WEBVTT
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33C3 Vorspann-Musik
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Applaus
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Herald: Ihr alle kennt ihn,
ich muss ihn nicht großartig ansagen:
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Martin Haase, oder maha, mit der
‚Sprache der Populisten‘, und ich sollte
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euch noch eins sagen: dieses Mal nicht
alles lernen! Das ist die falsche Sprache.
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Applaus
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maha: Ja vielen Dank. Ich glaube ich werde
das erste Mal ins Französische übersetzt,
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das ist schon was Besonderes. Also ich
kann auch Französisch, also die Sprache.
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Lachen
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Und ich werde mir das hinterher
anhören, trotzdem vielen Dank dafür,
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also finde ich ganz toll. So, ja, es
geht um die Sprache der Populisten,
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insbesondere um das Deutsche.
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Und ich werde natürlich auch wieder
ein paar Videoschnipsel zeigen. Und
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wenn man da was lernen kann, dann kann man
vielleicht was lernen von den Journalisten
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in den Videoschnipseln, die halt
dann doch die Gesprächspartner
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in Verlegenheit bringen, und das kann
man sich so ein bisschen abgucken,
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denn es geht vor allen Dingen um seltsame
Konzepte. Das ist auch der Gegenstand
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meines Vortrags. Und wenn man da Fragen
stellt auf der Ebene, dann bekommt man
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doch auch ganz überraschende Antworten.
Wenn wir aber über Populisten sprechen,
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müssen wir natürlich erstmal wissen,
was ist überhaupt Populismus?
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Und da steigen wir gleich mit einem
Videoschnipsel ein, was uns einen
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Eindruck gibt, und dann versuche ich das
auch noch ein bisschen definitorisch
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zu erfassen. Dieser nette Herr
wird uns das jetzt erklären.
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Audio/Video-Wiedergabe beginnt
Befragter: Meine Kritik ist, dass ihr
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nicht die Wahrheit sagt!
Grölen im Hintergrund
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Interviewerin: Über Flüchtlinge?
B.: Nein, ihr berichtet keine Wahrheit.
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Seit dem ganzen Drama.
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I.: Warum sind Sie heute Abend hier?
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B: Weil das alles eine Schweinerei ist.
I: Was denn genau?
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B: Was denn genau? Dass hier das
zu einem islamischen Staat werden soll.
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Und die armen Christen, die dort
unten getötet werden – Kopf ab! –
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weil, wenn ihr den Koran
kennt, dann wüsstet ihr,
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dass der Koran ganz schlimm
gegen die Christen ist.
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I: Sie wissen aber schon, dass ganz viele
der Flüchtlinge, gerade aus Syrien
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und dem Irak, fliehen vor Bomben, vor
Fassbomben, vor Folter, vor Vergewaltigung…
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B: Warum fliehen die? Die sollen zuhause
bleiben, sollen ihr Land wieder aufbauen.
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I: Im Krieg?
B: Wir haben auch Krieg gehabt, sind wir
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weggelaufen? Wir haben unser Land aufgebaut
und sind nicht woanders hingegangen,
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und haben gejammert. Bleibt…
Audio/Video-Wiedergabe endet
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maha: Okay. Also wir merken schon
so ein bisschen, worum es geht
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und wie es funktioniert. Also Wahrheit
war ein ganz wichtiger Aspekt hier.
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Wir werden auf das Konzept Wahrheit heute
auch noch einmal zu sprechen kommen.
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Es geht um einfache Gewissheiten, die
eben als Wahrheiten verkauft werden.
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Und vor allen Dingen geht es
darum, Ängste zu schüren,
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Dystopien, wie man sagt.
Also Flüchtlinge… bedrohen.
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Und das ist, glaube ich, ein ganz
wichtiger Aspekt von Populismus
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in engerem Sinn. Man kann natürlich
Populismus auch weiter fassen, dann
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kann man sagen: naja gut, Parteien sind
immer irgendwie auch populistisch.
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Aber hier geht es doch um etwas
spezifisch engeres, nämlich es geht hier
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vor allen Dingen um die Sache mit den
einfachen Gewissheiten. Ängste, und
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dann aber einfache Lösungen. Das
ging alles los, wir erinnern uns, mit
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„Der Euro muss weg“. Jetzt
heißt es eher „Flüchtlinge raus,
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und dann ist alles gut“. Aber das kann
ja nicht sein, es kann eben nicht alles
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gut werden. Was passiert, wenn der Euro
weg ist? Dann gibt es vielleicht noch
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mehr Probleme. Oder „Steuern runter!“,
das ist auch so eine einfache Lösung.
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Oder „Merkel muss weg“, und alles ist gut.
Aber wer kommt denn nach Merkel?
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Seehofer…
Lachen
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Gabriel…
Zwischenruf: Söder!
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maha: …von der Leyen…
also, ja okay, hm, also ich…
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das ist immer das Problem. Und es gibt
sicherlich noch weitere Dinge. Was hier
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auffällt, ist, dass immer irgendwas „weg
muss“. Am besten noch mit Ausrufungszeichen,
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also das Ausrufungszeichen
ist ein deutliches Kennzeichen.
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Es muss was weg, und dann ist alles gut.
Aber so ist es eben einfach nicht.
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Insbesondere möchte ich auf
Rechtspopulismus hier eingehen.
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Und da gibt es auch so drei Kriterien
beim Rechtspopulismus. Da geht es oft
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um das Recht der Mehrheit,
also das Recht des Stärkeren,
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die Mehrheit, die Starken(?), die soll
durchgesetzt werden. Dann oft
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die Forderung nach einem starken Staat,
Law and Order, also in allen Parteien
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die besonders dem Rechtspopulismus
zuzuordnen sind, wir werden noch sehen,
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das sind vielleicht mehr Parteien als man
denkt, geht es immer um Law and Order,
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ganz wichtig. Und es gibt Schuldzuweisungen,
Schuldzuweisungen an eine entspezifizierte
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Minderheit. Was ist eine entspezifizierte
Minderheit? Also insbesondere, wir haben
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es schon gehört, in dem Text: Ausländer,
die gleichgesetzt werden mit Flüchtlingen
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– natürlich sind nicht alle Ausländer
Flüchtlinge. Die werden gleichgesetzt
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mit Moslems – wo auch nicht alle
Flüchtlinge Moslems sind. Die werden
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gleichgesetzt mit Islamisten, und die
werden gleichgesetzt mit Terroristen.
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Das ist also die Minderheit, gegen die es
geht. Also Ausländer am Ende gleich
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Terroristen. Es gibt da noch so Varianten
von Rechtspopulismus. Eine Variante
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die so ein bisschen im liberalen oder
libertären Raum zu finden ist, da geht es
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dann nicht so um das Recht der Mehrheit,
sondern um das Recht der Leistungsträger,
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da wird dann auch nicht immer ein starker
Staat gefordert, obwohl Law and Order
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da auch oft auf der Agenda steht, sondern
es soll um Steuersenkungen gehen.
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Wie man natürlich Steuersenkungen mit
Law and Order in Verbindung bringt,
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ist nicht immer klar. Und da gibt es dann
andere entspezifizierte Minderheiten.
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Was man so hört aus der liberalen Ecke
ist dann immer „die Transferempfänger“.
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Also ein Vertreter der CDU hat mir im
September gesagt: „Die Beamten sind schuld,
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weil die alle keine Krankenversicherung
zahlen“. Komisch, ich bin Beamter und
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zahle Krankenversicherung. Also sowas hört
man da. Dann gibt es noch eine Variante
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die manchmal auch als Linkspopulismus
bezeichnet wird, aber ich denke, das ist
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nicht das Konzept, das ist, glaube ich,
auch rechts. Da wird dann gesagt:
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„Die Mehrheit sind die 99% oder 99,9%“,
da wird auch oft nach einem starken Staat
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gerufen der das dann regelt, und die
Schuldzuweisungen: schuld sind die 1%
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oder 0,1%, also auch eine Minderheit. Und
jetzt ist natürlich klar, es gibt natürlich
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wenig Reiche und viele, die nicht so reich
sind. Aber wenn man dann näher nachfragt,
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wer denn diese 0,1% sind oder 1%, dann
hört man oft „ja…“. Wir werden das gleich
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noch hören, also das fantasiere ich mir
nicht zusammen. Wir hören gleich noch
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einen Originaltext dazu. „Ja, das sind
die Rothschilds“. Und das ist natürlich
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irgendwie seltsam. Außerdem ist es
natürlich so, dass das Finanzsystem
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durchaus durch mehr Leute getragen wird,
die Aktien haben oder die auf eine Rente
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hoffen, die irgendwo durch Investitionen
zustande kommt. Also so einfach
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ist das nicht, dass alles Geld bei 0,1%
ist. Ja, und wenn wir jetzt zur Sprache
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kommen, dann gibt so einen Punkt, und das
hat auch was mit den, mit der Minderheit
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zu tun, die vor allen Dingen im Fokus
steht. Ein Punkt, den wir hier schonmal
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hatten, nämlich den „Flüchtlingstsunami“.
