Die Menschen haben zum Thema Religion
immer etwas zu sagen.
(Gelächter)
Der grandiose Christopher Hitchens
schrieb das Buch "Der Herr ist kein Hirte"
mit dem Untertitel
"Wie Religion die Welt vergiftet."
(Gelächter)
Aber letzten Monat las man
im Time Magazine
die Aussage von Rabbi David Wolpe,
der offenbar "Amerikas Rabbi"
genannt wird,
-- um es dieser negativen
Charakterisierung entgegenzuhalten --
dass jede wichtige Form
sozialer Veränderung
nur durch organisierte Religion
erreicht werden kann.
Solche Äußerungen auf negativer
und positiver Seite sind schon alt.
Ich habe hier ein Zitat in der Hosentasche
von Lukrez aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.
Er schrieb in seinem Werk
"Über die Natur der Dinge":
"Tantum religio potuit suadere malorum" --
das hätte ich auswendig lernen können --
was bedeutet,
so einfach ist es für die Religion,
Menschen zu schlechten Taten zu bewegen.
Dabei meinte er
Agamemnons Entscheidung,
seine Tochter Iphigenie
auf einem Altar zu opfern,
um damit die Chancen
seiner Armee zu steigern.
Diese langen Debatten
über Religion werden schon
seit Jahrhunderten geführt,
eigentlich schon seit Jahrtausenden.
Die Menschen sprachen viel darüber,
sagten Gutes und Schlechtes
und manchen war es auch gleichgültig.
Ich möchte Sie heute davon überzeugen,
dass diese Debatten
gewissermaßen unsinnig sind,
weil es so etwas wie Religion nicht gibt
und diese Behauptungen
damit hinfällig sind.
Diese Sache namens "Religion"
existiert nicht
und kann deswegen
weder gut noch schlecht sein.
Sie kann auch nicht egal sein.
Mit manchen Behauptungen wird versucht,
die Existenz von Dingen zu widerlegen.
Dabei wird oft wie folgt vorgegangen:
Zunächst bietet man eine Definition
einer bestimmten Sache an und sieht,
ob sie mit irgendetwas übereinstimmt.
Und genau mit diesem Punkt
werde ich nun beginnen.
Wenn Sie also in
Wörterbüchern nachschlagen
oder darüber nachdenken,
ist eine sehr natürliche
Definition von Religion,
dass sie den Glauben an Gott
oder spirituelle Wesen beinhaltet.
Wie gesagt, findet man dies
in vielen Wörterbüchern,
aber auch im Werk von Sir Edward Tylor,
dem ersten Professor für
Anthropologie in Oxford
und einem der ersten
modernen Anthropologen.
In seinem Buch über primitive Kultur
nennt er als Kernstück der Religion
den "Animismus",
der Glaube an ein höheres
spirituelles Wesen, der Glaube an Geister.
Das erste Problem dieser Definition
stammt aus dem aktuellen
Roman "Tuff" von Paul Beatty.
Ein Mann spricht mit einem Rabbi.
Der Rabbi sagt, er glaube nicht an Gott.
Der Mann fragt: "Wie kannst
du nicht an Gott glauben?"
Die Antwort: "Das ist ja gerade
das Tolle am Judentum.
Du musst nicht an einen Gott glauben,
nur daran, ein Jude zu sein." (Gelächter)
Wenn dieser Mann also
ein jüdischer Rabbi ist
und man an Gott glauben muss,
um religiös zu sein,
dann kommen wir zu der eher
abwegigen Schlussfolgerung,
dass, wenn man als jüdischer Rabbi
nicht an Gott glauben muss,
das Judentum keine Religion sei.
Und das scheint nun wirklich sehr abwegig.
Hier ist ein anderes Argument dagegen.
Ein Freund von mir, ein Inder,
ging als kleines Kind zu seinem Großvater
und sagte zu ihm:
"Ich möchte mit dir über
Religion sprechen."
Die Antwort: "Du bist zu jung,
komm wieder, wenn du älter bist."
Also kam er als Teenager wieder
und sagte zu seinem Großvater:
"Jetzt ist es zu spät,
denn ich habe gemerkt,
dass ich nicht an die Götter glaube."
