Herald: Also willkommen zum nächsten Tag
hier in Chaos West, es geht um Rosa
Listen. Ein drastisches Beispiel dafür,
dass Datenschutz die davon betroffenen
Menschen schützt und vortragen wird der
Österreicher Erwin Ernst. EEST9
Steinhammer haben beschäftigt sich seit
Jahren mit Datenschutz und
Digitalisierung und Gesellschaft und ist
ehrenamtlich bei Epicenter works (?)
tätig. Deine Bühne.
[Füller, in amara entfernen]
Ernst: Ja, ihr habt es schon gehört, ich
bin der (?) Steinhammer. Ich werde heute
über die Rosa Liste sprechen und die Rosa
Liste waren eben Listen in der Weimarer
Republik und auch in der Ersten Republik
Österreich, die über Homosexuelle bzw.
vermeintliche Homosexuelle angelegt
wurden. Und ich bin auch nicht irgendwer
der darüber spricht. Ich bin selbst
bisexuell und würde mich auch als
Antifaschist bezeichnen. Also von dem her
passt das ganz gut. Auf das Thema bin ich
gekommen, weil ich auf der Easterhack in
Wien eben über die Klarnamenspflicht
damals gesprochen habe. Und da habe ich
kurz als Analogie die Rosa Liste
hergenommen. Und da habe ich mich eben
gefragt Ja, wie war das mit der Rosa
Liste eigentlich genauer? Und mich etwas
in das Thema eingelesen. Ich sage auch
gleich mal dazu, dass es einige wordings
eben aus der NS-Zeit vorkommen werden.
Ich werde versuchen, sie hervorzuheben.
Falls mir da ein Fehler passiert, wäre es
gut, wenn ich zumindest danach darauf
hingewiesen werde, weil ich die nicht
einfach so dastehen lassen will. So. Die
Grundannahme ist: Eine Regierung hat die
Pflicht, uns auch vor zukünftigen Regimen
zu schützen. Niemand weiß, was ein
zukünftiges Regime macht. Und darum
wollen wir auch keine Daten über Leute im
Vorhinein sammeln, die später zu
Problemen für diese Menschen werden
können. Also auch wenn ich meine jetzigen
Regierung vertraue, will ich nicht, dass
eine zukünftige Regierung, sei sie jetzt
faschistisch, sei sie jetzt etwas
anderes, irgendwie, diese Daten, die
damals vielleicht für einen guten Zweck
gedacht waren oder auch nicht, in dem
Fall bei der Liste waren sie nicht für
einen guten Zweck gedacht. Es gibt aber
auch das Beispiel der Daten in den
Niederlanden. Die hatten für die
Verwaltungsdaten über all ihre
Bürgerinnen und Bürger. Und als die Nazis
diese Daten in die Hände bekommen haben,
haben sie sie natürlich genutzt, um
möglichst effizient Jüdinnen und Juden
ins KZ zu bringen. Und ähnlich ist es
dann bei der Rosa Liste, da waren die
Daten zwar von Anfang an problematisch,
die gesammelt wurden, aber die Situation
hat sich noch mal stark verschlimmert,
als dann der NS-Staat kam. Meine
Primärquellen für den Vortrag waren
Stümke, Hans-Georg und Finkler, Rudi von
1981 als ein relativ altes Buch, "Rosa
Winkel, Rosa Listen, Homosexuelle und
gesundes Volksempfinden" sehen wir schon
wieder beim NS Wording "von Auschwitz bis
heute". Und das zweite Buch, das waren
vor allem ist, weil meine Dokumente
Sammlung von Grau, Günter und Claudia
Schoppmann eben "Homosexualität in der
NS-Zeit, Dokumenten der Diskriminierung
und Verfolgung". Und das ist ein bisschen
neues, das andere Buch, aber auch schon
relativ alt im Vergleich. Ich will auch
kurz darüber reden, über welchen
Personenkreis wir hier überhaupt reden.
