Ich war während des Hurrikan Sandy in New York und dieser kleine, weisse Hund namens Maui war bei mir. Wegen eines Stromausfalls war die halbe Stadt dunkel, und ich lebte auf der dunkeln Seite Maui fürchtete sich schrecklich vor der Dunkelheit und so musste ich ihn die Treppe hochtragen. Eigentlich trug ich ihn zuerst die Treppe hinunter und nach seinem Spaziergang wieder hoch. Ich schleppte auch jeden Tag unzählige Flaschen Wasser in die 7. Etage hinauf. Und dabei musste ich immer eine Taschenlampe zwischen den Zähnen halten. In den Läden der Umgebung waren Taschenlampen, Batterien und Brot ausverkauft. Zum Duschen ging ich zu Fuß in mein Fitnessstudio, das 40 Häuserblocks entfernt lag. Aber das waren nicht die Hauptbeschäftigungen meiner Tage. Es war ebenso wichtig für mich, dass ich morgens die Erste in einem Café in der Nähe war, wo es Ladestationen und Verlängerungskabel gab, um meine verschiedenen Geräte aufzuladen. Ich begann, unter den Bänken vor Bäckereien und bei Eingängen von Konditoreien nach Steckdosen zu suchen. Ich war nicht die Einzige. Sogar bei Regen standen die Leute zwischen der Madison und der 5th Avenue unter ihren Schirmen und luden ihre Handys an Steckdosen an der Straße auf. Die Natur hatte uns soeben daran erinnert, dass sie stärker ist als unsere ganze Technik, und doch waren wir ganz auf unsere elektronischen Verbindungen fixiert. Ich glaube, in einer Krisensituation merkt man jeweils, was wirklich wichtig ist und was nicht, und Sandy hat mir gezeigt, dass uns unsere Geräte und die Verbindungen, die sie herstellen, wichtig sind, genau so wie Essen oder ein Dach über dem Kopf. Das bekannte Selbst, existiert nicht mehr. Ein abstraktes, digitales Universum ist Teil unserer Identität geworden. Und ich möchte darüber sprechen, was das meiner Meinung nach bedeutet. Ich bin Schriftstellerin, und interessiere mich für das Selbst, weil das Selbst und die Fiktion viele Gemeinsamkeiten haben. Beide sind Geschichten, Interpretationen. Wir alle erleben viele Dinge ohne eine Geschichte. Wir können zu schnell die Treppe hochrennen und ausser Atem geraten. Doch der weitere Zusammenhang unseres Lebens, der etwas abstraktere, ist indirekt. Die Geschichte unseres Lebens basiert auf direkten Erfahrungen, aber sie ist ausgeschmückt. Ein Roman besteht aus einer Szene nach der anderen und die Geschichte unseres Lebens braucht ebenfalls einen Bogen. Sie braucht Monate und Jahre. Einzelne Momente unseres Lebens sind ihre Kapitel. Aber in der Geschichte geht es nicht um diese Kapitel, sondern um das ganze Buch. Es geht nicht nur um gebrochene Herzen und Glück, um Triumphe und Enttäuschungen, sondern darum, wie wir durch diese und – manchmal noch wichtiger – trotz diesen unseren Platz in der Welt finden, wie wir sie verändern und uns selbst verändern. Unsere Geschichte braucht deshalb zwei Dimensionen von Zeit: Einen langen Zeitbogen, das ist unsere Lebensdauer, und den Zeitrahmen der direkten Erfahrung, das ist der Moment. Das Selbst, das direkte Erfahrungen macht, kann nur in dem Moment bestehen, doch das Erzählende braucht mehrere Momente, eine ganze Reihe davon, und deshalb braucht das Selbst in seiner Gesamtheit sowohl die eindringliche Erfahrung als auch den Fluss der Zeit. Dieser Fluss der Zeit ist in allem eingebettet: In der Erosion eines Sandkorns, in der Knospe, die zur Rose erblüht. Ohne ihn gäbe es keine Musik. Unsere Gefühle und Gemütsverfassungen drehen sich oft um Zeit: Bedauern oder Wehmut wegen der Vergangenheit, Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft. Die Technik hat den Fluss der Zeit verändert. Die Gesamtzeit, die uns für unsere Geschichte zur Verfügung steht, unsere Lebensdauer, hat zugenommen, aber die kleinste Einheit, der Moment, ist geschrumpft. Geschrumpft, weil Instrumente uns befähigen, immer kleinere Zeiteinheiten zu messen, und dadurch erlangen wir ein differenzierteres Verständnis der materiellen Welt, und dieses differenzierte Verständnis