rC3 Vorspannmusik
Herald: ...und Beschleuniger von Krisen
ist. Wohin wachsen wir also? Lasst uns
über den Rückbau geldbasierter
Versorgungssysteme sprechen, über
Deglobalisierung und
Technologieunabhängigkeit. An dieser
Stelle bitte begrüßt und mit allen nötigen
Emojis im Chat
Professor Dr. Niko Paech
Einen wunderschönen
guten Tag, meine sehr verehrten Damen und
Herren. Ich möchte mich für die
freundliche Einladung zur Remote Chaos
Experience ganz herzlich bedanken. Der
Titel meiner Ausführungen lautet
"Globalisierung, Digitalisierung und die
Wachstumsfrage". Und die Agenda meines
Vortrags hat folgendes Aussehen. Zunächst
möchte ich auf eine ganz sporadische
Situationsanalyse und den Stand der
aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte eingehen,
um dann mit Ihnen einen kleinen Abstecher
in die Welt der Wachstumskrisen, aber auch
der Wachstumskritik zu unternehmen. Das
beides ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Das heißt, ich kann mich hier nur auf drei
Ebenen der Wachstumskritik für heute
beschränken. Daran anknüpfend möchte ich
Sie Einblick nehmen lassen in das von mir
in die Diskussion eingebrachte Konzept der
sogenannten Postwachstumsökonomie. Dabei
handelt es sich um ein geordnetes
Rückbauprogramm für Industrie- und
Konsumgesellschaften. Und dieser Rückbau
muss natürlich, weil der Markt zwei Seiten
hat, eben auch dann auf zwei Ebenen
erfolgen. Mit Suffizienz ist gemeint,
eine völlig neue Perspektive zu entwickeln
für den Zusammenhang zwischen
Konsum, Mobilität,
naja, Technologie auf der einen Seite und
Lebensqualität auf der anderen Seite. Und
die Subsistenz markiert hier, dass wir
eine ganz andere Güterproduktion brauchen,
eine, die graduell zumindest
deglobalisiert und deindustrialisiert ist,
das heißt, die in gewisser Weise zur
Konsequenz hat, dass aus Konsumenten,
sogenannte Prosumenten werden. Ich spreche
hier in diesem Zusammenhang von
interaktiver Güterproduktion. Sollte die
Zeit dann noch reichen, würde ich auf
mögliche Transformationsszenarien
eingehen. Zur aktuellen Situation wäre zu
sagen, dass gemäß des Konzepts des Country
Overshoot Days immer mehr Länder auf
diesem Planeten ökologisch brutalst über
ihre Verhältnisse leben. Was ist damit
gemeint? Das ist ja eine sehr wertende
Aussage. Nun, das Overshoot-Day-Konzept
beruht darauf, alle pro Jahr verfügbaren
ökologischen Ressourcen, die natürlich
begrenzt sind, auf diesem Planeten,
egalitär auf alle derzeit lebenden
Menschen gleich zu verteilen. Demnach hat
dann jedes Land entsprechend seiner
Population ein ganz bestimmtes jährliches
Budget an ökologischen Quellen- und
Senkenfunktionen und müsste mit diesem
Budget 365 Tage auskommen. Wenn wir uns
nun aber anschauen, wann die Länder dieses
Planeten bereits ihre Ressourcen, die
eigentlich bis zum 31.12. um 0 Uhr 0
reichen müssten, tatsächlich dann
verbraucht haben, dann sehen wir, dass die
Bundesrepublik Deutschland schon am 3. Mai
diesen Tag erreicht hat und seit
Aufzeichnung dieser Daten, die dann einmal
jährlich publiziert werden, rückt dieser
Tag in Deutschland, aber auch in allen
anderen Ländern, immer näher an den
Jahresanfang heran. Das Größte unter den
ökologischen Problemen, da erzähle ich
Ihnen natürlich nichts Neues oder
Spannendes, ist der Klimawandel. Hier
sehen Sie abgetragen über die Monate, wie
sich seit Aufzeichnung valider oder
brauchbarer Klimadaten die
durchschnittliche Erdtemperatur entwickelt
hat. Und Sie sehen auch, dass wir uns der
1,5-Grad-Restriktion, die ja auf der
inzwischen legendär verklärten Pariser
Klimaschutzkonferenz verkündet wurde,
bedrohlich genähert haben. Wenn wir großes
Glück haben, erreichen wir vielleicht
einen Wert zwischen 1,5 und 2 Grad. Dafür,
damit dies Realität wird, alles zu tun,
ist das Gebot der Stunde. Zwei Reaktionen
gibt es auf diese Gemengelage. Und damit
beschreibe ich das Terrain der durchaus
kontrovers geführten
Nachhaltigkeitsdebatte. Zum einen erleben
wir, dass das Konzept des sogenannten
grünen Wachstums oder des Green Growths
oder der Green Economy die Debatte
dominiert. Sowohl in der Politik als auch
in der Wissenschaft und natürlich erst
recht in den Medien. Damit ist gemeint,
dass zeitgenössische Wohlstandsmodell,
basierend auf Konsum, immer mehr Mobilität
und sonstiger Inanspruchnahme
industriegemachter Bequemlichkeit nicht
einzuschränken oder strukturell zu
verändern, sondern nur die Inhalte, d. h.
die Güter, die Technologien, die Science
(?) so zu verändern, dass das selber auf
Wachstum beruhende Wohlstandsmodell
neuerdings eben ökologisch verträglich
wird. Hier ist also der technische
Fortschritt, wie man so sagen will, der
Dreh- und Angelpunkt einer Transformation
mit Zielrichtung ökologische
Überlebensfähigkeit. Die ökologische
Effizienz, auf die ich noch eingehe, ist
hier als eine Strategie oder Teilstrategie
zu benennen, dann aber auch die
erneuerbaren Energieträger und drittens
die geschlossenen,
entweder technischen oder
biologischen Kreisläufe.
Dem gegenübergestellt
erleben wir im Moment,
wenngleich mehr in der Nische befindlich,
eben auch eine Nachhaltigkeitsdebatte,
die wachstumskritisch ist. Das heißt also,
hier ist der kulturelle Wandel, also ein
völlig neues Verständnis von dem, was
gutes und vor allem verantwortbares Leben
ist. Hier erleben wir also den kulturellen
Wandel als Schrittmacher der Wende. Und
hier haben wir dann kein Schnittmengen-
modell, das suggeriert, dass die
Wirtschaft weiter wachsen kann und damit
eben soziale Probleme gelöst werden können
und zugleich die Ökosphäre stabilisiert
werden kann. Sondern hier haben wir eher
eine Logik, die also dann als
Teilmengenkonstruktionen dargestellt ist,
die kompatibel ist mit den Gesetzen der
Thermodynamik, nämlich dass die Ökologie
nicht verhandelbar ist und auch nicht mit
sich handeln lässt. D.h. technischer
Fortschritt kann nicht bewirken, dass die
Wachstumsgrenzen nach außen verrückt
werden. Das bedeutet, dass also die
Gesellschaft als Ganzes eingebettet sein
muss in die ökologischen Grenzen und nicht
darüber hinaus wachsen kann. Und die
Ökonomie wiederum ist ein Teilsystem der
Gesellschaft und stellt keinen Selbstzweck
dar, sondern ein Mittel zum Zweck, d. h.
der Befriedigung der materiellen
Bedürfnisse jener Menschen, die innerhalb
dieses Systems ihr Dasein fristen. Hier
sind vor allem maßvolle Lebensstile oft
auch als Suffizienz bezeichnet, ein
relevanter Schrittmacher, ebenso aber wie
die partielle und wohlgemerkt nur
punktuelle Selbstversorgung, d. h. der
Ausstieg aus einer technisierten,
globalisierten, industrialisierten
Güterversorgung. Wenn wir uns also vor
allem das Paradigma des grünen Wachstums
und damit die sogenannte
Entkopplungungsstrategie näher anschauen,
dann stellen wir fest, dass hier so viele
theoretische und empirische Widersprüche
lauern, dass man diese Strategie nicht
ernsthaft in Erwägung ziehen kann. Aber
eins nach dem anderen. Zunächst möchte ich
noch eine andere Ebene der Wachstumskritik
mit Ihnen beschreiten, die aber dann
überleitet zu genau diesem Problem,
nämlich der Unmöglichkeit eines
sogenannten grünen Wachstums. Und diese
Ebene, die ich als erstes also beschreiben
möchte, bezeichne ich von ihrer,
ja, von ihre Funktionsweise her,
wenn man so sagen will,
als Produktivitätsfalle. Wenn wir
mal die Frage stellen, wie es überhaupt zu
diesem exorbitanten Reichtum kommen
konnte, den wir derzeit auf dem Planeten
Erde erzielen und der noch vor wenigen
Jahrzehnten selbst für die Reichsten der
Reichen Science-Fiction gewesen wäre, vor
allem in Bezug auf die vielen technischen
und mobilitätsbasierten Möglichkeiten,
über die wir verfügen.