Und da sieht man eben Entmenschlichung
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dadurch, dass eben von einem Tsunami die
Rede ist, das haben wir hier ja schonmal
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thematisiert. Es gibt dann auch die
Variante „Flüchtlingslawine“,
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„Flüchtlingswelle“ und „Flüchtlingskrise“.
Und das Interessante ist, je weiter wir
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runtergehen in dieser Liste, umso mehr
Hits findet man, wenn man danach sucht,
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und „Flüchtlingskrise“ ist sozusagen das
gängige Wort, was wir eben tatsächlich
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auch in der Presse finden, und meine
Hypothese, die ich dann auch Ende
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aufgreifen werde, ist, dass auf diese
Weise natürlich auch die Sprache
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der Populisten in die allgemeine Sprache
eindringt, denn in Zeitungen, in den Medien
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hört man immer mal wieder was von
„Flüchtlingskrise“. Und im Grund ist
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„Flüchtlingskrise“ zwar nicht so ein krasser
Begriff, also nicht so ein Dysphemismus
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wie „Flüchtlingstsunami“, aber immerhin
ist es auch etwas, was die Minderheit
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entmenschlicht und eben dann auch
dafür steht, eben die Wirklichkeit
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in so einer besonderen Weise darzustellen.
Was dann endet mit solchen Äußerungen,
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die ich auch gefunden habe in den Videos,
die ich auch gleich noch zeigen werde,
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dass Leute sagen: „Wir sind fremd im
eigenen Land“. Was natürlich paradox ist,
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denn das eigene Land ist eben gerade das,
wo man nicht fremd ist. Also die Definition
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von „fremd“ passt nicht zu dieser
Äußerung. Aber diese Art von Paradoxien,
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die finden wir halt immer wieder, deshalb
werden wir uns auch heute ein bisschen
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mit Semantik beschäftigen, also
mit der Bedeutung von Wörtern.
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Und da gibt es eine Reihe von Wörtern die
ich als ‚verbogene Wörter‘ bezeichnet habe,
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weil man sie zunächst einmal gar nicht
versteht. Man weiß gar nicht, was soll
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das sein? Und erst bei einigem Nachdenken
oder Nachforschen kommt man darauf,
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dass das irgendwie was Sonderbares
ist und dann auch im Kontext von
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Rechtspopulismus steht. Das erste Wort,
das mir über den Weg gelaufen ist, ist
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„Ethnopluralismus“. Das klingt super,
Pluralismus, ganz toll, Ethnopluralismus.
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Ja, was ist damit gemeint? Das ist
tatsächlich auch ein Kampfbegriff
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– wir werden nachher auch noch weitere
solche sehen – bei dem es darum geht,
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dass gesagt wird: „Ja, wir sind ja für
Pluralität, aber jede Ethnie, also
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jeder Volksstamm soll da bleiben, wo
er hingehört.“ Also irgendwie in Afrika,
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am besten. Das ist so das, was sich
dahinter verbirgt. Und ein ganz anderes
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Wort, was ich auch zunächst nicht
verstanden habe: die „Bahnhofsklatscher“.
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Da habe ich gedacht, „Bahnhofsklatscher“,
vielleicht irgendwas mit Silvester in Köln,
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oder so? Nein, es ist was anderes. Es gibt
eine Variante davon, dann hab ich es dann
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auch besser verstanden: die „Refugees-
Welcome-Klatscher“ oder einfach nur
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„Welcome-Klatscher“. Das sind also
diejenigen, die offensichtlich Leute
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begrüßen, die in Deutschland ankommen.
Also wir sehen da so schwierige Semantik,
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die man also erstmal begreifen muss, wenn
man nicht zu dieser Filterbubble gehört.
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Dann gibt es Umdeutungen. Und das ist
halt besonders interessant. Das ist auch
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die besondere Gefahr bei der ganzen
Sache, denn, wenn ganz normale Wörter
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verwendet werden, die plötzlich was
anderes bedeuten, dann gibt es natürlich
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da die Möglichkeit, dass jemand plötzlich
überzeugt wird von Argumentationen,
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weil er sie etwas anders versteht. Eine
dieser Umdeutungen, die wir häufig finden,
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betrifft das Wort „Demokratie“. Das hört
man oft auch in den Videos, die ich noch
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zeigen werde. „Demokratie“, da wird mehr
Demokratie gefordert. Und natürlich
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sind wir alle für mehr Demokratie. Und
wenn man dann aber genauer nachhört,
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was damit gemeint ist, dann wird so
ein bisschen Etymologie betrieben.
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Also der Wortursprung, ‚demos‘ = das Volk,
‚kratie‘ = die Volksherrschaft,
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also „mehr Volksherrschaft“, und
„wir sind das Volk“. Also diejenigen,
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die sowas sagen, sagen also „Wir
wollen herrschen!“. Obwohl sie nicht
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das gesamte Volk sind. Und zu
Demokratie gehört eben auch sowas
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wie Minderheitenschutz. Aber hier geht es
dann meistens darum, dass die Mehrheit
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bestimmen soll, und das eben auch…
äußert sich dann auch in den Forderungen
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nach direkter Demokratie, was eigentlich
eine gute Forderung ist. Aber es soll eben
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das Volk entscheiden und nicht irgendeine
Elite. Dabei beruht Demokratie schon
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darauf, dass Verantwortung delegiert wird
und bestimmte Leute anderen gegenüber
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verantwortlich sind. Der andere
umgedeutete Begriff ist „Wahrheit“.
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Wir hatten das vorhin schon gehört.
Wahrheit, was ist eigentlich hier
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mit Wahrheit gemeint? Naja,
Wahrheit wird verstanden als das,
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was in der „Meinungsdiktatur“ der
„Lügenpresse“ unterdrückt wird.
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Also es gibt auf der einen Seite die
Meinungsdiktatur, die Lügenpresse,
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und das andere ist die Wahrheit. Als
ob genau das, was unterdrückt wird,
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schon allein per se dadurch dass
es unterdrückt wird, Wahrheit ist.
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Die Frage ist, ob es überhaupt unterdrückt
wird. Das werden wir dann auch noch sehen.
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Also, es gibt diesen Gegensatz „Wahrheit
und Meinungsdiktatur/Lügenpresse“,
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und auf der anderen Seite die
Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit,
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die man vertreten will, im Gegensatz zu
dem „Maulkorb“ und der „Zensur“,
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die allenthalben zu finden ist. Also auch
„Meinungsfreiheit“ wird umgedeutet,
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in einer bestimmten Weise, dass hier
eben die eigene Meinung gemeint ist,
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oder eben die Meinung, die
vermeintlich unterdrückt wird.
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Wir hören uns das mal an, hier haben wir
so eine Argumentation, wieder aus diesem
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ZDF-Beitrag. Gelächter
Audio/Video-Wiedergabe beginnt
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Befragte: Die Presse kann doch hier weg!
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Interviewerin: Deswegen
darf er mich schubsen?
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B: Nein, das nicht!
Das ist nicht in Ordnung.
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I: Na wenigstens das.
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B: Aber die Berichterstattung
können Sie sich ersparen,
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weil die Wahrheit
bringen Sie sowieso nicht.
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I: Aber wenn wir nicht berichten, heißt
es doch auch, wir würden zensieren.
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Was wollen Sie denn jetzt?
B: Naja, sicherlich wird das zensiert!
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Wo haben Sie denn hier
objektive Berichterstattung?
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I: Was fehlt Ihnen denn?
Gemurmel eines Nebenstehenden
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B: So, und bitte, das war nur,
was ich sagen wollte.
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I: Na dann. Durfte sie ja jetzt auch.
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B: Die Wahrheit!
I: Was ist denn die Wahrheit?
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B: Ja, aber nicht Ihre.
I: Aber was ist denn Ihre Wahrheit?
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B: Nicht Ihre Wahrheit.
I: Ich weiß gar nicht, was meine ist.
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B: Hören Sie hier zu, das ist
die Wahrheit. Und nicht, was
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‚unsere Politiker‘ hier veranstalten.
I: Ich würde gerne wissen…
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…das sind auch Politiker!
B: Aber die sind nicht in der Regierung!
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I: Und was ist jetzt
nochmal Ihre Wahrheit?
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B: Das ist nicht Ihre. Hören Sie
hier zu – da hören Sie sie.
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I: Ich versteh’s nicht, lassen
wir’s. Ich versteh’s nicht.
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Lachen im Saal
andere Demo-Teilnehmer befragt:
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I: Ernsthaft – wie könnte denn
eine Lösung aussehen?
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Audio/Video-Wiedergabe endet
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maha: Hm. Also Wahrheit ist eben das,
was irgendwie unterdrückt wird, und man
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weiß es nicht genau, aber wenn es
unterdrückt wird, ist es die Wahrheit.
