Ich habe Sie gerade im Bus getroffen und wir würden uns gerne näher kennenlernen, aber ich muss an der nächsten Haltestelle aussteigen, deshalb sagen Sie mir drei Dinge über sich selbst, die Sie als Person ausmachen. Drei Dinge über sich selbst, die mir helfen zu verstehen, wer Sie sind. Drei Dinge, die Ihren Wesenskern beschreiben. Und ich frage mich: Gehört zu diesen drei Dingen -- auch nur eins davon -- das Überleben eines Traumas? Krebsopfer, Vergewaltigungsopfer, Holocaustopfer, Inzestopfer. Haben Sie jemals bemerkt, wie wir dazu neigen, uns über unsere Wunden zu definieren? Diese Art Opfermentalität scheint mir in der Krebsgemeinschaft die stärksten Nachwirkungen zu haben. Ich habe schon lange mit dieser Gemeinschaft zu tun, weil ich seit 30 Jahren als Seelsorgerin in einem Krankenhaus und einer Sterbeklinik tätig bin. Und 2005 arbeitete ich in einem großen Krebszentrum, als ich die Nachricht erhielt, dass meine Mutter Brustkrebs hatte. Nur fünf Tage später erhielt ich die Nachricht, dass ich Brustkrebs hatte. Meine Mutter und ich machen uns manchmal Konkurrenz ... (Gelächter) aber bei dieser Sache wollte ich eigentlich nicht mit ihr konkurrieren. Und tatsächlich dachte ich, wenn ich schon Krebs haben muss, ist das ja ganz praktisch an einem Ort zu arbeiten, der ihn behandelt. Aber von vielen schockierten Leuten hörte ich stattdessen: "Was? Du bist doch die Seelsorgerin. Du solltest immun dagegen sein." Als hätte ich, bloß weil ich Teil der Belegschaft bin, nur mit einer Warnung davon kommen sollen statt mit einer tatsächlichen Diagnose. Ich erhielt also meine Behandlung im Krebszentrum, wo ich arbeitete, was wirklich unglaublich praktisch war, ich hatte eine Chemotherapie und eine Brustamputation und mir wurde ein Implantat eingesetzt und bevor ich weitermache, nehme ich es lieber gleich vorweg: Das hier ist die Falsche. (Gelächter) Ich habe gelernt, das sofort klarzustellen, weil sonst immer jemand sagt: "Oh, ich glaube, es ist die da." Dann bewege ich mich und es heißt: "Nein, es ist die andere." Jetzt wissen Sie Bescheid. Ich habe viel als Patientin gelernt und eine überraschende Erkenntnis war, dass nur ein kleiner Teil der Krebserfahrung mit Medizin zu tun hat. Größtenteils geht es um Emotionen und Glauben, um den Verlust und das Finden der eigenen Identität und die Entdeckung einer Stärke und Flexibilität, von der man nicht ahnte, dass man sie besaß. Es geht darum zu verstehen, dass die wichtigsten Dinge im Leben nicht Gegenstände, sondern Beziehungen sind. Es geht darum, im Angesicht von Ungewissheit lachen zu können und dass die Ausrede für nahezu alles die Worte "Ich habe Krebs" sind. Als Nächstes lernte ich, dass ich die Rolle des Krebsopfers nicht als Identität annehmen muss, aber, oh Mann, es gibt einflussreiche Mächte, die mich sehr stark dazu drängen. Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch. Krebsorganisationen und Kampagnen für Früherkennung und Krebsaufklärung und Krebsforschung haben Krebs normalisiert, und das ist wunderbar. Wir können mittlerweile über Krebs reden, ohne flüstern zu müssen. Wir können über Krebs reden und uns gegenseitig unterstützen. Aber manchmal hat man das Gefühl, dass es manche Leuten übertreiben und uns darüber belehren wollen, wie wir uns fühlen werden. Etwa eine Woche nach meiner Operation haben wir zu Hause Besuch. Das war wahrscheinlich unser erster Fehler. Bedenken Sie bitte, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits seit 20 Jahren Seelsorgerin war und Themen wie Sterben und Tod und der Sinn des Lebens Dinge waren, über die ich unablässig geredet hatte. Beim Abendessen streckte unser Gast seine Arme über den Kopf und sagte: "Weißt du, Deb, jetzt wirst du lernen, was wirklich wichtig ist. Ja, du wirst einige große Veränderungen in deinem Leben vornehmen und du wirst anfangen, über deinen Tod nachzudenken. Jawohl, der Krebs ist dein persönlicher Weckruf." Also, das wären weise Worte, wenn sie von jemand kämen, der eigene Erfahrungen damit gemacht hat, aber wenn einem jemand vorgibt, wie