Bei der Vorbereitung auf diesen Vortrag
habe ich nach ein paar Zitaten gesucht,
die ich mit Ihnen teilen könnte.
Ein Glück: Ich habe drei gefunden,
die mir besonders gefallen haben.
Das erste stammt von Samuel Johnson:
"Wenn du im Leben Entscheidungen triffst,
vergiss dabei nicht zu leben."
Das zweite stammt von Aischylos,
er erinnerte uns:
"Glück ist eine Entscheidung,
die eine Anstrengung erfordert."
Das dritte stammt von Groucho Marx:
"Ich würde mich nie
für einen Club entscheiden,
der mich als Mitglied haben möchte."
Das Pech war, dass ich nicht wusste,
welches dieser Zitate ich auswählen
und Ihnen vorstellen sollte.
Die süße Qual der Wahl.
In unserer heutigen Zeit des
postindustriellen Kapitalismus
sind die Themen "Entscheidung",
"individuelle Freiheit"
und das Konzept
der "Selbsterschaffung"
zu einem Ideal erhoben worden.
Außerdem glauben wir
an ewigen Fortschritt.
Die Kehrseite dieser Ideologie ist
eine Zunahme von Angst,
Schuldgefühlen,
dem Gefühl unzureichend zu sein
und dem Gefühl
Fehlentscheidungen zu treffen.
Traurigerweise hat uns
die Ideologie der freien Wahl
davon abgehalten, über soziale
Veränderungen nachzudenken.
Es scheint, als hätte uns diese Ideologie
tatsächlich auf sehr effiziente Weise
als politische und soziale
Denker ruhiggestellt.
Anstatt soziale Kritik zu üben,
üben wir uns immer mehr in Selbstkritik,
manchmal bis hin zur Selbstzerstörung.
Wie kommt es, dass
diese Ideologie der freien Wahl
immer noch so mächtig ist?
Selbst bei Menschen,
die kaum Optionen haben?
Warum halten sogar arme Leute
immer noch so sehr an der
Vorstellung einer freien Wahl fest,
am rationalen Konzept einer freien Wahl,
das wir bereitwillig annehmen?
Die Ideologie der freien Wahl
ist sehr erfolgreich darin,
uns einen Raum zu eröffnen,
in dem wir über eine
imaginäre Zukunft nachdenken.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen:
Meine Freundin Manya
arbeitete neben ihrem Studium
an der Universität in Kalifornien
bei einem Autohändler
um Geld zu verdienen.
Mit einem typischen Kunden
besprach Manya
seinen Lebensstil,
seine Preisvorstellung,
die Anzahl seiner Kinder
und welchen Zweck
das Auto erfüllen sollte.
Normalerweise verständigten
sie sich bald
über das perfekte Auto.
Aber bevor Manyas Kunde nach Hause ging,
um in Ruhe darüber nachzudenken,
sagte sie ihm immer:
"Der Kauf dieses Autos ist
zum jetzigen Zeitpunkt perfekt.
Aber in ein paar Jahren,
wenn die Kinder aus dem Haus sind
und Sie mehr Geld haben,
ist das andere Auto ideal.
Aber was Sie jetzt kaufen, ist großartig."
Der Großteil von Manyas Kunden,
die am nächsten Tag zurückkamen,
kauften das andere Auto,
das Auto, das sie nicht brauchten.
Das Auto, das viel zu viel Geld kostete.
Manya verkaufte Autos so erfolgreich,
dass sie bald darauf dazu überging
Flugzeuge zu verkaufen.
(Gelächter)
So viel über die menschliche
Psyche gelernt zu haben,
ist jetzt für sie ein Vorteil.
Sie ist nämlich Psychoanalytikerin.
Warum verhielten sich
Manyas Kunden so irrational?
Manyas Erfolg bestand darin,
im Kopf ihres Gegenübers das Bild
einer idealisierten Zukunft
erzeugen zu können,
eines positiven Selbstbildes
mit noch mehr Erfolg, noch mehr Freiheit.
Durch den Kauf des anderen Autos
glaubten sie, diesem Ideal
näher gekommen zu sein,
in dem Manya sie schon gesehen hatte.
Wir treffen wenige absolut
rationale Entscheidungen.
Unser Unterbewusstsein
beeinflusst unsere Entscheidungen,
und auch unsere Umgebung.
Wir richten uns danach,
was andere Leute wohl
von unserer Entscheidung halten werden.
Wir orientieren uns daran,
wofür andere sich gerade entscheiden.
Wir versuchen auch zu erraten, welche
Wahl gesellschaftlich akzeptiert wird.
Deshalb kommt es vor,
dass wir trotz einer
bereits getroffenen Wahl
-- wie einem schon gekauften Auto --
endlos Rezensionen über Autos lesen,
als ob wir uns noch selbst
überzeugen müssten,
dass es die richtige Wahl war.
Entscheidungen rufen Angst hervor.
Sie sind mit Risiken und
Verlusten verbunden.
Sie sind höchst unberechenbar.