Da gibt es verschiedene Antworten,
verschiedene Narrative,
möchte ich fast sagen,
die sich in den Sozial-
und damit auch Wirtschaftswissenschaften,
aber auch in den Geisteswissenschaften
finden. Ein roter Faden, der sich durch
all diese Narrative zieht ist, dass es
– natürlich – 4 industrielle Revolutionen
waren, die also menschliche Gesellschaften
aus der Not befreit haben. Wobei dann
unter Not zu verstehen war, dass jede Art
der Transformation von Materie in Güter
sich eigentlich nur speisen konnte aus der
handwerklichen, der manuellen, der
körperlichen Arbeit der Individuen einer
Gesellschaft. Und wenn dann alle
arbeitsfähigen Menschen ausgelastet waren,
dann war damit auch ein Output-Niveau
erreicht, das über Jahrtausende hinweg
nicht wachsen konnte. Erst mit der
industriellen Revolution Nr. 1 – das war
die Etablierung der Dampfmaschine, mit der
man dann Manufakturen, Werkstätten und zum
Teil auch die Agrarproduktion
mechanisieren konnte –
gelang es plötzlich, aus diesem engen
Korsett
der begrenzten Produktion auszubrechen,
indem die menschliche Hand
jetzt nicht mehr direkt
den Spaten oder den Hobel anfasst, sondern
einen Schalter umlegt und damit Kräfte
entfesselt, die weit über die
Energievorräte eines menschlichen Körpers
hinausreichen. So konnte also bei gleicher
Beschäftigung also die Produktion
potenziert werden. Und das setzte sich
so fort mit entsprechenden Wachstumsraten
über die 2. industrielle Revolution, also
die Elektrifizierung, dann die 3., die vor
allem die erste Welle der
Computerisierung, der Mikroelektronik und
damit auch der Automatisierung mit sich
brachte. Und jetzt erleben wir gerade den
Beginn einer noch viel furioseren
industriellen Revolution, nämlich der
sogenannten Industrie 4.0, die darauf
beruht, absolut alles, was in irgendeiner
Form in Verbindung mit Wertschöpfung
steht, zu digitalisieren. Das Ganze mündet
ein – also alle 4 industriellen
Revolutionen – in die Erhöhung, teilweise
sprunghafte Erhöhung, der
Arbeitsproduktivität. Das heißt, wir
brauchen immer weniger Arbeitskräfte, um
ein bestimmtes Quantum an Produktion zu
gewährleisten. Und das hat natürlich dann
verschiedene Nebenwirkungen, außer dass
wir immens reich geworden sind. Mit wir
meine ich natürlich nicht den globalen
Süden oder noch nicht den globalen Süden,
der noch dort ist ja mit einer
atemberaubenden Geschwindigkeit
festzustellen, dass also unser Industriemodell
kopiert wird. Also das heikle Verhältnis,
das damit herauf beschworen wird, spielt
sich ab zwischen technischen,
ökonomischen, ökologischen und schließlich
auch sozialen Belangen. Denn genau
dieselbe Technologieentwicklung, die uns
so reich hat werden lassen, bedingt ja
auch mit weniger Arbeitskraft in der Lage
zu sein, ein bestimmtes Output-Niveau zu
erreichen. Und dies, das hat schon Karl
Marx sehr trefflich beschrieben, kann dann
eben auch zu sozialen Krisen führen, weil
wir dann eben Massenarbeitslosigkeit
befürchten müssen. Aber die Grundidee
eigentlich der Entwicklung aller
Industriestaaten und zwar ganz egal,
ob wir von sozialistischen
Planwirtschaften oder
kapitalistischen Marktwirtschaften reden,
ist, das hinreichendes Wachstum dafür
sorgt, dass die Früchte der Technisierung
eben nicht einmünden in soziale Krisen.
Das heißt, wenn bei VW beispielsweise eine
neue Generation der Robotik dafür sorgt,
dass man nur noch halb soviel Arbeiter
braucht und Arbeiterinnen, um einen
bestimmten Output zu erzeugen und dann die
Gefahr besteht, dass man die Hälfte der
Belegschaft freisetzen muss, dann müsste
schlicht und ergreifend der Output nur
verdoppelt werden und schon würde trotz
des technischen Fortschritts erreicht
werden, dass alle Menschen an Bord bleiben
können, die dort bislang auch beschäftigt
waren. Aber was uns jetzt ins Haus steht
an sprunghafter Steigung der
Arbeitsproduktivität, das ist absolut
epochal. Die sogenannte Industrie 4.0
beruht auf verschiedenen Paradigmen, die
Sie alle wahrscheinlich besser kennen als
ich, als Teilnehmer dieser Konferenz. Also
künstliche Intelligenz. Also ?
Intelligenz, Robotik, ein soge-
nanntes Internet der Dinge, Fab-Labing,
3D-Druck, BigData, vor allem in der
wissensintensiven Wirtschaft und
Dienstleistungswirtschaft,
Beratungswirtschaft, auch
Finanzwirtschaft. Dann, eine völlig
erweiterte Möglichkeit von Sensorik etwa
in Fertigungsstätten oder dort, wo
Endfertigung stattfindet. Vor allem dann
eben dort auch digitale Endgeräte mit der
sogenannten SLAM-Charakteristik und den
weiteren Entwicklungen, die sich daraus
eben ergeben haben. Wenn wir nun also die
Frage stellen, wie es also aussieht mit
dem Zusammenhang zwischen technischem
Fortschritt und der Stabilisierung einer
modernen Gesellschaft, dann ist die Frage
relevant: Wie viel Arbeit braucht eine
Volkswirtschaft? Und die Arbeitsnachfrage
hängt eben ab. 1. vom Output der
Volkswirtschaft – hier dargestellt als Y – und
dem pro Output-Einheit notwendigen Input
an Arbeitskräften. Und dieser Quotient ist
eben der, der sich permanent verändert
durch technischen Fortschritt. Und wir
stehen damit an einer Eskalationsstufe.
Wenn wir hinreichendes Wachstum bei
technischem Fortschritt erzielen, dann
haben wir zwei Pluspunkte, nämlich einmal
Vollbeschäftigung. Trotz der eben
Automatisierung – oder Rationalisierung
nennt man das ja auch oft so im Volksmund
– und einem höheren Einkommens- und
Konsumniveau. Denn: Wenn die Technik die
Produktivität erhöht, dann sind
diejenigen, die einen Job haben, gesegnet
damit, ein höheres Einkommen zu erhalten.
Das heißt, sie können dann auch das, was
zusätzlich produziert wird, durch den
technischen Fortschritt, also die
gewonnene Produktivität, eben auch kaufen
können. Und das ist das Märchen vom
immerwährenden Wohlstand. Und dem
gegenübergestellt eben die Tragödie. Würde
das Wachstum nicht hinreichen, um also
tatsächlich Beschäftigungslosigkeit zu
vermeiden, dann drohen soziale Krisen. Ich
sag nochmal Karl Marx hat dazu schon als
Pionier sehr viel geschrieben. Was sich
daraus ergibt, lässt sich im Sinne einer
Eskalation sehr gut darstellen, wenn wir
zwei Wachstumsraten mal unterscheiden.
Wachstumsraten der volkswirtschaftlichen
Produktion – oder Sie können auch sagen des
Bruttoinlandsproduktes, das würde hier
rein heuristisch jetzt von der
Argumentation her keinen Unterschied
machen –, nämlich das mindestens
erforderliche Wachstum, das bei einer ganz
bestimmten Automatisierung durch
technischen Fortschritt also dann vonnöten
ist, um Vollbeschäftigung zu erhalten; und
das tatsächlich mögliche Wachstum. Das
hängt natürlich nicht von der
Produktivität ab, sondern das hängt
einfach davon ab, welche limitierenden
Faktoren dem Wachstum Grenzen setzen. Und
wenn wir mal so ein bisschen auf die
Historie dieser 4 industriellen Revolution
schauen und mal zunächst nur das nötige
Wachstum, um die Volkswirtschaft stabil zu
halten – wenn wir uns mal dieses Wachstum
näher anschauen, stellen wir fest, dass es
permanent natürlich höher gewesen als in
der Epoche vorher. Das heißt, je mehr
Technik wir einsetzen können, um die
Produktivität zu steigern, umso mehr muss
die Wirtschaft wachsen, um zu verhindern,
dass auf diese Weise eben Arbeitskräfte
freigesetzt werden. Und die These, die ich
hier schon, also über der Eintragung
Industrie 4.0 versuche, graphisch zu
kommunizieren, lautet: Jetzt werden wir
ein noch viel, viel höheres Wachstum
brauchen, um die immensen
Produktivitätsfortschritte bedingt durch
die Digitalisierung sozial und politisch
aufzufangen. Wenn wir uns jetzt die andere
Wachstumsrate angucken, also nicht die
theoretisch erforderliche, um
Vollbeschäftigung trotz Automatisierung zu
haben, sondern jene, die überhaupt möglich
war – Das ist die Rückschau bis zur dritten
industriellen Revolution – oder die
vermutlich möglich sein wird – Ab da haben
wir ja keine Empirie mehr, sondern das ist
schlicht und ergreifend meine These, die
ich aufstelle – dann stellen wir fest:
Während der ersten 3 industriellen
Revolutionen haben wir mit der Brechstange
und unter Plünderung des Planeten
irgendwie gerade erreichen können, dass
das nötige, – für die Vollbeschäftigung –
nötige Wachstum dem Möglichen entsprach.
