer erstaunlichen
    Anwältin namens Ellen Eggers,
  • 6:12 - 6:17
    ihre Erfahrung und ihre Talente zu bündeln
  • 6:17 - 6:18
    und bei einem höheren Gericht
  • 6:18 - 6:23
    eine Wiederholung des Prozesses gegen
    Francisco Carrillo zu beantragen.
  • 6:23 - 6:28
    Sie beauftragten mich als
    forensischen Neurologen,
  • 6:28 - 6:30
    weil ich Sachkenntnis
  • 6:30 - 6:32
    von Augenzeugenidentifizierung
    anhand von Erinnerung habe,
  • 6:32 - 6:35
    was offensichtlich für diesen Fall
    Sinn ergab, nicht wahr?
  • 6:35 - 6:39
    Aber auch, weil ich Sachkenntnis über die Natur
  • 6:39 - 6:43
    der menschlichen Nachtsicht habe
    und darüber aussage.
  • 6:43 - 6:46
    Nun, was hat das hiermit zu tun?
  • 6:46 - 6:49
    Also wenn Sie das Fallmaterial durchlesen
  • 6:49 - 6:52
    im Fall Carrillo,
  • 6:52 - 6:55
    wird Ihnen plötzlich eine Sache auffallen:
  • 6:55 - 6:58
    Die ermittelnden Beamten sagten aus,
    die Lichtverhältnisse
  • 6:58 - 7:02
    am Tatort während des Schusses
    seien gut gewesen.
  • 7:02 - 7:05
    Alle Teenager hatten während der
    Verhandlung ausgesagt,
  • 7:05 - 7:09
    sie hätten sehr gut sehen können.
  • 7:09 - 7:12
    Aber der Vorfall ereignete sich
    mitten im Januar,
  • 7:12 - 7:18
    auf der Nordhalbkugel, um 7 Uhr abends.
  • 7:18 - 7:21
    Als ich also die Berechnungen
  • 7:21 - 7:23
    für die Mond- und Sonnendaten
  • 7:23 - 7:26
    an dieser Stelle der Erde zum
    Zeitpunkt des Vorfalls
  • 7:26 - 7:28
    des Schusses machte,
  • 7:28 - 7:31
    war die bürgerliche Dämmerung längst vorbei
  • 7:31 - 7:33
    und es gab keinen Mond in jener Nacht.
  • 7:33 - 7:35
    Demnach war das ganze Sonnen-
    und Mondlicht in der Gegend
  • 7:35 - 7:38
    das, was Sie hier auf dem Bildschirm sehen.
  • 7:38 - 7:41
    Die einzige Beleuchtung in der Gegend musste
  • 7:41 - 7:44
    aus künstlichen Lichtquellen stammen
  • 7:44 - 7:47
    und an diesem Punkt gehe ich her
    und erstelle eine Rekonstruktion
  • 7:47 - 7:50
    der Szene mit Photometern und
    verschiedenen Maßen
  • 7:50 - 7:52
    der Beleuchtung und anderen Maßen
  • 7:52 - 7:56
    der Farbwahrnehmung, zusammen
    mit Spezialkameras
  • 7:56 - 7:58
    und Hochgeschwindigkeitsfilm, ja?
  • 7:58 - 8:01
    Ich nehme alle Messungen vor
    und zeichne sie auf, ja?
  • 8:01 - 8:03
    Dann mache ich Fotos und so sah die Szene
  • 8:03 - 8:05
    zum Zeitpunkt des Schusses
  • 8:05 - 8:07
    vom Standpunkt der Teenager aus,
  • 8:07 - 8:11
    als sie den Wagen vorbei fahren
    und schießen sahen.
  • 8:11 - 8:13
    Das ist die Sicht direkt über die Straße
  • 8:13 - 8:16
    von dort aus, wo sie standen.
  • 8:16 - 8:18
    Einnern Sie sich, dass im Bericht der
    ermittelnden Beamten stand,
  • 8:18 - 8:20
    die Sicht sei gut gewesen.
  • 8:20 - 8:23
    Die Jugendlichen sagten aus, sie
    hätten sehr gut sehen können.
  • 8:23 - 8:26
    Das ist die Sicht Richtung Osten,
  • 8:26 - 8:30
    wohin das Fahrzeug davonraste
  • 8:30 - 8:35
    und das ist die Beleuchtung
    direkt hinter dem Vater
  • 8:35 - 8:37
    und den Teenagern.
