Musik
Herald: Herzlich willkommen mal wieder in
Saal 1. Wir bleiben auf der rechten Seite,
zumindest auf der politisch rechten Seite.
Einige von euch waren ja eben schon bei
den NSU-Monologen da. Jetzt geht es hier
weiter, und zwar mit Menschen, die ich bis
vor ein paar Jahren noch als
„Schnullernazis“ bezeichnet habe. Also
diese, ja ich habe da so ein Ressentiment,
ich trau mich nicht mal, das richtig zu
sagen. Da hat sich ein bisschen was
geändert, vor allen Dingen über die
letzten zwei Jahre. Diese Menschen, früher
von mir so genannt, scheinen mittlerweile
zumindest in irgendeiner Weise tonangebend
zu sein, und genau deswegen haben wir uns
gedacht, stellen wir doch mal – ha, jetzt
habe ich den Zettel verbaselt, siehst du.
Das ist das Problem, da willst du
irgendwie so einen Linken ansagen, da
musst du immer alles ablesen. Bei den
Nazis ist das total einfach, da heißen die
alle so „Führer“ oder „Und jetzt der
Führer“ oder irgendwie so was. Bei den
Linken ist das ein bisschen anders. Der
nächste Vortrag heißt „Durchmarsch von
rechts und was wir dagegen tun können“.
Ich hoffe, wir kriegen eine Antwort
darauf, weil manchmal ist ja auch ganz
angenehm um die Uhrzeit den Kopf nicht
mehr selber zum Denken benutzen zu müssen.
Wir hören den Referenten zum Schwerpunkt
Neonazismus und Strukturen und Ideologien
der Ungleichwertigkeit an der Akademie für
politische Bildung der Rosa-Luxemburg-
Stiftung in Berlin, Friedrich Burschel.
Bitte schön.
Applaus
Friedrich Burschel: Ja hört man das? Ja.
Vielen herzlichen Dank. Vielen Dank für
die Einladung an den Chaos Computer Club,
dass ich hier sprechen darf. Ich fühle
mich sehr geehrt, auch dadurch, dass ihr
fast alle Plätze besetzt habt hier im
Saal. Das überrascht mich um diese Zeit,
11 Uhr.
Gelächter und Applaus
Aber bevor ich
anfange, vielleicht doch noch ein
ergänzendes Wort zu mir selber, meiner
Arbeit. Meine Arbeitgeberin, die Rosa-
Luxemburg-Stiftung, ermöglicht es mir,
auch den NSU-Prozess in München zu
beobachten und ich bin fast jede Woche
im Prozess und kenne daher natürlich auch
Alexander Kienzle und das ist mir
tatsächlich ihn sehend ein Bedürfnis, vor
denjenigen Nebenklagevertreterinnen und
-vertretern, die wirklich fantastische
Arbeit machen in diesem NSU-Prozess in
München, meinen Hut ganz tief zu ziehen,
meine Hochachtung und meinen Respekt für
ihre Arbeit auszusprechen.
Applaus
Also ihr wisst vielleicht,
in München gibt es zum ersten
Mal so viele Nebenkläger und
Nebenklägerinnen, die durch – also das
sind insgesamt 77, die von über 50
Nebenklageverterterinnen und -vertretern
vertreten werden. Von denen sind nicht
alle so engagiert und machen fantastische
Arbeit wie Alexander Kienzle. Und sagen
wir mal, so 15 weitere, die diese Arbeit
im Prozess machen. Die zu unterstützen ist
auf jeden Fall Teil auch von unserer
Arbeit. Ich bin nämlich auch Teil von NSU-
Watch. Ich würde euch sehr herzlich
bitten, wenn ihr Gelegenheit habt, mal auf
die Homepage nsu-watch.info zu gehen, auch
über eine Spende nachzudenken. Das ist ein
komplett spendenfinanziertes Projekt. Wir
machen von jedem Prozesstag ein
ausführliches Protokoll und
Zusammenfassungen auf deutsch und
türkisch. Keiner, niemand von uns hat
gedacht, dass sich dieser Prozess sich so
unglaublich lang in die Länge ziehen
würde. Ihr wisst, der 332. Prozesstag nach
3,5 Jahren war vergangene Woche. Also wir
brauchen auf jeden Fall Unterstützung, um
jetzt in den Endspurt gehen zu können und
unsere Aufgabe dort weiter machen zu
können. Schaut auf nsu-watch.info und
spendet uns, auch eine Kleinigkeit ist
herzlich willkommen.
Applaus
Vielleicht auch noch
etwas, was schon eigentlich zum Vortrag
„Durchmarsch von rechts“ dazugehört,
nämlich die Frage, was wir tun können. Ich
werde natürlich auch den ganzen Abend auch
immer wieder – oder die ganze Stunde, die
wir haben, gemeinsam immer wieder auf den
NSU zurückkommen. Das lässt sich leider
Gottes auch kaum vermeiden bei diesem
Thema. Aber es gibt schon etwas, worauf
ich euch hinweisen kann im nächsten Jahr,
wo wir alle tätig werden können, was wir
alle unterstützen können und das wird das
NSU-Tribunal sein. Ab dem 17. Mai nächsten
Jahres wird es ein selbstorganisiertes,
selbstermächtigtes Tribunal geben.
Vielleicht kennt der eine oder die andere
von euch so diesen Tribunalcharakter, es
hat berühmte Tribunale gegeben, wie das
Russel-Tribunal, wo es um den
Vietnamkrieg ging, die Stephen Lawrence
Inquiry in London zur Ermordung eines
Jungen und ähnliche Beispiele. Und so
etwas ähnliches soll auch in Köln nächstes
Jahr ab dem 17. März stattfinden. Es soll
dort geklagt werden, um die Ermordeten und
die Opfer des NSU, die Betroffenen und
Geschädigten. Es soll angeklagt werden der
deutsche Staat für die Nichtaufklärung,
die Nichtaufarbeitung des NSU. Und es
sollen Konsequenzen eingeklagt werden. Und
ich fordere euch alle auf, diese
Initiative zu unterstützen und aufmerksam
im Internet zu verfolgen, wie sich das
Tribunal bis dahin entwickelt. Und wer
Zeit, Lust und Energie hat kann natürlich
auch an diesem Tribunal teilnehmen. Aber
jetzt …
Applaus
Friedrich Burschel: Danke. Jetzt komme ich
zu meinem eigentlichen Thema heute Abend
und ihr werdet mir einen Einstieg
gestatten, der jetzt vielleicht nicht
gleich am Anfang einleuchtet, aber
durchaus einen Sinn hat. Ich habe im
Oktober 2016, also dieses Jahres an einer
Exkursion zu den Städten des deutschen
Vernichtungswahns in Südostpolen
teilgenommen. Wir haben im Laufe der Reise
die Orte der Vernichtungslager Bełżec und
Sobibór besucht. Die Orte der einstigen
Ghettos in Lublin und Izbica, sowie das
Konzentrationslager Majdanek. Ein weiteres
reines Vernichtungslager, Treblinka stand
nicht auf dem Exkursionsplan. Vom 17. März
1942 bis Ende 1943 wurden im Zuge dieser
monströsen Mordoperationen fast
2 Millionen Jüdinnen und Juden und auch
viele Roma umgebracht und fabrikmäßig
ermordet. Anders als etwa in Auschwitz gab
es keine Selektionen, sondern die Menschen
wurden an die Orte der Vernichtung
ausschließlich zu ihrer Tötung gebracht.