Klar waren in der NS-Zeit auch Frauen,
lesbische Frauen oder Transmänner
betroffen, aber die Rosa Listen und und
vor allem die Quellen, die ich hier
herangezogen habe, haben sich vor allem
mit Männern, die Sex mit Männern hatten,
beschäftigt. Und eben Transfrauen, das
war für den NS-Staat kein großer
Unterschied. Zur Vorgeschichte. In der
Weimarer Republik gab es schon den
Paragrafen 175 Deutsches Strafgesetzbuch,
vor 1929 hatte vor allem
Beischlafähnliche Verhältnisse
inkludiert. Das waren zum Beispiel
Analverkehr oder Scheckelverkehr(?), wie
man es nannte, und das war immer ein sehr
inniges Verhältnis, das da vorliegen
musste als Tatbestand. Und dann kam es zu
einer Reform. Die eher links stehenden
Parteien KPD, also die Kommunistische
Partei Deutschlands, die SPD, die
Sozialistische Partei und die
Sozialistische Partei Deutschlands und
die Demokratische Deutsch Demokratische
Partei wollten eine Abschaffung dieses
Paragrafen 175 erreichen und die
Mitte-Rechts-Regierung versuchte in
derselben Zeit eine Verschärfung dieses
Paragraphen. Am Ende setzten sich
tatsächlich beide Parteien in gewissen
Punkten durch, oder beide Gruppen im
Parlament in Weimar. Am Ende kam es aber
zu einer Verschlimmerung und die
Mitte-Rechts-Regierung hat sich mehr
durchgesetzt, weil der Antrag zur
Abschaffung ging zwar durch, aber
gleichzeitig ging danach der
verschlimmerte Antrag durch der dann auch
andere Formen sexueller Handlungen, die
aber noch immer physisch sein mussten,
durch eben dann ab 1927. Das
wissenschaftlich humanitäre Komitee
nannte das einen Schritt vorwärts und
zwei Schritte zurück. Das
wissenschaftlich humanitäre Komitee war
eine Institution in der Weimarer
Republik, die sich eben mit
Homosexualität und Transsexualität und
Transgender beschäftigte und die konnten
dann tatsächlich publizieren und agieren
in der Weimarer Republik. Sie waren noch
nicht verboten und noch nicht wirklich
von von der Staatsgewalt betroffen, zwar
durchaus unter widrigen Bedingungen, aber
sie konnten arbeiten. Und wie gesagt, die
haben diese Gesetzesänderung als einen
Schritt vorwärts und zwei Schritte zurück
bewertet. Und der NS-Staat hat auch
dieses wissenschaftlich humanitäre
Komitee später aufgelöst. Es gab
tatsächlich in einer Publikation vom
wissenschaftlich humanitären Komitee vor
der Machtergreifung der Nazis noch ein
Interview mit einem NSDAP-Mitglied, das
sich selbst als homosexuell bezeichnete.
Ganz spannend, da die Interpretationen,
die er über die NS-Ideologie und
Homosexualität vertrat. Der hat sich sehr
viel schöngeredet, was sich in der
Realität dann natürlich, als die Nazis
die Macht übernommen hatten, als sehr
schlecht erwiesen hat, also als falsch
erwiesen hat. Wie schon erwähnt wurde
komme ich aus Österreich, also habe ich
mir das auch kurz angesehen. Aber da ist
die Quellenlage noch viel dürftiger als
für Deutschland schon. Da gab es den
Paragraphen 129 Österreichisches
Strafgesetzbuch, eingeführt unter der
Monarchie und ging vor allem auf das
kirchliche Konstrukt von Sodomie zurück,
also Geschlechtsverkehr, der nicht der
Vermehrung diente. Wie wurde das Ganze
gehandhabt? In Berlin, hat man das Ganze
geduldet, aber nicht akzeptiert. Und das
führte dazu, dass in Berlin vor allem
ständige also immer wieder mal Razzien,
Stichproben, Kontrollen etc. durchgeführt
wurden und eben schon die ersten Listen
angelegt wurden, und zwar schon in der
Weimarer Republik. Wir sind noch nicht im
NS-Staat. In München, also man sieht
jetzt gleich, das haben die einzelnen
Städte in Deutschland sehr
