Herald-Engel: Wie ihr alle wisst, hatten wir dieses Jahr kein richtiges Sommermärchen, sondern eher ein Sommerdrama und es ist das erste Mal gewesen, dass seit 50 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland Journalisten wegen Landesverrat angeklagt wurden. Das Ganze ist jetzt schon ein paar Monate her und wir wollen die Gelegenheit jetzt nehmen, ein bisschen darüber zu reflektieren, was da eigentlich passiert ist, einmal natürlich zurückzublicken und nochmal die Hintergründe zu beleuchten, aber auch zu schauen, was ist da eigentlich seitdem passiert, was sind die Konsequenzen daraus und um das jetzt zu tun, begrüßt bitte ganz herzlich mit mir den Gründer und Herausgeber von Netzpolitik und unseren Lieblingslandesverräter Markus Beckedahl. Applaus Herald Angel: And... (Englisch): Für unsere internationalen Gäste, wenn ihr den Vortrag auf Englisch hören wollt, ist dies absolut möglich, schaltet einfach unsere wunderbare Übersetzung auf der Nummer 8011 ein. Vielen Dank! Markus Beckedahl: Hallo, guten Morgen! Gelächter und Applaus Also wenn ihr jetzt die ganze Zeit klatscht, dann komme ich mit meinen 72 Folien nicht voran. Also, Applaus Andre kann leider nicht hier sein, der muss sich grad' sonnen, also in der richtigen Sonne. Applaus Auf dem Camp haben wir schon direkt nach dem Niederfallenlassen der Ermittlungen einen Vortrag gehalten, deswegen: die Geschichte um diese ganzen Ermittlungen tue ich nur ganz kurz anreißen, mir geht es eher darum, was sind die Findings, was haben wir herausgefunden, was müsste man an Gesetzen ändern, um zukünftig solche Ermittlungen zu verhindern. Wer sich für die ganzen Hintergründe nochmal interessiert, wie gesagt, der Camp-Vortrag ist online. Ja, kann man sich kostenlos, glaube ich, herunterladen. Die Geschichte fängt über ein Jahr früher an. Letztes Jahr feierten wir zehnten Geburtstag, und passend zu unserem zehnten Geburtstag erfuhren wir, dass das Bundeskanzleramt den Mitgliedern des NSA-Untersuchungsausschuss' im Bundestag mit Strafanzeige gedroht hatte, weil unter anderem bei uns im Blog Dokumente aufgetaucht waren, die rund um, ja, diesen Untersuchungsausschuss distributiert wurden. Damals ist diese Strafanzeige nicht weiter verfolgt worden, es gibt Gerüchte, dass Merkel dagegen war, die hatte Angst, dass das irgendwie schlechte Presse gibt, wenn man irgendwie gegen Presse vorgeht. Wir fühlten uns damals geehrt und fühlten uns auch ein bisschen motiviert, einfach mal weiterzumachen. Im Februar diesen Jahres veröffentlichten wir Auszüge aus dem Haushaltsplan, die dokumentieren, dass der Verfassungsschutz einfach mal Massenauswertung von Internetinhalten plant. Das war insofern interessant, dass zwei Jahre nach Start der Snowden-Enthüllungen die Antwort unserer Bundesregierung war, unseren Geheimdiensten einfach mehr Geld, mehr Kompetenzen zur Internet-Überwachung zu geben. Wir fanden, das sollte man eher mal diskutieren, bevor das einfach so gemacht wird, eine Diskussion war aber eigentlich auch erst möglich, wenn man die ganzen Dokumente sehen kann, die bis dahin vertraulich waren. Uns wurden sie zugespielt, wir hatten ein bisschen Platz auf dem Server, wir haben sie veröffentlicht, leider nicht die Riesen-Gesellschaftliche Debatte bekommen, die wir wollten. Mit anderen Worten, hat jetzt nicht so viele Leute interessiert. Aber es gehört zu unserer Philosophie, Dokumente nicht nur zu haben, nicht nur daraus zu zitieren, sondern sie auch, wenn möglich, offen all unseren Lesenden zur Verfügung zu stellen. Wir kommen aus dem Netz, wir sind es gewohnt, auf Quellen zu verlinken, Applaus und wir sind es gewohnt, dass auch andere unsere Arbeit kritisch hinterfragen sollten. Wir glauben auch nicht daran, dass wir irgendwie die Experten für alles sind, und wir glauben aber auch, dass in unserer Leserschaft viele Experten sind, die uns helfen könnten, Dokumente aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, und dafür braucht man die Originaldokumente. Und deswegen stellen wir sie natürlich jedes Mal nach einer Einzelabwägung