WEBVTT 00:00:07.114 --> 00:00:09.163 Von Nicolaus Steno erfahren wir selten 00:00:09.163 --> 00:00:11.436 außerhalb des Gebiets der Geologie, 00:00:11.436 --> 00:00:14.245 aber jeder, der das Leben auf der Erde verstehen will, 00:00:14.245 --> 00:00:17.174 sollte nachvollziehen können, wie Steno die Begriffe von 00:00:17.174 --> 00:00:18.675 der Erde, dem Leben und dem Verstehen 00:00:18.675 --> 00:00:21.758 erweitert und in Verbindung gebracht hat. 00:00:21.758 --> 00:00:25.226 Er ist 1638 in Dänemark als Niels Stensen, 00:00:25.226 --> 00:00:26.813 als Sohn eines Goldschmieds, geboren. 00:00:26.813 --> 00:00:28.139 Er war ein kränkliches Kind, 00:00:28.139 --> 00:00:30.642 dessen Schulkameraden an der Pest gestorben sind. 00:00:30.642 --> 00:00:32.559 Er hat überlebt und als Anatom Leichen aufgeschnitten, 00:00:32.559 --> 00:00:33.726 um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen: Er hat sich 00:00:33.726 --> 00:00:36.357 mit ähnlichen Organen in verschiedenen Spezies befasst. 00:00:36.357 --> 00:00:38.249 Er hat eine Röhre in Tierschädeln gefunden, 00:00:38.249 --> 00:00:40.227 die Speichel in das Maul weiterleitet. 00:00:40.227 --> 00:00:41.728 Damit hat er Descartes’ These widerlegt, 00:00:41.728 --> 00:00:43.862 dass nur Menschen eine Zirbeldrüse haben, 00:00:43.862 --> 00:00:46.113 und hat damit nachgewissen, dass diese nicht die Seelenstätte war. 00:00:46.113 --> 00:00:48.942 Dies kann als Beginn der Neurowissenschaften angesehen werden. 00:00:48.942 --> 00:00:51.949 Seine Vorgehensweise war zu jener Zeit höchst außergewöhnlich. 00:00:51.949 --> 00:00:54.200 Steno hat weder alte Texte, 00:00:54.200 --> 00:00:55.708 noch aristotelische Metaphysik, 00:00:55.708 --> 00:00:57.503 noch kartesianische Schlussfolgerungen 00:00:57.503 --> 00:01:01.173 auf empirische, experimentale Beweise kommen lassen. 00:01:01.173 --> 00:01:05.131 Seine von Vermutung und Rationalisierung 00:01:05.131 --> 00:01:06.060 nicht überladene Vision war tief. 00:01:06.060 --> 00:01:07.673 Steno hatte gesehen, wie in feuchten Organen 00:01:07.673 --> 00:01:10.426 Gallensteine Gestalt annehmen. 00:01:10.426 --> 00:01:11.768 Diese befolgten erstaunlicherweise Formungsprinzipien, 00:01:11.768 --> 00:01:13.556 die er vom Goldschmiedehandwerk kannte. 00:01:13.556 --> 00:01:15.155 Prinzipien, die nützlich waren, 00:01:15.155 --> 00:01:16.739 um durch ihre Strukturbeziehungen 00:01:16.739 --> 00:01:18.771 Festkörper zu begreifen. 00:01:18.771 --> 00:01:20.310 Später hat ihn der Großherzog der Toskana 00:01:20.310 --> 00:01:21.977 einen Hai sezieren lassen. 00:01:21.977 --> 00:01:23.890 Die Zähne des Hais ähnelten Zungensteinen, 00:01:23.890 --> 00:01:26.393 die in seltsamen Steinen in Malta 00:01:26.393 --> 00:01:28.979 und in den Bergen in der Nähe von Florenz zu sehen waren. 00:01:28.979 --> 00:01:31.203 Plinius der Ältere, ein römischer Naturforscher, 00:01:31.203 --> 00:01:33.530 hat gesagt, diese seien vom Himmel gefallen. 