unterschiedlich gehandhabt, in München
gab es ständige Kontrollen. Also nicht
nur mal stichprobenweise, da wurden die
entsprechenden Lokale ständig durchsucht,
die Leute dann an die Wand gestellt,
damit man ihre Daten aufnehmen kann, in
Listen bringen kann. Und das führte
zusätzlich dazu, dass auch die
Betroffenen kaum eine Möglichkeit hatten,
dem zu entgehen und auch sehr von
Erpressungen etc. betroffen waren. Weil
wenn jemand das Gerücht in die Welt
streut, ist man dann schon relativ leicht
auf eine Liste gekommen oder hat eine
Razzia bei sich zu Hause gehabt. In
anderen Zentren des subkulturellen
Lebens, also das sind vor allem die
Großstädte in Hamburg, Dresden, Leipzig,
Breslau, Köln und Wien. Die meisten
Städte sind eher dem Berliner Vorbild
gefolgt und die wenigsten dem von
München. Dennoch bewertet man heute die
Weimarer Republik für die damaligen
Verhältnisse als einer der freisten
Staaten, trotz des Paragrafen 175 für
Homosexuelle, der auf deutschem Boden
jemals existiert hat. Es hat den
einfachen Grund, weil Publikationen, wie
wir schon beim wissenschaftlichen
humanitären Komitee gesehen haben,
durchaus möglich waren. Sie konnten dort
arbeiten, sie konnten dort sich mit ihrer
eigenen Identität noch beschäftigen. Das
war tatsächlich in der BRD später nicht
mehr so möglich und eben auch im
NS-Staat. Wir können uns auch kurz die
Verurteilungsstatistik ein bissl dazu
ansehen, wir sehen, es bleibt großteils
gleich. Es gibt dann während des ersten
Weltkriegs einen Einbruch der
Verurteilungen, geht danach in der
Weimarer Republik, also nach der
Monarchie, wieder hoch, auf eine Spitze,
und pendelt sich wieder auf einem
ähnlichen Niveau ein wie zuvor. Man muss
auch bedenken, dass es auch ein
Bevölkerungswachstum gab, also
grundsätzlich relativ gleichbleibend,
auch trotz der kleineren, unter
Anführungszeichen kleineren juristischen
Änderungen, die man vielleicht trotzdem
sieht in den Daten hier. Jetzt kommen wir
dann zum Kern des Ganzen, nämlich zum
NS-Regime. Wir hatten jetzt vorher schon
Listen, die angelegt wurden, vor allem
durch die Kriminalpolizei Behörden und
1933, also am 27. Februar 1933, wurden
drei Erlasse, also drei Verordnungen
erlassen zur Bekämpfung der öffentlichen
Unsittlichkeit. Der erste war eine
Einschränkung der Prostitution. Auch das
betraf Homosexuelle, oder ja, das betraf
auch Homosexuelle, weil es eine lebhafte
Strichekultur davor in der Weimarer
Republik gab. Dann kam eine Verordnung
zur Schließung von Gaststätten, die zur
Förderung der öffentlichen Unsittlichkeit
missbraucht wurden, insbesondere
Schand-Wirtschaftsbetriebe, in denen
ausschließlich oder überwiegend Personen
verkehrten, die widernatürlicher Unzucht
folgten. Das heißt, Lokale, die davor in
Berlin zwar sporadischen Razzien
ausgesetzt waren, waren damit ganz
verboten. Tatsächlich kam es aber nicht
dazu, dass wirklich alle aufgelöst
wurden. Der NS-Staat hat weiterhin
einzelne, aber nur sehr sporadisch
einzelne Lokale geduldet, um eben die
Szene besser überwachen zu können. Die
dritte Verordnung war ein Verbot von
Betrieb und Produktion von Druckwerken,
zum Beispiel Druckwerken, die dem
Beschauer erotische Wirkung erzeugen. Zum
Beispiel Nacktbilder, aber es betraf
nicht nur Nacktbilder, sondern es ist bei
im Beschau erotische Wirkung erzeugten
hat man durchaus auch einen für die
NS-Herrschaft unanständigen Titel
mitgemeint. Wenn irgendetwas in Richtung
Homosexualität stand, wurde das schon als
es könnte eine erotische Wirkung im
Beschauer erzeugen und damit verboten.
