WEBVTT 00:00:06.737 --> 00:00:11.116 Was ist Wirklichkeit, Wissen, der Sinn des Lebens? 00:00:11.116 --> 00:00:14.861 Solch große Themen kann man vielleicht besser mit Bildern erklären: 00:00:14.861 --> 00:00:18.676 die Existenz als eine Reise entlang einer Straße oder über ein Meer, 00:00:18.676 --> 00:00:25.278 ein Aufstieg, ein Krieg, ein Buch, ein Faden, ein Spiel, ein Zeitfenster, 00:00:25.278 --> 00:00:29.386 eine allzu schnell erlöschende Flamme. 00:00:29.386 --> 00:00:30.991 Vor 2 400 Jahren 00:00:30.991 --> 00:00:33.543 sagte einer der berühmtesten Denker: 00:00:33.543 --> 00:00:37.011 Das Leben ist, als wären wir in einer Höhle angekettet 00:00:37.011 --> 00:00:40.022 und sähen Schatten zu, die über eine Steinwand huschen. 00:00:40.022 --> 00:00:41.658 Sehr aufmunternd, nicht wahr? 00:00:41.658 --> 00:00:45.803 Genau darum geht es in Platons Höhlengleichnis 00:00:45.803 --> 00:00:48.216 im siebten Buch seiner "Politeia". 00:00:48.216 --> 00:00:51.821 Darin entwirft der griechische Philosoph die ideale Gesellschaft 00:00:51.821 --> 00:00:56.669 und untersucht Konzepte wie Gerechtigkeit, Wahrheit und Schönheit. 00:00:56.669 --> 00:01:01.682 In Platons Gleichnis sind Gefangene von Geburt an in einer Höhle gefesselt. 00:01:01.682 --> 00:01:05.126 Sie sind vom Eingang abgewandt und können sich nicht umdrehen. 00:01:05.126 --> 00:01:08.428 Über die Welt außerhalb der Höhle wissen sie nichts. 00:01:08.428 --> 00:01:13.184 Ab und zu jedoch kommen Menschen und Gegenstände an der Höhlenöffnung vorbei 00:01:13.184 --> 00:01:17.875 und werfen Schatten und Echos gegen die Wand, die die Gefangenen sehen. 00:01:17.875 --> 00:01:20.927 Die Gefangenen benennen und bestimmen diese Trugbilder 00:01:20.927 --> 00:01:24.199 in dem Glauben, es handle sich um reale Wesen und Gegenstände. 00:01:24.199 --> 00:01:29.345 Auf einmal wird ein Gefangener befreit und erstmals ins Freie geführt. 00:01:29.345 --> 00:01:33.721 Das Licht schmerzt in seinen Augen. Im neuen Umfeld fehlt ihm die Orientierung. 00:01:33.721 --> 00:01:36.511 Als er erfährt, dass die Dinge um ihn herum real 00:01:36.511 --> 00:01:40.202 und die Schatten nur Spiegelbilder sind, kann er es nicht glauben. 00:01:40.202 --> 00:01:42.745 Für ihn waren die Schatten viel klarer. 00:01:42.745 --> 00:01:45.036 Allmählich aber passen sich seine Augen an 00:01:45.036 --> 00:01:47.327 und er kann zunächst Spiegelbilder im Wasser 00:01:47.327 --> 00:01:49.619 und dann die Gegenstände direkt ansehen. 00:01:49.619 --> 00:01:51.650 Schließlich blickt er gar in die Sonne, 00:01:51.650 --> 00:01:55.474 deren Licht die eigentliche Quelle all dessen ist, was er gesehen hat. 00:01:55.474 --> 00:01:59.479 Der Gefangene kehrt in die Höhle zurück, um von seiner Entdeckung zu berichten. 00:01:59.479 --> 00:02:01.828 Doch er ist nicht mehr an die Dunkelheit gewöhnt 00:02:01.828 --> 00:02:06.004 und kann die Schatten an der Wand kaum wahrnehmen. 00:02:06.004 --> 00:02:09.796 Die übrigen Gefangenen denken, die Reise hätte ihn dumm und blind gemacht, 00:02:09.796 --> 00:02:13.776 und wehren sich gewaltsam gegen alle Befreiungsversuche von außen. 00:02:13.776 --> 00:02:16.733 Platon verwendet diese Geschichte als Gleichnis 00:02:16.733 --> 00:02:21.169 für einen Philosophen, der versucht, die Öffentlichkeit aufzuklären. 