36C3 Vorspannmusik
Herald: Im vergangenen Jahr sind in sehr
vielen Bundesländern diverse neue
Polizeigesetze, Polizeiaufgabengesetze
diskutiert, überlegt und teilweise auch
verabschiedet worden mit katastrophalen
Ausmaß für unsere Bürgerrechte, allerdings
jeweils unter dem Vorwand, etwas für die
innere Sicherheit dieses Staates tun zu
wollen. Wir als Hackergemeinde haben uns
von Anfang an, auf Seite der Datenschützer
dagegen engagiert. Aber nicht nur wir
haben uns dagegen engagiert, sondern ganz
viele andere Bündnisse gemeinsam auch
haben sich für die innere Freiheit des
Staates engagiert. Denn wer seine Freiheit
bereits zu opfern, um mehr Sicherheit zu
gewinnen, der wird am Ende beides
verlieren. Das Zitat stammt zwar nicht von
Benjamin Franklin, sondern ist eher
unbekannt. Und wer alles damit zu tun hat
und welche Bündnisse zusammengearbeitet
haben und wo es eigentlich hingeht, was
wir jetzt tun müssen. Das erzählen euch
Laura Pöhler und Johnny Parks.
Applaus
Laura Pöhler: Danke dir. Herzlich
willkommen zu unserem Vortrag zu den neuen
Polizeigesetzen. Mein Name ist Laura
Pöhler, ich bin Pressesprecherin vom
Bündnis gegen das bayerische
Polizeiaufgabengesetz.
Johnny Parks: Genau und mein Name ist
Johnny und ich war auch seit Beginn dabei
beim Bündnis gegen das
Polizeiaufgabengesetz und habe auch die
Aktionen der No-PAG-Jugend mit begleitet.
LP: Wir haben uns eben bei der
Organisation von der ersten
Großdemonstration gegen das bayerische
Polizeiaufgabengesetz kennengelernt damals
. Vielleicht habt ihr es mitbekommen, da
sind damals in München über 50 000 Leute
auf die Straße gegangen, was für München
echt eine Hausnummer ist. So eine große
Demo gab's da seit Jahrzehnten nicht mehr.
Und es war damals so, dass die
Datenschützer*innen Bayerns für uns auch
von Anfang an sehr wichtige
Bündnispartner*innen waren. Und das war
auch der Grund, warum wir uns entschieden
haben, dass wir heute hier mit euch
sprechen möchten, weil wir das Gefühl
haben, dass dieses Thema Polizeigesetz
oder auch erweitert, Sicherheitsgesetze
und die Verschärfung von autoritären
Sicherheitsgesetzen eigentlich ein Thema
ist das unsere Bewegungen, in denen wir
jeweils aktiv sind - bei mir ist es die
antifaschistische Bewegung, bei dir auch
die Klimagerechtigkeitsbewegung und die
Antirassismusbewegung, aber eben auch die
Bewegungen, die sich hier Treffen
verbindet, weil es für all unsere
Bewegungen gleichermaßen eine sehr große
Bedrohung darstellt. Und wir würden jetzt
ganz gerne einen kurzen Ausblick auf das
geben, was wir vorhaben, hier zu
besprechen. Der Johnny wird euch zuerst
kurz erzählen, was das bayerische
Polizeiaufgabengesetz eigentlich ist. Was
ist da passiert? Warum sind wir dagegen?
Und wie sind die Proteste dagegen
abgelaufen? Ich würde dann versuchen, das
Ganze in einen größeren gesellschaftlichen
Kontext einzubetten und mal grundsätzlich
die Frage zu stellen: Was passiert denn da
eigentlich? Und warum gibt es diese
Entwicklung hin zu immer schärferen
Sicherheitsgesetzen? Johnny wird dann
anschließend ein paar Beispiele bringen,
besonders schockierende Beispiele dafür,
was uns drohen könnte, wenn diese Gesetze
so weiter durchgebracht werden. Und
schließlich würde ich ganz gerne ein paar
Thesen in den Raum stellen dahingehend,
wie wir vielleicht weiterarbeiten müssen,
damit diese Bewegung, die ja letztes Jahr
doch sehr viel Wirbel gemacht hat, aber
dieses Jahr dann doch auch leiser geworden
ist, vielleicht wieder ein bisschen
Schwung bekommt.
JP: Genau. Ich fange mal an, wir nennen
das Ganze immer das PAG, das P-A-G. Das
ist die Abkürzung für
Polizeiaufgabengesetz. So wird in Bayern
betitelt, und zwar die Gesetze über die
Aufgaben und Befugnisse der Polizei. Das
ist eine ganz praktische Abkürzung. Genau.
Und ich fange jetzt mal chronologisch an,
und zwar im Jahr 2015. Und was wir ja alle
nicht verpasst haben, war die Debatte oder
die eskalierende Debatte eher im Zuge der
Ankunft Geflüchteter, die durch Medien und
Hetze zu einem Kontrollverlust vor allem
für die konservativen Parteien als Schaden
- so haben sie es zumindest gesehen -
geführt hat. Die CSU hat sich in Bayern
sehr schnell gefühlt, als würde sie ihre
Autorität verlieren, wollte diese wieder
herstellen. Deswegen hat Seehofer auch
angekündigt, eine politische Offensive
gegen rechts zu fahren. Und dann, im Jahr
2016, verstärkte sich diese Gefühlslage
noch. Es gab den Anschlag bei uns in
München und im Olympia-Einkaufszentrum,
dieses Attentat und auch den
Terroranschlag auf dem Berliner
Weihnachtsmarkt und dahingehend hat die
CSU in Bayern das Integrationsgesetz
eingeführt. Das war eine geschickte
Nutzung dieses Anschlages für ihre eigenen
Ziele, denn die Stimmung war auf jeden
Fall auf ihrer Seite zu dem Zeitpunkt.
Zumindest mancher politischen Richtung auf
ihrer Seite. Genau. Und das
Integrationsgesetz ist schlicht gesagt,
wie sich vermeintliche Ausländer zu
verhalten haben. Also Vorschriften. War
sozusagen ein Versuch, eine Leitkultur und
eine Integrationspflicht rechtlich
festzuschreiben. Und 2017 kam dann auf uns
die erste Novelle beim
Polizeiaufgabengesetz hinzu, nämlich dass
Gefährdergesetz. Und hier wird es schon
langsam echt gefährlich, nämlich: Vorher
brauchte es eine konkrete Gefahr, um
Rechtsmittel einzusetzen. Und nun kommt es
zu einer ausschlaggebenden Veränderung.
Nämlich reicht es jetzt nicht mehr,
konkret gefährlich zu sein, sondern auch
der vage Verdacht auf eine Gefahr reicht
nun. Und es wurde mit der drohenden Gefahr
betitelt. Also bevor ihr überhaupt was
getan habt, nur wenn es droht, dass ihr
etwas tun könntet, seid ihr gefährlich.
Das hat dieser Begriff vorgeschrieben, und
wir kennen alle das altbekannte deutsche
Bauchgefühl unserer Sicherheitskräfte. Und
da begannen auch die Juristinnen
aufzuhorchen und viel zu kritisieren.
Bedenken begannen, weil dieser Begriff
eben auch sehr vage ist. Die Polizei
dürfte auch nach diesem Gefärhdergesetz
Personen bei drohender Gefahr in eine
präventive Unendlichkeitshaft nehmen. Und
Unendlichkeitshaft nennen wir das, weil es
so gesetzlich vorgeschrieben ist, dass ihr
drei Monate in Haft gesteckt werden könnt
und dann auf richterliches Schreiben diese
Haft endlos immer wieder um drei Monate
verlängert werden kann. Außerdem gab es
noch hinzukommend von der Polizei, die es
jetzt erlaubt, Kontaktverbot,
Aufenthaltsgebote und Aufenthaltsverbote
auszusprechen. Nun und dann kam 2018 das
neue Polizeiaufgabengesetz, also die
zweite Novelle. Und ich fasse es mal -
Kann ich die Fernbedienung haben? Vielen
Dank.
LP: Andere Richtung.
JP: Genau. Andere Richtung?
LP: Andere Richtung.
JP: Ah, ok. Ich verstehe. Genau. Und zwar
kam es da zu mehr Befugnissen, mehr
Ausstattung, mehr Agieren im Tatvorfeld
und weniger Rechtsmitteln. Ausführlich
werde ich jetzt auch mal kurz einige
Punkte aufgreifen, um die Extremität so
ein bisschen merkbarer für euch zu machen.
