Ich bin von reiner Leidenschaft getrieben, um Bilder zu kreieren, die eine Geschichte erzählen. Fotografie kann als Aufnahme eines Moments beschrieben werden, der innerhalb kürzester Zeit erstarrt ist. Jeder Moment oder jedes Bild entspricht einem greifbarem Teil unserer Erinnerungen im Laufe der Zeit. Was wäre, wenn man mehr als einen Moment in einem Bild erfassen könnte? Was wäre, wenn ein Bild die Zeit einstürzen ließe und die besten Momente des Tages und der Nacht sich nahtlos in einem einzelnen Bild zusammenfügen würden? Ich habe das Konzept "Day to Night" [vom Tag zur Nacht] kreiert. Ich glaube, dadurch wird man die Welt anders betrachten. Das war bei mir so. Ich beginne damit, berühmte Orte zu fotografieren, Orte, die ein Teil dessen sind, was ich kollektive Erinnerung nenne. Ich fotografiere aus einem festen Blickwinkel und bewege mich nie. Ich erfasse die flüchtigen Momente der Menschheit und des Lichtes während die Zeit vergeht. Ich fotografiere 15–30 Stunden lang und nehme mehr als 1 500 Bilder auf. Dann wähle ich die besten Momente des Tages und der Nacht aus. Indem ich die Zeit als Leitlinie benutze, verschmelze ich jene besten Momente in einem einzelnen Bild und visualisiere so unsere bewusste Reise mit der Zeit. Ich kann Sie für eine Aussicht von der Tournellebrücke nach Paris führen. Ich kann Ihnen die Ruderer auf der Seine am frühen Morgen zeigen. Gleichzeitig zeige ich Ihnen, wie Notre-Dame nachts leuchtet. Zwischendurch zeige ich Ihnen die Romantik der Stadt der Lichter. Im Wesentlichen bin ich ein Straßenfotograf, auf 15 Meter Höhe, und alles, was Sie auf diesem Bild sehen, ist in der Tat an diesem Tag passiert. "Day to Night" ist ein globales Projekt, in meinem Werk ging es immer um Geschichte. Ich bin von der Vorstellung fasziniert, in Städten wie Venedig zu sein und sie während eines besonderen Ereignisses zu betrachten. Ich beschloss, bei der historischen Regatta dabei zu sein, einer Veranstaltung, die seit 1498 stattfindet. Die Boote und die Kostüme sehen genauso aus wie damals. Mir ist sehr wichtig, dass Sie verstehen, dass das hier kein Zeitrafferfoto ist. Ich fotografiere den ganzen Tag und die ganze Nacht über. Ich bin ein kompromissloser Sammler magischer Momente. Mich motiviert die Angst, einen solchen zu verpassen. Das ganze Konzept entstand ca. 1996. Das LIFE-Magazin beauftragte mich, ein Panoramabild mit der Besetzung von Baz Luhrmanns Film "Romeo und Julia" aufzunehmen. Am Set stellte ich fest, dass es sich um einen quadratischen Raum handelte. Der einzige Weg, ein Panoramabild zu kreieren, war, eine Collage aus 250 einzelnen Bilder zusammenzustellen. Ich bat DiCaprio und Claire Danes sich zu umarmen. Während ich meine Kamera nach rechts schwenkte, bemerkte ich einen Spiegel an der Wand. Ihr Bild spiegelte sich darin. Für diesen einen Moment, dieses eine Foto, fragte ich sie: "Würdet ihr euch für dieses eine Bild küssen?" Dann kam ich in mein New-Yorker Studio zurück und klebte diese 250 Bilder mit der Hand zusammen. Ich trat zurück und sagte: "Wow, das ist cool! Ich ändere die Zeit in einem Bild." Dieses Konzept hat mich eigentlich 13 Jahre lang begleitet, bis die Technik endlich meine Träume eingeholt hatte. Das ist ein Bild des Santa Monica-Piers, "Day to Night". Ich zeige Ihnen jetzt ein kleines Video, das Ihnen eine Vorstellung gibt, wie ich diese Bilder aufnehme. Als Erstes müssen Sie verstehen, dass ich, um solche Blickwinkel zu bekommen, die meiste Zeit hoch oben sitze, für gewöhnlich auf einer Hebebühne oder auf einem Kran. So sieht mein typischer Tag aus: 12–18 Stunden, non-stop. Ich halte den Tag fest, wie er sich vor mir entfaltet. Ich liebe es, Menschen zu beobachten; das ist