Schau dir dieses Bild an.
Was könnte das sein?
Ein furchteinflößendes Monster?
Zwei freundliche Bären?
Oder etwas ganz anderes?
Fast ein Jahrhundert lang
wurden zehn Tintenkleckse wie diese
als beinah mystischer
Persönlichkeitstest genutzt.
Lange Psychologen
und ihren Patienten vorbehalten,
zeigten die mysteriösen Bilder angeblich,
wie der Verstand einer Person arbeitet.
Aber was können uns
Tintenkleckse wirklich verraten
und wie funktioniert dieser Test?
Beim Rohrschach-Test,
der im frühen 20. Jahrhundert
vom Schweizer Psychiater
Herrmann Rorschach erfunden wurde,
geht es weniger um die
spezifischen Dinge, die wir sehen,
sondern vielmehr um eine allgemeine
Annäherung an die Wahrnehmung.
Als Amateur-Künstler
war Hermann fasziniert davon,
wie die visuelle Wahrnehmung
sich von Mensch zu Mensch unterscheidet.
Dieses Interesse trug er
ins Medizinstudium hinein,
wo er lernte, dass all unsere Sinne
stark verbunden sind.
Er erforschte, wie der Wahrnehmungsprozess
sensorischen Input nicht nur registriert,
sondern ihn umwandelt.
Und als er begann, in einer Nervenklinik
in der Ost-Schweiz zu arbeiten,
begann er, eine Reihe
verwirrender Bilder zu entwerfen,
um neue Einblicke in diesen rästelhaften
Prozess zu gewinnen.
Mithilfe seiner Tintenklecks-Bilder
stellte Rorschach hunderten
von gesunden Testpersonen
und psychiatrischen Patienten
dieselbe Frage:
Was könnte das sein?
Jedoch war nicht wichtig,
was die Probanden sahen,
sondern wie sie die Aufgabe angingen.
Auf welche Teile des Bildes
fokussierten sie sich?
Welche ignorierten sie?
Bewegte sich das Bild für sie?
Half ihnen die Farbe mancher Kleckse,
bessere Antworten zu geben
oder lenkte sie ab und überwältigte sie?
Er entwickelte ein System,
um die Antworten der Leute zu kodieren
und die Anzahl möglicher Interpretationen
auf ein überschaubares Maß zu reduzieren.
Nun besaß er empirische Methoden,
um Testpersonen zu quantifizieren:
Die Kreativen und Einfallsreichen,
die Detailorientierten, diejenigen,
die das große Ganze sahen,
und flexible Teilnehmer,
die ihre Herangehensweise anpassten.
Einige Leute blieben gewissermaßen stecken
und gaben dieselbe Antwort
für verschiedene Kleckse.
Andere lieferten ungewöhnliche
und erheiternde Beschreibungen.
Die Antworten waren so vielfältig
wie die Tintenkleckse,
die verschiedene Arten
von Wahrnehmungsproblemen boten --
einige davon einfacher
zu interpretieren als andere.
Aber die Herangehensweise
der Testpersonen zu analysieren
ermöglichte wahrhaftige Einblicke
in deren Psychologie.
Und als der Rorschach-Test bei immer mehr
Menschen angewendet wurde,
häuften sich Muster.
Gesunde Testpersonen
mit denselben Persönlichkeiten
nutzten oft erstaunlich
ähnliche Herangehensweisen.
Patienten, die an derselben
psychischen Krankheit litten,
verhielten sich ebenfalls ähnlich,
sodass der Test zu einem
zuverlässigen Diagnose-Instrument wurde.
Er ermöglichte sogar
die Diagnose einiger Krankheiten,
die mit anderen Methoden
schwer feststellbar waren.
1921 veröffentlichte Rorschach
sein Kodierungssystem zusammen
mit den zehn Klecksen, von denen er fand,
dass sie das differenzierteste Bild
der menschlichen Wahrnehmung lieferten.
In den nächsten Jahrzehnten
wurde der Test in Ländern
auf der ganzen Welt extrem populär.
Bis in die 1960er
war er offiziell mehrere Millionen Male
allein in den USA angewendet worden.
Unglücklicherweise starb Hermann Rorschach
weniger als ein Jahr
nach der Veröffentlichung des Tests.
Ohne seinen Erfinder,
der ihn auf Kurs hielt,
wurde der Test, zu dessen Unterstützung er
methodisch so viele Daten gesammelt hatte,
auf alle möglichen
spekulativen Arten genutzt.
Forscher wendeten den Test
bei Nazi-Kriegsverbrechern an,
in der Hoffnung, die psychologische Wurzel
von Massenmord zu ergründen.
Anthropologen präsentierten die Bilder
abgeschieden lebenden Völkern
als universellen Persönlichkeitstest.
Arbeitgeber trafen vorurteilsbehaftete
Einstellungs-Entscheidungen
durch vereinfachte Dekodierungstabellen.
Als der Test die Kliniken verließ
und in der Populärkultur Einzug hielt
nahm sein Ruf bei Medizinern rapide ab
und die Kleckse begannen
aus der klinischen Praxis zu verschwinden.
Heute ist der Test immer noch umstritten
und viele Leute glauben,
er sei widerlegt worden.
Aber 2013 zeigte eine Auswertung
aller vorliegenden Rorschach-Forschungen,
dass der Test richtig angewendet
gültige Ergebnisse liefert,
die dabei helfen können,
Geisteskrankheiten zu diagnostizieren
oder das psychologische Profil
eines Patienten zu vervollständigen.
Er ist wohl kaum der einzig wahre
Schlüssel zum menschlichen Geist --
kein Test ist das.
Aber seine visuelle Herangehensweise
und der Umstand, dass es
keine einzig korrekte Antwort gibt
helfen Psychologen weiterhin,
ein deutlicheres Bild davon zu erschaffen,
wie Menschen die Welt betrachten.
Und bringen uns
dem Verständnis der Muster,
die unserer Wahrnehmung zugrunde liegen,
einen Schritt näher.