00:01:33.530 --> 00:01:34.703 Im Mittelalter 00:01:34.703 --> 00:01:36.493 sagten die Leute, dies seien Schlangenzungen, 00:01:36.493 --> 00:01:38.254 die vom Heiligen Paulus versteinert worden waren. 00:01:38.254 --> 00:01:41.058 Steno hat aber gesehen, dass Zungensteine Haifischzähne waren 00:01:41.058 --> 00:01:42.393 und umgekehrt, denn sie haben beide 00:01:42.393 --> 00:01:45.003 ähnliche Zeichen des strukturellen Wachstums aufgewiesen. 00:01:45.003 --> 00:01:47.757 Er hat geglaubt, ähnlich Dinge sind ähnlich aufgebaut; 00:01:47.757 --> 00:01:49.396 er behauptete also, dass die alten Zähne 00:01:49.396 --> 00:01:50.877 alten Haien gehört haben, die in Gewässern 00:01:50.877 --> 00:01:53.679 geschwommen sind, die Steine um die Zähne herum 00:01:53.679 --> 00:01:55.420 geformt haben und zu Bergen geworden sind. 00:01:55.420 --> 00:01:58.637 Steinschichten waren einmal wässrige Sedimentschichten, 00:01:58.637 --> 00:02:00.280 die sich horizontal, 00:02:00.280 --> 00:02:01.390 aufeinanderschichtend gelegt haben: 00:02:01.390 --> 00:02:03.197 von der ältesten bis zur jüngsten. 00:02:03.197 --> 00:02:04.679 Wenn Schichten deformiert, schräg, 00:02:04.679 --> 00:02:05.199 von einer Verwerfung oder Felsschlucht 00:02:05.199 --> 00:02:07.164 geschnitten waren, hat die Veränderung stattgefunden, 00:02:07.164 --> 00:02:09.487 nachdem die Schicht Gestalt angenommen hat. 00:02:09.487 --> 00:02:10.779 Heute klingt das sehr einfach, 00:02:10.779 --> 00:02:12.998 doch damals war es revolutionär. 00:02:12.998 --> 00:02:14.660 Steno hatte Formationskunde erfunden 00:02:14.660 --> 00:02:17.113 und so Vorarbeit für die Geologie geleistet. 00:02:17.744 --> 00:02:21.734 Weil er einen Ursprung für Haifischzähne aus zwei Erdsteinaltern gefunden 00:02:21.734 --> 00:02:24.631 und dargelegt hat, dass Naturgesetze sowohl die Gegenwart 00:02:24.631 --> 00:02:26.628 als auch die Vergangenheit beherrscht haben, 00:02:26.628 --> 00:02:30.134 hat Steno für den Aktualismus die Weichen gestellt, 00:02:30.134 --> 00:02:33.091 mit dem Gedanken, dass die Vergangenheit 00:02:33.091 --> 00:02:34.798 von heute erkennbaren Prozessen gestaltet geworden ist. 00:02:34.798 --> 00:02:36.754 Im 18. und 19. Jahrhundert 00:02:36.754 --> 00:02:39.255 haben englische Geologen und Vertreter des Aktualismus, 00:02:39.255 --> 00:02:41.468 James Hutton und Charles Lyell, 00:02:41.468 --> 00:02:43.972 gegenwärtige, äußerst langsame Geschwindigkeiten 00:02:43.972 --> 00:02:46.014 von Erosion und Schichtenbildung erforscht, 00:02:46.014 --> 00:02:48.190 und es ist ihnen bewusst geworden, dass die Erde viel älter 00:02:48.190 --> 00:02:51.308 als 6000 Jahre sein musste, was die grobe Bibelschätzung war. 00:02:51.308 --> 00:02:53.316 Ihre Arbeit hat zu dem Kreislauf der Gesteine geführt, 00:02:53.316 --> 00:02:55.056 der mit der in der Mitte des 20. Jahrhunderts 00:02:55.056 --> 00:02:56.436 kombinierten Plattentektonik 00:02:56.436 --> 00:02:58.907 die große Erdtheorie ergab. 