Es gab dort nur Ankunftsbereiche mit
Eisenbahnzugang, kleine Lager für die
wenigen Häftlinge, die zur Arbeit in den
Todesfabriken gezwungen und die
Gaskammern, in denen die Menschen mit den
Abgasen von großen Dieselmotoren erstickt
wurden. Den Aktionen fielen in Bełżec etwa
eine halbe Millionen Menschen, in Sobibór
etwa 250.000 und in Treblinka 900.000
Menschen zum Opfer. Zum Abschluss der
sogenannten Aktion „Reinhardt“ gab es noch
die Aktion „Erntefest“, in deren Verlauf
im November 1943 in nur 3 Tagen 43.000
Menschen von SS und Polizei direkt an
Massengräbern hinter dem KZ Majdanek
erschossen wurden. Um die Opfer noch zu
verhöhnen gab es in Bełżec – hier übrigens
ein Bild von der wirklich sehr
beeindruckenden Gedenkstätte dort – um die
Opfer noch zu verhöhnen gab es in Bełżec
über dem Eingang zur Todeszone der
Gaskammern ein Schild mit der Aufschrift
„Hackenholt-Stfitung“. Lorenz Hackenholt aber
war nur der SS-Mann, der als Techniker die
Dieselmotoren für die Vergasungen umbaute.
Diese Exkursion hat mich zutiefst entsetzt
und wütend gemacht,
aber, so werdet ihr mich vielleicht
jetzt fragen, warum erzählt er uns das?
Mir sind in Polen, als wir dort unterwegs
waren, Episoden eingefallen aus dem NSU-
Prozess, die genau mit diesen
Vernichtungs- und Mordwahn der Deutschen
zu tun hatten. Ihr werdet vielleicht im
Zusammenhang mit der Berichterstattung
über den Prozess von dem Spiel „Pogromly“
gehört haben. Dieses Spiel ist von den
NSU-Leuten erfunden worden. Eine Art
Monopoly für Hardcore-Nazis, für Nazi-
Terroristen, wo es wie bei Monopoly auch
Ereigniskarten gibt. Und eine dieser
Ereigniskarten, das wurde des öfteren im
Prozess wiederholt, heißt „Du hattest auf
ein Judengrab gekackt, leider hattest du
dir hierbei eine Infektion zugezogen.
Arztkosten 1.000 Reichsmark“. Also ich
sehe hier über die fast 75 Jahre von
Bełżec bis zum NSU eine
Denktraditionslinie, eine Traditionslinie
der Verhöhnung und der Verachtung von
Menschen. Bei der Hausdurchsuchung bei
einem der Angeklagten, nämlich Ralf
Wohlleben aus Jena, wurde in seinem Besitz
ein T-Shirt gefunden, ein Schlaf-T-Shirt,
wie er selber sagte, in seinem
Schlafzimmer, auf dem in Frakturschrift
„Eisenbahnromantik“ stand und man darunter
die Gleise sehen konnte, die auf den
Haupteingang des Vernichtungslagers
Auschwitz-Birkenau zuführen. Ich zeige
euch das ganz kurz, damit ihr euch eine
Vorstellung davon machen könnt. Lange
wollen wir uns das natürlich nicht
anschauen. So sieht das aus. Das hatte er
quasi täglich, wenn er nachts zum Schlafen
ging, an und hat damit quasi seine
Verbundenheit mit der Massenvernichtung
durch die Nazis bekundet. Also man sieht
auch hier eine unmittelbare Anknüpfung,
positive Bezugnahme auf die
Massenvernichtung der Nazis. Das ist
Alltag unter organisierten Neonazis in
Deutschland. Dass das auch durchschlägt in
den rassistischen Alltag zeigt der Skandal
von Zorneding östlich von München, wo sich
der katholische Pfarrer Olivier Ndjimbi-
Tshiende, nachdem er sich Mitte 2015 gegen
rassischen Äußerungen aus den Reihen der
örtlichen CSU gewandt hatte,
von CSU-Mitgliedern mit dem
N-Wort beschimpft wurde, postalisch
mehrere Morddrohungen erhielt, darunter
eine Postkarte mit dem Satz „ab mit dir
nach Auschwitz“. Herr Ndjimbi-Tshiende ist
seit Mitte März nicht mehr in Zorneding,
also dieses Jahres. Seine Gegnerinnen und
Gegner haben erreicht, was sie wollten.
Und die einstige CSU-Ortsvorsitzende
kommentierte das Geschehen mit dem Satz
„im Leben gibt es immer Ankünfte und Gehen,
das ist ein normaler Prozess“. Das passt
wiederum ideologisch hervorragend zu einem
Zitat der notorischen einstigen AfD- und
Pegida-Aktivistin Tatjana Festerling,
dass sie im Januar dieses Jahres in
Sebnitz absonderte. Ich zitiere, „und wenn
die große Politik kapituliert, ja da
bleibt uns doch gar nichts anderes übrig,
als hier vor Ort Vertreibungspolitik zu
betreiben. Mit friedlicher aber
konsequenter Vertreibung halten wir
wenigstens erst mal Sachsen und vielleicht
ja auch irgendwann Ostdeutschland frei.
Vertreibungen sind in der Geschichte etwas
ganz normales. In ein paar Jahren kräht
kein Hahn mehr danach oder, besser, doch. Es
verschafft den Gebieten, vor allem den
grenznahen Gebieten Standort- und
Wettbewerbsvorteile.“ Soweit Tatjana
Festerling. Aber es gibt auch Menschen,
die den Holocaust nicht direkt gutheißen,
sondern ihn einfach nur leugnen. Und die
Stimmung im Land der Täter, aber auch in
anderen Ländern, ist inzwischen bereit,
diese kontrafaktische Leugnung zu
akzeptieren. Wiederum und immer wieder
unter der Überschrift „das wird man doch
wohl nochmal sagen dürfen“. So etwa der
einstige Baden-Württembergische AfD-
Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon, der
in seinem 2009 erschienenen 3-bändigen
Werk mit dem Titel „Christlich europäische
Leitkultur“ leugnet, dass es sich bei den
Protokollen der Weisen von Zion um eine
perfide antisemitische Fälschung handelt.
