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Im Frühjahr 2017
in der Provinz Florenz,
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Das Leben in Poggio alla Croce
st in Aufruhr
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durch die Ankündigung der Ankunft
einer Gruppe von Migranten.
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Zwischen Angst, Wut und Gleichgültigkeit
suchen die Bewohner nach einer Lösung.
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(Hintergrundmusik und Kochgeräusche)
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ICH BIN WEIL WIR SIND
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(Piera) In den letzten Jahren
hat sich vieles veraendert.
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Früher waren die Dinge anders,
die Leute waren einfacher,
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Leute, die das Zentrum des Dorfes
besuchten .
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Jetzt bleiben die Leute mehr zuhause,
das Dorf ist weniger belebt.
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Früher waren wir hier mehr
auf meinen Laden im Zentrum konzentriert.
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Die Welt, das Leben spielte sich dort ab.
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Auch um sich kennenzulernen,
um Meinungen auszutauschen,
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auch unterschiedliche,
um zu einem Dialog zu kommen,
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es war einfacher.
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Es war Leben, meiner Meinung nach
war das Leben.
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(Andreas) Poggio alla Croce könnte man
als eine Art “kleine Schweiz” definieren.
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Es liegt an einem wunderschönen Platz,
zwischen Chianti und Valdarno,
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die Bewohner sind fleissig
und helfen einander,
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im Sommer wird ein schönes Fest
organisiert,
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das die Menschen aus beiden Tälern
anzieht.
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Wenn es Probleme gibt,
wie im Winter die vereisten Strassen,
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gibt es Informationen im Netz...
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Es schien also das ideale Dörfchen.
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Als dann im April 2017 die Nachricht kam,
die wie eine “Bombe” einschlug,
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30 Migranten werden in den Palazzo,
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das verlassene Hotel in der Ortsmitte,
einquartiert.
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Es war, als ob hier ein Raumschiff
mit schwarzen Männlein landen würde.
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(Piera) Der schwarze Mann kommt,
der schwarze Mann kommt und allen
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stellen sich die Haare zu Berge,
aus Angst, mir auch, wenn ich ehrlich bin.
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Man hört ja sowohl Gutes wie Schlechtes
über diese jungen Männer.
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(Andreas) Die heftigste Reaktion, die
intensivste und am meisten verbreitete,
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war die sofortige Verweigerung,
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das was man die Reaktion
aus dem Bauchgefühl heraus nennt.
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Und das wiederum
hat die sofortige Organisation bewirkt,
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die dafür gesorgt hat,
dass innerhalb von 3 Tagen
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230 Gegenstimmen gesammelt wurden,
in einem Ort, der nur 190 Einwohner hat!
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(Attilia) Die erste Versammlung
fand vor 1 ½ Jahren im Sommer statt,
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bevor die Migranten eintrafen,
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wir kannten also diese Menschen
noch gar nicht,
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wir konnten ihnen kein Gesicht
oder einen Namen geben.
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Und es gab ein Treffen im Dorf;
Ich selbst bin nicht
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aus Poggio alla Croce,
ich wohne in einem Ort in der Nähe,
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und bei der Versammlung waren Leute dabei,
die richtig aggressiv reagierten,
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weil sie Angst hatten.
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(Martin) Ihre Reaktion kommt nicht daher,
dass die Leute von Grund auf böse sind,
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aber es gibt Hintergründe
über eine Realität,
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über die man berichten muss,
man muss dazu sagen,
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dass niemand daraufvorbereitet worden ist,
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niemand ist davon verständigt worden,
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dass die Ausländer, die Migranten,
eintreffen würden.
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(Paolo) So sammelten sie
die Unterschriften
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aber ich war nur damit einverstanden,
weil ich wissen wollte,
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wie diese Junge untergebracht
werden sollen, was sie hier machen sollen,
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aber das war dann doch nicht der Grund,
das war, weil sie die hier nicht wollten,
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und dann habe ich gesagt, dass
die Unterschrift fälschlich erpresst wurde
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und ich nicht damit einverstanden bin.