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Also das ist irgendwie das, was hier
rauskommt. So ein bisschen erinnert mich
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das an „1984“, wir erinnern uns:
„War is Peace“, „Freedom is Slavery“,
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„Ignorance is Strength“. Und ‚ignorance‘
wird natürlich nicht mit Nichtwissen
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übersetzt, aber ich denke, hier ist
auch wieder Ignoranz gemeint,
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„Ignoranz ist Stärke“. Und das ist auch
die Überschrift für den nächsten
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Abschnitt hier. Da sieht man auch wieder
solche Verschiebungen in der Bedeutung.
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„Gutmenschen“, und vor allen Dingen das
„Gutmenschentum“ ist so ein Begriff,
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der immer auftaucht. Ich habe das hier
auch mal rausgesucht aus Google Trends.
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Da sieht man eben was Leute gesucht haben.
Und da sieht man in der Tat, Gutmenschen
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gab es wohl schon, dann nimmt das
irgendwie zu, so Ende 2012.
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Und dann gibt es hier die ganzen
Ausschläge 2016, wo das Wort „Gutmenschen“
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dann eben tatsächlich wichtiger wird. Aber
es verändert dabei seine Bedeutung.
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Denn ‚Gutmensch‘ – eigentlich ist das
sowas wie der ‚Naivling‘, möglicherweise
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eine Lehnübersetzung, aus französisch
‚bonne homme‘, netter Kerl, ‚bonne homme‘,
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es ist abgeleitet: ‚bonhomie‘,
die Gutmütigkeit. Aber jetzt
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verschiebt sich das. Und die Gutmenschen
sind die eigentlich Bösen.
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Das sind irgendwie Böse, wir werden
das gleich noch sehen, an Komposita.
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Gutmenschen sind also plötzlich für
die Sprecher des Populisten-Sprechs
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böse Menschen. Und zwar sind sie besonders
deshalb böse weil sie die sogenannte
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‚politisch korrekte Sprache‘ benutzen.
Auch so ein Feindbild.
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Politisch korrekte Sprache wird eben hier
auch als etwas sehr Negatives angesehen.
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Auch im Grunde ein Kampfbegriff. Man ist
gegen die politisch korrekte Sprache.
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‚Gut‘ ist eben für Rechtspopulisten
diejenige Sprache die nicht politisch
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korrekt ist. Und man erkennt jetzt, dass
eben gerade Gutmenschen was Böses sind,
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an Komposita. Ich habe hier ein paar
gefunden. Nämlich ‚Toleranzfaschismus‘,
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‚Gutmenschenfaschismus‘ und
‚Sprachfaschismus‘. Interessant ist dabei,
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dass ich den Beleg ‚Tolleranzfaschismus‘
nur mit 2x L gefunden habe.
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Gelächter und Applaus
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Ja, ich bin gefragt worden, vor
einiger Zeit, von einer Journalistin,
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wie man eigentlich Fake-News erkennt.
Und ich habe gesagt, naja, wenigstens
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die Rechtschreibfehler sind ein guter
Hinweis. Was nicht heißen soll, dass
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News ohne Rechtschreibfehler
keine Fake-News ist. Aber
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wenn Rechtschreibfehler drin sind, dann
muss man sich schon fragen, ob das
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wirklich alles so ist, wie es dargestellt
wird. Das liegt jetzt nicht – also ich
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will jetzt nicht Leute bashen mit
Rechtschreibschwächen, ich selber
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habe ja auch eine gewisse Neigung
dazu. Aber was man da macht, ist,
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also wenn man eine Rechschreibschwäche
hat, ist, seine Texte durch andere
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lesen zu lassen. Und wenn eine Nachricht
eine richtige Nachricht ist, haben die
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bestimmt auch viele Leute angeschaut.
Und dann gibt’s halt nicht mehr so viele
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Rechtschreibfehler. Also, von daher kann
man an der Zahl der Rechtschreibfehler
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schon erkennen, dass etwas nicht stimmt,
oder eine Einzelposition darstellt.
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Ja, wir werden weiter darauf
eingehen, was es zu bekämpfen gilt.
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Dann ist es das sogenannte ‚Gender-
Mainstreaming‘. Gender-Mainstreaming
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wird auch als etwas Negatives umgedeutet.
Also Gender-Mainstreaming, damit ist ja
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eigentlich gemeint, ursprünglich, die
Möglichkeit dass eben Geschlecht, was
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weniger sichtbar ist, sichtbar gemacht
wird. Also, in den Mainstream reinkommt.
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Aber hier ist irgendwie etwas sonderbar
Negatives gemeint. Und deshalb finden
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wir für das Gender-Mainstreaming auch
Ersatzwörter. Nämlich ‚Gender-Ideologie‘,
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sehr häufig, ‚Genderismus‘ sogar,
‚Gender-Wahn‘ oder ‚Gender-Wahnsinn‘,
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und ‚Gender-Faschismus‘. Wieder der
Faschismus. Der ist immer schnell dabei.
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Und jetzt denkt man sich „Naja, was wird
da gemeint sein mit Gender-Faschismus?
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Dass irgendwie ein Geschlecht das andere
unterdrückt oder so?“ Nein, es geht hier
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um Sprache. Wir hatten vorhin auch
das mit dem Sprach-Faschismus. Also,
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unter Gender-Faschismus wird vor allen
Dingen verstanden, dass irgendwie,
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tatsächlich, wie beim Gender-Mainstreaming
gefordert, die Mehrgeschlechtlichkeit eben
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sichtbar gemacht wird in der Sprache. Das
wird eben als bekämpfenswert angesehen,
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und als ‚Faschismus‘ angesehen. Im
gleichen Bereich ein anderer Begriff,
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der auftaucht. Die sogenannte
‚Frühsexualisierung‘. Interessant ist
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vor allen Dingen, dass das Wort
‚Sexualisierung‘ kaum zu finden ist.
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Aber ‚Frühsexualisierung‘. Offensichtlich
gibt es Sexualisierung nicht ohne ‚früh‘.
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Aber die Wikipedia weiß auch, dass es
hier um einen Kampfbegriff geht. Das
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steht da auch in der Wikipedia direkt, in
der Definition von ‚Frühsexualisierung‘.
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Also hier können wir sehen wie die Trends
sind, wann das so auftaucht. 2006/2007
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gibt’s die Diskussion zunächst in der
Schweiz. Dadurch dieser erste starke
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Ausschlag. Und dann gibt’s da nochmal so
Ausschläge. Und dann ab 2011 immer mehr
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das Thema ‚Frühsexualisierung‘. Weil
das eben auch von rechtspopulistischen
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Parteien immer vorgebracht wird.
Bildungsplan in Hessen, Bildungsplan
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in Baden-Württemberg. Da wird jetzt
gesagt, also Sexualkunde für Pubertierende
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das ist eben ‚Frühsexualisierung‘. Gemeint
ist da aber… ich meine das steckt in dem
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Wort ‚Frühsexualisierung‘ drin, warum
‚früh‘? Früh eben weil man da irgendwie
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so andeuten will, dass es vielleicht
irgendwie was mit Verführung von
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Kindern zu tun hat. Da sind wir dann so
im pädophilen Bereich. Also das soll
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auf jeden Fall stigmatisiert werden. Und
es geht einfach nur um Sexualkunde!
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Das ist eben hier der Begriff der
eingesetzt wird um dagegen zu opponieren.
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Dann das Wort „völkisch“, das plötzlich
in den Diskussionen kam. Wo dann
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Frauke Petry sagte, „das Wort ‚völkisch‘
muss jetzt wieder benutzbar sein“.
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Da muss man sich natürlich ankucken
wo das herkommt. Das erklärt uns
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dieser Philosoph:
laut Johann Gottlieb Fichte, also
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am Anfang des 19. Jahrhunderts,
das Wort „völkisch“ ist nämlich für ihn
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eine Lehnübersetzung für das Wort
„deutsch“. Und zwar „deutsch“
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ist ja abgeleitet aus Althochdeutsch
„diota“ plus Adjektivendung „-isk“,
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also gibt’s so eine Form wie „djutisch“,
„djutsch“, aus der dann „deutsch“
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sich weiterentwickelt. Und eben „Volk“
und „-lich“… oder „Volk“ und „-isch“
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ist das eigentlich. Deshalb „Volk-isch“
oder „völkisch“. Das wird dann in der Folge,
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im 19. und 20. Jahrhundert verwendet für
„national“. Als Übersetzung für „national“
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weil man da eben der Meinung war, man muss
für „national“ auch ein deutsches Wort haben.
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Aber dadurch dass es im Grunde so eine
Lehnübersetzung für „deutsch“ ist, ist es
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halt insbesondere eben mit Bezug auf
Deutschland verwendet, und das geht dann
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im 20. Jahrhundert los…
Das ist hier Google Ngrams,
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also während des 1. Weltkriegs,
dass man hier eben besonders
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in anitsemitischen Zirkeln das Wort
„völkisch“ benutzt, eben auch
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in der Bedeutung „nicht-jüdisch“.