ins Netz, wenn wir damit niemanden gefährden. Aber, zurück zum Anfang dieses Jahres: Im April kriegten wir dann noch einen neuen Haushaltsplan, den haben wir natürlich auch online gestellt. Den hat aber leider überhaupt gar keiner interessiert, weil morgens um 9.05 Uhr ging der online, um 9.15 Uhr verkündete Justizminister Maas, dass er gleich die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen wird, da war das Thema dann tot. Fanden wir ein bisschen schade, weil wir wollten tatsächlich gerne darüber reden, was macht der Verfassungsschutz da? Ist das überhaupt verfassungskonform, was er da macht? Sollten wir da nicht erstmal als Gesellschaft drüber entscheiden, ob wir das jetzt gut finden oder nicht? Und, sollte vielleicht nicht das Bundesverfassungsgericht darüber urteilen, ob er das überhaupt darf oder nicht? Um das Ganze nochmal einzuordnen, was wir da veröffentlicht haben: Haushaltspläne, andere sagen, das ist irgendwie so vergleichbar mit einfach nur so Kostenstrukturen. ZEIT ONLINE hat nach den Landesverratsermittlungen ein weiteres Puzzlestück veröffentlicht, und zwar interne Dokumente des Verfassungsschutz' zu XKeyscore. Wir haben sozusagen die Haushaltspläne veröffentlicht, die die Einführung von dieser XKeyscore- Software einfach dokumentierten, und das weitere Puzzlestück kam dann von Kai Biermann und Yassin Musharbash, ich glaube, ich spreche seinen Namen immer falsch aus, aber sorry. Am 4. Juli erfuhren wir dann aus einem Radiodienst, dass ein Internetdienst zwei Artikel veröffentlicht habe in den Monaten Februar und April, weswegen der Verfassungsschutzpräsident Strafanzeige gestellt hätte. Kein Fun Fact ist, einen Tag vorher ist das Verfassungsschutzgesetz mit mehr Befugnissen für den Verfassungsschutz durch den Bundestag gegangen. Möglicherweise gab es da einen Zusammenhang, dass diese Geschichte über so einen verfassungsschutzfreundlichen Deutschlandfunk-Journalisten genau einen Tag später und nicht früher lanciert würde. Möglicherweise hätten die ganzen Landesverratsermittlungen, der Medienhype dazu führen können, dass mehr Augen auf dieses Verfassungsschutzgesetz geschaut hätten, gab es aber nicht. Wir waren erstmal ein bisschen verwundert, also erstmal stellten wir dann fest, dieser Internetdienst sind offensichtlich wir, dann dachten wir so, kommt eigentlich sowas häufiger vor, dass so Strafanzeigen gestellt werden? Haben wir auch erstmal bei den Gewerkschaften der Journalisten und so weiter angerufen, mal nachgefragt, dachten, die kennen sich damit aus, und die dann so: "Ja, keine Ahnung, so vielleicht in den 90ern das letzte Mal?" Dachten wir so, hmm, irgendwas ist da komisch. Haben dann am Montag direkt beim Verfassungsschutz und beim Generalbundesanwalt mal angerufen, mal nachgefragt, die wollten uns natürlich nichts sagen, und haben das erstmal gebloggt, und, warteten dann drauf, wir wussten nur laut diesem lancierten Artikel im Deutschlandfunk ging es um Verrat von Dienstgeheimnissen, da gibt es halt Urteile vom Bundesverfassungsgericht, mit anderen Worten, es wäre schlecht für unsere Quellen gewesen, aber wir wären da noch raus gewesen als Einzelpersonen. Und dann, am 30. Juli, gab's ein Schreiben, was zumindest unseren Redaktionsalltag dann ein bisschen über den Haufen geworfen hat. Der Generalbundesanwalt teilte uns mit, dass Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Andre, gegen unsere Quellen und gegen mich laufen würden, und zwar schon seit Mitte Mai. Dachten wir, gut. Heiterkeit und Applaus Das haben wir erstmal dann erstmal gebloggt. Dann haben wir nachgeguckt, was heißt denn eigentlich Landesverrat? Heiterkeit Unsere Anwälte meinten auch schon: "Also, irgenwas ist da komisch!" Da steht drin, da muss 'ne Absicht dabei sein, die Bundesrepublik zu gefährden oder gefährden zu wollen, und wir wollen 'ne bessere Bundesrepublik, also wir wollen eine Bundesrepublik, wo die Grundrechte auch durchgesetzt werden, die wir haben! Das ist eigentlich das Gegenteil davon, was Landesverrat ist! Beifallssturm Und wir dachten: "Gut, wenn die Rechtslage so ist, das fechten wir notfalls einfach durch!" Dann haben wir uns auch nochmal informiert, wo kommt eigentlich Landesverrat her? Ich meine, das kannte man nur ein bisschen so aus Spiegel-Affäre, also aus den Geschichtsbüchern, ging noch sogar weiter! Erich Kästner und so weiter, also 'n ziemlich geladen... ja, symbolgeladener Begriff! Die Kurzfassung war: Donnerstag kriegen wir das Schreiben, stellen's online und so weiter. Sonntag sind wir auf einmal mitten in einer kleinen Staatskrise. Dienstag tritt der Generalbundesanwalt zurück. Montag darauf alles ganz schnell irgendwie beerdigt. Aber: Jetzt fängt's halt an, was all da passiert ist beziehungsweise wie wir das Ganze evaluiert haben. Wir haben erstmal ganz viel Glück gehabt. Und zwar haben wir Glück gehabt, dass sie halt gegen uns wegen Landesverrats vorgegangen sind, also so 'ne Symbolik, die halt bei vielen sofort Assoziationen an Franz Josef Strauß und die Spiegelaffäre geweckt hat. Es wär nicht ganz so praktisch gewesen, wenn sie nicht mit §94 StGB "Landesverrat" sondern mit §95 "Offenbaren von Staatsgeheimnissen" angekommen wären, also allein der Hashtag #offenbarenvonstaatsgeheimnissen wär zu lang gewesen. Heiterkeit Dann haben wir Glück gehabt, dass sie uns überhaupt informiert HABEN, per POST. Soweit wir das rekonstruieren konnten, sah es sehr danach aus, dass der Generalbundesanwalt ein externes Gutachten bei einem BND-nahen Professor in Auftrag gegeben hatte, der die Meinung des Verfassungsschutzes bestätigen sollte, dass wir Staatsgeheimnisse veröffentlicht hätten und wär' das so gekommen, und dieser BND-Professor sagte das dem Generalbundesanwalt, dass er leider noch nicht fertig war und in Urlaub fahren musste, aber wenn er fertig gewesen wäre, wär' er zu dem Ergebnis gekommen und dann hätten wir dadurch wahrscheinlich erst durch Hausdurchsuchungen und Redaktionsdurchsuchungen mitbekommen, dass da überhaupt etwas läuft in diese Richtung. Insofern haben wir daraus auch die Lehren gezogen, einfach mal darauf vorbereitet zu sein. Wir gingen jetzt nicht davon aus, dass wir in Deutschland, einem Rechtsstaat, da die Befürchtung haben müssen, dass wir wegen unserer Arbeit Hausdurchsuchungen, Redaktionsdurchsuchungen haben könnten. Jetzt wissen wir das, jetzt sind wir vorbereitet, sollte es mal dazu kommen. Dann haben wir Glück gehabt: David gegen Goliath, ich mein', es läuft grad' Star Wars, Herr Maaßen gäbe einen super Imperator ab. Heiterkeit Wir sind die Rebellen, also neben David - Goliath hätte auch irgendwie Star Wars irgendwie ganz gut gepasst. Auf jeden Fall, diese Riesen-Symbolik, haben wir einfach Glück gehabt. Und, wir hatten schonmal so 'ne Art Stresstest vor sechs Jahren, da haben wir interne Dokumente der Deutschen Bahn veröffentlicht. Konnten so ein bisschen die Mechanismen von neuen Öffentlichkeiten bei so 'ner David-Goliath-Situation, Streisand-Effekt und so weiter irgendwie testen, und das konnten wir jetzt nochmal irgendwie in groß bespielen. Und vor allen Dingen, das größte Glück, was wir hatten, war, wir sind mitten ins Sommerloch gefallen. Also, zwei Wochen vorher wären wir halt wahrscheinlich in Griechenland untergegangen, zwei Wochen später in der Flüchtlingskrise, aber genau zu dem Zeitpunkt, wo wir halt dieses Schreiben bekamen, passierte echt nix, ne. Total super, danke! Heiterkeit und Applaus Wir mussten aber erstmal unter Beweis stellen, dass wir gute Staatsbürger sind, gleichzeitig hatten wir noch, das war ja auch lustigste Sache, die Bundesregierung hat, oder die Deutsche Bank als Standardinitiative des BDI zusammen mit dem Bundespräsidenten hatte uns da auch noch so 'ne Urkunde geschickt, weil wir "Deutschland - Land der Ideen - Ausgezeichneter Ort" waren. Wir wussten bis zu dem Zeitpunkt gar nicht, was fangen wir mit dieser Auszeichnung an, sollen wir das überhaupt kommunizieren? Dann dachten wir praktisch, dass zeigte nämlich so ein bisschen so dieses Bild und zeigte sofort irgendwie sind wir hier schizophren: Ein Teil der Bundesregierung zeichnet