Angedroht war die Aufhebung der
Mietverträge und der Entzug der
Gewerbeberechtigung. In Folge dessen
wurde das wissenschaftliche humanitäre
Komitee aufgelöst. Es kam zur Auflösung
vieler weiterer Zeitschriften, also das
wissenschaftliche humanitäre Komitee war
nicht die einzige solche Zeitschrift. Die
hatten auch alle bisschen
unterschiedliche Philosophien. Und ja, in
der zweiten Hälfte 1934, also zwei Jahre
später, kam dann die Gründung des
Sonderdezernats zur Bearbeitung
homosexueller Fälle in der Gestapo. Und
dieses Sonderdezernat hat dann relativ
bald von den Landeskriminabehörden
verlangt, dass Listen über Homosexuelle
angefertigt und ihnen ausgehändigt werden
sollen, also eben die bereits
existierenden Rosa Listen aus den
Stichproben, Kontrollen und Razzien
davor. Und das betraf dann nicht nur
Leute, die wirklich homosexuell oder
bisexuell waren oder trans waren. Es
betraf auch Leute, die nur dessen
verdächtigt waren oder sind, einen
anderen Grund auf die Liste gekommen
sind, sich mal im falschen Lokal
aufgehalten haben. Die Lokale in der
Weimarer Republik waren durchaus nicht,
so dass sie alle gleich als Homosexuelle
einschlägige Lokale offensichtlich waren
für das Publikum. Manche waren das sehr
dezent und man konnte trotzdem dadurch
auf seine Liste geraten. Es gibt hier ein
Beispiel für so eine Liste, wie die
ausschaut, gibt es eine Laufnummer, Vor-
und Zuname, das Geburtsdatum und
Geburtsort, der Beruf, der ausgeübt
wurde, die Wohnung und hinten noch
Bemerkungen. Ich weiß jetzt nicht genau
für was das H und das Plus stehen, ich
habe bissl nachgeforscht, ich habe es
nicht gefunden. Falls es jemand weiss,
bitte mir im Nachhinein sagen, würde mich
durchaus interessieren, für was diese
Bemerkungen standen. Für HIV kann es
nicht gestanden sein, weil davon hatte
man schlicht noch keine Kenntnis zu
dieser Zeit. 1935 waren dann schon 413
von 1770 KZ-Häftlingen mit dem Rosa
Winkel. Es ist also ein ca. ein Viertel,
ein Drittel bis ein Viertel. Der Rosa
Winkel war eine besondere Kennzeichnung
in den KZs, eben für Menschen, die
aufgrund von Verdacht von Homosexualität
in die KZs gekommen sind. Dabei gab es
unterschiedliche Markierungen zum Teil.
Es war nicht überall so, dass es nur
diese Rosa Winkel war. In manchen KZs gab
es zusätzlich einen kleinen Aufnäher,
darunter noch mit 175. In manchen KZs,
ich glaube, das war Sachsenhausen, war
der Rosa Winkel doppelt so groß, damit
man einfach den anderen Häftlingen das
auch schon, oder den anderen Insassen,
ist der korrektere Begriff, auch schon
deutlich macht, dass die dort wegen des
Paragraf 175 einsitzen. Die waren nämlich
dann in den KZs auch noch besonders
bedroht, da die Mithäftlinge großteils
auch homophob waren. Und skeptisch
gegenüber Rosa Winkel Häftlingen. Auf den
Rosa Winkel geht übrigens dann auch der
Begriff der Rosa Liste zurück. In den KZs
gab es dann übrigens auch
Technologieeinsatz, da waren die Listen
nicht mehr nur analog geführt, die wurden
zum Teil über in (?) gespeichert und in
Lochkarten gespeichert. Also hier spielt
auch die Technologie eine Rolle. Dann kam
es im NS-Staat zu einer Neufassung des
Paragrafen 175 Deutsches Strafgesetzbuch
und der ist nicht ohne. Dort wurde die
'widernatürliche Unzucht', wie sie davor
im Strafgesetzbuch hieß, durch Unzucht
ergänzt, also 'widernatürliche'
rausgelöscht. Das hatte, obwohl es nur
semantisch wirkt, weitreichende Folgen,
weil man damit dann weniger Beweise
vorbringen musste, weil alles was dann...
Weil dann eben nicht mehr nur auf dem
Schenkelverkehr oder oder gemeinsame
Masturbation davon erfasst war, sondern
auch ein Küssen, ein Händchenhalten, ein
sich zu nahe kommen, ein sexuellen Blick
konnte darunter schon fallen und man hat
es definiert in den Erläuterungen damals
als alles, was eine wolllüstige Absicht
in sich hatte. Zusätzlich wurde auch eine
sogenannte Analogie-Paragraph geschaffen.
Das heißt, nicht nur das, was nach dem
Wortlaut des 175 strafbar war, war dann
strafbar, sondern ist alles, was man im
Sinne des Gesetzes sehen hätte können,
also alles, von dem man meinte, dass es
eigentlich das Gesetz auch gemeint hat.