Und sein Großvater,
ein weiser Mann, sagte:
"Ah, also gehörst du
zum atheistischen Teil
der Hindu-Tradition." (Gelächter)
Zu guter Letzt, gibt es diesen Mann,
der bekanntermaßen nicht an Gott glaubt.
Es ist der Dalai Lama.
Er scherzt oft, er sei einer
der weltweit führenden Atheisten
und das stimmt sogar,
denn Dalai Lamas Religion
beinhaltet keinen Glauben an Gott.
Vielleicht denken Sie jetzt,
dass ich Ihnen einfach
die falsche Definition gegeben habe
und dass ich mir eine
neue überlegen sollte,
um sie wieder mit
diesen Fällen zu vergleichen
und etwas zu finden,
das atheistisches Judentum,
atheistischen Hinduismus
und atheistischen Buddhismus
als Arten von Religiosität versteht.
Ich halte das für keine gute Idee,
weil ich glaube,
dass unsere Vorstellung von Religion
so nicht funktioniert.
Ich denke, unser Konzept besteht
aus einer Art Liste
mit allen Musterreligionen
und ihren Unterformen
und wenn etwas Neues auftaucht,
das angeblich eine Religion ist,
fragen wir uns:
"Ähnelt es einer von den anderen?"
Nicht wahr?
Und ich glaube, wir denken
nicht nur über Religion so.
Aus unserer Sicht sollte auch alles
auf der Liste wirklich eine Religion sein.
Darum denke ich, eine Definition,
die Buddhismus und das Judentum auslässt,
ist kein guter Ausgangspunkt,
denn die sind ja auf unserer Liste.
Aber warum haben wir so eine Liste?
Was ist los? Wie kam es dazu,
dass wir diese Liste haben?
Ich glaube, die Antwort ist einfach,
und gleichzeitig derb und kontrovers.
Sicherlich sind viele anderer Meinung,
aber dies ist meine Version
und egal ob sie stimmt,
diese Geschichte gibt Ihnen
ein gutes Gefühl dafür,
wie die Liste entstanden sein kann
und hilft Ihnen eventuell,
ihren Nutzen zu verstehen.
Ich denke die Antwort sind Europäer,
die ungefähr zu Kolumbus' Zeiten begannen,
um die Welt zu reisen.
Sie kamen aus einer christlichen Kultur
und als sie an den
neuen Orten ankamen,
bemerkten sie, dass manche
Menschen keine Christen waren
und so stellten sie sich
die folgende Frage:
Was haben sie anstelle des Christentums?
Und so kam die Liste zustande.
Sie besteht aus den Dingen,
die andere anstelle
des Christentums hatten.
Es ist schwierig, auf diese
Weise weiterzumachen,
denn das Christentum ist,
sogar auf dieser Liste,
eine sehr spezifische Tradition.
Es hat viele Aspekte,
die sehr, sehr speziell sind,
und das Ergebnis der Besonderheiten
der christlichen Geschichte sind.
Das Wichtigste dabei ist --
der Kern der allgemeinen
Sichtweise auf das Christentum --
ein Resultat der spezifischen Geschichte:
Es ist eine sehr gläubige Religion.
Eine Religion, in der Menschen
sehr darauf bedacht sind,
dass man an die richtigen Dinge glaubt.
Die interne Geschichte des Christentums
ist größtenteils die von Menschen,
die sich gegenseitig töten,
weil sie an das Falsche glaubten
und dies bezieht Kämpfe
mit anderen Religionen mit ein,
die eindeutig schon
im Mittelalter beginnen.
Ein Kampf mit dem Islam,
in dem erneut die Ungläubigkeit,
die Tatsache, dass sie
an das Falsche glaubten,
die christliche Welt
sehr zu kränken schien.
Das Christentum hat eine sehr
spezifische und besondere Geschichte
und nicht überall ist alles,
was auf dieser Liste steht, genau so.
Es gibt ein weiteres Problem.
Etwas Besonderes geschah.
Ich habe früher darauf hingewiesen.
Etwas Besonderes ereignete sich
in der Geschichte der Art von Christentum,
die wir heute vor allem
in den USA um uns herum sehen.
Es geschah im späten 19. Jahrhundert
und diese besondere Sache,
die sich im 19. Jh. ereignete,
war eine Art Abmachung
zwischen der Wissenschaft --
der neuen Art, geistige
Instanzen zu organisieren --
und der Religion.
