Nach dem tollen
Improvisationszeug von vorhin,
sollte ich jetzt auch einfach
meine Karten von mir werfen
und sagen: "Ganz neues Programm!
Ich erzähle euch was ganz anderes,
wenn wir uns auf die Suche
nach der verlorenen Zeit machen,
aber ich bin zu aufgeregt,
deswegen habe ich doch
alle meine Karten dabei.
Ich versuche euch
durch meine Ideen zu führen.
Vor ein paar Tagen
erzählte mir ein guter Freund,
dass seine jüngeren Geschwister
neuerdings nicht mehr von den Eltern
für Klavierunterricht und Fußball
abgeholt werden,
sondern von einem der neuen Fahrdienste,
die per Smartphone-App funktionieren
und der Taxiindustrie mehr und mehr
Konkurrenz machen.
Wow, so praktisch, so zeitsparend,
so effizient, dachte ich.
Das Beispiel erzählt ziemlich viel
von unserer Gesellschafft
und den Werten unserer Gesellschaft.
Einer Gesellschaft,
die gerne effizient ist,
fortschrittlich, pragmatisch, schnell,
produktiv und technologisch.
Denn Zeit ist wertvoll.
Deshalb haben wir in den
letzten Jahrzehnten
immer mehr Technologien
und Lösungen gefunden,
um uns noch effizienter und
noch produktiver zu machen.
Und trotzdem können wir genau
in dieser Gesellschaft
eine paradoxe Beobachtung machen.
Menschen um uns herum, oft wir selbst,
sind zunehmend gestresst,
ausgebrannt und arm an Zeit.
Zeit, und damit der gestresste,
moderne Mensch,
ist ein vielfach diskutiertes Thema.
Aber von einem sehr normativen
Standpunkt aus, wie ich finde.
Denn überall sehen wir den Imperativ:
Sei effizient! Nutze deine Zeit!
Sogar wenn es um uns selbst geht.
Für die Zeit, wenn wir
allein sind, uns ausruhen,
haben wir Begriffe kreiert,
wie "quality time",
"me time" oder "down time",
die eigentlich nur Teil von genau
diesem Effizienzgedanken sind.
Überall erliegen wir dem sozialen Druck,
sich einzupassen, fit zu bleiben,
informiert zu sein
oder intelligent zu wirken.
Das Glück der Langeweile haben
wir aus unserem Alltag verbannt.
Denn die Langeweile ist langweilig.
Ich wollte mehr über das Thema verstehen,
begann zu lesen und lernte:
Wir leben nicht nur in Kulturen
unterschiedlicher Sprachen,
Land und Gewohnheiten,
sondern auch unterschiedlich im Umgang
und der Wertschätzung von Zeit.
Ich habe mich in zwei sehr
unterschiedliche Zeitkulturen aufgemacht,
ins kalifornische Silicon Valley
und in südostasiatische Burma,
wo ich Menschen beobachtet habe.
Silicon Valley ist eine nach Effizienz
strebende Gesellschaft.
Die Technologien dort sind tief
verankert im Alltag der Menschen.
Es ist eine 24-Stunden-Gesellschaft,
die dicht vertaktet ist und wo Verabredung
nach der Uhr funktionieren.
Burma hingegen ist eine Agrarwirtschaft
mit starken familiären Strukturen,
mit einer religiösen
buddhistischen Gesellschaft.
Der Rhythmus der Natur,
Tages- und Nachtszeit und auch die Ernte
geben noch immer sehr stark
den Rhythmus vor --
genauso für Verabredungen.
Ich habe auf meiner Reise
6 Personen getroffen,
und ich möchte gerne, dass ihr
sie heute Abend kennenlernt.
Alex ist Datenanalyst bei Google.
Wenn Alex morgens aufwacht,
dann klingelt sein iPhone,
draußen scheint bereits die Sonne
und er fängt an, in seinem Bett
E-Mails zu beantworten und zu lesen.
Die Arbeit folgt Alex
bis ins Schlafzimmer.
Wenn er mit dem Google-Bus
zum Büro fährt,
ist er mit dem WLAN verbunden.
Auch im Stau kann er
ohne Weiteres produktiv sein.
Für den Abend wird noch eine kleine
private Verabredung organisiert.
Der ganze Tag ist durchgeplant.
Schon bald wird Alex einen neuen Job,
ein neues Team haben,
denn Karrierewege im Silicon Valley
sind schnelllebig.
Koni auf der anderen Seite
ist ein Reisbauer in Burma.
Er wird morgens vom Sonnenlicht geweckt.
Die Kühe sind hungrig
und wollen gefüttert werden.
Er macht den Holzpflug fertig,
um aufs Feld hinauszugehen,
bevor die Temperaturen zu heiß werden.