uns grad' aus, der andere Teil zeichnet uns auch aus, aber anders gemeint. Heiterkeit Ja, auf jeden Fall passierte dann etwas, was wir eigentlich auch hätten ahnen können, aber nicht geahnt haben: Der Admin war im Urlaub, das Blog war weg. Wir brauchten dann eine Spiegelseite, wo man zumindest die Informationen noch finden konnte. Dann passierte was, was ich noch nie erlebt hab: Ich konnte Twitter nicht mehr nutzen beispielsweise, weil da gingen so viele Informationen rein mit unseren Hashtags und so weiter, mein Browser ist die ganze Zeit abgestürzt, musste ich halt dann mal abschalten für ein paar Stunden, aber es lief da halt eine riesige Solidarisierungswelle, unzählige Supertweets, hier von @NeinQuarterly beispielsweise und auch ganz viele Sachen, Verweise auf unsere Spendenseite, weil wir hatten natürlich das Problem, wenn wir das hätten durchfechten müssen, dann hätten wir ganz viel Geld gebraucht, allein für die Anwälte und wir waren zu dem Zeitpunkt halt total unterfinanziert. Auf jeden Fall hatten wir dann den, ja, die lustige Situation, dass auch auf einmal unsere IBAN-Nummer Trending Topic wurde. Unsere Bank war auch sehr stolz. Heiterkeit Und gleichzeitig zur Illustration vom Sommerloch, das war so einer von mehreren Tagen tagesschau.de, man hatte das Gefühl, es gab nichts anderes, passierte auch wahrscheinlich gar nichts anderes, ich hab nichts anderes mitbekommen, aber hier sieht man halt auch nichts anderes. Anderes Ding: sehr schön auch Solidarität vom ZDF heute-journal, die hatten dann mal statt heute.de netzpolitik.org angegeben. Heiterkeit und großer Applaus Ja, dann war der Server auch wieder weg. Heiterkeit Wir haben aber jetzt neue. Heiterkeit Also, falls nochmal sowas passiert, können wir ein bisschen mehr Last vertragen. Ja, also, wir mussten dann halt auch irgendwie bisschen noch bessere Staatsbürger abgeben. Heiterkeit und Applaus Und dann ging's halt, also die ganze Presse war größtenteils bei uns und hinter uns. Das hatten wir gehofft, aber in dieser also riesigen Solidarität gar nicht erwartet. Das war auf jeden Fall sehr toll, irgendwie so Rückendeckung zu haben und vor allen Dingen sehr toll, wenn halt die ganzen Sachen, die man sich selbst anschaut auf einmal über einen berichten, wie extra3, heute-show und so weiter. Das war das einzige Traurige, dass wir so richtig im Sommerloch waren, weil die hatten keine Fernsehsendungen, sondern das haben, konnten die nur online machen. Ja, es gab da noch so'n kleinen Aufstand von CDU-Abgeordneten, die nicht verstanden, warum sich so viele Leute mit uns solidarisierten. Jens Koeppen links oben ist übrigens der Vorsitzende des Ausschuss' für digitale Agenda im Deutschen Bundestag. Das ging aber auch nur so einen Tag, die Leute, die was in der CDU-Bundestagsfraktion zu sagen hatten, hatten dann sofort am nächsten Tag irgendwie ihre Leute unter Kontrolle und meinten so: "Das ist ein Spiel, das können wir nicht gewinnen!" Das war auch ganz lustig, Herr Bosbach erklärte sofort 1,5 Tage später: "So unverständlich die Einleitung des Ermittlungsverfahren gegen das Blog netzpolitik aus rechtlichen tatsächlichen Gründen auch war..." und dann ging's halt auf Angriff auf die SPD über. Aber das war also zumindest so für uns das Zeichen: OK, jetzt tritt die Bundesregierung gerade ihren Rückzugskampf an. Nicht jeder hatte das verstanden: Hans-Peter Uhl glaubt immer noch, dass jetzt ISIS-Terroristen aus diesen Haushaltsplänen genau erfahren können, wie der Verfassungsschutz arbeitet. Ja, Hans-Peter Uhl hat noch verschiedene andere Probleme, glaube ich. Heiterkeit Auf jeden Fall, was auch sehr praktisch war für uns, es war Sommer, wir hatten noch ein paar aus unserem Team und ein paar Freunde, die wollten unbedingt eine Demo machen, wir dachten zuerst, naja, Demo, da stehen die üblichen Verdächtigen, auf jeden Fall haben wir eine Demo gemacht, 2500 Leute kamen. Heiterkeit Auch noch einmal sehr hilfreich, um halt Bilder zu erzeugen. Aber eigentlich dachen wir so: nach zwei Tagen ist das alles schon rum, Heiko Maas, unser