Die Meisten von Ihnen wohnen zur Miete oder leben in einer eigenen Immobilie und haben darum sicherlich Nachbarn. Die Meisten von Ihnen wissen, dass Sie bei unerlaubtem Betreten des Grundstücks Ihrer Nachbarn tatsächlich wegen Hausfriedensbruchs verhaftet werden könnten. Aber das ist hier in Deutschland einklagbar, weil alle Immobilien staatlich registriert sind und deshalb rechtlich geschützt sind. In vielen Ländern auf der Welt sind dagegen bis zu 70 % des Landes nicht registriert. Aber selbst für Menschen derjenigen Länder, wo es registrierte Landtitel gibt, können solche Landtitel nicht maßgeblich sein, wie sie leben. Betrachten Sie etwa eine Massai-Familie. Sie hat 800 Rinder, 500 Ziegen, Esel und andere Tiere. Wegen ihrer Grundbedürfnisse sind sie von dem Land abhängig: Wasser, Lebensmittel, Futter für die Tiere und sogar im Hinblick auf Medikamente. Einen individuellen Landtitel zu erhalten, kann tatsächlich dazu führen, dass sie den Zugang zu wichtigen Ressourcen verlieren. Ein individueller Landtitel kann sie schlechter dran sein lassen. Wie Cari bereits sagte, arbeite ich für ein Projekt. Es heißt "its4land". In diesem Projekt erstellen wir neuartige Hilfsmittel für die Registrierung von Landbesitz. Unser Ziel ist, den hohen Prozentsatz nicht registrierten Landes durch den Einsatz neuer Hilfsmittel auf Null zu drücken, und es zu ermöglichen, Landbesitz schnell zu kartografieren. Das Projekt umfasst 8 Partner, die auf sechs Länder verteilt sind. Ich arbeite für das Institut für Geoinformatik der Uni Münster. Als wir eingeladen wurden, uns an dem Projekt zu beteiligen, es zu starten, war ich sehr aufgeregt, weil die Zielländer Kenia, Ruanda und Äthiopien sind, die alle in Ostafrika liegen, und nicht so weit von meinem Heimatland Malawi entfernt sind. Wir ließen uns auf diese Reise ein, ich selbst, als Teil dieses Teams, um ein kleines Programm zu erstellen, das Gemeinden auf lokaler Ebene erlaubt, ihr Land unter Einsatz von Hand gezeichneten Karten zu dokumentieren. Beispielsweise diese hier. Unsere Software sollte die handgezeichneten Skizzen lesen, verarbeiten und verstehen können, was durch sie abgebildet wird, und sie danach ordnen, damit sie mit anderen Daten zu Landbesitz verwendet werden können. Das war unser Ziel und damit machten wir uns an die Arbeit. Wir erstellten einige vorläufige Entwürfe und schufen eine Beta-Version. Wir testeten unseren Arbeitsablauf sogar auf einem Grundstück in Deutschland. Aber gehen wir ein paar Monate weiter: Wir kamen im muslimischen Massai-Bezirk Kajiado in Süd-Kenia an. Fast gleich nach unserer Ankunft gingen unsere ganzen Pläne, die wir genau geplant hatten, in die Binsen. Unsere ganzen Annahmen waren grundsätzlich falsch. Als wir ankamen, herrschte eine Dürre. Die Leute benötigten mehr Zeit, um Wasser und Futter für die Tiere zu finden. Tatsächlich trafen wir am Tag unserer Ankunft die Leute am dortigen Wasserloch. Das war der einzige Ort, wo man Leute während des Tages treffen konnte. Wir fingen sofort mit der Arbeit an: Wir standen unter einem Baum, die Forscher und die Leute aus der Gemeinde. Meine Kollegin Serene, von der Universität Leuven, fing mit ihrem Teil der Befragung an. Sie hatte eine nicht strukturierte Befragung vorbereitet. Sie begann, Fragen zu stellen, aber als sie von der ersten Frage zur zweiten und zur dritten überging, wurde ich