Und zwar gab's neu eine Meldeanordnung,
also ein regelmäßiges Melden in einer
Polizeistelle, verpflichtende Vorladungen,
Identitätsfeststellungen von Personen und
die Durchsuchung ihrer Sachen,
Polizeigewahrsam immer und überall
möglich. Entscheiden darf hierbei vorerst
die Polizei und kein Richter. Ohne
richterlichen Beschluss ist es auch
möglich und auch ohne Anwesenheit der dort
lebenden Personen, die Wohnungen zu
begehen. Bild und Tonaufnahmen bei
öffentlichen Versammlungen sind ebenfalls
legal. Also Schluss mit der Anonymität der
eigenen politischen Meinung. Das ist nun
vorbei. Elektronische Überwachung des
Aufenthaltsortes, Postsicherstellung,
Einsatz verdeckter Ermittler und von
V-Personen, wovon auch Dritte betroffen
sein kann. Online-Durchsuchungen und die
Weiterverarbeitung von Daten und
Datenübermittlung. Und das sind nur einige
der Punkte. Da die Polizei meist, ja,
rassistisch handelt oder zumindest dazu
tendiert und die meisten Betroffenen PoCs
sind, das wissen wir erfahrungsgemäß, ist
es nun auch von Beginn an eine
rassistische Absicht gewesen, und deshalb
gab es Proteste. Und diese Proteste waren
wirklich eine Massenbewegung für
bayerische Verhältnisse, versteht sich. Es
kam Empörung auf, und es hat sich eine
große Bewegung aus alten und neuen Gruppen
und sogar Gruppen, die sich dazu gegründet
haben, zu der Thematik
Polizeiaufgabengesetz zusammengetan. Davon
werde ich mal ein paar aufzählen. Zum
Beispiel waren dabei der Deutsche
Hanfverband, da natürlich auch das
Interesse Gras konsumieren, da nach
weniger und nicht mehr Repression da war.
Gewerkschaften und deren Jugend, Klima-
und Umweltgruppen, kurdische
Aktivistinnen, Fußballfans,
antifaschistische Gruppen, Refugee-
Vereine, PoC-Gruppen, junge Studierende
sammelten sich im open Orbit der
Polizeiklasse zum künstlerischen
Aktivismus, Juristinnen. Der CCC war auch
dabei und weitere Datenschützer*innen,
Journalist*innen und andere Berufsverbände
und auch eine große Menge an Parteien.
Also eine breite Bewegung durch und durch.
Und die Gründe, warum sich so viele Leute
zusammengetan haben, waren natürlich
persönliche Betroffenheit oder Angst. Das
waren zwei große Faktoren. Der
Datenschutz. Kaum ein Mensch will, dass
'Team Blau' unkontrolliert durch die Daten
stöbert, außer die Sparte 'Ich habe nichts
zu verbergen'. Das ist natürlich Unsinn,
denn du weißt nie, ob du nicht vielleicht
in Zukunft etwas verbergen willst oder gar
musst. Drogen waren natürlich für junge
Leute auch nicht irrelevant und für
politisch aktive Menschen, die politische
Freiheit, weil die heißt, sicher und ohne
Angst vor Repressionen aktivistisch sein
zu können. Ups, da habe ich ein bisschen
spät gezeigt, aber hier könnt ihr auch mal
die Masse auf dem Marienplatz bei uns
sehen und was auch noch leider ein viel zu
schwacher, aber auch in Teilen vorhandener
Punkt war, war die Empathie mit denen von
strukturellem Rassismus Betroffenen, die
täglich dieser ungerechten Praxis
ausgesetzt sind. Und jetzt sind wir im
Jahr 2019. Der Protest ist eher zur Ruhe
gekommen, zumindest in Bayern. In anderen
Bundesländern läuft er oder läuft er auch
gerade erst an teilweise. Und in Bayern
hat sich eine PAG-Kommission eingefunden,
die bzw. wurde ausgerufen von der CSU. Um
die Kritik am PAG geht zu entkräftigen,
nach dem Motto: Wir gucken mal mit allem
Wissen drüber, und dann schauen wir
nochmal. Und die widmet sich allerdings
lediglich der praktischen Umsetzung. Also
es geht nicht um moralische Fragen. Und
was ganz auffällig ist, ist auch, dass
zivilgesellschaftliche Vertreter*innen
oder gar Betroffene nicht eingeladen
wurden zu dieser. Kommission oder kein
Mitentscheidungsrecht auch hatten, also
eine typisch deutsche Auffassung von
Demokratie. Und aktuell laufen auch zehn
Klagen, die sind eingereicht. Da werden
wir auf jeden Fall auch auf dem Laufenden
halten. Aber das dauert natürlich noch.
Aber auch über die Verfassungswidrigkeit
hinweg wollen wir natürlich, dass die
Änderungen zurückgenommen werden. Und
genau wie ich gerade schon erwähnt habe,
ist auch bundesweit einiges im Gange. Fast
alle anderen Länder bekamen ebenfalls neue
Polizeigesetzes in ähnlichem Stil. Nur
nicht Thüringen und Bremen. Das sind die
einzigen, wo keine in Aussicht sind, keine
geplant sind und auch keine Ankündigungen
kamen. Und noch im Gesetzgebungsprozess
sind aktuell Mecklenburg-Vorpommern,
Schleswig-Holstein, Hamburg, Saarland,
Berlin und Sachsen-Anhalt. Und was auch
neu ist: In Baden-Württemberg wurden
bereits neue Polizeigesetze eingeführt.
Allerdings gab es jetzt halt den Wunsch
von der CDU, dort nochmal neue
einzuführen. Und da gab es auch schon
konkretere Vorschläge. Ich habe mal ein
Beispiel herausgegriffen, nämlich dass es
ab Einführung dieser Gesetze anlasslose
Durchsuchungen bei Großveranstaltungen
geben soll. Also es geht auf jeden Fall
noch weiter.
LP: Genau. Jetzt ist so ein bisschen die
Frage natürlich: Wir hatten jetzt wie
gesagt, diese PAG-Kommission verfolgt,
aber diese PAG-Kommission hat durchaus,
obwohl wir die Zusammensetzung dieser
Kommission für sehr kritisch befunden
haben, hat durchaus viele Dinge am PAG
kritisiert. Und jetzt geht auch dieses
Polizeiaufgabengesetz in eine neue Runde.
Das heißt, es wird neuen Gesetzesentwurf
geben, und jetzt gehen wir mal davon aus,
da würden einige Dinge herausgestrichen
werden. Dann stellt sich natürlich die
Frage, Ist unser Ziel als Bündnis gegen
das Polizeiaufgabengesetz eigentlich, dass
wir das Polizeiaufgabengesetz abschaffen
bzw. diese Novellierung zurück nehmen? Und
wir sind eigentlich als Bündnis sehr
schnell an den Punkt gekommen, dass wir
gemerkt haben, das reicht bei weitem
nicht. Dieses Polizeiaufgaben Gesetz,
diese zweite Novellierung, gegen die wir
protestiert haben, das war eigentlich bloß
der letzte Moment. Wir hätten auch schon
viel früher protestieren können. Es ist
nämlich so, dass gegen die erste
Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes,
da waren, glaube ich, in München 35 Leute
auf der Straße, und da stehen eigentlich
die Hämmer drin. Und deswegen würde ich
jetzt ganz gerne mal versuchen, so ein
bisschen das Ganze in einen größeren
Kontext zu stellen und die politische
Brisanz von dem Ganzen so ein bisschen
verständlicher zu machen, weil ich glaube,
wir müssen uns die Frage stellen, für was
eigentlich diese Novellierung der Polizei
Gesetze, die wir derzeit erleben, Symptome
sind und was das mit Blick auf unsere
ganze Gesellschaft und unsere
Vorstellungen von Sicherheit eigentlich
bedeutet. Weil die Ausgangslage ist ja
die, dass Deutschland zumindest aus
Behördensicht und nach deren Kategorien so
sicher ist wie nie. Ich habe mal die
polizeiliche Kriminalstatistik
mitgebracht. Da kann man gut draus nehmen,
dass Deutschland, glaub ich, so sicher ist
wie seit 1992 nicht mehr. Und es ist auch
so, dass die Anzahl von Terroropfern
weltweit, aber insbesondere auch in Europa
immer weiter zurückgeht. Und jetzt ist es
aber natürlich so, dass diese
Verschärfungen der Polizeigesetze ja immer
mit Verweis auf eine vermeintliche
Terrorgefahr oder eine vermeintliche
Gefahr von Straftaten begründet wird. Und
ich glaube, die Frage, die wir uns stellen
müssen, ist: Warum eigentlich will eine
Gesellschaft, oder warum braucht eine
Gesellschaft, die immer sicherer wird,
immer schärfere Sicherheitsgesetze? Und
ich glaube, diese Ursache ist nicht leicht
zu erklären. Ich gehe hier mit zwei
Wissenschaftlern mit, die ihr vielleicht
kennt aus dem Kontext von
Polizeiforschung: Tobias Signlenstein und
Peer Stolle, die gesagt haben, dass man
das eigentlich nur anhand von
ökonomischen, sozialen und kulturellen
Transformationsprozesse, die seit den
Achtzigerjahren geschehen sind, erklären
kann. Und dass es da gesellschaftliche
Veränderungen gegeben hat, die unser
Verhältnis zum Thema Sicherheit
grundsätzlich verändert haben als
Gesellschaft. Diese
Transformationsprozesse sind einmal
struktureller Natur. Da gehören so Dinge
dazu, wie, dass wir eine Globalisierung
und eine Internationalisierung des
Arbeitsmarkts, aber auch unserer Umwelt
erlebt haben, dass wir eine
Flexibilisierung der Arbeits- und
Sozialverhältnisse erlebt haben und auch
eine Privatisierung von staatlichen
Aufgaben, also beispielsweise
Altersvorsorge und derlei Dinge. Und aber
auch ideologischer Natur. Wir haben einen
Aufschwung der neoliberalen Idee erlebt.