Wir haben sogar eine Phase erlebt, wo das
Wachstum in Deutschland so boomte, dass
trotz anfänglicher 3. industrieller
Revolution sogar ein Arbeitskräftemangel
vorlag. Das ist die Zeit, als sie viele
Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der
Türkei haben überreden können, in
Deutschland die Zelte aufzuschlagen und
hier zu arbeiten. Wir sollten diesen
Menschen vielleicht sogar dankbar dafür
sein. Aber was uns jetzt droht, ist, dass
wir in ein doppeltes Dilemma schlingern.
Erstens: Noch nie zuvor war Mitteleuropa so
reich wie jetzt und stand noch nie unter
einem solchen Wachstumsdruck, weil der
technische Fortschritt, den wir anstrengen
durch die Digitalisierung, eben durch die
Freisetzung von Arbeitskräften eben eine
Zerreißprobe bedeutet. Gleichzeitig
standen wir noch nie vor solch eklatanten
Wachstumsgrenzen. Denken wir an den
Klimawandel, den Artenschwund, die
Verringerung der Ressourcenvorräte, vieles
andere mehr. Das muss ich Ihnen hier
überhaupt nicht näher erläutern. Und diese
Kluft wird nicht durchhaltbar sein. Oder
doch? Oder gelingt es doch, das mögliche
Wachstum so zu steigern, dass wir trotz
ökologischer Grenzen in der Lage sind, den
digitalen Fortschritt politisch und sozial
integer zu meistern? Nun, damit komme ich
auf die zweite Ebene der Wachstumskritik,
festgemacht an der Frage, ob es denn nicht
doch so etwas wie grünes Wachstum geben
kann, mit dem wir in der Lage sein können,
tatsächlich die beste aller Welten zu
erreichen. Eine bequeme, auf technischem
Fortschritt beruhende Güterproduktion und
Vollbeschäftigung und damit eben auch eine
gerechtere Verteilung natürlich des
Überschusses einer Volkswirtschaft. Nun
hier habe ich eine kleine Karikatur für
Sie. Die stammt aus einem Medium, das in
Frankreich Verbreitung findet und den
Namen "La décroissance" hat. Das ist die
Postille der wachstumskritischen Bewegung
in Frankreich, also der Décroissance-
Bewegung. Und Sie können vielleicht ja am
Stil dieser Karikatur erkennen, dass hier
die Macherinnen und Macher von Charlie
Hebdo diejenigen sind, die auch dieses
Journal am grafisch gestalten. Jetzt mal
weniger lustig, wie sieht grünes Wachstum
denn überhaupt in Theorie und Praxis aus?
Eigentlich ist es ganz simpel.
Es gibt zwei technologische Tricks.
Der eine wird als Effizienz
bezeichnet und was ich hier
mache, ist, dass ich diese Logik nur
anwende auf den Klimawandel, zu mehr
reicht die Vortragszeit nicht. Und da geht
es natürlich um Energie und die
ökologische Effizienz würde dann als eine
der beiden Greengrowth-Strategien bedeuten
möglichst wenig Primärenergie pro
Wertschöpfung Einheit, pro
Produktionsergebnis, können Sie auch
sagen, einzusetzen. Und die zweite
Strategie als Teil oder als zweiter
Stützpfeiler des grünen Wachstums ist die
sogenannte ökologische Konsistenz. Hier
geht es nicht darum, Ressourcen
– in diesem Fall Primärenergie –
einzusparen, sondern die Qualität
der Umwandlung und der Auswahl
von Ressourcen so zu optimieren,
dass die Schadintensität einer
verbrauchten Input-Einheit, also
Primärenergie-Einheit möglichst gering
ist. Das heißt hier konkret bezogen auf
das Beispiel Klimaschutz die
CO2-Intensität einer Primärenergie-Einheit
zu minimieren und die erneuerbaren
Energieträger und das ist das Paradigma
der deutschen Energiewende. Naja, das ist
natürlich dann alles nichts anderes als
eine Strategie der Vermehrung der Nutzung
erneuerbarer Energieträger. Und der
Gesamteffekt lässt sich dann als
verminderte CO2-Emission pro Wertschöpfung
seiner darstellen. Und wenn Sie das
grafisch mal anschauen wollen, sieht das
so aus wie hier rechts auf der Folie Das
Bruttoinlandsprodukt BIP abgekürzt soll
weiter wachsen. Hurra! Unser Wohlstand
wird nicht eingeschränkt, aber die
CO2-Emissionen sollen entweder nicht so
schnell wachsen, das nennt man relative
Entkopplung, bringt aber gar nichts oder
sogar absolut gesenkt werden.
Also das CO2-Niveau.
Und das müssen wir auch, weil in
der B.R.D. verbrauchen
die Menschen im Durchschnitt 12 Tonnen an
CO2-Äquivalenten pro Kopf und Jahr und wir
müssten runter auf eine Tonne laut Angabe
des Umweltbundesamtes, dass ja im Auftrag
der Bundesregierung eben auch tätig ist.
Das heißt, wir müssten also die Pro-Kopf-
Emission in Deutschland um den Faktor 12
verringern. Also gut, das ist eben dann
das, was das grüne Wachstum, wenn es
diesen Namen verdienen wollte, leisten
müsste. Und das scheitert auf mind.
den folgenden 4 Ebenen. Zunächst einmal
scheint ja eine geradezu religiöse
Überschätzung des technischen Fortschritts
vorzulegen, keineswegs nur in Politik und
Medien, sondern mehr noch eigentlich in
den Universitäten, die ich inzwischen als
"churches of progress" bezeichnen würde.
Zweitens vernachlässigen wir ein besonders
interessantes Phänomen in hoch modernen,
aufgeklärten Konsumgesellschaften, nämlich
das, was ich unter ökologischem
Versteckspiel oder auch ökologischem
Ablasshandel verstehe. Zu den
Grundbedürfnissen des Homo sapiens zählt
nämlich nicht nur die Deckung essentieller
Bedürfnisse und vielleicht noch einiger
Bedarfe, die darüber hinausgehen, sondern
auch natürlich so etwas wie soziale und
psychische Integrität. Und das setzt
voraus, kognitive Dissonanzen zu
verarbeiten oder in irgendeiner Form zu
tilgen. Und die kognitive Dissonanz, die
einen besonders mit Umweltbewusstsein und
Bildung ausgestatteter Homo sapiens
erleidet, wenn er eine Kreuzfahrt bucht,
einen SUV kauft oder sich jedes
Vierteljahr ein neues Smartphone leistet,
ist beträchtlich.
Was kann man tun, um diese
kognitive Dissonanz zu beseitigen?
Indem ganz einfach das gelingt,
indem zusätzlich
zu den bisherigen ruinösen ökologischen
Aktivitäten dann eben auch noch die
Photovoltaikanlage aufs Dach gesetzt wird.
ökofairer Kaffee getrunken wird oder
Unterwäsche von Hess Natur gekauft wird.
So wächst also beides um die Wette, das
Schmutzigste und weniger Schmutzige und
das kann natürlich innerhalb ökologischer
Grenzen auch nicht darstellbar sein. Und
vor allem ist dieses ökologische
Versteckspiel eine Stabilisierung. Einer
ökosuizidalen Lebensweise. Dann drittens
haben wir eine massive Unterschätzung
sogenannter Rebound-Effekte. Das sind also
die Nebenwirkungen der eingesetzten
technologischen oder sonstigen Innovation
mit dem Ziel immer, die Wirtschaft von
ökologischen Schäden zu entkoppeln. Da
haben wir einkommensbedingte Rebound-
Effekte, die darauf beruhen, dass wenn wir
effizientere in diesem Fall also um beim
Beispiel zu bleiben, energieeffizientere
Technologien einsetzen, dass wir dann ja
auch am Geld sparen. Und dieses eingesparte
Geld kann dann wieder investiert werden
für den – wenn's sein muss – schmutzigsten
Konsum. Muss nicht so sein, aber laut
aller vorliegenden Studien ist es
teilweise schon der Fall und ein viel,
viel eklatanter Rebound-Effekt. Das ist
der materielle Rebound-Effekt beruht
darauf, dass bis heute noch nie eine
Technologie erfunden oder auch nur
ersonnen oder geschweige denn praktiziert
wurde, die es vermochte, einen
ökologischen Schaden zu beseitigen, ohne
ihn räumlich, stofflich, zeitlich oder
systemisch zu verlagern. Das muss man sich
klarmachen. Auch Photovoltaikanlagen und
Windkraftanlagen fallen ja nicht vom
Himmel. Und vor allem Sie kommen nicht
ohne Platzbedarf aus. Das heißt, sie
verlagern eigentlich ein ökologisches
Problem in einen bestimmten
Aggregatzustand, in diesem Fall gasförmig,
einfach nur in einen anderen physischen
und damit ökologisch relevanten
Aggregatzustand. Das ist alles. Das heißt
übrigens nicht, dass Wind und Sonne
schlechte Energiequellen sind. Es heißt
nur, dass sie das Wachstumsproblem nicht
lösen können. Das ist gemeint. In der 4.
