Wikipaka Intro Musik
Herald: Wir haben jetzt einen total
interessanten Talk mit Rebekka Hufendiek.
Rebekka ist Philosophin mit den
Schwerpunkten in Wissenschaftstheorie,
Philosophie des Geistes und der
Kognitionswissenschaft und noch
Anthropologie. Nur so Kleinigkeiten. Sie
lehrt und forscht in Bern an der dortigen
Uni. Und ihr derzeitiges Forschungsprojekt
heißt Explaining Human Nature - Empirical
And Geological Dimensions. Was sie da
jetzt genau für euch macht, das werdet ihr
gleich selber hören. Denn der Talk heißt
Aufräumarbeiten in der Gärtnerei des
Patriarchats. Wow. Ganz schön netter Titel
eigentlich. Aber irgendwie auch crazy.
Denn das ist die Frage Was verbirgt sich
dahinter? Das wird sie uns gleich
erklären. Auf jeden Fall hat es viel mit
Gender zu tun, mit Männern, Frauen, aber
auch mit dem verrückten Internet. Ich
übergebe jetzt an Rebekka und danach hören
wir uns noch zu einer Q&A-Runde.
Trötengeräusche ("Final Countdown")
Rebekka: Es ist Chaos Experience angesagt
und hier soll aufgeräumt werden. Das
bedarf vielleicht einer gewissen
Erklärung. Und ja, "es ist so viel
Unordnung in dieses Internet gekommen"
reicht vielleicht als Erklärung noch nicht
ganz aus. Wahr ist aber nun mal, dass
irgendjemand sich diese Manosphere mal ein
bisschen genauer ansehen muss, denn sie
wuchert als wildestes Chaos wie der
bizarrste aller Gärten vor sich hin. Als
ob die sieben Vorhöllen organisch geworden
wären. Täglich unterteilt sich hier was
neu. Da wächst was bis zum Überborden,
während etwas anderes verödet. Aber alles,
was da entsteht, mehrt das Schlimme und
Schlimmste auf diesem Planeten. Was sich
durch die wuchernde Manosphere hindurch
zieht, ist der Verweis auf die menschliche
Natur, auf biologische Fakten und auf eine
natürliche Ordnung. Und wer, wenn nicht
eine Philosophin, sollte hier einmal das
Wahre vom Hässlichen, das Gute vom
Merkwürdigen und Schöne vom Bizarren
trennen? Eben. Das muss jetzt wohl ich
machen.
Trötengeräusch
Also fangen wir am Anfang an, nicht ganz
bei Adam. Aber bei der Manosphere. Die
Manosphere ist ein Konglomerat
webbasierter Bewegungen, die sich an der
Oberfläche mit Männerthemen beschäftigt
oder auch Männerrechten. Tatsächlich aber
mehr oder weniger radikal sexistische und
misogyne Theorien vertritt im Umfeld auch
der Albright und Political Correctness
Foren und deren vereinten Kämpfen gegen
Social Justice Warriors. Das ist so das
Umfeld, in dem wir uns hier bewegen. Die
Pickup Artists und men's right activists
sind dabei eher die Älteren und man muss
leider sagen vergleichsweise moderaten
Gruppen im Vergleich zu dem, was sich da
heute alles so tummelt. Von Incells über
Men going their own way. In letzter Zeit
haben sich auch verschiedene Journalisten
und Wissenschaftler:innen immer mehr mit
der Manosphere beschäftigt und auch mit
der Rolle, die Plattformen wie YouTube und
Reddit Foren bei Wachstum und
Radikalisierung der Manosphere spielen.
Denn es wirft dann doch irgendwann einmal
Fragen auf, wenn ein Amokläufer wie der
von Isla Vista oder der von Christchurch
im Vorfeld ihrer Taten massivst YouTube
gejunkt haben und sich in Foren der
Manosphere verschiedentlich zu diesen
Themen auch geäußert haben. Und es gibt
durchaus Leute, die sich fragen, was die
da genau geglotzt haben und ob YouTube
eigentlich ganz unschuldig an dem Prozess
der Radikalisierung ist. Etwa 70 Prozent
des bei YouTube geglotzten wird geglotzt,
weil es einem von YouTubes
Empfehlungssystem vorgeschlagen wird. Der
Algorithmus, der diesem Empfehlungssystem
zugrunde liegt, wird von YouTube ständig
angepasst und weiterentwickelt. Natürlich
mit dem Ziel, die Leute dazu zu bewegen,
immer mehr und mehr zu glotzen. Wie etwa
Kevin Russ von der New York Times
dargelegt hat, funktioniert dieser
Algorithmus schon lange nicht mehr so,
dass er einem einfach themenverwandtes, zu
dem, was man sich als erstes angeschaut
hat; vorschlägt, sondern er hat
offensichtlich einen starken Drall zu
Crazyness, Gewalt und Verschwörung. Man
hat bei YouTube die Darkside unserer
Seelen aufgespürt und profitabel gemacht.
Je mehr Crazyness, Gewalt und Verschwörung
man uns bietet, umso länger glotzen wir.
Umso mehr verdient YouTube. Wie genau der
Algorithmus aussieht und wie sich die
finstere Seite der menschlichen Seele auf
einem Kontinuum von Katzen zu Ku-Klux-Klan
Videos im Detail darstellt, das ist bisher
YouTubes Geheimnis. Tapfere
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
versuchen aber, die Radicalization
Pathways der Plattform auf verschiedenste
Weise nachzuweisen. Diese Arbeiten
basieren nicht auf realem Nutzerverhalten
oder jedenfalls nicht alle von ihnen,
sondern auf Simulationen und liefern daher
bislang eher so etwas wie eine
interessante Hypothese oder eine how-
possibly Explaination der Radikalisierung
durch YouTube. Es gibt einen Robust
Pathway von scheinbar harmlosen, aber wie
man wohl sagen kann, tendenziell
männerstereotypen Themen zu rechten,
sexistischen und
verschwörungstheoretischen Inhalten. Oder
anders gesagt: Ein Weg, männerstereotypen
Interessen, ein Weg von männerstereotypen
Interessen in die Manosphere. Hier ist
dieser Pathway to Hell nun anschaulich
gemacht. Die Themen, die mit stetig
steigender Wahrscheinlichkeit zu
Verschwörungstheorien führen: Tiny Homes,
Fitness, Marshall Arts, Natural Foods,
Firearms, Gurus und von da
Verschwörungstheorien. Mal ehrlich, Jungs,
das kann nicht gesund sein. Der
interessante Übergang von Männerhobbys zur
Manosphere liegt natürlich beim
Erstkontakt mit den Gurus, den Online-
Predigern und hier wollen wir jetzt
stoppen und uns einen solchen Guru genauer
ansehen.