Wir haben erlebt, dass wir einen
Rechtsruck hatten und so weiter und sofort
und ohne jetzt da in die Tiefe zu gehen,
weil da könnte man auch schon wieder einen
ganzen Vortrag drüber halten. Aber all
diese Dinge, und das habt ihr sicher ja
auch schon im Zusammenhang mit Debatten
über den Rechtsruck gehört, die haben
letztendlich zu einer sozialen
Desintegration geführt. Die haben zu dem
geführt, was man oft als Statuspanik
bezeichnet, also der Angst, von jedem
Einzelnen, in seinem eigenen sozialen
Status abzusinken. Und das wiederum hat zu
einer, wie die Autoren sagen,
existentiellen Angst geführt, die ständig
da ist, die uns ständig begleitet. Eine
permanente Verunsicherung, die eigentlich
vollkommen losgekoppelt ist von der
eigentlichen Sicherheit, in der wir uns
befinden. Und das Ergebnis ist, dass es
hier eine Verschiebung im Diskurs gegeben
hat rund um die soziale Kontrolle. Also
die Frage, wie man eigentlich Sicherheit
in einer Gesellschaft herstellt, und zwar
die Idee, dass wir immer stärker darauf
fokussieren, wie wir uns selbst als
Personen in Sicherheit halten. Also unsere
individuelle Sicherheit steht im Fokus.
Und wir versuchen, uns immer stärker
abzugrenzen von dem, was potenziell für
unseren eigenen Status und für unsere
eigene Sicherheit gefährlich werden
könnte. Und das Ziel der ganzen sozialen
Kontrolle ist inzwischen ein neues
Sicherheitsverständnis, und nämlich die
Idee von der totalen Sicherheit des
Menschen. Und das ist natürlich
unerreichbar. Also mal ganz platt gesagt,
kann man sagen: So leben ist gefährlich.
Solange man nicht tot ist, ist man nicht
in Sicherheit. Und das hat aber natürlich
auch zur Folge, dass die gesamte soziale,
die gesamte staatliche Praxis, also die
staatliche soziale Kontrolle, sich
verschiebt. Und zwar ging's anfangs, das
habe ich versucht, jetzt hier mal
darzustellen, eher darum, konkrete soziale
Konflikte, Gefahren und meinetwegen auch
Rechtsgutverletzung zu bearbeiten. Also
sprich Irgendwas ist passiert, ganz banal
gesagt, de Polizei kommt und ermittelt:
Was ist da passiert? Also Ermittlungen bei
Verdacht auf konkrete Straftat. Und aber
dieses veränderte Sicherheitsbedürfnis hat
dazu geführt, dass wir immer stärker
Risiken antizipieren und diese regulieren
wollen. Und das wiederum führt dazu, und
ich glaube das Polizeiaufgabengesetze in
Bayern ist ein gutes Beispiel dafür, dass
wir immer mehr im Tatvorfeld, also bevor
überhaupt eine Straftat begangen wurde,
versuchen zu antizipieren: Wo könnte eine
Straftat stattfinden? Wo ist Risiko für
uns? Und natürlich ist ein Risiko nichts
anderes,also was das Risiko? Ja, Risiko
ist eine statistische Wahrscheinlichkeit.
Das ist nichts, was man irgendwie anfassen
kann. Du musst, um ein Risiko zu
ermitteln, in irgendeiner Form die Welt
einordnen in: Das könnte gefährlich
werden, und es könnte nicht gefährlich
werden. Und dass ist nicht nur eine
zeitliche Verschiebung, sondern das ist
der Meinung nach von Singlenstein und
Stolle eine gänzlich andere Betrachtung
und Konstruktion von Bedrohung. Und
natürlich ist diese Einordnung der Welt in
potenziell gefährlich und potenziell nicht
gefährlich, die passiert ja nicht im
luftleeren Raum, die wird von Menschen
gemacht oder eben von Algorithmen. Und
darüber brauche ich euch nichts erzählen,
weil darüber wisst ihr wahrscheinlich sehr
viel mehr als ich. Aber natürlich spielt
bei dieser Einordnung der Welt in Risiken
und Nicht-Risiken spielen die Vorurteile
der Rassismus, die Diskriminierung, die
wir als Gesellschaft haben, spielen eine
Rolle, und die transportieren wir da
hinein. Und ich glaube dazu kommt, dass
wir so eine ganz fatale Verknüpfung von
drei Neuerungen haben. Und zwar gibt es
einmal eben diese strukturelle Entgrenzung
von - im engeren - Polizeiarbeit, aber
staatlicher Kontrolle im Allgemeinen. Also
eben neue Sicherheitsgesetze. Die dürfen
plötzlich im Tatvorfeld ermitteln. Die
haben plötzlich viel mehr Mittel an der
Hand. Dann gibt es gleichzeitig auch einen
Machtausbau. Und der besteht nicht nur,
jetzt beispielsweise wie ich glaube in NRW
war es, dass die Polizei plötzlich in der
Lage ist, Taser einzusetzen gegen
potenzielle Gefährder*innen. Sondern auch
darin, dass wir eine immer stärkere
staatliche Kontrolldichte haben. Das
heißt, in den letzten Jahrzehnten hat sich
das sehr stark verändert in unserer
Gesellschaft. Was wir eigentlich der
Polizei, was wir eigentlich als Aufgabe
der Polizei sehen oder von staatlicher
Kontrolle, beispielsweise Alkoholismus im
öffentlichen Raum ist viel stärker ein
Objekt von staatlicher Kontrolle geworden.
Oder auch beispielsweise das
Konfrontiertwerden mit Armut im
öffentlichen Raum wird immer stärker von
Sicherheitsbehörden und polizeilichen
Behörden reguliert. Und dazu kommt auch
noch und auch da wieder seid ihr
wahrscheinlich versierter, als ich es bin,
dass wir natürlich einfach eine technische
Möglichkeit haben der Überwachung, die es
früher so nicht gegeben hat. Und natürlich
hat diese Risikologik zur Folge: Wenn du
alle Risiken finden möchtest, wenn du in
absoluter Sicherheit leben möchtest, dann
führt es dazu, dass du immer wieder neue
Risiken entdecken musst. Und diese
Entdeckung von Risiken, die führt
natürlich dazu, dass immer neue Risiken
produziert werden müssen. Und die kannst
du am besten entdecken, wenn du einen
möglichst großen Datensatz hast, den du
auswerten kannst. Und das hat dann
natürlich zur Folge, dass es einfach einen
schier unstillbaren Wissensdurst gibt
dieser staatlichen Kontrollinstitutionen.
Und dann, im schlimmsten Fall endet das
Ganze in anlassloser Überwachung mit
relativ vagen Eingriffsvoraussetzungen wie
eben sowas wie die drohende Gefahr, wo
keiner so recht weiß, was da eigentlich
die Kriterien dafür sind. Und ich glaube,
all diese Maßnahmen, die können, das muss
man immer wieder betonen, gegen Menschen
verhängt werden, die noch nicht
straffällig geworden sind, sondern gegen
Menschen, die denen von Staat und Polizei
zugetraut wird, dass sie in Zukunft
straffällig werden könnten, und zwar
aufgrund beispielsweise ihrer politischen
Annahmen, ihrer Absichten, ihrer
Gesinnungen, ihres Aufenthaltsortes, ihrer
Verhaltensweisen, ihrer Hautfarbe, ihrer
Religion. Wie willkürlich das ist, das
wird der Johnny gleich noch an ein paar
Beispielen zeigen. Aber ich glaube, wir
haben es hier mit einem Ausbau von einem
Überwachungspotential zu tun, das
demokratisch irgendwann nicht mehr
regulierbar sein wird. Und es war vor
kurzem im neuen Deutschland von Ralf
Gössner ein Artikel, der ich finde das
ganz gut auf den Punkt gebracht hat. Da
ging es auch. Es war ein Jahresrückblick
über die Polizeigesetze, den man auch
sehr empfehlen kann. Und zwar schreibt er:
"mit der präventiven Vorverlagerung von
Polizeiaufgaben und geheimen Befugnissen
weit ins Vorfeld eines Verdachts oder
einer möglichen Gefahr verkehren sich die
Beziehungen zwischen Bürger und Staat. Die
Unschuldsvermutung, eine der wichtigsten
rechtsstaatlichen Errungenschaften,
verliert ihre Staatsmacht begrenzende
Funktion. Der Mensch mutiert zum
potenziellen Sicherheitsrisiko, der
letztlich unter Umkehr der Beweislast
seine Harmlosigkeit und Unschuld
nachweisen muss."
JP: So, ich komme jetzt mal zu ein paar
praktischen Beispielen und ich komme
gleich mal zum ersten, nämlich Razzien.