00:02:58.907 --> 00:03:01.483 Wir wissen nun, dass die Erde 4,5 Milliarden Jahre alt ist. 00:03:01.483 --> 00:03:05.556 Und alle Entdeckungen haben mit einem Gallenstein begonnen. 00:03:05.556 --> 00:03:06.907 Jetzt denken wir einmal fächerübergreifend 00:03:06.907 --> 00:03:08.022 und wenden die Prinzipien auf Biologie an. 00:03:08.022 --> 00:03:10.160 Sagen wir mal, du entdeckst Haifischzähne in einer Schicht 00:03:10.160 --> 00:03:11.539 und dahinter ein Fossil von einem Organismus, 00:03:11.539 --> 00:03:13.188 den du niemals gesehen hast. 00:03:13.188 --> 00:03:15.447 Das tiefer gelegene Fossil ist älter, nicht wahr? 00:03:15.447 --> 00:03:16.502 Jetzt hast du den Beweis 00:03:16.502 --> 00:03:19.707 vom Ursprung und Aussterben von Spezies im Laufe der Zeit. 00:03:19.707 --> 00:03:21.171 Du solltest Aktualist werden. 00:03:21.171 --> 00:03:23.350 Ein immer noch aktiver Prozess hat vielleicht 00:03:23.350 --> 00:03:26.844 nicht nur Steine, sondern auch das Leben auf der Erde verändert. 00:03:26.844 --> 00:03:28.982 Aktualismus könnte auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede 00:03:28.982 --> 00:03:30.421 zwischen Spezies aufklären, 00:03:30.421 --> 00:03:32.621 die Anatome wie Steno gefunden haben. 00:03:32.621 --> 00:03:33.729 Es ist schwer, darüber nachzudenken, 00:03:33.729 --> 00:03:36.269 doch Charles Darwin hatte viel Zeit dafür. 00:03:36.269 --> 00:03:37.902 Auf einer langen Reise zu den Galapagosinseln 00:03:37.902 --> 00:03:40.467 hat er ein Exemplar von „Prinzipien der Geologie“ 00:03:40.467 --> 00:03:42.323 von seinem Freund Charles Lyell gelesen, 00:03:42.323 --> 00:03:44.496 die Steno mehr oder weniger entdeckt hat. 00:03:44.496 --> 00:03:46.530 Manchmal stehen Riesen auf den Schultern 00:03:46.530 --> 00:03:48.529 kleiner neugieriger Menschen. 00:03:48.529 --> 00:03:50.882 Nicolaus Steno hat dabei geholfen, die Evolutionstheorie zu entwickeln, 00:03:50.882 --> 00:03:52.431 den Grundstein für die Geologie gelegt 00:03:52.431 --> 00:03:55.041 und nachgewiesen, dass unvoreingenommene empirische Beobachtungen 00:03:55.041 --> 00:03:56.890 uns über die intellektuellen Grenzen hinweg verbinden, 00:03:56.890 --> 00:03:58.936 um unser Wissen zu vertiefen. 00:03:58.936 --> 00:04:00.752 Seine größte Errungenschaft könnte allerdings 00:04:00.752 --> 00:04:01.882 seine Maxime sein: 00:04:01.882 --> 00:04:03.189 Wir müssen die Suche nach der Wahrheit 00:04:03.189 --> 00:04:05.719 jenseits unserer Sinne und unserem gegenwärtigen Verständnis 00:04:05.719 --> 00:04:07.284 als das Streben nach der Schönheit 00:04:07.284 --> 00:04:09.476 vom bisher Unbekannten betrachten. 00:04:09.476 --> 00:04:11.443 Was wir sehen, ist schön. 00:04:11.443 --> 00:04:13.694 Was wir wissen, ist schöner. 00:04:13.694 --> 00:04:17.274 Was wir nicht wissen, ist das weitaus Schönste.