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(Luana) Sie haben gesagt, "in einem Jahr
werdet ihr an uns denken,
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ihr werdet schon sehen, wir haben Angst.
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ich habe eine kleine Tochter
mit 18 Monaten
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und wahrscheinlich kann ich sie nicht
alleine auf die Strasse lassen."
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sie haben mich sogar die ersten Male
gebeten zu unterschreiben,
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aber ich wollte nicht
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und so bin ich zum schwarzen Schaf:
"Warum willst du die hier haben?"
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(Paolo) Sie sind schwarz,
und nur darum geht es,
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und das lässt sich wahrscheinlich
nicht besonders gut verdauen,
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die Integration ist nicht einfach,
auch nicht für sie, weisst du.
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(Attilia) Da herrschte eine Stimmung,
eine schreckliche Atmosphäre,
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mir zitterten wirklich die Knie.
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Ich habe Kinder wiedererkannt,
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die ich, als sie noch klein waren, kannte
und die jetzt gross waren,
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sehr verängstigt, die anfingen zu sagen,
dass sie die hier nicht wollen,
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sie wollten die Migranten
hier nicht haben,
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weil sich ihr Leben verändern würde,
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weil sie nicht mehr sicher
im Dorf umherlaufen könnten,
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nicht mehr spazieren gehen könnten...
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und alles auf eine aggressive
Art und Weise...
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da habe ich angefangen zu zittern
und ich hätte gerne gesagt
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-- aber es gelang mir nicht,
weil ich so gezittert habe --
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dass es mir so leid tue, zu sehen,
wie Kinder, die von klein auf an teilen,
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an ein gemeinschaftliches Zusammensein,
gewohnt waren, ich erinnere mich daran,
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dass es auch farbige Kinder
in unseren Klassen gab,
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die alle zusammen gespielt haben...
und dass sie jetzt so geworden sind,
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und dass sie mir mehr Angst machten,
als die Migranten, die kommen würden,
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weil ich ihre Wut und eine Gewalt spürte,
die mir Angst machte
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(Andreas) Als dann endlich
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das Raumschiff mit den schwarzen Männlein
gelandet war,
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gelang es uns, in einem Raum
unterhalb der Kirche,
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den uns unser Pfarrer Don Martin
zur Verfügung für das alles gestellt hat,
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eine erste Versammlung zu organisieren,
wo wir ganz am Anfang ein Spiel machten,
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ganz willkürlich auf Stühlen verteilt,
also vermischt,
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ein paar von ihnen, ein paar von uns.
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Und so haben wir das Spiel begonnen,
wir klebten ein Blatt Papier an die Wand
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und jeder von uns
fing an da rauf zu schreiben:
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Andreas Formigoni, Italiener,
spricht italienisch.
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Und dann zeigten wir mit dem Filzstift
auf irgendeinen,
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der jetzt an die Reihe kam,
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und jeder von uns schrieb also auf
aus welchem Land er kam,
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wie sein Name lautete
und welche Sprache er sprach
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Durch dieses einfache Spiel
eröffnete sich eine Welt, ein Universum,
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weil bei 14-15- jungen Männern
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12-13 verschiedene Sprachen
zum Vorschein kamen,
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und dann zeigte sich,
dass es unter ihnen Analphabeten gab,
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die man daran erkannte, weil sie den Stift
auf eine ungewohnte Art hielten
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und ihre Namen nicht schrieben
sondern zeichneten.
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Aber es gab auch einige unter ihnen,
die eine Schule besucht hatten.
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Der extremste Fall war ein ein Flüchtling,
der schon das 4.Jahr in Mathematik machte.
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Das lässt die enorme Vielfalt
an Geschichten
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und unterschiedlichsten
menschlichen Situationen erkennen,
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die hinter diesem Stereotyp stehen,
den wir mit einem einzigen Namen benennen:
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DER MIGRANT.