Trötengeräusch, dann im Hintergrund Klatschen
Es ist immer schwierig, über Trolle zu
reden, ohne ihren Ruhm zu vermehren. Ich
nehme diesbezüglich für die Zukunft gerne
Ratschläge entgegen. But for now, Ladies
and Gentlemen, Jordan Peterson. The
greatest intellectual of our times,
millionenfach geschaut bei YouTube,
Bestseller of All Times und die
Einstiegsdroge in die Manosphere. Was hat
er uns zu bieten? Den Lobster? Den wollen
wir uns jetzt genauer ansehen. Der Lobster
ist eigentlich nur sekundär ein
Netzbewohner. John Petersons stellt
uns das Leben des Hummers in seinem
Ratgeber Buch "Twelve Rules of Life - an
Antidote to Chaos" vor, und zwar gleich im
ersten Kapitel, das da heißt "Standup
straight with your shoulders back". Das
ist also John Petersons erster Rat an
seine Leserschaft. Was hat nun der Hummer
damit zu tun? Hummer befinden sich bei
Peterson und bis hierhin kann man
zugestehen im Kontext der
evolutionsbiologischen Erklärung im
Allgemeinen in einem ständigen
Konkurrenzverhalten um Ressourcen. Und der
Platz in einer Rangordnung hat großen
Einfluss auf die Überlebenschancen des
Tieres, vor allem in mageren Zeiten. Hier
ein kleines Zitat: Jede Pandemie, das ist
ein Zitat aus John Petersons Buch,
wohlgemerkt schon einige Jahre alt. Jede
Pandemie trifft vornehmlich das Prekariat,
auch zahlenmäßig. Das gilt sogar für
andere, nicht infektiöse Killer wie Krebs,
Diabetes und diverse Herzkrankheiten. Wenn
die Aristokratie sich einen Schnupfen
zuzieht, so heißt es, stirbt die
Arbeiterklasse bereits an
Lungenentzündung. Moment. Soweit, so
einverstanden. Aber wir waren doch bei
Hummern und der Rangordnung von denen und
nicht Aristokratie und Diabetes. Also was
ist nun mit dem Hummer und dem Kampf um
die Rangordnung? Forscher - wieder ein
Zitat - haben nachgewiesen, dass selbst
Hummer, die in Isolation aufgewachsen
sind, genau wissen, was bei einer solchen
Begegnung, eine Kampfbegegnung um die
Rangordnung, was da zu tun ist. Dann: Ein
komplexes Angriffs und Verteidigungs
Verhalten ist direkt in sein Nervensystem
eingebaut. Es beginnt mit einer Art Tanz
vor dem Gegner, vergleichbar einem Boxer,
wobei der Hummer die Scheeren anhebt und
öffnet.
Trötengeräusch
Und weiter im Zitat: Nach einer verlorenen
Schlacht und unabhängig davon, wie
aggressiv er sich vorher gab, vergeht einem
Hummer jede Lust aufs Kämpfen, nicht
einmal gegen zuvor besiegte Artgenossen
kann er sich aufraffen. Oft verschwindet
er tagelang von der Bildfläche. Denn sein
Selbstbewusstsein ist im Keller.
Selbstbewusstsein? Hummer? Nein. Zitat: In
der Hummer Welt herrscht das Winner-Take-
All-Prinzip. Ganz ähnlich wie bei den
Menschen, wo ein Prozent der
Weltbevölkerung so viel besitzt wie die
unteren 50 Prozent. Hummer kennen
Eigentum? Wieder Zitat: Und natürlich sind
die Hummer-Weibchen, die, wenn sie
trächtig sind, übrigens ähnlich hart um
ihr Revier kämpfen, magisch von diesem
einen angezogen. Der Oberste in der
Rangordnung, versteht sich. Meiner Meinung
nach eine brillante Strategie. Statt
mühsam nach dem besten Männchen für sie zu
fahnden, verlassen sie sich auf die gerade
gültige Rangliste. Ihr merkt es schon.
Das, was John Peterson hier abliefert, ist
weniger eine naturwissenschaftliche
Beschreibung als, sagen wir der Verweis
auf den Hummer als so eine Art Fabelwesen,
das benutzt wird, um bestimmte menschliche
Eigenschaften in besonders stereotyp
überspitzter Form herauszuarbeiten. Man
könnte jetzt darüber diskutieren, ob das
Winner-Take-All-Prinzip wirklich so gut
ist. Aber Peterson bleibt natürlich nicht
bei diesem Fabelwesen stehen, sondern
versichert, versieht diese Hummer-
Erzählung mit dem Anstrich der
Notwendigkeit der naturwissenschaftlichen
Erkenntnis. Noch ein letztes Zitat. Denn
die Natur ist lediglich die Summe ihrer
Selektionsentscheidung. So und nicht
anders wollte sie das Leben haben. Ob
diese Hervorbringungen nun physischer und
biologischer oder soziokultureller Art
sind, spielt keine Rolle. Alles, worauf es
aus Darwinscher Perspektive ankommt, ist
ihre Permanenz und die Dominanzhierarchie,
so sehr sie auch als Kulturleistung
erscheinen mag. Diese Dominanzhierarchie
hat immerhin schon eine halbe Milliarde
Jahre überdauert. Sie ist permanent. Sie
ist eine Realität. Die Dominanz-Hierarchie
wurde nicht erst vom Kapitalismus
geschaffen, vom Kommunismus allerdings
auch nicht. Ebenso wurde Dominanz nicht
vom militärisch-industriellen Komplex
erfunden oder vom Patriarchat, jenen
allzeit verfügbaren, beliebig formbaren
kulturellen Artefakt. Dominanz ist nicht
einmal eine Erfindung des Menschen,
sondern zählt quasi zu den ewigen
Funktionsprinzipien unserer Umwelt. Nehmen
Sie sich ein Beispiel an dem siegreichen
Hummer mit seinem 350 Millionen Jahren
Erfahrung. Stehen Sie aufrecht. Machen Sie
die Schultern breit. Das ist John
Peterson. Fassen wir noch einmal zusammen,
was wir da jetzt von Jordan Peterson
gelernt haben. Dominanz ist ein ewiges
Funktionsprinzip unserer biologischen und
sozialen Umwelt und nicht etwa ein
soziales Konstrukt, das einer spezifischen
Herrschaftsform eigen ist. Okay, Dominanz,
Hierarchien, predatieren den Menschen um
etwa 350 Millionen Jahre. Sie werden
primär unter den Männern einer Spezies
ausgehandelt, wobei ein hoher Platz in der
Rangordnung den Zugang zu Weibchen massiv
beeinflusst. Drittens die Verteilung der
Güter, zu denen die Weibchen ja übrigens
gehören in dieser Erklärungsweise,
funktioniert nach einem Winner-Take-All-
Prinzip. Die Ressourcen ballen sich oben
in der Rangordnung. Da diese Ordnung uralt
und nicht menschengemacht ist, können wir
sie nicht abschaffen. Nur verrückte
Feministinnen und Social Justice Warrior
kämen jemals auf die Idee, so etwas
versuchen zu wollen. Und schließlich in
other news: Die einzige Hoffnung auf ein
erfülltes Dasein des Mannes ist, seinen
Platz in der Rangordnung zu verteidigen.
Aufrecht stehen, Schultern zurück und dann
geht's los. Viel Glück Jungs. Fangen wir
nochmal von Anfang an. Wieder nicht ganz
bei Adam. Aber dieses Mal bei Darwin. Es
ist offensichtlich der Theorierahmen der
natürlichen Selektion und der sexuellen
Selektion, der die
Rechtfertigungsgrundlage dafür bieten
soll, dass das Winner-Take-All-Prinzip.
