Ich bin Catherine. Ich bin Examenskandidatin in Chemie auf der Universität in Warwick. Ich bin Tochter, Schwester, Freundin und feste Freundin und genesende Magersüchtige. Ich möchte Ihnen einen Einblick in Ess-Störungen und den Erholungsprozess geben anhand meiner Erfahrungen. Mein Weg der Schmerzen,Tränen, Akzeptanz und Selbstfindung. Ess-Störungen diskriminieren nicht: Geschlecht, Alter, Sexualität und Rasse haben keine Bedeutung. Diese Krankheiten haben nicht nur gestresste Teenager-Mädchen, die wie Models aussehen wollen. Das sind Ernst zu nehmende Krankheiten mit verheerenden Folgen. Magersucht hat die höchste Sterblichkeitsrate aller psychischer Krankheiten. Ich nehme an, die Frage hier ist: Warum? Warum entscheiden wir uns zu Tode zu Hungern, uns selbst zu zerstören, bis zur Besinnungslosigkeit zu trainieren? Warum entscheiden wir, uns selbst und die Menschen um uns zu verletzen? Die Antwort ist einfach: Es ist keine Entscheidung. Ess-Störungen sind keine getroffenen Entscheidungen. Sie sind ein Weg Dinge zu verarbeiten, eine Schutzdecke, geben Identität. Sie machen das Leben einfacher, indem sie dir ein Regelbuch für das Leben geben. Die Regeln sagen dir, wie du leben darfst, was du tun, sagen und essen darfst. Die Regeln nehmen dir die Auswahl und Entscheidungen ab, und sie nehmen das Risiko weg. Sie geben dir Kontrolle. Klar, wollen wir uns alle in Kontrolle fühlen. Aber oft verfolgen uns Dämonen. Alkoholismus, Drogenmissbrauch, Selbstverletzung und Ess-Störungen. Alles Süchte, bei denen man nach Kontrolle strebt in einer Welt voller sozialer Konstrukte, die jemand Anders festgesetzt hat. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Qual, die man jeden Tag verspürt. Auf der Suche nach Frieden von dieser Stimme im Kopf, die einem immerzu sagt: Du bist nicht gut genug. Betäubung suchend, damit man sich nicht mit den negativen Gedanken und Gefühlen auseinandersetzen muss. Bei Ess-Störungen geht es nicht nur ums Essen und ums Gewicht. Sie sind eine Sucht, sie sind Selbstzerstörung. Jede Ess-Störung ist anders, wie sie anfängt, wie sie sich ausprägt, welche Regeln sie bestimmt, welchem Zweck sie dient. Aber das ist die Gemeinsamkeit: Sie dienen alle einem Zweck. Vor fünf Jahren, an meinem 18. Geburtstag, fühlte ich mich so unsicher, wie sich alle jungen Frauen wegen ihres Aussehens fühlen. Im Gegensatz zu meinen Freunden, freute ich mich nicht darauf, 18 zu werden. Ich wollte nicht ausgehen, saufen und feiern gehen. Ich fühlte mich nicht bereit dazu, erwachsen zu werden. Ich steckte fest auf diesem unaufhaltsamen Förderband von der Sekundarstufe zum Abitur, auf die Universität, und ins Arbeitleben. Es fühlte sich an, als wäre mein Leben nicht mehr in meinen Händen. Ich wusste nicht, was ich wollte. Ich wendete mich einer Sache zu, von der ich wusste, dass sie mich glücklich machen würde: Essen. Ich wollte mehr essen. Also entschied ich, Gewicht zu verlieren, damit ich mehr essen könnte, ohne mich deswegen schuldig fühlen zu müssen. Da entstanden meine Regeln: Nicht zwischen den Mahlzeiten essen, nichts essen solange ich nicht am Verhungern bin, nicht mehr essen als irgendjemand Anders am Tisch. Diese Regeln wurden von meinen Mitmenschen nicht bemerkt. Ich gab mein Bestes, dass dem auch so blieb, denn ich hatte die Kontrolle. Der Plan ging auf. Ich aß nicht zwischen den Mahlzeiten, ich aß nicht mehr als jemand Anderes, und ich aß nicht, sofern ich nicht am Verhungern war. Ich verlor also Gewicht. Aber ich aß nicht mehr, wie ich es mir versprochen hatte. Die Zeit verging, das Leben ging weiter. Im Januar kamen die Prüfungen, zusammen mit all dem Stress. Ich fühlte mich wieder außer Kontrolle. Also stellte ich mehr Regeln auf: Esse nie den Teller ganz auf, esse nie fettreiche Lebensmittel. Wähle immer für die Option mit den wenigsten Kalorien. Ich war wieder in Kontrolle. Ich fühlte mich wieder sicher. Aber