00:02:21.169 --> 00:02:24.458 Die meisten Menschen fühlen sich nicht nur wohl in ihrer Unwissenheit, 00:02:24.458 --> 00:02:28.199 sondern stehen auch jedem, der sie darauf hinweist, feindlich gegenüber. 00:02:28.199 --> 00:02:31.928 Sokrates wurde im wahren Leben von der Athener Regierung 00:02:31.928 --> 00:02:35.321 wegen Störung der öffentlichen Ordnung zum Tode verurteilt. 00:02:35.321 --> 00:02:38.694 Sein Schüler Platon verwendet einen Großteil seiner "Politeia" darauf, 00:02:38.694 --> 00:02:41.312 die Athener Demokratie zu verunglimpfen 00:02:41.312 --> 00:02:43.822 und sich für eine Philosophenherrschaft einzusetzen. 00:02:43.822 --> 00:02:47.490 Mit dem Höhlengleichnis wollte Platon vielleicht sagen, 00:02:47.490 --> 00:02:50.013 dass die Massen zu stur und unwissend seien, 00:02:50.013 --> 00:02:52.138 um sich selbst zu regieren. 00:02:52.138 --> 00:02:56.123 Doch das Gleichnis regt seit 2 400 Jahren die Vorstellungskraft der Menschen an, 00:02:56.123 --> 00:02:59.501 weil es auf viel mehr Arten interpretiert werden kann. 00:02:59.501 --> 00:03:03.294 Insbesondere ist das Höhlengleichnis eng mit der Ideenlehre verknüpft, 00:03:03.294 --> 00:03:05.793 die Platon in anderen Dialogen entwickelte 00:03:05.793 --> 00:03:08.079 und die besagt: Wie die Schatten an der Wand 00:03:08.079 --> 00:03:12.870 sind die Dinge in der konkreten Welt mangelhafte Abbilder von "Ideen" -- 00:03:12.870 --> 00:03:16.273 Idealvorstellungen von z. B. Rundheit oder Schönheit. 00:03:16.273 --> 00:03:19.738 In diesem Sinne führt Platons Höhle zu vielen grundlegenden Fragen 00:03:19.738 --> 00:03:21.926 wie den Ursprung des Wissens, 00:03:21.926 --> 00:03:24.040 das Problem der Darstellung 00:03:24.040 --> 00:03:27.227 und die Beschaffenheit der Wirklichkeit selbst. 00:03:27.227 --> 00:03:32.043 Für Theologen existieren die "Ideen" im Bewusstsein eines Schöpfers. 00:03:32.043 --> 00:03:36.009 Sprachphilosophen betrachten die "Ideen" als sprachliche Konzepte 00:03:36.009 --> 00:03:39.156 und Platons Theorie veranschaulicht für sie das Problem, 00:03:39.156 --> 00:03:42.082 konkrete Dinge mit abstrakten Begriffen zu benennen. 00:03:42.082 --> 00:03:44.626 Wieder andere fragen sich: Können wir wirklich wissen, 00:03:44.626 --> 00:03:48.774 dass die Dinge außerhalb der Höhle realer sind als die Schatten? 00:03:48.774 --> 00:03:50.730 Können wir uns in unserem Leben dessen, 00:03:50.730 --> 00:03:53.352 was wir zu wissen glauben, wirklich sicher sein? 00:03:53.352 --> 00:03:54.787 Vielleicht werden eines Tages 00:03:54.787 --> 00:03:58.962 unsere grundlegendsten Annahmen von einem Lichtschimmer durchbrochen. 00:03:58.962 --> 00:04:01.569 Wirst du dich dann losreißen und dem Licht zustreben, 00:04:01.569 --> 00:04:04.203 selbst wenn du dadurch Freunde und Familie verlierst? 00:04:04.203 --> 00:04:07.572 Oder wirst du an bequemen und vertrauten Trugbildern festhalten? 00:04:07.572 --> 00:04:11.014 Wahrheit oder Gewohnheit? Licht oder Schatten? 00:04:11.014 --> 00:04:14.724 Schwere Entscheidungen. Doch nur zum Trost: Du bist nicht allein. 00:04:14.724 --> 00:04:17.264 Wir sind eine ganze Schar hier unten.