Es ist spät und stockfinster. Ein selbstfahrendes Auto fährt auf einer engen, kurvenreichen Landstraße. Plötzlich tauchen gleichzeitig drei Hindernisse auf. Was passiert als Nächstes? Bevor es die Hindernisse umfahren kann, muss das Auto sie entdecken und genug Informationen über Größe, Form und Position sammeln, damit seine Kontrollalgorithmen den sichersten Kurs planen können. Ohne menschlichen Fahrer braucht das Auto intelligente Augen -- Sensoren, die diese Details registrieren müssen -- trotz Umgebung, Wetter- und Lichtverhältnissen und all das sekundenschnell. Eine große Aufgabe, doch es gibt eine Lösung, die zwei Dinge kombiniert: ein spezielles laserbasiertes Messsystem namens LIDAR und Kommunikationstechnik im Kleinformat, die das Internet am Laufen hält, die integrierte Photonik. Um LIDAR zu verstehen, hilft der Vergleich mit der verwandten Radartechnik. In der Luftfahrt senden Radarantennen Funk- oder Mikrowellen an Flugzeuge. Sie orten deren Position, indem sie messen, wann die Wellen das Flugzeug treffen. Doch dieses Sichtsystem ist ungenau. Denn die großen Strahlen erkennen keine Details. Im Gegensatz dazu verwenden selbstfahrende Autos LIDAR, d. h. lichtgestützte Ortung und Abstandsmessung. LIDAR nutzt einen feinen, unsichtbaren Infrarot-Laser. Er erkennt kleinste Objekte wie den Hemdknopf eines Fußgängers auf der anderen Straßenseite. Wie lassen sich aber Form oder Tiefe dieser Objekte bestimmen? LIDAR feuert zur Tiefenauflösung eine Reihe ultrakurzer Laserimpulse ab. Nehmen wir einen Elch auf der Landstraße. Während der Wagen vorbeifährt, trifft ein LIDAR-Impuls auf den Ansatz des Geweihs und der nächste prallt von der Spitze einer Geweihschaufel ab. Die Messung des Zeitunterschieds der Rückstreuung beider Impulse gibt Aufschluss über die Form des Geweihs. So erstellt ein LIDAR-System mit vielen Kurzimpulsen ein schnelles Detailprofil. Die einfachste Art der Lichtimpulserzeugung ist das Ein- und Ausschalten eines Lasers. Das macht ihn aber instabil und beeinträchtigt das exakte Takten der Impulse. So wird die Tiefenauflösung ungenau. Der Laser bleibt also besser an und man nutzt etwas anderes, um das Licht schnell und zuverlässig periodisch abzudecken. Hier kommt integrierte Photonik ins Spiel Digitale Internetdaten werden von präzise getakteten Lichtimpulsen übertragen -- bis zu hundert Pikosekunden schnell. Eine Art der Impulserzeugung bietet der Mach-Zehnder-Modulator. Er nutzt den Vorteil einer bestimmten Welleneigenschaft, der Interferenz. Wenn man Steine in einen Teich wirft, breiten sich Wellen aus, überlappen sich und bilden ein Muster. Hier und da laufen Wellen ineinander und bilden noch größere; manchmal heben sie einander auf. Der Mach-Zehnder-Modulator funktioniert ähnlich. Er teilt Lichtwellen in zwei parallele Arme und verbindet sie dann wieder. Wird das Licht in einem Arm verlangsamt und verzögert, verbinden sich die Wellen nicht synchron, heben sich auf und blockieren das Licht. Manipuliert man die Verzögerung in einem Arm, wirkt der Modulator wie ein Ein-/Ausschalter und sendet Lichtimpulse aus. Ein Lichtimpuls von 100 Pikosekunden schafft zentimeterfeine Tiefenauflösungen. Doch die Autos von morgen müssen noch besser sehen. Durch Kopplung des Modulators mit einem hochempfindlichen, schnellen Lichtsensor erhält man millimetergenaue Auflösungen. Das ist über 100 Mal besser, als was wir mit normaler Sehkraft auf der anderen Straßenseite erkennen. Die 1. Generation des automobilen LIDAR nutzt komplexe Drehvorrichtungen. Sie scannen von Dächern oder Motorhauben. Integrierte Photonik schrumpft Modulatoren und Sensoren auf weniger als Zehntelmillimeter. Sie sitzen in Mikrochips, die eines Tages in Autoscheinwerfer passen werden. In den Chips wird auch die smarte Version des Modulators zu finden sein. So möchte man bewegliche Teile entfernen und bei hohem Tempo scannen können. Durch nur geringe Verlangsamung des Lichts in einem Modulatorarm ist diese Zusatzvorrichtung eher Dimmer als Ein-/Ausschalter. Durch Parallelschaltung vieler Arme -- jeder davon mit kleiner kontrollierter Verzögerung -- kann man etwas Neues entwickeln: einen steuerbaren Laserstrahl. An ihrem neuen Platz sondieren und sehen smarte Augen schärfer, als es sich die Natur je vorgestellt hätte, und helfen so, mögliche Hindernisse zu umfahren. Dabei muss niemand nervös werden -- außer vielleicht ein desorientierter Elch.