großartig. Glauben Sie mir: Das ist der beste Sitzplatz im ganzen Haus. So gehe ich wirklich vor, wenn ich diese Bilder mache. Nachdem ich meinen Standpunkt und Ort festgelegt habe, muss ich entscheiden, wo der Tag beginnt und die Nacht endet. Das nenne ich den Zeit-Vektor. Einstein beschreibt Zeit als ein Gewebe. Denken Sie an die Oberfläche eines Trampolins: Sie verformt und streckt sich durch die Schwerkraft. Auch ich sehe Zeit als ein Gewebe, nur dass ich es glätte und auf eine einzelne Fläche komprimiere. Einzigartig an dieser Arbeit ist: Wenn Sie meine Bilder betrachten, ändert sich der Zeit-Vektor. Manchmal verläuft er von links nach rechts, manchmal von vorne nach hinten, von oben nach unten oder auch diagonal. Ich erforsche das Raum-Zeit-Kontinuum innerhalb eines zweidimensionalen Standfotos. Wenn ich die Bilder aufnehme, ist es, als ob mir ein Echtzeit-Puzzle durch den Kopf gehen würde. Ich erstelle ein Foto basierend auf Zeit. Das nenne ich Master-Fläche. Es kann Monate dauern, bis sie vollständig ist. Das Schöne an dieser Arbeit ist, dass ich überhaupt keine Kontrolle habe, wenn ich an einem beliebigen Tag nach oben steige und Bilder aufnehme. So weiß ich nie genau, wer in den Bildern zu sehen ist, ob es einen großartigen Sonnenauf- oder -untergang gibt -- keine Kontrolle. Das steht am Ende des Prozesses, wenn ich einen tollen Tag hatte und alles gleich geblieben ist. Dann entscheide ich, wer dabei ist und wer nicht. Alles basiert auf Zeit. Ich wähle die besten Momente aus einem Monat Bearbeitung und verschmelze sie auf der Master-Fläche nahtlos miteinander. Ich komprimiere den Tag und die Nacht, so wie ich sie wahrgenommen habe und schaffe so eine einzigartige Harmonie zwischen diesen zwei ungleichen Welten. Die Malerei hat meine Arbeit immer sehr stark beeinflusst. Ich war schon immer ein großer Fan von Albert Bierstadt, dem großen Maler der Hudson-River-School. Er inspirierte mich zu einer Serie über die Nationalparks. Das ist Bierstadts Yosemite Valley. Das ist meine Aufnahme von Yosemite. Eigentlich ist das die Titelgeschichte der Januar-2016-Ausgabe des National-Geographic-Magazins. Es stecken mehr als 30 Stunden Arbeit in diesem Bild. Ich befand mich buchstäblich am Rand einer Klippe und hielt die Sterne und das Mondlicht bei ihrem Übergang fest, während das Mondlicht den El Capitan beleuchtete. Ich hielt auch den Zeitübergang durch die Landschaft fest. Das Beste ist, die magischen Momente der Menschheit im Laufe der Zeit zu betrachten -- vom Tag zur Nacht. Ich muss zugeben, dass ich ein Bild von Bierstadts Gemälde in meiner Tasche hatte. Als die Sonne über dem Tal aufging, begann ich vor Aufregung zu zittern, denn ich schaute auf das Gemälde und dachte: "Oh mein Gott, ich habe genau das gleiche Licht wie Bierstadt vor 100 Jahren." "Day to Night" handelt von allem. Es ist wie eine Sammlung von all dem, was ich an der Fotografie mag. Es geht um Landschaft, Straßenfotografie, Farbe und Architektur, Perspektive, Maßstab, und besonders um Geschichte. Das ist einer der historischsten Momente, den ich fotografieren konnte. Die Amtseinführung des Präsidenten Barack Obama 2013. Wenn Sie dieses Bild von Nahem betrachten, erkennen Sie, wie die Zeit auf den großen Bildschirmen vergeht. Sie sehen Michelle, die mit den Kindern wartet, den Präsidenten, der die Menge begrüßt, er legt seinen Eid ab und spricht zu den Menschen. Da sind so viele Herausforderungen, wenn ich solche Bilder mache. Für dieses spezielle Foto befand ich mich auf einer Scherenbühne in 15 Metern Höhe. Das war nicht sehr stabil. Immer wenn mein Assistent und ich unser Gewicht verlagerten, verschob sich auch der Horizont. Bei jedem Bild, das Sie sehen, -- wir