1
00:00:03,580 --> 00:00:06,190
Tatort...
2
00:00:06,190 --> 00:00:07,570
...Kunst
3
00:00:09,910 --> 00:00:11,250
Ein Mann,
4
00:00:11,250 --> 00:00:13,070
eine Frau,
5
00:00:13,070 --> 00:00:16,730
ein Teppich von üppiger Vegetation.
6
00:00:18,170 --> 00:00:20,340
Ein Gemälde von Manet.
7
00:00:21,160 --> 00:00:26,590
Dem ersten Anschein nach handelt es sich um
eine bürgerliche Version von Adam und Eva
8
00:00:26,590 --> 00:00:30,290
oder um einen Flirt im Wald.
9
00:00:32,060 --> 00:00:33,860
Aber „das alles“ hört
sich sehr falsch an!
10
00:00:33,860 --> 00:00:38,240
Anstatt sich einander seine Zuneigung
zu beweisen, erscheint das Paar steif.
11
00:00:38,240 --> 00:00:44,690
Anstelle des irdischen Paradieses oder
der Natur sehen wir Topfpflanzen,
in einem Pariser Appartement.
12
00:00:44,690 --> 00:00:47,950
Selbst das Gemälde ist an
manchen Stellen nur ein Entwurf…
13
00:00:51,670 --> 00:00:55,700
Manet scheint seine Freude
daran zu haben, uns zu täuschen:
14
00:00:56,870 --> 00:01:00,900
Anstatt uns mit einem sorgfältig ausgearbeiteten,
erotischen Bild träumen zu lassen,
15
00:01:00,900 --> 00:01:02,900
liefert er uns ein
verheiratetes Paar
16
00:01:02,900 --> 00:01:05,200
„am Rande des
Nervenzusammenbruchs“.
17
00:01:06,780 --> 00:01:12,000
Gibt es also für Manet etwas, dass so interessant
am Seelenleben dieses Paares aus Paris ist?
18
00:01:12,000 --> 00:01:17,380
Titel : „Der Blick auf die
Frau in der modernen Malerei“
19
00:01:20,140 --> 00:01:24,500
Teil 1 : Das männliche Verlangen
20
00:01:26,870 --> 00:01:31,290
Dieses Gemälde stellt zunächst einmal eine unversöhnliche Gegensätzlichkeit dar.
21
00:01:31,290 --> 00:01:37,070
Im Vordergrund, die Frau, schön,
begehrenswert und en vogue.
22
00:01:37,070 --> 00:01:40,100
Mit dem grauen Korsett
und dem Faltenkleid
23
00:01:40,100 --> 00:01:43,670
hat sie etwas von einer Sirene
oder einem Krebs in seinem Panzer.
24
00:01:43,670 --> 00:01:48,900
Die Holzlatten an der Bank beschützen sie
vor dem „Dschungel“ des Appartements
25
00:01:49,880 --> 00:01:53,100
und dem städtischen Satyr,
den er beherbergt.
26
00:01:53,100 --> 00:02:00,470
Und der Mann. Manet hat ihn zwar gemalt, aber nur,
um ihn demütig, nebensächlich und unverfänglich
erscheinen zu lassen.
27
00:02:00,470 --> 00:02:02,030
Wie ein Löwe im Käfig
28
00:02:02,030 --> 00:02:03,480
und abgeschnitten
durch den Bilderrahmen
29
00:02:03,480 --> 00:02:06,580
ringt er um die Aufmerksamkeit
der Sphinx-ähnlichen Frau.
30
00:02:07,500 --> 00:02:10,470
Seine kaum glimmende Zigarre
erscheint zerbrechlich und erbärmlich
31
00:02:10,470 --> 00:02:14,390
gegenüber ihrem Schirm.
32
00:02:15,900 --> 00:02:19,320
Er ist ihr deutlich unterlegen.
33
00:02:19,320 --> 00:02:21,540
Der einzige Trost, die einzige Hoffnung
bildet die Mitte des Gemäldes,
34
00:02:21,540 --> 00:02:24,620
zwischen den beiden Welten:
35
00:02:24,620 --> 00:02:29,400
eine linke, ohne Handschuh gemalte Hand,
die er schüchtern versucht zu berühren.
36
00:02:29,400 --> 00:02:34,300
Hinzu kommt eine weitere Dynamik,
die von links nach rechts verläuft.
37
00:02:37,060 --> 00:02:42,550
Auf der Seite der Frau :
Blumen, zarte Blätter, schrille Farben.
38
00:02:42,550 --> 00:02:47,980
Auf der Seite des Mannes :
dunklere Farbtöne, große und aggressive Blätter.
39
00:02:47,980 --> 00:02:51,940
Der Blumentopf aus Porzellan steht für die
Frau sowie die Farben blau, weiß, rosa!
40
00:02:55,300 --> 00:03:00,350
Der ihm auf dem Boden nahe stehende, von
Manet signierte Blumentopf verkörpert den Mann.
