Pascal kommt aus einer anderen Welt. Er spricht dauernd vom Raumschiff Enterprise, vom Himmel und anderen Galaxien und manchmal wirkt der 19jährige wie ein Getriebener von einem anderen Stern. Dann aber wieder, kommt ihm diese Welt ganz brutal in die Quere. Er wird aggressiv und gewalttätig. Seine Eltern, Betreuer und Geschwister wissen sich dann nicht mehr zu helfen. Die offizielle Diagnose lautet Autismus, aber was sagt das schon? Pascal lebt in seiner eigenen Galaxie. Eben das ist unser Thema heute: Pascals Welt. Willkommen zu "Horizonte". [Weinen und Schreien in dem Video] Das ist Pascal. Diagnose: Frühkindlicher Autismus. Seine Mutter kennt diese Ausbrüche seit Jahren. Mutter: Woher das kommt, weiß ich nicht. Aber dann kommen eben solche Sachen, dass er die Türen zuschlägt, oder teilweise auch natürlich auf uns losgeht. Also das haben wir auch erlebt, dass er boxt und tritt und beißt. Und dann fängt er halt an rumzulaufen und er will dann Dinge haben, die wir ihm nicht erfüllen können. Also zum Beispiel eben, es soll ein Raumschiff landen und ihn mitnehmen. Pascal: Heute sucht Raumschiff Enterprise Pascal in 0 Sekunden bis 0 km/h, 0 Sekunden, 0 Sekunden. Sprecher: Pascal ist der Neue. Seit zwei Wochen lebt der 19jährige in einer Wohngemeinschaft in Halver, zusammen mit sieben anderen Autisten, vier Hunden und dem Betreuerpaar Steffi und Dierk. Für seine Eltern ist diese Einrichtung die letzte Hoffnung. Für Pascal eine Riesenchance. Wenn es hier nicht klappt, droht wieder die geschlossene Psychiatrie. Pascal: Raumschiff Enterprise. Syntax Error. Null Sekunden, null Sekunden, null Sekunden. Dierck (Pfleger): Aber es interessiert dich, nicht Pascal? Pascal: Ja. Dierck: Raumschiff Enterprise, Universum, Rechnen, Physik. [Pascal aus dem Hintergrund: Physik.] Dierck: Und irgendwann wird es weniger. Und dann redest du über das, was dich wirklich interessiert. Über dein Leben. Pascal: Leben, ja. Dierck: Ja, genau. Jeder der hier einzieht, den lernen wir vorher auch kennen. Pascal war zwei Tage hier mit seinem Vater, bevor wir gesagt haben: Ja, können wir uns vorstellen. Steffi (Pflegerin): Also wir haben den Pascal ja kennengelernt und für den Dierck und für mich war nach 5 Minuten klar, der passt. Sprecher: Wohngemeinschaft statt geschlossener Psychiatrie. Doch wird sich Pascal auf sein neues Zuhause einlassen? Dierck: Da gibt es verschiedene Beschreibungen. Beschreibungen der Mutter, Beschreibungen des Vaters und Arztberichte ... haben wir glaube ich gar nicht gelesen. Doch! Haben wir auch gelesen. Die waren halt sehr verschieden. Von den Eltern: sehr junger, netter, aufgeweckter, interessierter, sportlicher, gutaussehender, junger Mann. Und natürlich gibt es auch die Psychiatrieberichte, wo drin steht, dass du aggressiv geworden bist, dass du das kaputt gemacht hast, dass du so gestresst bist, dass die Medikamente nicht wirken... [zu Pascal]: Gibt es auch alles, nicht? Haben wir auch vorgelesen. Wir haben Leute gehabt, die haben irgendwann gesagt, ich zieh wieder aus. Pascal: zieh wieder aus. (Dierk zu Pascal): Ziehst du auch wieder aus? Wohin? Zur Mama? Pascal: Nach Bolingen. Zu Mama. Dierck: Bist du erwachsen? Pascal: Ja. Dierck: Zieht man aus von Zuhause? Pascal: Zieht man aus dem Haus. Dierck: Zuhause ausgezogen - Bist du nach Halver gezogen? Pascal: Ja. Dierck: Gute Entscheidung. Sprecher: Bolingen. Hier lebt Pascals Mutter Elli. Nach jahrelanger Odyssee durch Psychiatrien und Behinderteneinrichtungen holten die verzweifelten Eltern, Pascal im letzten Jahr nach Hause. Sie wollten es ohne Psychopharmaka versuchen und stießen dabei an ihre Grenzen. Mutter: Ich habe wirklich in