Wir nennen es jetzt vielleicht das Hummer-
Winner-Take-All-Prinzip zu einer Art
metaphysischen Grundstruktur des
Universums erklärt wird. Was würde Darwin
dazu sagen? Richtig ist natürlich erst
mal, dass die Evolutionstheorie eine
gewisse Rechtfertigungsgrundlage dafür
gibt, Kontinuitäten in der Organisation
von Lebewesen zu vermuten. Insofern die
gemeinsame Abstammung einer
Ausgangshypothese eine Ausgangshypothese
der Theorie ist. Richtig ist auch, dass
natürliche Selektion und sexuelle
Selektion zwei ganz zentrale Mechanismen
sind, die die Ausdifferenzierung der Arten
über die Zeit vorangetrieben haben. Diese
zwei Annahmen finden sich bei Darwin
selbst, und sie haben bis heute ihre
Gültigkeit nicht verloren. Richtig ist
schließlich auch, dass wir bei vielen
Spezies Verhalten beobachten können, das
sich als Dominanzverhalten interpretieren
lässt und dass viele Spezies
Dominanzhierarchien ausbilden und dass
diese Hierarchien an den Zugang zu
Ressourcen und Paarungsmöglichkeiten
gekoppelt sind. Das sind soweit alles
Gemeinplätze. Und anders als es John
Peterson häufig behauptet, ist zumindest
mir kein Social Justice Warrior und auch
keine Feministin bekannt, die das in Frage
stellen würde. Kompliziert wird es aber
jetzt, wenn man sich fragt, was denn dann
das Problem mit dem Lobster ist. Ein
Problem gibt es mit der Art, in der
Peterson und viele andere Manosphere-
Bewohner, sich auf die sexuelle Selektion
berufen. Mit sexueller Selektion ist
innerartliche Varianz im
Fortpflanzungserfolg gemeint und deren
Einfluss auf die Reproduktion von ganz
bestimmten Merkmalen. Bei Darwin
reproduziert die sexuelle Selektion sehr
eindimensionale und allseits bekannte
Geschlechterstereotypen. Bei den Männchen
einer Art werden sich verstärkt Merkmale
wie große Geweihe und Pfauenschwänze
ausbilden, da diese im Konkurrenzkampf mit
anderen Männchen und zum Beeindrucken von
Weibchen sehr nützlich sind. So weit
Darwin. Darüber hinaus werden Männchen zur
Polygamie neigen, da ihnen das ein
Reproduktionsvorteil erbringt. Weibchen
werden hingegen tendenziell monogam und
wählerisch sein und statt Wettkampf und
Konkurrenzverhalten eher mütterliches
Fürsorgeverhalten ausbilden, da dies den
Reproduktionserfolg auf ihrer Seite
sichert. Die Biochemikerin Ruth Hubbard
hat schon 1979 in einem luziden und sehr
lustigen Aufsatz mit dem Titel "Have Only
Man Evolved?" einen spöttischen Blick auf
Darwins doch überraschend einheitliche
Beobachtung quer durch das gesamte Animal
Kingdom geworfen. Und sie schreibt
folgendes: "Make no mistake whereever you
look among animals, eagerly promscuous
males are pursuing females, who peer from
behind languidly dropping eyelids to
discern the strongest and handsomest. Does
it not sound like the wishfulfillment
dream of a proper Victorian gentleman?"
Oder ist es am Ende so, dass der Traum des
viktorianischen Gentleman ein
artübergreifendes Faktum ist? Die
Beobachtung der Tiere über das 19.
Jahrhundert hinaus hat uns gelehrt, dass
es in Bezug auf Paarungsverhalten im
Tierreich wenig gibt, was es nicht gibt.
Nachlesen kann man das z.B. in Cordelia
Fines jüngstem Buch "Testosteron Rex". Was
man da findet, ist natürlich weibliche
Polygamie, männliches Fürsorgeverhalten,
weibliche Konkurrenz und männliche
Wettbewerbsverweigerung. Verrückt. Alles
von Fisch bis Vogel existent und
beobachtbare Strategien. Wir finden
natürlich auch Tiere, die sich als
Totemtiere und Fabelwesen für bestimmte
Unterabteilungen der Manosphere noch
besser als der Hummer anbieten würden.
Stinkwanzen und Papageienfische können die
Menge an Ejakulat je nach Qualität -
"Qualität" - des Weibchens dosieren. Man
könnte meinen, dass diese Art von Blick
auf das weibliche Geschlecht zum Beispiel
bei den Pickup Artists von einem ähnlichen
Mechanismus geleitet ist. Vielleicht
sollte die Stinkwanze zu ihrem Vorbild für
natürliches Paarungsverhalten werden. Bei
den Breitfußbeutelmäusen sterben die
Männchen nach der Paarungszeit, weil sie
so viel Stresshormone und Testosteron
ausschütten, dass ihr Immunsystem
schließlich kollabiert und die Organe
versagen. Vielleicht versteht man die
Bewegung "Men going their own way", die
sich vom weiblichen Geschlecht ganz
allgemein abwenden wollen, besser, wenn
man davon ausgeht, dass das
Breitfußbeutelmäuschen ihr Totemtier ist.
Trötengeräusche
Aber verlassen wir die Welt der
fehlgeleiteten Fabeln und kehren zurück
zur Wissenschaft. Was wissen wir über
menschliches Paarungsverhalten?
Einigermaßen unbestrittener Konsens
zwischen den verschiedenen
Unterabteilungen der Anthropologie und
Verhaltenswissenschaften ist, dass
Sexualverhalten und Reproduktionserfolg
beim Menschen nicht erst seit der
Einführung der hormonellen Verhütung
denkbar weit entkoppelt sind. Es ist
darüber hinaus sehr schwierig, vom
aktuellen Verhalten irgendetwas über den
biologischen Ursprung oder die biologische
Funktion abzuleiten. Wir wissen sehr, sehr
wenig über diese Dinge. Sie liegen auch
sehr weit in der Geschichte zurück. Es ist
eine komplexe und schwierige Frage, was
überhaupt biologisch bedingt ist am
menschlichen Verhalten. Denn es ist ja
sehr formbar und divers, fast so divers
wie das Verhalten der unterschiedlichen
Spezies zusammengenommen. Das ist übrigens
eine Einsicht, die der Evolutionstheorie
nicht entgegensteht, sondern mit ihr Hand
in Hand geht. Wenn uns die
Evolutionstheorie eines lehrt, dann, dass
alle Merkmale, die wir aufweisen,
historisch bedingt sind und unter
zufälligen Bedingungen entstanden sind.
Manche durch natürliche Selektion, manche
durch kulturelle Selektion, manche durch
soziale Konstruktion. Und wenn man heute
auf den fertigen Menschen schaut, dann ist
es relativ schwierig, das eine vom anderen
zu trennen und überhaupt zu entscheiden,
wie was entstanden ist. Und wenn man die
verschiedenen Vorschläge hierzu on the
market of ideas anschaut, hat man den
Eindruck, man sieht relativ häufig viel
über die politischen Vorannahmen der
Autorin oder des Autoren. Und das betrifft
alle politischen Einstellungen, die man zu
dieser Sache haben kann gleichermaßen.
