1995 veröffentlichte
das British Medical Journal
einen erstaunlichen Bericht
über einen 29-jährigen Bauarbeiter.
Er sprang versehentlich
auf einen 15 Zentimeter langen Nagel,
der sich durch seinen
Stahlkappenschuh bohrte.
Er war von solch
qualvollen Schmerzen erfüllt,
sodass die kleinste Bewegung
unerträglich war.
Als der Arzt aber den Schuh abnahm,
bot sich ein überraschender Anblick:
der Nagel hat kein bisschen
seinen Fuß berührt.
Über hunderte von Jahre
dachten Wissenschaftler,
dass Schmerz eine direkte Reaktion
auf einen Schaden ist.
Je heftiger die Verletzung ist,
umso größer sollte der Schmerz sein,
dieser Logik zufolge.
Wie wir aber mehr über
die Wissenschaft des Schmerzes lernen,
fanden wir heraus,
dass Schmerz und Gewebeschaden
nicht immer Hand in Hand gehen,
nicht einmal, wenn die körpereigenen
Bedrohungssignalmechanismen
voll funktionsfähig sind.
Wir sind in der Lage starke Schmerzen,
unverhältnismäßig zur eigentlichen
Verletzung, zu spüren,
und auch ohne jegliche Verletzung,
wie der Bauarbeiter
oder die gut dokumentierten Fälle über
männliche Partner von schwangeren Frauen,
die Schmerzen, während der Geburt
oder der Wehen, spüren.
Was ist hier los?
Tatsächlich spielen sich
zwei Phänomene ab:
die Erfahrung von Schmerz und ein
biologischer Prozess namens Nozizeption.
Nozizeption ist ein Teil
der Schutzreaktion des Nervensystems
zu schädlichen oder potenziell
schädlichen Reizen.
Sensoren in spezialisierenden Nervenenden
erkennen mechanische, thermale
und chemische Bedrohungen.
Wenn genug Sensoren aktiviert sind,
schießen elektrische Signale in den Nerv
zur Wirbelsäule und weiter zum Gehirn.
Das Gehirn wägt die Wichtigkeit
dieser Signale ab
und produziert Schmerzen,
wenn es entschieden hat,
dass der Körper Schutz braucht.
Normalerweise helfen Schmerzen dem Körper
weitere Verletzungen
oder Schaden zu verhindern.
Aber es gibt eine ganze Reihe
von Faktoren neben Nozizeption,
die das Schmerzempfinden beeinflussen --
und machen den Schmerz weniger nützlich.
Zuerst gibt es biologische Faktoren, die
nozizeptive Sginale zum Gehirn erweitern.
Wenn Nervenfasern
wiederholt aktiviert werden,
entscheidet das Gehirn,
jene sollten empfindlicher sein,
um den Körper adäquat
vor Bedrohungen zu beschützen.
Nervenfasern können um weitere
Stresssensoren erweitert werden
bis sie so empfindlich werden, dass
selbst leichte Berührungen der Haut
intensive elektrische Signale auslösen.
In anderen Fällen
passen sich die Nerven an,
um Signale effizienter zu senden
und die Nachricht zu verstärken.
Diese Formen der Verstärkung sind üblich
bei Menschen mit chronischen Schmerzen,
die also länger als drei Monate anhalten.
Wenn das Nervensystem in einen
laufend hohen Alarmzustand versetzt wird,
kann der Schmerz die physikalische
Verletzung überdauern.
Dies schafft einen Teufelskreis,
in dem es umso schwieriger wird,
ihn umzukehren,
je länger der Schmerz anhält.
Offensichtlich spielen auch psychologische
Faktoren eine Rolle bei Schmerzen,
möglicherweise durch
Beeinflussung der Nozizeption
und durch direkte
Beeinflussung des Gehirns.
Der emotionale Zustand
und Erinnerungen einer Person,
Überzeugungen von Schmerzen
und die Erwartungen über ihre Behandlung
können beeinflussen,
wie viel Schmerzen sie spüren.
In einer Studie empfanden Kinder,
die berichteten keine Kontrolle über
deren Schmerzen zu haben,
intensivere Schmerzen, als jene,
die glaubten Kontrolle darüber zu haben.
Merkmale der Umgebung
sind ebenfalls wichtig:
In einem Experiment,
wo Freiwilligen eine kalte Stange
auf ihren Handrücken gelegt wurde,
berichteten mehr Schmerzen
gespürt zu haben,
als rotes Licht aufleuchtete,
im Vergleich zum blauen Licht,
obwohl die Stange jedes Mal
die gleiche Temperatur hatte.
Schlussendlich können soziale Faktoren,
wie die Verfügbarkeit
von familiärer Unterstützung,
die Wahrnehmung von
Schmerzen beeinflussen.
Das alles bedeutet,
dass zur Schmerzbehandlung
ein vielschichtiger Ansatz aus
Schmerzspezialisten, Physiotherapeuten,
Krankenpflegern und anderen medizinischen
Fachkräften am effektivsten ist.
Wir beginnen eben erst den Mechanismus
hinter der Schmerzempfindung aufzudecken,
aber da gibt es einige
vielversprechende Forschungsbereiche.
Bis neulich dachten wir noch,
dass Gliazellen, die Neuronen umgeben,
nur eine Stützstruktur sind,
aber jetzt wissen wir,
dass sie eine große Rolle bei der
Beeinflussung von Nozizeption spielen.
Studien haben gezeigt,
dass die Deaktivierung bestimmter
Gehirnstromkreise in der Amydala
Schmerzen bei Ratten beseitigen kann.
Gentests an Personen
mit seltenen Funktionsstörungen,
die sie davon abhalten
Schmerzen zu empfinden,
haben etliche andere mögliche
Ziele für Medikamente
und wohl auch für Gentherapien aufgezeigt.