Ihr seht hier eine ganz schöne Masse, das
sind 101 Razzien. Die haben in
Geflüchtetenheimen stattgefunden, in
Bayern im Jahr 2018. Dabei gab es fast
10.000 Identitätsfeststellungen, also eine
ganz schöne Masse. Und diese sind möglich,
und da komme ich später dann nochmal drauf
bzw. in Kürze durch das
Integrationsgesetz. Und ich werde jetzt
mal erläutern, wie sie sich auswirken,
also wie es praktisch abläuft. Und zwar
wird, wenn die Polizei dort ankommt, jeder
Raum durchsucht, also die gehen in jeden
Raum. Und die offizielle Aussage des
Innenministeriums, wie sie es versuchen,
rechtlich zu fundieren, ist dass es keine
Durchsuchung, sondern eine Betretung ist.
Dem widersprechen allerdings jegliche
Expertinnen, denn es werden Möbel
geöffnet, es wird unter Matratzen
geschaut, also es wird ganz klar
durchsucht. Zumindest ist so das
Begriffsverständnis bei den meisten
vermutlich. Und das Innenministerium hat
dazu offiziell gesagt, was eine Betretung
ist, nämlich auf Anfrage des RBB sagten
sie "Schließt die Befugnis ein, von
Personen, Sachen und Zuständen Kenntnis zu
nehmen, die ohne jeglichen Aufwand
wahrgenommen werden." Also, super
unkonkret. Was ist jetzt der Aufwand? Ist
es ein Aufwand unter die Matratze zu
schauen und in jedes Möbel? Ja, na ja. Auf
jeden Fall finden diese Razzien häufig um
fünf oder sechs Uhr morgens in der Früh
statt. Ob Familien in der Unterkunft sind
oder nicht, ist ziemlich egal. Stellt euch
mal vor, wie Ihr das euren Kindern
erklären müssen, warum jetzt dort der Mann
mit der Maschinenpistole in das Zimmer
kommt, um fünf Uhr morgens, und alle
weckt, und alle müssen aufstehen und ihre
Papiere zeigen. Also was für ein Leiden
unter Angst das eventuell sein könnte, das
können wir uns mal vorstellen. Und denkt
auch nicht das sind zehn Dorfpolizisten.
Nee, das bei solchen Einsätzen sind das
bis zu mehreren hundert Polizisten, die
dort kommen. Und das ist auch die
Bereitschaftspolizei, und das USK werden
dadurch durchaus auch eingesetzt. Es sind
auch teilweise wie gerade gesagt, mit
Maschinengewehren bewaffnet, und jetzt
stellt euch einen Erwachsenen, der eine
lange Flucht hinter sich hatte und Ankunft
in einem vermeintlich friedlichen Land und
dann solch einer Situation ausgesetzt
wird. Was denkt ihr, wie es ihm ergeht?
Also ich für meinen Teil kann mir denken,
dass es ziemlich scheiße ist. Und. Also,
was schade ist, ich bin natürlich der
falsche Mensch. Ich kann das nicht genau
analysieren, aber es wäre mal spannend,
diese Menschen zu fragen. Und das ist ja
auch eine Frage, warum sie es uns nicht
erzählen können. Und bei sowas entstehen
auch ganz wirre Anzeigen, nämlich z.B. gab
es einmal eine Anzeige wegen
Fremdschlafen. Was war dieses
Fremdschlafen? Eine Großmutter hat bei
ihren Enkelkindern übernachtet, obwohl sie
nicht in dieser Unterkunft ist. Deswegen
wurde sie angezeigt. Fremdschlafen heißt
das Ganze. Die Anzeige wurde dann
fallengelassen, aber so wird versucht,
eine Straftat zu kreieren. und
ausgewertet, das wurde ebenfalls
nachgefragt vom RBB, werden die Aktionen
auch nicht. Also es gibt keine
Nachbesprechung in dem Sinne. Und der
Artikel, der das möglich macht, den werde
ich hier mal zeigen. Und zwar ist es der
Artikel 23 Abs. 3 Z. 3 des
Integrationsgesetzes: "und Wohnungen
dürfen jedoch zur Abwehr dringender
Gefahren jederzeit betreten werden, wenn
sie als Unterkunft oder dem sonstigen,
auch vorübergehenden Aufenthalt von
Asylbewerbern und unerlaubt Aufhältigen
dient." Also, Asylbewerber haben sozusagen
kein Recht mehr auf ihre eigene Wohnung.
Oder irgendwie, dass da geklopft wird und
höflich kommuniziert wird. Nein, die
können jederzeit eine Durchsuchung
abbekommen. Und laut dem Bayerischen
Verfassungsgerichtshof, der hat vor kurzem
entschieden, ist das nicht
verfassungswidrig. Der Protest dagegen ist
von hier auf aufgewachsenen
Menschen, also in Deutschland
aufgewachsenen Menschen eher überschaubar.
Allerdings haben zum Beispiel, also
einiges, was ich jetzt da dargestellt
habe, zum Beispiel in Donauwörth passiert.
Und dort haben viele Geflüchtete dann
friedlich nach einer Razzia protestiert,
um auf das Thema aufmerksam zu machen. Bei
dieser Razzia gab es zwei verschiedene
Versionen, nämlich einmal die Version von
Team Blau, dass die Geflüchteten aggressiv
vorgegangen wären und die zivilen Zeugen
sagen, es gab keine Eskalation vonseiten
der Geflüchteten, sondern es brach der
Feueralarm aus. Und alle haben nun mal,
was bei einem Feueralarm nun mal so ist,
sind natürlich raus gerannt, hatten
natürlich Panik und sind dann halt zu den
Fluchtorten gegangen. Zehn Stunden später
kam die Polizei mit einem höheren
Aufgebot, nämlich mit 200 Polizeibeamten,
weil sie immer noch nach jemandem gesucht
haben, den sie abschieben wollten, und
waren bewaffnet mit Pfefferspray,
Tränengas und Schusswaffen. Auch in dieser
Unterkunft: Familien. Und daraufhin
machten die Geflüchteten alles Mögliche
eine Pressekonferenz, versuchten Gespräche
zu bekommen, und der Innenminister kam
dann auch, redete allerdings nicht mit den
Geflüchteten, sondern nur mit der
Security. Und daraufhin wurde dann die
Security in dieser Asylunterkunft
verstärkt. Auch eine Auffassung von
Demokratie. Sowas pisst mich zumindest
total an. Und ein anderes Beispiel, in
Schweinfurt: Hier kam es auch wieder laut
Polizei zu Unruhen. Und naja also, was
heißt Unruhen? Ich wäre auch nicht so
ruhig, wenn ein riesen Polizeikommando
irgendwie rein stürmt, um fünf Uhr morgens
und dann meine Nachbarschaft abschiebt.
Und da kam es dann zum ersten Mal zu
dieser Präventivgewahrsam. Und zwar wurden
10 bis 11 Personen, ich konnte nicht
herausfinden, ob 10 oder 11, das ist
einfach, weiß niemand oder konnte ich
zumindest nicht finden, wurden hinter
Gitter gebracht für drei Wochen. Und das
ohne Anwalt. Also die haben keinen Anwalt
bekommen, weil das ist laut dem
Polizeiaufgabengesetz möglich. Wenn eine
drohende Gefahr herrscht, dann müssen Sie
nicht unbedingt mehr ein Recht auf Anwalt
haben. Und sowas passiert dann auch
ausgerechnet auch noch Geflüchteten, die
wahrscheinlich nicht die besten Kenntnisse
über deutsche Gesetze haben. Woher auch?
Und da fragt man sich dann schon manchmal:
Was ist das für ein Rechtsstaat, der sich
so betitelt? Es trifft auch mit dieser
präventiven Haft andere. Nämlich gab es
nach den Einführungen der neuen
Polizeigesetze in NRW die erste in
Gewahrsamnahme. Und das waren
Umweltaktivist*innen. Sie haben einen
Bagger blockiert im Tagebau und haben dann
eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch
bekommen. Die Identität konnte nicht
festgestellt werden und saßen darauf fünf
Tage in Haft. Und das ist natürlich gegen
Aktivismus eine klare
Abschreckungsmaßnahme. Also vielleicht
scheitert die Klimagerechtigkeit auch
durch die neuen Polizeigesetze, wer weiß.
Und was daraus zu lernen ist, dass die
Verschärfungen sich ganz klar auch gegen
politische Aktivist*innen richten. Und
auch dienen dazu, deren Zahlen zu mindern,
sowie auch einen ziemlich bedrohlichen und
nutzbaren Spielraum als Machtinstrument
für Team Blau zu machen. Also inzwischen,
wenn Aktivist*innen, gehen ja meist zu
einem Anwalt und lassen sich beraten. Und
inzwischen kann der Anwalt nicht mehr so
konkret sagen: "das und das kann
passieren" und "das kann auch nicht
passieren". Nein, inzwischen ist es
tatsächlich deutlich vager, was passieren
kann. Werden sie die neuen Polizeigesetze
einsetzen oder nicht? Jetzt komme ich noch
zu einem näheren Beispiel, nämlich
Leipzig. Ihr werdet ja alle irgendwie
heimkommen. Und da gibt's eine
Waffenverbotszone, die seht ihr hier. Was
ist eine Waffenverbotszone? Dort dürfen
auch ohne Verdacht Passant*innen und
Anwohnende kontrolliert werden. Das können
die Polizeidirektionen selber bestimmen.