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Jeder sieht vor sich
ein schwarzes Männlein,
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immer derselbe
mit einer Standartgeschichte.
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Und genauso ist es eben nicht!!
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(Malò) Ich glaube, dass der Funke,
der uns dazu gebracht hat,
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die Idee mit der Schule umzusetzen,
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von einem jungen Mann aus Mali
gezündet wurde
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Ali, der mich ausgewählt hatte,
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nachdem wir uns ein bisschen
auf Französisch unterhalten haben,
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kam eines Tages bis zu mir nach Hause
-- ich wohne nicht direkt im Dorf,
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zu mir führt eine 1,5km lange
Schotterstrasse --
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er kam alleine, einen Stift
und ein Heft in der Hand
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und sagte: ich will Italienisch lernen!
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(Elettra) Zu dritt haben wir uns
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in dieses Abenteuer der kleinen Schule
von Poggio alla Croce gestürzt,
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ohne zu wissen, was passieren würde.
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Es musste etwas unternommen werden,
um diesen jungen Menschen zu helfen
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und wir dachten uns, das Beste sei
Ihnen Italienisch beizubringen,
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und ihnen vorallem dabei zu helfen
ihr Selbstvertrauen aufzubauen.
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Wie wir Angst vor sie Schwarzen haben,
so haben sie Angst vor uns Weissen:
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daran müssen wir uns errinern:
sie haben Angst vor uns.
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Und was lustiges war, ist
dass wir Menschen mitbrachten,
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die nichts mit der Lehrtätigkeit
zu tun haben:
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z.B. Marcie, eine Kanadierin, die selbst
nur ganz wenig Italienisch konnte,
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aber trotzdem italienisch gelehrt hat.
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Und auch Willy, der noch hier mit uns ist
und mit ihnen liest, Diktate schreibt,
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er macht alle diese Sachen mit den Jungs.
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(Attilia) Ich bin Grundschullehrerin
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und Dienstags komme ich immer
total erschöpft aus dem Unterricht,
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besonders letztes Jahr,
als ich eine erste Klasse hatte.
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Ich setze mich ins Auto und sage mir,
nein, das schaffe ich nicht,
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bin ich denn verrückt,
warum fahre ich denn dahin,
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so müde wie ich bin, ich sollte
nach hause fahren und mich erholen
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oder das Abendessen zubereiten,
dann schliesse ich die Augen
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und denke, wenn es eine gute Sache ist,
die ich da mache,
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wird mir auch die Energie dafür kommen
und ich starte.
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und dann bin ich glücklich,
weil ich dort ankomme und sehe
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diese Lächeln mit den weissen Zähnen
und die glücklichen Augen
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Ich sehe Ayan, Dado, die Kurden,
die auf dich warten
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und sie danken dir
und sie können es kaum erwarten,
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dass du ihnen etwas Neues beibringst.
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(Laura) Ich bin hier
rein zufällig gelandet,
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ich habe dieses Experiment
durch Andreas kennengelernt,
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durch seine Erzählungen an der Universität
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und da habe ich beschlossen
es mir mal anzuschauen.
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Die häufigste Frage, die mir
gestellt wird, ist, warum ich das mache.
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Not Synced
Vorallem beeindruckt es die Leute,
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Not Synced
dass ich fast 90km Entfernung
zurücklegen muss
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Not Synced
und fast 2 Stunden im Auto sitze,
nur um hier her zu kommen.
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Not Synced
Es ist nicht einfach zu erklären,
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Not Synced
weil der Grund dafür
in vielen kleinen Dingen liegt:
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Not Synced
es sind die Gesten, die Blicke,
die Emotionen, die man empfindet,
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Not Synced
wenn man mit diesen Menschen und
diesen jungen Männern in Kontakt kommt,
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Not Synced
das bedeutet Leben, Erfahrungen,
es sind Welten,
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Not Synced
mit denen man in Berührung kommt,
von denen man meistens nichts wusste.
