Ich bin Neurowissenschaftler und habe Physik und Medizin studiert. Unsere Forschungsarbeit an der ETH in Lausanne konzentriert sich auf schwere Rückenmarksverletzungen. Jedes Jahr trifft es mehr als 50 000 Menschen weltweit. Dies hat dramatische Folgen für die Betroffenen, deren Leben zerstört wird, innerhalb von Sekunden. Ich denke, der Mann aus Stahl, Christopher Reeve, hat am meisten darauf aufmerksam gemacht, wie sehr Menschen mit Rückenmarksverletzungen leiden. Und so begann ich meine Auseinandersetzung mit diesem Thema und eine Zusammenarbeit mit der Christopher-und-Dana-Reeve-Stiftung. Diesen entscheidenden Moment vergesse ich nie. Es war am Ende eines ganz gewöhnlichen Tages in der Stiftung. Chris sprach uns an, die Wissenschaftler und Experten: "Ihr müsst pragmatischer denken! Geht morgen nach der Arbeit im Reha-Zentrum vorbei und schaut euch die Patienten an: Jeder Schritt fällt ihnen schwer, sie haben Mühe, sich aufrecht zu halten. Und überlegt auf dem Heimweg, was ihr in Zukunft an eurer Forschung verbessern könnt. Wie ihr das Leben dieser Patienten verbessern könnt." Diese Worte habe ich nie vergessen. Das ist nun schon über 10 Jahre her, aber seit diesem Tag verfolgt mein Team eine pragmatische Herangehensweise an den Genesungsprozess nach einer Rückenmarksverletzung. Mein erster Schritt war die Entwicklung eines naturgetreueren Modells zur Simulation der Hauptsymptome beim Menschen unter kontrollierten experimentellen Bedingungen. Dazu machten wir einen senkrechten Einschnitt auf jeder Seite. So wird die Kommunikation zwischen Gehirn und Rückenmark unterbrochen; dies führt zu einer vollständigen und dauerhaften Lähmung des Beins. Es wurde jedoch beobachtet, dass bei den meisten Menschen ein kleines Stück intaktes neuronales Gewebe übrig bleibt, durch das eine Genesung möglich ist. Doch wie bekommt man das hin? Nun, die klassische Herangehensweise besteht aus einem Eingriff, der das Wieder-Zusammenwachsen mit dem verletzten Strang unterstützt. Und obwohl dies sicherlich ein Weg zur Heilung ist, fand ich das extrem kompliziert. Für schnelle Ergebnisse war es offensichtlich: Ich musste die Sache ganz anders angehen. 100 Jahre Rückenmarkforschung, beginnend mit dem Nobelpreisträger Sherrington, haben gezeigt, dass das Rückenmark unterhalb der Verletzungsstelle genug Nervenverbindungen enthält, um eine Fortbewegung zu koordinieren. Aber da es keinen Input vom Gehirn mehr gibt, befinden sie sich in einer Art Ruhezustand, als wären sie eingeschlafen. Meine Idee: die Nerven wieder aufwecken! Damals war ich Post-Doc in Los Angeles, nachdem ich in Frankreich meinen Doktor gemacht hatte. Dort wird eigenständiges Denken nicht unbedingt gefördert. (Gelächter) Ich traute mich kaum, mit meinem neuen Chef zu sprechen nahm aber all meinen Mut zusammen. Ich ging zu meinem wunderbaren Betreuer, Reggie Edgerton, und erzählte ihm von meiner Idee. Er hörte mir aufmerksam zu und antwortete mit einem Grinsen: "Warum versuchen Sie es nicht?" Und ich kann Ihnen sagen, dies war ein sehr entscheidender Moment in meiner Karriere, als mir klar wurde, dass der große Mentor an junge Menschen und neue Ideen glaubte. Und das war meine Idee: Ich werde Ihnen anhand einer einfachen Metapher das komplizierte Konzept erklären: Stellen wir uns das Bewegungssystem als Auto vor: Das Rückenmark ist der Motor. Die Übertragung ist unterbrochen, der Motor abgeschaltet. Wie bringen wir den Motor wieder in Gang? Als erstes brauchen wir Treibstoff. Als zweites müssen wir das Gaspedal bedienen. Und als drittes das Auto lenken. Wie sich zeigte, gibt es Nervenbahnen, die vom Gehirn ausgehen und bei der Bewegung genau diese Funktionen übernehmen. Meine Idee: den fehlenden Input ersetzen und an das Rückenmark genau das Signal senden, das das Gehirn auch für eine Gehbewegung senden würde. So griff ich auf Forschungsergebnisse