Ihr könnt hier mal sehen, wo das ist. Und
dann habe ich mal auf der Website
nachgeschaut, und hier klärt die Polizei
auf, was ihr nicht in der
Waffenverbotszone dabeihaben dürft. Also
Messer aller Art, Tierabwehrsprays,
Handschuhe mit harten Füllungen. Da wird
es, glaube ich, schon knifflig. Also ich
könnte mir vorstellen, mal welche dabei zu
haben. Und dann steht da doch tatsächlich
"und andere Dinge". Also, passt auf, wenn
ihr jetzt heimfahrt, dass ihr keine
anderen Dinge dabei habt. Also das ist die
Willkür, die hier ungefähr stattfindet.
Ich hoffe, das ist ein passendes Beispiel.
Und ja, jetzt kommt's...
LP: Genau
JP: ...zu dir.
LP: Genau, die Frage ist natürlich jetzt
so ein bisschen. Ich meine, erstens was
man vielleicht nochmal betonen sollte.
Nach solchen Vorträgen gehen dann immer
alle nach Hause und denken sich: die
Bayern, da geht es wieder rund. Aber
tatsächlich ist es so, dass das bayerische
Polizeiaufgabengesetz schon durchaus auch
eingeführt wurde, um die Blaupause zu sein
für die anderen Polizeigesetze in
Deutschland. Und es wurde auch von Horst
Seehofer auf der Innenministerkonferenz
ein Musterpolizeigesetz diskutiert,
letztes Jahr noch. Dieses Jahr ist es ein
bisschen stiller darum geworden. Aber da
war tatsächlich auch die Idee, das
Musterpolizeigesetz am Beispiel des
bayerischen Polizeiaufgabengesetzes zu
stricken. Und das würde dann natürlich für
ganz Deutschland gelten. Für uns ist
natürlich die große Frage: Wie geht es
jetzt weiter? Wir haben jetzt eben diese
PAG-Kommission hinter uns gehabt. Es wird
jetzt eine Novellierung von dem
Polizeiaufgabengesetz geben. Ich gehe
davon aus, dass ein paar kosmetische
Korrekturen vorgenommen werden an diesem
Gesetz, aber beispielsweise diese
Kategorie der drohenden Gefahr, dieses
ganz vage, wo jeder eigentlich in den
Fokus geraten kann, das wird aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht rausgenommen
werden. Gleichzeitig laufen die Klagen.
Also es ist viel los. Gleichzeitig,
vielleicht habt ihr es auch so ein
bisschen mitbekommen. Ich hatte persönlich
das Gefühl, nachdem 2018 sehr viel
diskutiert wurde über die Polizeigesetze,
ist dieses Jahr eigentlich ruhiger
geworden, und wir sehen aber auch, dass es
ja nicht nur diese Polizeigesetze gibt.
Also hier wurde ja auch viel diskutiert
über dieses kürzlich vorgestellte Gesetz
gegen Hasskriminalität und viele Dinge,
die da vorgeschlagen wurden, die
entsprechen dem ja in gewisser Art und
Weise. Und das ist ja auch nicht so, als
ob es nicht vorher schon Gesetze gegeben
hätte, die fragwürdige Eingriffsrechte
seitens des Staates irgendwie einräumen.
Und deswegen glaube ich, dass wir an
diesem Thema dranbleiben müssen, weil
tatsächlich könnte das all unsere
politischen Bewegungen massiv behindern
und sehr demokratiegefährdend sein. Und
ich habe jetzt zum Abschluss einfach mal
vier Thesen gefertigt, anhand deren wir
auch gerne dann diskutieren können, was es
jetzt bräuchte. Meine erste These ist: Wir
brauchen ein sofortiges Moratorium für
jegliche Novellierung unserer
Sicherheitsgesetze. Ich glaube, wir sind
als Gesellschaft im Moment nicht dazu in
der Lage, uns einen Überblick darüber zu
verschaffen, in welcher Situation wir
gerade eigentlich sind. Und ich glaube,
das Erste, was es bräuchte, ist, dass wir
uns wieder dessen bewusst werden, was wir
eigentlich gerade für Gesetze am Start
haben, was da entwickelt wird und dass
wir, uns, eine Re-Priorisierung vornehmen.
Und jetzt ist meistens dann das erste
Argument, das kommt: "Man, Laura, du als
Antifaschistin, du willst aber doch auch,
dass die Polizei die Rechtsextremen
verfolgt so. Dafür brauchen die doch,
dafür brauchen die doch Mittel. Und dafür
brauchen die doch, dafür brauchen die doch
Kapazitäten. Ich würde jetzt einfach mal
behaupten: Wenn der Staat aufhören würde,
Kifferinnen, Hackerinnen,
Schwarzfahrerinnen, Geflüchtete,
Antifaschistinnen zu drangsalieren, dann
könnte man überlegen, ob da wieder
Kapazitäten frei werden für den Kampf
gegen Rechts.
Applaus
Meine zweite These wäre, dass die
Einforderung einer
Überwachungsgesamtrechnung das wichtigste
politische Projekt ist, das unser aller
politische Bewegungen derzeit vereint. Ich
glaube, dass wir dringend uns darüber
bewusst werden müssen, in irgendeiner
Form, und Informationen darüber erlangen
müssen, wie sehr wir eigentlich überwacht
werden und was das, was mit unseren Daten
geschieht. Und aus unserer Erfahrung war
das durchaus auch, also diese Angst, vor
der Überwachung der eigenen Daten, war
durchaus auch ein Grund, warum so viele
bürgerliche Kräfte mit uns auf die Straße
gegangen sind, 2018. Und wir glauben, dass
eine Überwachungsgesamtrechnung durchaus
auch bürgerliche Kräfte politisieren
könnte und sensibilisieren könnte, für uns
gegen autoritäre Sicherheitspolitik
einzustehen. Meine dritte These wäre, das
Antirassismus-Training eigentlich
verpflichtend werden sollte für uns alle.
Es ist so ein bisschen angeklungen, aber
wir in Bayern nehmen das ganz stark so
wahr, dass es sich bei diesen Gesetzen in
erster Linie um extrem rassistische
Gesetze handelt. In 80% der Fälle treffen
diese Maßnahmen geflüchtete Menschen,
Menschen mit Migrationshintergrund. Es
sind ganz, ganz oft Kategorien, die in
irgendeiner Form mit diesen Menschen
zusammenhängen, die sie dann zu
Gefährder*innen machen. Und wir glauben,
dass wir alle dafür einen besseren Blick
brauchen. Und natürlich, abgesehen davon,
dass es einfach die Menschlichkeit
gebietet, dass wir uns mit diesen Menschen
solidarisieren. Glauben wir, dass man da
auch sehen kann, was möglicherweise uns
allen irgendwann droht? Und deswegen
sollten wir uns alle mehr mit Rassismus
und auch Antirassismus auseinandersetzen.
Und der letzte Punkt wäre,
dass es nicht nur
in Sachen Klimawandel sogenannte Tipping-
Points gibt, also Kipppunkte, Punkte, an
denen Dinge irreversibel sind, an denen
Entwicklungen sich so beschleunigen, dass
sie nicht mehr zurückzunehmen sind.
Unserer Meinung nach sind die
Verschärfungen der Sicherheitsgesetze, die
derzeit vonstattengehen, so drastisch,
dass wir Jahrzehnte brauchen werden, um
sie zurückzubauen. Und wir befürchten,
dass wir irgendwann an einen Punkt kommen,
wo wir nicht dazu in der Lage sein werden,
das zu tun. Und natürlich, das ist eine
Sache, die Kattascha auch immer mal wieder
betont, natürlich muss man sich auch
vorstellen, was mit diesen Gesetzen
eigentlich geschieht, wenn dann doch
wirklich mal die Faschisten im Parlament
sitzen oder in der Regierung sitzen. Und
deswegen glauben wir, nicht nur, weil es
auch gut ist, eine produktive Panik zu
schüren. Wir glauben, dass wir nicht nur
eine enkeltaugliche Klimapolitik brauchen,
sondern wir brauchen auch eine
enkeltaugliche Innenpolitik, eine
Innenpolitik, wo unsere Enkel nicht
jahrzehntelang versuchen müssen, das
zurückzubauen, was wir ihnen an Rechten
genommen haben. Vielen Dank, euch!
Applaus
Herald: Vielen, vielen Dank für diesen
unglaublich tollen Deep Dive in die
Geschichte der PAGs und was wir jetzt tun
müssen. Wir haben noch relativ viel Zeit
für Fragen. Bitte stellt euch an die
Mikrofone hier im Saal und seid bereit,
diese zu stellen. Und zuallererst gibt es
jemanden aus dem Internet, der eine Frage
hat. Ja, bitte lieber Signal-Angel?