hat riesige Datenmengen erzeugt, die unser Gehirn gar nicht mehr erfassen kann und für die wir immer kompliziertere Computer benötigen. Mit all dem will ich sagen, dass die Kluft zwischen dem, was wir wahrnehmen, und dem, was wir messen können, immer größer wird. Die Wissenschaft kann Dinge mit und in einer Pikosekunde tun, aber Sie und ich, wir werden nie die innere Erfahrung machen, was ein Millionstel einer Millionstelsekunde ist. Wir folgen nur dem Rhythmus und Fluss der Natur: der Sonne, dem Mond und den Jahreszeiten. Deshalb brauchen wir jenen langen Zeitbogen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, um Dinge so zu sehen, wie sie sind, um das Signal vom Rauschen und das Selbst von der Wahrnehmung zu unterscheiden. Wir brauchen den Zeitpfeil, um Ursache und Wirkung zu verstehen, nicht nur in der materiellen Welt, sondern auch in unseren Absichten und Beweggründen. Was geschieht, wenn dieser Pfeil aus der Bahn gerät? Was geschieht, wenn die Zeit verkrümmt wird? Viele von uns haben heute das Gefühl, dass der Pfeil der Zeit in alle Richtungen aber zugleich auch nirgendwohin zielt. Dies liegt daran, dass die Zeit in der digitalen Welt nicht so fließt wie in der natürlichen. Wir alle wissen, dass das Internet den Raum und die Zeit verkleinert hat. Weit, weit dort drüben ist jetzt hier. Nachrichten aus Indien werden auf mein Smartphone gestremmt, egal, ob ich in New York oder New Delhi bin. Doch das ist nicht alles. Ihr letzter Job, Ihre letztjährige Reservierung im Restaurant, Ihre früheren Freunde stehen auf einer Ebene mit den aktuellen Freunde, weil das Internet auch archiviert und die Vergangenheit verzerrt. Ohne Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen hier und dort, haben wir nur noch überall diesen Moment, den Moment, den ich das "digitale Jetzt" nenne. Wie können wir aber in der Landschaft diesen digitalen Jetzt-Schwerpunkte setzen? Das digitale Jetzt ist nicht die Gegenwart, weil es immer ein paar Sekunden voraus ist mit Twitter-Streams, über die man schon spricht, und mit Nachrichten aus anderen Zeitzonen. Es ist nicht das Jetzt, in dem der Fuß plötzlich schmerzt oder die Sekunde, in der man in ein Stück Kuchen beißt, oder die drei Stunden, in denen man sich in einem spannenden Buch verliert. Dieses Jetzt hat nur wenig mit unserem körperlichen oder seelischen Zustand zu tun. Es versucht vielmehr, uns an jeder Straßenbiegung abzulenken. Jedes digitale Wahrzeichen ist eine Einladung, zu unterbrechen, was man gerade tut, und anderswo etwas anderes zu tun. Lesen Sie ein Interview mit einem Schriftsteller? Warum kaufen Sie nicht sein Buch? Twittern Sie darüber. Teilen Sie es. Finden Sie ähnliche Bücher. Finden Sie andere Leute, die diese Bücher lesen. Eine Reise kann befreiend wirken, doch wenn sie nie endet, sind wir dauernd und ohne Ruhepause im Exil. Auswählen können ist eine Freiheit, außer es gibt sie nur um ihrer selbst willen. Das Digitale ist nicht nur weit von der Gegenwart entfernt, sondern steht auch in direkter Konkurrenz zu ihr, und dies, weil nicht nur ich darin fehle, sondern auch Sie. Nicht nur wir fehlen darin, sondern auch alle andern. Und darin liegt sein grosser Nutzen, aber auch sein Schrecken. Ich kann mitten in der Nacht fremdsprachige Bücher bestellen, französische Macaronen kaufen und Videonachrichten versenden, die später gesehen werden. Ich kann jederzeit in einem anderen Rhythmus und Tempo als Sie agieren, und dabei die Illusion aufrecht erhalten, wir seinen in Echtzeit verbunden. Sandy hat uns daran erinnert, wie solche Illusionen zerschmettern können. Es gab jene mit Wasser und Strom und jene ohne. Es gab jene, die in ihr Leben zurückkehrten, und jene, die auch nach Monaten nicht nach Hause konnten. Die Technologie gibt jenen, die sie haben, die Illusion,dass alle sie haben, und wie ein ironischer Schlag ins Gesicht wird das auch wahr. Man sagt beispielsweise, dass in Indien mehr Menschen Zugang zu einem Handy als zu einer Toilette