man sich fühlen wird, ist das absoluter Müll. Ich habe ihn nur deshalb nicht mit bloßen Händen umgebracht, weil ich meinen rechten Arm nicht heben konnte. Aber ich habe ein sehr schlimmes Wort zu ihm gesagt, gefolgt von einem normalen Wort, das ... (Gelächter) meinen Mann sagen ließ: "Sie nimmt starke Medikamente." (Gelächter) Nach meiner Behandlung hatte ich den Eindruck, als würde mir jeder sagen, welche Bedeutung meine Erfahrung hatte. "Oh, das heißt, du läufst jetzt bei den Kampagnen mit und nimmst an Wohltätigkeitsessen teil." "Das heißt, dass du jetzt die pinke Schleife und das pinke T-Shirt und das Kopftuch und die Ohrringe und den Armreif und die Unterhosen trägst." Unterhosen. Nein, ehrlich, googeln Sie das. (Gelächter) Wie soll das bitte zur Aufklärung beitragen? Nur mein Mann sollte meine Unterhosen sehen. (Gelächter) Und er weiß schon ziemlich gut über Krebs Bescheid. An diesem Punkt dachte ich: "Oh mein Gott, das übernimmt die Kontrolle über mein Leben." Und in diesem Moment habe ich mir gesagt: Fordere deine Erfahrung ein. Lass dich nicht von ihr vereinnahmen. Wir alle wissen, dass die Bewältigung von Trauma, Verlust und lebensverändernden Erfahrungen darin besteht, einen Sinn darin zu finden. Aber die Sache ist die: Niemand kann uns sagen, was unsere Erfahrung zu bedeuten hat. Das müssen wir selbst entscheiden. Und es muss gar keine gewaltige, extrovertierte Bedeutung haben. Nicht jeder von uns muss eine Stiftung oder eine Organisation gründen oder ein Buch schreiben oder eine Doku drehen. Die Bedeutung kann leise und introvertiert sein. Vielleicht treffen wir nur eine kleine Entscheidung in unserem Leben, die dann große Veränderungen herbeiführen kann. Vor vielen Jahren hatte ich einen Patienten, einen wirklich wunderbaren, jungen Mann, den jeder in der Belegschaft mochte, und deshalb waren wir ziemlich schockiert als wir bemerkten, dass er keine Freunde hatte. Er lebte allein, er kam allein zur Chemotherapie, er bekam seine Behandlung und ging dann allein wieder nach Hause. Ich habe ihn sogar gefragt: "Wie kommt es, dass du nie einen Freund mitbringst?" Und er antwortete: "Ich habe eigentlich gar keine Freunde." Aber er hatte viele Freunde auf der Infusionsstation. Wir mochten ihn alle und er hatte ständig Besuch. Bei seiner letzten Chemotherapie haben wir ihm ein Lied gesungen und ihm eine Krone aufgesetzt und Seifenblasen gepustet und dann habe ich ihn gefragt: "Was wirst du jetzt tun?" Und er antwortete: "Freunde finden." Und das hat er getan. Er begann ehrenamtlich zu arbeiten und dort Freunde zu finden. Er begann in die Kirche zu gehen und dort Freunde zu finden. Zu Weihnachten lud er meinen Mann und mich zu einer Party ein und seine Wohnung war voller Freunde. Fordern Sie Ihre Erfahrung ein. Lassen Sie sich nicht vereinnahmen. Er entschied sich dafür, dass der Sinn seiner Erfahrung im Wissen um die schönen Seiten von Freundschaft lag und dass er lernen musste, Freunde zu finden. Also, was ist mit Ihnen? Wie schaffen Sie es, Bedeutung aus einer beschissenen Erfahrung zu finden? Es kann sich um etwas Aktuelles handeln oder etwas, dass Sie schon eine Weile mit sich herumtragen. Es ist nie zu spät die Bedeutung zu ändern, weil Bedeutung dynamisch ist. Die Bedeutung von heute muss nicht dieselbe im nächsten Jahr oder in zehn Jahren sein. Es ist nie zu spät jemand anderes als nur ein Überlebender zu werden. Hören Sie wie statisch dieses Wort klingt? Überlebender. Keine Bewegung, kein Wachstum. Fordern Sie Ihre Erfahrung ein. Lassen Sie nicht zu, von ihr vereinnahmt zu werden, denn sonst werden Sie vermutlich darin gefangen bleiben und weder wachsen noch sich weiterentwickeln. Aber natürlich bringt uns nicht nur äußerer Druck dazu, uns als Überlebender zu identifizieren. Manchmal mögen wir einfach die Vorteile, die das mit sich bringt. Manchmal zahlt es sich aus. Aber dann bleiben wir stecken. Eines der ersten Dinge, die ich in meinem Praktikum lernte, waren die drei Aufgaben einer Seelsorgerin: Trost spenden, Klären, und wenn nötig, sich einem