Ebene, die ich auch ohne Anspruch auf
Vollständigkeit noch kurz benenne, geht
es mir darum, die Handlungsunfähigkeit und
das Versagen moderner Politik
herauszustellen. Oft wird ja geklagt
darüber: Ah, der Markt ist böse und er schafft
das natürlich nicht. Eine ökologische
Wende herbeizuführen. Völlig richtig. Das
würde ich sofort unterschreiben. Aber die
Politik, die versagt, muss dann eben bitte
auch genannt werden. Also zur
Techniküberschätzung. Hier sehen wir mal
das Wunderwerk der deutschen Energiewende.
Und nochmal: Die Bundesrepublik
Deutschland gilt auf dem internationalen
Parkett als Musterschüler des
Klimaschutzes! Und nicht nur das, sondern
auch vor allem als Musterschüler des
grünen Wachstums. Denn wir sind ja nicht
nur Klimaschutzweltmeister, sondern wir
haben also, wenn wir mal von der Schweiz
und vielleicht Neuseeland oder Schweden
absieht. Wir haben einen irre hohen
Lebensstandard, vielleicht mit den
höchsten auf diesem Planeten halt. Und die
Königsdisziplin der deutschen Energiewende
ist nichts anderes, als den Anteil der
erneuerbaren Energieträger an der gesamten
Energieverbrauchsmenge kontinuierlich zu
steigern. Und was in Deutschland geschehen
ist, vor allem auch mit der Brechstange
gegen die letzten Landschaften, wenn wir
von Windenergie vor allem reden und
Biogas, aber auch Photovoltaik-
Freiflächenanlagen, das kann sich sehen
lassen. Das ist auch gar nicht zu
verstecken. Ganze Landschaften sind
umgewandelt worden und das Ergebnis ist,
dass an der gesamten Primärenergiemenge,
die wir in Deutschland verbrauchen, gerade
mal 15 % regenerativ sind. Und das ist zum
Teil sogar eine sehr katastrophale
Energieerzeugung, weil nämlich etwa die
nicht mehr ganz, aber bis vor kurzem die
Hälfte davon Bioenergie ist. Und
Bioenergie hat keine positive CO2-Bilanz,
erhöht die CO2-Mengen. Das wissen wir
inzwischen auf Basis von vielen Studien
zur Öko-Bilanzierung der sogenannten
Bioenergie. Also das ist die Elektrizität,
die aus Biomassekraftwerken kommt. Und
Wind und Sonne sind dann also weitaus
kleiner als einfach nur 15 %. Da sagen
viele, naja, man muss halt den
Endenergieverbrauch eher anschauen, weil
der Endergieverbrauch im Vergleich zum
Primärenergieverbrauch schon die
Umwandlungsverluste, vor allem thermischer
Art, bei der Nutzung fossiler
Energieträger, weil dies alles
eingerechnet wird. Was wir sehen, ist
wirklich kein Silberstreif am Horizont.
Also der Klimaschutz-Musterschüler
verharrt auf einem irre hohen Niveau an
Endenergieverbräuchen, bei entsprechend
kleinem Teil eben nur an erneuerbaren
Energieträgern. Und wenn wir das mal im
europäischen Vergleich sehen, dann muss
man folgendes konstatieren: Deutschland
ist das Klimaschutzschmuddelkind. Alle
Länder, die noch schlechter dastehen als
Deutschland im im europäischen Vergleich,
was den Anteil der erneuerbaren
Energieträger am Endenergieverbrauch
anbelangt, sind also in gewisser Weise
überhaupt nicht bestrebt, überhaupt
Klimaschutz zu betreiben. Wenn ich mir
etwa Polen anschaue und ähnliche Länder.
Deutschland liegt unter dem europäischen
Durchschnitt, also die meisten Länder
haben einen wesentlich höheren Anteil an
erneuerbaren Energieträgern. Woran liegt
das? Dabei haben die nicht einmal so
verschandelte Landschaften wie dort, wo in
Deutschland die Energiewende tobt, ganz
einfach: Sie sparen mehr Energie. Sie
frönen möglicherweise nicht demselben
Wachstumsdogma wie die Bundesrepublik
Deutschland. Wenn man sich dann die
Bruttostromerzeugung anschaut, wird einem
schwindlig und Sie wissen ganz genau,
warum die nach wie vor steigt, trotz
angeblicher Effizienz. Richtig, es ist die
Digitalisierung. Wenn wir uns die
CO2-Emission anschauen, stellen wir fest,
naja, es hat da so ein paar Einbrüche
gegeben im Hinblick auf die
makroökonomisch betrachtete Höhe der CO2-
Mengen energiebedingt. Nur: Das hat nichts
mit grünem Wachstum, auch nichts mit
technologischer Entkopplung zu tun.
1. Die energieintensivsten Bestandteile
der Produktionsketten, die für unseren
Wohlstand in Deutschland maßgeblich sind,
werden nach und nach, Tendenz steigend,
verlagert. Natürlich nach China, Indien
und in einige andere Länder auch. So kann
man natürlich die eigene umweltökonomische
Gesamtrechnung in Bezug auf CO2 wunderbar
aufhübschen. Aber es sind dann Fake News
zu behaupten, wir hätten es geschafft, in
Deutschland irgendwie einen Fortschritt in
Sachen Klimaschutz zu erreichen. Dann
gibt's den Honecker-Degrowth-Effekt. Nun,
der Zusammenbruch der DDR hat in den 90er
Jahren der B.R.D. den
Ruf eingebracht, doch mal zu zeigen, wie
es wirklich geht mit Klimaschutz auf der
einen Seite und der Bewahrung eines
rekordverdächtigen Wohlstandsniveaus. Die
Lehman Brothers haben Ähnliches geleistet.
Man müsste jetzt noch Klaus Wowereit
nennen, der der beste Klimaschutzmanager
aller Zeiten, ist halt nicht so ein guter
Flughafenmanager anscheinend oder
politischer Manager. Aber dass er den BER
so verzögert hat, heißt, dass er die
schlimmste CO2-Schleuder Berlins damit
eben auch verzögert hat. Aber noch
wichtiger ist mir der 4. Aspekt: Das
legendäre, als Klimaschutzdurchbruch
verklärte EEG in Deutschland. Bedeutet ja,
dass wenn ich Anlagen aufstelle und
erneuerbaren Strom produziere, dann kriege
ich eine verdammt hohe Vergütung, nicht
vom Staat, sondern von den
Energiekonzernen, die durch das EEG dazu
verdonnert werden. So weit so gut. Und wenn
ich dann jetzt plötzlich so mehrere solcher
Windparks eröffnet habe – hoffentlich nicht
unbedingt im Mittelgebirge, wo ich noch
mehr Landschaft zerstöre, sondern an
geeigneter Stelle – und ich damit so viel
Energie erzeuge, dass ich Kohle oder
Braunkohlekraftwerke herunterfahren kann.
Hurra, hab ich dann CO2-Emissionen
eingespart? Punkt 1: Das klappt ja schon
deshalb nicht, weil die Übertragungsnetze
und die Speicherkapazitäten so weit davon
entfernt sind, sich auf das Niveau zu
entwickeln, das wir bräuchten, um
eventuell erneuerbare Energieträger
hernehmen zu können, damit wir Braun- und
Steinkohle ersetzen. Klammer zu. Aber
selbst wenn, dann haben wir folgendes
Problem: Es gibt nämlich außer dem EEG
noch ein viel wichtigeres Rahmenwerk, was
den gesetzlichen Klimaschutz anbelangt.
Und das ist der europäische
Emissionshandel. Das heißt so viel wie,
dass jeder Betreiber eines fossilen
Kraftwerks natürlich im Umfang der
durchschnittlichen jährlichen Emissionen
Emissionszertifikate, also Lizenzen
braucht. Und die sind Geld wert. Wenn also
jemand seine Emissionen senkt, dann unter
Umständen auch deshalb, um dann die
Zertifikate, die nicht mehr benötigt
werden, auf dem dafür vorgesehenen Markt
zu verkaufen. Wenn also in Deutschland
jemand ein Kohlekraftwerk runter fährt,
weil es nicht mehr gebraucht wird durch
den Ausbau von Windkraft, dann werden die
Zertifikate nicht verbrannt im Kamin,
sondern die werden schön hübsch verkauft.
Und dann findet sich natürlich irgendwo in
Europa ein anderer Kraftwerksbetreiber,
der sich freut, dass er diese Zertifikate
günstig kriegt. Denn wenn der bisherige
Halter der Zertifikate sie nicht los wird,
dann wird der Preis solange gesenkt, bis
die Zertifikate einen Käufer oder eine
Käuferin finden. Und wer sind die Käufer?