Aus genau diesen Gründen
haben Menschen immer
mehr Probleme damit
und entscheiden sich für gar nichts.
Vor kurzem war ich
auf einem Hochzeitsempfang,
dort traf ich eine schöne junge Frau,
die mir von ihren
Entscheidungsängsten erzählte.
Sie hätte einen Monat gebraucht,
um sich für ihr Kleid zu entscheiden.
Dann sagte sie, dass sie
wochenlang gesucht hätte,
in welchem Hotel sie diese
eine Nacht verbringen wollte.
"Und jetzt muss ich
einen Samenspender finden."
(Gelächter)
Ich schaute diese Frau schockiert an.
"Samenspender, warum die Eile?"
Sie sagte: "Ich werde Ende des Jahres 40,
und ich bin bei der Auswahl meiner
Männer im Leben richtig schlecht."
Entscheidungen lösen Angst aus,
weil sie mit Risiko verbunden sind.
Und schon der berühmte
dänische Philosoph
Søren Kierkegaard zeigte auf,
dass die Angst mit der Möglichkeit
der Möglichkeiten zusammenhängt.
Heute denken wir, dass wir
diese Risiken abwehren können.
Wir haben endlose Marktanalysen,
Projektionen des späteren Verdienstes.
Selbst beim Markt,
der dem Zufallsprinzip unterliegt,
glauben wir, dass wir rational
vorhersehen können,
wohin er sich entwickeln wird.
Der Zufall ist heutzutage
ziemlich traumatisch geworden.
Letztes Jahr organisierte
ein Freund von mir, Bernard Harcourt,
an der Universität Chicago
eine Veranstaltung.
Diese war dem Konzept
des Zufalls gewidmet.
Wir waren beide Redner
des Podiums
und kurz vor unserem Vortrag
-- wir kannten die Unterlagen
des anderen nicht --
beschlossen wir,
den Zufall ernst zu nehmen.
Also teilten wir unseren Zuhörern mit,
dass das, was sie jetzt hören würden,
ein Produkt des Zufalls werden würde:
Eine Mischung aus
unseren zwei Manuskripten,
wobei keiner von uns
das des anderen kannte.
So führten wir also die Konferenz durch.
Bernard las seinen ersten Absatz,
ich las meinen ersten Absatz.
Bernard las seinen zweiten Absatz,
ich las meinen zweiten Absatz.
Und so weiter, bis zum
Ende unseres Vortrags.
Sie werden überrascht sein,
aber die meisten Zuhörer glaubten nicht,
dass das, was sie gerade gehört hatten,
ein komplett zufälliges Referat war.
Sie konnten nicht glauben,
dass zwei angesehene Referenten
-- wir sind beide Professoren --
den Zufall ernst nehmen würden.
Sie dachten, wir hätten den Vortrag
gemeinsam erarbeitet
und nur aus Spaß gesagt, er sei Zufall.
Wir leben in einer Zeit
mit vielen Informationen,
riesigen Datenmengen,
großem Wissen über
das Innenleben unseres Körpers.
Wir haben unsere Gene entschlüsselt.
Wir wissen mehr als je zuvor
über unser Gehirn.
Und doch verschließen wir
vor diesem Wissen
immer mehr unsere Augen.
Ignoranz und Leugnung
sind auf dem Vormarsch.
Und gerade jetzt,
in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise,
denken wir, dass wir
irgendwann aufwachen werden
und alles wieder wie früher wird
und keine politischen oder sozialen
Veränderungen nötig sind.
In Bezug auf die Umweltkrise
denken wir, dass momentan
nichts getan werden muss.
Andere sollen zuerst handeln.
Selbst dann, wenn eine Umweltkrise
gerade geschieht,
wie die Katastrophe in Fukushima,
gibt es oft Menschen, die am gleichen Ort
die gleichen Informationen haben,
aber nur die Hälfte wird wegen
der Strahlung verängstigt sein,
die andere Hälfte wird sie ignorieren.
Heute wissen Psychoanalytiker sehr gut,
dass Menschen überraschenderweise
keine Leidenschaft für Wissen haben,
dafür aber für Ignoranz.
Was heißt das?
Sagen wir, wir sind mit einer
lebensbedrohlichen Krankheit konfrontiert.
Die meisten Menschen
wollen davon nichts wissen.
Sie bevorzugen die
Verleugnung der Krankheit.
Deshalb ist es unklug sie zu informieren,
wenn sie nicht von sich aus fragen.
Studien zeigen überraschenderweise,
dass Menschen, die
ihre Krankheit verleugnen,
manchmal länger leben
als die, die sich rational
für die beste Behandlung entscheiden.
Diese Unkenntnis ist jedoch
auf sozialer Ebene
nicht wirklich hilfreich.
Wenn es uns egal ist,
worauf wir zusteuern,
kann eine Menge
sozialer Schaden entstehen.
Zusätzlich zu dieser Ignoranz
bemerken wir nun eine Art
von Selbstverständlichkeit.
Es war ein französischer Philosoph,
Louis Althusser, der darauf hinwies,
dass Ideologie einen Schleier
der Selbstverständlichkeit herstellt.