Und man sieht also ganz deutlich
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
durch den Ausschlag um 1940 herum, dass
es sich eben um einen Terminus handelt,
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
der im Nationalsozialismus eine besondere
Bedeutung hat. Dass das dann nachher
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noch kommt, hängt natürlich auch
damit zusammen dass in Büchern der
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Nationalsozialismus aufbearbeitet wird.
Wenn wir uns jetzt die Trends anschauen,
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heute, „völkisch“ poppt da einmal auf,
2016, das ist eben genau der Punkt
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wo das in die Diskussion geworfen wird.
Und dann gibt’s dann auch so ein bisschen
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weitere Diskussionen zu „völkisch“, und
dann verschwindet es eigentlich wieder.
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Also man sieht, dass hier ein Wort
verwendet wird was eigentlich
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keinen Erfolg hat. Und dann eben
auch gleich wieder verschwindet.
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Ein bisschen anders sieht es mit einem
anderen Nazi-Terminus aus, dem Terminus
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„Umvolkung“. Das erfreut sich dann doch
weiterhin einer gewissen Beliebtheit.
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Und wird aber auch umgedeutet.
Das bedeutet etwas anderes als es
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vor allen Dingen um 1940 bedeutet
hat. Denn da ging es darum,
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dass es – naja gut, ich komme gleich
drauf. Also was jetzt passiert, ist,
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in neuerer Zeit, dass „Umvolkung“ eintritt
als Verstärkung – es ist auch stärker
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als „Überfremdung“. Also zunächst mal
wird das Wort „Überfremdung“ verwendet.
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Das war auch ‚Unwort [des Jahres] 1993‘,
und stattdessen in den rechten Kreisen
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wird jetzt das Wort „Umvolkung“
verwendet. Also ein Wort,
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was aus der nationalsozialistischen
Volkstumspolitik stammt… hier ist auch
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der Erfinder des Konzepts, Albert
Brackmann, ein Historiker, der
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für die sogenannte
„Ausbreitung nach Osten“, also
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Deutsche sollen nach Osten gehen,
eben vorschlägt, dass dort eben
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alles wieder deutsch werden soll. Das
nennt man auch „Germanisierung“,
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„germanization“, oder eben „Umvolkung“.
Da sollen eben Leute zu Deutschen
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gemacht werden, die eben vielleicht
jetzt schon slawisiert worden sind.
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Also solche Vorstellungen stecken
dahinter. Und jetzt wird das aber
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ganz anders verwendet. Und es kommt
wieder auf. In Österreich und Deutschland
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schon um 2012 herum. Und da
geht es nun darum, dass angeblich
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in Deutschland und Österreich eine
sogenannte „Umvolkung“ stattfindet,
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dadurch, dass eben Menschen, also
Ausländer, hinkommen und dadurch
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sich das Volk eben verändert, nicht
mehr deutsch wird, sondern ersetzt wird.
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Wir hören da gleich auch noch einen Text
dazu. Das heißt also, „Umvolkung“ hat
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sowas mit einer Opferrolle zu tun. Also
jetzt plötzlich sind die Deutschen Opfer
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einer vorgeblichen Umvolkung.
Und das hören wir uns jetzt an.
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Von einer Demo in Dresden. Da sehen
wir erstmal Plakate, die sind schon
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ganz interessant. Und dann hören wir,
wie das abläuft mit der Umvolkung.
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Und hier wird uns auch wieder eine
‚Wahrheit‘ präsentiert. Also wir
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erfahren jetzt von dem Gesprächspartner
was wirklich, in Wahrheit,
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seiner Meinung nach, vor sich geht.
Audio/Video-Wiedergabe beginnt
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Interviewer: Was ist denn Ihre Forderung?
Sie sagten hier, „die berechtigten Ford…“
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Antwort: Meine Forderungen kann ich Ihnen
sagen. Man muss erstmal die Leute aufklären.
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Dass wir kein souveränes Land sind, mit
keiner souveränen Regierung. Dass die
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Befehle aus Tel Aviv und Washington
kommen. Und die USA, die USA wird
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wieder regiert von der IPAC, einer
jüdischen Lobby. Das hat nichts mit
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‚rechtslastig‘ zu tun, das ist Tatsache!
Ein Herr [George] Soros finanziert
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die Republikaner. Die Demokraten
finanzieren… die Demokraten!
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Gelächter im Saal
Und jetzt frage ich Sie: mit welchem Recht
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wird die Bevölkerung ausgetauscht,
obwohl die Bedürfnisse der Wirtschaft
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und Gesellschaft nicht gegeben sind? Wenn
hier auch Akademiker sich von Praktikum
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zu Praktikum hangeln müssen. Und das auf
eine freie Stelle, das ist der Traum der
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globalen Wirtschaftslobby! Dass sich nicht
nur 10 bewerben, sondern möglichst 1000.
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Interviewer: Was muss sich denn ändern?
Antwort: Wie bitte?
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Interviewer: Wie soll sich das
denn ändern, Ihrer Meinung nach?
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Antwort: Das kann ich Ihnen sagen. Indem
man erstmal genau schaut, was für Menschen
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herkommen. Ich wurde vor paar Tagen
diffamiert, weil ich gesagt hatte, man
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müsste schon im Mittelmeer die Flüchtlinge
abfangen, und den Flüchtlingsstatus
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aberkennen. Wissen Sie was man zu mir
gesagt hat? Ich wäre ein Nazi! Das gleiche
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praktiziert die australische Regierung.
Sind jetzt die Australier alle Nazis?
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So sieht’s aus, genau so sieht’s aus. Denn
die Flüchtlinge die hierher kommen, denen
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muss man, wenn sie schon herkommen,
eine Perspektive bieten. Und die sind
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nicht gegeben. Wir haben weder die
Arbeitsplätze, noch den Platz. Schauen Sie
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sich doch die westlichen Großstädte an!
70%, kann man 80% sagen, sind doch
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keine Deutschen mehr. Ist das ein normaler
Trend? Ich weiß es nicht. Ich habe nichts
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gegen andere Nationen. Und auch nichts
gegen andere Kulturen. Aber es kann
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nicht sein, dass weil die ISIS… die ganzen
Bürgerkriege werden von der USA
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angezettelt und manipuliert. Und die
ganzen Wörtschaftsflüschtlinge,
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die sind ja selber entwurzelt, sind
ihrer Heimat bestohlen. Und wenn Sie
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das bringen, dann bin ich gespannt, ob Sie
noch Ihren Arbeitsplatz behalten. Danke.
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Gelächter im Saal
Audio/Video-Wiedergaben endet
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Applaus
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maha: Ja, also jetzt wissen wir Bescheid.
Endlich die Wahrheit, ne? lacht
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Die vielleicht doch nicht ‚Wahrheit‘ ist.
Ja, im Übrigen kann man sagen, also
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George Soros hat gegen Bush gespendet,
also nicht für die Republikaner. Außerdem
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ist er ungarisch-stämmiger Amerikaner.
Soros ist übrigens ein Esperanto-Name.
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Nebenbei erwähnt. Aber, wie auch
immer, also das stimmt alles irgendwie
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nur so halb. Und ist eh eine
Verschwörungstheorie. Gut, aber,
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man versucht… also der Sprecher hier
versucht irgendwie hinter die Wirklichkeit
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zu kommen. Und das versucht man
tatsächlich auch in rechten Kreisen
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mit Linguistik. Es wird gerne Etymologie
betrieben. Also die Wortherkunft
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schaut man sich näher an. Und in der
Linguistik gibt’s einen Ausdruck der
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sehr passend ist, durch die neuere
Entwicklung. Das ist allerdings ein
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Ausdruck der schon aus dem 19. Jahrhundert
stammt. ‚Falsche Etymologie‘, oder
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‚irrige Etymologie‘ wird als
‚Volksetymologie‘ bezeichnet. Und das
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passt hier einfach sehr schön. Denn die
Ausführungen, dass „völkisch“ einfach nur
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das Adjektiv zu „Volk“ sei, ist eben
Volksetymologie. Wir haben ja vorhin
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gehört, dass es damit ganz andere Dinge
auf sich hat. Oder… ist auch glaube ich
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allgemein bekannt die Geschichte:
gerade hier dieser Herr der sagte,
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Deutschland sei kein souveräner Staat,
wird das sicher auch begründen können
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mit dem ‚Personalausweis‘, weil man sagt:
„Hier, Personal, ist ja klar. Personal –
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das ist eine Firma, mit Personal, deshalb
gibt’s Personalausweise“, und man verkennt
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natürlich, dass es hier etymologisch
nicht passt. Das erste Glied
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von ‚Personalausweis‘ ist natürlich
abgeleitet von ‚Personalien‘, also
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Informationen über Personen,
und nicht von ‚Personal‘.
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Gut, die Frage ist jetzt, wie sieht die
Zukunft aus? Und die Frage ist,
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ob die Zukunft tatsächlich den Populisten
gehört. Und der Sache wollen wir jetzt mal
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nachgehen. Mit jemandem, der sich auch als
Populist, zumindestens hier, qualifiziert.