Als wir draußen auf dem Feld sind,
entdecken wir einen Traktor in der Ferne.
Koni reagiert ambivalent,
fast schon verängstigt.
Ich frage mich: Weiß er wie viel
schneller und wie viel effizienter
dieser Traktor sein Feld pflügen könnte?
Aber Koni zeigt keine Reaktion von Neid --
im Gegenteil.
Ich glaube, er hat noch nichts
von Mikrokrediten gehört,
die seinem Dorf erlauben würden,
ein solches Gerät zu kaufen.
Koni sagt: Er war immer Reisbauer
und wird immer Reisbauer bleiben.
Während ich im Silicon Valley
die Leute gefragt habe,
in welche Kategorien sie ihre 24 Stunden
am Tag einsortieren würden,
konnten sie mir ganz viele
Kategorien nennen:
"work time social", "work time alone",
"free time", "transit time".
In Burma stößt die Frage
auf große Verwirrung.
Meine 24 Stunden bestehen
aus Tag und Nacht, sagt Koni.
Steve ist Produktmanager.
Sein Mittagessen heute
ist ein Arbeitslunch.
Genau verabredet, Beginn und Ende
im Kalender festgesetzt,
ganz unabhängig davon,
ob die eigentliche Tätigkeit
am Ende beendet ist.
Mutlitasking zwischen verschiedenen
Projekten, die jeweils am Laufen sind
und sich immer weiter entwickeln,
ist für ihn Alltag.
Nach dem Mittagessen wird noch
schnell mit seiner Freundin telefoniert.
Immer wieder springt er hin und her
zwischen privaten und
beruflichen Aufgaben.
Auch Steve ist Anhänger
der Quanified-Self-Bewegung.
Mit seinem digitalen Armband
kann er seine Bewegung,
sein Essverhalten, sein Schlafverhalten
genau aufzeichnen und damit
seine Zeitnutzung optimieren.
Vor allem weiß er aber,
wie er seine Zeit genutzt,
wie er seine Zeit investiert hat.
Ashin Vilasa hingegen ist ein Mönch.
Diesen Mittag starrt er
20 Minuten lang aus dem Fenster.
Als ich ihn in der Ecke
eines Hauses entdecke,
beobachte ich ihn die ganze Zeit
und werde dabei selbst extrem nervös.
(Lachen)
Was macht er dort?
Später frage ich ihn, ob er meditiert hat?
Für mich die einzig plausible Erklärung,
jetzt wo alle Yoga machen.
Er sagt nein, er habe einfach
aus dem Fenster geschaut.
So unverplant --
solch eine Unerwartungshaltung --
wie Ashin Vilasa seine freie Zeit
verbringt, macht Simon das nicht.
Simon ist Start-up-CEO und er ist
heute Abend im Fitnessstudio.
Er weiß ziemlich genau, warum er hier ist.
Weil er fit bleiben möchte.
So wie Simon fünfmal pro Woche
seine freie Zeit auf geplante
Art und Weise verbringt,
tun es viele Menschen in den
westlichen Industriegesellschaften.
Auch unsere Freizeit ist
am Ende ein Investment
und wir wissen oft ziemlich genau,
welchen Gewinn und welchen Mehrwert
wir uns daraus erhoffen.
Choso hingegen ist
eine Ladenbesitzerin in Burma.
Ihre Familie hat einen Fernseher,
am liebsten schauen sie "soap operas".
Sie sind in Burma Ausdruck
des modernen Lebens
und mit ihnen kommt die Idee
von geplanten Freizeitaktivitäten
zu ihnen nach Hause ins Wohnzimmer.
Choso selbst sagt,
sie langweile sich sehr oft.
Ihre eigene Zeitkultur kennt
keine geplanten Freizeitaktivitäten.
Choso ist heute Abend ziemlich müde.
Sie schließt gerade ihren Laden
und ich frage sie, was
die Eröffnungszeiten sind.
Verwundert schaut sie mich an.
Sie öffne am Morgen,
sie schließe am Abend.
Eine Uhr hat Choso nicht.
Wo auch immer wir herkommen,
wir sind Bürger einer Zeitkultur,
und uns häufig nicht bewusst,
wie unsere Umwelt, wie unsere Zeitkultur
eigentlich unseren Umgang und
unsere Entscheidungen
über Zeit definieren.
Forscher und Professoren,
zum Beispiel der deutsche Soziologe
Hartmut Rosa, sagen:
"Es gibt keinen Weg aus der eigenen
Zeitkultur auszubrechen.
Wenn du E-Mails und Anrufe
nicht beantwortest,
dann verlierst du deinen Job.
Wenn du nicht genung publizierst,
verlierst du deinen Ruf,
du wirst zum Versager."