Das sind diejenigen, die die
ineffizientesten Kraftwerke haben, weil
für die ist es ja eine Option, lieber
Zertifikate zu kaufen, als durch
technischen Fortschritt in irgendeiner
Form CO2 zurückzuhalten was übrigens
– Klammer auf – auch nicht wirklich klappt
– Klammer zu –. Das heißt, das Ganze ist am
Ende ein Nullsummenspiel. Deswegen können
wir an den Verläufen der CO2-Emissionen in
der Bundesrepublik Deutschland überhaupt
nicht erkennen, ob wir irgendeinen
Fortschritt in Sachen Klimaschutz erzielt
haben. Und wenn wir uns dann eben
anschauen, wie die Verlagerung der
energiebedingten CO2-Emissionen weltweit
erfolgt, dann ist das wirklich exorbitant.
Das heißt, wir verlagern immer mehr nach
außerhalb, auch Europas, also nicht nur
innerhalb Europas. Eine zweite
Sollbruchstelle des Wachstumsdogmas liegt
dort, wo wir nochmal zurückkehren
vielleicht zu der Frage, woher unser
Wohlstand kommt. Ich habe schon gesagt, es
sind 4 industrielle Revolutionen, die
maßgeblich dafür sind, aber die gehen
natürlich einher mit einer entgrenzten
Produktion. D. h. die Technisierung der
Produktion bedingt auch eine Zerlegung
jeglicher Produktionsprozesse in einzelne
spezialisierte, isolierte und
standardisierte Einzelprozesse. Und die
schieben wir dann auf der Erdoberfläche,
die dann zu einer globalen Produktionsstätte
wird, immer genau dahin, wo die geringsten
betriebswirtschaftlichen Kosten sind, wo
keine Steuern gezahlt werden, wo es keine
Gewerkschaften gibt oder die
Gewerkschafter gerade im Knast sitzen und
so weiter und so fort. Und so kann man
natürlich die Gesamtkosten entlang der
Kette, an deren Ende dann die
Wohlstandsartefakte baumeln, die wir uns
sozusagen gönnen – die Kosten natürlich
senken. Und wenn dann diese gesenkten
Kosten noch über Märkte, auf den
Konkurrenz herrscht, über Preissenkungen
weitergegeben werden: Hurra! Dann kann sich
wirklich jeder Menschen Samsung Galaxy
leisten, was früher mal ein Wunderwerk der
Technik war. Diese Art der Produktion hat
aber eben die Charakteristik eines
Kartenhauses. Die Komplexität, die
Risiken, die Verletzlichkeit und der
Verlust vor allem auch an Autonomie und
Kontrolle über das, was da wie produziert
wird, bedeutet, dass wir eine immer höhere
soziale Fallhöhe auch erreicht haben. Das
heißt, wenn auch noch so weit entfernt ein
Störereignis eintritt, kann passieren,
dass die gesamte Kette, das gesamte Netz
plötzlich in Erosion versetzt wird. Und
die letzten Krisen das Platzen der New
Economy, die Peak-Oil-Krise Mitte der
Nullerjahre, dann die Lehman-Brothers-
Krise, jetzt die Corona-Pandemie. Und mal
sehen, was dann noch alles kommt an
Finanzkrisen, Inflationskrisen, vielleicht
Eurokrisen und so weiter und so fort. Das
alles führt dazu, dass das Modell, in dem
wir uns bewegen, eben immer fragiler wird.
Und einhergegangen mit dieser Art des
Wirtschaftens ist eben auch eine
Verkümmerung der Fähigkeit, sich zumindest
graduell selbst zu versorgen. Und Corona
ist in dieser Gemengelage für mich
eigentlich eher so ein Prozess der
Aufdeckung. Was hier aufgedeckt wird, ist
ein Zielkonflikt zwischen einer
technisierten und globalisierten
Minimierung betriebswirtschaftlicher
Kosten, was sich dann niederschlägt in
volkswirtschaftlichen Wachstum auf der
einen Seite und der Resilienz, d.h. der
Krisenrobustheit auf der anderen Seite.
Wenn alles mit allem verbunden ist – und
das ist das Resultat der Digitalisierung –,
dann geht eben auch alles den Bach runter,
wenn an bestimmten Stellen eben die
exogenen Schocks oder Ereignisse für
Schaden sorgen. Und das wirft uns zurück
auf die Ebene, da, wo gefragt wird, ob der
Spatz in der Hand dann nicht vielleicht
besser ist als die Taube auf dem Dach.
Denn der Spatz in der Hand heißt, etwas
bescheidener zu sein, aber dafür die
Sicherheit zu haben, dass eine bestimmte
Versorgungsleistung auch erbracht werden
kann. Corona-Viren und CO2-Moleküle haben
da also tatsächlich eine ähnliche
Eigenschaft. Sie ... werfen uns
zurück vor die ursprüngliche
Fragestellung, also am Vorabend der ersten
industriellen Revolution: Was geben wir
alles auf? Was ist der Preis dafür, dass
wir diesen globalisierten, technisierten
Wohlstand eben nutzen? Und diese
Wachstumsfrage, an die uns eben nicht nur
der Corona-Effekt führt, lässt uns
natürlich auch einen ganz neuen Diskurs in
Augenschein nehmen, der da überschrieben
ist mit Resilienz, also Krisenstabilität.
Es gibt in der Tat so etwas wie eine
kleine Dogmenhistorie des Denkens in
Kategorien von Resilienz, nämlich dass der
Spatz in der Hand, ich sage es nochmal,
unter Umständen die bessere Lösung ist im
Vergleich zur Taube auf dem Dach. Ich will
jetzt auf die einzelnen Autoren, die ich
abermals ohne Anspruch auf Vollständigkeit
vermerkt habe, nicht eingehen. Will nur
sagen, dass resiliente Systeme natürlich
kleinräumig, genügsam, autonom,
flexibel, vielfältig sind und
gekennzeichnet sind durch eine viel
geringere Komplexität und geringere
Distanz zwischen Verbrauch und Produktion.
Was übrigens den Nebeneffekt hat, dass wir
dann Produktionsbedingungen eventuell eben
auch demokratischer, selbsttätiger
gestalten können. Genügsamkeit ist aber
eine Voraussetzung dafür, denn die Abkehr
von der großen globalisierten Wirtschaft
bedeutet immer, dass wir nicht dasselbe
Wohlstandsniveau aufrechterhalten können.
Ja. Damit sind wir letzten Endes schon an
dem Punkt, wo es um einen Lösungsvorschlag
geht, den ich als Postwachstumsökonomie
bezeichne und der sich aus einer zunächst
einmal groben oder makroökonomischen
Perspektive folgendermaßen skizzieren
lässt. Wir sind also durch die 4
industriellen Revolutionen, vermittels eines
exponentiellen Anstiegs der
Wohlstandsproduktion, immer reicher
geworden, haben aber tatsächlich die
Belastungsgrenzen der Ökosphäre
durchbrochen und müssen jetzt durch einen
Rückbau, weil die Technik nicht weiter
hilft – Das habe ich ja an Hand eines
simplen Beispiels versucht grob zu
skizzieren – und müssen durch einen
Rückbau praktisch der Gütermengen, der
Produktionskapazitäten, dafür sorgen, dass
wir wieder innerhalb ökologischer Grenzen
verbleiben können. Und in diesem
Zusammenhang habe ich versucht, die
sogenannte Postwachstumsökonomik, eine
ökologisch orientierte, auf den Grundlagen
der Thermodynamik basierende Teildisziplin
der Wirtschaftswissenschaften zu
etablieren. Und hier will ich Ihnen nur
ganz kurz sagen, dass es hier um 3
wichtige Aspekte geht. Um Wachstumskritik
aus theoretischer und empirischer, also in
jeder Hinsicht wissenschaftlicher Sicht.