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Hören wir uns mal an…
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Applaus
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…was er zu sagen hat. Die Leser unseres
Blogs neusprech.org kennen schon
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die Auflösung, weil ich versehentlich den
Artikel schon vor der Veranstaltung
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veröffentlicht habe. Aber wir
werden gleich noch sehen, dass
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nach der Veröffentlichung des Artikels
sogar noch was passiert. Aber erstmal das!
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Audio/Video-Wiedergabe beginnt
Horst Seehofer: Wir sind der festen
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Überzeugung, dass diese große historische
Aufgabe, die Integration von Flüchtlingen
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in unserem Land, dass auch die Zustimmung
der Bevölkerung nicht auf Dauer zu haben
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sind, wenn wir nicht zu einer Obergrenze
für die Zuwanderung bei den Flüchtlingen
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kommen.
Beifall im CSU-Saal
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maha: Ja, donnernder Applaus dafür,
offenbar sind alle der Meinung.
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Horst: Der Horst Seehofer und Angela
Merkel, oder Angela Merkel, Entschuldigung,
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und Horst Seehofer haben noch immer für
alles eine Lösung gefunden. Wenn das
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dein Motto in den nächsten Wochen ist,
Lachen und Beifall im 33C3-Saal
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dann bist du wieder herzlich eingeladen!
Beifall im CSU-Saal
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maha: Ja, den Rest musste ich noch zeigen.
Audio/Video-Wiedergabe endet
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Also es ging um die Obergrenze.
‚Obergrenze‘, ne? Das ist der
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entscheidende Punkt. Und man hört
‚Obergrenze‘ und denkt jetzt „Aha,…“,
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also rechte Kreise denken „Ja,
der Seehofer will halt irgendwie
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die Flüchtlinge raushaben, oder weniger
davon haben, oder zumindestens begrenzen“.
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Und dann wählen solche Leute vielleicht
doch die CSU, die das wollen.
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Aber er meint was anderes. Wir haben das
am 7. Dezember im Blog veröffentlicht.
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Und am 14. Dezember, das ist das
folgende Interview, erklärt Horst Seehofer
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was er meint. Nur wird es wieder
nicht richtig deutlich. Weil es dann
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überdeckt wird durch andere Aussagen,
die dann tatsächlich überall in der Presse
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erscheinen. Aber was er eigentlich meint
mit der Obergrenze wird nicht richtig
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deutlich, und das erklärt warum er auch
so weit gehen kann mit dieser Forderung.
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Wir hören uns das mal an.
Audio/Video-Wiedergabe startet
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Interviewerin: …man in Essen, und
zwar nicht nur die Kanzlerin, sondern
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eigentlich sehr viele in der Partei ganz
klar gesagt hatten, „Obergrenze wird es
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nicht geben!“. Jetzt hatten Sie gesagt, die
soll, die muss in den Koalitionsvertrag.
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Würden Sie also wirklich lieber
in der Opposition sein als
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einen Koalitionsvertrag zu unterschreiben
ohne Obergrenze?
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Horst: Schauen Sie, seitdem ich Politik
betreibe höre ich immer „das geht nicht“,
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und „das wird nicht kommen“, und es kommt
dann doch. Ich habe mehrere solche
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Stationen hinter mir. Ein sehr schönes
Erlebnis war jetzt letzte Woche.
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Wir haben ja seit über einem Jahr der
Bundesregierung angeboten, dass sich
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bayerische Polizeibeamte an den
Grenzkontrollen zwischen Österreich
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und Deutschland beteiligen. Das ist
über ein Jahr lang abgelehnt worden,
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„geht nicht“, „kommt nicht“. Und jetzt
sind wir gebeten worden das zu machen.
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Wir tun’s auch. So. Und hier wird es
genauso sein. Wir werden zu einer
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Begrenzung, auch zu einer
Obergrenze kommen. Und
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das wird ein ganz wichtiger Punkt
für die CSU im Wahlprogramm,…
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Interviewerin: Also nur um
Sie da richtig zu verstehen…
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Horst: …Frau Hassel, und wir garantieren
der Bevölkerung, für den Fall, dass wir
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uns an einer Regierung beteiligen können,
zunächst muss ja die Bevölkerung
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entscheiden ob dies möglich ist, werden
wir garantieren, der Bevölkerung, dass wir
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dafür sorgen, dass dies in die
Regierungspolitik Einzug hält.
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Für die nächste Legislatur.
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Interviewerin: Also wie die Maut?
Horst: Wie die Maut, ja.
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Interviewerin: Also erst glauben Sie dass
die Obergrenze… wie die Maut… irgendwann
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wird die größere Schwester mürbe und dann
kommt es doch in den Koalitionsvertrag?
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Horst: Nicht weil sie mürbe wird, sondern
weil es eine Übereinstimmung gibt.
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Ich habe ja auch in anderen Dingen…
Kopfpauschale im Gesundheitswesen
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war auch so ein Fall. Da hieß es immer:
„Kommt, kommt, kommt“, CDU hat es
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auf ihrem Parteitag beschlossen, gegen
eine Stimme. Aber sie ist nie gekommen.
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Weil es auch ungerecht gewesen wäre.
Und hier müssen wir doch sehen, dass wir
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unsere Aufgaben mit der Zuwanderung,
die übrigens noch viele, viele Jahre
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anhalten wird, die Zuwanderung nach
Europa, und damit schwerpunktmäßig
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nach Deutschland, dass wir
diese Aufgaben der Integration,
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der Gewährleistung der Sicherheit im Lande
nur der Bevölkerung versprechen können
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dass wir sie schaffen, wenn wir die
Zuwanderung jährlich begrenzen.
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Die Begrenzung ist eine Voraussetzung
für die Humanität und die Integration.
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Interviewer: Aber, Herr Seehofer,…
Audio/Video-Wiedergabe endet
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maha: Ja. Gut, also ‚Obergrenze‘. Was
hat es damit auf sich, und warum kann er
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so weit gehen und sagen: „Ja, das muss
dann als Garantie… also wir garantieren
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dass das reinkommt“. Naja. Er hat’s hier
deutlich gesagt. Er hat nämlich gesagt
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es geht um eine Obergrenze der
‚Zuwanderung‘. Zuwanderung ist aber
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was anderes als Flüchtlinge. Bei
Zuwanderung geht es tatsächlich dann
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darum dass Leute integriert werden, und
Deutsche werden. Und das will er begrenzen.
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Das ist aber eigentlich sonst nicht das
Thema! Aber das hören eben Leute, die
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aus rechtspopulistischen Kreisen kommen,
oder aus rechten Kreisen kommen, nicht.
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Sondern sie hören: „Ah, Begrenzung, keine
Flüchtlinge, wunderbar, dann passt das.“
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Aber es geht eben nicht um die Begrenzung
der Flüchtlinge. Mit denen will man dann
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schon irgendwie umgehen. Die CSU fordert
ja auch sowas wie „Transitzonen“, und so.
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Also es ist ja nicht ganz klar wie das
dann laufen soll. Aber es geht um
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die ‚Zuwanderung‘. Aber dadurch dass er
‚Begrenzung‘ und ‚Obergrenze‘ sagt, kommt
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die Botschaft an, die CSU tut was gegen
Flüchtlinge. Was sie ja eigentlich nicht tut.
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Und deshalb ist das eben auch kein Problem
mit dem Verfassungsrecht, weil man ja nur
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immer „Integration“, und „Einwanderung“,
„Zuwanderung“ spricht, und nicht
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über Flüchtlinge. Und deshalb kann er ja
auch solche vollmundigen Garantien
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ankündigen. Also die Leute hören etwas
anderes als er eigentlich sagt. Und das
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ist schon irgendwo bedenklich. Ja. Ein
anderes Wort das ich in einer Talkshow
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aufgeschnappt habe, und das so ein
bisschen zeigt, dass irgendwas seltsam ist,
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ist dieses: „Multikulti ist gescheitert“.
„Multikulti“. Was ist ‚Multikulti‘
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überhaupt für ein Wort? Müsste ein
Substantiv, an der Stelle, sein. Aber
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man kann keinen Artikel davorsetzen,
‚der die das Multikulti‘ – ist so ähnlich
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wie ‚der die das Cyber‘!
Cyber? Ist wie Multikulti!
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Beifall
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Und da ich mit ‚Cyber‘ und ‚Multikulti‘
jetzt schon 2 solche Wörter habe,
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brauchen wir eine Kategorie. Also
ich nenne die ‚Pseudo-Substantive‘.
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Also die irgendwie schwer als Substantive
zu beschreiben sind, und deshalb ist auch
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
nicht ganz klar was sie bedeuten. Ja, ein
anderes Wort, was ich so ein bisschen auch
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als mein persönliches Wort – und da ist
nicht mal ein Wort, sondern ein Wort-Teil –
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des Jahres ansehe, ist ‚kritisch‘. Denn
das zeigt offenbar dass Populismus
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sich verbreitet, dass populistische
Argumentationsweisen eben tatsächlich
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irgendwie ankommen. Also das liest
man, was jetzt kommt, in Zeitungen.