haben ca. 1 800 Bilder hier -- mussten wir, jedes Mal, wenn ich auf den Auslöser drückte, unsere Füßen auf einer Stelle halten. (Applaus) Ich habe so viele wunderbare Dinge durch diese Arbeit gelernt. Ich denke, die zwei wichtigsten sind: Geduld und Beobachtungsvermögen. Ich habe entdeckt, dass, wenn man eine Stadt wie New York von oben fotografiert, die Menschen in ihren Autos, mit denen ich sozusagen jeden Tag lebe, nicht mehr wie Menschen in einem Auto aussehen. Sie fühlen sich an wie ein riesiger Fischschwarm; wie eine Art Ermegenz. Ich denke, wenn Leute die Energie von New York beschreiben, dann erfasst dieses Bild sie ganz gut. Wenn Sie sich meine Arbeit näher anschauen, werden Sie darin Geschichten erkennen. Ihnen wird klar, dass der Times Square eine Schlucht ist, er besteht aus Schatten und Sonnenlicht. Ich beschloss, die Zeit in diesem Bild wie ein Schachbrett darzustellen. Da wo Schatten ist, ist Nacht und wo die Sonne scheint, ist Tag. Zeit ist diese außerordentliche Sache, die wir nie wirklich komplett begreifen können. Ich glaube jedoch, dass diese Bilder auf sehr einzigartige und besondere Art der Zeit ein Gesicht geben. Sie verkörpern eine neue metaphysische, visuelle Realität. Wenn man 15 Stunden lang denselben Ort beobachtet, sieht man die Dinge ein wenig anders, als wenn man mit der Kamera hochläuft, ein Bild aufnimmt und wieder geht. Das war ein perfektes Beispiel. Ich nenne es das "Sacré-Coeur-Selfie". Ich beobachtete 15 Stunden lang all diese Menschen, die nicht einmal auf Sacré-Coeur schauten. Sie waren eher daran interessiert, es als Kulisse zu benutzen. Sie liefen hoch, machten ein Bild und gingen wieder. Ich empfand das als außerordentliches Beispiel für eine starke Trennung zwischen dem, was wir als menschliche Erfahrung verstehen und dem, wohin sich die menschliche Erfahrung gerade entwickelt. Der Akt des Teilens ist plötzlich viel wichtiger geworden als die Erfahrung selbst. (Applaus) Schließlich mein neuestes Bild, das für mich eine besondere Bedeutung hat: Das ist der Serengeti-National-Park in Tansania. Es wurde mitten im Seronera-Gebiet aufgenommen, es ist kein Schutzgebiet. Ich war extra in der Spitzenzeit der Tierwanderung dort, um so viele unterschiedliche Tiere wie möglich aufnehmen zu können. Doch leider gab es, als wir ankamen, eine fünfwöchige Dürre Daher zogen alle Tiere zum Wasser. Ich fand dieses eine Wasserloch und hatte das Gefühl, wenn alles so bleibt, wie es ist, hatte ich die Gelegenheit, etwas Einzigartiges festzuhalten. Drei Tage beobachteten wir die Stelle, doch war ich nicht darauf vorbereitet, was ich bei unseren Aufnahmen erlebte. Ich habe 26 Stunden lang fotografiert. Ich befand mich in 6 Meter Höhe hinter einem abgeschlossenen Tarnschirm. Was ich erlebte, war unvorstellbar. Ehrlich, das was biblisch. 26 Stunden lang sahen wir zu, wie all diese miteinander konkurrierenden Tiere sich eine einzige Ressource namens Wasser teilten. Die gleiche Ressource, um die die Menschheit wohl in den nächsten 50 Jahren Kriege führen wird. Die Tiere haben sich nicht einmal angegrunzt. Sie schienen etwas zu begreifen, was wir Menschen nicht können: dass diese wertvolle Ressource namens Wasser etwas ist, das wir alle teilen müssen. Als ich dieses Bild machte, wurde mir klar, dass "Day to Night" eine wirklich neue Art des Sehens ist, die die Zeit komprimiert, und das Raum-Zeit-Kontinuum innerhalb eines Bildes erkundet. Wenn sich Technik und Fotografie zusammen weiterentwickeln, werden Bilder nicht nur einen tieferen Sinn von Zeit und Erinnerung vermitteln, sondern eine neue Erzählung aus unerzählten Geschichten bilden und ein zeitloses Fenster in unsere Welt erschaffen. Danke schön. (Applaus)