Das ermöglichte den Behörden des
NS-Staats wirklich auch sehr viele Leute
mit wenigen Beweisen oder Indizien oder
zum Teil auch nur Vorwürfen eben
einzusperren und erleichterte den
Strafverfolgungsbehörden eben diesen
175er zu exekutieren. Das hatte auch
Folgen in der Statistik. Davor waren wir
hier in dem Bereich. Dann sehen wir einen
schönen Ausreißer nach oben im NS-Staat.
Auf die 9000 pro Jahr, die verurteilt
wurden. Man darf sich nicht täuschen
lassen, dass dann in den 1940ern die
Daten runtergehen. Das hat den simplen
Grund, dass sie danach nicht mehr unter
die Verurteilung Statistik der Justiz
fielen, sondern es eben auch viele junge
Männer betraf, die unter die
Wehrmachtsjustiz fielen, nachdem der
Krieg schon ausgebrochen war und nicht
mehr in diese Statistik. Über das Jahr
1943 sind die Daten übrigens nur
aufgerechnet, da hat man nur vom ersten
halben Jahr die Daten. Danach wurde er
schlicht nicht mehr erfasst. 1936 kannst
du zu einer Neustrukturierung der
Kriminalpolizei Himmler gab ein
Geheimbefehl zur Bekämpfung der
Homosexualität und der Abtreibung raus
und damit haben wir dann dieses System
hier. Es gab einen Anfangsverdacht, der
oft auf die Rosa Liste zurückging. Wir
haben leider keine Zahlen, wie oft der
Anfangsverdacht auf die Rosa Liste
zurückging. Dieser Anfangsverdacht
bestand dann entweder bei der Gestapo
oder bei der Reichskriminalpolizei. Die
Gestapo hat sie dann entweder schon
direkt in die Konzentrations- und
Moor-Lager, zu denen werde ich später
noch kommen, verschleppt oder der
Reichskriminalpolizei weitergeleitet, die
hat keine direkten Verschleppungen ins
Konzentrationslager nach meinem Wissen
vorgenommen. Sonst Verurteilungen und
Inhaftierungen, auch damals gab es noch
normale, also in Anführungszeichen
normale Gefängnisse. Es gab damals auch
Gefängnisse, von denen wurden wiederum
ein Großteil ebenfalls in
Konzentrationslager verschleppt und im
Moor- Lager. Das bedeutet, diese
Inhaftierungen waren großteils nur
temporärer Natur. Und man hatte kaum eine
Möglichkeit, sich diesem System zu
wehren. Die Schaujustiz ist hoffentlich
ein bekannter Begriff des NS-Staats. Wir
wissen nicht genau, wie groß die
Größenordnung der Verurteilungen und wie
viele ins KZ kamen. Also die
Größenordnung der Verurteilungen schon,
aber wie viele davon ins KZ kamen, wissen
wir eben nicht. Die Schätzungen sind bei
10000, 15000 niedrigere Schätzungen gehen
von die 5000 aus. Es ist schwer
nachzuvollziehen, dass das NS-Regime
natürlich als dann die Alliierten
einmarschiert sind, möglichst viele Daten
davon gelöscht haben. Über die Todesfälle
ist noch weniger bekannt. Die
Haftbedingungen in den Moor- und
Torflagern die ich vorher schon
angesprochen ab, dass waren Lagern, in
denen fast ausschließlich Menschen
eingesperrt wurden aufgrund des 175er.
Das waren sehr schwere, sehr schwere
Lager. Es war eine harte Arbeit, da ging
es ums Torf stechen in den Moor-Lagern
und da sind viele rein an der Arbeit
zugrunde gegangen, zusätzlich natürlich
auch die chronische Unterernährung. Es
gibt auch kaum Überlebende von dort.
Einzelne hat man da noch gehabt, die dann
einen Erinnerungsbericht abgeben konnten.
Die Nachwirkungen. Es ist nicht vorbei
mit dem NS-Staat. Der 175er in
Deutschland blieb ein geänderter Form
auch noch in der BRD bestehen. Er wurde
also 1957 entschied das
Bundesverfassungsgericht
gleichgeschlechtliche Betätigung verstöße
eindeutig gegen das Sittengesetz und
deshalb können Homosexuelle nicht durch
das Grundgesetz garantiert Recht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit
berufen. Und erst 1973 kam es zur
vollständigen Entkriminalisierung, weil
1969 wurde unter Erwachsenen
entkriminalisiert bzw. über 21 Jahren.