unruhig. Denn ich stand neben ihr, aber der Punkt ist, ich hatte einen zehnseitigen Fragebogen in meiner Hand und alles genauestens vorbereitet. Ich dachte, wie werde ich eine sehr strukturierte Befragung im sehr lebhaften Szenario durchführen. Bevor ich den Gedanken abschloss, war ich bereits mit dem Fragen dran. Sie ging: "Du bist dran!" Ich denke: "Oh, mein Gott." Irgendwie nahm ich meinen Fragebogen. Hier ist meine erste Frage. Ich las die erste Frage. Der Dolmetscher stand neben mir und übersetzte sie in die Massai-Sprache. Danach war es einige Sekunden still. Nach der Stille brach jeder in Lachen aus. Okay, was habe ich Lustiges gesagt? Ich war einen Augenblick verunsichert, weil die Frage einfach war. Ungefähr 15 bis 20 Männer standen um mich herum. Fünf andere waren gerade 30 Kilometer mit ihren Tieren von Tansania über die Grenze gelaufen, nur um ihre Tiere in diesem Gebiet weiden zu lassen. Was sollte ich tun? Ich schaute nur auf meinen Fragebogen und ich las die zweite Frage, sagte sie sollten die erste vergessen. Aber als ich meinen Kopf erneut hob, erkannte ich, dass nicht immer die gleichen Gesichter zu sehen waren. Leute standen da und gingen zu jemand anderen, um mit ihm zu reden, kamen dann zurück und schauten vielleicht ein wenig nach den Tieren. Ich dachte, das kann so manches bedeuten, aber entweder ist diese Aufgabe für die Jungs vollkommen langweilig oder sie sind extrem beschäftigt. Ich stimmte natürlich dem zweiten zu, denn sie hatten drängendere Probleme. Wir suchten Sie an ihrem Arbeitsplatz auf, der es nun mal war. Also entschied ich: Lass es. Ich steckte meinen Fragebogen in meine Tasche zurück und fing einfach Gespräche mit ihnen an. Wir standen nur da und hatten kleine Plaudereien. Dadurch erfuhren wir ziemlich viel. Wir erfuhren etwa, dass die Massai traditionell niemals Land besaßen, -- wovon wir eine Ahnung hatten --, aber nicht im modernen Verständnis von Landbesitz. Das war immer etwas, was ihnen übergestülpt wurde und auf die Kolonialzeit zurückgeht. Das Meiste, das sie uns erzählten, war in kleinen Geschichten verpackt. Es waren keine schlichten Tatsachen. Es kam Geschichte auf Geschichte. Es kam ein junger Mann zu uns und erzählte uns eine Geschichte, die eine gewisse lockere Beziehung der Massai mit ihrem Land aufzeigt. Er deckte eine Unregelmäßigkeit auf. Er entdeckte eine Unstimmigkeit bei den Grenzen eines großen Grundstückes, das einer Familie gehört. Mit Familie meine ich natürlich nicht Ehemann, Ehefrau und Kinder. Ich meine ungefähr 10 oder mehr Haushalte von Brüdern, Cousinen und so weiter, die auf einem Stück Land zusammenleben und ihre ganzen Ressourcen teilen. Folgendes war geschehen: Sie hatten sozusagen Nachbargrundstücke. Die Leute dieser Familien auf den Nachbargrundstücken hatten ihr Land aufgeteilt und dann Teile dieser Grundstücke an andere Leute verkauft. Dabei verschoben sich die Grenzen irgendwie zu Gunsten der neuen Grundstücke. Ein großer Batzen Land ging der Familie, die zusammenlebte, verloren. Das Problem ist selbstverständlich, dass diese gute Entdeckung, 12 Jahre zu spät kam. Denn in Kenia kann man die Ausgabe von Landtiteln nur innerhalb eines Zeitraums von 12 Jahren anfechten. Diese Änderungen wurden staatlicherseits aber mehr als 20 Jahre zuvor eingetragen. Wie konnte das passieren? Wie konnten sie das nicht feststellen? Es war so, dass sie