Eine, bezeichnender Weise eine Alternative
zum Hummer Winner-Takes-All-Prinzip findet
sich z.B. schon bei Friedrich Engels. Der
meint, dass weibliche Monogamie aus der
Konzentration beträchtlicher Mengen von
Gütern in den Händen weniger Einzelner
erst gewachsen ist. Aus der
gesellschaftlichen Notwendigkeit, bei
diesem einen reichen Mann zu bleiben und
die Kinder von ihm ernähren zu lassen, ist
die weibliche Monogamie erst durch ein
soziales Zwangskonzept gewissermaßen
entstanden. Merkt ihr was? Im Verhältnis
zum Hummer Winner-Takes-All-Prinzip sind
hier Ursache und Wirkung genau vertauscht.
Merkmale, die uns natürlich scheinen, sind
eigentlich das Resultat einer langen
Sozialgeschichte. Ruth Hubbard, die wir
schon kennengelernt haben, würde dem noch
hinzufügen, dass eine Theorie wie die der
sexuellen Selektion bei Darwin nicht nur
Ursache und Wirkung vertauscht, also nicht
die ganze Theorie der sexuellen Selektion,
sondern die Geschlechterstereotypen, die
Darwin darin einheitlich am Werken sieht.
Dass das eben nicht einfach nur
Vertauschung von Ursache und Wirkung ist,
sondern darin auch noch ein bestimmter
ideologischer Effekt zum Ausdruck kommt.
Hier nochmal ein Zitat von Ruth Hubbard:
Darwin's theory of sexual selection was
put forward in the midst of the first wave
of feminism. It seems that when women
threatened to enter as equals into the
world of affairs, androcentric scientists
rally to point out that our natural place
is at home. Das ist jetzt also ein
klassisches ideologiekritisches Argument.
Fehlgeleitete naturwissenschaftliche
Annahmen erklären Merkmale zu natürlichen
Merkmalen, die eigentlich menschengemacht
sind. Der Effekt dessen ist, dass diese
Merkmale uns als unveränderlich
erscheinen, genau wie beim Hummer-Winner-
Takes-All-Prinzip. Damit sind wir bei der
ideologischen Dimension der Debatte rund
um das biologische Wesen des Menschen
angekommen, die spätestens seit Darwin ein
fester Bestandteil der wissenschaftlichen
und gesellschaftlichen Auseinandersetzung
war. Es ging dabei nie darum, dass
verrückte Social Justice Warriors die
Evolutionstheorie leugnen, sondern immer
schon darum, dass Sozialdarwinisten wie
z.B. Walter Bagehot auf der einen Seite
und Anarchisten wie Peter Kropotkin auf
der anderen Seite die Evolutionstheorie
und ihren Einfluss auf menschliche
Verhaltensweisen sehr unterschiedlich
interpretiert haben. Man könnte direkt
meinen, dass die eigenen Vorurteile aus
der Erforschung der Natur des Menschen
nicht ganz herausgehalten werden können.
Ich z.B. bin dieser Meinung. Das gilt
übrigens auch für die Ausbildung von
Hierarchie. Es ist natürlich richtig, dass
viele Spezies Hierarchien ausbilden. Diese
sind aber natürlich schon quer durch das
Tierreich sehr unterschiedlich. Und es
finden sich natürlich Spezies, die
hierarchieorientierter sind und andere,
deren Verhalten einem Anarchisten wie
Peter Kropotkin viel besser gefallen, weil
sie interessante Formen von Kooperation
und Vorformen von egalitaristischer
Organisation ausgebildet haben. Der
Anthropologe Christopher Boehm vertritt in
seinem Buch "Hierarchy in the Forest" die
These, dass menschliches Verhalten erst
seit etwa 5000 Jahren primär hierarchisch
organisiert ist, während der frühe Homo
sapiens in Jäger-Sammler-Gemeinschaften
egalitär organisiert war. Das ist
verbunden mit der Annahme, dass
egalitaristische Organisationen quasi zum
Wesen des Menschen gehört. Eine solche
egalitär organisierte Gruppe muss
gemeinsam moralische und soziale
Kooperationsmechanismen ausbilden, die die
Stärkeren unterdrücken und davon abhalten,
Kontrolle an sich zu reißen. Die
Hypothese, dass diese Fähigkeit zur
Kooperation sich speziell beim frühen
Menschen ausgebildet hat, wird manchmal
auch "Selection against Bullies" genannt.
Auch hier handelt es sich um eine
Hypothese, die nicht frei von politischer
Motivation ist. Zum einen handelt es sich
hier aber um eine seriöse
wissenschaftliche Arbeit. Bisschen anders
als bei Peterson, die die eigenen
Schlussfolgerungen, also
Schlussfolgerungswege und auch die Quellen
transparent macht. Und es scheint mir
persönlich auch die sympathischere
Alternative zu sein, die dem Mann als
solchen interessantere Ratschläge zu geben
weiß, als gerade zu stehen, zum Beispiel
mit anderen zusammenzuarbeiten auf der
Basis von Vertrauen. Soweit zum
Forschungsstand und seinen Einwänden gegen
das Hummer-Winner-Takes-All-Prinzip. Die
Frage, die bleibt, ist: Warum, warum
Manosphere? Warum Jordan Peterson? Warum
all das millionenfach? Warum radikalisiert
und wächst diese Community oder all diese
Communities ständig und immer weiter vom
Schlimmen zum Schlimmsten? Warum werden
hier ewige, unverrückbare Wahrheiten der
conditio humana unter Berufung auf die
Evolutionstheorie beschworen, wo gerade
die Evolutionstheorie es zum
wissenschaftlichen Konsens erhoben hat,
dass alles an der Natur des Menschen
zufällig geworden und unter den richtigen
Umständen auch wandelbar ist? Ein Vorbild
von mir, Natali Win alias Lady Foppington,
hat sich unlängst mit der Prominenz
physiognomischen Erklärungen in der
Manosphere beschäftigt. Viele Incells, die
Schlimmeres als Jordan Peterson konsumiert
haben, glauben nämlich, dass sie keine
Aussicht haben, jemals eine Partnerin zu
finden, weil ihre Schädelformen sie auf
der Verliererseite der Evolution
aufgestellt hat. Und Frauen, die ja in der
Welt der Manosphere bekanntlich
einheitlich hypogam sind, also sich
Partner oberhalb ihres, also mit möglichst
hohem sozialem Status suchen und also
tendenziell dem Alphamale, dem
Alphamännchen zustreben und sich ergo
niemals für diese armen Incells und deren
Knochenformen interessieren werden. Schwer
verständlich, wenn man das Gesetz der
großen Lady Foppington nicht kennt.