ich ahnte nicht, dass die Regeln, die mir Sicherheit gaben, mich langsam umbrachten. Im April 2012, hatte ich knapp sechs Kilo verloren. Meine Rippen zeigten sich, meine Hüftknochen stachen hervor. Ich war ein Kleiderbügel für meine Klamotten. Ich meinte nicht, ich sähe irgendwie anders aus, aber meine Familie und mein Umfeld bemerkten es. Meine Mutter schleppte mich zu Ärzten. Ich war so wütend. Ich glaubte nicht, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Ich meinte es wäre ganz normal nie Nachspeise zu essen, Cornflakes mit ins Kino zu nehmen - als Ersatz für Popcorn, und mich jeden Tag mindestens fünf Mal zu wiegen. Der Doktor überwies mich zur Untersuchung an einen Spezialisten in Leicester. Bei dieser Untersuchung wurde ich mit Magersucht diagnostiziert. Ich erfüllte alle Kriterien. Erstens: Ausgeprägte Angst an Gewicht zu zunehmen oder fett zu werden, trotz starken Untergewichts. Zweitens: die Weigerung ein Gewicht beizubehalten, bei oder über minimalem Normalgewicht für Alter und Größe. Drittens: gestörte Selbstwahrnehmung von Körpergewicht oder Aussehen und eine unangebrachte Einflussnahme aufgrund dieser Selbstwahrnehmung. Nach meiner Diagnose wurde es viel schwieriger, meinen Regeln zu folgen. Meine Familie wusste nun Bescheid, und versorgte mich mit Essen, bei jeder Gelegenheit. Also musste ich Tricks anweden. Ich erfand neue Regeln für mein Regelbuch: Iss niemals, wenn du alleine bist, trinke niemals Kalorien, vermeide Essen um jeden Preis. Ich musste jede Woche zum Wiegen und zur Therapie ins Krankenhaus Ich verspürte große Freude die Zahlen der Waage fallen zu sehen; jedes Mal, wenn ich darauf stieg. Ich wurde tiefer in diese magersüchtige Denkweise hineingezogen. Das Leben zuhause wurde schlimmer, als ich immer verlogener wurde. Die Mahlzeiten waren schrecklich; ein innerer Kampf zwischen Nicht- Essen und dem Auslösen eines weiteren Streits. Ich wusste, sobald ich Messer und Gabel niederlegte, die Hälfte meines Essens unberührt, würde es losgehen. Meine Schwester würde hoch rennen, unfähig damit klarzukommen, was ich mir selbst antat. Meine Mutter würde weinen, mein Vater würde schreien und mich fragen, ob ich sterben wolle? Ich habe einfach alles über mich ergehen lassen. Es brachte mich um, was ich meiner Familie antat, aber ich konnte nicht aufhören. Ich glaubte nicht, dass ich es verdiente, damit aufzuhören. Zu dieser Zeit war es Juni. Zeit für meine Abschlussprüfungen. Irgendwie habe ich es geschafft, entschlossen, dass meine 14 Schuljahre nicht umsonst sein sollen. Ab dem Tag meines Abschlusses, verschlechterte sich mein Zustand rasant. Jeden Tag aß ich weniger, wurde immer betrügerischer. Meine Regeln erweiterten sich Tag für Tag, wurden immer einschränkender: Iss nie mehr als 500 Kalorien am Tag. Iss nie etwas, das du nicht gewogen hast. Genieße es niemals, zu essen. Jenen Sommer hatten wir einen Familienurlaub im Ausland geplant, aber man untersagte mir das Fliegen. Zuhause konnte ich nicht schlafen. Meine Herzfrequenz war so niedrig; mein Körper fürchtete, nicht mehr aufzuwachen. Meine 15-jährige Schwester musste mich Huckepack nehmen, da ich einen Hügel nicht hochlaufen konnte. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich wusste, dass ich so nicht leben könne, aber ich konnte nicht essen. Ich konnte nicht zunehmen. Denn das würde heißen, die Kontrolle zu verlieren. Das war die wichtigste Regel von allen. Die, die alle anderen überwog: Verliere nie die Kontrolle. Nach einem meiner wöchentlichen Termine ließ ich mich freiwillig als stationäre Patientin in die Leicester Abteilung für Esstörungen überweisen. Ich war so verwirrt. Was hatte ich nur getan? Ich wollte dort nicht sein, aber ich wusste, dass ich Hilfe brauchte. Nachts lag ich wach im Bett, schaute mir Videos des Food Networks an, bestaunte all dieses schöne Essen, dass ich mir selbst verweigerte. Essen. Eines meiner