haben. Wenn dieser Graben zwischen fehlender Infrastruktur und Verbreitung von Technologie, der in vielen Teilen der Welt schon riesig ist, nicht irgendwie überwunden wird, wird es Risse geben zwischen der digitalen und der realen Welt. Wir als Individuen, die im digitalen Jetzt leben und einen grossen Teil unserer wachen Momente darin verbringen, stehen vor der Herausforderung, in diesen beiden Zeitströmen, die parallel und fast simultan fließen, zu leben. Wie lebt man aber in dieser Ablenkung? Man könnte meinen, dass die Jüngeren, die da hineingeboren wurden, sich leichter anpassen können. Das ist möglich, aber ich erinnere mich an meine Kindheit. Ich erinnere mich, wie mein Grossvater mit mir die Hauptstädte der Welt geübt hat. Buda und Pest waren durch die Donau getrennt, und Wien hatte die Spanische Reitschule. Wenn ich heute ein Kind wäre, könnte ich diese Informationen ganz leicht mit Apps und Hyperlinks bekommen, aber es wäre nicht dasselbe, denn viel später reiste ich nach Wien und besuchte die Spanische Reitschule and spürte, wie mein Grossvater bei mir war. Jeden Abend hatte er mich auf der Terrasse auf seine Schultern gehoben und mir den Jupiter, den Saturn und den Großen Bären gezeigt. Und auch da, wenn ich den Großen Bären betrachte, erinnere ich mich daran, wie ich mich als Kind an seinem Kopf festhielt, um nicht von seinen Schultern zu rutschen, und ich fühle mich wieder wie dieses Kind. Was mich mit meinem Grossvater verband, war so oft an Informationen, Wissen und Tatsachen geknüpft, dabei ging es um so viel mehr als Informationen, Wissen und Tatsachen. Wenn die Technologie die Zeit verkrümmt, stellt sie unser tiefstes Inneres in Frage, weil wir die Vergangenheit archivieren können und manches wird schwierig zu vergessen, auch wenn der gegenwärtige Augenblick immer schwerer zu behalten ist. Wir wollen festhalten, aber was wir halten können ist nur eine Reihe von statischen Augenblicken. Sie sind wie Seifenblasen, die verschwinden, wenn man sie berührt. Wenn wir alles archivieren, glauben wir, dass wir es aufbewahren können, aber Zeit ist nicht eine Datenmenge. Sie kann nicht aufbewahrt werden. Wir alle wissen genau, was es heißt, in einem Moment wirklich da zu sein. Es kann passieren, wenn man ein Instrument spielt oder in die Augen eines Menschen schaut, den man schon sehr lange kennt. In solchen Momenten ist unser Selbst vollständig. Das Selbst, das in diesem langen Erzählbogen lebt, und das Selbst, das diesen Augenblick erlebt, werden eins. Die Gegenwart umfasst die Vergangenheit und ein Versprechen für die Zukunft. Die Gegenwart verbindet sich mit dem Zeitfluss von vorher und nachher. Diese Gefühle erlebte ich zum ersten Mal mit meiner Großmutter. Ich wollte Seilspringen lernen, und sie holte ein altes Seil, raffte ihren Sari hoch und sprang darüber. Ich wollte kochen lernen, und sie ließ mich in der Küche einen ganzen Monat lang schneiden und hacken. Meine Großmutter lehrte mich, dass Dinge in der Zeit geschehen, die sie brauchen, dass man nicht gegen die Zeit kämpfen kann, und weil jeder Moment vergeht und sich bewegt, schulden wir der Gegenwart unsere ganze Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist Zeit. Ein Yogalehrer hat mir einmal gesagt, dass Liebe Aufmerksamkeit ist, und für meine Großmutter waren Liebe und Aufmerksamkeit eindeutig dasselbe. Die digitale Welt frisst die Zeit auf und deshalb würde ich sagen, dass sie die Vollständigkeit unseres Selbst bedroht. Sie bedroht den Fluss der Liebe. Aber wir müssen das nicht zulassen. Wir können etwas anderes wählen. Wir haben immer wieder gesehen, wie kreativ Technologie sein kann und in unserem Leben und unserem Tun können wir jene Lösungen, Innovationen und Momente wählen, die den Fluss der Zeit nicht zersplittern, sondern wieder herstellen. Wir können langsamer werden und uns auf das Fließen und Verebben der Zeit einstellen. Wir können uns entscheiden, uns die Zeit wieder zu nehmen. Danke. (Applaus)