Was geht Ihnen bei der Nachricht
vom letzten Erdbeben durch den Kopf --
mit zerstörten Städten
und Tausenden Opfern?
Von einer neuen Hitzewelle oder Dürre,
die den Kontinent überzieht?
Empfinden Sie Trauer und Mitgefühl
oder vielleicht den Wunsch, zu helfen?
Oder sind Sie abgestumpft
von der ständigen Überflutung
mit Katastrophennachrichten?
Haben Sie je gedacht:
"Was, wenn das mir passieren würde?"
Ich bin Derrick Tin und sage Ihnen heute,
wie Erdbeben Leben retten
und wie dieser Vortrag
einmal auch Ihr Leben retten könnte.
Historisch gesehen denken wir
bei einer Katastrophe zunächst,
dass wir den Göttern
zuwidergehandelt haben.
Der Zorn der Götter kommt über uns.
Die Wissenschaft sagt etwas anderes:
Wir Menschen haben die Hand
bei der aktuellen Klimakrise im Spiel,
und die führt natürlich zu häufigeren
und stärkeren Klimaphänomenen.
Selbst wenn Sie Klimaskeptiker sind:
Wegen der höheren Bevölkerungsdichte
betrifft ein Erdbeben heute
zwangsläufig viel mehr Menschen
als dasselbe Erdbeben
am selben Ort vor 100 Jahren.
Ohne Zweifel sind heute
mehr Menschen als je zuvor
von Katastrophen betroffen.
Ich verbrachte mein Berufsleben
großteils mit Katastrophenhilfe
im Indischen Ozean und Südpazifik,
mit Seenotrettungen
und dem Aufbau von Feldlazaretten.
Das bin ich bei einem der ersten Einsätze.
Rechts unten sehen Sie
die Zeichnung eines Kindes,
das wir gerettet haben.
Die Zeichnung gehörte
zur Trauma- und Kunsttherapie.
Sie können sich vorstellen,
dass die Arbeit der Retter
extrem traumatisch ist --
extrem traumatisch für die Helfer,
aber auch für die Gemeinschaften,
die die Katastrophe miterleben
und manchmal selbst erleiden.
Als ich Arzt wurde, begriff ich,
dass ich Trauma und Tod erleben würde.
Das gehört zum täglichen Geschäft
der Notaufnahme, in der ich arbeite.
Unmittelbar vor meinem ersten Einsatz,
nach 10 Jahren Erfahrung
in der Notaufnahme,
fühlte ich mich bereit dazu.
Aber ich war es nicht.
Denn keine Ausbildung oder Schulung
kann Sie auf den Moment vorbereiten,
wo Ihnen jemand, den Sie gerettet haben,
das Foto seiner kleinen Tochter zeigt,
er Sie fragt, ob Sie sie gesehen haben,
dabei aber weiß, dass sie ertrunken ist.
Keine Ausbildung oder Schulung
kann Sie auf den Moment vorbereiten,
wo Sie ein provisorisches
Kühlhaus betreten,
in dem sich die Leichen
bis zur Decke stapeln,
und dort die Leichensäcke öffnen müssen,
um die Toten zu identifizieren.
Diese Augenblicke
ließen es dunkel in mir werden.
Sie wirkten stark auf mich.
Ich fragte mich wirklich,
ob jemand mit meiner
Vorgeschichte und Erfahrung
davon so tief betroffen sein könne.
Wie würden Sie reagieren,
wenn Sie plötzlich
in so einer Situation wären?
Ich fragte mich,
wie sich Menschen oder Gemeinschaften
nach solch traumatischen Ereignissen
schneller oder besser erholen können.
Das sollen Sie heute
mit nach Hause nehmen:
die Bedeutung von kollektiver Resilienz.
Resilienz ist die Gabe,
Stress zu verarbeiten,
sich von einem traumatischen
Erlebnis zu erholen
und eine neue Normalität zu schaffen.
Individuelle und kollektive Resilienz
erweisen sich als wichtigster Faktor,
um Gemeinschaften nach einem Ereignis
wieder auf die Beine zu helfen.
Das kostet Zeit und Mühe,
die Ergebnisse sind
weder eindeutig noch messbar.
Aber es ist auch nicht so schwer.
Es geht eigentlich nur um einen Plan B --
um ein gutes örtliches Netzwerk
für Gemeinschaftshilfe,
darum, seine Nachbarn
und die örtlichen Ressourcen zu kennen
sowie mit öffentlichen und privaten
Organisationen zu arbeiten,
um Plan B auf die Beine zu stellen.
Es geht um Ihre
und die kollektive Fähigkeit,
aktiv Verantwortung zu übernehmen --
für Wohlergehen, Sicherheit, Gesundheit
für sich selbst und andere.
Wenn ich nach Rettungsaktionen
mit Einheimischen sprach,
beeindruckte mich ihre Resilienz.