Foppington's Law. Wenn sich Bigotterie,
Verzweiflung und Selbsthass in einer
Community nur hinreichend ausgebreitet
haben, dann ist es nur eine Frage der
Zeit, bevor der Form des Schädels tiefe
metaphysische Bedeutung zugemessen werden
wird. Und warum ausgerechnet der Form des
Schädels? Nun, der Schädel ist ein tiefer
Fundamental unserer Natur und in äußerst
geringem Maße sozialen Einflüssen
ausgesetzt. Das bestreite nicht einmal
ich. Es ist die Natur. Dagegen kann man
nichts tun. Sich auf unveränderliche
Natur-Zusammenhänge zu berufen, ist nun
ein langer Teil reaktionärer Argumente und
lässt sich in der Philosophie mindestens
bis zu Aristoteles zurückverfolgen, der
begründet, dass es natürlicherweise
Sklaven gibt, also dass bestimmte Menschen
von Natur aus Sklaven sind. Bei
Aristoteles ist das aber noch mit einem
essentialistischen Weltbild verbunden, in
dem das Natürliche, Normale, das
Notwendige und Gute mehr oder weniger in
eins fallen. Wenig in der Geschichte der
Wissenschaft vom Menschen hat dieser
heiligen Einheit so großen Schaden
zugefügt wie die Evolutionstheorie. Wenn
Menschen und alles, was sie ausmacht,
unter völlig zufälligen Bedingungen
entstanden sind, wenn sie sich genau
genommen immerzu in einem Prozess des
Werdens und Vergehens befinden, indem sie
alle mehr oder mehr schlecht als recht an
die vorherrschenden Bedingungen anpassen,
um zu überleben, dann gibt uns die Natur
des Menschen keine verbindliche
Rechtfertigungsgrundlage dafür, was wir
mit uns anstellen sollen. Alles, was wir
erforschen können, sind instrumentelle
Zusammenhänge. Welche Hormone und wie
viele davon soll ich nehmen, wenn ich
nicht schwanger werden möchte oder wenn
ich gerne mehr Bartwuchs hätte? Solche
Fragen kann mir die Wissenschaft nach
Darwin noch beantworten. Aber ob ich
irgendetwas davon machen soll oder lieber
nicht machen soll und nach welchen Werten
Wertmaßstäben das zu bemessen ist, das ist
eine Frage, die wir in politischen und
ethischen Auseinandersetzungen
ausdiskutieren müssen. Und der Verweis auf
biologische Fakten bringt uns da relativ
wenig weiter. Aber zurück zu Lady
Foppington. Ich habe gesagt, dass es eine
lange Tradition reaktionärer Argumente
gibt, die sich auf essentielle
Naturzusammenhänge stützen. Das ist lange
bekannt, Lady Foppington hat aber etwas
Neues gesehen. Die Extremform solcher
Argumente, die sich heute in der
Manosphere von Wissenschaft und dem, was
da debattiert wird, immer immer weiter
entfernen, sind nicht mehr einfach
konservative Argumente, die den
Aristoteles noch nicht ganz aufgeben
wollen. Das, glaube ich, würde uns
irgendwie noch nicht so ganz erklären, was
da passiert. Es sind vielmehr Argumente,
die die eigene Verzweiflung und das sehr
Destruktive im eigenen Zugriff auf die
Welt zur Naturnotwendigkeit erklären.
Ganze Online-Communities verzweifelter
Männer bestätigen sich wechselseitig
darin, dass sie aufgrund ihrer
Schädelformen niemals eine Partnerin
finden werden. Manchmal ist man doch
geneigt zu glauben, dass das Internet die
Menschen verrückter gemacht hat, als sie
vorher waren. Und es würde einem fast eher
Hoffnung geben, wenn das denn wahr wäre
und wenn man die ganze Schuld einfach auf
YouTube schieben könnte. Denn dann hätte
man zumindest ein Feindbild, gegen das man
sich wenden könnte. Und man hätte guten
Grund, darauf zu bestehen, dass YouTube
uns jetzt endlich diesen Algorithmus
verraten soll und auch diese
Nutzerprofile, die uns einen Blick in die
Abgründe der menschlichen Psyche erlauben
würden. Was für ein Spektrum von
Katzenvideos bis hin zu Ku-Klux-Klan
Videos sich da auftun würde. Meine Güte,
es klingt noch nicht wahnsinnig
überzeugend. Ich habe in meiner
Ankündigung dieses Vortrags ein total
landscaping der Manosphere versprochen.
Sie erinnern sich. Ihr erinnert euch. Rudy
Giulianis Pressekonferenz, die
versehentlich auf dem Parkplatz vor einer
Landschaftsgärtnerei stattfinden musste,
war eines meiner Lieblingsereignisse in
diesem doch eher tristen Jahr und Social
Media, weil sich da jemand selbst so
dermaßen ins Abseits gestellt hat. In just
dem Moment, in dem ja eigentlich die ganze
Welt darauf gewartet hat, dass er bzw.
der, den er da vertritt, beweisen, dass
sie nicht nur die Demokratie sowieso
verachten und ihre Entscheidungsprozesse,
sondern sich auch in den letzten Jahren
Gedanken darüber gemacht haben, wie sie
jetzt in diesem entscheidenden Moment an
der Macht festhalten wollen. Und in eben
diesem Moment haben sie eher einen
Schaustück dafür abgeliefert, dass sie zu
unfähig sind, sich überhaupt die adäquaten
Mittel zu überlegen, wie sie der Bullis,
der sie so gerne sein möchten, auch
bleiben können. Das hat mir sehr gefallen.
Beim drüber nachdenken ist mir aber
aufgefallen, dass mir nicht so klar ist,
was ein total Landscaping der Manosphere
denn nun sein könnte. Denn die Leute, die
dort unterwegs sind, sind nicht die
Mächtigen dieser Welt, sondern eher Leute,
die sich hier einen gemeinsamen
Resonanzraum verschafft haben, der ihnen
Handlungsmacht suggeriert, wo es um diese
in der Welt eigentlich nicht mehr
wahnsinnig gut bestellt ist. Insofern
stehen diese Leute ja alle längst auf dem
Parkplatz der Geschichte, aber sie schaden
da eben auch sich und anderen massiv. Mit
dem total landscaping der Manosphere ist
also noch nicht viel gewonnen. Mir ist
noch keine supergute Lösung für dieses
Problem eingefallen und ich verspüre auch
einen gewissen Widerstand dagegen, ein
Problem lösen zu sollen oder zu wollen,
das doch recht offensichtlich Problem,
also primär ein Männerproblem ist. Aber
ich möchte vor Anbruch des neuen Jahres
mit einer hoffnungsvollen Botschaft und
einem finalen Countdown auf die Manosphere
enden. Zum einen fällt uns auf, dass das
Vokabular, das die Manosphere kultiviert
und die Theorien, die sich an dieses
Vokabular heften, sich wie Fabeln eben
sehr ins Gedächtnis einbrennen. Und zum
anderen fällt auf, dass Plattformen wie
YouTube und die Manosphere-Foren eine Art
sexistische und misogyne Blasen, auf eine
Art sexistische und misogyne Blasen
schaffen, in denen sich dieses Vokabular
zu kollektiv psychotischen Weltwahrnehmung
zu verselbstständigen droht. Hier, glaube
ich, können wir dann in einem ersten
Schritt mit mehr Humor und Kreativität der
Aufgabe uns annehmen, andere Fabelwesen
für Heranwachsende und Verzweifelte zu
entwerfen. Das Feld darf hier nicht Jordan
Peterson und dem Loser-Lobster überlassen
bleiben. Wir sollten darüber hinaus
selbstverständlich YouTube enteignen,
nicht zuletzt, weil wir alle wissen
wollen, wie jetzt dieser Algorithmus
funktioniert. Und außerdem möchten wir
auch hinreichend Onlinefernsehen sehen,
was auch der Sonnenseite unserer Seele
gerecht wird und nicht nur unsere Abgründe
bedient und das geht glaub ich am besten,
wenn wir uns da kollektiv organisieren.