Denken Sie an das 18. Jahrhundert,
oder vielmehr an das intellektuelle Leben
vor dem späten 19. Jahrhundert:
Alles was man tat,
alles worüber man nachdachte,
ob es die physische Welt,
die menschliche Welt,
die natürliche Welt
neben der menschlichen,
oder gar Moral war, alles was man tat,
war umrahmt von
einem Gebilde aus Annahmen,
nämlich religiöser, christlicher Annahmen.
Man konnte keine Aussage
über die natürliche Welt treffen,
die nicht auch etwas über ihr Verhältnis,
zum Beispiel zur Schöpfungsgeschichte
in der abrahamitischen Tradition,
zur Schöpfungsgeschichte im
ersten Buch der Tora, aussagte.
Alles war also auf
diese Weise beeinflusst.
Das ändert sich aber
im späten 19. Jahrhundert
und zum ersten Mal
ist es den Menschen möglich,
einen ernsthaften
intellektuellen Beruf zu haben,
als z. B. Naturforscher, wie Darwin.
Darwin sorgte sich über das Verhältnis
seiner Aussagen zu
den Wahrheiten der Religion,
aber er konnte weiterforschen
und Bücher über sein Thema schreiben,
ohne genau sagen zu müssen,
wie sie zu den religiösen
Behauptungen passten,
und auch Geologen konnten
zunehmend darüber reden.
Ein Geologe im frühen 19. Jahhundert
musste seine Thesen zum Erdalter entweder
entweder im Einklang mit
den Aussagen der Genesis halten
oder erklären, warum dem nicht so war.
Ende des 19. Jahrhunderts
konnte man in einem Geologielehrbuch
einfach Thesen zum Erdalter anstellen.
Es gab also eine große Veränderung
und die intellektuelle
Aufteilung der Arbeit
festigt sich meiner Meinung nach,
sodass zum Ende
des 19. Jahhunderts in Europa
eine echte intellektuelle Trennung
der Arbeit existiert
und man allerlei
ernsthafte Berufe ergreifen kann.
Sogar zunehmend philosophische Berufe,
ohne sich dabei von dem
Gedanken einschränken zu lassen:
"Alles, was ich sage, muss mit
den Wahrheiten übereinstimmen,
die unsere religiösen
Traditionen mir gegeben haben."
Ich kann mir vorstellen,
dass jemand, der aus der Welt
des späten 19. Jahrhunderts
in mein Heimatland Ghana kommt,
in die Gemeinde Asante,
in der in aufgewachsen bin.
Ende des 19. beziehungsweise
Anfang des 20. Jahrhunderts
kommt also jemand mit der Frage,
die die Liste hat entstehen lassen:
Was haben sie anstelle des Christentums?
Hier ist eine Sache,
die der Person aufgefallen wäre.
Übrigens gab es diese Person wirklich.
Captain Rattray wurde
von der britischen Regierung
als Anthropologe geschickt und
schrieb über die Asante-Religion.
Dies ist eine "Seelenscheibe".
Man findet davon viele im British Museum.
Ich könnte eine andere
Geschichte erzählen,
wie es dazu kommt,
dass viele Dinge aus meiner Gemeinde
im British Museum landen,
aber dafür haben wir keine Zeit.
Das ist also eine Seelenscheibe.
Was ist das?
Die Seelenreiniger des Asante-Königs
trugen sie um den Hals.
Was war ihre Aufgabe?
Die Reinigung der Seele des Königs.
Es würde zu lange dauern, zu erklären,
wie eine Seele gereinigt werden kann,
aber Rattray wusste,
dass es um Religion ging,
denn es waren Seelen involviert.
Gleichzeitig gab es noch
viele andere Dinge, viele andere Sitten.
Zum Beispiel, jedes Mal,
wenn man etwas trank,
schüttete man etwas davon auf den Boden,
das nannte man Trankopfer,
und gab so den Vorfahren etwas ab.
Mein Vater tat das.
Bei jeder Flasche Whiskey,
die er öffnete, das kam häufig vor,
schraubte er den Deckel ab und schüttete
ein bisschen davon auf den Boden,
er sprach dabei auch,
er trank auf Akroma-Ampim,
den Gründer unseres Volkes,
oder Yao Antony,
meinen Großonkel,
er sprach mit ihnen und
bot ihnen etwas Whiskey an.