Sie sind chronisch unterfinanziert.
Telefon und Internet
funktionieren schlecht oder gar nicht.
Lebensmittellieferungen
lassen oft Wochen auf sich warten.
Und doch sind diese Leute
sehr erfinderisch und selbstständig.
Führungskräfte der lokalen Wirtschaft,
tatkräftige Senioren und Jugendgruppen
bilden ein gemeinsames
unterstützendes Netzwerk,
das dauernd den Ernstfall durchexerziert.
Das ist typisch
für australische Kleinstädte,
denn sie brauchen solche Strategien
für das tägliche Überleben
und die bösen Überraschungen,
mit denen die Natur sie konfrontiert:
überflutete Städte, Buschfeuer
in Victoria, mehrjährige Dürren.
All die Erfahrungen
mit diesen regionalen Katastrophen
helfen den Gemeinschaften
beim Aufbau einer besseren Resilienz.
Wenn ich von einem Einsatz heimkomme --
meist in einer abgelegenen,
unbekannten Gemeinde --,
schalte ich in Sydney mein Telefon an.
Ich denke: "Toll, mobiles Internet!
Einfach unglaublich!"
Mein Lieblingsessen im Überfluss,
Uber-Eats-Bestellungen bei Bedarf,
Netflix ohne ewig langes Laden.
(Lachen)
Ich denke mir:
"Wie habe ich nur all diese Wochen
ohne technischen Luxus überlebt?"
Ich sage Ihnen, wie.
Statt Internet auf dem Handy zu haben,
gehe ich jeden Tag ins örtliche Café.
Dort gibt es öffentliches WLAN.
Man lernt mit der Zeit alle kennen --
was sie machen,
wie lang sie schon da sind.
Man weiß, wem sie mailen,
welche Sportergebnisse sie checken,
und man tritt in Kontakt
mit der örtlichen Gemeinschaft.
Statt bei Uber Eats zu ordern,
gehe ich jeden Tag zur Markthalle,
wo Einheimische Speisen
zubereiten und verkaufen.
Man weiß nie, was es gibt,
denn das hängt stark von den Zutaten ab,
die es in der Woche zuvor zu kaufen gab.
Ich erinnere mich noch an das erste Mal.
Es gab eine enorme Vielfalt an Gerichten:
malaysisches Fladenbrot,
Pasta, gebratene Donuts!
Ich dachte: "Okay, also
gebratene Donuts zum Frühstück!"
(Lachen)
Wenn man der Neue in der Stadt ist
und die Leute merken,
dass man im Gesundheitswesen arbeitet,
dann interessieren sie sich eher dafür,
was man tut, warum man da ist.
"Wie lange wollen Sie bleiben?"
Statt also zu Hause Netflix zu schauen,
werde ich zu einer Menge
großartiger Ereignisse vor Ort eingeladen
und mische mich unter die Leute.
Ich bemerkte schnell:
All diese Augenblicke und Gespräche
waren unterbewusst
die Mittel der Gemeinschaft,
um Resilienz aufzubauen.
Das geschieht in Großstädten nicht.
Heute leben 85 % der Bevölkerung
in städtischen Ballungsräumen.
Wir sind zwar wirtschaftlich
viel robuster als die Landbevölkerung.
Doch unsere Überflussgesellschaft
und die technischen Anpassungen
schaffen zusammen
mit der Bevölkerungsexplosion
ein völlig anderes Risikoprofil --
eins, das sich ständig ändert
und schlecht kalkulierbar ist.
Wir begreifen,
dass bekannte Katastrophen
in unbekannten Formen auftreten
und sich unbekannte Katastrophen
in bisher unvorstellbaren Formen zeigen.
Nehmen wir die Erdbebenserie
von Tōhoku in Japan 2011.
Ein Beben beschädigte die Infrastruktur
und löste einen Tsunami aus,
der die dichtbevölkerte Küste überflutete.
Die Schutzdämme, die gleichzeitig
als ständige Wasserquelle dienen sollten,
wurden beschädigt und überflutet,
wodurch noch mehr Schaden entstand.
In den Atomkraftwerken,
die ständig Energie liefern sollten,
kam es zur Kernschmelze.
Sie stoppte nicht nur die Energiezufuhr,
sondern bewirkte auch
ein Strahlungsrisiko.
Bei dieser Katastrophe
starben 15.000 Menschen.
Wir sprechen hier über Japan,
eines der technisch
fortschrittlichsten Länder weltweit,
das von alters her mit Erdbeben zu zu hat.
Dennoch kam es dort
zu einer der größten Katastrophen
der modernen Geschichte.
Australien ist kein
typischer Erdbeben-Kontinent;
unser Katastrophenrisiko
ist zum Glück relativ gering
und unser Resilienzindex relativ hoch.