Problem zu stellen oder es herauszufordern. Nun, jeder mag das Trösten und das Klären. Die Konfrontation aber weniger. Als Seelsorgerin traf ich die Patienten auch gerne ein oder mehrere Jahre nach der Behandlung wieder, weil es wirklich cool war zu sehen, wie sehr sie sich verändert hatten und ihr Leben weiterging und was sie alles so erlebt hatten. Deshalb war ich begeistert, als ich von einer Patientin, die ich ein Jahr lang nicht gesehen hatte, in die Eingangshalle gerufen wurde. Sie kam mit ihren beiden erwachsenen Töchtern, die ich auch kannte, zur Nachfolgeuntersuchung. Ich gehe also runter in die Eingangshalle und sie waren überglücklich, weil sie gerade die Ergebnisse bekommen hatten und sie waren negativ: kein Anzeichen der Krankheit. Was in meinen Ohren immer klang wie: Noch nicht ganz tot. Sie waren überglücklich, wir setzten uns hin zum Reden und es war seltsam, denn nach nicht einmal zwei Minuten begann sie, mir die Geschichte ihrer Diagnose, ihrer Operation und ihrer Chemo zu erzählen, obwohl ich sie als ihre Seelsorgerin jede Woche begleitet hatte und ihre Geschichte kannte. Und sie benutzte Worte wie "Leiden", "Todesqualen", "Kampf". Und sie beendete die Erzählung mit: "Ich fühlte mich wie gekreuzigt." In diesem Moment standen ihre Töchter auf und sagten: "Wir holen uns dann mal einen Kaffee." Und weg waren sie. Sagen Sie mir drei Dinge über sich noch vor der nächsten Haltestelle: Die Leute stiegen bereits aus, bevor sie zu Nummer zwei oder drei kam. Ich gab ihr also ein Taschentuch und dann umarmte ich sie, weil mir diese Frau wirklich etwas bedeutete, und dann sagte ich: "Komm von deinem Kreuz herunter." Und sie sagte: "Was?" Und ich wiederholte: "Komm von deinem Kreuz herunter." Man muss ihr zugutehalten, dass sie ihre Gründe, diese Identität anzunehmen und an ihr festzuhalten, benennen konnte. Sie bekam eine Menge Aufmerksamkeit dadurch. Die Leute kümmerten sich zur Abwechslung um sie. Aber jetzt hatte es den gegenteiligen Effekt. Es stieß Leute ab. Die Leute gingen fort, um sich Kaffee zu holen. Sie fühlte sich durch ihre Erfahrung gekreuzigt, aber sie wollte ihr gekreuzigtes Ich nicht einfach sterben lassen. Vielleicht denken Sie jetzt, dass ich ein wenig streng mit ihr war, deshalb sage ich Ihnen, dass ich hier aus eigener Erfahrung spreche. Viele, viele Jahre zuvor wurde ich aus einem Job entlassen, den ich wirklich liebte, und ich hörte nicht auf über meine Unschuld und die Ungerechtigkeit und den Verrat und den Betrug zu reden, bis schließlich, genau wie bei ihr, die Leute mir aus dem Weg gingen. Bis ich endlich begriff, dass ich meine Gefühle nicht verarbeitete, sondern nährte. Ich wollte mein gekreuzigtes Ich nicht sterben lassen. Aber jeder weiß, dass man bei jeder Auferstehungsgeschichte zuerst sterben muss. In der Bibel war Jesus bereits einen ganzen Tag tot, bevor er wieder auferstand. Und ich glaube, dass für uns der Tag im Grab heißt, dass wir unsere eigene, innere Arbeit verrichten müssen, um unsere Wunden zu reinigen und uns zu erlauben wieder zu heilen. Wir müssen unser gekreuzigtes Ich sterben lassen, damit ein neues Ich, ein wahreres Ich, hervortreten kann. Wir müssen diese alte Geschichte loslassen, damit eine neue, eine wahrere Geschichte erzählt werden kann. Fordern Sie Ihre Erfahrung ein. Lassen Sie sich nicht von ihr vereinnahmen. Was wäre, wenn es keine Überlebenden gäbe? Das heißt, was wäre, wenn die Leute entschieden ihr Trauma als eine Erfahrung einzufordern statt es als Identität anzunehmen? Vielleicht würden wir nicht mehr in unseren Wunden gefangen sein und der Anfang einer wunderbaren Erfahrung von Selbstfindung und Entdeckung und Wachstum. Vielleicht wäre das der Anfang davon sich darüber zu definieren, wer wir geworden sind und wer wir gerade werden. Also vielleicht fällt "ein Überlebender zu sein" nicht unter die drei Dinge, die Sie mir mitteilen würden. Ist auch egal. Ich will nur, dass Sie alle wissen, dass ich wirklich froh darüber bin, dass wir im selben Bus saßen und hier ist meine Haltestelle. (Applaus)