Justizminister hatte zum ersten Mal seinen Urlaub unterbrechen müssen, ging vor die Presse, meinte: "Alles unter Kontrolle, gehen Sie weiter, gibt nichts zu sehen." Erste Interviewanfragen wurden abgesagt, wir machten Party, und, ja, am nächsten Tag waren wir halt in einer Staatsaffäre, die aber auch quasi international ging. Dazu muss man halt sagen, Deutschland war bisher immer so einer der moralischen Zeigefinger auf internationaler Ebene, wenn es darum ging, auf repressive Regime zu zeigen, wo Journalisten und Blogger irgendwie unterdrückt werden. Ja, und auf einmal gab's irgendwie in Deutschland einen Fall, wo Journalisten irgendwie mit solchen Ermittlungen eingeschüchtert worden, wo normalerweise halt, ja, sofort unser Außenminister irgendwie interveniert hätte. Das war aber ganz lustig, auch für uns, überall tauchten wir auf: Hier von irgendwie Nepal bis Griechenland, also in sämtlichen Kontinenten, fast sämtlichen Ländern haben wir dann irgendwie Artikel zugeschickt bekommen. Wir kriegten die auch gar nicht alle bearbeitet, also bei uns lief im Minutentakt das Telefon mit irgendwie Anfragen von den skurrilsten Medien aus aller Welt. Sehr stolz waren wir auf die Titanic, damals mehrfach reingeschafft, unter anderem mit dieser Anzeige für die Landesverratslust. Heiterkeit Einmal Titanic. Ja, die FAZ hat dann auch eine kleine Kampagne gegen uns gefahren. Das fanden wir auch ein bisschen putzig, weil wir dachten halt, da können wir auch nicht verlieren, wenn irgendwie eine Zeitung, die zehnmal so groß ist wie wir irgendwie in einem unterirdischen Artikel nach dem nächsten versucht, zu erklären, dass wir doch die Bösen seien und nicht die Guten, und dann eine Wortwahl verwendet wie: "Blockwart", "der Rechtsstaat war netzpolitik.org und anderen Schwarmintelligenten aber ohnehin immer egal, siehe Kinderpornographie, siehe Vorratsdatenspeicherung, siehe Urheberrecht" oder der FAS-Feuilletonchef über irgendein Tier, was bei uns rumstand, weil Anna das mal aus Japan mitgebracht hat, irgendwie eine halbe Seite Glosse über unser Maskottchen schrieb, worauf wir dachten: "Welches Maskottchen?" Das war mir irgendwie nie aufgefallen, dass das da rumstand, ja, auf jeden Fall war das so ein ganz lustiges Ding, aber andererseits auch irgendwie total bizarr, ne, also die FAZ-Politikredaktion steht bei fast allen Themen genau auf der anderen Seite von der Meinung her und zeigte auf uns und sagte: "Das sind die Aktivisten, so, wir sind die Journalisten!", ja, und versuchte uns halt irgendwie dieses Presserechtsprivileg dadurch abzusprechen. Andererseits hatten wir das alles schon die letzten Jahre durchgespielt, wir hatten schon offizielle Bestätigungen von der Bundesregierung, Bundespressekonferenz und Bundestag, dass wir Journalisten seien, weil die haben uns Ausweise als Journalisten ausgestellt. Dann hatten wir noch so einen kleinen anderen Nebenkriegsschauplatz: Wir haben mal ein Fernsehteam von Russia Today rausgeschmissen. Das hing damit zusammen, das waren die Einzigen, die sich nicht angemeldet hatten und auf einmal bei uns im Büro standen, anfingen zu filmen, und wir waren der Meinung, das ging nicht nur in Richtung Russland, sondern wir reden nicht mit Staatsmedien, die uns instrumentalisieren wollen, um irgendwie Pressefreiheitseinschränkungen in den eigenen Ländern zu relativieren. Applaus Also, wir haben gesagt, wir reden nicht mit Staatsmedien, Applaus in deren Ländern Journalisten unterdrückt werden, Journalisten in ihrem Leben gefährdet werden. Und dazu zählte Russland, das haben wir auch getwittert, dann hatten wir auf einmal die ganzen Verschwörungstheoretiker irgendwie noch als Nebenkriegsschauplatz, die dann irgendwie, ich habe noch nie so viele Morddrohungen erhalten, weil ich auf einmal für den Ukrainekonflikt zuständig war, weil ich mal vor 13 Jahren bei der Grünen Jugend war. Heiterkeit Also, ich hab's nicht so ganz verstanden, aber politische Bildung ist leider in den letzten Jahren irgendwie ganz schön zusammengekürzt worden, ich glaube, wir brauchen