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[Da] wollen wir auch die Zeitungen nennen:
‚asylkritisch‘ war im Focus, in der Welt.
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‚Zuwanderungskritisch‘, nee, ich glaube
die ‚schwulenkritischen‘ Äußerungen
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hatte ich auch mehrfach, auch, glaube
ich, Focus. Also man kann das leicht
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herausfinden, indem man nach diesen
Wörtern googelt. Also das sind Wörter,
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die man so in der Presse findet. Und die
sind natürlich schon irgendwie falsch.
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Also es gibt sowas wie ‚Religionskritik‘.
Das ist üblicherweise das, was
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Angehörige einer Religion machen.
Weil sie herausfinden wollen was jetzt
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der wahre Glaube ist. Also ‚kritisch‘ im
griechischen Sinne, dass man siebt,
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und das Gute raussiebt.
Aber darum geht’s natürlich nicht.
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Bei ‚islamkritisch‘ lehnt man einfach
Islam ab, oder den Islam ab, und
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ist nicht kritisch damit, dass gewisse
Glaubensgrundsätze richtig sein sollen
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und andere nicht. Bei ‚asylkritisch‘
wird auch nicht gesagt: „Naja,
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vielleicht sind die Asylbedingungen
nicht gut“, sondern man lehnt Asyl ab.
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Und bei ‚zuwanderung[skritisch]‘ wird
Zuwanderung abgelehnt. Oder bei
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‚schwulenkritisch‘, da geht’s ja nicht
darum, dass bestimmte Aspekte
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des Schwulseins vielleicht authentischer
sind als andere. Sondern…
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Gelächter und Beifall
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Ja, wird halt abgelehnt! Also es ist der
Ersatz für ‚-feindlich‘! Also gemeint ist
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‚schwulenfeindlich‘, ‚islamfeindlich‘,
‚zuwanderungsfeindlich‘.
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Aber es wird nicht ‚feindlich‘
verwendet, sondern ‚kritisch‘.
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Also ein abgeschwächter Begriff.
Und das ist normale Pressesprache!
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Das ist vielleicht ein Problem. Das
gleiche mit den ‚besorgten Bürgern‘.
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Oder ‚besorgte Eltern‘. Auch etwas, was
man ganz normal in der Zeitung liest
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oder in der Tagesschau hört.
Und niemand hinterfragt das.
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Interessant ist übrigens, dass
‚besorgte Bürger‘ selten gegendert wird.
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Offenbar… ne? Gelächter
Da ist schon was Seltsames, ne?
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Ist offensichtlich als Ganzes lexikalisiert
und bedeutet was anderes, nämlich
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möglicherweise ‚Ausländerfeinde‘,
‚Rassisten‘. Und ‚besorgte Eltern‘
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sind möglicherweise Schwulenfeinde. Gut!
Dann kommen wir zum Wort ‚postfaktisch‘.
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Was ja auch Wort des Jahres [2016] ist.
Und fefe hat mich vorher gefragt was
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der Unterschied zwischen „Lügenpresse“,
„postfaktisch“ und „Fake-News“ ist.
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Und klar, „Lügenpresse“ ist aus dem
Vokabular der Rechten, das haben wir
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vorhin schon gesehen. Da ist „Fake-News“
vielleicht neutral. Aber „Fake-News“,
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wie „postfaktisch“ sind natürlich
Abschwächungen. Bei „Fake-News“
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– ist ja eigentlich, ist gar keine News,
sondern falsche Information, Propaganda.
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Und dazu sagt man ‚Fake-News‘. Und
„postfaktisch“ ist sogar noch eine stärkere
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Abschwächung. Denn es geht ja wieder um
Propaganda, und Lügen. Aber es wird nicht
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von ‚Lüge‘ gesprochen, sondern
von „postfaktisch“. Interessant ist
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wo das Wort herkommt. Das Wort kommt
tatsächlich… hat so einen philosophisch-
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erkenntnistheoretischen Hintergrund.
Da geht es nämlich um sogenannte
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‚Postfaktum-Erklärungen‘. Also Erklärungen
die man nur im Nachhinein geben kann.
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Wird immer so hingestellt in der
Erkenntnistheorie als wichtiger Unterschied
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zwischen den Naturwissenschaften
und den Geisteswissenschaften.
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In den Naturwissenschaften hat man
Erklärungen mit denen man Dinge
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vorhersagen kann. Die sind dann…
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kann man als ‚ante-faktisch‘ bezeichnen,
oder ‚prä-faktisch‘. Nein, so wird’s
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nicht gesagt. Es wird ‚ante-faktum‘,
‚post-faktum‘ gesagt, meistens
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mit den lateinischen Wörtern. Und
‚postfaktisch‘, also Post-Faktum-Erklärungen,
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normalerweise sind solche Erklärungen
in den Geisteswissenschaften, die man
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nur hinterher hat, dann ist das alles
plausibel. Aber vorher kann man Dinge
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nicht vorhersagen. Das hat
was damit zu tun, dass das…
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‚natürlich gegen kulturell‘, und
„Phänomene der 3. Hand“, die halt
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nicht vorhersagbar sind. Das ist
eigentlich die Herkunft, also
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von daher passt’s… kennt Angela Merkel
als Physikerin wahrscheinlich den Begriff
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„Post-Faktum-Erklärung“ und kann das dann
verwenden. Interessant ist jetzt, dass…
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also man sagt ja ‚postfaktisch‘ ist eine
Übersetzung von ‚post-truth‘. Und hier
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ist ganz schön auch wieder die Verteilung
bei Google Trends zu sehen. ‚Post-truth‘
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wird… taucht das erste Mal auf in einem
New-York-Times-Artikel im August.
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Und dann am 24. August 2016.
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Und dann kommt es zu einer
Wiederaufnahme im Economist.
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Das sieht man da auch beim Ausschlag,
nochmal im September, um den 17. September.
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Dann wird das so’n bisschen aufgegriffen.
Auch auf deutsch. ‚Postfaktisch‘ taucht
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das erste Mal auf, ist aber noch
relativ unbedeutend. Bis es dann
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nochmal, also ist nochmal… jetzt
nochmal ‚post-truth‘, im Zusammenhang
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mit der Wahl von Trump. Und
danach ist ‚post-truth‘ schon weg,
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taucht gar nicht mehr auf. Und dann sagt
die Bundeskanzlerin „postfaktisch“,
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alle googeln das, und deshalb ist das
da plötzlich hoch, und bleibt auch
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relativ hoch. Weil es ja dann Wort des
Jahres [2016] wird, kann man dann
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auch wieder einen Ausschlag sehen. Also,
man sieht sehr deutlich, dass das hier
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eine gewisse Bedeutung hat, die sogar
den Gebrauch von ‚post truth‘ übersteigt,
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denn ‚post truth‘ – also ich hab hier die…
nicht die Deutschland-Trends genommen,
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sondern die weltweiten Trends. Da würde
man eigentlich erwarten, dass ‚post-truth‘
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viel höher ist. Aber das ist gar nicht
der Fall. Sondern ‚postfaktisch‘
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wird sehr viel stärker verwendet. Ja.
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Und das Problem mit ‚postfaktisch‘
ist eben tatsächlich, dass es eben
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Dinge verharmlost, und praktisch ‚Lüge‘,
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oder kontra-faktisches, Falsches als
postfaktisch darstellt, und damit eben
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abschwächt. Aber auch das ist jetzt ein
Begriff, der verwendet wird von allen!
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Also auch hier, auf dem Kongress habe ich
das öfter gehört. Und man liest das jetzt
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immer wieder, „postfaktisch“. Und
eigentlich ist es nicht ganz zutreffend.
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Und ich finde, da wo der politische
Gegner halt aufrüstet,
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da sollte man nicht darauf hereinfallen
und solche Sachen übernehmen.
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Sondern vielleicht auch die Dinge
mit stärkeren Worten benennen,
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eben z.B. von ‚kontra-faktisch‘ und ‚Lüge‘
sprechen. Und das möchte ich so
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ein bisschen als Empfehlung mit auf den
Weg geben. Und auf der einen Seite
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liegt uns…
Beifall
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Danke schön. Auf der einen Seite die
Konzepte hinterfragen, also wenn jemand
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kommt, und mit einem diskutieren will, ich
hatte so eine Podiumsdiskussion, die auch
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leider nicht so gut gelaufen ist für mich!
Deshalb empfehle ich nicht, das Video
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anzuschauen. Im September [2016],
wo ich auf einem Posium saß, wo es
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um quer-Politik, in Berlin, ging. Und wo
auch ein Vertreter einer rechten Partei
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saß. Der dann eben auch gleich
losgewettert hat, dass eben auf
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der einen Seite natürlich die Flüchtlinge
das quere Leben zerstören werden, und
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man deshalb, zum Schutz von Schwulen und
Lesben was tun muss gegen die Flüchtlinge.
