Du hörst das sanfte Rauschen der Wellen, das weit entfernte Krächzen einer Seemöwe. Aber dann stört ein nerviges Summen die Ruhe, es kommt näher, und näher, und näher. Bis ... klatsch! Du erledigst die angreifende Mücke und es kehrt wieder Ruhe ein. Wie hast du das Geräusch von weitem erkannt und den Verursacher so genau ins Ziel genommen? Die Fähigkeit, Geräusche zu erkennen und ihre Herkunft zu identifizieren, verdanken wir unserem Hörsystem. Das hat zwei Hauptbestandteile: das Ohr und das Gehirn. Die Aufgabe des Ohrs ist es, Schallenergie in neurale Signale zu verwandeln; die des Gehirns ist es, die Informationen dieser Signale zu empfangen und zu verarbeiten. Um zu verstehen wie das funktioniert, können wir einem Geräusch auf seiner Reise ins Ohr folgen. Die Quelle des Geräuschs macht Vibrationen, die sich als Druckwellen durch Partikel in der Luft, Flüssigkeiten oder Feststoffe verbreiten. Aber unser inneres Ohr, Cochlea genannt, ist eigentlich mit salzwasserähnlichen Flüssigkeiten gefüllt. Das erste Problem ist also, wie man diese Schallwellen, wo immer sie auch herkommen, in Wellen in der Flüssigkeit umwandelt. Die Lösung ist das Trommelfell, auch Myrinx genannt, und die winzigen Knochen des Mittelohrs. Diese wandeln die großen Bewegungen des Trommelfells in Druckwellen in der Flüssigkeit der Cochlea um. Wenn Schall in unseren Gehörgang eintritt, trifft er auf das Trommelfell, sodass es wie eine Trommel vibriert. Das vibrierende Trommelfell stößt gegen einen Knochen, genannt Hammer, der auf den Amboss schlägt und den dritten Knochen bewegt, genannt Steigbügel. Seine Bewegung drückt die Flüssigkeit innerhalb der langen Kammern der Cochlea. Dort angelangt, werden die Schallvibrationen endlich zu Vibrationen der Flüssigkeit, und bewegen sich wie eine Welle von einem Ende der Cochlea zum anderen fort. Eine Oberfläche, Basilarmembran genannt, erstreckt sich entlang der Cochlea. Sie ist gesäumt von Haarzellen mit speziellen Bauteilen, genannt Stereozilien, die sich mit den Vibrationen der Cochleaflüssigkeit und der Basilarmembran bewegen. Diese Bewegung erzeugt ein Signal, das durch die Haarzelle in den Hörnerv und dann zum Gehirn wandert, wo es als bestimmtes Geräusch interpretiert wird. Wenn ein Geräusch die Basilarmembran vibrieren lässt, bewegt sich nicht jede Haarzelle -- nur ausgewählte Zellen, abhängig von der Geräuschfrequenz. Das hat mit der Feinkonstruktion der Membran zu tun. An einem Ende ist die Basilarmembran steif und vibriert nur bei Geräuschen mit kurzer Wellenlänge und hoher Frequenz. Das andere Ende ist flexibler und vibriert nur bei Geräuschen mit langer Wellenlänge und niedriger Frequenz. Die Geräusche der Seemöwe und der Mücke lassen also verschiedene Stellen der Basilarmembran vibrieren, wie wenn man verschiedene Tasten auf einem Klavier spielt. Aber das ist nicht alles. Das Gehirn hat noch eine andere wichtige Aufgabe zu erfüllen: identifizieren, woher ein Geräusch kommt. Dazu vergleicht es die Geräusche, die durch die Ohren kommen, um die Quelle im Raum zu verorten. Ein Geräusch direkt vor uns erreicht beide Ohren zur gleichen Zeit. Man hört es auch mit der gleichen Intensität in jedem Ohr. Ein Geräusch mit niedriger Frequenz, das von einer Seite kommt, erreicht das nähere Ohr jedoch Mikrosekunden vor dem ferneren. Und Hochfrequenz-Geräusche klingen intensiver für das nähere Ohr, weil sie für das fernere Ohr durch den Kopf blockiert werden. Diese Informationstränge erreichen spezielle Teile des Hirnstamms, die Zeit- und Intensitätsunterschiede zwischen den Ohren analysieren. Sie senden die Resultate ihrer Analyse hoch zum Hörzentrum. Jetzt hat das Gehirn alles, was es braucht: die Aktivitätsmuster, die uns sagen, was das Geräusch ist, und die Information, wo es herkommt. Nicht jeder hat ein normales Gehör. Hörverlust ist die dritthäufigste chronische Krankheit der Welt. Laute Geräusche und manche Drogen können Haarzellen abtöten, was Signale davon abhält, vom Gehör ins Gehirn zu wandern. Krankheiten wie Osteosklerose lassen die kleinen Knochen im Ohr erstarren, sodass sie nicht länger vibrieren. Auch beim Tinnitus macht das Gehirn seltsame Dinge, sodass wir Geräusche hören, wo keine sind. Aber wenn es funktioniert, ist unser Gehör ein unglaublich elegantes System. Unsere Ohren umfassen ein ausgefeiltes Stück biologischer Maschinerie, das die Kakophonie von Vibrationen in der Luft um uns herum in genau abgestimmte elektrische Impulse verwandelt, die zwischen Klatschen, Wassertropfen, Seufzen und Fliegen unterscheiden können.