Und dann wurde das Schutzalter auf 18
reduziert und man weiß aber, dass auch in
der BRD weiterhin Listen angelegt wurden.
Noch 1978, also nach der
Entkriminalisierung wohlgemerkt, gab es
einen Erlass in den
Strafverfolgungsbehörden, als man so
genannte Homosexuelle als
Homosexuellenkarteien anlegen sollen,
also wiederum Rosa Listen, wie wir sie
hier nennen. Schon 1957, also wesentlich
früher als in der BRD, weil die
Strafverfolgung in der DDR eingestellt.
Damals wurde zwar der Paragraph noch
nicht geändert, aber es gab ein
Gerichtsurteil, das besagte, dass
Homosexualität nicht die sozialistische
Gesellschaft gefährde und daher keine
Strafverfolgung notwendig wäre. Wie
gesagt, ein Gerichtsurteil. Die
DDR-Regierung hatte eine andere
Einstellung zu queeren Menschen und hat
die weiterhin bedroht oder erpresst, es
gab auch noch immer ein
gesellschaftliches Stigma, sodass es erst
1987 zur Aufhebung des
Nachfolgeparagraphs in der DDR kam.
Ebenfalls wieder durch ein Gericht und
nicht durch die Regierung selbst. Er
wurde nicht direkt aufgehoben, er stand
noch im Gesetz, war aber dann völlig
unwirksam und erst 1988, also ein Jahr
später, folgte die Regierung diesem
Urteil und hat den Paragraphen gelöscht.
In Gesamtdeutschland kam es dann im Zuge
der Wiedervereinigung zur endgültigen,
nicht nur zu entgültigen
Entkriminalisierung heißt auch zur
endgültigen Rechtsgleichstellung im Sinne
des Strafgesetzbuches. Wie wir wissen,
sind andere Dinge wie die Ehe noch längst
nicht gleichgestellt gewesen zu diesem
Zeitpunkt. Auch in Österreich kam es zu
einer schrittweisen Legalisierung erst
relativ spät, also in den 70ern und 2002,
wurde hier ebenfalls wie in der DDR von
einem Höchstgericht der Paragraf
aufgehoben und das Schutzalter
angeglichen. Also 1971 war die
Entkriminalisierung unter Erwachsenen.
2002, Ja. Habe ich gerade erwähnt. Die
Conclusio daraus ist, dass die Rosa
Listen eine Vorratsdatenspeicherung
darstellen. Wie schon eingangs erwähnt
haben und auch eine Regierung die Pflicht
hat, uns vor zukünftigen Regimen zu
schützen. Wir leben heute zwar in einer
Demokratie, aber wir wissen nicht, was
der zukünftige Staat vorhat. Wir sehen
jetzt auch in unserem westlichen Europa,
in Polen, dass gerade homosexuelle-freie
Zonen ausgerufen werden und eigentlich
ist das ein Unzustand. Wir können aber
aufstehen. Denn wir leben in einer
Demokratie. Wir haben auch Mittel gegen
solche Listen, die sich zum Beispiel in
der DSGVO erstrecken oder in unseren
Grundrechten, die nach dem NS-Staat
eingeführt wurden. Danke.
Applaus
[Füller, in amara entfernen]
Herald: Entschuldigung, es gibt jetzt die
Möglichkeit, Fragen zu stellen, nachdem
ich mein Mikrofon irgendwie unter
Kontrolle gebracht habe, stehen hier zwei
Mikrofone, die beleuchtet sind.
Ansonsten, falls dort niemand hingeht,
frage ich meinen Signal-Angel, ob das
Internet schon Fragen hat. Okay, das
Internet hat keine Frage, dann bitte erst
mal dieses Mikrofon.
Frage: Hallo, meine Frage ist, du hast
jetzt in deinem Beitrag überwiegend die
männliche Sexualität beleuchtet? Hast du
während deiner Recherchearbeiten auch
Informationen über den Umgang mit der
weiblichen Homosexualität erfahren? Und
wie das?
Ernst: Geringfügig. Ja, aber kein
tiefergehendes Wissen darüber erworben.