Dann aber auch die Frage nach dem
Wachstumszwängen. Und 3. schließlich – und
darauf will ich jetzt ganz kurz noch
eingehen – 3. schließlich geht es in der
Postwachstumsökonomk darum, was sind denn
dann zukunftstaugliche, nicht mehr auf
Wachstum beruhende Versorgungssysteme, die
sich demokratisch, freiheitlich, friedlich
auch wirklich umsetzen lassen? Und diese
verschiedenen Versorgungsmuster will ich
heute nur ganz, ganz grob zusammenfassend
noch skizzieren und sie lassen sich
unterteilen oder lassen sich erstrecken,
eigentlich auf die beiden Seiten eines
Marktes, nämlich auf die Nachfrage- und
Angebotsseite. Also die Angebotsseite
nehme ich als Nächstes, als Übernächstes
dran. Erstmal möchte ich den Blick mit
Ihnen werfen auf die Nachfrageseite. Es
gibt viel Wissen inzwischen darüber, weil
wirklich multi-disziplinär dazu geforscht
wurde. Über den Zusammenhang zwischen
individuellem Wohlbefinden, Sie können
auch sagen, Lebensqualität oder
Lebenszufriedenheit auf der einen Seite
und der Verfügbarkeit von Konsum,
Mobilität, Digitalisierung und sonstiger
Industrie gemachter Bequemlichkeit auf der
anderen Seite. Was wir hier erkennen, ist
das eine ganz, ganz grobe extrakthafte
Skizzierung der wesentlichen Inhalte oder
Ergebnisse dieser Forschung ist: Kein
Konsum, ist auch keine Lösung, völlig
klar. Aber für Konsum gilt dasselbe wie
für jede Medizin, nämlich dass die Dosis
das Gift macht. Wir erleben im Moment eine
Sättigungserscheinung ausgerechnet in den
reichsten Konsum- und
Industriegesellschaften. Die
durchschnittliche psychische Gesundheit
geht zurück. Orientierungslosigkeit,
Stress, Burn-out, digitale Demenz oder
eben auch Aufmerksamkeitsdefizite. Dies
alles greift um sich. Womit ich sagen will
ist, dass der Großteil – wir reden von 90%
– der Bevölkerung moderner
Konsumgesellschaften über
ein Nutzen steigerndes, Lebensqualität
erhöhendes Reduktionpotenzial verfügt, um
endlich stressfrei in der Lage zu sein,
die nicht vermehrbare menschliche
Aufnahmekapazität und auch die nicht
vermehrbaren psychischen Ressourcen auf
ein bestimmtes Quantum an Wohlstand zu
richten, um das dann auch tatsächlich
ausschöpfen zu können, statt in einer
Lawine der Multi-Optionalität zu
versinken. Das ist, um es ganz kurz und
prägnant zu charakterisieren, der aktuelle
Zustand, den wir also durchleben. Dazu
habe ich ein kleines Büchlein zusammen mit
Manfred Folkers vorgelegt. Hier geht es um
eine buddhistische und eine eher
knallharte ökonomische Analyse der
Möglichkeiten einer reduktiven Wende. Wenn
wir uns jetzt die Angebotsseite hingegen
anschauen, dann müssen wir die Frage
stellen, wie denn das, was dann noch
übrig bleibt, nach einer Entrümpelung der
Gesellschaft, wie das produziert werden
kann? Und das verteilt sich auf 3
Produktionssysteme. Und zwar ist es so,
dass derzeit ... dass diese 3
Produktionssysteme hinlänglich bekannt
sind. Wir haben einmal die globalisierten,
kapitalintensiven, technisierten,
industrialisierten Wertschöpfungsketten,
die uns, wie ich das ja heute grob
beschrieben haben, so reich haben werden
lassen, uns aber auch an einen
ökologischen Abgrund geführt haben. Und da
hilft uns die technologische Entwicklung
eben nicht weiter. Dieser Teil der
Wirtschaft muss zurückgebaut werden, aber
bitte nicht auf Null, sondern vielleicht
auf 50 %. Und das auch nicht von heute auf
morgen im Sinne einer Rosskur, sondern
geordnet durch einen allmählichen
kulturellen und hoffentlich auch
politischen Wandel. Dann müssen aber die
beiden anderen Produktionssysteme, nämlich
die Regionalökonomie, die weniger komplex,
weniger technisiert ist und natürlich
kürzere Distanzen zwischen Verbrauch und
Produktion aufweist und die reine lokale
Subsistenzwirtschaft, – Sie können sagen
Eigenarbeit, Selbermachen,
Selbstversorgung – diese beiden Bereiche
müssen dann eben auch ausgebaut werden.
Wenn wir diese Transformation unter dem
Aspekt gelingender gesellschaftlicher,
sozialer Gerechtigkeit und Stabilität
betrachten, haben wir sofort ein Problem.
Wie können wir denn Vollbeschäftigung
gewähren, wenn die Wirtschaft langsam aber
sicher um 50 % gemessen an ihrer
Wertschöpfung zurückgebaut wird? Natürlich
durch Arbeitszeitverkürzung, durch eine
gerechte Verteilung der dann noch
erforderlichen monetär entgoltenen
Arbeitszeit. Nur mal angenommen, eine 20
Stundenwoche wäre tatsächlich zu
etablieren, würde auf die Akzeptanz der
Gesellschaft stoßen, dann hätten wir
Vollbeschäftigung auch bei einem rapiden
Rückgang der Produktion und damit der
ökolomischen Belastung. Und wir haben 20
Stunden, die dann sozusagen als ein Bonus
verbleiben, die wir als Ressourcenbasis
betrachten können, um ergänzend zu
herkömmlichen Erwerbsmodellen eigene
Leistung zu erbringen in der Subsistenz.
Also wir würden dann einen kulturellen
Wandel anzetteln müssen, der dazu führt,
dass aus Konsumenten und Konsumentinnen,
Prosumenten und Prosumentinnen werden. Was
sind das für Leute? Die sehen genauso aus
wie Sie und ich, sind gut gebildet,
arbeiten aber nur noch im
Lebenszeitdurchschnitt und das ist
wirklich nur ein ganz grober Richtwert und
nicht irgend so ein Rasenmäher-Prinzip
oder sowas. Arbeiten eben nur noch 20
Stunden. Aber nutzen jetzt die
freigewordene Zeit, die marktfreie Zeit
wie ich sie nenne, handwerkliche
Kompetenzen, die auch durch ein
verändertes Bildungs- und Erziehungssystem
wieder gefördert werden müssen. Und vor
allem neue soziale Netze, Verbindungen,
Gebilde und Bewegungen nutzen diese 3 Ebenen
um kollaborativ, gemeinschaftlich ein, man
könnte sagen eine Nebenökonomie
aufzubauen, in der wir selbst
gemeinschaftlich produzieren, Dinge
gemeinschaftlich nutzen. Dinge reparieren.
Und damit natürlich auch Vieles tun für
unsere Gesundheit und unsere
Selbstwirksamkeit. Auch hier gibt es so
viele Studien aus der
Bildungswissenschaft, auch aus der
Psychologie, die zeigen, dass die
Entfremdung der hochtechnisierten, auch
digitalisierten Arbeit, die uns krank zu
machen droht, allein dadurch rückgängig
gemacht werden kann, indem wir wieder auch
Verrichtungen, die manueller
künstlerischer, handwerklicher oder
agrarischer Art sind, wieder tatsächlich
etablieren. Das heißt ja nicht, dass wir
plötzlich nur so arbeiten, sondern das
Modell, um das es hier geht es ein duales
Modell, das zwei Standbeine hat. Das eine
Standbein – ich wiederhole das nochmal, weil
es so oft falsch verstanden wird – heißt:
Wir sind gebildet, wir haben eine
Industrie und wir verteilen die damit
einhergehende Arbeitszeit gerecht auf
alle, damit wir auch Geld verdienen und
die andere Hälfte, deswegen "duales
Versorgungssystem" besteht darin, dass wir
die freigestellte Zeit benutzen, um mit
anderen gemeinsam eben eine Ökonomie der
Selbstversorgung aufzubauen. Stellen wir uns
doch mal vor, wir würden dort, wo wir
leben, mit unserer Peergroup oder auch mit
Nachbarinnen und Nachbarn zu fünft eine
Waschmaschine, ein Auto, einen
Staubsauger, vielleicht einen Rasenmäher,
eine kleine Werkstatt und so weiter
teilen. Dann denken sie erstmal: Ahja! Das
schlägt der Wachstumskritiker vor, um den
Planeten zu retten. Nein! Das schlage ich
vor, um unseren Geldbeutel zu retten, weil
ich dann natürlich sehr viel weniger Geld
brauche. Von allem nur ein Fünftel. Wenn
wir dann noch über die Kapazität verfügen,
in eigenen Gärten oder in der solidarischen
Landwirtschaft und anderswo auf viel
günstigere, aber eben auch durch eigene
Mitwirkung erzeugte Nahrungsmittel eben
auch Geld zu sparen, sogar noch qualitativ
höhere Nahrungsmittel zu haben. Wenn wir
dann noch die Nutzungsdauer der Produkte,
mit denen wir uns umgeben, verdoppeln
können durch Instandhaltung, durch
Reparatur, durch Upgrading, Updating und
so weiter, dann sparen wir so viel Geld,
dass es uns nicht weh tut. In einer Welt
zu leben, in der wir eben durchschnittlich
ein geringeres Geld Einkommen haben. Dafür
haben wir aber ein anderes Einkommen.
Eines, das man nicht in Geld messen kann.
Eines, das zu tun hat Lebensqualität mit
Krisenresilienz und vor allem auch mit
einer Verantwortbarkeit für das 21.
Jahrhundert. Ich möchte Ihnen an dieser
Stelle für die Aufmerksamkeit danken. Und
möglicherweise gibt es ja noch die …
Chance, dass wir ins Gespräch miteinander
kommen.
Herald: So Hallo, vielen Dank für den
tollen Vortrag, Niko Paech. Dankeschön!
Wir machen jetzt noch ein Q&A. Das machen
wir per Jitsi. Sorry, dass das heute
Mittag nicht direkt geklappt hat, aber das
ist alles kein Problem, weil wir haben die
Fragen gesammelt und werden die jetzt
stellen. Hallo Niko, schön, dass du da
bist.
Niko: Hallo nochmal, vielen herzlichen
Dank für die Einladung.
H: So, dann steigen auch direkt ein. Die
erste Frage ist: Was siehst du denn als
Wege in eine Postwachstumsökonomie? Und
wie könnten diese global beschritten
werden?