zusammenlebten und über die Grenzen Bescheid wussten, aber sie betrachteten sie nie wirklich als Hindernis für ihre Bewegungsfreiheit, als eine Begrenzung wie: "Dort kann man nicht hingehen." Wenn sie ihre Tiere weiden lassen, oder wenn sie Feuerholz sammeln oder etwas anderes auf dem Land tun, durchquerten sie es einfach. Es spielte keine Rolle, wessen Grundstück, das in Wirklichkeit war. Als die Änderungen bei den angrenzenden Grundstücke stattfanden, kümmerten sie sich leider nicht darum, zu überprüfen, was mit den Grenzen und mit den tatsächlichen Informationen, die eingetragen wurden, los ist. Jedenfalls fuhren wir mit unseren Gesprächen fort. Später baten wir die Leute Karten zu zeichnen, um zu veranschaulichen, was sie uns erzählten; die Geschichten, die sie uns erzählten. Hier ist ein Beispiel: Das ist ein Massai-Gehöft. Eine Massai-Familie lebt in kreisförmig angeordneten Hütten, was "enkang" genannt wird. In der Mitte gibt es üblicherweise einen kreisrunden Bereich, ein Gehege oder mehrere Gehege, wo ihre Haustiere in der Nacht untergebracht sind. Das dient zum Schutz vor Wildtieren. Die traditionelle Massai-Hütte wird in deren Sprache "inkaji" oder in der Mehrzahl "inkajijik" genannt. Von außen sehen sie so aus. Die Hütten gehören üblicherweise den Ehefrauen. Im "enkang" gibt es einen Mann und mehrere Ehefrauen und jede Frau hat ihre eigene kleine Hütte für ihre Familie. Jede Frau hat auch einen Eingang, also ein Tor zum Eintritt in den "enkang". Sie ist für das Tor verantwortlich. Sie ist zuständig, es am Morgen zu öffnen und in der Nacht zu schließen. Diese Tore werden durch einen großen Ast eines Baums bewacht, den man "oltim" nennt. Sobald der "oltim" innerhalb des Tores abgelegt ist, kann keiner mehr, besonders die Männer, eintreten. Die Männer können nicht über den "oltim" steigen, weil es in ihrer Kultur als Tabu betrachtet wird. Es gibt auch subtile Regeln dafür, welches Tor für welchen Zweck genutzt werden darf. Zum Beispiel hat man ein Tor nur für die Ziegen und einer der anderen Eingänge wäre für die Menschen, und ein anderer wäre vielleicht für Rinder. Der Punkt, den ich hier anführen will, ist, dass das Massai-Gehöft eine wirklich komplexe räumliche und soziale Struktur hat. Diese Struktur ist sehr bedeutungsvoll. Diese reichhaltige Bedeutung ging leider in vielen modernen oder aktuellen Informationssystemen zur Landregistrierung verloren. Der Fokus liegt mehr auf Grundstücken, wie man es in Deutschland damit hält, Grenzen und Koordinaten. Als wir sie zum ersten Mal baten diese Karte für uns zu zeichnen, das waren die dummen Fragen in der ersten Befragung, lautete sie etwa so: Können Sie eine Karte von Ihrem Land zeichnen? Die Jungs sagten: Wovon zum Teufel sprichst Du? Nachdem wir von der Reise zurückkehrten, stellte ich mir selbst dieselbe Frage. Welchen Zweck haben die Zeichnungen, nach denen wir verlangen? Offensichtlich mussten wir unsere Strategie ändern. Wir verbrachten etwa vier Monate hier und kehrten dann geradewegs zurück. Dieses Mal hatten wir spezielle Workshops organisiert; wir organisierten die Dinge tatsächlich im Voraus. Wir hatten Workshops für Männer und Workshops für Frauen. Während der Diskussionen sprachen die Leute darüber, was ich für wichtige Aspekte für sie hielt. Zum Beispiel: wie erhalten wir unsere Wasserquellen oder wo sind die Wildtiere gewöhnlich