Dennoch gibt es Wirbelstürme,
Dürren und Buschbrände,
dazu Terroranschläge oder Krankheiten,
die keine Grenzen kennen.
Erinnern Sie sich noch an SARS,
den Lungenvirus,
der 2003 Südostasien heimsuchte?
Oder an Ebola,
das die Weltgesundheitsorganisation
jetzt als globalen Notfall deklarierte?
Australien erlebt gerade
eine der tödlichsten Grippewellen
der letzten 10 Jahre.
Wer weiß, ob nicht plötzlich
etwas viel Schlimmeres auftaucht,
eine dicht besiedelte Stadt heimsucht
und ein bereits gestresstes
Gesundheitssystem kollabieren lässt?
Katastrophen sind komplex,
Ressourcen sind begrenzt.
Vielleicht können wir Sie nicht retten.
Deshalb müssen wir weg von der
"Jemand wird mich retten"-Einstellung
und viel stärker
auf Eigenverantwortung setzen.
Was ist, wenn keine Hilfe kommt?
Was ist Ihr Plan B?
In New Orleans sorgte Hurrikan Katrina
für ein böses Erwachen.
Für die meisten von uns ist es schwer,
uns eine Katastrophe
in unserer Umgebung vorzustellen.
Es stimmt -- das ist selten.
Aber Seltenheit bedeutet nicht
geringere Auswirkungen.
Ich gebe Ihnen
ein nachvollziehbares Beispiel.
Nehmen wir einen längeren Stromausfall.
Wie lange könnten Sie überleben?
Ich schaffe es sicher ein paar Tage.
Dann ist mein Telefon entladen,
das Internet geht nicht mehr
und ich kann keine Hilfe mehr holen.
Was, wenn Sie im Dunkeln stolpern
und sich ein Bein brechen?
Was tun Sie dann?
Eine Studie aus den USA zeigt:
54 % der Stadtbevölkerung vertrauen
ihren Nachbarn wenig oder gar nicht.
Doch bei einer Katastrophe könnte
Ihr Nachbar die einzige Rettung sein.
Fragen Sie sich also:
Wie gut kenne ich meinen Nachbarn?
Gut genug, um "Guten Morgen" zu sagen?
Bestimmt.
Vielleicht so gut,
dass er meinen Zweitschlüssel hat,
falls ich mich aussperre?
Doch kennen Sie ihn gut genug,
um ihm Ihr Leben anzuvertrauen?
Als Chicago 1995
unter einer Hitzewelle litt,
waren die demografisch vergleichbaren
Vororte Auburn und Englewood
gleichermaßen davon betroffen.
Jedoch gab es zehnmal so viele Opfer
in dem Vorort mit dem geringeren
sozialen Zusammenhalt.
Der US-Soziologe Eric Klinenberg
beschrieb das in einem Buch
und nannte es eine "soziale Autopsie"
der Katastrophe in Chicago.
Nachbarschaftsbeziehungen,
die in guten Zeiten nicht existieren,
können in schlechten Zeiten tödlich sein.
Seit den 90er Jahren
verschlechtert sich die Lage.
Zwar sind die Menschen enger verbunden
und führen ein Leben im Überfluss,
doch jüngste Studien erachten
soziale Isolation als "moderne Pest".
Ein Problem der besseren Vorbereitung
liegt darin, Sie zu überzeugen,
dass Sie Zeit und Mühe
darauf verwenden müssen,
sich für ein Ereignis zu wappnen,
das vielleicht nie eintritt.
Es ist typisch für uns Menschen,
dass wir den Fokus viel stärker
auf die Reaktions- und Erholungsphase
als auf die Phase
vor der Katastrophe legen.
Doch heute wissen wir:
Je mehr wir in Prävention
und Vorbereitung investieren,
desto geringer sind die Auswirkungen
nach der Katastrophe.
Laut Schätzungen
können wir für jeden Dollar,
den wir für Risikominderung ausgeben,
irgendwann 6 Dollar einsparen.
Viele argumentieren sogar,
eine bessere präventive Krisenplanung
hätte menschengemachte Katastrophen
wie 9/11 ganz verhindern können.
Daraus lernen wir eins:
Wir müssen den Dialog umpolen,
ihn zurück zur Basis,
in die Gemeinschaften tragen
und uns alle mit diesem Thema
auseinandersetzen.
Der Aufbau von Resilienz beginnt damit,
dass wir alle ihre Bedeutung verstehen.
Die Stärke einer Gemeinschaft
kommt von den einzelnen Menschen
und die Stärke des Einzelnen
ist die Gemeinschaft.
Als Noah die Arche baute,
regnete es nicht.
Die Geschichte hat uns
ihre Lektionen erteilt,
und wir wissen, dass der Sturm aufzieht.
Doch die Frage lautet:
"Sind wir dafür bereit?"
Danke.
(Applaus)