Ich weiß nicht, ob alle die Protokolle der
Weisen von Zion kennen. Das ist eine der
perfidesten und langlebigsten
antisemitischen Fälschungen. Es wird von
dort von einem
Zusammentreffen von Juden auf einem
Prager Friedhof berichtet in diesen
Protokollen, wo quasi die Übernahme der
Weltherrschaft durch die Juden verabredet
wird. Und Herr Gedeon, der mit den
Erfolgen der AfD in den Baden-
württembergischen Landtag gespült wurde,
meint, dass diese Protokolle also durchaus
keine Fälschung sind. Das alleine reicht
aber nicht, denn er relativiert den
Holocaust im Ganzen, wenn er einerseits
zwar betont, dass der Massenmord an den
europäischen Juden singulär gewesen sei,
andererseits aber meint, es müssten
gleichwohl auch die, wie er es nennt,
Holocaustrevisionismus und die
Geschichtsdissidenten ernstgenommen
werden. Gedeon, ich zitiere „andernfalls
wäre es ehrlicher, gleich ein
Wahrheitsministerium im Orwellschen Sinne
einzurichten und es beim Zentralrat der
Juden in Deutschland anzusiedeln“. Also
sehr eindeutig hier aus dem quasi
politischen Establishment der AfD heraus,
ein Holocaust-relativierender Satz. Wir
finden solche Ansätze auch natürlich beim
notorischen Björn Höcke, der etwa zur
Verurteilung von Ursula Haverbeck, einer
wirklich notorischen inzwischen
87-jährigen Holocaustleugnerin, von
Meinungsdelikt spricht. Also das ist ja
die Diktion quasi der Rechten bis hinein
in die AfD, wenn es um die Leugnung des
Holocaust und Auschwitz geht, und beklagt,
dass für dieses Meinungsdelikt die
87-jährige Seniorin zu 11 Monaten
Gefängnis verurteilt worden ist. Das ist
die soundsovielte Verurteilung dieser
Frau, die nun endlich auch ohne Bewährung
bedeutet, dass sie die Strafe absitzen
muss. Vielleicht dazu passend noch die
jüngste Meldung – also ich glaube, ich
habe sie gestern gelesen, die muss also
ganz taufrisch sein – Bernd Pachal von der
AfD-Fraktion in der
Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-
Hellersdorf Berlin lobte auf Facebook die
kluge Politik Reinhard Heydrichs, als
Statthalter der Nazis in Prag. Allen
Ernstes, man muss sich das wirklich
vorstellen. „Dieser stellte“, Zitat Pachal
„schon vom ersten Moment an die Weichen
richtig im
besetzten Tschechien. Und sei bei der
Bevölkerung beliebt gewesen“, meint dieser
Herr Pachal. Es ist übrigens Reinhard
Heydrich, nach dem die oben erwähnte
Aktion „Reinhard“ benannt war, die ich
eingangs beschrieben habe. Das Foto habe
ich übrigens in Hamburg gemacht in der
Schützenstraße, wo Süleyman Taşköprü
ermordet worden ist am Tag nach der Wahl
hier, nach der Bürgerschaftswahl. Aber
greifen wir hier nochmal Wolfgang Gedeons
Wort vom Ernstnehmen auf. Und zwar sagt ja
Gedeon, man soll die Holocaustleugner
ernstnehmen, auch wenn er den Holocaust
nicht direkt bezweifelt. Ist das nicht
auch die Vokabel, also das Ernstnehmen,
ist das nicht auch die Vokabel, mit der
alle Welt gerade versucht, rassistische
und faschistische Hetze auf den Straßen des
Landes und auf dem ganzen Kontinent
einzufangen und wieder einzuhegen in die
bewährten Bahnen der westlichen
Demokratie? Denn was sich da auf den
Straßen des Landes, in Deutschland
vielleicht mit Schwerpunkt in Sachsen,
zusammenrottete waren überwiegend alles
andere als Menschen, die ernstgenommen
werden wollten, sondern solche, die
ernstmachen wollten. Ein seit Jahrzehnten
ohne großen Einfluss vor sich hindümpelnde
neue Rechte erlebt eine enorme Konjunktur
im Moment. Ihren einstigen „Rufern in der
Wüste“, wie Götz Kubitschek vom neurechten
Institut für Staatspolitik oder Hardcore-
Trollen, wie dem Kompakt-Chefredakteur
Jürgen Elsässer, hören auf einmal tausende
zu und freuen sich, dass „so kluge“ Menschen
ihnen aus der Seele sprechen. Durch die
Decke gehen die Wahlergebnisse der
Alternative für Deutschland seit ihrem
Auftauchen im Jahr 2013. Also bitte, man
muss sich mal überlegen, wie unglaublich
schnell das alles gegangen ist. Die
Ereignisse überschlagen sich und
überschlagen sich noch jetzt. Befeuert
durch die beschriebenen Umstände, noch bei
jeder Wahl erzielte die einstige Anti-Euro-
Partei der Wirtschaftsprofessoren und
Unternehmer nach einigen politischen
Häutungen zur neonationalistischen
völkischen Antiestablishment-
Partei gewandelt, aus dem Stand
zweistellige Ergebnisse, sitzt heute in 10
Landesparlamenten von 16 und bereitet sich
auf den anscheinend unaufhaltsamen Einzug
in den Bundestag vor. Das heißt also, wir
dürfen durchaus erwarten, dass das
kommende Jahr 2017 nochmal trüber wird als
die zurückliegenden zwei. Nach Euro-EU-
korrupten Regierungen waren ab Mitte 2015
Geflüchtete das Hauptfeindbild. Wo NPD-
Nazis noch den „Volkstod“ beschworen, ist
heute von Umvolkung, illegalem
Menschenimport und Bevölkerungsaustausch
die Rede. Aber auch Linke, LGBTQI-Leute
stehen im Fokus der Rechten, eine
angebliche Verschwulung der Gesellschaft
und die Frühsexualisierung der Kinder. Es
werden schauerliche Frauen- und
Familienbilder reanimiert und gegen
„Genderterror“ und „linksversifften
Feminismus“ in Stellung gebracht. In einem
der Programmentwürfe der AfD wird von
Alleinerziehenden auch gesprochen, von
einem selbstgewählten Leben als
Alleinerziehende, wo ganz klar wird, die
Umstände, warum jemand alleinerziehend
ist, interessieren nicht, Mann und Frau
müssen auf jeden Fall da sein, um diese
Familie zu konstituieren. Es taucht eine
zunächst nicht so stark in Erscheinung
tretende identitäre Bewegung auf, die vor
allen Dingen den Ethnopluralismus nochmal
versucht stark zu machen. Ethnopluralismus
bedeutet, dass man sagt, es gibt zwar
verschiedene Völker, wie sie sagen und man
akzeptiert auch alle verschiedenen Völker,
aber nur dort, wo sie geschichtlich auch
hingehören. Das heißt also die saubere
Trennung von Völkern und Nationen steht da
auf dem Programm. Das ist ein altes Bild,
eine alte Diktion von Alain de Benoist,
einem französischen neuen Rechten. Auch
nicht mehr ganz so neu. Das Schlimme an
der identitären Bewegung ist ihre
Aktionsformenpiraterie. Das heißt also wir
sind konfrontiert mit Leuten, die sehr
genau bei linken Aktionen hingeschaut
haben und sie einfach kopieren. Das sind
Störaktionen, die es schon vorher gegeben
hat, als sogenannte konservativ-subversive
Aktionen von etwa …
inspiriert von Götz Kubitschek, der
auch selber daran beteiligt war. Das hat
inzwischen an Finesse gewonnen. Die
identitäre Bewegung bewegt sich geläufig
im Internet und versteht es durchaus ihr
Lamda-Zeichen zu labeln, präsent zu
halten. Aber ihre Aktionen, die sehr
effektvoll sind, das muss man tatsächlich
so sagen, haben durchaus etwas
gewaltförmiges und bedrohliches, etwa im
April dieses Jahres haben sie ein Stück
von Elfriede Jelinek an der Uni Wien
gestört, an dem auch Geflüchtete beteiligt
waren und entstand dort durchaus eine
retraumatisierende Panik unter den
Betroffenen. Weitere Aktion, die sehr
große Furore gemacht hat, war hier die
Besetzung des Brandenburger Tores und das
entsprechende Herablassen von
Transparenten. Das ist schon sehr
professionell. Ob man die identitäre
Bewegung tatsächlich als Bewegung
bezeichnen kann, wir gehen so von 400-500
Aktivistinnen und Aktivisten aus.