Schließlich bei aller Liebe - es ist und
bleibt ein wichtiges Gebot, dass man
wissen muss, wann und wie das Fernsehen
abgestellt werden muss.
Trötengeräusche
Herald: Hallo Rebekka, again. Gerade noch
vor dem schönen Kamin und jetzt in einer
ganz anderen Location.
Rebekka: In der Berliner Isolation.
Herald: Ah ok. Willkommen zurück. Bist gar
nicht in Bern.
Rebekka: Jetzt nicht mehr, nee.
Herald: Wir machen jetzt so eine kleine
Fragerunde sozusagen. Nach deinem
spannenden Vortrag. Die Leute da draußen,
hallo ihr, habt die Möglichkeit natürlich
über Twitter uns die Fragen zu stellen.
Oder übers IRC und Mastodon. Rebekka, wie
kommt es dazu, dass du für den
diesjährigen rC3 den Vortrag und zu dem
Thema eingereicht hast?
Rebekka: Das ist eine gute Frage. Ich habe
mich mit dieser Frage von Online
Radikalisierungen und speziell der
Manosphere ja eigentlich noch nicht
wahnsinnig lange beschäftigt. Ich bin
jetzt auch nicht unbedingt Expertin in
diesem Bereich. Wie man aus deiner
Ankündigung ja eigentlich auch entnehmen
konnte. Das ist eigentlich etwas, wo ich
mich im Pandemiejahr vielleicht auch etwas
im Internet verlaufen habe und mich da
mehr und mehr für interessiert habe. Und
das, was mir aufgefallen ist, als ich mich
so ein bisschen mit dieser Manosphere
beschäftigt habe, ist, dass da eigentlich
sehr viele Argumente wieder auftauchen.
Ich würde sogar sagen, das, was da als
ganz zentrales ideologisches Argument
immer wieder auftaucht, ist so einen Bezug
zurück auf die menschliche Natur und auf
bestimmte unveränderliche Strukturen in
der menschlichen Natur. Und das ist ja so
etwas woraus, womit ich aus meiner
Beschäftigung, aus der
Wissenschaftstheorie heraus eigentlich
sehr, sehr gut vertraut bin und wo ich das
Gefühl habe, ich kann ein bisschen was
dazu sagen, warum viele von diesen
Argumenten völlig fehlgeleitet sind. Was
auf der einen Seite, wenn man jetzt Jordan
Petersons Lobster sieht, vielleicht nicht
überrascht, dass das nicht ganz so
funktioniert, wie er das darstellt. Nur
das, was jetzt auffällig ist in diesem
ganzen Diskurs in der Manosphere ist, dass
sich ständig und ständig und immer wieder
darauf bezogen wird, dass man hier
naturwissenschaftliche Fakten darstellt
und dass die Leute sich eigentlich so
inszenieren als Anti-Mainstream. So "Und
in unserer Gesellschaft sind bestimmte
ideologische Gendermainstreaming-Argumente
dominant geworden und verdecken eigentlich
bestimmte wissenschaftliche Wahrheiten."
Das ist so ein Argument, was man die
Manosphere rauf und runter hört und
was man auch jenseits des Internets aus
der AfD in Deutschland z.B. hört und wo
ich glaube, es ist relativ wichtig, dass
man da auch ausführlich drauf antwortet
und sagt: Nein, es ist nicht so, dass hier
so etwas wie feministische Ideologie oder
geisteswissenschaftliche linke Ideologie
der Naturwissenschaft entgegenstehen würde
und quasi gegen die menschliche Natur
Politik gemacht werden würde, sondern es
ist vielmehr so, dass diese Leute
eigentlich ein sehr veraltetes Bild von
Naturwissenschaft, wenn überhaupt von
Wissenschaft in der Hinterhand haben. Und
das war so meine Motivation, ein bisschen
mehr überhaupt das, was ich sonst als
Forschungsarbeit mache, auch in die
Öffentlichkeit zu tragen. Und das, was
mich eigentlich brennend interessieren
würde, ist mehr mit Leuten zu sprechen,
die sich mehr mit netzpolitischen Fragen
beschäftigen. Weil glaube ich, der
interessante, die interessante
Schnittstelle ist eigentlich da, wo man
sagt: Gut, es gibt bestimmte Expertise und
bestimmte Sachen, die da bei YouTube
'rumschwirren, zu widerlegen. Auf der
einen Seite. Aber wenn man jetzt wirklich
dieser Online Radikalisierung was
entgegensetzen will, dann muss man ja
glaub ich langfristig auch schauen, dass
man sich mit der Politik der Plattform als
solcher auseinandersetzt. Dazu hab ich ja
jetzt im Vortrag ein bisschen was gesagt,
dass man sich überlegt, ob es sich lohnt,
da irgendwie vermehrt auf YouTube auch
andere Videos hochzuschalten oder ob das
irgendwie von Anfang an verloren ist, dass
man sich überlegt was, es gibt ja noch gar
nicht so was wie Online-Deradikalisierung
Programme. Zum Beispiel das, dass man sich
überlegt, wie wie würden die eigentlich
aussehen, wenn man, wenn man das als
Radikalisierungspotenzial ernst nimmt? Was
müsste man da eigentlich machen? Also das
wären alles so Fragen, die mich
interessieren würden, die aber jetzt erst
gar nicht unbedingt in meinem engeren
Expertisebereich fallen? Genau und das,
wozu ich so ein bisschen Expertise habe
ist, warum ist an der Ideologie, die da
rumschwirrt, eigentlich einiges im Argen?
Und was kann man dazu inhaltlich sagen?
Herald: Tatsächlich sehr spannend, weil
ich glaube, das ist so ein Thema, was
ganz, ganz viele Facetten aufgreift, die
ineinander greifen. Weil es ja auch um
Verschwörungsmythen letztendlich geht,
aber auch gleichzeitig; ich finde es
spannend zu lesen oder zu hören, was du
gerade gesagt hast, dass es letztendlich
geht es ein bisschen darum, es war schon
immer so, es wird sich nicht ändern, was
ganz hart ist, weil das bedeutet, dass die
Menschheit sich nicht weiterentwickeln
kann und sich nicht weiter verändert. Fand
ich jetzt nochmal für mich irgendwie auch
ziemlich verrückt. Die Vorstellung, dass
einige Menschen tatsächlich oder
mehrheitlich wahrscheinlich Männer sich so
das auch erklären oder zurechtlegen. Ich
habe hier aber noch eine Frage von Birgit
über das IRC. Und da kannst du bestimmt
viel mehr mit anfangen als ich. Sie
schreibt Tiny Houses als Anfangsthema zum
Abstieg in die Manosphere? Ich habe von
vielen Frauen gelesen, die in Tiny Houses
wohnen oder wohnen wollen. Rebekka, kannst
du da vielleicht an drauf antworten? Sagt
dir das was? Also du beschäftigst dich
damit.