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    Wie Sie sehen können, ist sie bestenfalls dürftig.
  • 8:41 - 8:45
    Niemand wird dies als gut ausgeleuchtet,
    gutes Licht bezeichnen
  • 8:45 - 8:48
    und tatsächlich, so schön diese Bilder sind —
  • 8:48 - 8:51
    ich hatte sie gemacht, weil ich wusste,
    dass ich vor Gericht auszusagen hätte
  • 8:51 - 8:55
    und ein Bild sagt mehr als tausend Worte —
  • 8:55 - 8:57
    wenn es darum geht, Zahlen zu vermitteln,
  • 8:57 - 9:00
    abstrakte Konzepte wie Lux, die
    internationale Maßeinheit
  • 9:00 - 9:05
    der Beleuchtungsstärke, die Werte
    der Ishihara-Farbtafeln.
  • 9:05 - 9:09
    Wenn Sie das Menschen zeigen, die sich mit
  • 9:09 - 9:12
    diesen Aspekten der Wissenschaft und dergleichen
    nicht gut auskennen, werden sie
  • 9:12 - 9:14
    zu Salamandern in der Mittagssonne.
    Das ist, als ob Sie
  • 9:14 - 9:17
    über die Tangente des Blickwinkels
    sprechen, nicht wahr?
  • 9:17 - 9:20
    Ihre Augen werden ganz glasig, nicht wahr?
  • 9:20 - 9:24
    Ein guter Forensikexperte muss
    auch ein guter Pädagoge sein,
  • 9:24 - 9:26
    ein guter Mitteiler, und das ist einer der Gründe,
  • 9:26 - 9:29
    weshalb wir Fotos machen, nicht nur um zu zeigen,
  • 9:29 - 9:31
    wo die Lichtquellen sind und das, was wir die
  • 9:31 - 9:34
    Lichtverteilung nennen, sondern auch, weil sie es
  • 9:34 - 9:38
    dem Überprüfer von Fakten einfacher
    machen, die Umstände zu verstehen.
  • 9:38 - 9:41
    Hier haben wir also einige der
    Bilder, die ich in der Tat
  • 9:41 - 9:43
    für meine Aussage verwendet habe;
  • 9:43 - 9:45
    wichtiger aber waren mir als Wissenschaftler
  • 9:45 - 9:47
    die Messwerte, die Werte der Photometer,
  • 9:47 - 9:52
    aus denen ich richtige Aussagen
  • 9:52 - 9:55
    über die visuellen Möglichkeiten
    des menschlichen Auges
  • 9:55 - 9:58
    unter diesen Umständen ableiten kann
  • 9:58 - 10:01
    und anhand meiner Messwerte, die ich am Tatort
  • 10:01 - 10:04
    unter denselben Sonnen- und
    Mondlichtverhältnissen
  • 10:04 - 10:07
    zur selben Zeit und so weiter und so fort
    gemacht hatte, nicht wahr,
  • 10:07 - 10:08
    konnte ich ableiten,
  • 10:08 - 10:10
    dass keine zuverlässige
    Farberkennung möglich war,
  • 10:10 - 10:12
    die für Gesichtserkennung äußerst wichtig ist,
  • 10:12 - 10:15
    und dass nur skotopisches Sehen möglich war,
  • 10:15 - 10:17
    d.h. dass die Auflösung sehr gering war —
  • 10:17 - 10:19
    wir nennen das Kantendetektion —
  • 10:19 - 10:21
    und dass außerdem, weil die Augen unter diesen
  • 10:21 - 10:25
    Lichtverhältnissen vollständig
    erweitert waren, die Schärfentiefe,
  • 10:25 - 10:28
    die Entfernung, in der man Details
    fokussieren und sehen kann,
  • 10:28 - 10:34
    weniger als 45 Zentimeter weit gewesen sein muss.
  • 10:34 - 10:36
    Ich sagte das vor Gericht aus
  • 10:36 - 10:39
    und auch wenn der Richter sehr aufmerksam war,
  • 10:39 - 10:41
    war es eine sehr, sehr lange Anhörung
  • 10:41 - 10:46
    zum Antrag auf Wiederholung des
    Verfahrens gewesen und infolgedessen
  • 10:46 - 10:48
    stellte ich aus dem Augenwinkel fest,
  • 10:48 - 10:52
    dass ich dachte, der Richter braucht wohl
  • 10:52 - 10:54
    ein bisschen mehr Anstoß
  • 10:54 - 10:56
    als nur noch mehr Zahlen.
