Der Aufschrei der Menge. Das Brüllen eines Löwen. Das Klirren von Metall. Ab 80 n. Chr. ertönten diese Klänge über die Ränge des Kolosseums. Fast das ganze Jahr über füllten über 50.000 Einwohner Roms und Besucher aus dem Römischen Reich die vier Stockwerke des Stadions, um in der Arena Gladiatorenduelle, Tierkämpfe und Wagenrennen zu sehen. Zum großen Finale strömte Wasser herein und überschwemmte die Bühne für ein grandioses Spektakel: inszenierte Seeschlachten. Die monumentalen fiktiven Seekämpfe der Römer, "Naumachien" genannt, begannen unter Julius Caesar im 1. Jahrhundert v. Chr., über hundert Jahre vor der Erbauung des Kolosseums. Sie wurden neben anderen Wasserspektakeln auf natürlichen und künstlichen Gewässern um Rom abgehalten, und zwar bis zur Ära von Kaiser Flavius Vespasian, der 70 n. Chr. auf einem ehemaligen See mit dem Bau des Kolosseums begann. Es sollte ein Symbol der Macht Roms in der antiken Welt sein. Wie könnte man diese Macht besser zeigen als mit einem Gewässer, das sich auf kaiserlichen Befehl leeren und füllen ließ? Vespasians Sohn Flavius Titus erfüllte 80 n. Chr. den Traum seines Vaters: Mit Hilfe von Kriegsbeute vollendete er das Kolosseum bzw. das Flavische Amphitheater, wie es damals genannt wurde. Die Eröffnung wurde 100 Tage lang mit Prunk und Gladiatorenspielen gefeiert und bildete die Programmvorlage für Paraden, musikalische Aufführungen, öffentliche Hinrichtungen und natürlich Gladiatorenkämpfe. Im Gegensatz zu kleineren Arenen, wo reiche Römer Spiele veranstalteten, wurden diese Demonstrationen imperialer Macht vom Kaiser finanziert. Paraden exotischer Tiere, Theateraufführungen und die imposanten Naumachien wurden ersonnen, um den Glauben an den gottgleichen Kaiser zu stärken, der nach seinem Tod zum Gott erklärt würde. Es bleibt ein Rätsel, wie Ingenieure die Arena fluteten und den aquatischen Effekt erzeugten. Laut einiger Historiker wurde ein riesiger Aquädukt in die Arena geleitet. Andere denken, das System der Kammern und Schleusentore zum Leeren der Arena wurde auch zum Füllen verwendet. Die Kammern wurden wohl vor der Vorstellung mit Wasser gefüllt und dann geöffnet, um die Bühne mit knapp 4 Millionen Litern Wasser anderthalb Meter hoch zu überfluten. Aber trotz des vielen Wassers mussten die Römer Miniaturboote mit speziell flachen Böden bauen, damit sie nicht auf dem Grund aufliefen. Diese Boote waren 7 bis 15 m lang und wurden so gebaut, dass sie wie Schiffe von berühmten Schlachten aussahen. Während einer Schlacht schwammen Dutzende dieser Schiffe in der Arena. An Bord waren Gladiatoren, verkleidet als Kriegsparteien der reinszenierten Schlacht. Die Krieger duellierten sich von Schiff zu Schiff, enterten Schiffe, bekämpften und vernichteten ihre Feinde, bis nur noch eine Partei übrig blieb. Zum Glück erzählten nicht alle Wasserschauspiele solch grausige Geschichten. Bei einigen Aufführungen glitten Wagenlenker dank der überfluteten Bühne wie Triton über das Wasser, der, Wellen schlagend, seinen Wagen über das Meer lenkte. Tiere liefen auf dem Wasser, Mythen wurden von verurteilten Gefangenen nachgestellt und nachts traten nackte Synchronschwimmer im Fackelschein auf. Aber das aquatische Zeitalter des Kolosseums währte nicht ewig. Die Seeschlachten waren so beliebt, dass ihnen Kaiser Domitian Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. einen eigenen See in der Nähe zuwies. Dieser größere See war für Naumachien noch geeigneter und das Kolosseum erhielt bald eine Reihe unterirdische Tierkäfige und Falltüren, die keine weiteren Überflutungen zuließen. Aber für kurze Zeit steuerten die flavischen Kaiser die Gezeiten von Krieg und Wasser in einer spektakulären Machtdemonstration.