Nichtsdestoweniger wie gesagt, ihre
Aktionen sind sehr effektiv. Um welche
Gegenbilder geht es diesen, ja,
zusammenschießenden rechten Bewegungen,
dieser neuen rechten Bürgerbewegung?
Natürlich taucht außer der Nation auch die
Volksgemeinschaft auf, Frauke Petry, die
Bitch der AfD, wie sie von Kebekus genannt
wurde …
Applaus
… möchte das Wort
„völkisch“ wieder aufwerten und in den
normalen Sprachgebrauch zurückführen. Es
geht um christliches Abendland, um
abendländische Kultur. Es geht um wir und
die, es geht um die Opfergemeinschaft der
Deutschen, die sich zum letzten Gefecht
versammelt. Diese Töne sind immer lauter
geworden im Laufe des vergangenen Jahres,
als die sogenannte – schrecklicherweise
übrigens – sogenannte Flüchtlingskrise
einem Höhepunkt zustrebte. Da wurde Bezug
genommen auf Bilder des Ausnahmezustands,
da wurde expressis verbis auf Karl Schmidt
zurückgegriffen, den Kronjuristen des
Dritten Reiches, der den Ausnahmezustand
beschrieben hat und gesagt hat, „souverän
ist, wer über den Ausnahmezustand
verfügt“. Es werden überhaupt sehr viele
Rückbezüge auch auf die konservative
Revolution der Weimarer Zeit genommen. Es
wird das Widerstandsrecht aller Deutschen
beschworen. Es wird sich bezogen aber
durchaus auch auf den Artikel 20 des
Grundgesetzes und es wird sich auch darauf
berufen, dass möglicherweise – also
berufen auf Ernst Jüngers Idee – dass
möglicherweise nur 1% aller Deutschen
nötig wären, um das System entweder zu
erhalten oder umzustürzen, deswegen auch
dieses Gemeinschaftsprojekt der Webseite
1%. Unser Autor in dem Buch, was man
anfangs sehen konnte, Felix Korsch spricht
von Neovigilantismus mit Blick auf
Sachsen. In der zweiten Jahreshälfte 2015
sind dort enorm viele Bürgerwehren
entstanden. Das sind Formen von
Selbstermächtigung von Bewaffnung, da
gehen Leute auf Streife, sprechen von
Selbstschutz und dergleichen. Das ist ein
ausgesprochen gefährliches Phänomen. Sie
behaupten, sie müssten eine Regierung, die
illegales tut, absetzen und müssten die
alte Ordnung wieder herstellen und dazu
seien sie auch nach dem Grundgesetz
berechtigt, was Quatsch ist. Natürlich
gehören zu diesen Gedankenwelten auch die
Reichsbürger dazu. Es ist vorhin schon
gesagt worden, in der Veranstaltung vorher,
ja leugnen, dass es die Bundesrepublik
Deutschland als staatliches
Gebilde überhaupt gibt. Viele Menschen
in diesem Land denken, dass Deutschland
ein besetztes Land ist und nicht souverän
ist. Ob einen das jetzt kümmert oder
nicht, es ist sehr weit verbreitet und
bietet für die Leute sehr viel Anlass zu
denken, sie dürften sich selbst
ermächtigen so wie die Reichsbürger. Die
fertigen ja Pässe aus, sie bewaffnen sich
und es ist bezeichnend, dass die
Reichsbürger erst jetzt in den Fokus
geraten sind, nachdem es zu einer
Gewalttat gekommen ist. Es hat vorher sehr
sehr viele Hinweise gegeben auf die
Reichsbürger, unter anderem von Antifa-
Recherche in den einschlägigen Blättern,
aber sie wurden als Querulanten und
Spinner abgetan, inzwischen hat sich das
verändert, darauf kommen wir noch zurück.
Im Moment erleben wir, wie sich eine
rechte Bürgerbewegung rasant entwickelt.
AfD, Pegida, Identitäre, ich habe sie alle
schon erwähnt und organisierte Neonazis
finden zusammen, verlieren ihre
Berührungsängste gegenüber einander.
Jüngstes Beispiel und erschreckendes
Beispiel dafür ist etwa die Zusammenkunft
nach dem Anschlag von Berlin. Es traten
auf, auf der Seite der gegen Einwanderung
und Islamismus und/oder Muslime
Protestierenden Alexander Gauland und
Björn Höcke vom rechten Flügel der AfD.
Wobei rechter Flügel der AfD ja schon auch
was bedeutet, mein lieber Schwan.