da nochmal ein bisschen mehr Geld im Haushalt. Applaus Aber, kommen wir mal zu Aktenzeichen XY Ungelöst: Wir fragen uns immer noch: Warum? Heiterkeit Also, warum, warum hat der Generalbundesanwalt überhaupt diese Ermittlungen gestartet, wenn eigentlich jedem sofort hätte klar werden können, diese Absicht, der Bundesrepublik zu schädigen, ist gar nicht vorhanden?! Also, wir können uns das nur so vorstellen, dass es politischen Druck gab von Seiten des Verfassungsschutzes, von Seiten des Innenministeriums, möglicherweise von Seiten des Kanzleramtes. Ja, die Frage ist aber auch, warum will niemand dafür verantwortlich sein? Dann, was halt auch ein bisschen ungeklärt war oder eigentlich relativ logisch dann irgendwann wurde: Wir hatten uns, als wir von dieser Meldung hörten wegen Verrats von Dienstgeheimnissen im Deutschlandfunk wird jetzt gegen unsere Quellen ermittelt, uns sehr gründlich das Cicero-Urteil von 2007 durchgelesen. 2005 gab es eine Hausdurchsuchung beim Cicero, diesem Monatsmagazin. Daraufhin, weil es darum ging, dass irgendwie Verrat von Dienstgeheimnissen, irgendwelche Geheimnisse weitergegeben wurden an Journalisten und man versuchte damals - BKA mit Schily zusammen - bei Redaktionsdurchsuchungen Hinweise auf die Quellen zu bekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat dann 2007 gesagt: "Wegen Verrat von Dienstgeheimnissen darf es sowas nicht mehr geben!" In unserem Fall ist man dann sofort eine Nummer höher eingestiegen, hat das mal getestet, ob man damit durchkommt. Wenn halt das eine vom Verfassungsgericht verboten ist, probieren wir einfach 'mal Landesverrat aus, so. Wir hätten das Ganze gerne weiter durchgefochten und hätten gern ein neues Urteil bekommen, aber leider sind halt die Ermittlungen ziemlich schnell eingestellt worden, so dass uns die Möglichkeit genommen wurde, einfach vor Gericht das eindeutig zu klären. Vor allen Dingen dann auch eindeutig zu klären, dass wir die ganze Zeit im Recht waren. Dann, Hans-Georg Maaßen, unser Verfassungsschutzpräsident, der Imperator und so weiter, hatte schon das Ganze angekündigt am 4. Mai auf dem Symposium des Verfassungsschutzes, wo da übrigens der Deutschlandfunkjournalist moderieren durfte, der dann später diese erste, den ersten Hinweis lanciert hatte. Er meinte schon damals, dass halt unsere Arbeit oder beziehungsweise dieses Leaken in Richtung von Journalisten wie uns die Arbeit der Geheimdienste erheblich beschädigt. Außerdem redete er davon, dass halt geheime Zusatzinformationen von den Medien abgedruckt wurden. Also, wir haben bisher noch keine Druckerpresse, wir stellen das ja alles ins Netz, aber OK, ne. Aber wir haben das Ganze zum Anlass genommen, eine neue Aufkleberserie rauszubringen, könnt ihr im Anschluss hier vorne links bekommen. Applaus Sehr interessant war dann auch, der Maaßen versuchte sich dann irgendwie die ganze Zeit rauszureden, er ist unschuldig, er hatte nur seine Pflicht getan so und jemand musste das ja machen. Wir wissen mittlerweile, dass es irgendwie in den letzten Jahren drei Anzeigen wegen ja, quasi Verrats von Dienstgeheimnissen, Staatsgeheimnissen, generell wegen dem Leaken von Dokumenten an Journalisten aus Richtung der Geheimdienste gab, drei Anzeigen, zwei davon haben wir bekommen. Applaus BND hat sowas noch nicht gemacht. Aber, er meinte halt: "Das ist ganz normal!" Versuchte, zu suggerieren, dass das ein ganz üblicher Vorgang wäre so, ne, und er übrigens damit überhaupt nichts zu tun hätte, weil die Anzeigen wären ja gegen Unbekannt gestellt worden. Wir haben irgendwann die Anzeigen bekommen, so sahen sie dann aus. Quasi noch als Wink mit dem Zaunpfahl waren dann diese Anzeigen, die gegen Unbekannt waren, auch mit unseren Namen noch ausgestattet. Vor allen Dingen hat es der Verfassungsschutz geschafft, in zwei Anzeigen meinen Namen zweimal falsch zu schreiben. Heiterkeit Also, zum Glück gibt es sehr wahrscheinlich keine Person in Deutschland, die irgendwie so ähnlich heißt, ne, aber das Problem war halt, was bedeutet es, wenn man auf einmal wegen