Leiblingssachen. Natürlich konnte ich das nicht zugeben; keinem gegenüber. Denn Magersüchtige hassen doch Essen, nicht? Nein. Ganz tief im Inneren lieben die Magersüchtigen eigentlich Essen. Sie verbieten sich etwas, das sie lieben, als Strafe. Während meines fünfmonatigen Aufenthalts auf der Magersucht-Station erlebte ich Dinge, die nicht viele 18-Jährige erleben: Ich hörte Schreie, als einem Mädchen zum vierten Mal am Tag eine Ernährungssonde eingeführt wurde. Es war unmöglich, mein Zimmer bei Sperrung der Station zu verlassen, wenn jemand aus meinem Bereich zu fliehen versuchte. Natürlich war es nicht nur so. Ich habe einige wundervolle Freunde gefunden. Zum ersten Mal, bist du unter Leuten, die genau verstehen, was du gerade durchmachst. Wir erlebten so viel Schönes: Filmabende mit Gesichtsmasken, wir lachten und scherzten. Ich habe mich normal gefühlt, trotz der absurden Situation um mich. Ich machte Fortschritte mit diesem Programm. Jeden Tag bekämpfte ich die Regeln, die ich aufgestellt hatte, um mich zu schützen. Aber für jede, die ich besiegte, tauchte eine Neue auf. Magersucht ist eine Krankheit mit großem Wettbewerbs-Charackter. Wenn man von anderen Magersüchtigen umgeben ist, gibt dir das Ideen. Du übernimmst dann deren Gewohnheiten und Regeln. Aber ich hab es geschafft, ich habe mein Gewicht wieder hergestellt. Ich brach meine Regeln, ich zerriss mein Regelbuch. Magersucht war ein Kapitel meines Lebens, aber es war nicht das ganze Buch. Ich wurde entlassen, ging nach meinem Gap-Year auf die Universität. Alles war gut; circa einen Monat lang. Diese Geschichte ist nicht linear. Der Weg von Magersucht zur Genesung ist selten linear. Ich hatte einen Rückfall. Mein Gewicht schwand wieder. Diesmal nicht so schnell wie beim ersten Mal, da ich ein oder zweimal am Tag etwas aß. Es stellte sich heraus, mein Regelbuch war noch immer aktiv. Zu und aus den Vorlesungen zu gehen wurde schwieriger. Fünfstündige Laborübungen wurden unertragbar. Ich ging hin, hantierte mit gefährlichen Chemikalien, dabei hatte ich seit 24 Stunden nichts gegessen. Wie ich dabei mich oder jemand Anderen nicht verletzte, ist mir schleierhaft. Ich kämpfte mich durch mein erstes Jahr an der Universität, trug mein falsches Lächeln und gab vor, dass alles in Ordnung wäre. Ich schaffte es durch die Prüfungen, aber dann musste ich nach Hause ziehen. Das bremste meine Gewichtsabnahme, da ich genötigt wurde drei Mahlzeiten und einen Snack pro Tag zu essen, unter dem wachsamen Auge meiner Familie. Zu Hause zu sein und mehr zu essen, bedeutete, ich musste wieder viel trickreicher sein. Ich streute Keks-Brösel auf die Ärmel meiner Kleidung, gab vor Mittagessen gehabt zu haben, lügte darüber, was ich gegessen oder nicht gegessen hatte. Ich wurde zu einer Lügenmaschine. Ich hasste es meine Familie zu belügen. Trotzdem wussten sie es. Sie wussten genau, was ich tat. Sogar als sich mein Zustand weiter verschlechtete, bestand ich darauf, zurück zur Universität zu gehen. Ich wollte keine weitere Unterbrechung. Ich gab nicht auf. Ich traf meinen Psychiater eine Woche vor Semesterbeginn. Er sagte mir, dass ich nicht zurück gehen könnte. Ich weinte und schrie. Ich wollte nicht zurück ins Krankenhaus, aber das war meine einzige Option. Ich gab es auf, in diesem Jahr, zurück auf die Uni gehen zu wollen und nahm einen Platz dort an. Es brauchte all meine Stärke, denn ich hatte gerade den größtmöglichen Schritt nach vorne gemacht. Dieser Aufenthalt war viel schwerer als der Erste. Ich hatte nun dieses Verlangen die "perfekte Magersüchtige" zu sein. Dieser Gedanke hielt mich wie kein Anderer gefangen. Er beeinflusste all meine Gefühle: Selbstzweifel, Unzulänglichkeit Falschheit und Wertlosigkeit. Mein Gewicht sank auf die Hälfte meines heutigen Gewichtes, trotzdem wollte ich nicht essen. "Perfekte" Magersüchtige essen nicht. Ich saß Mahlzeit für Mahlzeit nur da, die