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Not Synced
(Madou) Ich gehe nach Figline Valdarno
in die Schule, jeden Tag,
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Not Synced
Montags und Dienstags
kann ich in einem Auto mitfahren,
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Not Synced
aber die anderen Tage fahre ich
mit dem Fahrrad.
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Not Synced
Hinfahren ist nicht schwer,
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Not Synced
aber zurück sind es 1,5 Stunden,
es ist anstrengend.
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Not Synced
Als ich noch in Afrika war,
bin ich nicht zur Schule gegangen,
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Not Synced
aber zum Glück bin ich jetzt in Europa
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Not Synced
und ich habe Menschen getroffen,
die mir weiterhelfen
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Not Synced
und mich an einer Schule
eingeschrieben haben.
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Not Synced
Mein Ziel ist es die italienische Sprache
zu erlernen
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Not Synced
und ich möchte in Italien bleiben,
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Not Synced
damit ich meiner Familie in Afrika
helfen kann.
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Not Synced
Also muss ich mich darauf konzentrieren
zu lernen: das ist mein Ziel.
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Not Synced
Ich heisse Madou Koulibaly, ich komme
aus Guinea und ich bin 20 Jahre alt.
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Not Synced
Ich bin seit einem Jahr und 2 Monaten
in Italien,
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Not Synced
es war eine schwierige Reise,
das kann ich nicht vergessen,
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Not Synced
es war sehr gefährlich.
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Not Synced
Ich habe mein Leben geopfert,
um das Glück in Europa zu finden
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Not Synced
und gottseidank bin ich in Italien
am 13.Juni 2018 angekommen
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Not Synced
und dann nach Poggio alla Croce
gebracht worden.
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Not Synced
Ich habe hier sehr gute Menschen
kennengelernt,
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Not Synced
die mich wie einen von ihnen behandeln,
sie sind jetzt wie meine Eltern hier,
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Not Synced
nicht nur für mich, sondern
für alle Afrikaner,
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Not Synced
die hier in Poggio alla Croce wohnen.
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Not Synced
Ich möchte mehr lernen,
wenn es die Möglichkeit gibt,
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Not Synced
und einen Beruf erlernen,
zum Beispiel Schweisser.
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Not Synced
Italien hat mich aus dem Meer gerettet,
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Not Synced
in Italien gehe ich zur Schule
und ich möchte weitermachen,
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Not Synced
um noch mehr zu lernen, ich weiss nicht,
was dann passieren wird.
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Not Synced
Poggio alla Croce ist mein Dorf.
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Not Synced
(Andreas) Der Verlauf ist chaotisch,
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Not Synced
man kann nicht erwarten
einem vorgeschrieben Weg zu folgen,
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Not Synced
das würde auch
diese Art von Schule vernichten.
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Not Synced
Also muss man bereit sein
sich dahin zu bewegen,
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Not Synced
wo dir der Wind den besten Weg weist.
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Not Synced
Ein Beispiel dafür kann sein,
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Not Synced
wie Samba seinen Lebenslauf
auf dem Computer geschrieben hat
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Not Synced
und da versuchst du natürlich ihm
dabei zu helfen:
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Not Synced
"Samba, was willst Du damit sagen,
was ist das?”
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Not Synced
An einer bestimmten Stelle
erscheint die Frage : Fahrkenntnisse,
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Not Synced
also sage ich,
"Samba, womit bist Du denn gefahren?",
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Not Synced
und er strahlt mich an und sagt “Kuh”!
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Not Synced
Daraufhin ist dann eine ganz andere
Unterhaltung entstanden,
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Not Synced
wie sich die Dinge im Laufe der Zeit
verändert haben,
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Not Synced
wie sich vieles in Afrika verändert
und wie sich die Dinge hier verändern.
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Not Synced
Genau das ist ein Beispiel
für Disgression.
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Not Synced
Es ist eine Schule, die sich
auf den ganzen Menschen bezieht.