einem, ja, falschen Namen irgendwie Verdächtiger wird? OK, ich muss mich ein bisschen beeilen. Unsere Anwälte bekamen hinterher nur frisierte Akten beziehungsweise, - hä, wieso geht denn das hier automatisch weiter? - ...nur frisierte Akten, wir gehen davon aus, dass die Akten die ganze Zeit, ja, parallel angelegt worden sind. Da sind verschiedene Vermerke auf Gespräche zwischen Generalbundesanwalt und Verfassungsschutz, die telefonisch, per E-Mail und so weiter geführt worden sind, aber die da nicht auftauchen. Das kam unseren Anwälten sehr komisch vor, wir hätten auch gern die Akten veröffentlicht, wir dürften sie nur nicht sehen, weil die Akten geheimer eingestuft sind als die Dokumente, die wir veröffentlicht haben, weil der Verfassungsschutz... Applaus Der Verfassungsschutz musste erklären oder hat ja dem Generalbundesanwalt in einem Gutachten mitgeteilt, warum wir irgendwie Staatsgeheimnisse verraten haben und, ja, diese Einschätzung des Verfassungsschutzes ist halt geheimer als die Papiere, die wir veröffentlicht haben. Also, an Skurrilität kaum noch zu überbieten. Dann stellten wir irgendwann fest, oh, Generalbundesanwalt, Ermittlungen wegen Landesverrat bedeutet, die können uns legal eigentlich seit 2-3 Monaten abgehört haben. Das war alles möglich, aber das war für wenige Momente irgendwie für uns so das Problem, - ja, hä, was geht denn hier ab? - ...für wenige Momente das Problem, dass wir halt dachten, so OK, jetzt könnten wir echt ein Problem haben, wenn die alles bei uns verwanzt haben. Die haben natürlich hinterher gesagt, das BKA hat nur niedrigschwellige Ermittlungen durchgeführt, ähm, ja, dem kann man halt halbwegs vertrauen, glaube ich zumindest. Das Problem ist, wie glaubhaft ist die Aussage der Bundesregierung, dass der Verfassungsschutz uns nicht überwacht hat? Ich meine, wer soll das kontrollieren? Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie mal besser die Opfer der NSU. Applaus Dann, hatten wir das Problem, diverse Vertreter der Bundesregierung haben die Medien offensichtlich... denen nicht die Wahrheit gesagt. Hier ist Emily Haber, Sicherheitsstaatssekretärin im Innenministerium, die meinte: "Ja ja, der Verfassungsschutzpräsident hat irgendwann die Absicht mitgeteilt" und das wäre alles, sonst hätte man gar nichts mitbekommen. Hinterher kam raus, das halbe Innenministerium war informiert und auch über die laufenden Anzeigen und so weiter. Thomas de Maizière hat natürlich überhaupt nichts mitbekommen, Zitat: "Die gebotene Strafverfolgung des Täters beziehungsweise der Täter hat erst durch die aktuelle Mediendiskussion eine politische Bedeutung erlangt, die zudem eine Unterrichtung des Ministers persönlich veranlasste." So beschreibt man halt das System Thomas de Maizière. Fun Fact: Der Mann von der Emily Haber ist der Diplomat, der im Rahmen der BND-Selektorenaffäre vom BND überwacht wurde. Ja, dann nochmal irgendwie es gab eine riesige Bundespressekonferenz rund um das Thema an dem Montag nachdem wir es veröffentlicht hatten, eine Stunde lang ganz viele Fragen. Hier meinte dann der Sprecher vom BMI damals noch so, ja, er hat mit allen geredet, die dafür relevant wären, keiner wusste was davon, ne. Also, das ist großartigste Rhetorik, mit anderen Worten: Verschleierungstaktik. Später kam halt raus: spätestens am 21. April wusste die Bundesregierung von den Plänen und dass diese Ermittlungen gestellt wurden und wir gehen davon aus, dass da auch die Strategie schon besprochen wurde. Aber wer hat daran teilgenommen, weiß man nicht, weil im Kanzleramt führt man bei solchen wichtigen Treffen leider keine Teilnahmelisten. Aber dann haben die Grünen in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung mal alle Ministerien einzeln abgefragt, welche Staatssekretäre denn da waren und verschiedene Ministerien konnten darauf antworten, dass ihre Staatssekretäre da waren, also es wäre schon möglich gewesen, zu sagen, wer da war, aber keiner wollte so genau dafür verantwortlich gemacht werden. Außerdem fragten die Grünen, ob es normal sei, dass