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Auf der anderen Seite dann aber auch
gesagt hat, ja die ‚Frühsexualisierung‘,
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das lehnen wir ab. Also, man muss
den Kindern ja nicht beibringen, dass
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irgendwie es verschiedene Lebensweisen
gibt. Also so eine Doppelt-Argumentation.
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Einmal schwulenfeindlich, und einmal
– nicht ‚sozusagen‘ sondern tatsächlich –
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ausländerfeindlich. Aber
pro-Schwule-und-Lesben.
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Und da muss man eben tatsächlich mal
hinterfragen, was ist eigentlich gemeint
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hier, mit diesen Argumentationen, was
ist gemeint, wenn dann jemand sagt:
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„Ja, wir sind kritisch gegen
Einwanderung und so“?
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Dann vielleicht mal direkt auch darauf
ansprechen. Oder wenn jemand sagt:
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„Die Wahrheit wird unterdrückt“, wie wir
das gesehen haben, dann eben mal
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fragen: „Was denn für eine Wahrheit?“. Ich
glaube dass man da viel erreichen kann.
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Und dass man insgesamt viel erreichen
kann, indem man eben tatsächlich auch
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sich etwas genauer überlegt was man sagt.
Also nicht „Sprachfaschismus“ oder so.
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Dass irgendwas verboten ist, sondern
dass eben Leute wirklich bewusst,
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bewusster sprechen. [Ich] denke das
würde an dieser Stelle schon helfen.
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Jo. Und damit bin ich fertig. Danke!
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Beifall
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Herald: Hou, ihr kennt euch aus!
Noch nicht rausrennen! So schnell
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sind wir nicht. Jetzt gibt’s nämlich noch
Fragen und Antworten. Wer von euch
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hat denn Fragen? Bzw. das Internet?
Kommen da schon welche?
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Signal Angel: Es kommen
gerade welche rein.
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Herald: Geht WLAN wieder nicht?
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maha: Es dauert immer
etwas mit dem Internet.
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Herald: Ach so! Na gut.
Bitte, dann die 2!
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Frage: Ja, ist dir schon der… hast du dich
schon mit dem ziemlich skurrilen Begriff
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„Bio-deutsch“ befasst?
Gelächter
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maha: Ja. Bei meinen Recherchen kam ich
auch… ist mir der auch untergekommen.
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Und ich muss sagen, ich habe ihn dann
nicht mehr berücksichtigt. Aber der
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ist natürlich auch ein sehr interessanter
Begriff. Weil man natürlich Komposita
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mit ‚Bio‘, zunächst mal, da stellt man
sich was anderes vor. Aber ‚Bio‘
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ist natürlich auch immer positiv besetzt.
Auch da wo es gar nicht passt, bei
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„Bio-Diesel“ z.B. Aber hier bedeutet
natürlich ‚Bio-deutsch‘ was anderes.
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Nämlich, ja, eben, genausowas wie
aut-doch-thron (?) oder ‚seit mehreren
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Generationen in Deutschland‘. Was ja
auch nie passt. Also das ist einfach…
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diese Argumentation ist seltsam. Und…
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Frage: Also Nationalität
als ‚erbbare‘ Eigenschaft?
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maha: Genau. Aber ich habe… muss so ganz
ehrlich sagen, ich habe den Begriff dann
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nicht weiter aufgenommen, hier in meinen
Untersuchungskorpus, weil ich nicht genau
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weiß, was man davon halten soll. Also ich
habe ihn… ich suche natürlich immer Belege,
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und kucke mir die an. Und es ist mir
unklar, wer das verwendet, und
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was genau beabsichtigt ist.
Also ich hab’s sowohl in Blogs gefunden
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– also nicht so sehr in den traditionellen
Medien die man der rechten Szene
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zurechnet – ich hab’s aber auch
in Blogs gefunden die nun gerade
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nicht der rechten Szene zuzurechnen sind.
Also da handelt sich’s vielleicht um
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ein Wort, dessen genaue Zuordnung noch
nicht klar ist. Und deshalb habe ich es
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einfach erstmal beiseite gestellt.
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Stimme aus Off: Er meint er weiß was dazu!
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Frage: Ich weiß da was zu, und
zwar habe ich da vor 3..4 Jahren
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mal gekuckt. Der Erste der dieses Wort
verwendet hat, war der Grünen-Politiker
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Cem Özdemir. Soviel dazu.
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maha: Aha. Ja, ich gehe
der Sache noch mal nach.
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Frage: Gibt es ein rhetorisches pattern,
das man verwenden kann, wenn man
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Menschen gegenübersitzt, die sich
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zwar ständig in Widersprüchen äußern, aber
trotzdem sehr polemisch argumentieren?
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
Und also – mir fehlt
gerade das Wort – also…
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
Wie ist das rhetorische pattern,
um sozusagen doch trotzdem
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in ein Gespräch einzusteigen,
oder soll man einfach weggehen?
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
maha: Ja, also…
Lachen, Applaus
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
Applaus
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
Im Zweifel weggehen! Das ist halt
diese Geschichte mit der Filterblase.
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
Dadurch dass viele Wörter eine etwas
andere Bedeutung haben, gibt’s da
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wenig Verständigungsmöglichkeiten. Denn
um sie zu verstehen, muss man die gleiche
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semantische Grundlage haben. Aber wenn der
eine mit ‚Demokratie‘ sowas meint wie „Ja,
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jetzt sind wir mal dran“, und der andere
mit ‚Demokratie‘ meint, das ist jetzt
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
das System mit der Verantwortungs-
delegation und so, dann kann man sich
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
nicht verständigen [auch] wenn man das
gleiche Wort gebraucht. Aber da sieht man
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
auch die Strategie. Man muss da nochmal
genau nachfragen. Was ist denn eigentlich
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
mit ‚Demokratie‘ gemeint? Also, wenn man
das will. Also man kann auch weggehen,
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
unter Umständen. Also was ist mit
‚Demokratie‘ gemeint, oder, wie hier
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
die Journalistin das wirklich sehr,
sehr gut macht, die dann sagt: „Ja,
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
was ist denn Ihre Wahrheit?“ Und wenn
dann gesagt wird: „Ja nö, nicht Ihre!“
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
dann nochmal nachfragen. Und dann sagt sie
ja: „Hören Sie, da!“. Und dann kann man
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
sich vielleicht eher eine Meinung bilden.
Oder dieser eine, ich habe nur einen
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Ausschnitt gezeigt. Der ist noch ein
bisschen länger. Man kann sich das ja
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im Internet anschauen. Da wird dann
nochmal gefragt: „Was meinen Sie denn?“
99:59:59.999 --> 99:59:59.999
Und dann sagt er ja: „Die Wahrheit ist
dass die USA uns steuert“. Dann
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kommt man der Sache schon näher. Also ich
denke man sollte immer wieder nachfragen.
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Das ist – glaube ich –
eine ganz gute Strategie.
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Frage: Also, ‚wer fragt der führt‘, und
dann spitz reingehen, wenn man sich’s
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traut, und aushält ohne
emotional auszuflippen?
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maha: Genau. Ja.
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Beifall
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Herald: Einmal die Frage
aus dem Internet, bitte!
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Signal Angel: Es gibt mehrere Fragen.
Die erste ist: sind Bezeichnungen wie
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‚postfaktisch‘ und ‚Verschwörungstheorie‘
nicht eher schädlich für eine Demokratie,
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da man damit sehr leicht Diskussionen
abwürgen kann, und damit so
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den Diskurs schnell beendet?
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maha: Jaa, alsoo, das ist wirklich eine
schwierige Frage. Also, ich glaube nicht,
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dass… ich denke ‚postfaktisch‘ ist einfach
wirklich ein gelogenes Wort. Das ist…
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sollte man dann schon nicht… sollte man
wirklich vermeiden. Ich glaube nicht, dass
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dadurch eine Diskussion beendet ist.
Es ist ja gerade so, wenn man solche
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weichgespülten, also Euphemismen
verwendet, das ist auch etwas
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was vielleicht sogar die Diskussion
in Gang hält. Die Frage ist nur,
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will man sowas wirklich verwenden. Klar,
ich verstehe ja die Frage so, dass man
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sagt, ach das ist alles postfaktisch, also
alles gelogen, um damit halt den Diskurs
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beendet. Ja, das ist… kann man machen.
Wie gesagt, das hängt vom Interesse ab,
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wieviel Zeit man investieren will, wieviel
Emotion man investieren will. Durch diese
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Einigelung, auch semantische Einigelung
von bestimmten Sprecherinnen und Sprechern
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kann man im Grunde ganz schlecht
diskutieren. Deshalb muss man sich
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zunächst mal über die Konzepte
verständigen. Und das ist, wenn man
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diskutieren will, glaube ich der beste
Weg. Aber es ist halt ganz schwierig.
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Deshalb auch wirklich die Empfehlung:
manchmal ist es auch besser gar nicht
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weiter zu diskutieren.