Signal-Engel: Genau, ich habe drei Fragen
aus dem Internet, die eine wäre..
Herald: Fangen wir mit einer an.
Signal: Genau, ich fang mit der ersten an:
Ob es Empfehlungen gibt, was man dagegen
tun könnte, dass es noch weiter verschärft
wird?
JP: Demonstrieren. Sich selber
organisieren. Sich und seinen
Freundeskreis organisieren, die Themen
ansprechen, sich dazu informieren, diese
Informationen in die Welt zu tragen. Ja,
Proteste, Protest dagegen.
LP: Also ich glaube auch, massiver
öffentlicher Protest hat natürlich schon
etwas genützt. Ich würde sagen, über
dieses Polizeiaufgabengesetz ist die CSU
in Bayern gestolpert. Das war ein
Riesendesaster für die, dass so viele
Menschen auf die Straße gegangen sind. Und
es war ja nicht die einzige Demonstration
dagegen. Auf jeden Fall.
Herald: Vielleicht darf ich noch ergänzen,
mit Politikern reden. Das sind auch
Menschen. Wenn man an sie rankommt, sollte
man mit ihnen reden. Mikrofon Nummer 3
bitte.
Mikrofon 3: Ja moin. Vielleicht habt ihr
den Talk gesehen zu den Protesten in
Hongkong. Und ja, schade. Wenn nicht,
guckt ihn auf jeden Fall nach, weil er ist
wirklich sehr interessant. Da ging es
darum, um diese five demands, die halt in
Hongkong immer wieder auftauchen und auch
bei anderen Protestkulturen übernommen
worden sind. Und ich finde es sehr
interessant, was man eigentlich auch in
Deutschland etablieren sollte. Und zwar
tauchen zwei zentrale Forderungen in
Hongkong auf. Das eine ist eine
unabhängige Stelle, die Polizeigewalt
aufklärt. Das fordern wir eigentlich auch
schon in Deutschland seit Jahren. Das
zweite finde ich aber auch umso wichtiger
ist, da geht es speziell darum dass
Proteste nicht mehr als Riots deklariert
werden. Das ist nun mal ne rechtliche
Lage. Aber hier ist es eigentlich ähnlich,
dass die Sprache ja auch eine andere
geworden ist. Bestes Beispiel Dudde
während G20, der dann während Interviews
nach G20 immer wieder gesagt hat, jaja,
die Randalierer, die Randalierer, aber
eigentlich Proteste meinte, um gar nicht
halt direkt nur von Protesten reden
Herald: Magst du zur Frage kommen?
M3: Genau, was ich halt fragen möchte ist:
Habt ihr mal überlegt, solche
Protestkultur nicht anzueignen, sondern
mit zu übernehmen, weil es ja Open Source
ist, sich da zu connecten und das breiter
als sich nur auf die Polizei zu
konzentrieren? Also dass es breit
gesellschaftlicher ist?
LP: Also grundsätzlich ja. Ich glaube, man
muss da ganz ehrlich sein. Wir sind jetzt
gerade in diesen Bewegungen gegen die
Polizeigesetze in Deutschland an einem
Punkt, wo wir schon ziemlich am strugglen
sind so ne innerdeutsche Vernetzung gut
hinzukriegen. Und das hat auch was mit den
Ressourcen zu tun, von denen... ihr wisst,
wie das ist in diesen Bewegungen. Oft
sinds halt dann irgendwie zehn Leute, die
da hocken und irgendwie die
Großdemonstration organisieren. Und so ist
das in Deutschland auch. Und da strugglen
wir schon sehr. Aber tatsächlich ist es
schon so, dass wir versuchen, auch so'n
Blick auf insbesondere Europa, aber auch
auf Sicherheit, Thematiken in der ganzen
Welt irgendwie zu behalten und das auch
irgendwie zu sammeln und zu kommentieren
online. Aber danke für den Hinweis. Ich
bin mir sicher, dass wir das gerne nochmal
angucken und dass wir da viel rausziehen
können.
Herald: Danke für die Antwort. Mikrofon 2,
bitte.
Mikrofon 2: Vielen Dank für den Talk auf
jeden Fall! Ein Aspekt, der mich
interessieren würde, ist, ihr hattet das
am Anfang ja in der Präsentation auch
drin, dass die Statistik durchaus
rückläufig ist in den letzten Jahren, was
die Kriminalität de facto angeht. Der
Aspekt, der mich interessieren würde, ist
bei solchen Gesetzen: Kommt das
tatsächlich aus den Polizeieinheiten
heraus, solche Forderungen, oder kommt das
primär aus der Politik? Habt ihr da
irgendwelche Erkenntnisse?
JP: Ja, die Forderungen kommen eher von
der Politik. Es gibt solche und solche
Polizisten, aber die Politik ist am
längeren Hebel, und es gibt sowohl
Polizisten, die dagegen sind. Es gibt
allerdings auch Befürworter. Allerdings
muss man da ja auch sagen: die Polizisten
selber empfangen ja auch von der Politik
und hören ja auch der Politik sehr zu und
sind schon eher positiv zugeneigt, würde
ich jetzt mal behaupten. Und deswegen
vielleicht haben sie da auch ein Gefühl,
dass Sie das unterstützen wollen und einen
Vorteil für sich herausziehen.
LP: Meiner Wahrnehmung nach hängt das
wirklich ganz, ganz stark von Standort zu
Standort auch ab. Ich weiß, dass es Städte
gibt, beispielsweise, da gibts irgendwie
Polizeipräsidien, die wahnsinnig scharf
sind auf diese Pre Cops Geschichten, das
sind diese... setz ich mich jetzt
wahrscheinlich hier in die Nesseln. Aber
das sind so Computerprogramme, wo man
irgendwie, wo man irgendwie, also wo man
quasi mit den Datensätzen, die man hat,
versucht auszuwerten, wer Gefährder ist
und wer nicht. Also wo gefährliche Orte in
der Stadt sind und so weiter und so fort.
Ihr wisst sicher, wovon ich rede. Aber da
stehen manche total drauf, so, aber das
sind manchmal auch Bestrebungen von
Einzelpersonen und die andere Sache ist
natürlich auch wieder: das hängt irgendwie
auch von Polizeikultur ab. Ich glaube,
Polizeikultur und diese ganze Dynamik
innerhalb der Polizei, das ist nochmal ein
ganz anderes Themenfeld. Was damit
irgendwie vielleicht auch viel zu tun hat.
Auch diese Frage nach Polizeigewalt und
so. Aber irgendwie, genau. Wir haben ja
jetzt versucht, uns auch eher so ein
bisschen auf das Strukturelle zu
konzentrieren heute. Da könnte man auch
noch mal ein Abend mit machen.
Herald: Vielen Dank. Wir haben noch mehr
Fragen aus dem Internet. Lieber Signal-
Angel, die nächste Frage, bitte.
Signal Angel: Genau. Gibt es denn
realistische Hoffnungen, dass die PAGs in
absehbarer Zeit wieder entschärft werden
kann? Und was für Organisationen könnte
man da in dem Kampf am besten
unterstützen? Ob jetzt durch selber
einbringen oder durch Spenden?
JP: Also, es gibt in so gut wie jedem
Bundesland eben die Bündnisse gegen die
Polizeigesetze. Da tragen sich alle
Organisationen zusammen, die eben dagegen
sind. Und genau da kann man sich die
Organisationen auch mal anschauen und auch
schauen, welche Organisation einem taugt.
Genau, das wäre zum Beispiel ein
Anlaufpunkt.
LP: Ich würde auch sagen, also tatsächlich
egal, wo man sich beheimatet fühlt,
politisch, im linken Spektrum, wird man
Organisationen finden, die sich da in
irgendeiner Form engagieren. Es gibt
natürlich anders die Polizei, die speziell
dazu arbeiten. Und ansonsten gibt es die
Bündnisse selbst, die auch Spenden
annehmen und gottfroh sind drüber.
Ansonsten wäre auch noch eine Möglichkeit,
sich anzugucken, wer eigentlich die ganzen
Klagen gegen diese Gesetze führt. Das ist
auch ein wichtiger politischer Kampf, und
auch da wird immer wieder Unterstützung
und Geld gebraucht.
Herald: Vielen, vielen Dank. Dann würde
ich sagen, nehmen wir doch mal eine Frage
von Mikrofon Nr. 4.
M4: Ja, servus. Es ist ja gerade in Mode,
dass viele staatliche Aufgaben auch an
private Firmendienste ausgelagert werden.
Es gibt Kommunen, die zum Beispiel einen
Ordnungsdienst an irgendwie Sicherheits...
an $-Sicherheitsfirma haben. Habt ihr das
auch auf dem Schirm? Inwieweit man damit
auch Gesetze umgehen kann, die anders
ausfallen, als man das gerne hätte?
LP: Also du meinst jetzt die
Privatisierung von Sicherheit?
M4: Richtig.