  • 10:56 - 10:59
    Und nun wurde ich ein wenig verwegen,
  • 10:59 - 11:00
    drehte mich herum
  • 11:00 - 11:03
    und fragte den Richter,
  • 11:03 - 11:05
    ich sagte: »Euer Gnaden, ich denke,
    Sie sollten hingehen
  • 11:05 - 11:08
    und sich den Tatort selbst anschauen.«
  • 11:08 - 11:11
    Nun hatte ich vielleicht einen Tonfall
    verwendet, der mehr nach einer
    Herausforderung klang
  • 11:11 - 11:13
    als nach einer Bitte, — (Gelächter) —
  • 11:13 - 11:18
    aber nichtsdestoweniger muss man diesem
    Mann seinen Mut zugute halten,
  • 11:18 - 11:21
    mit dem er sagte: »Ja, das werde ich tun«.
  • 11:21 - 11:25
    Ein Schocker in der amerikanischen
    Rechtswissenschaft.
  • 11:25 - 11:28
    Also, tatsächlich fanden wir dieselben
    identischen Bedingungen vor,
  • 11:28 - 11:30
    wir rekonstruierten die ganze Sache noch einmal,
  • 11:30 - 11:34
    er kam mit einer ganzen Brigade
    von Beamten des Sheriffs an,
  • 11:34 - 11:39
    um ihn in dieser Gesellschaft zu beschützen,
    ja? (Gelächter)
  • 11:39 - 11:44
    Wir ließen ihn knapp auf der Straße stehen,
  • 11:44 - 11:47
    also näher am verdächtigen Wagen,
    dem Schützenwagen,
  • 11:47 - 11:50
    als es die Teenager gewesen waren,
  • 11:50 - 11:52
    er stand also ein paar Meter
    vom Bordstein entfernt
  • 11:52 - 11:55
    Richtung Straßenmitte.
  • 11:55 - 11:58
    Wir hatten einen Wagen, der vorbeifuhr,
  • 11:58 - 12:03
    derselbe identische Wagen wie der, den die
    Teenager beschrieben hatten, ja?
  • 12:03 - 12:05
    Er hatte einen Fahrer und einen Beifahrer
  • 12:05 - 12:08
    und nachdem der Wagen den Richter passiert hatte,
  • 12:08 - 12:12
    streckte der Beifahrer seine Hand aus
  • 12:12 - 12:16
    und richtete sie nach hinten auf den Richter,
    während der Wagen weiter fuhr,
  • 12:16 - 12:19
    genau wie es die Jugendlichen
    beschrieben hatten, nicht wahr?
  • 12:19 - 12:22
    Er hatte nun keine richtige Waffe in der Hand,
  • 12:22 - 12:24
    sondern einen schwarzen Gegenstand,
    der so ähnlich aussah
  • 12:24 - 12:26
    wie die beschriebene Waffe.
  • 12:26 - 12:29
    Er zeigte damit auf den Richter und dieser sah das hier.
  • 12:29 - 12:36
    Das ist der Wagen 10 Meter vom Richter entfernt.
  • 12:36 - 12:39
    Ein Arm ragt aus der Beifahrerseite heraus
  • 12:39 - 12:41
    und ist rückwärts auf Sie gerichtet.
  • 12:41 - 12:43
    Das ist zehn Meter entfernt.
  • 12:43 - 12:45
    Einige der Teenager sagten aus,
    der Wagen sei tatsächlich
  • 12:45 - 12:48
    fünf Meter entfernt gewesen, als der Schuss fiel.
  • 12:48 - 12:52
    Gut. Das sind 5 Meter.
  • 12:52 - 12:56
    An dieser Stelle wurde ich ein wenig besorgt.
  • 12:56 - 13:00
    Dieser Richter ist niemand, mit dem man
    jemals Poker würde spielen wollen.
  • 13:00 - 13:05
    Er war vollkommen stoisch. Ich konnte kein
    Zucken seiner Augenbrauen erkennen.
  • 13:05 - 13:08
    Ich konnte nicht die kleinste Neigung
    seines Kopfes erkennen.