Zu guter Letzt gab es noch
große öffentliche Zeremonien.
Dies ist eine Zeichnung
aus dem frühen 19. Jahrhundert
von einem britischen Militäroffizier.
Der König nahm teil. Seine Aufgabe dabei,
einer wichtiger Teil davon,
neben der Organisation
von Kriegen etc., war es,
über die Gräber seiner Vorfahren zu wachen
und wenn ein König starb, wurde
der Stuhl auf dem er saß, geschwärzt
und in den königlichen
Ahnentempel gebracht.
Alle 40 Tage muss der König von Asante
dort hingehen und Rituale
für seine Vorfahren durchführen.
Das ist Teil seiner Aufgabe
und die Menschen glauben,
wenn er das nicht tut,
gäbe es Chaos.
Er ist also sowohl eine religiöse Gestalt,
so hätte es Rattray genannt,
als auch eine politische.
Für Rattray würde
all dies als Religion zählen,
aber mein Punkt ist,
wenn Sie das Leben
dieser Menschen ansehen,
merken Sie, dass sie
bei allem, was sie tun,
an ihre Vorfahren denken.
Jeden Morgen beim Frühstück
geht man nach draußen vor das Haus
und bietet dem Gottesbaum,
dem "nyame dua" vor dem Haus,
eine Opfergabe und wieder
spricht man zu den Göttern,
hohen und niederen,
zu den Vorfahren und so weiter.
In dieser Welt hat die Trennung
zwischen Wissenschaft und Religion
nicht stattgefunden.
Religion wurde nicht von den
anderen Teilen des Lebens abgegrenzt.
In dieser Welt -- und das ist
für ihr Verständnis wichtig --
werden die Aufgaben der Wissenschaft
von dem erledigt, was Rattray
später Religion nennen wird.
Denn wenn sie eine Erklärung dafür suchen,
warum die Ernte schwach war,
warum es regnet,
oder nicht regnet,
wenn sie Regen brauchen,
wenn sie wissen wollen,
warum ihr Großvater gestorben ist,
wenden sie sich immer
an die gleichen Geister,
und sprechen in derselben Sprache
mit denselben Göttern darüber.
Mit anderen Worten, es gibt keine Trennung
zwischen Religion und Wissenschaft.
Dies könnte ja eine
historische Seltenheit sein,
allerdings ist es
in großen Teilen der Welt
noch die Realität.
Ich hatte neulich die Ehre,
einer Hochzeit im Norden
Namibias beizuwohnen,
etwa 30 km südlich
der angolanischen Grenze
in einem Dorf mit 200 Einwohnern.
Es sind moderne Menschen.
Oona Chaplin war dabei,
einige kennen sie vielleicht.
Ein Bewohner kam zu ihr und sagte:
"Ich kenne Sie aus Game of Thrones."
Diese Menschen waren also
nicht von unserer Welt isoliert,
aber trotzdem sind Götter und Geister
für diese Menschen noch sehr wichtig.
Während unseren Busfahrten
zu den diversen Orten des [Festes]
haben sie nicht einfach nur gebetet,
nein, sie haben für
Sicherheit der Reise gebetet
und es war so gemeint.
Als sie mir sagten,
dass die Großmutter
des Bräutigams bei uns sei,
meinten sie das nicht nur bildlich.
Sie meinten, obwohl sie bereits tot war,
sei sie immer noch da.
In großen Teilen der heutigen
Welt hat die Trennung
von Wissenschaft und Religion
einfach nicht stattgefunden
und wie gesagt, sie sind nicht ...
Dieser Mann hat für die Chase Bank
und die Weltbank gearbeitet.
Die Menschen sind wie Sie
Bewohner dieser Welt,
nur kommen sie aus einem Teil,
in dem Religion eine
andere Rolle einnimmt.
Ich möchte, dass Sie das nächste Mal,
wenn jemand Religion verallgemeinert,
daran denken, dass es so etwas
wie Religion vielleicht gar nicht gibt
und dass das, was da gesagt wird,
überhaupt nicht wahr sein kann.
(Applaus)