LP: Ja. Ja, also ich kenne mich da nicht
so gut aus, muss ich gestehen. Aber
grundsätzlich ist das ein Riesenthema, das
immer mehr Sicherheit privatisiert wird,
beispielsweise von Kommunen und dass da
eigentlich, naja, also dann man diese
Sicherheitsdienste dann zum Teil gar nicht
mehr im Griff hat. Mehr kann ich dazu,
ehrlich gesagt, jetzt auch nicht sagen.
JP: Also die Geflüchteten, die ich eben
erwähnt hatte aus Donauwörth, in dem
Bericht haben, die auch von viel Gewalt
vonseiten der Sicherheitskräfte erzählt
und das Problem ist natürlich ja auch
immer wieder dieses "Aussage gegen
Aussage". Und ich kann wirklich
bestätigen, dass viele Securitys oftmals
gewalttätig, eindeutig über eine Grenze
gehen und eindeutig zu früh gewalttätig
werden. Und das super schwierig. Aber
"Aussage gegen Aussage". Und eigentlich
haben sie ja weniger Rechte, also deutlich
weniger Rechte als die Polizei.
Herald: Vielen, vielen Dank. Kommen wir zu
Mikrofon Nr. 1.
M1: Ich erinnere mich an das bayerische
Psychiatriegesetz, was ja auch recht
außergewöhnlich war in manchen
Forderungen. Da kam es aber relativ
schnell zu einer Entschärfung. Warum war
es jetzt da der Fall und nicht beim
Polizeigesetz?
JP: Huh, wir hatten damals eine lange
Debatte im Bündnis, glaube ich, wegen
diesem Psychisch-Kranken-Hilfsgesetz, was
du eben angesprochen hast. Und ja, das
ist, glaube ich, auch so dermaßen
bescheuert gewesen, dass sie es schnell
gemerkt haben. Und ich glaube, auch viele
Psycholog*innen und Menschen, die in
psychiatrischen, also psychiatrischen
Einrichtungen gearbeitet haben, haben halt
auch einfach gesagt "Es geht nicht". Ihr
könnt nicht Leute, die eine Depression
haben, ins Gefängnis sperren und solche
Dinge. Also da war halt wirklich viel
Schmarrn dabei, glaube ich. Genau. Aber es
war halt auch nicht so. Also dieses PAG
ist ja auch der Stolz der CSU, so ein
bisschen geworden. Also die hatten ja Bock
das beizubehalten. Die wollten ja nicht
einknicken vor der Bevölkerung. Und
dadurch, dass das so das große, der große
Schatz war, mit dem sie ja in den
Wahlkampf gezogen sind, sind sie da mit
aller Härte vorgegangen, haben sogar
Plakate gegen unsere Demos gemacht. Wo
darauf stand "Ein echter Bayer geht nicht
zur #ausgehetzt " oder irgendwie sowas.
Herald: Vielen, vielen Dank. Ich glaube
wir haben noch eine Frage vom Signal
Angel. Ist das richtig?
Signal Angel: Es ist in der Zwischenzeit
noch eine dazugekommen, aber...
Herald: Fangen wir erstmal mit der älteren
an.
Signal Angel: Ich fange mit einer an. Die
spontanen Kontrollen seitens der Polizei.
Wir haben ja diese Privatsphärerechte, wie
vereinbart sich das Ganze?
LP: Arme-auseinanderbreiten-Geste Well
Publikum lacht
LP: Ja, weiß man nicht so genau, ne!?
Eigentlich nicht, würde ich jetzt mal
sagen. lacht
Herald: Ja?!
LP: Ja, Nein! lacht Es ist nicht
vereinbar.
Herald: Gut, vielleicht hat der bayerische
Verfassungsschutz hierzu eine seltsame
andere Meinung.
LP: Offensichtlich.
Herald: Aber, ich denke, wir teilen, dass
es wohl anders ist. Mikrofon 4, bitte!
M4: Jo, servus. Wie ist es denn
eigentlich, ich meine, ihr habt jetzt
dargestellt, dass das Ganze jetzt relativ
viel sich gegen Geflüchtete richtet?
Gibt's denn auch Beispiele, wo dieses PAG
eingesetzt worden ist gegen, ich sage mal,
Menschen aus der Mitte der Bevölkerung?
Also so blöd es jetzt klingt
"Normalbevölkerung" sozusagen, die man
vielleicht auch verwenden könnte, um jetzt
dem Nachbarn oder so bisschen begreiflich
zu machen: "Du pass auf, das kann auch
dich erwischen".
LP: Also Tatsache ist, wir wissen einfach
ganz wenig. So, das, was wir wissen, über
beispielsweise die Anwendung von der
Gefährderhaft. Das wissen wir aus dem
Bericht dieser PAG-Kommission. Der wurden
nämlich im Zuge dieser Auswertung, die sie
vornehmen sollte, alle Fälle vorgelegt von
der Regierung. Man muss dazu sagen, dass
insbesondere die Haft, in der viele von
den Geflüchteten, war das Schweinfurt?
oder Donauwörth? Ich komme da jetzt
durcheinander...
JP: Schweinfurt.
LP: ...Schweinfurt waren, das haben wir
ewig nicht mitbekommen. Also es war auch
unglaublich schwer, überhaupt darüber was
in Erfahrung zu bringen. Wir haben auch im
Bündnis mehrmals mit unterschiedlichsten
Journalist*innen gesprochen. Vom BR
beispielsweise, die selbst auch ein
Interesse daran hatten, mit diesen
Menschen in Kontakt zu treten und zu
erfahren, was aus denen geworden ist. Und
das ist uns wirklich unmöglich gewesen.
Also das ist schon echt. Die verschwinden
dann da in so einem Loch, die haben keinen
Anwalt. So. Und das ist nochmal ein
spezieller Fall. Aber grundsätzlich wir
wissen einfach ganz wenig darüber. Und man
muss natürlich auch sagen, es ist jetzt
noch nicht so lange in Kraft. Also, aber
ich kann dir bloß sagen, wir versuchen
beim Bündnis all diese Fälle zu sammeln,
von denen wir was hören. Was ich noch dir
empfehlen würde als Lektüre oder auch
grundsätzlich jedem. In der taz gab es mal
einen phantastischen Artikel über einen
Mann, der als linksradikaler oder
linksextremer Gefährder eingestuft wurde.
Und da hat eine Journalistin diesen Mann
begleitet in seinem Alltag und was das für
ihn eigentlich bedeutet, bis hin zu der
Angst, mit Menschen in seinem Umfeld in
Kontakt zu treten, weil er sie ja mit
reinziehen könnte, in diese totale
Überwachung, unter der er lebt. Und das
ist wirklich empfehlenswert diese Lektüre.
Weil das sehr beeindruckend
versinnbildlicht, was es eigentlich heißt,
wenn jemand mal in dieses Raster gerät.
JP: Und ganz kurz würde ich noch anhängen.
Also das Ding ist ja eben auch: Warum ist
das so? Warum ist die Mitte der
Bevölkerung nicht so betroffen? Und das
war ja auch der Punkt, den ich vorhin
ansprach, Empathie. Es braucht nun mal
einfach Empathie. Es braucht Zuhören, vor
allem den Leuten, die von der Repression
betroffen sind. Das ist ja auch schon
immer und im Alltag so gewesen, dass halt
gerade die Mitte der Bevölkerung, die so
aus Sicht eines Polizisten, gutbürgerlich
Deutsche, nicht betroffen davon ist. Ich
kenne so viele weiße Leute Mitte 40, die
halt noch nie eine Kontrolle von der
Polizei abbekommen haben. So ich bin
ziemlich jung, wie ihr sehen könnt. Ich
hab Dutzende hinter mir. So das ist
einfach so ein Verhältnis das mega
ungerecht ist und dadurch auch passiert.
Applaus
Herald: Vielen, vielen Dank.
Mikrofon Nr. 2, bitte.
M2: Ihr hattet ja am Anfang gesagt, dass
im vergangenen Jahr die Protestwelle ein
bisschen abgeebbt ist. Wisst ihr von
neuen, künftigen Aktionen oder Protesten
und wisst ihr eine Begründung dafür, warum
das abgeebbt ist? Werden da wieder
Aktionen kommen, wenn es erst wieder
aktuell diskutiert wird oder wenn eine
Entscheidung dazu ansteht?
JP: Das ist ja mit vielem so, dass die
öffentliche Debatte natürlich auch die
Masse dahinter irgendwie leider lenkt.
Allerdings also wo es jetzt vor kurzem
erst eine Demo gab, war zum Beispiel
Hamburg. Es ist gerade so, dass es in
anderen Bundesländern gerade wieder
abgeht. Also Baden-Württemberg hatten vor
zwei Wochen, glaube ich, hatten die
Kundgebung eben. Und Aktionen: Es hängt
halt davon ab, wie viele Leute Aktionen
organisieren und wie viele Leute sagen
"Okay, das ist jetzt die Thematik". Und
auch die Thematik, die halt nun mal: Warum
machst du viele Aktionen? Um eine große
Reichweite zu bekommen. Die Frage ist, wie
bekommst du eine große Reichweite? Und was
ist natürlich eine sehr starke Reichweite?