ganz Deutschland alle Einrichtungen, die mir einfielen, angerufen, alle Psychiatrien und habe wirklich immer wieder neu meine ganze Geschichte erzählt und habe einfach gehofft, wir finden jemanden der uns hilft. Und das sah aussichtslos aus, also... und dann dieser Kampf gegen Wände eigentlich und dem Kind geht es schlecht. Irgendwann kann man nicht mehr. Irgendwann kann man körperlich nicht mehr und irgendwann kann man psychisch auch nicht mehr. Vater: Da waren andere Kinder, da war eine Oma, da war eine Mama und in diesem Umfeld mit dem Pascal, mit all seinen Problemen die er hat, waren wir natürlich absolut überfordert gewesen. Mutter: Er war ständig nervös, er ist dauernd rumgerannt, er hat gezittert. Also, er hatte ganz extreme Stimmungsschwankungen gehabt und es waren eben diese aggressiven Momente. Das heißt wir waren 24 Stunden, rund um die Uhr, permanent angespannt. Vater: Wir hatten eine Zeit lang noch Unterstützung von der Polizei. Wenn Pascal irgendwie ziemlich heftig geworden ist daheim, dann sind die noch gekommen um uns dann irgendwie zu unterstützen. Nachdem sie das dritte Mal gekommen sind haben sie gesagt, das können wir jetzt auch nicht mehr machen. Also hatten wir nicht mal mehr die Polizei. Also wir waren komplett alleine gewesen. Und standen dort eben vor der Alternative, entweder zu sagen, wir versuchen es weiter mit ihm, oder wir schicken ihn zurück in den endgültigen Weg in die Psychiatrie. In die geschlossene Anstalt, wo er auch nicht mehr zurück kommt. Pascal: ... (flüstern) ... kann nur träumen über Pascal fliegen, immer schneller um die Erde. Von hier Pascal fliegt um die Erde. Von hier, Pascal fliegen in eins Sekunde bis eins km/h in 2 Sekunden bis 4 km/h, in 3 Sekunden... Sprecher: Seit drei Wochen lebt Pascal in der Wohngemeinschaft. Noch ist nichts Schlimmes passiert und Pascal geht es gut. Doch Dierck warnt vor zu viel Optimismus. Dierck: Was ich den Eltern immer sage, also dem Jens und der Elli ... ähm ... die freuen sich so, dass alles so super ist. Es ist auch schön. Den sage ich aber immer, das kommt noch. Weil sonst ist es plötzlich so ein Schock. Man wäre ja blauäugig, wenn man denken würde, dass es nicht mehr kommt, oder das es so gegessen ist. Früher zum Beispiel dachte ich das, bis ich eine Tasse auf den Kopf gekriegt hab. Die einzige Aggression, die wir bis jetzt hatten, war relativ ... ja ... Er hat mit einem Computermonitor um sich geschmissen. Wie soll man das sagen? Ruhig, ja! Also stell dir vor - Computermonitor (ahmt Pascal nach): Ich bin gefährlich. So! Im Gegensatz zu anderen, die wirklich alles was im Umkreis von 2 Metern ist, zerlegen einfach. Und er hat zwei Mal Leute geboxt. Das war aber auch mehr so, guck mal ich kann, wenn ich will: Ich bin ein ganz Gefährlicher. In der Hoffnung, dass wir panisch reagieren, wie er es bestimmt früher irgendwo gelernt hat. Weiß ich nicht, aber so wird es sein. Nicht? Pascal (leise): Gefährlich. Dierck: Gefährlich! Du bist ganz gefährlich und das ist auch ... das ist das Ding. Du bist die größte Baustelle. Mit allem was du bist und wer du bist. Pascal: Ein Film schauen über ... Dierck: Pascal Müller! Pascal: Der Baumeister ist erwachsen. Bob der Baumeister ist erwachsen. Sprecher: Erwachsen sein - das ist das, was Pascal nicht will. Pascal kam als Zweites von vier Kindern zur Welt und war ein Baby wie jedes andere auch. Doch mit 2 1/2 Jahren veränderte er sich. Ganz plötzlich. Seine Mutter schrieb ihm damals einen Brief ins Fotoalbum. Mutter: Hallo mein Schatz. 