N: Zunächst einmal ist es so, dass die
globale Ebene überhaupt erst verändert
werden kann, wenn es irgendwo auf diesem
Planeten einen Staat gibt, der erstmal als
Beispiel vorlebt und vorführt, wie eine
Postwachstumsökonomie funktioniert. Das
heißt, wir werden nicht top-down von
irgendeiner Weltregierung ausgehend oder
auf Basis internationaler Vereinbarungen
zu der Lösung kommen, dass sich jetzt
plötzlich alle mit einer
Postwachstumsökonomie einverstanden
erklären, obwohl das der einzige Weg ist,
die ökologische Überlebensfähigkeit der
menschlichen Zivilisation zu wahren. Nein,
es wird so sein, dass der Wandel in
Richtung Postwachstumsökonomie genauso
verläuft, wie jeder andere Wandel bisher
auch verlaufen ist. Es wird Nischen geben,
es wird Avantgardisten geben und es wird
irgendwann ein Land geben – vielleicht ja
Deutschland, das wäre mein Wunsch – das
tatsächlich ernst macht mit der Umsetzung
eines solchen Konzeptes. Und genau dann
und nur dann werden sich die Menschen
anderswo – etwa in Afrika, Asien,
Lateinamerika – werden sich damit vielleicht
anfreunden können, weil sie dann sinnlich
erfahren können und nicht nur theoretisch,
dass es kein Gang nach Canossa oder in die
Höhle oder ins Mittelalter ist, eine
ökologisch verantwortbare Daseinsform
tatsächlich auch zu praktizieren.
H: ... Danke Dir! Dann, wie spielenden denn
psychologische Faktoren deiner Meinung
nach eine Rolle? Also auch zum Thema
kognitive Dissonanz.
N: Die Psychologie spielt in der
wachstumskritischen
Nachhaltigkeitsforschung natürlich an 2
Stellen eine prominente Rolle. Zunächst
einmal, wenn wir das Misslingen aller
bisherigen Versuche, eine nachhaltige
Entwicklung zu initiieren, mal Revue
passieren lassen, dann stellen wir fest,
dass das Phänomen der kognitiven Dissonanz
hier maßgeblich ist. Das heißt, wir haben
in der Bundesrepublik Deutschland ein
unglaublich prägnantes Phänomen, das, ich
würde mal sagen gefühlt seit 30 Jahren
feststellbar ist, nämlich, dass wir jedes
Jahr neue Rekorde aufstellen, was die
Verbreitung, die Nutzung und auch das
Anpreisen nachhaltiger Lösungen anbelangt.
Alles, was irgendwie mit nachhaltiger
Entwicklung, Klimaschutz oder dergleichen
zu tun hat, erreicht also ständig neue
Höchstmarken. Gleichzeitig erreichen auch
die Pro-Kopf in Anspruch genommenen
ökologischen Ressourcen immer weiter einen
neuen Rekord. Das heißt soviel wie, dass
der Mensch als ein Wesen, das nicht alle
naturgegebenen Charakteristika überwinden
kann, nicht nur Grundbedürfnisse hat, die
man als anthropologische Konstanten
bezeichnen muss, sondern dass der Homo
Sapiens offensichtlich auch nach
psychischer Stabilität strebt. Das heißt
soviel wie, dass je gebildeter ein Mensch
ist und je ausgeprägter sein
Umweltbewusstsein ist, desto stärker ist
die kognitive Dissonanz, wenn er ein
Flugzeug besteigt oder jedes Vierteljahr
ein neues Smartphone kauft. Und um nun
tatsächlich ein psychisches Gleichgewicht
wieder herzustellen, kauft derselbe Mensch
eben Demeter Brühewürfel oder eben
Unterwäsche von Hess Natur oder trinkt nur
öko-fairen Latte Macchiato. Auf diese
Weise wächst beides um die Wette. Einmal
das Zerstörerische und das nur etwas
weniger Zerstörerische. An der 2. Stelle,
wo die Psychologie eine Rolle spielt, da
geht es einfach um
Nachhaltigkeitskommunikation. Wir stehen
immer vor der Frage, wie können Menschen
motiviert werden, abzulassen von einer
öko-suizidalen Lebensführung? Was
motiviert sie? Und hier haben wir
natürlich in der kognitiven Psychologie
und auch sonst in der Umweltpsychologie
unglaublich gute Hilfestellung. Auch aus
der Psychologie wissen wir, dass die
Intention eines Menschen nicht im stillen
Kämmerlein entsteht oder alleine Folge von
Vererbung oder von anderen prägenden
Merkmalen ist, die unabänderlich sind.
Nein, der Mensch ist ein soziales Wesen.
Das heißt, der Mensch lernt aus seiner
Umgebung. Und das ist psychologisch
natürlich sehr relevant, wohl aber auch
kulturwissenschaftlich. Deswegen bin ich
immer ein großer Freund. Wenn sich ...
also der der Zusammenarbeit mit
Umweltpsychologen.
H: Okay, danke. Wenn Politik und
Wirtschaft uns keine Lösung bieten, wie
kommen wir denn zu einer Lösung oder zu
einer Revolution? Wie erreichen wir
rechtzeitig die breite Masse der
Bevölkerung?
N: Also zunächst einmal, ich würde nicht
sagen, dass die Wirtschaft keine Lösung
bietet. Ich kritisiere das Wachstum, aber
nicht irgendeine Wirtschaft. Alles, was
mit der Produktion und der Nutzung und
Verteilung von knappen Gütern zu tun hat,
ist irgendeine Form der Wirtschaft. Was
ich selber vorstelle unter dem
Begriffsmantel Postwachstumsökonomie ist
auch eine Wirtschaft. Natürlich gibt es
wirtschaftliche Lösungen, sonst wäre ich
nicht Ökonom geworden und auch die Politik
könnte irgendwann handlungsfähig werden.
Aber beides, die Wirtschaft und die
Politik, können nur eine Transformation in
Richtung Postwachstumsökonomie vollziehen,
wenn sich autonom in der Zivilgesellschaft
ein Plural an verschiedenen Bewegungen
bildet, die nicht einfach nur labern und
kritisieren und fordern und die Welt
scheiße finden, sondern die anfangen,
tatsächlich durch vorgelebte Beispiele,
übrigens auch auf unternehmerischer Ebene,
und natürlich in Netzwerken, in neuen
Institutionen, in neuen Projekten, in
neuen Reallaboren oder auch
avantgardistischen Zirkeln, in Peer
Groups, in neuen Nachbarschaften usw., die
anfangen, das vorzuleben, von dem sich
nach bestem Wissen und Gewissen sagen
lässt, wenn der Rest der Welt dies auch
täte, dann würden wir würdig,
demokratisch, frei, selbstbestimmt und
ökologisch verantwortbar leben. Nur über
die horizontale Verbreitung und soziale
Interaktion des Neuen können wir eine
kritische Masse erreichen, die auch von
den Medien, von anderen Institutionen
wahrgenommen wird. Und erst dann kann die
Politik reagieren, und zwar in einer
Demokratie. In China kann sie eher
regieren - reagieren, Entschuldigung -
weil sie eben autoritär regiert. So wollte
ich das sagen. Aber ich bin ja überzeugter
Demokrat. Und das heißt, dass eine
gewählte Regierung niemals etwas anderes
sein kann als ein perfekter Spiegel der
Lebensrealität der Wählermehrheit. Und wer
etwas anderes will, muss mir dann
erklären, was sein oder ihr
Demokratieverständnis ist. Das heißt, ich
kann nicht die Politik von hier aus
verändern. Ich muss die Gesellschaft als
solche verändern, damit die Politik
tatsächlich den Mut aufbringen kann, ohne
abgestraft zu werden, tatsächlich dann auch
Rahmenbedingungen für eine Wirtschaft ohne
Wachstum zu etablieren.
H: Ja, darauf aufbauend Wie könnten denn
politische Szenarien in Richtung
Postwachstum aussehen?
N: Also wie gesagt, jede Politik, die noch
verhelfen kann dazu, dass wir ökologisch
überleben, kann nur eine Politik der
Restriktion sein. Eine Politik der
Verminderung unserer Ansprüche. Das sagt
man nicht gern in der Öffentlichkeit, aber
ich hab ja in dieser Hinsicht auch nichts
mehr zu verlieren. Deswegen glaube ich,
dass wenigstens einige das sagen müssen.