41
00:03:00,780 --> 00:03:05,440
Dieses Blumengebinde stellt
das anziehende Verlangen dar:
42
00:03:05,440 --> 00:03:09,210
die rosafarbenen Blumen erinnern
an den Teint und die Lippen der Frau,
43
00:03:09,210 --> 00:03:12,470
die Schwertlilien
verlängern ihren Blick
44
00:03:12,470 --> 00:03:16,670
und die zwei roten Rosen
symbolisieren die Leidenschaft.
45
00:03:24,640 --> 00:03:28,170
Vor dem pflanzlichen Hintergrund
wird selbst die Hand zur Blume.
46
00:03:28,170 --> 00:03:30,170
Der Frau sind solche
Phänomene nicht fremd:
47
00:03:30,170 --> 00:03:38,330
durch die Gesichtspflege und das
Schminken imitiert sie die Natur, um ihren
Anmut noch mehr hervorzuheben.
48
00:03:38,330 --> 00:03:40,520
Aber oft ist es das frustrierte
männliche Verlangen,
49
00:03:40,520 --> 00:03:46,430
die den Blumen, den
Rundungen, der Hand
50
00:03:46,430 --> 00:03:48,300
die erotische Macht einer
ganzen Frau… verleiht.
51
00:03:51,760 --> 00:03:55,300
Teil 2 : Eine neue Sichtweise auf die Frau
52
00:03:56,670 --> 00:03:58,180
Ein Jahrhundert vor Manet
53
00:03:58,180 --> 00:04:03,570
malte Fragonard idealistische Szenen zwischen aristokratischen Liebenden in der Natur.
54
00:04:03,570 --> 00:04:06,930
Wie im Wintergarten steht die
Frau in Verbindung mit den Rosen
55
00:04:06,930 --> 00:04:09,310
und der Mann mit dem Wald.
56
00:04:09,310 --> 00:04:12,400
Aber die kleine Mauer, die sie trennt,
wurde gemalt, um überwunden zu werden:
57
00:04:12,400 --> 00:04:15,740
packende Leidenschaft in Aussicht…
58
00:04:15,740 --> 00:04:19,400
Für Manet „war nun Schluss“ mit
dem wohlbetuchten Bürgertum,
59
00:04:20,800 --> 00:04:23,270
„alles sollte sich von nun an“
in Paris und seinen Vorstädten abspielen.
60
00:04:25,110 --> 00:04:28,960
Auf dem Gemälde von Monsieur & Madame
Jules Guillemet, Besitzer eines Modesalons,
61
00:04:28,960 --> 00:04:32,660
erkennt man Manets Interesse für die neue Be-
ziehung zwischen Mann und Frau in der Vorstadt.
62
00:04:33,900 --> 00:04:37,520
Die Ehe war oft nur Fassade,
so auch in der Familie Manet.
63
00:04:38,530 --> 00:04:41,710
Hier lässt die Steifheit des
Vaters Syphilis erkennen,
64
00:04:41,710 --> 00:04:46,420
eine sexuell übertragbare Krankheit,
an der auch der Maler selbst starb.
65
00:04:47,900 --> 00:04:50,500
Die Natur ist keine heile Welt.
66
00:04:51,610 --> 00:04:54,270
Im Gegensatz zu
dieser Bank von Monet
67
00:04:54,270 --> 00:04:58,400
lässt Manet in seinem Gemälde die
Perspektive weg, er verbirgt den Horizont.
68
00:04:58,920 --> 00:05:01,070
Das Bild der Frau ändert sich.
69
00:05:01,070 --> 00:05:04,700
Bei Courbet sind sie die unvollständigen
Wesen, die mit Tieren spielen,
70
00:05:04,700 --> 00:05:07,700
während sie auf „einen
richtigen Menschen“ warten!
71
00:05:08,040 --> 00:05:11,680
Bei Manet haben sie
ein eigenes Dasein.
72
00:05:12,140 --> 00:05:16,180
Sie sind diejenigen, die
die Tiere in Schach halten.
73
00:05:24,970 --> 00:05:31,360
Und wenn ein Mann erscheint, wird er
häufig auf Abstand gehalten, vergessen, …
74
00:05:31,360 --> 00:05:35,260
Wenn Körperteile der
Frau weggelassen werden,
75
00:05:35,260 --> 00:05:41,410
sind es ein Stück der Arme und der Beine,
mit denen sich „der Mann“, der auf Abstand
gehalten wird, zufrieden geben muss.
76
00:05:41,410 --> 00:05:45,670
Madame Guillemet ist also eine
dieser Frauen, die Manet interessieren:
77
00:05:46,470 --> 00:05:49,640
Sie besitzt die Unabhängigkeit
und die innere Entschlossenheit,
78
00:05:49,640 --> 00:05:53,650
die ihr den Status einer
„Modesalonbesitzerin“ verleihen.
79
00:05:57,360 --> 00:06:01,650
Teil 3 : Frauen in der modernen Malerei
80
00:06:02,350 --> 00:06:04,810
Durch die Frauen erfindet
Manet eine neue Art der Kunst,
81
00:06:04,810 --> 00:06:10,190
die mit den Erwartungen und den
Wünschen des Betrachters spielt.