Gelächter und Applaus
Es war Jürgen Elsässer da,
es war Götz Kubitschek da, ich habe
diese Namen schon genannt, es ist ein
bisschen Namedropping, aber die sollte man
auch im Auge behalten. Und es war Philip
Stein von der deutschen Burschenschaft da,
der dieses gemeinsame Webprojekt 1%
betreut. Und sie demonstrierten gemeinsam
gegen die Invasion der Islamisten. Aber
wir wollen uns auch, zumindest kurz, die
echten Nazis nochmal anschauen. Es gibt
neue Nazi-Parteien, möglicherweise auch
schon als Auffangbecken für NPD-Mitglieder
gedacht, die nach einem Verbot eine neue
Heimat suchen könnten. Ihr wisst
vielleicht, am 17. Januar verkündet das
Bundesverfassungsgericht, ob die Partei
verboten wird oder ob sie nicht verboten
wird. Es ist relativ offen, was dabei
rauskommt. Aber es gibt diese neuen
Parteien, Die Rechte zum Beispiel und den
Dritten Weg. Sie treten als ausgesprochen
aggressive Splitterparteien hervor und
versuchen auf den völkischen Aufstand
aufzusatteln. Wenn ich den Dritten Weg
nenne, fallen mir zwei der Frontmänner
dieser Partei ein. Das eine ist Karl-Heinz
Statzberger und das andere ist Maik
Eminger. Diese beiden Männer waren am
ersten Tag des NSU-Prozesses am 6. Mai
2013 im Zuschauerbereich des Gerichtssaals
und haben sich in die erste Reiche gesetzt
und haben sich dort gespreizt und sehr
selbstbewusst gegeben. Karl-Heinz
Statzberger ist ein verurteilter
Rechtsterrorist, der zu der Wiese-Gruppe
gehörte, die die Grundsteinlegung des
jüdischen Gemeindehauses in München … einen
Anschlag darauf verüben wollte. Und Maik
Eminger ist der eineiige Zwillingsbruder
des Angeklagten André Eminger im NSU-
Prozess. Also wir kommen auch immer
wieder, wir können es drehen und wenden,
auf den NSU zurück. Schauen wir aber mal
dahin. Wir sind ja immer so ein bisschen
fokussiert auf die Rechten, die extrem
Rechten, die Neonazis und sitzen oft der
Versuchung auf, das was sich diesseits
dieser Nazis befindet für gut zu befinden
oder für in Ordnung. Ich würde sagen, das
ist eine zumindest
zweifelhafte Einschätzung. Wenn
ausgerechnet Bundesinnenminister Thomas
de Maizière von einer Teilverrohung der
Gesellschaft spricht, was er getan hat am
28. Mai in der Zeit, muss die Lage
wirklich sehr ernst sein. Denn er ist und
war, was diese Verrohung angeht, eher Teil
des Problems als der Lösung.
Applaus
Seine Amtszeit steht für Flüchtlingsabwehr
und das Durchpeitschen von Antiasyl- und
Aufenthaltsgesetzen, die mühsam erkämpfte
Standards der zurückliegenden zwei
Jahrzehnte mit leichter Hand abräumen. Er
beteiligte sich wie viele andere, aber
mit dem Gewicht eines Bundesministers an
der Panikmache vor den Geflüchteten. Man
denke nur an sein halsstarriges Beharren
im Oktober 2015, also am Höhepunkt der
gegen Ankommende tobende Hetze. Er
beharrte damals darauf, dass 30% der
syrischen Geflüchteten „falsche Syrer“
seien. Er konnte damals auf mehrfache
Nachfrage von Medien und Opposition seine
Behauptung nicht belegen. Blieb aber bis
zum Schluss dabei und hat damit zu einer
Situation beigetragen, in welcher sich,
wie er es sagte, „unbescholtene Bürger“
berufen fühlten, plötzlich Gewalt
anzuwenden. Wenig später hat er das dann
nochmal wiederholt. Das ist also
tatsächlich auch eine Masche von ihm. Ihr
werdet euch vielleicht erinnern, ich
zitiere ihn, „es kann nicht sein, dass 70%
der Männer unter 40 Jahren vor einer
Abschiebung für krank und nicht
transportfähig erklärt werden. Dagegen
spricht jede Erfahrung.“, sagte
de Maizière. Zahlen hat er dafür nicht
geliefert und hat sich eigentlich auch
eines Eingriffs in die ärztliche
Pflichterfüllung schuldig gemacht. Er hat
es nicht zurückgezogen, er hat sich nicht
entschuldigt und gar nichts. Er gehört
also definitiv zu den Hetzern dazu.
Applaus
Dabei sollten schon allein die schieren
Zahlen uns alle schockieren ohne Ende.
Etwa 1.500 Angriffe „unbescholtener“ oder
auch besser gesagt „besorgter“ Bürgerinnen
und Bürger auf Geflüchtetenunterkünfte
allein im Jahr 2015. Bis zu de Maizières
Statement Ende Mai 2016 gab es schon
wieder etwa 500 Angriffe auf solche
Sammelunterkünfte für Geflüchtete. Mit dem
Jahr 2014 macht das dann etwa 2.500
solcher Angriffe. Das sind nur Angriffe auf
Geflüchteten-Unterkünfte. Da sind also
noch nicht dabei die ganzen rassistischen
Angriffe auf Menschen, die Anschläge auf
Menschen und Körperverletzungen und so
weiter. Ich habe übrigens gerade, das habe
ich mir hier gerade mit der Hand notiert,
die ganz neuen Zahlen für das Jahr 2016
beziffern die Angriffe auf die Unterkünfte
auf über 900. Das heißt also wir reißen
bald die Latte der 3.000 Angriffe auf
Geflüchteten-Unterkünfte. Die
Aufklärungsquote lässt keinen besonderen
Eifer bei der Verfolgung der mitunter als
versuchter Mord zu wertenden Anschläge auf
zum Teil bewohnte Gebäude vermuten. Die
Zahlen zu Anklagen und Verurteilungen
können auch als eine Art Impunität oder
Straflosigkeit gelesen werden, worauf die
nach wie vor nicht abreißende Welle der
Gewalt gegen Geflüchtete und ihre
Unterkünfte hindeutet. Von Abschreckung
kann hier nicht die Rede sein. Im
Gegenteil kennzeichnend für die Situation
insbesondere am Ende 2015, Anfang 2016
war, dass die Polizei, das ist hier auch
nochmal bestätigt worden vorhin, häufig
zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, den
Mob oft gewähren ließ oder offen
Verständnis oder gar Sympathie zeigte.
Wir erinnern uns an Clausnitz, als Mitte
Februar ein wütender Mob versuchte, die
Ankunft von Geflüchteten zu verhindern,
während grölende Bürger diesen Bus damals
angriffen. Die Polizei ging nicht etwa
gegen die Randalierer vor, sondern
beförderte gewaltsam vor allem einen
kleinen Jungen vom Bus in die Unterkunft.
Er habe durch seine Gesten die
Aufgebrachten noch provoziert, hieß es.
Aber auch bei gravierenden Formen
selbstermächtigter Aktionen besorgter
Bürger schritt die Staatsgewalt nicht ein,
kapitulierte vor dem Mob, das ist
definitiv ein Déjà-vu aus den 1990er
Jahren, wo es ganz ähnlich abgelaufen ist.