der letzten 20 Jahre in den Neurowissenschaften zurück. Zuerst musste der fehlende Treibstoff ersetzt werden: mit pharmakologischen Wirkstoffen, die die Neuronen im Rückenmark auf die Erregungsübertragung vorbereiten. Und dann musste das Gaspedal nachempfunden werden, mittels elektrischer Stimulation. Stellen Sie sich also eine Elektrode vor, die auf das Rückenmark implantiert wird, um schmerzfreie Stimuli auszusenden. Nach einigen Jahren ist es uns gelungen, eine elektrochemische Neuroprothese zu entwickeln, die das Nervensystem des Rückenmarks von einem schlafenden in einen wachen Zustand versetzt. Sofort kann die gelähmte Ratte stehen. Sobald sich das Laufband in Bewegung setzt, zeigt das Tier koordinierte Beinbewegungen, die aber nicht vom Gehirn gesteuert werden. Dies nenne ich "das intelligente Rückenmark". Es verarbeitet kognitiv sensorische Reize, die vom bewegten Bein ausgehen, und entscheidet, wie ein Muskel aktiviert wird, um zu stehen, zu gehen, zu laufen, und wie in diesem Fall aus vollem Lauf zum Stehen zu kommen, sobald das Laufband stoppt. Das war unglaublich. Ich war von dieser Bewegung vollkommen fasziniert, die nicht vom Gehirn gesteuert wurde, aber gleichzeitig war ich auch frustriert. Die Bewegung war nicht bewusst gesteuert. Das Tier hatte keinerlei Kontrolle über seine Beine. Es fehlte natürlich noch die Lenkung. Es wurde mir klar, dass wir von der klassischen Reha abrücken mussten, bei der man nur auf dem Laufband läuft und stattdessen eine Umgebung schaffen mussten, in der das Gehirn dazu angeregt wird, das Bein bewusst zu kontrollieren. Mit dieser Idee im Hinterkopf entwickelten wir ein komplett neues Robotersystem, das die Ratte von allen Seiten unterstützt. Stellen Sie sich einmal vor, wie toll das ist! Stellen Sie sich die kleine, 200 g schwere Ratte vor, die an diesen riesigen, 200 kg schweren Roboter angeschlossen ist, aber den Roboter nicht spürt. Der Roboter existiert für die Ratte nicht. Genau so, wie man ein kleines Kind an der Hand hält, während es seine ersten unsicheren Schritte macht. Ich fasse zusammen: Bei der Ratte wurde ein zur Lähmung führender Schnitt im Rückenmark vorgenommen. Die elektrochemische Neuroprothese sorgte dafür, dass das Nervensystem die Bewegung umsetzen konnte. Mit Unterstützung des Roboters konnte die Ratte die gelähmten Beine bewegen. Und als Motivation verwendeten wir die stärksten Pharmazeutika, die die Schweiz zu bieten hat: feinste Schweizer Schokolade. (Gelächter) Tatsächlich waren die ersten Ergebnisse sehr, sehr, sehr enttäuschend. Und da stand nun meine beste Physiotherapeutin und schaffte es beim besten Willen nicht, die Ratte dazu zu bringen, auch nur einen Schritt zu machen, während die gleiche Ratte fünf Minuten zuvor problemlos auf dem Laufband gelaufen war. Wir waren so frustriert. Aber wissen Sie, eine der wichtigsten Eigenschaften eines Wissenschaftlers ist die Beharrlichkeit. Wir blieben dran. Wir verbesserten unsere Methode, und nach einigen Monaten harten Trainings konnte die sonst gelähmte Ratte stehen. Wann immer sie wollte, konnte sie ihren ganzen Körper in Bewegung setzen, um zur Belohnung zu sprinten. Es war zum ersten Mal gelungen, nach einer experimentellen Verletzung des Rückenmarks mit vollständiger und dauerhafter Lähmung wieder willkürliche Beinbewegungen zu ermöglichen. Tatsächlich -- (Applaus) Danke. Tatsächlich konnte die Ratte nicht nur eine Bewegung auf festem Grund auslösen und ausführen, sondern sogar die Beinbewegungen anpassen. Zum Beispiel, um die Schwerkraft zu überwinden und so eine Treppe zu erklimmen. Ich sage Ihnen, das war ein sehr emotionaler Moment in meinem Labor. Wir haben 10 Jahre hart daran gearbeitet, dieses Ziel zu erreichen. Bleibt die Frage nach dem Wie? Ich meine, wie ist das möglich? Was wir herausgefunden haben, war vollkommen unvorhersehbar. Diese neuartige