Sie sagen: "Wellness-Industrie,
Yogakulturen, 'Sabbaticals'
sind am Ende nur systemische Auszeiten,
kleine Wellness-Illusionen,
um am Ende noch besser
Leistung zu erbringen,
um am Ende noch effizienter zu sein
und noch entspannter
von A nach B zu rasen.
Kein wirklicher Ausbruch also
aus einem System
der dauernden Selbstoptimierung.
Ich glaube, ob der Druck, in
der Tech-Szene produktiv zu sein,
oder der Druck einer Tradition,
oder einer von Tradition geprägten
religiösen Gesellschaft,
oder beides zusammen --
der Schlüssel, um sich selbst
richtig in der Zeit zu führen
und ein Stück weit auch damit
bei sich selbst zu sein,
ist es sich den Werten unserer
jeweiligen Zeitkultur bewusst zu sein,
und sich zu fragen, wie diese Werte
unser individuelles Zeitverständnis
eigentlich prägen.
Das heißt, das Zentrale ist
eigentlich hinterfragen.
Was sind die Werte meiner Zeitkultur?
Simme ich mit ihnen überein?
Und wenn nicht, wie schaffe ich Raum
für meine eigenen Ideen.
Was ist meine individuelle Zeitkultur?
Diese Frage zu stellen,
glaube ich, ist schwer.
Und ich glaube es bedarf Mut,
weil wir nicht immer unmittelbar
Antworten darauf finden --
was wir in unserer
Informationsgesellschaft
nicht mehr wirklich gewohnt sind.
Wir müssen meistens nur
das richtige Suchwort kennen.
Viele Formate und Nachrichten erscheinen
in kurzer und knapper Form.
Auch ich sollte mich heute Abend
besser kurz halten.
Bereits das Stellen dieser Fragen:
Das Hinterfragen der eigenen Zeitkultur,
ohne unmittelbare Antwort, ist sinnvoll.
Zwei Gedanken dazu:
Für die Zeit, die wir
in der Familie verbringen,
schreibt unsere Zeitkultur
Männern und Frauen sehr
unterschiedliche Wertigkeiten zu.
Ein Grund übrigens, weshalb
die Forschung bereits jetzt überlegt,
nur noch Familien insgesamt
auf ihre Zeitbudgets zu untersuchen.
Das Hinterfragen von dieser Zeitkultur,
von unserer Zeitkultur,
würde uns erlauben,
von aufoktroyierten Werten
Distanz zu nehmen
und Familienleben wirklich
so zu gestalten, wie wir es wollen.
Und zweitens:
Unsere Zeitkultur favorisiert geplante,
verabredete Freitzeitaktivitäten,
die der Selbstoptimierung am Ende dienen,
so wie Sport, Lesen und Lernen.
Herumschlendern, Beobachten,
Nachdenken und Reflektieren,
ohne Sinn und Ziel, zumindest am Anfang,
werden tendenziell abgewertet.
Und das entspricht eigentlich am Ende
dem Kern unserer Zeitkultur,
nämlich immer genau wissen zu müssen,
warum wir unsere Zeit
so verbringen, wie wir es tun.
Würden wir ein bisschen Abstand
zu unserer Zeitkultur gewinnen,
könnten wir Zeit auf eine Art verbringen,
ohne den unmittelbaren Mehrwert
immer kennen zu müssen.
Ich will kurz zurück kommen auf das
Anfangsbeispiel von der Kinderabholung --
effizient und zeitsparend, ja.
Aber ich erinnere mich an die Momente,
wenn ich mit meinen Eltern
gelangweilt im Stau stand.
Und teilweise zuvor womöglich abgeholt
wurde, auch vom Fußball oder Klavier,
und es dort eben vertraute und ehrliche
Momente manchmal gab,
an den man tatsächlich was
über den anderen erfahren hat,
aber eben ohne sich
für "quality time" zu verabreden,
oder in den nächsten Familienurlaub
mit großen Erwartungen zu überfrachten.
Mit seinen Eltern im Stau im Auto
zu stehen, ist ziemlich banal.
Aber ich glaube genau,
weil es so banal ist,
kann der Moment so wertvoll sein.
Keine durch eine Zeitkultur
aufgestülpten Erwartungen,
Raum für Unerwartetes
in einer Gesellschaft,
die ansonsten durchgetaktet
und auf Effizienz und Produktivität
ausgerichtet ist.
Was ich von meiner Reise mitnehme?
Ich glaube, es bedarf
heutzutage tatsächlich Mut,
nicht immer zu wissen,
was der unmittelbare Mehrwert
unserer Zeit ist.
Erst das schafft Raum für Unerwartetes
und für wirklich Wertvolles.
(Applaus)