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Herald: Mikrofon 3, bitte!
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Frage: Ja, zu dem Begriff ‚postfaktisch‘
habe ich noch etwas… eine Frage,
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oder anzumerken. Das kommt ja von einem
Artikel aus dem Economist. Und da ging es
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um einen bestimmten Politik-Stil.
maha:Ja.
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Frage: Und bei diesem Politik-Stil ging
es doch darum, dass die Fakten anscheinend
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gar keine Rolle mehr spielen.
maha:Ja.
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Frage: Und dass es nur noch um Emotionen
geht, also… geht es jetzt um Unwahrheit,
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oder geht es um eine
andere Art von Politikstil?
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maha: Ja. Richtig. Im Economist-Artikel
geht’s um den Politik-Stil. Da ist ja
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das Wort ‚Post Truth‘ verwendet, was
mit ‚postfaktisch‘ dann übersetzt wird.
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Aber das ist… also gemeint ist schon,
dass die Politik die dort gemacht wird,
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also es geht sicherlich um den
Politik-Stil, aber die Verwendung
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von ‚postfaktisch‘ ist dann insbesondere
im Deutschen nochmal ne andere.
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Da geht’s schon um… also das steht schon
in einem Verhältnis zu „Fake News“.
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Obwohl zunächst nur der Politik-Stil
beschrieben wird. Da kann man sagen,
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gut, das geht noch. Bei dem Politik-Stil,
das ist halt ein Politik-Stil der jetzt
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anders ist, weil es nur um Gefühle geht.
Aber damit sind wir natürlich mitten auch
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im Populismus. Denn Populismus ist halt
das Arbeiten mit Gefühlen und nicht mehr
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mit Argumenten. Also ich würde gar nicht
so sehr sagen dass es um Fakten geht,
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sondern es geht um Argumente und
Gefühle, die gegenüber gestellt werden.
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Und der neue Politikstil ist halt einer,
der mit Gefühlen arbeitet, und damit eben
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populistisch ist. Das hatte ich ja am
Anfang, also, Schüren von Ängsten,
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einfache Gewissheiten… Die einfache
Gewissheit führt dann auch zu einem
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gewissen Wohlfühlen. Denn ich weiß
ja wie’s geht. Wir brauchen nur
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das bedingungslose Grundeinkommen
und alles wird schön. Ich habe jetzt hier
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die Gewissheit. Also wie gesagt, ich bin
ein Befürworter des bedingungslosen
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Grundeinkommens. Nur, das hinzustellen
als einzige… als Allheilmittel, als allein
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seligmachend ist natürlich nicht die
Lösung. Und das ist eben genau dieses
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Arbeiten mit Gefühlen, was man eigentlich
nicht will. Das ist nicht… das basiert
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nicht auf Fakten. Aber die Verwendung
von ‚postfaktisch‘ ist jetzt schon relativ
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synonym mit ‚Fake News‘. Also da geht es
schon um Äußerungen. Deshalb: die kann man
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dann auch wirklich ‚Lüge‘ nennen.
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Herald: Mikrofon 4, bitte!
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Frage: Hallo, du hast gerade verschiedene
Begriffe gezeigt für „Flüchtlingsschwemme“,
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„Flüchtlingskrise“ usw. Mir ist in den
letzten Wochen aufgefallen, dass
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das Wort „Flüchtlingsfrage“ in
den Medien oft verwendet wird…
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maha: Ja!
Frage: …und das erinnert mich ein bisschen
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an „Judenfrage“. Das ist so…
Beifall
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…die einzige Verbindung, die ich habe.
Ja? Und ich warte noch darauf, dass
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wir jetzt von der „Endlösung der
Flüchtlingsfrage“ irgendwie reden.
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maha: Hm-hmm. Sehr interessanter Punkt.
Weil tatsächlich also ich glaube du hast recht,…
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Frage: Weil das hast du in
linken und rechten Medien, ne?
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maha: Die Leute die das… Ich
muss mal nach den Kontexten
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von „Flüchtlingsfrage“ suchen. Es könnte
in der Tat so sein, dass das jemand
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aufgebracht hat genau mit dieser
Assoziation, die ich auch habe.
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Aber natürlich ist ‚Frage‘ noch neutraler
als ‚Krise‘. So dass möglicherweise Leute
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das Wort „Flüchtlingsfrage“ übernehmen,
weil sie denken, ja, ‚Krise‘ ist mir jetzt
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zu reißerisch, sagen wir doch lieber
„Flüchtlingsfrage“. Und im Grunde
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– und das ist einfach das Perfide an
dem Wort – weckt das die Assoziation,
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tatsächlich, zu „Judenfrage“. Genau. Also
das ist… das muss ich mir anschauen.
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Das ist eine super Beobachtung.
Das war mir noch nicht aufgefallen. Ja.
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Frage: Gut, danke!
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Beifall
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Herald: Eine Frage aus dem Internet!
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Signal Angel: Die Frage lautet: Was ist
deiner Meinung nach die Ursache
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für die Verschiebung der Argumentation
weg von Fakten, hin zu einer
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emotionalen Variante?
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maha: Na, der Hintergrund ist eine
Strategie. Also vielleicht habe ich das
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nicht deutlich genug gemacht. Also, das
sind hier Leute, die tatsächlich eine
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Strategie haben. Das wird ja überlegt!
Ich meine, ich wollte jetzt nicht so sehr
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die Äußerungen von bestimmten
Parteimitgliedern, denen man vielleicht
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hier nicht eine Plattform bieten will.
Aber die sagen ja auch tatsächlich,
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„wir wollen provozieren, das ist unsere
Strategie“. Und auf der anderen Seite,
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„wir wollen in diesen Diskurs kommen“.
Also es gibt so eine Doppelstrategie.
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Auf der einen Seite auch die Wiederaufnahme
durch die Medien, das macht man mit diesen
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Termini, die dann so ein bisschen harmlos
daherkommen. Und auf der anderen Seite
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die Provokation, indem man dann mal sagt,
„Ja, ‚völkisch‘ muss wieder ein normales
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Wort sein!“. Was es nie war.
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Herald: Mikro 2, bitte!
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Frage: Ich habe in letzter Zeit öfter die
Kritik gehört, dass irgendwie ein
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öffentlicher Diskurs behindert werden,
oder eingeschränkt werden würde, indem
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Leute mit besonders starken Wörtern
bezeichnet werden, die in dem Fall
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angeblich gar nicht zutreffen würden.
Z.B. dass irgendjemand der gegen
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die Ehe für alle ist, dann irgendwie sagt:
„Okay, die Ehe sehe ich jetzt irgendwie
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zwischen Mann und Frau, aber es können
ruhig alle Leute machen, was sie wollen.
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Solange sie es nur nicht ‚Ehe‘ nennen.“
Dass die als homophob bezeichnet werden
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würden.
maha: Als was bezeichnet?
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Frage: ‚Homophob‘. Z.B. Oder Leute als
Rassisten bezeichnet werden würden
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weil andere Leute sagen würden, okay,
Rassismus ist Rassenideologie, ich sehe
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das gar nicht so dass das Rassisten sind
etc. Und dass quasi so ein Diskurs
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behindert werden würde. Was ist Ihre
Meinung dazu? Und wie kann ich vielleicht
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darauf antworten wenn ich das nicht so
finde?
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maha: Hm. Tja. Das ist in der Tat eine
schwierige Sache. Also… ich meine
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ich habe ja auch hier vertreten, dass
Leute die dann sowas sagen wie
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„Schwulenkritisch“, dass die vielleicht
was anderes besser sagen sollten.
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Klar. Also es ist eine ganz schwierige
Geschichte. Man müsste sich dann genauer
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ankucken, wer da spricht. Also manchmal
– ich habe das ja vorhin schon gesagt –
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manchmal ist es gut wenn man den Diskurs
gar nicht erst aufnimmt. Dann ist es auch
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gut, wenn man gleich sagt, „Nee, also auf
dieser Ebene möchte ich nicht diskutieren.“
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Oder dass man halt hinterfragt, oder dass
man nochmal fragt: „Wieso, was ist da
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eigentlich gemeint, mit sowas ‚ich lehne
die Ehe für alle ab‘ oder ‚ich bin für
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die Ehe für Mann und Frau, nur
zwischen Mann und Frau‘?“
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Natürlich kann man – wenn das jemand sagt –
kann man schon sagen, dass diese Person
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irgendwo was gegen die
gleichgeschlechtliche Ehe hat.
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Also dieser feindlich gegenüber steht.
Das ist ja dann nicht unbedingt
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das Ende eines Diskurses. Aber ich glaube,
dann zu sagen dass so jemand schwulen-
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oder lesbenkritisch ist, ist
glaube ich nicht zutreffend.
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Frage: Würden Sie…
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Herald: Entschuldigung, ich muss das hier
abbrechen. Einen Riesenapplaus
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für Martin Haase!
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Beifall
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Abspannmusik
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Untertitel erstellt von c3subtitles.de
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