Bevor wir irgendeine Art
sozialer Kritik üben,
ist es wichtig diesen Schleier zu lüften
und die Sache
erneut zu durchdenken.
Wenn wir zur Ideologie
der individuellen,
rationalen Wahl zurückkehren,
die wir so oft gutheißen,
ist es gerade hier wichtig,
diese Selbstverständlichkeit aufzudecken
und ein bisschen anders heran zu gehen.
Für mich stellt sich oft die Frage,
warum wir immer noch die Vorstellung
vom "Selfmademan" zelebrieren,
auf den der Kapitalismus
von Anfang an aufgebaut ist.
Warum denken wir,
unser Leben so meisterhaft
im Griff zu haben,
dass wir rational die besten
Entscheidungen treffen können,
sodass wir Verlust und Risiken
nicht mehr gelten lassen?
Manchmal ist es erschreckend
arme Menschen zu sehen,
die z. B. die Idee
Reiche höher zu besteuern
nicht unterstützen.
Oft identifizieren sie sich
hier noch immer
mit einer Art von Lotterie-Mentalität.
Okay, vielleicht erwarten sie nicht
es einmal selbst zu schaffen.
Aber vielleicht denken sie,
dass ihr Sohn der nächste Bill Gates wird.
Und wer würde seinen eigenen Sohn
gern besteuern wollen?
Eine weitere Frage,
die sich mir stellt ist,
warum Menschen, die keine
Krankenversicherung haben,
nicht eine allgemeine
Krankenversicherung unterstützen?
Manchmal sind sie dagegen,
weil sie wiederum
an die freie Wahl glauben,
aber sie haben keine Wahlmöglichkeiten.
Margaret Thatcher sagte einmal
den berühmten Satz,
dass es keine Gesellschaft gibt.
Gesellschaft existiert nicht,
es gibt nur Individuen
und ihre Familien.
Leider funktioniert
diese Ideologie immer noch sehr gut.
Deshalb schämen sich
Menschen vielleicht dafür
arm zu sein.
Wir haben auch
unendliche Schuldgefühle,
nicht die richtige Wahl
getroffen zu haben
und deshalb keinen Erfolg hatten.
Wir haben Angst nicht gut genug zu sein.
Darum arbeiten wir sehr hart,
viele Stunden am Arbeitsplatz
und verbringen ebenso viele Stunden
damit uns neu zu erfinden.
Wenn wir Angst vor einer
Entscheidungen haben,
geben wir unsere Entscheidungskraft
manchmal einfach ab.
Wir identifizieren uns mit dem Guru,
der sagt, wo es lang geht,
den Selbsthilfe-Therapeuten,
oder wir folgen dem totalitären Führer,
der bei Entscheidungen keine
Zweifel zu haben scheint,
der es einfach weiß.
Oft werde ich gefragt:
"Was haben deine Forschungen
dich gelehrt?"
Es gibt eine wichtige Sache,
die ich dabei gelernt habe.
Wenn ich über Entscheidungen nachdenke,
habe ich persönlich aufgehört,
sie zu ernst zu nehmen.
Zuerst habe ich bemerkt,
dass meine Entscheidungen
oft nicht rational sind.
Ich treffe sie unbewusst,
höre auf andere
oder wähle die sozial
angesagteste Entscheidung aus.
Ich vertrete auch den Gedanken,
dass wir weit über die Vorstellung
individueller Wahlfreiheit
hinausgehen sollten.
Es ist sehr wichtig soziale
Entscheidungen zu überdenken,
denn die Ideologie der individuellen
Wahl hat uns ruhig gestellt.
Sie hindert uns daran, über
soziale Veränderungen nachzudenken.
Wir verwenden sehr viel Zeit
für unsere eigenen Entscheidungen,
dass wir kaum noch
über mögliche gemeinsame
Entscheidungen nachdenken.
Wir sollten nie vergessen,
dass Entscheidungen immer
mit Wandel verknüpft sind.
Wir können sowohl individuellen
als auch sozialen Wandel herbeiführen.
Wir können beschließen
mehr Wölfe haben zu wollen.
Wir können beschließen
unsere Umwelt zu verändern,
damit wir mehr Bienen haben.
Wir können uns für andere
Ratingagenturen entscheiden.
Wir können beschließen
Konzerne zu kontrollieren,
anstatt uns von ihnen
kontrollieren zu lassen.
Wir haben die Möglichkeit
Dinge zu verändern.
Ich habe mit einem Zitat
von Samuel Johnson angefangen,
der sagte, dass wir
bei Entscheidungen
das Leben dabei
nicht vergessen sollten.
Schlussendlich sehen Sie,
ich hatte die Wahl,
1 Zitat von 3 auszuwählen,
um meinen Vortrag zu beginnen.
Ich hatte eine Wahl,
so wie Nationen, so wie alle Menschen,
haben wir die Wahl zu überdenken,
in welcher Gesellschaft
wir in Zukunft leben wollen.
Vielen Dank.
(Applaus)