09.05.96. Ihr liegt schon lange im Bett und ich musste gerade wegen dir weinen. Ich sehe alles wirklich sehr locker, aber inzwischen mach ich mir echte Sorgen um dich. Du verhälst dich sehr seltsam. Du bist sehr still geworden. Letzten September hast du so viel geredet und vor allem ganz viele Lieder gesungen und heute habe ich mit dir versucht zu Singen. Es kam nichts aus dir heraus. (Pascal singt) Vater: Er hat gern gesungen. Wir haben gern rumgelacht und rumgetanzt. Er hat praktisch von einen auf den anderen Tag aufgehört zu reden. Mutter: Ich habe mir auch ganz viel Mühe gegeben in der Zeit und habe ganz viel mit ihm gespielt und habe wirklich viel versucht mit ihm zu reden und ihn da wieder rauszulocken. Es war einfach nichts zu machen. Irgendwann bin ich durch einen Kinderarzt an einen Psychologen geraten, an einen Kinderpsychologen, und dann kam das erste Mal mit 3 Jahren der Verdacht auf Autismus. Mutter (in alter Videoaufnahme): Pascal sing mal "Backe, backe Kuchen"! Pascal: Backe, backe Kuchen... Sprecher: Jetzt hatten Pascals Eltern wenigstens Gewissheit. Mutter (in alter Videoaufnahme): Hallo Pascal! Sprecher: Es folgten Fördermaßnahmen, Sonderschulen, Familientherapien. Doch mit 10 Jahren kam der Einbruch. Pascal fing an unruhig und aggressiv zu werden. Mutter: Bis er dann wirklich Dinge richtig kaputt gemacht hat, Bettwäsche zerrissen und dann auch letztendlich uns angegriffen hat. Vater: Er hat immer gesagt: "Alles falsch! Alles falsch!" weil er unglücklich war. Er war mit der Situation, mit der er hier im Leben stand, war er unglücklich. Und wenn dieses Unglück an die Oberfläche gekommen ist, war dieses Unglück immer Gewalt. Mutter: Und dann kam auch von der Schule her immer mehr diese Aufforderung, es geht nicht. Wir sollten ihn rausnehmen und wir sollten einen Heimplatz für ihn suchen. Also das waren die Tendenzen der Schule und letztendlich auch der Ärzte. Ja, und dann habe ich nach langem Kämpfen und ich musste mich auch schon sehr überwinden, sind wir auf die Suche gegangen, haben uns verschiedene Sachen angeschaut. Dann kam Pascal mit 11, knapp 12, glaube ich, in die erste Einrichtung. Sprecher: Viele Weitere folgten. Und immer wieder ging es schief. Pascal ging auf die Leute los und war somit nicht mehr tragbar. Dierck: So wie bei Pascal, kann man es nicht einschätzen. Auch nach der Zeit, die er bei uns ist. Ist ja relativ kurz. Da kann ich es einfach nicht sagen. Es kann sein, da kommt eine Joggerin, da hat er sich vorgestellt, die hat eine rote Jacke an, die hat aber eine gelbe Jacke an und dann flippt er aus. Weiß ich nicht! Ich kann nur sagen, gucken wie aufgeregt ist er vorher, kann man es machen, kann man es nicht machen. Einige seiner Verhaltensweisen sind typisch autistisch. Diese stereotypen Enterprise-Reden, womit er einfach seine Aufregung abbaut und sich selber Sicherheit schafft. Das ist eine Zwangshandlung. So wie andere Leute dreimal den Schlüssel in der Tür rumdrehen, zum Beispiel. (Pascal redet undeutlich über ein Raumschiff) Dierck: Er sucht einen direkt an, er sucht direkt den Kontakt zu Menschen. Wo auch gesagt wird, dass Autisten das eigentlich nicht machen. Autistendiagnose hin oder her, ich muss gucken was bringt der Mensch mit. Dierck: Und wollen wir weiter? Na, dann los! Pascal: Gerade Zahlen. 