anzutreffen. Wo sind die Orte mit wichtigen Baumarten oder andere Arten von Vegetation? Was wir während dieser Zeit der Diskussionen lernten, war, dass die Älteren ein gewisses besonderes Geschick im Lesen der Landschaft hatten. Beispielsweise beobachteten sie die Vegetation und meinten dann: Lasst uns hier nach Wasser bohren. Natürlich begreifen es die jüngeren Männer nicht ganz, ich vermute, es stellt sich erst mit der Erfahrung ein. Aber ich dachte, dass das ein tiefes Verständnis war und wir wollten das Verständnis erfassen. Wir wollten es in unseren Karten festhalten. Wir baten sie auch ein paar Karten für uns zu skizzieren, Zum Beispiel: diese Karte. Eine Gruppe Frauen zeichnete sie. Man sieht hier einige Kreise. Diese stellen die Gehöfte dar. Man sieht hier auch einige Berge. Die Karte ist recht detailliert, von dort vermutlich nicht gut sichtbar; aber woher bekommt man Wasser, wo sind die Wildtiere und jede Menge Besonderheiten; wo ist der Hauptfluss unserer Region. In den Ecken sind kleine Dreiecke, die die Grenzen ihrer Viehfarm darstellen. Wir können Informationen mit Aussagekraft erfassen, welche man in offiziellen Archiven nicht zusammen mit der Darstellung von amtlichen Informationen über die Grenzen ihrer Grundstücke findet. Wir können diese Grenzen in Beziehung zu den Besonderheiten setzen, die wichtig für deren Leben ist. Wir wollten ein kleines Hilfsmittel erstellen, dass Karten, Karten von Landbesitz, von Grundstücken digitalisiert. Aber dabei lernten wir, dass es nicht nur um ein Stück Boden geht. Es geht um Beziehungen zwischen Menschen und ihrem Land, die häufig nicht so einfach oder nicht vereinbar mit der Art sind, wie wir das Land als Eigentum, welches man besitzt, als individuellen Titel, der meiner ist, betrachten. Dabei lernten wir auch, dass damit unsere Technologie bedeutungsvoll ist, muss man Fragen beantworten, die für die Gemeinde von Bedeutung sind. Dort sind wir auf dieser Reise und es ist eine Reise, die die Landinformationen und die Fähigkeit, sie zu dokumentieren, wirklich zu den Menschen bringen soll. Was wir bis jetzt tun konnten, ist mit allem was wir erfuhren, mit allen Vorstellung, die wir sammelten, ein programmiertes Hilfsmittel oder einen Prototyp erstellen, der bedeutsame digitale Objekte aus den handgezeichneten Karten herauszufiltern. Es sieht ein wenig wie Unsinn aus, aber das sind die Berge, die verschiedenen Gehöfte und so weiter. Diese aussagekräftigen Informationen kann man mit vorhandenen Karten vernetzen, um neue Karten, aussagekräftigere Karten und neue, bessere Verknüpfungen, mit den in der Gemeinde erzeugten Daten zu erstellen. Ich muss dieses letzte Bild zeigen, weil es sehr besonders für mich ist. Am Ende des letzten Workshops, sozusagen die Rollen wechselnd, riefen mich die Frauen nach draußen und sagten: "Hey, komm!". Ich ging raus und sagte: "Was liegt an?" "Stell Dich hier hin." Sie präsentierten mir ein Geschenk. Es war ein Armband der Massai -- perlenbesetzt. Einer der Frauen sagte: "Ich habe es gemacht. Ich dachte, es wäre ein nettes Geschenk für Dich." Das war besonders. Für mich markierte es das Ende und den Beginn dieser Beziehung. Ich hoffe, es wird eine lang andauernde Beziehung mit diesen sehr großartigen Menschen sein, die ihre Zeit und ihr Wissen mit uns im Kajiado-Bezirk teilten, wohin ich mich freue zurückzukehren. Danke. (Applaus)