  • 13:08 - 13:12
    Ich hatte keine Ahnung, wie er darauf reagierte,
  • 13:12 - 13:15
    und nachdem er die Nachstellung angesehen hatte,
  • 13:15 - 13:16
    drehte er sich zu mir um und sagte:
  • 13:16 - 13:19
    »Möchten Sie, dass ich mir noch
    irgend etwas anschaue?«
  • 13:19 - 13:23
    Ich sagte: »Euer Gnaden«, und ich wusste nicht,
  • 13:23 - 13:26
    ob die wissenschaftlichen Messergebnisse
    mich mutig gemacht hatten,
  • 13:26 - 13:30
    die ich in der Tasche hatte, und meine
    Gewissheit, dass sie genau waren,
  • 13:30 - 13:32
    oder ob es einfach bloße Dummheit war,
  • 13:32 - 13:35
    wie die Anwälte der Verteidigung dachten,
    — (Gelächter) —
  • 13:35 - 13:37
    als sie mich sagen hörten:
  • 13:37 - 13:40
    »Jawohl, Euer Gnaden, ich möchte,
    dass Sie genau dort stehen
  • 13:40 - 13:44
    und der Wagen noch einmal um den Block fährt,
  • 13:44 - 13:47
    auf Sie zukommt und genau vor Ihnen anhält,
  • 13:47 - 13:51
    etwa einen Meter entfernt,
  • 13:51 - 13:55
    und dass der Beifahrer seine Hand ausstreckt
  • 13:55 - 13:57
    mit einem schwarzen Gegenstand
    und damit direkt auf Sie zeigt
  • 13:57 - 14:03
    und Sie können ihn so lange anschauen,
    wie Sie wollen.«
  • 14:03 - 14:07
    Und er sah das hier. (Gelächter)
  • 14:07 - 14:11
    Sie werden merken, was auch in
    meinem Prüfbericht stand,
  • 14:11 - 14:14
    dass das ganze dominierende Licht
    von der Nordseite kommt,
  • 14:14 - 14:15
    was bedeutet, dass das Gesicht des Schützen
  • 14:15 - 14:18
    verdeckt gewesen wäre.
    Es wäre hinterleuchtet gewesen.
  • 14:18 - 14:20
    Außerdem verursacht das Autodach
  • 14:20 - 14:24
    im Wagen das, was wir eine Schattenwolke nennen,
  • 14:24 - 14:27
    wodurch es dunkler wird.
  • 14:27 - 14:32
    Und das ist gut einen Meter entfernt.
  • 14:32 - 14:35
    Warum ging ich dieses Risiko ein?
  • 14:35 - 14:39
    Ich wusste, dass die Sichtweite
    45 cm oder weniger betrug.
  • 14:39 - 14:41
    Bei etwa einem Meter hätte es genauso gut
  • 14:41 - 14:45
    einen Fußballplatz weit entfernt sein können.
  • 14:45 - 14:47
    Dies ist, was er sah.
  • 14:47 - 14:51
    Er fuhr zurück, die Beweisaufnahme dauerte
  • 14:51 - 14:53
    noch ein paar Tage. Am Ende
  • 14:53 - 14:56
    lautete sein Urteil, dass er dem Antrag
  • 14:56 - 14:59
    auf Wiederholung des Verfahrens
    stattgeben würde.
  • 14:59 - 15:02
    Und außerdem ließ er Herrn Carrillo frei,
  • 15:02 - 15:05
    sodass dieser bei der Vorbereitung seiner
    eigenen Verteidigung mithelfen konnte,
  • 15:05 - 15:11
    falls die Staatsanwaltschaft sich entscheiden
    sollte, ihn erneut anzuklagen.
  • 15:11 - 15:13
    Was sie aber nicht tat.
  • 15:13 - 15:18
    Er ist nun ein freier Mann. (Applaus)
  • 15:18 - 15:22
    (Applaus)
  • 15:22 - 15:27
    Hier umarmt er seine Schwiegergroßmutter.
  • 15:27 - 15:31
    Er — seine Freundin war schwanger,
    als er angeklagt wurde.
  • 15:31 - 15:35
    Und sie bekam einen kleinen Jungen.
  • 15:35 - 15:38
    Er und sein Sohn gehen nun beide auf die
    California State University, Long Beach,
  • 15:38 - 15:44
    und studieren beide. (Applaus)
  • 15:44 - 15:48
    Und was zeigt dieses Beispiel —
  • 15:48 - 15:52
    was davon ist wichtig für uns
    im Gedächtnis zu behalten?
  • 15:52 - 15:56
    Zuallererst gibt es eine lange
    Geschichte von Abneigung
  • 15:56 - 15:58
    zwischen Wissenschaft und Gesetz
  • 15:58 - 16:01
    in der amerikanischen Rechtssprechung.