Es ist die Presse. Und die Presse richtet
sich nach der Aktualität, oder wie
interessant es von ihnen...
LP: Es waren halt auch Landtagswahlen, das
darf man ja auch nicht vergessen. So, aber
tatsächlich wir haben, also wir sind immer
noch am Arbeiten, wir als Bündnis gegen
das Polizeiaufgabengesetz und was wir
jetzt konkret geplant haben oder angedacht
haben. Es gibt ja jedes Jahr diesen
europäischen Polizeikongress in Berlin,
und wir würden eigentlich gerne mal einen
Gegenkongress machen und in einer anderen
Art und Weise darüber nachdenken: Was
stellen wir uns eigentlich unter einer
sicheren, unter einer guten Gesellschaft
vor? Und da sind wir jetzt gerade
irgendwie so am planen. Ansonsten gibt's
jetzt bei uns in München, das ist nochmal
eine andere Ebene. Aber es gibt ja die
SiKo, die Sicherheitskonferenz. Und da
wird jetzt eine Demonstration geplant
auch, wo es dann eher um Sicherheit im
Äußeren geht, was aber durchaus auch was
ist, was damit zusammenhängt mit diesem
Komplex. Also die Frage der Abschottung,
der Festung Europa, so die ja auch eine,
würde ich behaupten, eine gewisse
Warnhaftigkeit mit sich bringt, die dann
wiederum in diesem Sicherheitsbedürfnis
sich ausdrückt. Also wieder ein riesen
Fass aufmachen. Aber das sind jetzt die
nächsten beiden großen Dinge, die
vielleicht anstehen.
JP: Eben, und halt in vielen anderen
Bundesländern. Wir sind natürlich auch so
ein bisschen in unserer, vor allem Bayern
ist ja eh immer so abgekapselt, in unserer
Münchner Bubbel aber genau also 14.
Februar ist z.B. eine bundesweite Demo bei
uns gegen Sicherheitserweiterung oder
Verstärkung von Sicherheit. Und sowas
gibts immer wieder und lässt sich dann
natürlich in den sozialen Medien gut
finden. Wir haben eine Website zum
Beispiel, da kann man solche Informationen
kriegen oder auch bei anderen
Organisationen.
LP: Und wir haben ein ganz aktives Team.
Da sind unter anderem auch Leute
Datenschützer*innen dabei, die eben jetzt
versuchen, dieses Thema
Überwachungsgesamtrechnung voranzutreiben.
Herald: Vielen, vielen Dank für diese
ausführliche Antwort. Wir haben noch,
glaube ich, eine Frage von Signal? Ist das
Richtig? und eine Frage... ja, dann fangen
wir doch damit an.
Signal Angel: In Frankreich gab es ja 2006
das CPE Gesetz, wo sie 11 Wochen dagegen
demonstriert haben, um das abzuschaffen.
Kann es sein, dass wir in Deutschland
einfach deutlich längere Demonstrationen
brauchen, damit die Politik auf die
Meinung des Volkes hört?
JP: Wie Fridays for Future? Auch das muss
nicht funktionieren. Also das hängt schon
auch von der Politik und irgendwie auch
der Form des Protestes ab. Aber ja, umso
länger, umso mehr Druck auf jeden Fall,
umso mehr Leute, umso mehr Druck. Also ja,
das kann auch helfen.
Herald: Gut, Mikrofon Nr. 4, bitte!
M4: Ja. Vielen Dank für den Vortrag, erst
mal auch für eure konsequente Arbeit zu
diesem Gesetzen. Ich habe erstmal eine
kleine Kritik an euren Thesen. Ich glaube,
dass, wenn man Forderungen zu ..., wenn
man Schulungen fordert, zu besserem
Rassismusverständnis und halt aus
Menschenrechtsgründen irgendwie versucht,
diese Gesetze anzugreifen, also die
rassistischen Gesetze anzugreifen, dann
macht man den Fehler, dass man eine
moralische Argumentation einnimmt.
Vielmehr sind diese Menschen ja eigentlich
unsere Verbündeten im Kampf in jeglicher
Hinsicht. Ich habe auch eine Frage im
Bezug auf Frankreich. Dort finden ja jetzt
gerade auch Demonstrationen statt und vor
allem Streiks. Die Streiks sind das, was
die Regierung eigentlich richtig
herausfordert. Deswegen die Frage an euch
und auch an das Bündnis generell: Warum
wird denn der politische Streik als Waffe
im Kampf gegen solche Gesetze nicht
öffentlicher diskutiert?
JP: Also erstmal, Benny, ich finde es
schon immer ein bisschen schwierig, wenn
eine weiße Person irgendwie Empfehlungen
ausspricht, was Rassismus betrifft.
Teilweise Applaus im Publikum Das sei
nur kurz erwähnt. Aber gerne können wir
natürlich über verschiedene
Herangehensweisen diskutieren. Ich glaube
allerdings, ein Schulfach Antirassismus
wäre etwas, was krass lange wirken würde
und was krass gut wäre und sehr notwendig.
So als Beispiele, aber wir können
natürlich über verschiedene
Herangehensweisen diskutieren. Und ja
Streiks, was denkst du?
LP: Wir waren in München, Demobündnis. Und
ja, natürlich kann man sich über
verschiedene Formen des Protestes
unterhalten. Aber es ist natürlich auch
die Frage, also zu dem Zeitpunkt damals
war halt eine Demonstration, eine
Großdemonstration, das was auch all diese
verschiedenen Akteure an einen Tisch
gebracht hat. Und da kann man sich jetzt
auch wieder darüber streiten, ob das gut
war, dass all diese Gruppen da dabei waren
oder nicht. Aber es war zumindest zu dem
Zeitpunkt ja auch ziemlich erfolgreich.
Genau. Und das war die Form, die wir
damals gefunden haben und für die wir auch
Kapazitäten hatten.
JP: Und wie du dich vielleicht auch noch
erinnerst, waren wir ja alle, haben wir ja
versucht, Jugendaktion "Bildung statt
Abschiebung", einen Bildungsstreik zu
organisieren, der eben auch ein ähnliches
Thema aufgreift und auch dem nahesteht.
Und man muss ehrlich sagen, für die
Kräfte, die wir reingesteckt haben, hat es
leider nicht gut funktioniert. Und ja,
vielleicht müssen sich Streiks wieder mehr
etablieren. Auf jeden Fall, meine
persönliche Meinung. Aber es ist
schwierig, es ist schwieriger als sonntags
eine Demonstration zu machen.
Herald: OK, kommen wir zur allerletzten
Frage. Wir sind schon ein bisschen über
die Zeit. Deswegen: Er fasst sich bitte
kurz. Mikrofon 5.
M5: Ja, die Frage ist auf das Konzept
Überwachungsgesamtrechnung bezogen. Das
habt ihr mehrmals erwähnt. Mir ist das
nicht bekannt. Vielleicht könnte ihr es
nochmal ein bisschen erklären.
LP: Hahaha, da hab ich jetzt was gesagt,
ne? Also... kannst du? Kennst du dich aus?
Herald: Tatsächlich.Im Detail.
LP: Ja, geil. Mach du mal.
JP: Mach du.
LP: Das ist voll... das ist mega nice.
Herald: Die Überwachungsgesamtrechnung ist
ein Konstrukt, dass das
Bundesverfassungsgericht 2011, 12, 13 in
dem Dreh in einer Urteilsbegründung einer
Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung
initial geschaffen hat. Ausgeführt worden
ist dieses Konzept dann in einigen anderen
Urteilskommentaren und auch in den
Sondervoten der Richter, die dagegen
gestimmt haben, bei diesem Urteil. Und es
liegt dem Bundesministerium des Inneren
für Bau und Heimat die Verpflichtung auf,
eine Gesamtrechnung durchzuführen für den
Fall, dass eine Vorratsdatenspeicherung
wieder eingeführt wird. Das heißt nicht,
dass Sie diese Prüfung durchführen müssen,
diese Gesamtrechnung, wenn eine andere
Überwachungsmaßnahme
eingeführt wird, sondern nur für solche
der Vorratsdatenspeicherungen. Das ist für
mich persönlich zu wenig. Die Kommentare
und Sondervoten der Richter des
Bundesverfassungsgerichts haben da auch
eine klare Meinung dazu, dass das
eigentlich so pauschal durchgeführt werden
müsste, also die deutlich über 30
verschiedenen Überwachungsgesetzgebungen
seit diesem Urteil im Detail zu
evaluieren, um zu prüfen, dass ist die
Auflage des Gerichts, ob diese einen
Chilling-Effekt in der Gesellschaft
verursachen und ob die freie Ausübung
unserer Grundrechte trotzdem noch möglich
ist.
LP: So viel Glück werden wir heute nicht
nochmal haben deswegen machen wir jetzt
hier Schluss. lacht
JP: Vielen Dank
LP: Vielen herzlichen Dank
Herald: Einen großen Applaus für unsere
beiden Speaker
Applaus
36C3 Abspannmusik
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im Jahr 2021. Mach mit und hilf uns!