Methode führte dazu, dass das Gehirn neue Verbindungen aufbaute, neue Schaltungen, die Informationen aus dem Gehirn über die Verletzung hinweg transportieren und Kontrolle über das Bewegungsnetz unterhalb der Verletzung gewinnen. Und hier sehen Sie ein Beispiel, bei dem die vom Gehirn kommenden Fasern in Rot dargestellt sind. Die blaue Nervenzelle ist mit dem Bewegungszentrum verbunden. Und diese Konstellation synaptischer Kontakte bedeutet, dass das Gehirn wieder mit dem Bewegungszentrum verbunden ist und das über nur eine verbindende Nervenzelle. Dieses Phänomen beschränkte sich nicht nur auf die verletzte Stelle. Sondern es spielte sich im gesamten zentralen Nervensystem ab, einschließlich des Stammhirns, wo wir einen Anstieg von 300 Prozent in der Dichte der vom Gehirn aus kommenden Fasern feststellen konnten. Wir wollten nicht das Rückenmark heilen, aber was wir erreichen konnten: eine der umfassenderen Neubildungen von Projektionsfasern, die jemals beobachtet wurde, und das im Zentralen Nervensystem eines erwachsenen Säugetiers nach einer Verletzung. Hinter dieser Entdeckung steckt eine wichtige Botschaft. Es sind die Ergebnisse eines jungen Teams von sehr talentierten Menschen: Physiotherapeuten, Neurobiologen, Neurochirurgen, verschiedene Ingenieure, die zusammen das erreicht haben, was für einzelne Personen unmöglich gewesen wäre. Ein wahrlich fachübergreifendes Team! Sie arbeiten so eng miteinander, man könnte meinen, sie hätten bereits dieselbe DNA. Wir bilden die nächste Generation von Ärzten und Ingenieuren aus, die den Transfer neuer Entdeckungen vom Labor auf den Patienten beherrschen. Und ich? Ich bin nur der Dirigent, der diese wunderschöne Sinfonie dirigiert. Nun bin ich mir sicher, dass Sie sich alle fragen, ob das verletzten Menschen hilft? Ich auch, jeden Tag. Und, ehrlich gesagt, wissen wir noch nicht genug. Es handelt sich nicht um eine Heilmethode für Lähmungen, aber ich beginne zu glauben, dass diese Methode den Heilungsprozess unterstützt und das Leben der Betroffenen verbessert. Ich möchte Sie nun bitten, kurz mit mir zu träumen. Stellen Sie sich jemanden vor, der gerade eine Rückenmarksverletzung erlitten hat. Nach ein paar Wochen Genesung setzen wir eine programmierbare Pumpe ein, um einen individuellen Medikamentencocktail direkt ins Rückenmark zu injizieren. Gleichzeitig setzen wir Elektroden ein, eine Art zweiter Haut, über dem Bereich des Rückenmarks, der die Beinbewegung kontrolliert. Und diese Elektroden sind mit einem elektrischen Impulsgerät verbunden, das Impulse liefert, die genau auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt sind. Eine individuell zugeschnittene elektrochemische Neuroprothese, die Bewegungsabläufe während des Trainings mit einem neu entworfenen, unterstützenden System ermöglicht. Ich hoffe, dass sich nach mehreren Monaten Training genug neue Verbindungen gebildet haben, die Bewegungen ohne den Roboter ermöglichen, vielleicht sogar ohne Medikamente oder Impulse. Ich hoffe also, eine individuelle Behandlung zu entwickeln, bei der die Regenerierbarkeit des Gehirns und des Rückenmarks angeregt wird. Dies ist ein vollkommen neues Konzept, das auch auf andere neurologische Störungen Anwendung finden kann. Das, was ich "individuelle Neuroprothese" nenne, die Nervenschnittstellen stimuliert, habe ich im ganzen Nervensystem eingesetzt, im Gehirn, im Rückenmark, sogar in den Nerven im restlichen Körper, zugeschnitten auf die individuellen Verletzungen des Patienten. Nicht um die verlorene Funktion zu ersetzen, nein -- sondern um dem Gehirn zu helfen, sich selbst zu helfen. Ich hoffe, das regt Ihre Fantasie an, denn eins kann ich Ihnen versprechen: Die Frage ist nicht, ob diese Revolution stattfinden wird, sondern wann. Und vergessen Sie nicht, wir sind nur so gut wie unsere Fantasie und so groß wie unsere Träume. Danke! (Applaus)