Leider.
F: Woran könnte das liegen?
Ernst:Das ist eine gute Frage, das kann
einerseits daran liegen, dass auch in der
jetzigen Gesellschaft immer noch die
männliche Seite mehr beleuchtet wird,
dass auch ich hier als Mann stehe und
nicht eine Frau diesen Talk gerade hält.
Auch bis heute gibt es für Männer dazu
ein größeres Stigma, es war oft ein
größerer Kampf dafür und auch der
NS-Staat hat sich weniger damit
beschäftigt. Durchaus auch damit. Aber er
hat die männliche Homosexualität als
größere Bedrohung gesehen.
Herald: Das andere Mikro bitte.
F: Also es gab ja in Deutschland zur
Weimarer Republik und ich glaube noch zu
Teilen der NS-Zeit auch einen sogenannten
Transvestitenschein. Ich wollte fragen,
wie weit der und wie lange der eine Form
von Schutz geboten hat, falls du dich
damit auch auseinandergesetzt hast.
Ernst: Nein, damit habe ich mich leider
nicht auseinandergesetzt. Ist aber eine
sehr gute Frage.
Herald: Keine weiteren Fragen mehr? Dort,
bitteschön.
F: Du hast ja in der Präsentation
angesprochen, dass noch bis spät in die
70er Jahre es auch diese rosa Listen noch
gab. Was davon ist denn heute noch übrig?
Wie ist die Situation heute?
Ernst: Mir wäre nicht bekannt, dass es
sie heute in Deutschland noch gibt. In
anderen Staaten der EU weiß ich es nicht.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass in
Polen so etwas geheim noch durchgeführt
wird. Auch im Zuge dessen, dass dort eben
diese homosexuellen-freien Zonen
eingerichtet werden. Es ist auch das
Problem immer des Zugangs. Da kann ich
auch das Mittel der Datenauskunft aus der
DSGVO empfehlen. Das hat aber natürlich
Einschränkungen, weil die Polizeibehörden
sich dann oft leicht auf
Sicherheitspunkte rausreden können und
darum auf Geheimhaltung beharren.
Probieren sollten wir es trotzdem.
Herald: Und noch mal bitte
F: Einen Kommentar dazu, was eben gefragt
wurde, wie der heutige Zustand ist. Es
ist erst vor kurzem durch ein
Gerichtsurteil verboten worden,
Homosexualität in polizeilichen
Dokumenten als besonderes Merkmal zu
vermerken. Und das war tatsächlich bis
vor relativ kurzem, bevor die Diskussion
um Ehe für alle und so in Gang kam,
eigentlich gang und gäbe gewesen, dass
man bei sehr vielen Polizeien eigentlich
überhaupt keine Frage, dass das besonders
genug ist als Merkmal, um es einfach mal
dazu zu schreiben.
Herald: Da noch eine Frage.
Ernst: Ja, tatsächlich haben wir auch in
der DSGVO gewisse Schutz, also gewisse
Daten, die einen besonderen Schutz haben,
wie die Sexualität generell. Aber die
DSGVO hat halt kaum eine Anwendung im
Polizeibereich und es ist sehr schön zu
hören, dass es da auch ein Urteil dazu
gab, dass es auch dort so in Deutschland
sein soll.
Herald: Ich sehe jetzt keine weiteren
Fragen. Doch dort bewegt sich jemand zum
Mikro. Bitte! F: Vielen Dank für den
Talk, ich hätte noch eine Frage. Du bist
ja auf die Anzahl der Fälle während der
NS-Zeit eingegangen. Weißt du, wie sich
die Fallstatistiken in der Bundesrepublik
weiter entwickelt hatten?
Ernst: Sie ist wieder zurückgegangen. Ich
weiß jetzt nicht auswendig auf welches
Niveau, aber man sieht, man hat eine
Kurve nach dem Zweiten Weltkrieg gesehen,
die stark abgenommen hat, dann gab hat
fast ausgesehen wie eine Gaußsche
Glockenkurve, aber ohne die DDR Fälle. Da
haben wir nur die deutschen Fälle, aber
längst nicht auf so ein hohes Niveau wie
es im NS-Staat war.
Herald: So. Weitere Fragen.
Signal-Angel. Auch nicht. Dann, vielen
Dank für deinen Vortrag und bitte einen
warmen Applaus.
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