Vielleicht im Schnelldurchlauf noch ein
paar Beispiele, die auch in dem Buch
dokumentiert sind, „Durchmarsch von
rechts“, das sehr lesenswert ist, leider
vergriffen, im Netz kann man es sich noch
runterladen. Also durchaus online zu
finden. Ein 25-jähriger Feuerwehrmann aus
Altona etwa, der Anfang Oktober 2015 in
einer westfälischen Kleinstadt das
Dachgeschoss eines Hauses in Brand
gesteckt hatte, das von 7 Syrerinnen und
Syrern bewohnt war, ist von der
Staatsanwaltschaft auf freien Fuß gesetzt
worden. Schließlich, so ließ der
Staatsanwalt verlauten, habe es keine
Haftgründe gegeben, denn der Täter und
sein Komplize hätten nur Angst vor
Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft
gehabt. Sie seien auch nicht
rechtsradikal, eine rechtsradikale
Einstellung besteht aus mehr als
Fremdenhass. Das sind wörtliche Zitate aus
der Süddeutschen Zeitung vom 12.10. Für
die sich radikalisierenden besorgten
Bürger muss diese Situation wie eine
Einladung wirken, mit dem Brandschatzen
fortzufahren. Die Berichterstattung, also
es geht natürlich auch immer um die Art,
wie das dann in den Medien nochmal
widergespiegelt wird, die Berichterstattung
aus Mainstockach [Mainstockheim] Ende
Juli 2015 suggerierte, dass Beschwerden
wegen Ruhestörung und die gerüchteweise
Belästigung einer Frau sowie mangelnde
Mülltrennung in der Asylunterkunft Grund
genug dafür seien, dass ein Mob von 300
Personen aus der 2.000-Seelen-Gemeinde
sich zum Teil bewaffnet vor dem Haus
versammelten. Und der Mob hatte erfolg. Die
24 jungen Männer wurden aus [Mainstockheim]
weg verlegt. Mülltrennung. Mülltrennung
hatte auch der Brandstifter von Escheburg
bei Hamburg, ein Finanzbeamter, als Tatmotiv
angegeben. Zum einen seien irakische
Männer in Saft und Kraft eine Bedrohung
und außerdem würden sie ihren Müll sicher
nicht richtig entsorgen. Eine Analyse des
Bundeskriminalamtes stellte dazu fest,
dass es sich bei den Brandstiftenden um
emotionalisierte Einzeltäter handele, die
keinerlei ideologische Anbindung an rechte
Strukturen hätten. Vielleicht waren es auch
in Hösbach nur solche verirrten
Einzeltäter und Einzeltäterinnen, die
Mitte September 2015, wie die Polizei
meldete, „asylkritische“ Banner an einer
Brücke über die Staatsstraße 2307
befestigen. Inzwischen läuft offenbar ein
Banner mit der Aufschrift „Deutschland
erwache“ mit zwei Hakenkreuzen schon unter
ideologiefrei und asylkritisch, weil ja
auch noch „Asylantenheim, nein danke“ auf
der anderen Seite der Brücke zu lesen war.
Dieser Verharmlosung rassistischer
Straftaten und narzisstischer Angriffe steht
die unverantwortliche Dramatisierung der
Ankunft von 10.000en Geflüchteten
gegenüber. Ich habe Thomas de Maizière
angesprochen, natürlich kann man so eine
Bestandsaufnahme nicht ohne die Nennung
der CSU, der Nennung von Seehofer und
seinem Generalsekretär Andreas Scheuer
abschließen. Nicht erst der AfD-
Durchmarsch und die Ankunft der
Geflüchteten haben diese CSU zu einer
rassistischen Partei gemacht. Zum Beispiel
Viktor Orbán wurde schon deutlich früher
von der Partei hofiert, er war schon zum
70. Geburtstag Edmund Stoibers eingeladen
und hat von der Hans-Seidel-Stiftung den
Franz-Josef-Strauß-Preis erhalten. Ich
selber bin unter Franz Josef Strauß in
Bayern aufgewachsen und kann nur sagen,
das kann ich gut nachvollziehen.
Applaus
Außerdem ist er
natürlich, das war der – dankeschön – das
war der Skandal vergangenes Jahr, von der
CSU ins Kloster Banz eingeladen worden. Es
ist ja eine ganz schwierige Geschichte mit
Viktor Orban. Das ist ja, würde ich mal
sagen, durchaus ein faschistisches Land
geworden unter ihm, völkisch-
nationalistisch mindestens. Das erste, was
er gemacht hat, war die Krone des heiligen
Stefan von einer Kirche oder von einem
Museum ins Parlament schleppen zu lassen.
Das Wort Republik ist aus der Verfassung
Ungarns gestrichen worden. Und er ist
derjenige, der europaweit als der große
Buhmann hingestellt wurde, als der Zaun
gebaut wurde gegen die Geflüchteten. Das
ist auch richtig, dass er da beschimpft
worden ist, nur hinter diesem Zaun
verkriecht sich auch der ganze Rest
Europas. Es ist ganz klar, es ist ja diese
Situation gewesen …
Applaus
Es ist diese Situation gewesen,
dass Anfang dieses Jahres die
Tagesschaumeldungen immer ungefähr
lauteten, ja wie durch ein Wunder – das
ist so nicht gesagt worden, aber das klang
so durch – wie durch ein Wunder sind kaum
neue Geflüchtete in Deutschland
angekommen. Das war natürlich medial auch
eine Katastrophe, weil nicht gesagt wurde,
dass sie natürlich nicht kommen konnten,
weil es diese Zäune gab, weil es Idomeni
gab, was damals berühmt geworden ist als
der Ort, an dem viele in ihrer Flucht
gestoppt und gescheitert sind. Es gibt so
viele krasse Beispiele für
Medienberichterstattung. Das Beispiel
Bautzen dieses Jahr. Bautzen, in dem die
geplante Asylunterkunft in Brand gesteckt
und niedergebrannt ist, in Brand gesteckt
worden ist und niedergebrannt ist, dort
hat es dann diese Zusammenrottung gegeben
von Nazis, die junge unbegleitete
Flüchtlinge angegriffen haben, Geflüchtete
angegriffen haben. Und in den Medien kam
es so rüber, die Asylsuchenden hätten
angefangen. Ihr werdet euch an diese
skandalöse Berichterstattung erinnern. Es
war wie in den 90er Jahren Opfer-Täter-
Umkehr, das Zahlenverhältnisse 20
Geflüchtete und 80 Neonazis + x alleine
ist, beschreibt schon eine
Notwehrsituation. Das heißt also von einer
Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen
oder zwischen Jugendbanden, wie das auch
aus den 1990er Jahren widerhallt, kann
nicht die Rede sein. Schauen wir auch
nochmal, ich habe sie schon erwähnt, auf
die Reichsbürger. Die Reichsbürger sind
jahrelang nicht verfolgt worden, erst als
Mitte Oktober ein Polizist von einem
schwerbewaffneten Reichsbürger erschossen
worden ist, Kollegen von ihm wurden
verletzt, beginnt der Apparat, auch gegen
deren Mitglieder in den eigenen Reihen zu
ermitteln. Also wir finden ganz viele
Reichsbürger in Uniform, die ja hier ihr
Wesen in der staatlichen Institution
treiben. Und da kommen wir auch nochmal
zurück auf den NSU-Prozess, das können wir
natürlich nicht wirklich toll vertiefen.