Das heißt also, bevor die Politik das tun
kann, muss die Bevölkerung zumindest in
Teilen das schon eingeübt haben, denn
niemand ist so schizophren – Da sind wir
übrigens wieder bei der Psychologie – eine
Politik zu wählen, die einen dazu zwingt,
das zu tun, was Mann oder Frau freiwillig
nicht zu tun gedenkt. Ok. Aber wenn
tatsächlich solche Mehrheiten da wären,
ist es ganz einfach: Jeder Mensch hätte am
1.1. eines neuen Jahres ein bestimmtes
Budget z.B. an CO2-Emissionen, die er oder
sie noch freisetzen dürfte, an Abfall, an
Flächenbeanspruchung usw.. Mit diesem
Budget muss gewirtschaftet werden. Was die
Politik auch tun kann ist, sie muss
unbedingt es den öffentlichen und privaten
Unternehmen leichter machen, Arbeitszeit
zu verkürzen. Denn wir können soziale
Gerechtigkeit, Freiheit und Stabilität am
Ende auch die Demokratie nur bewahren,
wenn der Rückbau der Wirtschaft einhergeht
mit Verteilungsgerechtigkeit. Und das
vollzieht sich am ehesten auf der Ebene
der Verteilung der knapper gewordenen
Arbeitszeit, wenn die Wirtschaft kleiner
wird. 3. muss die Politik das
Bildungssystem umgestalten. Universitäten
müssen geschlossen und teilweise
zurückgebaut werden. Wir haben einen viel
zu großen Hochschulbereich, der aus
Menschen, Konsumenten und Weltreisende
macht. Wir brauchen eine Bildung, die
Menschen dazu befähigt, wieder
handwerklich, manuell, substanziell zu
arbeiten. Und natürlich brauchen wir
Universitäten, aber nicht so viele wie
jetzt. Das heißt, der Bildungsbereich muss
Menschen dazu befähigen, auch
deindustrialisiert und deglobalisiert mit
weniger Technologie in die Lage zu kommen.
Also eben auch, sich zu versorgen.
H: Ja, super. Danke. Sorry, ich hatte hier kurz
technische Schwierigkeiten.
[Gerede im Hintergrund]
Gibt es denn zu dem Thema detaillierte
Vorlesungen online von dir?
[Gerede im Hintergrund]
N: Es gibt von mir natürlich eine Menge
Vorlesungen, aber ... und die sind
natürlich jetzt während der Corona-
Pandemie logischerweise online. Aber die
sind jetzt nicht öffentlich, weil sonst
natürlich alle, die sich bei uns
einschreiben, fragen, warum sie sich den
einschreiben, wenn alles was an den
Universitäten läuft, öffentlich ist. Aber
... aber weißt du, ich bin nicht
jemand, der da so eine Art Wächterfunktion
hat. Also wer einfach in eine
Veranstaltung von mir kommt, wird nicht
gefragt, wer er ist, wie er heißt und
welche Berechtigung er oder sie hat. Ich
habe das erlebt in der Präsenzzeit in der
Prä-Corona-Zeit, dass plötzlich Leute in
Vorlesungen kamen und sich da verstohlenen
irgendwohin setzten aus Neugierde. Und die
waren herzlich willkommen, diese Leute.
Aber, ich meine, ich kann hier und da mal
einen Vortrag beisteuern, der sicherlich
auch Inhalte aus Vorlesungen mit aufgreift
im Kontext von Postwachstumsökonomik.
H: Okay, wir haben jetzt tatsächlich gar
nicht mehr so viel Zeit. Ich würde aber
gerne noch die Frage stellen: Also die
Klimakrise ist ja auch eine soziale Krise
und den Wachstumszwang
gesamtgesellschaftlich aufzugeben, scheint
unumgänglich zu sein.
[Gerede im Hintergrund]
Aber wie kann dabei noch ein gutes Leben
für alle gewährleistet werden? Also gibt's
... Stichwort Umverteilung z.B.
N: Also jede Art von Gerechtigkeit, die
sich als Konzeption nicht in unheilbare
Widersprüche verwickeln will, muss eine
globale Gerechtigkeit sein. Und
Gerechtigkeit heißt, die knappsten Güter,
also jene, von denen unsere Existenz
abhängt, zuvorderst global gerecht zu
verteilen. Und das heißt eben, dass der
Verteilungsschlüssel des 21. Jahrhunderts
sich nicht festmachen lässt an der
Einkommens- oder Vermögenssteuer, obwohl
ich für ein ganz anderes und viel
gerechteres Einkommens- und
Vermögenssteuerrecht bin. Das ist gar
keine Frage. Aber es geht um die
Verteilung der ökologischen Ressourcen.
Wer darf sich noch mit welchem Recht
wieviel an materiellen Freiheiten nehmen,
wohl wissend, dass es keine materielle
Freiheit ohne ökologischen Verschleiß oder
ohne ökologischen Schaden gibt? Bezogen
auf das wichtigste ökologische Problem
diskutieren wir doch nun seit 30 Jahren
darüber und das ist der Klimawandel. Und
es ist vollkommen klar. Wollen wir
überleben, wollen wir das 1,5- und 2-Grad-
Klimaschutzziel erreichen, dann gibt es
gemessen an einem bestimmten
Planungshorizont, nehmen wir mal das Jahr
2050 als Ende dieses ersten
Planungshorizont, dann gibt es ein
bestimmtes irdisches Budget an CO2-
Äquivalenten, die wir noch freisetzen
dürfen, ohne eben diese ökologische
Reißleine zu kappen. Und wenn wir dann
dieses Budget auf alle derzeit lebenden
7,7 Milliarden Menschen egalitär, also
gerecht verteilen, hat jeder Mensch von
uns noch ungefähr eine Tonne an CO2
Äquivalenten. Damit sparsam umzugehen
heißt nicht in der Hölle zu leben, sondern
heißt, dekadenten Luxus links liegen zu
lassen und sich mehr zu konzentrieren auf
die basalen Grundbedürfnisse und ein
Augenmerk zu legen auf das, was ich in
meiner letzten Buchpublikation als den
kleinen Luxus bezeichnet habe. Es gibt so
viele schöne Dinge im Leben, die
wahnsinnig Spaß machen, die überflüssig
sind, die man nicht begründen kann, die
man trotzdem gerne tut, die aber überhaupt
keinen ökologischen Rucksack haben, der
nennenswert ist. Warum also richten wir
unsere Aufmerksamkeit nicht auf diese
Dinge?
H: Könntest du da mal 2, 3 Beispiele
nennen? Gerne?
N: Ja, z.B. das, was ich heute Abend
wieder nicht tun kann, aber bald wieder
tun werde. Nämlich Wirtshäuser zu
besuchen, auf Konzerte zu gehen natürlich
solche, wo ich nicht hin fliegen muss. Ich
lebe in einem Land, ich lebe in
Mitteleuropa. Ich kann ohne Flugzeug die
geilsten Bands erleben. Ich kann selber
Musik mache. Ich spiele zwei Bands. Ich
kann im Garten arbeiten. Ich kann
spazieren gehen. Ich kann mit meinen
Freunden, mit meiner Peergroup die
wildesten Geschichten veranstalten. Ich
kann basteln. Ich kann lesen. Ich kann
auch Musik hören. Alles Mögliche. Es gibt
1000 verschiedene Varianten eines kleinen
Luxus, der einen so geringen ökologischen
Rucksack hat, dass ich also quasi in einem
Wohlstand schwelge, der mir gut tut und
der der Ökosphäre auch keinen Schaden
zufügt.
H: Ja, danke dir. Wie ist es denn, wenn
jetzt nur Deutschland diese Vorschläge
umsetzen kann? Was passiert denn dann mit
dem Rest der Welt? Wir haben jetzt...
N: Da passiert eine ganze Menge.
Deutschland ist eine kulturelle
Kolonialmacht. Das hasse ich, weil ich was
gegen Kolonialismus habe. Aber da es so
ist, frage ich mich: Wenn wir das, was wir
derzeit durch unsere kulturelle Hegemonie
in die Köpfe und in die Orientierung und
Erwartungshorizonte anderer Menschen
implementieren sozusagen, ja?
Wenn wir das verändern,
indem wir das Land sind auf diesem
Planeten, das sagt: Wir machen mal den 1.
Schritt. Wir versuchen mal vorzuführen,
wie es ist, so zu leben, dass wenn alle so
leben, dass wir dann die ökologischen
Grenzen einhalten können. Das hätte einen
total großen Effekt. Ich kann die Menschen
in Afrika, die mir sehr am Herzen liegen,
die kann ich nur dann dazu bringen, unsere
Fehler zu vermeiden, wenn wir als erste
diese Fehler erkennen und uns davon
verabschieden. Wir tun aber genau das
Gegenteil. In Deutschland wird jedes Jahr
in allen Bereichen ein neuer Rekord
erzielt, was ökologische Zerstörung
anbelangt. Leider auch im Klimabereich.
Und so können wir keine Politik machen. So
können wir auch niemanden auf diesem
Planeten anstiften oder inspirieren,
endlich ökologische Verantwortung
anzunehmen. Das, was ich nicht vor der
eigenen Haustür hinbekomme, das kann ich
auch nicht auf anderem Wege Menschen auf
anderen Kontinenten nahelegen. Etwas mehr
Glaubwürdigkeit und etwas weniger
Heuchelei in der Politik, in der
Nachhaltigkeitskommunikation, ja sogar in
der Wissenschaft täte uns also gut.
H: Ja, super. Das ist ja ein großartiges
Abschlusswort. Vielen Dank dir für die
Beantwortung der Fragen, für den tollen
Vortrag und … Mach's gut! Dankeschön!
N: Ich danke euch vielmals. Aus!
[Abspannmusik]
Untertitel erstellt von c3subtitles.de
im Jahr 2021. Mach mit und hilf uns!