Rebekka: lacht Nein, Tiny houses fallen
nicht unmittelbar in mein Forschungsthema.
Sie sind im Vortrag vorgekommen, auch nur
ganz kurz. Es gab eine Folie, wo ich
gesagt habe, wie könnte man sich
vorstellen, dass dieser Radicalization
Pathway in die Manosphere eigentlich
aussieht? Ich habe das so bildlich
dargestellt. Und ich hab mir das nicht
ausgedacht, sondern ich hab das genommen
aus der Studie. Die war da auch kurz zu
sehen, die unter anderem von Marc Alfano
gemacht worden ist, wo sich Leute überlegt
haben: Wie könnte man jetzt eigentlich das
zeigen, diese Radicalization Pathways bei
YouTube und dann sich bestimmte
männerstereotype Themen, also von denen
sie mal angenommen haben, das wären
solche, rausgesucht haben und dann
sozusagen mit so einem Crawler das
nachgestellt haben, dass hier sozusagen
massenhaft irgendwie so Bewegungen bei
YouTube nachgestellt haben, sie geschaut
haben, was kriegt man eigentlich empfohlen
als nächstes, wenn man bei Tinyhouses
anfängt, was kriegt man empfohlen als
nächstes, wenn man bei Fitness anfängt?
Und dann sind sie sozusagen auf diese
Empfehlungskette gekommen. Ich hab im
Vortrag ganz kurz gesagt, das ist so eine
how-possibly Explaination, weil das nicht
auf realem Nutzerverhalten basiert, diese
Studie, sondern das ist wirklich der
Versuch, sozusagen massenhafte Bewegungen
nachzustellen, die diesem Recommendation
System nachgehen. Und das war jetzt die
Idee von denen, da mit Tiny Houses
anzufangen. Und natürlich sind Tiny House
nicht wahnsinnig männerspezifisch. Also so
wie ich das verstehe und da verstehe ich
wirklich nicht wahnsinnig viel von, sind
sie in den USA vor allem einfach eine sehr
prekäre Wohnform. So dass ist tendenziell
das, wo man sich hin zurückzieht, wenn man
sich ein vernünftiges Eigenheim nicht
leisten kann. Und das ist tendenziell eine
Wohnform, die diese Manosphere-Bewohner
außerhalb des Internets häufig, also die
wohnen halt häufig in so Mini-Bungalows
oder Wohnwagen oder eben solchen Tiny
Houses, was eben auch schon ein bisschen
was über den sozialen Status dann jeweils
sagt. Aber ob das jetzt eine wahnsinnig
gelungene Idee darüber ist, wo der
Einstieg in die Manosphere liegen könnte,
das kann ich wirklich nicht beantworten.
Und das ist, glaub ich, für die Debatte im
Großen und Ganzen auch nicht so wichtig.
Das, was eigentlich interessant ist
politisch, ist, dass jetzt überhaupt Leute
in der Forschung darüber rätseln, wie
diese Radikalisierungsbewegung aussehen
könnte, wo man sich vielleicht politisch
eigentlich wünschen würde, dass YouTube
nicht die Macht hätte, offensichtlich die
Mittel zur Radikalisierung da
bereitzustellen und es so schwierig sein
sollte, überhaupt dahinter zu kommen, von
außen aus der Benutzerperspektive
rekonstruieren zu müssen, wie jetzt diese
Bewegung aussehen könnte. Das ist glaube
ich eigentlich so das interessante
Problem. Genau. Das vielleicht zu den Tiny
Houses ich könnte ja auch noch was zu dem
sagen, was du am Anfang gesagt hast, zu
dem Frustrierenden an der
Unveränderlichkeit, je nachdem.
Herald: Gerne kannst du gleich sagen. Ich
probier grad nämlich nebenbei. Bei mir ist
nämlich was hängengeblieben, sozusagen.
Und kann gerade nicht auf die eine Instanz
zugreifen, auf das IRC, wo alle Fragen
reinkommen können. Von daher kannst du
gerne erstmal nochmal eine andere Frage
beantworten. Ich hoffe, dass ich gleich
hier wieder alle Fragen weiterleiten kann.
Rebekka: Okay, gut. Also weil das ist
eigentlich interessant, weil du gesagt
hast, das Frustrierende daran ist, dass er
eigentlich diese Theorien, die nahelegen,
dass Menschen sich über die Zeit nicht
verändern können. Das ist so ein bisschen
wie glaube ich an die wie sagt man so?
Dass das Gerüst der allermeisten
reaktionären Argumente darüber, dass sich
bestimmte soziale oder politische
Konstrukte über die Zeit nicht verändern
lassen, sie haben eigentlich diese Form,
dass man sich darauf beruft, dass
bestimmte Merkmale natürlich sind in einem
ersten Schritt und dann im zweiten Schritt
sagen, deshalb können wir sie nicht
verändern und deshalb sollten wir sie auch
nicht verändern. Und wenn man das jetzt so
lange philosophisch ausführen würde,
könnte man was dazu sagen, dass die bei
Aristoteles eigentlich so ein prominentes
historisches Zuhause haben diese Argumente
und dass sie da auch noch so einen ganzen
essentialistischen Denkkosmos eingebettet
sind. Und das, was ich in dem Vortrag
eigentlich kurz gesagt habe, ist, dass das
ganz ironisch ist, dass in der Manosphere
diese Art von Argumenten so prominent sind
und immer mit der Evolutionstheorie
zusammengebracht werden, weil die
Evolutionstheorie eigentlich eine Theorie
ist, die genau diesen Zusammenhang von
"ist natürlich, können wir nicht
verändern, sollen wir nicht verändern"
nicht mehr hergibt. Weil eigentlich mit
der Evolution die Idee kommt, dass alles,
was Menschen ausmacht, in völlig
zufälligen Umständen historisch geworden
ist und damit auch die alte Idee
einhergeht, dass Menschen sowieso sich
über die Zeit verändern werden. Und was
daran jetzt eigentlich gut und schlecht
ist, das ist eine völlig separate Frage.
Genau, also das wär ja mal so eine Antwort
auf die auf diese Frage, die du
aufgemacht, was hast du gesagt hast. Das
ist irgendwie frustrierend, dass man so
aus diesen Argumenten das Gefühl bekommt,
dass das irgendwie naturwissenschaftlich
gerechtfertigt werden soll, dass man
bestimmte Dinge nicht verändern kann. Und
das ist tatsächlich so etwas, glaube ich,
was, was reaktionäre Ideologie ausmacht,
sich auf Natur zu berufen, um bestimmte
Unveränderlichkeit anzunehmen und das ist
so etwas, was man dann in der Manosphere
sieht man halt bestimmte Argumente, wo ich
sagen kann: Jaja, die kennt man gut, die
gibt es seit es die Evolutionstheorie
gibt's diese Art von Berufung auf sexuelle
Selektion und so weiter. In der Manosphere
sind sie jetzt zu einem Zeitpunkt, wo die
eigentlich wissenschaftlich überkommen
sind, zu so sehr verrückten Argumenten
mutiert, könnte man glaub ich sagen.