Weil die Zeit uns auch schon
wieder davon läuft. Aber wir haben ja im
NSU-Komplex eine weitere Infiltration der
Polizei durch eine solche Institution,
nämlich den Ku-Klux-Klan. Und ich kann
Alexander Kienzle nur zustimmen, wir
wissen nichts, wir wissen nichts von
Heilbronn, wir wissen nicht, was in Kassel
wirklich passiert ist. Heilbronn als die
Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen
wurde und ihr Kollege wie durch ein Wunder
einen Kopfdurchschuss überlebt hat. In der
Dienstgruppe, in der Michèle Kiesewetter
damals gearbeitet hat, waren ehemalige
Mitglieder des Ku-Klux-Klans tätig. Es hat
also auch solche Gruppen in der Polizei
gegeben, aber das wird natürlich nicht
weitergehend untersucht. Das ist im Sande
verlaufen die Untersuchungen in dieser
Richtung. Die Informationen übrigens über
die Polizisten … über die Ku-Klux-Klan-
Mitglieder in der Polizei kamen von einen
V-Mann, der damals der Chef des Ku-Klux-
Klans gewesen ist. Ich muss mich jetzt
sehr zusammenraffen. Ich könnte euch noch
eine ganze Menge weiterer Geschichten
dieser Art berichten. Möchte aber doch in
den letzten 5 Minuten noch auf die Frage
zurückkommen, was wir denn nun machen. Und
ich habe schon mal gesagt, unser Fokus,
immer auf die Rechten zu gucken, wie das
Kaninchen auf die Schlange, führt uns
wahrscheinlich sehr weit weg davon, die
tatsächlichen Probleme zu sehen und dass
wir natürlich über den Rechtsruck in
Deutschland, in Europa und in den USA
nicht wirklich reden können, nicht
sinnvoll reden können, wenn wir nicht den
weltwirtschaftlichen Gesamtzusammenhang in
die Augen fassen. Es ist einfach so, die
Erwartung, dass mit einem Zaunbau oder mit
neuer Gesetzgebung die Menschen davon
abgehalten werden, sich auf den Weg zu
machen, aus wirtschaftlichen Gründen oder
auch aus unmittelbarer Not, aus Elend, das
ist eine Illusion und wir müssen uns
darüber klarmachen, dass sich die Dinge
verändern werden. Die Ankunft dieser
Menschen, die sich auch nicht aufhalten
lassen, wird niemand verhindern. Und das
ist letztlich auch gut so.
Weil es kann so wie es ist auf keinen
Fall weitergehen. Wir müssen uns …
Applaus
Wir müssen uns völlig
neue Narrative, neue Geschichten
ausdenken. Wir müssen quasi eine Weltsicht
neu erfinden, mit der wir arbeiten können
und wo vielleicht tatsächlich der von
vielen belächelte Spruch vom Bleiberecht
für alle einen, sagen wir mal,
intellektuellen Hintergrund bekommt. Eine
Idee, eine Vision, eine Utopie, das alles
brauchen wir. Antifaschismus allein wird
auf jeden Fall nicht ausreichen. Das habe
ich erst neulich die gute Bini Adamczak in
einem BR-Feature sagen hören. Wobei ich
den Antifaschismus auch ein bisschen in
Schutz nehmen will. Es war nie so, dass
allein der Kampf und das Entgegentreten
gegen Nazis Inhalt des Antifaschismus war,
sondern es war auch immer ein
emanzipatives, ein kämpferisches Bild der
Veränderung, hin zu einer gerechteren
Welt. Ich kann das leider nicht mehr so
ausführen, wie ich das eigentlich geplant
hatte, aber es ist vollkommen klar, dass
wir dem irren Selbstzweck des
Kapitalismus, die höchstmögliche und
rücksichtslose Kapitalverwertung, dass wir
dem etwas entgegensetzen müssen und dass
wir uns um die Menschen solidarisch
kümmern müssen, die auf diesem Planeten
keine Chance haben.
Applaus
Das hatte ich natürlich
noch viel viel ausführlicher und
mit Zitaten belegt und es bleibt aber
trotzdem so, wie Marx es mal gesagt hat.
Und leider ist diese Wendung aus dem
kommunistischen Manifest inzwischen nur
noch zu einem Kalenderspruch
heruntergekommen. Nämlich dass er gesagt
hat, dass es darauf ankommt, alle
Verhältnisse umzuwerfen, in denen der
Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen
ist. Und das muss … das bleibt wahr. Und
ich möchte im Grunde genommen uns auch ein
bisschen aufrütteln als diejenigen, die
privilegiert hier im Westen ihren Glühwein
zu Weihnachten trinken und die lauschige
Stimmung genießen. Ich habe im November
eine Stafettenlesung der „Ästhetik des
Widerstands“ von Peter Weiss veranstaltet.
Peter Weiss wäre dieses Jahr 100 Jahre alt
geworden. Sein großes Werk, der
antifaschistische Roman „Die Ästhetik des
Widerstands“ ist in 54 Stunden nonstop
vorgelesen worden und es ist gespickt mit
Hinweisen, mit Anregungen, mit Motivation
für Menschen wie uns. Und deswegen möchte
ich mit einem Zitat von Peter Weiss
schließen, das uns alle ein wenig
vorführt, denke ich. Ich zitiere, „wir
sind Humanisten, hörte ich ihn noch einmal
sagen, doch unsere Humanität ist mit
Schande bedeckt. Allzu viele, die ständig
den Humanismus, den Pazifismus im Mund
führen, die das Unrecht wohl sehen, für
eine Veränderung aber nicht kämpfen
wollen, sind in ihrer Diskretion nichts
anderes als Apologeten der herrschenden
Klassen.“ Aber wem sage ich das. Danke.
Applaus
Herald: Fritz Bürschel. Ja wenn mein
Mikrofon gehen würde. Fritz Bürschel,
vielen Dank. Burschel, Pardon, Fritz
Burschel, vielen Dank.
Applaus
Ja wir haben wir noch knapp 10 Minuten
Zeit für Q&A, Questions and Answers, falls
ihr Fragen an unseren Referenten habt,
traut euch, sie zu stellen. Fasst euch
bitte kurz je kürzer ihr eure Fragen
formuliert, desto mehr Fragen kriegen wir
gestellt, und bitte verkneift euch
Kommentare, es sollen Fragen sein. Komm
doch in die Mitte, Fritz, das ist … Fangen
wir einfach mal an, da vorne mit der 2.
Mikrofon: Hallo. Es gab ja lange Zeit von
genau diesen ganzen Menschen, die du auch
beschrieben hast, von genau diesen Nazis
im Internet verschiedene Foren, in denen
die sich irgendwie organisiert haben, so
Thule-Netz, Thiazi, das ist irgendwann
alles aufgelöst worden oder hat sich
aufgelöst. Siehst du im Moment eine
Verschiebung eher in Richtung von sozialen
Netzwerken, die halt da sind, und die von
diesen Gruppen genutzt werden, oder gibt
es nach wie vor rechte Strukturen, die im
Internet irgendwie Plattformen nutzen die
nur sie haben und in die die Gesellschaft
so keinen Einblick hat?