  • 16:01 - 16:04
    Ich könnte Sie mit Horrorgeschichten
    von Ignoranz unterhalten,
  • 16:04 - 16:08
    gesammelt über jahrzehntelange Erfahrung
    als forensischer Experte,
  • 16:08 - 16:13
    der nur versuchte, die Wissenschaft
    in den Gerichtssaal zu bringen.
  • 16:13 - 16:18
    Die gegnerischen Anwälte kämpfen immer
    dagegen und lehnen es ab.
  • 16:18 - 16:21
    Ein Vorschlag ist, dass wir uns alle sehr viel mehr
  • 16:21 - 16:24
    an die Notwendigkeit gewöhnen, durch Richtlinien,
  • 16:24 - 16:26
    durch Verfahren
  • 16:26 - 16:29
    mehr Wissenschaft in den Gerichtssaal zu bringen
  • 16:29 - 16:32
    und ich glaube, ein großer Schritt dorthin ist,
  • 16:32 - 16:33
    höhere Anforderungen zu stellen,
  • 16:33 - 16:36
    bei allem gebotenen Respekt den
    Rechtsfakultäten gegenüber,
  • 16:36 - 16:41
    im Bezug auf Wissenschaft, Technologie,
    Ingenieurwesen, Mathematik
  • 16:41 - 16:43
    für alle, die Rechtswesen studieren,
  • 16:43 - 16:47
    denn sie werden Richter werden.
  • 16:47 - 16:50
    Denken Sie darüber nach, wie wir in diesem
    Land unsere Richter auswählen.
  • 16:50 - 16:53
    Es unterscheidet sich sehr von den
    meisten anderen Kulturen. Richtig?
  • 16:53 - 16:55
    Das andere, was ich vorschlagen möchte,
  • 16:55 - 16:58
    die Vorsicht, die wir alle haben müssen,
  • 16:58 - 17:00
    ich muss mich immer wieder
    selbst daran erinnern
  • 17:00 - 17:03
    wie genau die Erinnerungen sind,
  • 17:03 - 17:08
    von denen wir wissen, dass sie wahr sind,
    an die wir glauben?
  • 17:08 - 17:12
    Es gibt jahrzehntelange Forschung,
  • 17:12 - 17:16
    Beispiele und mehr Beispiele solcher Fälle,
  • 17:16 - 17:18
    wo Menschen
  • 17:18 - 17:21
    wirklich, wirklich überzeugt sind.
    Keiner dieser Teenager,
  • 17:21 - 17:23
    die ihn identifiziert hatten,
  • 17:23 - 17:26
    glaubte, die falsche Person auszuwählen.
  • 17:26 - 17:30
    Keiner von ihnen glaubte, das Gesicht der
    Person nicht sehen zu können.
  • 17:30 - 17:32
    Wir alle müssen sehr vorsichtig sein.
  • 17:32 - 17:35
    All unsere Erinnerungen sind
    rekonstruierte Erinnerungen.
  • 17:35 - 17:38
    Sie sind das Produkt dessen, was wir
    ursprünglich erlebt haben
  • 17:38 - 17:41
    und all dessen, was hinterher passiert ist.
  • 17:41 - 17:43
    Sie sind dynamisch.
  • 17:43 - 17:45
    Sie sind verformbar. Sie sind flüchtig
  • 17:45 - 17:49
    und deshalb müssen wir uns immer
    daran erinnern, vorsichtig zu sein,
  • 17:49 - 17:52
    dass die Genauigkeit unserer Erinnerungen
  • 17:52 - 17:56
    nicht daran gemessen wird, wie lebhaft sie sind
  • 17:56 - 18:01
    oder wie sicher Sie sind, dass sie korrekt sind.
  • 18:01 - 20:30
    Danke schön. (Applaus)
Title:
Scott Fraser: Warum Augenzeugen sich irren
Speaker:
Scott Fraser
Description:

Scott Fraser untersucht, wie Menschen sich an Verbrechen erinnern — und darüber aussagen. In diesem kraftvollen Vortrag, der sich auf einen tödlichen Schuss nach Sonnenuntergang konzentriert, legt er nahe, dass sogar Augenzeugen, die dem Verbrechen ganz nahe waren, »Erinnerungen« erzeugen können, die sie so nicht gesehen haben können. Warum? Weil das Gehirn Vakuum verabscheut.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
20:50

German subtitles

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