Herald: Ich finde, also ich probiere
gerade Sachen parallel zu machen. Also für alle
Zuhörerinnen und Zuschauer:innen draußen. Also
unser IRC Kanal ist zumindest für mich
grad' nicht erreichbar. Deswegen, falls
ihr Fragen habt bitte gerne über Twitter
unter dem Hashtag rC3Wikipaka. Ansonsten
hätte ich noch eine Frage oder noch ein
Hinweis, weil du ja vorhin auch meintest,
du würdest gerne auch gerade netzpolitisch
ins Gespräch kommen und deswegen bist du
auch heute hier. Man kann dir ja auch über
Twitter folgen.
Rebekka: Auf jeden Fall. Email habe ich
auch.
Herald: Email hast du auch. Vielleicht
ergibt sich im Nachhinein nochmal was ganz
wäre, der Talk ist ja auch noch später
nochmal einsehbar. Bisschen blöd, jetzt
über eine andere Frau zu reden. Aber
vielleicht kennst du Veronika Kracher.
Rebekka: Ja.
Herald: Genau, weil du auch meintest, so
ne. Weil ich finde die ganz spannend, weil
die ja auch ganz viel miteinander
verbindet, so wie du auch. Ihr fehlt aber
tatsächlich dieses naturwissenschaftliche,
biologische, was du probiert hast
herzuleiten zu der Manosphere. Ist
vielleicht nochmal ein ganz spannender
Kontakt und die ist ja auch gerade im
netzpolitisch auf einmal ganz, ganz gut
aktiv.
Rebekka: Ja nee, das ist ein super
Hinweis. Also ich kenn das Incell-Buch ein
bisschen und genau das ist definitiv
sozusagen die Person im deutschsprachigen
Raum, die so das, was ich jetzt noch nicht
über Jahre gemacht habe, tatsächlich
gemacht hat, nämlich sich diese ganzen
Manosphere-Foren und Alt-Right Forum
wirklich im Detail anzuschauen und zu
gucken, wer da eigentlich genau was macht.
Und das, also das finde ich super, dass
jemand diese Arbeit macht. Das würde ich
nämlich tatsächlich auch nicht machen
wollen dort täglich in der
Manosphere rumhängen. Und was sie ja aber
auch macht, ist durchaus so eine gewisse
ideologische Einordnung, so wie wo man das
hin zu sortieren hat. Und was ich aber
glaube, was es darüber hinaus noch
braucht. Und deswegen hab ich den Vortrag
auch in der Form jetzt gemacht, ist zu
sagen: Ja, also ich glaube, wenn man in
irgendeiner Form mit den Leuten Kontakt
aufnehmen möchte, die mit dieser
Manosphere Kontakt haben, aber sich
vielleicht noch nicht völlig in diesen
Schlaufen verloren haben und denen
irgendwie ein Verständnis geben möchte
davon, warum sie da nicht ganz auf dem
richtigen Weg sind, dann ist eine wichtige
Strategie glaube ich, den Teil zu
adressieren, der sagt: Hier haben wir
harte wissenschaftliche Fakten. Folgt
bitte, also sozusagen: Ihr könnt jetzt uns
hier YouTube immer weiter zuhören und
werdet sozusagen wissenschaftliche
Erkenntnis bekommen. Und das ist ganz
eindrücklich, finde ich. Es gibt von Kevin
Russ, der so Tech Journalist bei der New
York Times so eine Reportage mit Caleb
Cain, dass ist jemand, der sich vor ein
paar Jahren bei YouTube mal radikalisiert
hat und sich dann irgendwann auch mal
wieder deradikalisiert hat. Also wenn man
das googlet findet man halt ein paar
Interviews im Fernsehen mit den beiden.
Und das ist für mich relativ eindrücklich,
zu sehen, wie sie das so zusammen
beschreiben, diesen Radikalisierungs- und
den Deradikalisierungsprozess. Sie
erzählen von einem sehr jungen Mann in
West Virginia, der aus der High School
rausgeflogen ist und eine Weile nicht
wusste, wohin mit seinem Leben, dass er
auf einmal sich da zwölf Stunden am Tag
YouTube reingezogen hat und dann bei
Leuten wie Jordan Peterson irgendwann
gelandet ist bei den absolut radikalsten
Alt-Right Leuten, die da diesen großen
Austausch predigen und so eine White Pride
usw. predigen, wie er da so von einem zum
anderen gekommen ist. Und da finde ich das
super eindrücklich, dass er sagt, dass das
für ihn so ein trip feed gewesen wäre, in
einer Zeit, wo er eigentlich so auf der
Suche gewesen ist nach einem, nach Halt,
nach ideologischem Halt, aber auch nach,
eigentlich auch nach sowas wie
therapeutischem Halt darüber, wie er sein
Leben führen soll. Dass dann natürlich
diese Figuren aus der Manosphere bei
YouTube alle einzeln auftreten, auch als
ein bisschen, als Prediger, als Gurus, als
Daddy-Figures. Und gleichzeitig sagen:
Hier, ich kann dir was erzählen, was in
unserer liberalen Gesellschaft heute tabu
geworden ist, nämlich dass es eigentlich
naturwissenschaftlich belegte Unterschiede
gibt zwischen den Geschlechtern, zwischen
den Rassen, zwischen den Klassen. Dass es
eigentlich, wie natürliche Gründe für
diese Unterschiede in der Gesellschaft
gibt. Und von da wirst du dann langsam da
hingeführt, dir diese ganze
radikalähnliche Bühne sexistischer und
nationalistischer Ideologie reinzuziehen.
Und ich glaube, dass das relativ wichtig
ist, sich damit auch auf
naturwissenschaftlicher und gleichzeitig
ideologiekritischer Ebene
auseinanderzusetzen und auch Inhalte
bereitzustellen, die dem was
entgegensetzen, so, genau.
Herald: Rebekka, vielen Dank dafür, für
die Einblicke. Unsere kleine Talk Zeit ist
jetzt schon rum, aber du stehst für alle,
die interessiert sind und uns nicht über
den IRC erreichen konnten, auch nochmal in
einem BigBlueButton zur Verfügung. Gleich
jetzt hier im Anschluss an den Talk. Ich danke
dir jetzt schon und verabschiede dich
schon mal sozusagen. Vielen Dank, dass du
da warst. Danke für das gute Thema. Und
hier geht es nämlich gleich um 19.30
ziemlich wie immer pünktlich weiter mit
Bernd Fiedler und "Public Service, Public
Value". In diesem Sinne verabschiede ich
mich jetzt von der Rebekka und von euch
und alles Gute. Bis bald.
Rebekka: Tschüss.
Herald: Ciao.
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