Fritz: Das kann ich nicht sagen. Ich bin
da definitiv kein Experte. Ich hätte aber
durchaus Hinweise im Zusammenhang z.B. mit
dem NSU auf Internetprojekte, da gibt es
mindestens zwei, die massiv
Desinformationen streuen und wo ich mir
denke, dass Leute mit etwas handwerklichem
Geschick durchaus was tun könnten, ich
möchte die Namen jetzt auch nicht unnötig
nennen von diesen beiden Plattformen. Es
wäre aber … ich kann dir nicht sagen … ich
denke mal, die sozialen Netzwerke, vor
allen Dingen Facebook, sind für viele von
diesen Leuten eher verräterisch. Das
heißt, wenn du etwas über sie erfahren
willst … sie sind so doof und posten
wirklich alles auf Facebook sodass also
auch vor Gericht z.B. Zeugen aus der
Naziszene ausgesagt haben und sie dann mit
ihren … und sie wurden dann gefragt „Ja
wie würden Sie sich denn politisch
einschätzen?“ und sie „So ganz normal“ und
dann wurden sie mit ihrer Facebook-Seite
konfrontiert, auf der halt die hardcore
einschlägigen Links zu allen möglichen
üblen Gruppen, Parteien und Zusammenhängen
abzurufen waren. Also da glaube ich, das
ist jetzt nicht sehr professionell und
avanciert, was sie da machen, aber du
kannst sie in ihrem Ausdruck in den
Kommentarspalten überall finden, aber ich
denke so eigene Internetprojekte, wie im
Zusammenhang mit dem NSU-Komplex, mit dem
NSU-Prozess, wo zum Teil mit den original
Ermittlungsakten hantiert wird, da sind
zum Teil professionelle Leute am Werk,
allerdings auch mit Desinformation, die
schon so dämlich ist, dass man es kaum
noch aushalten kann. Also auf einer dieser
Plattformen werden einige Leute, und ich
persönlich, ich beschuldigt, wir hätten
das NSU-Bekennervideo hergestellt. Also
das ist … da weiß ich nicht, wie weit ich
das wirklich ernst nehmen kann.
Herald: So machen wir weiter mit
Mikrofon 1, bitte.
Mikrofon: Danke und entschuldige bitte die
Frage, weil sie ein bisschen … scheiße
ist, aber was tun, wenn selbst das
Anzünden von Gebäuden vor Gericht nicht
mehr als extremistisch zählt?
Fritz: Ja was tun? Ich würde gerne
Antworten da drauf geben. Ich lese gierig
in Artikel von (???) zum Beispiel rein,
und der sagt, der Durchmarsch von Rechts
wird dazu führen, dass wir uns sammeln
müssen, dass wir wieder auf die Straße
gehen müssen, dass wir Gegenmacht zeigen
müssen, dass wir präsent sein müssen, was
Kienzle auch gesagt hat, dass wir auch
in unseren je individuellen Alltagen den
Leuten verbal in die Fresse hauen, wie er
das sehr schön gesagt hat. Ich kann es dir
nicht sagen. Ich kann zum Beispiel nicht
verstehen, warum, nach allem, was wir
wissen im Kontext mit dem NSU, warum es
keine Kampagne in diesem Land gibt, diesen
schlimmen Geheimdienst abzuschaffen, warum
es keine …
Applaus
Es hat eine einzige Schule gegeben, die
sich geweigert hat, eine
Verfassungsschutz-Ausstellung zu zeigen,
aber ansonsten sehe ich keinerlei
gesellschaftlichen Protest gegen eine
Institution, die von uns verlangt … von
uns, wenn ich mal das so sagen darf,
Bürgerinnen und Bürgern oder Bewohnerinnen
und Bewohnern dieses Landes, dass wir
akzeptieren, dass es da eine
unkontrollierte Grauzone gibt, in der auch
Gesetze gebrochen werden. Das kann nicht
wahr sein. Wo ist der Protest? Der Protest
ist ausgeblieben, der Protest hat auch
nicht reagiert, als die Demonstration von
… um die es hier in den NSU-Monologen
ging, als die statt fand. 2006 hat es zwei
Demos gegeben, in Kassel und in Dortmund.
Da sind in Kassel 2000 Leute auf der
Straße gewesen, und trotzdem hat niemand
von uns, die möglicherweise sich für
kritische Medienkonsumentinnen und
-konsumenten halten, den Leuten jemand
darauf reagiert damals 2006, und auch
jetzt, würde ich sagen, es hat ganz tolle
Veranstaltungen gegeben zum fünften
Jahrestag des Auffliegens des NSU, des
Bekanntwerdens der ganzen Monstrosität.
Die waren auch gar nicht schlecht besucht,
die Veranstaltungen, aber medial hat es
sie nicht gegeben, kann man sagen, und es
waren natürlich viel zu wenig Menschen.
Wir müssen auch wirklich dafür werben,
dass wir für unsere Rechte und für die
Rechte anderer eintreten, dass Leute
wirklich wieder auf die Straße gehen. Wo
sind die Demonstrationen mit mehreren
10.000 Leuten?
Applaus
Herald: Uns läuft ein wenig die Zeit
davon. Wir machen weiter mit einer Frage
aus dem Internet bitte.
Signal Angel: Und zwar sucht … hat jemand
aus dem Internet die Frage zu dem NSU-
Untersuchungsausschuss, ob es da eine
Quelle gibt, die bestehende
Ermittlungsergebnisse und die noch offenen
Fragen gegenüber stellt.
Fritz: Also NSU Watch, das habt ihr
vielleicht mitbekommen, hat in fast jedem
NSU-Untersuchungs… also, ich meine, es
gibt in diesem Land inzwischen zwölf
Arbeiten der parlamentarischen
Untersuchungsausschüsse, die qualitativ
sehr sehr unterschiedliche Arbeit machen.
Also das ist nicht alles gut, aber es gibt
auch NSU-Watch-Gruppen in Hessen in
Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg,
Sachsen, die genau diese Arbeit machen,
die Fragen stellen, in enger Absprache in
der Regel mit den Nebenklage-
Vertreterinnen und Vertretern im NSU-
Prozess. Also da findet eine Interaktion
statt. Geht auf nsu-watch.info, informiert
euch, da gibt es Links zu den ganzen
Franchise-NSU-Watch-Leuten im ganzen Land,
und wie gesagt ja auch diesen
Spendenbutton.
Herald: Und damit ist unsere Zeit leider
schon um, es tut mir wirklich … es tut mir
wirklich sehr leid. Bist du noch
ansprechbar?
Fritz: Ja, natürlich. Vielen herzlichen
Dank für eure Aufmerksamkeit
Herald: Fritz Burschel, vielen Dank!
Applaus
Musik
Untertitel erstellt von c3subtitles.de
im Jahr 2017. Mach mit und hilf uns!