Krankenschwestern verlangten, dass ich esse, aber ich konnte nicht. Mein Blutzucker stürzte ab. Ich war so dehydriert, dass der Arzt für Tests kein Blut aus meinen Venen bekam. Es war nur wegen der Drohung in die Psychiatrie eingewiesen zu werden, dass ich wieder zu essen begann. Ich trat den Weg der Genesung zum zweiten Mal an. Ja, ich hatte wieder zu essen angefangen, aber hielt an der Magersucht noch fest, ich hielt an den von mir gesetzten Regeln fest, um mich selbst zu schützen. Ich glaubte, ich wäre wertlos, dass mein Leben es nicht wert wäre, gelebt zu werden. Warum sollten 19 Kilo mehr mein Leben irgendwie besser machen, mein Leben lebenswert machen? Also, blieb ich krank. Sicher. Abseits der Realität, abseits von Unheil. Ich war benommen und ich mochte das. Es bedeutete, dass ich mich nicht mit dem Gefühl, eine Versagerin zu sein, beschäftigen musste. Genesung brachte einfach zu viele Risiken mit sich. Genesung würde bedeuten Magersucht letztlich loszulassen, meine Regeln loszulassen, meine Identität loszulassen. Wenn ich genäse, wer würde ich dann sein? Wohin könnte ich mich wenden? Genesung bedeutet nicht nur sie stark genug zu wollen. Man kann es mehr als alles Andere auf der Welt wollen man kann so viele Gründe für die Genesung haben, aber kann es trotzdem nicht tun. Es ist das furchterregendste Konzept überhaupt. Es bedeutet die Kontrolle abzugeben und die Komfortzone zu verlassen. Klar, sind wir alle schuldig, Regeln zu haben, und in unserer Komfortzone bleiben zu wollen. Vergeht nur genug Zeit, findet man Trost in seinem Leiden. Wir verharren weiter in dem Beruf, den wir hassen. Wir schleppen uns durch eine nicht funktionierende Beziehung. Ich hungerte tagelang, verstand die Konsequenzen, aber hatte solche Angst vor Veränderung. Ich kann nicht den genauen Moment benennen, in dem es passierte ... Aber nach unzähligen Therapie Sitzungen, nach langem Selbstfindungsprozess und nachdem ich mein Gewicht ein wenig wiederhergestellt hatte, begann ich, mich mit meiner Behandlung richtig zu beschäftigen. Ich begann zu glauben, dass es eine winzige Chance gab, dass mein Leben nach der Erholung besser sein könnte. Ja, es würden beängstige Entscheidungen auf mich zukommen, aber mir würde sich auch eine Welt voller Möglichkeiten eröffnen. Erst dann glaubte ich, dass es das Risiko wert war. Ich glaubte, dass ich eine Chance hätte. Eine Chance an der Universität, eine Chance auf Liebe Aber am allerwichtigsten: Eine Chance zu leben. Für mich beinhaltete der Weg der Erholung, das Zerreißen meines Regelbuches. Das Regelbuch, das jeden meiner Schritte bestimmte. Die Regeln, die mir ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle vermittelten, die bewirkten, dass mein Gewicht schwand, mein Haar ausfiel, und meine Knochen sich abbauten. Regeln, die mich langsam umbrachten ... Ich musste diese Regeln brechen. Eine nach der Anderen. Es ist unmöglich, sich von der Magersucht zu erholen und dabei seine Regeln zu behalten. Man muss seine Komfortzone verlassen. Man muss sein Regelbuch zerreißen. Magersucht bescherte mir diese Erkenntnis: Es kann nicht immer alles behaglich sein. Ich kann nicht immer die Kontrolle haben. Es gibt kein Regelbuch für das Leben. Die Genesung hat mir so viele Dinge ermöglicht. Sie ermöglichte mir zur Uni zu gehen, Liebe zu finden. Sie gab mir mein Leben zurück. Ich möchte jeden, der leidet, erreichen und ihm sagen: Bitte nimm die Hilfe an. Ohne die Services von Leicester, ohne die Unterstützung meiner Freunde und Familie, wäre ich heute nicht hier. Ich möchte, dass Sie mir glauben, wenn ich sage, dass Sie es Wert sind, zu genesen, dass Sie des Lebens Wert sind, und dass Sie gut genug sind. Die großartigste Sache, die mir die Genesung brachte, bin ich. Ich habe mein altes Ich wiedergefunden. Und wie sich herausstellte, ist das Leben viel zu kurz, um Cornflakes zu wiegen. Vielen Dank. (Applaus)