82
00:06:10,910 --> 00:06:16,400
Auf den Gemälden *Im Boot* und Nana
bleiben wir außerhalb der Szene,
83
00:06:16,400 --> 00:06:21,110
aber der Blick des Mannes signalisiert,
dass wir ein ungebetener Gast sind...
84
00:06:21,110 --> 00:06:27,550
... und der der Schauspielerin wird auf
ihren augenblicklichen Verehrer gelenkt.
85
00:06:28,590 --> 00:06:31,180
Im Wintergarten und der *Bar in den Folies Bergère*
86
00:06:31,180 --> 00:06:35,180
wird der Betrachter im Gemälde
wie in einem Spiegel reflektiert:
87
00:06:35,180 --> 00:06:37,840
Madame Guillemet ignoriert
uns genauso wie ihren Mann.
88
00:06:37,840 --> 00:06:42,990
Er und wir sind also Doubles,
vereint durch die gleiche Faszination.
89
00:06:43,620 --> 00:06:47,480
Und im Gemälde *Die Bar*, in dem dieser Mann
im Spiegelbild hinter der Frau erscheint:
90
00:06:47,480 --> 00:06:53,150
das sind wir! *in flagranti*
beim Flirten erwischt!
91
00:06:53,150 --> 00:06:55,990
Dann dieser gleichgültige
Blick, der uns gilt,
92
00:06:55,990 --> 00:07:01,280
ist auch einer dieser Blicke, der den Betrachtern
der Gemälde von Manet entgegen geworfen wird.
93
00:07:01,280 --> 00:07:06,510
Anders als in herkömmlichen Gemälden, die versuchen, uns die Leinwand vergessen zu
lassen, indem die Figuren modelliert werden
94
00:07:06,520 --> 00:07:09,440
und mit der Perspektive versucht wird,
dem Bild Tiefe zu verleihen,
95
00:07:09,440 --> 00:07:13,290
sieht man bei Manet im Gegensatz
dazu die Flachheit des Gemäldes:
96
00:07:13,290 --> 00:07:15,590
die Reduzierung der vertikalen
und horizontalen Tiefen,
97
00:07:16,750 --> 00:07:22,510
die an die grobe Oberfläche der Leinwand
98
00:07:24,860 --> 00:07:29,740
und an die kontrastreichen,
99
00:07:29,740 --> 00:07:33,510
„nicht fertiggestellten“
Teile des Bildes erinnern.
100
00:07:36,510 --> 00:07:42,350
Sein Gemälde erlegt dem Betrachter auch auf be- stimmende Weise auf, wie er sich es ansehen soll:
101
00:07:42,350 --> 00:07:49,590
Es ist unmöglich für ihn, sich heuchlerisch
an einem Stück Haut zu weiden und zu
behaupten, die Pinselführung zu erkennen.
102
00:07:49,590 --> 00:07:54,680
Das Gemälde wird noch unabhängiger: es
lässt uns nur das sehen, was es zeigen will.
103
00:07:55,410 --> 00:08:01,190
Dadurch ist Madame Guillemet nicht nur
eine Muse der Mode, sondern auch
eine Allegorie der modernen Malerei.
104
00:08:01,190 --> 00:08:09,220
Sie ruft ein Verlangen in uns hervor, in solchem Maß,
dass wir Lust verspüren, den Finger hinzustrecken,
um den ihren zu berühren.
105
00:08:09,220 --> 00:08:14,930
Aber letztendlich berühren wir doch
nur die Oberfläche der Leinwand.
106
00:08:16,030 --> 00:08:20,040
Angenommene Gekünsteltheit und
gekonnt gesteuerte Oberflächlichkeit:
107
00:08:20,040 --> 00:08:25,770
Das ist die Falle, in die Manet und Madame Guillemet versuchen das Verlangen ihrer Betrachter zu locken,
108
00:08:25,770 --> 00:08:30,190
die sich gleichzeitig
angezogen und abgelehnt fühlen.
109
00:08:30,190 --> 00:08:34,480
In der nächsten Folge : *Die Geburt der Venus*
von Botticelli – Kennen Sie diese Frau wirklich?
110
00:08:34,480 --> 00:08:40,450
Mehr Informationen auf: www.canal-educatif.fr
111
00:08:40,850 --> 00:08:43,850
Verfasst und umgesetzt von:
112
00:08:43,850 --> 00:08:46,810
Produziert von:
113
00:08:46,810 --> 00:08:49,800
Wissenschaftliche Beratung:
114
00:08:49,800 --> 00:08:53,110
Dieses Video gibt es dank Sponsoren (Warum
nicht ihr?) und dem französischen Kultusministerium.
115
00:08:53,110 --> 00:08:55,880
Off-Stimme:
116
00:08:55,880 --> 00:08:58,850
Videogestaltung und -text:
117
00:08:58,850 --> 00:09:01,850
Schnitt und Ton
118
00:09:01,850 --> 00:09:04,950
Musikalische Auswahl
119
00:09:04,950 --> 00:09:07,850
Musik
120
00:09:07,850 --> 00:09:11,210
Danksagungen
121
00:09:11,210 --> 00:09:13,210
Eine Produktion von CED