derartige Absichten mit absehbar großer politischer Bedeutung in dieser allgemeinen Form am Rande berichtet werden, ohne dass man darüber Protokoll führen muss und die Bundesregierung meinte, ja ja, ist so üblich, keine Panik. Das Justizministerium wusste gar zwei Monate vorher schon inklusive Justizminister, der sich nach dem ganzen Medienhype dann auf einmal hinstellt und sagte, das muss man jetzt ganz schnell beenden. Wir fragen uns, warum hat er das nicht vorher beendet? Gut, ich muss mal schneller machen. Kommen wir mal dazu... - Hä? Ist mir noch nie passiert, ich brauch' ein neues Notebook! - Was lernen wir daraus? Unsere Forderungen: Erstmal, wir brauchen eine Neudefinition von "Staatsgeheimnis". Im Moment legen die Behörden fest, was ein Staatsgeheimnis ist, und wir glauben, das ist falsch. Wir brauchen eine Neudefinition für "Staatsgeheimnis", dass Vorgänge des Zeitgeschehens von öffentlichem Interesse keine Staatsgeheimnisse sind und nicht von §94 "Landesverrat", §95 "Offenbaren von Staatsgeheimnissen" betroffen sind, Applaus das würde Journalisten helfen, nicht von diesem Damoklesschwert weiterhin irgendwie gefährdet zu sein. Wir brauchen ein Whistleblowerschutzgesetz, was auch seinen Namen verdient! Deutschland ist ein Entwicklungsland in Sachen Whistleblowerschutz, das darf so nicht sein! Jaja, ich beeil mich! - Hehehe, hallo? - Ansonsten haben wir Glück gehabt, Andre und ich sind berufsmäßig angestellte Journalisten bei uns in der Redaktion, aber wir haben auch andere, die für uns ehrenamtlich schreiben. Wenn die dieselbe Geschichte geschrieben hätten, hätten die nicht so viele Rechte gehabt wie wir, beispielsweise hätten die kein Zeugnisverweigerungsrecht gehabt beziehungsweise man hätte erstmal aufwändig vor Gericht klären müssen, ob das denn so wäre, weil die Rechtmäßigkeit geht von "berufsmäßig" aus, dass Pressefreiheit mit "berufsmäßig" zu tun hat. Wir sagen: Pressefreiheit muss für alle gelten, die sich journalistischen Standards und Pflichten unterwerfen und journalistisch arbeiten und nicht nur für diejenigen, die das mit Geld machen! tosender Applaus Ansonsten, damit unser Quellenschutz auch durchgesetzt werden kann, muss die Vorratsdatenspeicherung weg! Die muss auch aus ganz vielen anderen Gründen weg, aber ich sag' jetzt nur mal aus journalistischer Sichtweise! zustimmender Applaus Und, vor allen Dingen ein neuer Straftatsbestand der Datenhehlerei; und wir werden Klagen dagegen unterstützen! Außerdem brauchen wir einen Ausstieg aus der Massenüberwachung und eine Kontrolle der Geheimdienste. Also der richtige Skandal neben Landesverrat ist, dass zwei Jahre nach Start der Snowden-Enthüllungen das Ganze als Machbarkeitsstudie angesehen wird, und die Überwachung massiv ausgebaut wird durch diese Bundesregierung! Was wir noch sagen wollen: Niemals aufgeben! Wir machen weiter, trotz Massenüberwachung und allem. Wir fanden ein bisschen schade, dass die Kampagne so schnell vorüber war, wir hatten noch so viele Ideen, was man noch alles machen könnte. Wir nehmen gerne Dokumente an und als Dankeschön für die Landesverratsermittlungen haben wir dann noch kurz die BND-Strategie zum Ausbau der Netzüberwachung geleakt. Könnt ihr auch bei uns nachlesen. Applaus Ansonsten, danke für all eure Unterstützung! Es hat uns sehr viel geholfen, dass wir so eine riesige Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, aus anderen Medien, aus unseren Communities hatten, anders hätten wir das wahrscheinlich nicht so gut durchgespielt bekommen. Insofern, wenn ihr unsere Arbeit gut findet, könnt ihr uns auch unterstützen: netzpolitik.org/spenden oder wir haben hier auch einen Restbestand an diesen supertollen T-Shirts und Hoodies und tollen Taschen, gibt's irgendwo, wo gibt's denn die? Ach da vorne, jaja, genau. Es gibt auch Aufkleber mit Hans-Georg Maaßen drauf, ansonsten... Heiterkeit vielen Dank, macht mehr Landesverrat und viel Spaß auf dem Congress! Jubel anhaltender Applaus Abspannmusik Untertitel erstellt von c3subtitles.de im Jahr 2016. Mach mit und hilf uns!