3 ... (undeutliches Gemurmel) Sprecher: Pascal konnte in der Schule rechnen wie kein Anderer. Was er heute berechnet? Vielleicht die Entfernung zu einer anderen Erde. Mutter: Er sucht andere Planeten. Der sucht die andere Erde, die es anscheinend gibt. Sprecher: Vor zwei Jahren schenkten ihm seine Eltern ein Teleskop zu Weihnachten. Mutter: Ich glaube, dass es mit dem zusammen hängt, dass er wieder klein sein will. Und er malt sich aus, wenn er auf eine andere Erde kommt, dann fängt er wieder von vorne an. Dann ist alles gut. Da gibt es vielleicht alles Negative nicht. Mutter: Ich habe auch ein bißchen den Eindruck da gibt es vielleicht auch seine Behinderung nicht. Also wieso, dieses Paradies ein bißchen... Ich glaube das sucht er. So dieses "alles Gute", was er hier nicht findet. (Pascal murmelt Zahlen) Mutter (über die Videoschaltung): Hallo Pascal! Pascal? Du musst den Kopfhörer anziehen, ich hör dich nicht. Pascal: Hallo, hallo. Mutter: Super! Hallo! Pascal: (undeutliches Gemurmel)du wirst niemals alt! Mutter: Hey, sag mir erstmal Hallo! Pascal: Hallo! Mutter: Hallo, wie gehts dir? Pascal: (murmelt) wirst niemals alt! Mutter: Pascal, ich glaube das geht nicht. Kannst du dich erinnern mit den Ballons? Haben wir schon probiert. Und? Bist du weggeflogen? Ne, gell! Hat nicht funktioniert. (lacht) Gehts dir gut? Pascal: (Gemurmel) wirst niemals wütend, (...) wirst niemals alt. Mutter: Ich weiß, ich weiß. Das hättest du gern. 4D, schneller als Lichtgeschwindigkeit und dann willst du nicht mehr wütend werden. Pascal: Ja. Mutter: Ich habe es aber nicht, Pascal. (Pascal klappert mit Glas): Hallo! Dierck: Pascal zieht sich in seinen eigenen Kopf zurück. Und da ist seine Welt: In seinem Kopf. Von Nullkommanull bis Blubb. Steffi: Obwohl man muss sich auch mal die Frage stellen, leben wir nicht alle auch irgendwo auch in unserer eigenen Wunschwelt? Und Pascal und unsere anderen Mitbewohner sind dann halt diejenigen, die es zur Aussprache bringen und sich nicht zu blöd dafür sind. Ich glaube da ist ganz viel Ehrlichkeit einfach auch bei unseren Leuten mit dabei. Und die schämen sich halt dafür nicht. (Musik) Pascal: Der Baumeister. (Musik) Vater: Ich glaube jetzt geht es ihm richtig gut. Also das erste Mal wie gesagt, seit 25 Jahren. Obwohl er erst 18 ist. (lacht) Aber hier geht es ihm gut. Dierck: 19. Vater: 19, 19, 19 genau. Und hier geht es ihm wirklich gut. Und ich glaube auch, wenn sich das so weiterentwickelt wie bisher, dass der Pascal vielleicht hier wirklich die Möglichkeit hat zu einem normalen Leben zurück zu kommen. Dierck: Ja. (Musik) Sprecher: Fast jedes Wochenende ist Pascal zu Besuch bei seinem Vater Jens in Mühlheim an der Ruhr. Sebastian, sein älterer Bruder, ist auch noch da. Früher haben sich die beiden gnadenlos geprügelt. Sebastian musste sich ja irgendwie wehren. Von einem auf den anderen Moment konnte Pascal wütend werden und schlug zu. Vater zu Pascal: Nicht soviel Salz! Bruder von Pascal: Er ist viel ruhiger und viel entspannter. Pascal... Pascal: Ja! Bruder von Pascal: Er erzählt uns weniger von "der Sonne totschießen" und ... Pascal: ... totschießen ... Bruder (lacht): Genau! Das hast du mir gar nicht mehr gesagt die letzten zwei Wochen. Solche Sachen. Also er ist irgendwie viel entspannter. Vater (lacht): Und Pascal? Was ist? Oh! Du musst deine Medikamente noch nehmen? Super! Vater: Hast du schon genommen? Pascal: Ja! Vater: Also erst mal geht es darum die Situation zu überleben. Da macht man sich sonst keine Gedanken. Die nächste Reaktion ist dann das man sagt: Ich will mit dem nichts mehr zu tun haben. Der soll nur weg! Und dann, eine Stunde später, ist dann doch einfach die Liebe wieder da. Und dann sieht man doch alles. Also, dass eben nicht nur diesen Teil von ihm gibt, sondern auch den anderen. Aber, es ist schon ... der hat einen schon oft an die Grenzen geführt. Sprecher: Aber kann man Pascal böse sein? Seine Geschwister versuchen ihn zu verstehen. Bruder: Manchmal hab ich auch geglaubt, dass er einen scheiß Charakter hat. Weil manche Verhaltensweisen einfach nicht in meinen Kopf kommen. Also, wie er sich manchmal verhält.